Helene von Mühlau
Frau Doktor Breuer
Helene von Mühlau

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4.

Zu Mitte Mai war in diesem Jahr schon sommerliche Hitze. In den Gärten der Villen blühte der Flieder in großer Ueppigkeit und durchschwängerte die Luft mit seinem Duft. Auf den Wiesen blühten Tausende von Blumen auf, am See standen die Birken mit ihren weißen Stämmen und dem silberschimmernden Laub, und von den Balkons flatterten bunte Vorhänge, oder steife, rot und gelb- oder weiß und blaugestreifte Markisen waren herabgelassen.

Die Menschen hatten frohere Gesichter als zu anderen Zeiten! Kinder spielten in Scharen auf Straßen und am See und im Wald und an Sonntagen kamen die Leute aus der Großstadt und beneideten die, die hier wohnten und am Abend nicht in überfüllten Zügen sitzen mußten, um in die graue, heiße Stadt zurückzufahren.

Die Pastorin arbeitete im Schweiße ihres Angesichts in ihrem Garten, war immer zufrieden und hatte für jeden, der kam oder ging, ein herzhaftes, immer passendes Wort.

Eine lange Weile noch hatte sie sich über die neuen Besitzer der Gormannschen Villa aufgeregt, aber über all der Frühjahrsarbeit war sie auch ruhig darüber geworden und hörte nur hin und wieder durch die Haushälterin des Majors Schwertes etwas, was sie staunen machte.

Die Breuers wohnten nun seit 14 Tagen hier draußen, aber ihr Balkon war der einzige, der noch keine Blumen trug, und in ihrem Garten hatte sich noch keine Hand geregt, um ihn für den Sommer zu schmücken. Magdalene ging in dem Haus, das nun ihr gehörte, einstweilen noch wie eine Fremde umher. Für eine Woche hatte sie ihre alte Bedienung aus der Stadt bei sich gehabt; die hatte das Nötigste verrichtet, war dann vor Heimweh krank geworden und war gegangen mit dem Versprechen, zweimal in der Woche herauszukommen und die Arbeiten und Einkäufe zu erledigen.

Dr. Breuer saß in einem Zimmer des Erdgeschosses, das mit Korbmöbeln, die von Gormanns übernommen waren, ausgestattet war. Dieses Zimmer war bei weitem nicht so hell wie die Räume im ersten Stock, aber er hatte sich dafür entschieden und blieb dabei.

Da saß er nun still oder erregt, arbeitend und wieder vernichtend, genau wie er es in der engen Stadtwohnung getan hatte, wußte längst nicht mehr, daß er der Natur, der Freiheit, der guten Luft wegen hierheraus gezogen war und seine große Scheu vor Menschen, die ihm hier viel näher zu sein schienen als in der großen Stadt, hielt ihn ab, seinen Garten zu benutzen oder die Spaziergänge, auf die er sich gefreut hatte, zu unternehmen.

Im übrigen empfand er doch eine leise Befriedigung darüber, allein mit seiner Frau in einem Hause zu wohnen, obwohl die Zimmer im oberen Stockwerk von ihm niemals benutzt wurden.

Gormann hatte Wort gehalten; im blauen Zimmer hing das Bild des römischen Kardinals als Gratiszugabe, und in der Tat hatte das Gemälde hier seine passendste Umgebung. Man hatte auch die Möbel dieses Zimmers von Gormann übernommen. Sie hatten keinen einheitlichen Stil, bestanden aus einer altrosafarbenen Polstergarnitur, einem Glasschrank, einem weißen, mit goldenen Beschlägen geschmückten großen Diplomatenschreibtisch, der in der Mitte des Zimmers stand, und weiter aus mehreren kleinen Tischen und einer Kommode Louis XIV. Die Vorhänge vor den breiten Fenstern waren von derselben altrosa Farbe, wie Sofa und Sessel, und das Ganze machte einen guten Eindruck; man wurde an die Einrichtung alter Schloßräume erinnert, nur der Schreibtisch vertrat die moderne Zeit.

