Helene von Mühlau
Frau Doktor Breuer
Helene von Mühlau

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2.

Der Direktor Dr. Dietholm pflegte um 6 Uhr aus der Fabrik, die er leitete, in seine Privatwohnung zurückzukehren.

Den Tag über war er in ununterbrochener Tätigkeit, befand sich eigentlich keinen Augenblick allein, sondern war entweder auf Wanderungen durch die verschiedenen Betriebe begriffen oder von Konferenzen, Besuchern, kleineren Beamten, Arbeitern und Sitzungen in Anspruch genommen. Nur die letzte Stunde, die Zeit zwischen halb fünf und halb sechs Uhr, gehörte ihm. Nachher wurden ihm die Korrespondenzen zur Unterschrift vorgelegt, und dann fuhr das Auto vor, das ihn nach Hause brachte.

Magdalene Breuer wußte, daß es keine bessere Gelegenheit gab, den Vater allein zu sprechen, als um diese Stunde im Bureau der Fabrik; sie hatte das mehrere Male mit Erfolg getan, obwohl sie wußte, daß der Vater ihrem Besuch außerhalb der Privatwohnung mit Mißtrauen begegnete.

Der Gang, den sie heute machte, war ihr härter, als ihr je zuvor einer gewesen war. Sie war ganz außer sich, und nachdem sie aus der elektrischen Bahn gestiegen war und sich ganz nahe am Fabrikgebäude befand, konnte sie sich nicht gleich entschließen, einzutreten, sondern ging mehrere Male durch die häßliche dunkle Straße, in der die Fabrik lag, blieb vor dem breiten Portal stehen und kehrte wieder um.

Es wollte ihr nicht gelingen, sich die Worte zurechtzulegen; sie fühlte sich schwach und im tiefsten Innern erschüttert; ja, sie schwankte, ob sie nicht überhaupt die Sache fallen lassen und den Kampf mit ihrem Manne aufnehmen sollte.

Aber dann sah sie sein Gesicht vor sich – zerfallen – verzweifelt – ein Gesicht, in dem geschrieben stand: Nun lasse ich alles fallen – nun mag werden was will! –

»Mein Gott!« sagte sie ein paarmal nacheinander. »Mein Gott, warum muß es sein? Warum muß er sich auf dieses Werk verbohren und warum muß Papa so sein, daß er ihn nicht begreifen kann? War es nicht etwas Natürliches, daß ganz große, Generationen beherrschende Schöpfungen die Kraft vieler Jahre brauchten, um zur Vollendung zu kommen, und war es nicht Pflicht der Nahestehenden, einem solchen Menschen, der zu etwas Besonderem ausersehen war, die Wege zu ebnen und ihm die Alltäglichkeiten des Lebens fernzuhalten?«

War ihr Vater vielleicht wirklich eine Krämerseele, wie Martin ihn nannte, oder zum mindesten einer von den Menschen, die kein Verständnis haben für Dinge, die sie mit ihrem praktischen Verstand nicht begreifen können, einer von jenen Menschen, die unbedingt den materiellen Erfolg sehen müssen, ehe sie einer Sache Vertrauen entgegenbringen? Sie kam zu keiner Klarheit mit sich selbst, obwohl sie in Erwägung dieser und ähnlicher quälender Fragen nun wohl schon ein dutzendmal die dunkle Straße auf- und niedergegangen war.

Der Frühlingswind riß auch hier an ihren Kleidern und Haaren, außerdem begann sie zu frösteln, denn sie hatte nur den Pelzkragen und keinen Mantel umgenommen.

Mit einem energischen Ruck warf sie alle Bedenken ab; das zerquälte Gesicht wurde ruhiger und kühler und die Haltung straffte sich. Sie hörte Martins Worte: »Sei nicht zu demütig!«, und fühlte wirklich, daß der Mut in ihrer Seele stieg.

Sie fand sich sicher durch die vielen Gänge, über Treppen und durch Säle zum Privatraum des Vaters. Im Vorraum grüßte sie ein Diener, der sie kannte, und in einem kleinen Seitengemach saß die Privatsekretärin an der Schreibmaschine.

Magdalene klopfte an und Dr. Dietholm rief: »Herein?«

Er sah der Eintretenden entgegen und sein Gesicht wurde um einen Schein bleicher und sehr ernst.

Sie ging auf ihn zu, küßte ihm die Stirn und strich mit der Hand über sein Haar: »Lieber Papa!«

Er hatte seinen Arm um sie gelegt und schwieg eine Weile, dann ließ er sie los, erhob sich aus seinem Sessel und schob ihr einen Stuhl hin.

»Setz dich, Magdalene! Du kommst zu mir in die Fabrik, das bedeutet, wenn mich, nicht alles täuscht, eine besondere Unterredung, von der weder Mama noch die Geschwister erfahren sollen. Magdalene, liebes Kind, wenn du so zu mir kommst, tut mir das Herz weh. Es ist hart für mich und mag vielleicht auch hart für dich sein. Den Weg ins Elternhaus hast du seit Wochen nicht gefunden. Unsere Besuche hast du dir verbeten, unsere ganze Verbindung besteht eigentlich nur noch in Unterredungen über Wünsche, die dein Gatte mir durch deine Person übermitteln läßt. Also, was ist es, was dich heute hergeführt hat? Mach es kurz, Kind! Lange Erklärungen haben ja keinen Zweck!« '

Ihre Haltung, ihr Mut und die Ruhe in ihren Gesichtszügen waren dahin. Sie sah nun wirklich wie eine arme Bittstellerin vor dem eigenen Vater und wagte kaum, die Augen aufzuschlagen.

