Helene von Mühlau
Frau Doktor Breuer
Helene von Mühlau

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7.

Dr. Breuer hörte das leise Spiel seiner Frau; es klang so gedämpft zu ihm herunter, daß es ihn nicht störte; im Gegenteil, es mußte ihm wohl eine angenehme Empfindung verursachen, denn wenn sie eine Pause machte, wartete er, bis die Töne ihn wieder umkreisten – weich und schwermütig, als seltsame Begleitung zu bitteren, menschenfeindlichen Gedanken.

Sie spielte jeden Abend, im dunklen Zimmer sitzend, bei weit geöffnetem Fenster; sie spielte leise, weil etwas Lautes, Wohltönendes nicht in dies Haus und auch längst nicht mehr zu ihrer Person paßte – aber seit sie dies hatte, seit sie nach vielen Jahren wieder an einem Instrument sitzen und den Ueberschwall ihrer einsam gewordenen Seele ausströmen lassen konnte, war ihr wohler geworden. Das allerbitterste Leid fand einen Abfluß – die bösen, todesbangen Gedanken schwiegen.

Magdalene wußte nicht, daß ihr Mann ihrem Spiel lauschte, oder daß er es wenigstens wahrnahm; er sprach nicht mit ihr darüber. Sie wußte auch nicht, daß sie noch einen anderen Zuhörer hatte – auch einen Einsamen, Verbitterten, der ebenso wie der Doktor unten in seinem Arbeitszimmer in ihrem Spiel eine seltsame Begleitmelodie zu einem dunklen Sang böser, quälender Gedankengänge fand.

Der Major Schwertes saß, von einer Mauer von blühendem Klematis verdeckt, auf seinem Balkon, an einer Stelle, die dem geöffneten Fenster von Magdalenes Zimmer sehr nahe war, und auch ihm war es lieb, daß die Töne nicht laut und rauschend in die stille Nacht hinauswogten, sondern daß sie leise, fromm, schwermütig, wie von Luftwellen getragen, zu ihm hinströmten, so dringlich zu ihm hin, als seien sie nur für ihn da – nur um seiner hartgewordenen, vergrämten Seele etwas Gutes und Lindes anzutun.

In Magdalene wachte die Freude über des Vaters kostbares Geschenk, das er ihr mit dieser Zimmereinrichtung gemacht hatte, erst allmählich richtig auf. Ihr Blick hatte sich an das Einfachste, das Primitivste gewöhnt. Die Lehren und Reden ihres Mannes von dem höchsten Glück, das in der Bedürfnislosigkeit des Menschen liege, waren nicht ohne Einfluß auf sie geblieben.

Gewiß, man konnte leben, ohne Dinge um sich zu haben, die dem Auge schmeichelten – man konnte über den gewöhnlichen Begriff von Glück hinaus etwas ahnen, was höher, edler und unvergänglicher war, aber dazu hätte man dann einer Seele bedurft, die im gleichen Takt mitschwang, die sich in enger geistiger Kameradschaftlichkeit an einen anschloß.

Aber Breuers Geist und Breuers Seele – wenn er eine hatte – waren weit, weit von der ihren fort. Eine Vereinigung zwischen ihnen konnte es nur geben, wenn sie alles, was ihr eigenstes Ich ausmachte, von sich abwarf und ganz sein Geschöpf würde.

Vielleicht kam es noch einmal so – vielleicht ging es ihr, wie es ihr als Kind oft gegangen war, daß sie eine Sache, die man ihr klarmachen wollte, lange Zeit nicht begreifen und ergründen konnte und dann plötzlich ging sie ihr auf, lag so überaus einfach, klar und verständlich vor ihr, daß sie nicht zu fassen vermochte, wie es möglich gewesen war, solange im Dunkel getastet zu haben.

Ja, wenn es so käme! Wenn sie wirklich zu ihres Mannes geistigen Höhen gelangen und allen Schmerz, alle kleine Erdenqual zurücklassen könnte!