Außerdem waren ein paar Schlafzimmereinrichtungen und eine Anzahl von Korbmöbeln aus dem Gormannschen Besitz in den der Breuers übergegangen.

Soweit sich Magdalene auf die Ausschmückung eines Heims verstand, mühte sie sich, das Beste aus dem Gegebenen zu machen, aber es konnte natürlich nicht viel daraus werden. Immerhin war es ihr wohler zumute, als in den zwei Stuben, die sie in der Stadt bewohnt hatten, aber eine Freudigkeit wollte auch bei ihr nicht aufkommen.

Sie hatte – töricht zwar nach den Enttäuschungen von 8 Jahren – zu vieles von der Erfüllung dieses Wunsches für ihren Mann erhofft. Sie war im Geiste neben ihm durch die blühende Natur geschritten, hatte sein Gesicht voller und freudiger werden sehen, sie hatte auch von liebevollen einfachen Menschen geträumt, an denen sie Freunde und vielleicht sogar verstehende Freunde finden würden, und wußte nun, nachdem sie einen halben Monat hier draußen waren, daß ihr Leben genau dasselbe bleiben würde, wie all die Jahre vorher, daß es überhaupt nichts, in der ganzen Welt nichts gab, was für sie eine wirkliche Aenderung bedeuten konnte. Das Leben lag hart und kalt vor ihr, war wie ein hoher steiler Berg, dessen Gipfel sie wohl nie erreichen würde.

Manchmal saß sie eine Stunde im blauen Zimmer am Fenster. Dieses Zimmer führte auf einen großen Steinbalkon, von dem aus man einen breiten, schönen Blick über den Ort selbst, über die Landschaft, den See, hatte, bis zu dem Kiefernwald hin, der sich schwarz und gigantisch gegen den Himmel abhob.

Auf dem Balkon standen ein paar von den Korbsesseln, die sie den Gormanns abgekauft hatten, aber noch hatte keiner der beiden Eheleute hier draußen gesessen, wiewohl die Abende köstlich waren. Sie saßen in einem der dunklen Zimmer im Erdgeschoß und Dr. Breuer suchte angelegentlich seiner Frau zu beweisen, daß das Leben des Menschen selbst nichts, daß nur das, was er nach seinem Tode an geistigen Reichtümern hinterlasse, von Wert sei.

Und da ihm in seiner Rede große Ueberzeugungskraft gegeben war und da er noch immer den bezwingenden Einfluß auf seine Frau ausübte, glaubte sie ihm, beugte den Kopf und empfand die Wertlosigkeit der eigenen Person, der ihres Vaters und überhaupt all der vielen Menschen, die das Leben an sich als Wert empfanden und ihre geistigen und körperlichen Kräfte dazu verwandten, die Mittel aufzubringen, um sich dieses Leben so gut und behaglich wie möglich einzurichten.

»Banausen, Schmarotzer, Tagediebe!« sagte Dr. Breuer mit einer Verachtung im Ausdruck, daß sein Gesicht zur Grimasse wurde.