Magdalene saß in tiefen Gedanken in ihrem Schlafzimmer; die häusliche Arbeit war für diesen Tag verrichtet. Die Frau aus der Stadt kam jetzt dreimal in der Woche und blieb einen ganzen Tag, denn der kleine Vorort fing an ihr zu gefallen, und die Luft hier draußen tat ihr wohl.

Sie hielt das Haus gut in Ordnung, war auch hin und wieder im Garten tätig, obwohl da jetzt in der vorgeschrittenen Jahreszeit nicht viel mehr zu machen war, da man die Frühlingsarbeit versäumt hatte. Die Frau sprach davon, im Winter ganz herauszuziehen, und die Breuers waren damit einverstanden; der Doktor hatte genickt, und Magdalene hatte ihre Freude ausgesprochen. Wenn die Frau zu ihnen zog, hatten sie weiter wie jetzt ihr abgeschlossenes Reich hier draußen, in das niemand von denen, die hier lebten, hinein sah – und für Magdalene war das ein gewisser Trost, denn ihr bangte vor den Menschen hier – nicht ihretwegen, denn sie war im tiefsten Wesen nicht so ganz einsamkeitsbedürftig wie ihr Mann – aber seinetwegen. Für ihn bedeuteten Menschen eine Qual – ein Hemmnis –, ein Herabziehen aus seiner Welt.

Und nun an diesem Tage, zu einer Stunde, da Magdalene zum ersten Male vor einer Kiste kniete, die ein paar liebe, vertraute Gegenstände aus ihrer Mädchenzeit enthielt, und da sie überlegte, ob sie nicht dieses oder jenes in ihrem neuen Zimmer aufstellen könnte, um sich täglich daran zu freuen, mitten in diese freudige Beschäftigung hinein tönte die Klingel an der Gartenpforte, und alle drei Insassen des Hauses fuhren erschreckt auf – der Doktor unten in seinem Arbeitszimmer, die Bedienung in der Küche und Magdalene in ihrem Schlafzimmer. Sie erhob sich, ging zum Fenster und sah durch die Vorhänge hindurch, daß eine weibliche Gestalt in Kapottehut und seidenem Umhang, also vollkommen besuchsmäßig ausgerüstet, vor ihrer Gartenpforte stand und gerade die Klingel noch einmal in Bewegung setzen wollte, als die Frau auch schon in einiger Erregung den Gartenweg entlang lief und ohne zu öffnen erschreckt fragte, was die Dame denn hier wolle.

»Ich bin die Frau des Pastors Lerch, des Geistlichen vom Orte hier, und ich möchte Frau Dr. Breuer sprechen, wenn sie zu Hause ist und Zeit für mich hat!«

Die Frau zauderte noch einen Augenblick, dann öffnete sie.

»Die Frau Doktor ist wohl zu Hause,« antwortete sie und war im Begriff ein »Aber« hinzuzufügen, besann sich dann aber anders, ließ die Dame eintreten und führte sie die Treppe hinan durch das blaue Zimmer mit dem Bild des roten Kardinals in den neu eingerichteten Raum der Frau Doktor. Dort ließ sie sie stehen und lief zu ihrer Herrin, die sie in einiger Erregung fand, und als Magdalene dann hörte, daß die Frau des Pastors vom hiesigen Orte gekommen sei, sie zu besuchen, verlor sie einen Augenblick die Fassung, und die Gedanken flogen zu ihrem Manne hinab, und sie wußte nicht, ob sie zuerst zu ihm hinunter müsse, um ihm diese Sache vorzutragen, oder ob sie auf eigene Gefahr den Besuch empfangen solle.

Indessen unterzog die Pastorin die beiden Zimmer, die sie von der Ecke aus, in der sie Platz genommen hatte, übersehen konnte, einer eingehenden Musterung.

Bei den Gormanns war sie nie im Hause gewesen: die hatte sie nur von kurzen Gartenbesuchen her gekannt; darum war ihr die Einrichtung des blauen Zimmers völlig fremd, und sie stand staunend und bewundernd davor, denn die Sachen in ihrer Farbenpracht gefielen ihr, und das Bild des roten Kardinals schien ihr ein Kunstwerk ersten Ranges.