»Ja, auch dein Vater, Magdalene, ich kann dir das nicht ersparen. Welches ist seine Lebensauffassung? Womit bringt er seine Tage hin? Er nutzt die Kräfte von tausenden, sozial unter ihm stehenden Menschen aus, um sich ein Dasein der Ueppigkeit zu verschaffen, um für seine Person Bedürfnisse haben zu können, deren Bestreitung das Leben von einem Dutzend oder mehr seiner Arbeiter fristen könnte. Wo bleibt da die Moral? Und was bleibt nach seinem Tode von ihm übrig? Vielleicht ein Haufen von diesem für meine Begriffe unrecht erworbenen Gelde, und eine Anzahl von Kindern, die wahrscheinlich alle seine Lebensauffassung geerbt haben und nach seinem Muster nun auch ihrerseits Menschen schinden werden, um durch deren Fleiß und Schweiß die Freuden des Lebens genießen zu können. Dabei haben sie große Worte im Munde von fortschreitender Kultur, von ästhetischen Bedürfnissen, von einem verfeinerten Geschmack, der eine gewählte, stilvolle Umgebung nicht entbehren kann und dergleichen mehr. Und wenn nicht der Zufall gewollt hätte, Magdalene, daß unsere Wege sich kreuzten, daß ein Etwas an dir war, was mich zu dir hinzog, dann wärest auch du in ihren Anschauungen versunken, wärest heute vielleicht die Frau eines Mannes, der dieselben Prinzipien, die in deinem Elternhause gelten, vertritt, und schwämmest lustig mit ihm an der Oberfläche. Ja, Magdalene, nimm es mir nicht übel, wenn ich es dir mit offenen Worten sage: auch du gehörst deinem tiefsten Wesen nach zu jenen gedankenlosen Genießern, die sich keine Wünsche versagen wollen, die nach einem Glück streben, das mit vornehmer Gesinnung, Stolz und eigentlicher Menschenliebe nichts zu tun hat! Nein, weine nicht; ich will dich nicht verletzen, ich will dich nur hinüberziehen in meine Welt und das kann ich nur dann, wenn ich die andere Welt, aus der du stammst und deren Ansichten dir natürlich im Blute stecken, zertrümmere! Wie tausendmal habe ich diesen Versuch schon gemacht, wie oft mich schon der eitlen Hoffnung hingegeben: nun bist du am Ziel – und immer kam die Enttäuschung wieder hintergelaufen – immer wieder wie ein lästiges Insekt, das sich nicht verscheuchen läßt. Nein, du kannst nichts dafür, Kind, aber du machst es mir schwer. Sieh, noch vor einem Monat, nach dem letzten Besuch bei deinem Vater, als du wegen der Hausangelegenheit mit ihm verhandeltest, hab ich in krassester Weise einsehen müssen, wie sehr du noch zu jenen gehörst, die meine Antipoden sind in allem, allem, in jedem Gedanken, in jedem Wort, das sie sprechen, in jeder Handlung, die sie ausüben!«

»Nicht, Martin, nicht wieder all dies aussprechen!« »Doch, Magdalene, das muß sein. Sieh, das wäre ein schlechter Arzt, der eine Wunde heilen will, bevor er sie von allem Schmutz gereinigt hat. Und ich will doch dein Arzt sein, Magdalene, will dich zu einer geistigen Höhe bringen, von der es kein Abirren mehr gibt, aber du machst es mir so furchtbar schwer.«

»Gib doch selbst offen zu, Magdalene, ob es nicht so war, wie ich sagte: als du damals von deinem Vater kamst, hattest du feindliche Gefühle gegen mich im Herzen, warst ganz die Tochter deines Vater, dessen Art, das Leben aufzufassen ich verachten und verabscheuen muß, weil es unehrlich, weil es unmoralisch und erbärmlich ist!«

Er überhörte den Seufzer, den innere Qual ihr abpreßte.

»Du kamst zurück in der Absicht, mir meine Prinzipien über den Haufen zu werfen und mich zu veranlassen, die deines Vaters anzunehmen. Ja, leugne es nicht, Kind. Ein paar Worte – eine halbe Stunde der Aussprache mit jenem Mann genügt, um alles, was ich in den acht Jahren unseres Zusammenlebens an dir erarbeitet habe, über den Haufen zu werfen, zunichte zu machen. Das ist trostlos für mich, ist ein Grund zur Verzweiflung, zur Vernichtung, ja, zur Selbstvernichtung und damit zur Vernichtung meines Werkes. Du also hast es auf dem Gewissen, wenn auch mein Leben vergeblich gelebt war, wenn ich gelitten und gerungen habe, um mit leeren Händen abzugehen, um nichts für die, die nach uns kommen, zu hinterlassen. Siehst du das ein, Magdalene?«

»Du quälst dich. Martin, weil du immer Gedanken und feindliche Absichten bei mir vermutest, die nicht vorhanden sind!«

»Wie töricht, Kind, vor mir Versteck spielen zu wollen, vor mir, der ich selbst wildfremden Menschen ihre Gedanken aus der Seele herauslese. Und du, Magdalene, glaubst, mir auch nur eine Falte deiner Seele verbergen zu können, du, deren Regungen sich in jeder Miene des Gesichts, im Tonfall der Stimme, in jeder leisesten Bewegung der Hand verraten? Nein, nein, nein, Kind, da bist du auf falschem Wege. Ich höre auch das, was du nicht aussprichst, fühle auch das, was du unter tausend Masken zu verbergen glaubst. Aber manchmal macht es mir Freude, dich in dem guten Glauben, daß dir eine Täuschung gelungen sei, beharren zu lassen. So an jenem Abend, als du von deinem Vater zurückkamst. Wie entsetzlich unwahr und uneins mit dir selbst du da warst, Magdalene! Welche Posen du da angenommen hattest. Auf was für ein Piedestal du dich da stelltest, weil es dir gelungen war, diesem Krämer das Geld abzuzwingen ...«

»O Martin!«

»Ja, diesem Krämer!, denn ein Krämer ist er, trotz Titel und Würden und trotz seines selbstgefälligen Auftretens!«

»Das darfst du nicht sagen, Martin. Sieh alles, was du mir über deine Weltanschauung sagst, verstehe ich, oder suche doch, es zu verstehen, aber auf diesem Wege der Verdammung all derer, die ihr Leben praktischen Zwecken widmen, kann ich dir nicht folgen. Und dann, Martin, kannst du nicht verstehen, was mich das kostet, zu einem Mann zu gehen, den ich liebe und verehre, weil er mein Vater ist – zu ihm hinzugehen und ihn um Geld zu bitten – wieder und immer wieder und dann nach Hause kommen und hören müssen, daß er ein Krämer sei, ein Mensch, der keine Moral, keine Ehrlichkeit besitzt, den du verachtest und von dessen Geld ...«

Sie hielt erschrocken inne, und das war gut so; denn auf Breuers Stirn war die Zornader geschwollen – er hatte sich von seinem Stuhl erhoben und stand vor ihr.

»Vollende!« rief er aus. »Vollende nur, Magdalene, damit ich ganz und gar erkenne, auf welcher Stufe du immer noch stehst! Ja, an jenem Abend hattet ihr beide, du und dein Vater, das Gefühl, mir armem Schlucker mit eurem Gelde eine Wohltat erwiesen zu haben. Das ist ja der elende, unmoralische Standpunkt der Reichen, daß sie glauben, mit ihrem Gelde Wohltaten erweisen zu können und Dank dafür beanspruchen. – Hast du denn gar kein Gefühl dafür, daß das ein ganz erbärmlicher Standpunkt ist? Nein, Magdalene, fühlst und erkennst du das nicht? Was ist dein Vater denn, und was bin ich? Dein Vater ist der Mann, der aus niederem Instinkt heraus alle Kraft, alle Energien, die ihm verliehen wurden, zusammenrafft zum Zwecke des Geldverdienens; zu seiner Entschuldigung behauptet er, daß er das aus Liebe und Fürsorge für die, die zu ihm gehören, tue! Gut – und was bin ich, Magdalene?