Und dann dies entzückende Damenzimmer, in dem sie hier saß. Alles sehr eigenartig und vornehm, und das Klavier doch geradezu ein Prachtstück. Sie konnte nicht begreifen, daß die Haushälterin vom Major nebenan so wergwerfend über die Sachen dieses Ehepaares hier gesprochen hatte. Nun ja – die verstand es eben nicht, solche Feinheiten zu würdigen. So eine wollte viel sehen und gute Mittelware, die ins Auge fiel. Das blaue Zimmer hier fiel ja allerdings auch ins Auge; man wurde an Schloßräume gemahnt – da fand man auch solche Farben und solche Anordnung der Gegenstände vor. Die Wartezeit dehnte sich ein wenig, aber sie wurde der Pastorin nicht allzu lang, denn nachdem sie die Ausstattung der beiden Zimmer genügend gewürdigt hatte, trat sie ans offenstehende Fenster und sah zu ihrem Staunen, wie gut man von hier aus das Grundstück des Majors überblicken konnte. Wenn er auf seinem Balkon gewesen wäre, hätte sie sich mit ihm unterhalten können. Aber der Major war ja auch so ein eigentümlicher Kauz, der höchstens am Abend, wenn ihn niemand sah, wenn ihn niemand von der Straße her anrufen konnte, auf seinem Balkon oder in seinem Garten weilte – während andere Menschen jede Stunde, die ihnen dazu frei ist, während dieser kurzen Sommermonate in Garten und Anlagen verbringen. Ja, es gab merkwürdige Menschen!

Magdalene war nicht bei ihrem Mann gewesen, um ihm diesen ungebetenen, überraschenden Besuch zu melden. Bis zur Türe seines Zimmers war sie gekommen, hatte einen Augenblick davor gestanden und war dann, da alles totenstill blieb, leise wieder die Treppe hinangestiegen.

Nun hatte sie die Klinke der weißen Tür, die zum blauen Zimmer führte, in der Hand und fühlte, wie das Herz ihr heftig gegen die Brust schlug. Was mochte sein? Warum kam man zu ihr? Was wollte man von ihr? Die Pastorin saß wieder auf ihrem Sessel in der Ecke und lauschte und wartete, bekam selbst ein wenig Herzklopfen, fühlte das Rot in ihre Wangen steigen, bezwang sich aber und ward schnell ihrer Verlegenheit Herr.

Magdalena trat ein – ganz ruhig jetzt – sehr zurückhaltend, mit einer Frage in den Augen und einem sehr kühlen Händedruck für ihre Besucherin.

Die Pastorin war um so herzlicher. Die schlanke, vornehme Erscheinung der jungen Frau Doktor flößte ihr im Augenblick solche Sympathie ein, daß sie gar nicht wußte, wie herzlich und gewinnend sie die Worte wählen sollte, um all das auszudrücken, was sie empfand.

»Ja,« dachte sie, während ihr Mund immer noch begrüßende und ihren Besuch erklärende Worte hervorbrachte, »ja – man sieht es ihr an, daß sie von vornehmem Herkommen ist!« und ließ ihre Blicke immer wieder über die feine Gestalt, die ein sehr einfaches, dunkles Kleid trug, gleiten.

Magdalene schob sich einen Sessel heran – die Pastorin hatte jetzt auf dem kleinen Sofa Platz genommen, und nachdem endlich die erste Aufregung sich bei ihr gelegt hatte, fing sie an, in ruhigeren Worten noch einmal einige Aufklärungen für ihren Besuch zu geben.