Ich bin der Mensch, der sich von vornherein auf den Standpunkt gestellt hat: Du muß geistige Werte schaffen, um die Menschen von ihren gemeinen Instinkten zu erlösen, um ihnen den richtigen, den anständigen, moralischen Weg zu zeigen, den sie zu gehen haben, wenn sie nicht vor sich selbst erröten wollen. Daß ein Mensch mit solchen Prinzipien, wie ich sie habe, seine Kraft nicht zerspalten kann, daß er nicht auf der einen Seite Uneigennützigkeit, Bedürfnislosigkeit und Vornehmheit der Gesinnung predigen kann, und auf der anderen Seite seine Hände und seine Seele beschmutzt, indem er Geldgeschäfte macht, das ist doch klar. Entweder das eine oder das andere. Ihr aber – du und dein Vater – ihr verlangt, daß ich meinen Geist verschachere, um Geld damit zu erbeuten! Ihr verachtet mich, weil ich jenen Mann, der sein Leben dem Geldverdienen gewidmet hat, für mich sorgen lasse. Weil ich es nicht für nötig halte, ihm in devoten Worten meiner Dankbarkeit dafür zu versichern, sondern weil ich mir meine eigenen Gesetze geschaffen habe, die mir ein Recht geben, so zu sein, wie ich bin, und so zu handeln, wie ich es tue. Ja, Magdalene, ich halte es für mein gutes Recht, deinen Vater für meine materielle Existenz sorgen zu lassen, um meine geistigen Werte ungehemmt entwickeln zu können, und wenn dein Vater eine Gesinnung hätte, die nur einigermaßen rechtlich wäre, so würde er sich sagen: es ist gut so, und ich bin zufrieden, daß das Geld, das ich erwerbe oder durch meine Arbeiter für mich erwerben lasse, zum wenigsten dazu dienen darf, höher organisierten Menschen zur Erfüllung ihrer ideellen Lebensaufgaben zu verhelfen. Aber davon ist keine Rede. Er verdient für sich selbst – nur für sich selbst – und seine Kinder erzieht er in unwürdigen Prinzipien; sie sollen, wie er, schlau, gewinnsüchtig, geldgierig werden. Die Töchter sollen, bevor sie sich selbst gestehen, daß sie einen Mann lieben, sich fragen: Verdient er auch genug, um mich ebenso – oder besser zu erhalten, als ich es gewohnt war? Ist seine soziale Stellung so, daß ich durch ihn nicht sinke, sondern eher steige? Bin ich durch ihn für alle Wechselfälle des Lebens gesichert und laufe ich nicht die geringste Gefahr für die Sicherheit und den äußeren Wert meiner Person, wenn ich meinen Gefühlen nachgehe und mich mit ihm vereine? – Ja, so ist es doch – nicht wahr? So etwas nennt ein Mann wie dein Vater eine vernünftige, anständige Lebensauffassung. Du warst auch so, Magdalene, genau so. Aber zum Glück warst du weich, warst noch bildungsfähig und hast, damals wenigstens, meinen Standpunkt begriffen und ihn gegen die Deinigen verteidigt. Ja, damals war ich sehr glücklich und glaubte, eine ehrliche geistige Mitarbeiterin in dir gefunden zu haben. – Aber nur zu bald kamen die Enttäuschungen – immer eine nach der anderen – und leider waren es immer Sachen des Besitzes – war es immer das Geld, das diese bösen Mißverständnisse hervorrief!«

»Aber doch nicht in dem Sinne, wie du glaubst, Martin!«

»In welchem anderen Sinne denn sonst, Kind? Ihr wolltet mir – das könnt ihr nicht leugnen – ein fest abgegrenztes bürgerliches Leben vorschreiben: soundsoviel darfst du hierfür und soviel darfst du dafür ausgeben, und dann mußt du fleißig sein und deine Arbeit bald zum Abschluß bringen, damit du Geld verdienst, damit Papa sieht, daß etwas an dir ist! Ha, ha, Magdalene, das ist das Charakteristische für diesen geistigen Ignoranten: nur der Erfolg, und zwar der klingende Erfolg, macht ihm eine Sache wertvoll. Malt oder dichtet oder schreibt einer Schund, aber erzählt am Ende des Jahres: Sieh her, so viel Geld hat mir mein Schund eingebracht!, dann ist er der große und geachtete Mann. Sitzt aber einer da und will echte Ware geben – ungemischtes Gold, das für alle Ewigkeit seinen Wert behält, und verschmäht es, seine geistigen Schätze zu verschachern, wie der Bauer sein Korn oder der Jude sein Vieh verschachert, weil er eben ein sehr zartes, feines Gewissen hat, dann ist so einer in den Augen deines Vaters ein Tunichtgut, ein Tagedieb, oder wie er sonst Menschen, deren Anschauungsweise er nicht zu verstehen vermag, zu nennen pflegt! Ich weiß das alles, weil ich, wie ich dir sagte, den Menschen in die Seele blicke.«

Magdalenens Gesicht war bleich und verhärmt, Die große Macht, die dieser Mann über sie besaß, riß sie auch jetzt wieder zu ihm hinüber – das Herz war voll von der großen, erbarmenden Liebe, die eine Mutter für ihr Kind, das sich mit irgend etwas quält, empfindet. – Aber das Vertrauen war nicht mehr da, und alle Worte ihres Mannes, all sein starkes Selbstgefühl konnten es ihr nicht wiedergeben. Und doch war Scham in ihr, eben deshalb, weil das Vertrauen fehlte –, Scham darüber, weil es doch nun einmal so war, wie er sagte: auch sie wollte klingenden Erfolg sehen, um an ihn und sein Werk glauben zu können.

Sie dachte an die erste Zeit zurück, in der er um sie geworben hatte. Wie hatte da die Sprache, in der er zu ihr sprach, die sie nie zuvor in ihrem Leben gehört hatte, in ihrer Seele geklungen – wie war sie ganz und ungeteilt sein gewesen, und wie hoch hatte sie ihn über alle, die sie kannte und die sie bis dahin geehrt und geliebt hatte, gestellt! Auch über den eigenen Vater! – Und heute – heute?

Sie barg das Gesicht in den Händen. Mein Gott; ist es denn wirklich so, daß Geldverdienen und Geldeswert überhaupt das einzige ist, was einem Menschen Wert und Bedeutung gibt? Und hatte ihr Mann nicht recht, wenn er sagte, daß jene, die ihr Leben dem Geldverdienen opfern, es als Glück empfinden müßten, den geistigen Arbeitern durch eben dieses Geld dienen zu können? Wenn nun das Werk, das ihres Mannes Kraft seit fast einem Jahrzehnt verschlungen hatte, wirklich den Wert hatte, den er ihm beimaß, wenn es über Generationen hinaus Segen und Befreiung stiften würde, war dann nicht wirklich das Recht auf seiner Seite, wenn er nahm – immer wieder nahm, ohne ein Danke dafür im Herzen oder auf den Lippen zu haben, ohne sich als den Beschenkten, den demütig Nehmenden zu fühlen?

Ach, diese Zweifel, dieses Hin- und Herschwanken zwischen diesen beiden Welten, die sich schroff gegenüberstanden – zwischen der praktischen, klaren Welt ihres Vaters, aus der sie stammte und die in ihrer Natur tief eingewurzelt war, und der Welt ihres Mannes, die vielleicht die höhere, aber die unverständlichere und unbequemere war!

Dr. Breuer umfaßte den Kopf seiner Frau mit beiden Händen und drückte seine Stirn in ihr Haar.

»Arme Magdalene – armes Weiblein mit dem engen Kopfe und dem weichen Herzen! Daß ich immer wieder so an dir arbeiten muß, um dich dahin zu bekommen, wohin ich dich haben möchte! – Geh jetzt, Magdalene, laß mich allein. Vielleicht gelingt es mir, mich wieder in die Arbeit zu finden. Wenn du müde bist, geh zu Bett – ja? Ich weiß noch nicht, wann ich nachkomme!« –

Er drückte seine Hände fest gegen ihre Schläfe, und sie sah nun zu ihm auf wie ein armes, müdes, gequältes Kind, das das Gefühl hat, zu Unrecht gescholten worden zu sein.