»Wir haben es zuerst durch die Zeitung erfahren, liebe, gnädige Frau, daß Sie und Ihr Herr Gemahl die Käufer des ehemals Gormannschen Hauses sind. Es war an einem Aprilabend, als ich das meinem Mann vorlas, und ich muß sagen, ich habe mich damals sehr gefreut. Es war so ein Jammer, daß das schöne Grundstück fast das ganze Jahr über leer stand, denn die Gormanns sind ja durch ihr Geschäft in der Stadt zu sehr in Anspruch genommen, man hatte gar nichts von ihnen, und so oft ich hier an dem Hause vorüberging, mußte ich immer denken: »schade, schade!«

Magdalene saß mit leicht vorgebeugtem Oberkörper auf ihrem Sessel; sie hörte nur halb auf das, was die Dame aus dem Sofa heraus mit volltönender, klarer Stimme sagte. Aengstlich lauschte sie nach unten – aber es war alles still. Sie hatte sich also geirrt, wenn sie geglaubt hatte, ihren Mann rufen zu hören.

Die Pastorin wartete zwar auf irgendeinen Einwurf in der Unterhaltung; als das aber nicht erfolgte, fuhr sie auch so fort:

»Ja, Sie müssen wissen, wir hier draußen in unserem kleinen Ort halten sehr treu zusammen. Ich meine damit die Kreise, die zur Gesellschaft gehören. Man hat ja hier außer der schönen Natur keinerlei andere Zerstreuung als eben das bißchen Geselligkeit, das man sich bereitet und das man sich so angenehm zu gestalten sucht, wie es eben möglich ist. Und ich glaube sagen zu dürfen, daß uns das wirklich vollauf gelungen ist und daß alle, die hier draußen leben, wirklich sehr gern hier sind und sich wenig nach den Freuden der großen Städte sehnen. Im Winter haben wir hier die verschiedensten Veranstaltungen in unseren Häusern oder auch im Gesellschaftssaal des Gasthofes »Zum goldenen Engel«, und im Sommer finden geradezu unbeschreiblich schöne Feste in unseren Gärten statt!«

»Ja, es gibt schöne Gärten hier!« sagte Magdalene liebenswürdig, aber etwas gequält und immer noch in der vorgebeugten Haltung, mit dem Ausdruck einer leisen Angst in den Augen.

»Wunderschöne Gärten!« wiederholte die Pastorin. »Ich weiß nicht, ob Sie vielleicht schon den von unserm Apotheker Wigger gesehen haben. Der ist geradezu prächtig. In der letzten Woche feierten wir dort eine venetianische Nacht, die man feenhaft nennen könnte. Das Wetter war ja auch überaus günstig. Mein Mann und ich waren dort, der Amtmann mit seiner Frau – Dr. Müller auch mit Frau, und noch ein paar andere. Nun, Sie werden sie mit der Zeit schon kennen lernen. Uebrigens auch der Nachbar, der Major Schwertes, war da. Sie kennen ihn doch gewiß schon, da er Garten an Garten mit Ihnen wohnt, und da man von dem Fenster dort seinen Balkon übersehen kann!«

»Nein,« sagte Magdalene. »ich kenne ihn nicht. Ich habe noch nie darüber nachgedacht, wer wohl in dem Hause wohnt.«

Die Pastorin staunte.

»Ja, da wohnt ein alter Junggeselle, das heißt eigentlich noch gar nicht alt und auch nicht richtig Junggeselle. Ich kann's Ihnen ja ruhig sagen, da Sie es über kurz oder lang doch erfahren werden. Er ist von seiner Frau geschieden – aber von seiner Seite völlig unschuldig geschieden – das ist erwiesen. Nun, er hat dann aber doch seinen Abschied genommen und ist hier heraus gezogen. Wie er selbst sagt, ist er mit der Absicht in unseren Vorort gekommen, mit keinem Menschen je ein Wort zu reden. Sie glauben nicht, wie verschlossen und finster der aussah, wenn man ihn über die Straße gehen sah. Nun, er ist ja auch heute noch nicht lustig zu nennen, und liebenswürdig ist er auch nicht immer. Aber seine Menschenscheu, seine Menschenfeindseligkeit die hat er doch abgelegt, und daran bin ich schuld, denn ich kann es nicht gut sehen, wenn einer so verdrossen seines Weges daher geht und sich von den Menschen absondert. Ich leide direkt unter so etwas, und da habe ich denn nicht geruht, bis ich ihn soweit hatte, daß er in unseren Kreis eintrat, und nun fehlt er auf keiner Gesellschaft und sieht dann oft so vergnügt aus, daß es eine Lust ist, ihn anzusehen.«

Magdalene lächelte verbindlich.