Es war ein wundervoller Maiabend, zwischen der neunten und der zehnten Stunde. Lau war die Luft, der Himmel goldgestirnt, und weißes Mondlicht floß breit und leuchtend auf die Erde nieder.

Magdalene stieg sehr langsam die Treppe hinan, um ihr Schlafzimmer aufzusuchen, aber fast unwillkürlich öffnete sie die Tür zum blauen Zimmer und blieb einen Augenblick staunend auf der Schwelle stehen. Da die große Tür zum Balkon offen stand, floß das Mondlicht in voller Leuchtkraft ins Zimmer und gab ihm ein ganz seltsames, geisterhaftes Aussehen. Das rote Gewand des Kardinals strahlte in die bläuliche Weiße hinein, und Magdalene glaubte seine kleinen, schlauen Augen und den schmalen, etwas spöttischen Mund zu erkennen. Sie senkte die Blicke vor ihm, weil ihr war, als ob Leben aus dem Bilde käme, als ob dieser Mund zu ihr sprechen, diese weißen Hände sie berühren wollten.

Sie trat auf den Balkon hinaus. Weiß, wie in Silber erglänzend, lag die Landschaft vor ihr, unendlich weit schien sie ihr zu sein, unermeßlich wie das Leben selbst, beängstigend, beunruhigend auch wie das Leben – zum wenigsten wie das Leben, das ihr beschieden war – ihr und ihrem armen, verbitterten Manne.

Der Schmerz überwältigte sie; sie sehnte sich nach etwas Festem – nach einem treuen, guten Menschen, der sie bei der Hand nehmen und zu ihr sprechen möchte. – Aber es gab in der ganzen Welt niemand, dem sie sich offenbaren und der sie begreifen würde.

Was wollte sie denn auch? An was gebrach es ihr denn, da sie den Mann, den sie einstmals so heiß geliebt und verehrt hatte und den sie auch heute noch liebte und verehrte, bekommen hatte?!

Ein wenig unbequem, ein wenig von der allgemeinen Tagesordnung abweichend war das Leben an seiner Seite ja wohl geworden!

Aber hatte sie das nicht gewollt? Hatte ihr nicht gegraut vor einem Alltagslos mit all seinen Banalitäten und Nichtigkeiten?

Und doch war da jetzt ein so ungeheurer, überwältigender Schmerz in ihr, daß ihr war, als verlöre der Körper plötzlich alle Kraft, daß die Knie unter ihr zu zittern begannen und sie nicht mehr tragen wollten, so daß sie nach einem der Korbsessel tasten mußte und müde, gebrochen, verzweifelt darin niedersank.

Sie konnte die weiße, geisterhafte Welt nicht mehr ertragen: die Augen taten ihr weh. Das Blut arbeitete unruhig und aufgeregt in ihr. Sie schlug die Hände vors Gesicht, war voll Jammer, voll tiefen, wehen, bitteren Herzeleids bis obenhin. Und ohne Hilfe, ohne Trost, ohne Güte, denn dieser arme Mann da unten war keine Stütze, kein Halt, war auch nicht gütig und nicht liebevoll, nur streng und hart und bitter, zerfallen mit sich selbst und mit der ganzen Welt. Und doch vielleicht ein Großer – ein ganz Großer – einer von jenen, von denen Magdalene so oft und so gern gelesen hatte, mit einem Herzen voll Mitleid, voll Sehnsucht, voll mütterlichen Erbarmens.

Und wußte doch, daß solche Menschen sich selbst und denen, die in ihrer Nähe sind, zur Qual leben müssen, wußte, daß sie bestimmten Gesetzen unterworfen waren, die die Allgemeinheit nicht verstehen konnte, wußte auch, daß solche Menschen während ihres Erdendaseins verkannt und belächelt werden und daß erst die Generationen, die nach ihnen kommen, den unermeßlichen Schatz, den sie hinterlassen haben, zu heben wissen.

Ja, sie wußte alles, alles und hatte sich danach gesehnt, hatte sich stark genug gefühlt, ein solches Leben stützen und begreifen zu können und war nun doch schwach und klein und erbärmlich geworden, wollte statt der geistigen Gespräche ein bequemes Plaudern über Tagesdinge, sehnte sich nach einer Sinnesliebe, die sich in Küssen und in Liebkosungen äußert, wie jede gewöhnliche Frau sie ersehnt, und die er nicht zu geben vermochte, und wollte weiter von ihm, daß er Geld verdiente, daß er ihr ein sorgenfreies Leben verschaffte, ihr Behagen, Ruhe und Ueppigkeit bereitete.

Ihre Tränen rannen, ihre Seele schrie in Selbstanklagen auf, die Schultern zuckten im Schluchzen und das weiße Mondlicht floß über ihre zusammengesunkene Gestalt dahin. Still war die Nacht – ringsum kein Laut – kein Windesrauschen – kein Schritt von Menschen – kein Zwitschern von Vögeln – allein, ganz allein in dieser weiten Unendlichkeit – allein mit ihrem maßlosen, übergewaltigen Schmerz!

Und doch nicht allein – doch nicht unbewacht!

Im Nachbarhause, in einem dunkeln Zimmer stand einer da, um in die weiße Mondnacht, in den sternenfunkelnden Himmel – in die seltsame, glitzernde Landschaft hineinzuschauen; er wollte gerade die Vorhänge zuziehen, wollte zurückkehren in seine dunkle Einsamkeit, da fiel der Blick auf den Nachbarbalkon, auf dem er, so lange er nun hier wohnte, noch nie jemand sitzen gesehen hatte.

Und sah da jetzt eine Gestalt – eine Frauengestalt – merkwürdig! – War es wirklich eine Frau? Was tat sie denn da? War es ein Geisterspuk oder war es Wahrheit?

Lange dauerte es, bis der Major Schwertes es heraus hatte, daß es wirklich eine Frau war, und daß diese Frau dasaß und weinte; denn ihre Gestalt bebte und der ganze Ausdruck der Erscheinung war der eines großen Schmerzes.

Merkwürdig – er hatte noch nie in seinem Leben eine weinende, eine unglückliche Frau gesehen – hatte nur sorglose, lebensfrohe, schlaue Frauen kennen gelernt, die wohl hin und wieder ein paar Tränen vergossen, wenn sie zu einer Gelegenheit paßten – die aber, wenn man sie trösten wollte, immer gleich wieder obenauf waren und etwas wie Spott über den Tröster im Gesicht hatten.

Der Major fühlte sich eigentümlich bewegt. Er mochte die Frauen nicht mehr –; Frauen und Katzen nicht –, denn sie waren geschmeidig und falsch, brachten Unheil und zerstörten auf spielerische Weise, was ihnen nicht behagte – verstanden es, alle Vorteile auszunutzen, überall zu naschen und waren dann eines Tages verschwunden.

So war es dem Major Schwertes mit einer Frau und mit einer Katze ergangen. Und nun lebte er hier – einsam – verbittert – von einer schwatzhaften, heuchlerischen Haushälterin mäßig bedient und würde das ganze Jahr mit keiner Seele ein Wort reden, wenn nicht die Pastorin Lerch mit einer Ausdauer, die ihresgleichen suchte, so lange an ihm gearbeitet hätte, bis er manchmal an einer Gesellschaft im Orte teilnahm.

Aber von den Frauen hielt er sich fern, den Frauen war er gram, er fürchtete sie und mißtraute ihnen, wie man Tieren mißtraut, von denen man nicht weiß, ob sie beißen und kratzen, wenn man sie liebkosen will. –

Aber diese hier – merkwürdig! –, diese hier war anders. Die griff ihm ans Herz.


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