»Das ist sehr gütig und menschenfreundlich von Ihnen!« sagte sie leise.

»Ja,« fuhr die Pastorin erfreut über diese Anerkennung fort, »menschenfreundlich müssen wir alle sein – dazu hat uns der liebe Gott geschaffen. Es steht ja schon in der Bibel: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst! Man findet bei so etwas immer den Lohn in sich selbst! Und nun hören Sie mich einmal an, liebe gnädige Frau,« dabei beugte sie sich vor und ergriff Magdalenens beide Hände, »und seien Sie mir nicht böse über das, was ich jetzt sagen werde: Auch Sie und Ihr Herr Gemahl scheinen mir zu diesem Einsamen zu gehören, die von selbst den Weg in unseren Kreis nicht finden, und das tut uns allen ganz unaussprechlich leid.«

Sie hielt Magdalenens Hände sehr fest in den ihren, aber die machte jetzt geradezu eine entsetzte, ablehnende Bewegung. Ihr Gesicht war ganz weiß geworden und sie sagte mit vor Erregung zitternder Stimme:

»Nein, meine gnädige Frau. Bei uns ist das etwas ganz anderes. Wir sind hier herausgekommen, um ganz allein zu sein. Wie soll ich es Ihnen erklären? Mein Mann arbeitet an einem Werk, das alle seine Gedanken, sein ganzes Sein, seinen Körper, seinen Geist, seine Seele – kurz, seinen ganzen Menschen so vollkommen in Anspruch nimmt, daß er auch nicht die geringste Ablenkung verträgt. Nein, bitte, glauben Sie nicht, uns einen Gefallen zu tun, wenn Sie uns aus unserer Einsamkeit herausziehen wollen! Nein – so wollte ich es nicht ausdrücken. Es ist ja so unendlich gütig von Ihnen, daß Sie an uns dachten, daß Sie uns helfen wollen – aber glauben Sie, es geht nicht – es geht mit dem besten Willen nicht. Ich darf es meinem Mann gar nicht sagen.«

Ihre Augen sahen fast flehend zur Pastorin auf, und in deren Herz zog plötzlich ein sehr aufrichtiges, mütterliches Mitgefühl mit dieser bleichen, jetzt ganz verstört aussehenden jungen Frau.

»Davon habe ich keine Ahnung,« sagte sie, »und so etwas versteht man natürlich ohne weitere Erklärungen. Ich kenne es ja übrigens von meinem eigenen Manne aus. Wenn der am Sonnabend seine Predigt vorbereitet, dann muß alles totenstill um ihn sein – die Fliege an der Wand stört ihn dann. Natürlich – so etwas muß man respektieren und darf da auch gar keine weiteren Versuche machen! Aber Sie selbst, liebe gnädige Frau – ist es für Sie denn nicht sehr schwer, diese Einsamkeit zu ertragen?«

»O nein,« sagte Magdalene, noch immer abwehrend, »ich bin es so gewohnt seit langer, langer Zeit – eigentlich, seitdem ich verheiratet bin. Man entwöhnt sich nach und nach so sehr von den Menschen, daß man gar nicht mehr zu ihnen paßt. Nein, ich bin wirklich ganz zufrieden in meiner Einsamkeit!«

»Aber gut ist es nicht für einen sehr jungen Menschen!« nahm die Pastorin wieder das Wort, »und seien Sie nicht böse, wenn ich es offen heraus sage: in Ihren Augen liegt etwas, das sieht ganz anders aus als Lebensfreude – und auch um den Mund. Wirklich, meine liebe Frau Doktor,« und wieder hielt sie Magdalenens Hände umschlungen, »Sie sollten so nicht leben! Es ist merkwürdig. Sie sind mir noch völlig fremd, und doch habe ich schon das Gefühl einer großen, aufrichtigen Freundschaft für Sie! Ich möchte Ihnen helfen; ich möchte, daß dieser Mund lachen lernt und daß diese ernsten Augen froher in die Welt blicken. Nein, nein – ich sehe ja alles ein, und ich will nicht in Sie dringen. Den Herrn Gemahl wollen wir dann auch ganz ungestört lassen; aber Sie dürfen uns nicht so fremd bleiben – nein, Sie dürfen uns das nicht antun. Und darum bitte ich Sie herzlich und innig, daß Sie mich besuchen sollen – mich und meinen Mann, von dem ich übrigens Empfehlungen ausrichten soll. Wir würden uns von ganzem Herzen freuen, wenn Sie kämen, und das kann Ihr lieber Mann Ihnen doch auch nicht verwehren, wenn er bestimmt weiß, daß sein Alleinsein ungestört bleibt!«

In Magdalenens Herzen war die Angst immer größer geworden – sie schrie fast aus ihren Augen, und doch und trotz alledem hatte die, wenn auch etwas zudringliche, so doch wohlwollende und mütterliche Art der Pastorin etwas Wohltuendes für dieses einsame, zerquälte Geschöpf.

Die Pastorin merkte ihren Siegeszug – ihr Herz quoll jetzt über von lauter guten, lieben, echten Gefühlen.

»Haben Sie getrost Vertrauen zu mir!« sagte sie sehr innig und zog die beiden Hände an ihr volles Gesicht. »Was Sie mir anvertrauen, das erfährt nie eine Seele – selbst mein Mann nicht, wenn Sie es nicht wünschen. Aber ich müßte ja keine Menschenkennerin sein, wenn ich es Ihnen nicht ansähe, daß Ihr Leben nicht gerade freudvoll ist. Nein, erschrecken Sie nicht – ich will damit nichts gesagt haben. Ich weiß, daß eine Ehe sehr glücklich und darum doch sehr schwer sein kann – ja, daß die glücklichsten Ehen oft die schwersten sind. Wenn wir uns näher kennen, können wir uns eingehender darüber unterhalten. Für heute will ich Sie nicht länger stören, aber ich möchte auch nicht gehen, ohne das Versprechen Ihres Besuches mitzunehmen. Nicht wahr, Sie kommen doch – und bald – so zur Teestunde. Vielleicht lassen Sie es mir am Vormittag durch Ihre Bedienungsfrau sagen. Wir wohnen ja gar nicht weit voneinander. Also sagen Sie Ja!«

Magdalene senkte die Blicke vor den hellen, klaren Augen der Pastorin.

»Wenn es geht,« sagte sie dann langsam; »ich lasse meinen Mann ja eigentlich nie allein – aber wenn es geht – wenn er nichts dagegen hat – ja – dann komme ich natürlich sehr gern!«

Die Pastorin staunte wieder, aber sie war zufrieden.

»Sie haben es sich reizend eingerichtet hier!« sagte sie noch, als sie durch das blaue Zimmer schritten. »Es ist schön und eigenartig bei Ihnen, und ich habe mich ganz unendlich gefreut, Sie kennen gelernt zu haben. Also bald – nicht wahr – sehr bald kann ich auf Ihren Besuch hoffen!«

Bleich und bis ins tiefste erregt kam Magdalene ins Haus zurück. Ihr Mann stand auf der Schwelle seines Zimmers.

»Was wollte die?« fragte er schroff.

»Sie kam uns zu besuchen, Martin. Sie ist die Frau des Geistlichen vom Ort. Sie war sehr freundlich und wollte uns auffordern, an ihren Geselligkeiten teilzunehmen. Sie war wirklich sehr freundlich und meinte es gut, Martin, das sah ich ihr an und fühlte es auch.«

»Geschmeiß!« sagte Dr. Breuer, ging ins Zimmer zurück und ließ die Tür hinter sich hart ins Schloß fallen.


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