Es ging ihr immer so: von dem Augenblick an, da sie bei ihm weilte, war sie ganz und gar seine Tochter. Ihr Geist begann in seiner Richtung zu denken und ihr Herz fühlte das Leid, das ihm durch sie bereitet wurde. Sie liebte ihren Vater und verehrte ihn; der Gedanke, seine Achtung, seine Liebe zu verlieren, war ihr unerträglich.

Aber sie liebte auch ihren Mann: und im gleichen Maße wie den Vater, verehrte und bewunderte sie auch ihn. Sie verstand und begriff ihn in allen Stimmungen, in allen seinen Ausbrüchen. Ja, sie war die Tochter eines klugen und praktisch denkenden Industriellen, aber sie war auch die Tochter einer ideal- und hochgesinnten Mutter gewesen, die zu früh gestorben war, um das natürliche Erbteil, das sie der Tochter hinterlassen hatte, in gutem Sinne großzuziehen und zu entwickeln.

Die zweite Frau, die der Vater sich genommen hatte, war eine Frau, an der nichts auszusetzen war: sie hatte sich alle Mühe gegeben, der jungen Magdalene eine gute Erziehung zu geben, aber zu einem tieferen Verständnis war sie nicht gelangt. Sie hatte fünf eigene Kinder, die sie in Anspruch nahmen, und neben dem Gatten noch die gesellschaftlichen Verpflichtungen und den großen Haushalt.

Als Magdalene schweigend in ihrer Stellung verharrte, trat Dietholm nahe an sie heran, richtete ihr den Kopf in die Höhe und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen.

»Also sag', was du zu sagen hast, Kind. Wieviel braucht Ihr?«

Sie löste seine Hand von ihrem Gesicht und küßte sie leise.

»Papa,« sagte sie dann, »ich komme heute nicht, um dich um eine Summe Geldes, die wir so nebenbei brauchen, zu bitten. Ich komme mit etwas anderem, mit etwas, was dich vielleicht im ersten Augenblick erschrecken wird. Aber wenn du es dir dann näher überlegst und wenn du begreifst, daß für Martin und sein Werk alles von der Erfüllung dieses Wunsches abhängt, dann bist du vielleicht gar nicht so böse.«

Während sie das sagte, kam ihr der Mut wieder; sie hatte das gute Gefühl, für eine berechtigte Sache einzutreten und schlug die Augen jetzt voll zu ihrem Vater auf.

Dietholm hatte die Hände in die Hosentaschen gesteckt und sah erwartungsvoll auf seine Tochter.

»Nun, was kann es sein, Magdalene, was dir so am Herzen zu liegen scheint?«

»Wir wollen uns ein Haus kaufen, Papa! Nein, bitte erschrecke nicht und sieh nicht so erstarrt aus; kein großes Haus hier in der Stadt! Nein, Papa, nur ein Landhaus, ein kleines, aber wundervoll gelegenes Landhaus draußen am See. Sieh, Papa, wir wohnen jetzt so kläglich, du weißt gar nicht, wie wir wohnen denn ich hab dich ja gebeten, uns nicht zu besuchen. Aber da wir so oft verreisten, um Studien zu machen – und überhaupt, weil alles andere so viel kostet und auch weil uns das Aeußerliche gleichgültig war, beschränkten wir uns immer mehr. Gott, Papa, das ist ja nicht so schlimm; es ist ja nur für die Uebergangszeit, bis Martin sein Werk vollendet hat. Aber sieh – auf einmal drückt ihn nun die Enge und Aermlichkeit unserer Wohnung und die Stadt überhaupt, und wie sich das dann so fügte: er sah das Haus am See und weiß nun mit tödlicher Sicherheit, daß er nur dann sein Werk zum Abschluß bringt, wenn er da draußen leben kann – wenn er in dieser idealen Ruhe da draußen arbeiten kann.«

Sie wollte nach der Hand ihres Vaters greifen, aber der entzog sie ihr. »So! Ein Haus will er sich kaufen, dein Mann! Wovon denn, Magdalene?«

»Das ist es ja, Papa! Deshalb bin ich ja hier!«

»So, deshalb bist du hier. Also mit anderen Worten: Lieber Papa, Martin muß ein Haus haben! Bitte sei so gut und kaufe es ihm!«

Sie sah für einen Augenblick zu ihrem Vater auf, dann senkte sie den Kopf.

»Ist es nicht so, Magdalene? Wenn du alle Schnörkeleien und Umwege wegläßt, so bleibt doch nichts anderes als diese Tatsache übrig! Ja, was denkst du dir denn eigentlich, Kind? Von deinem Mann will ich gar nicht reden, denn der denkt überhaupt nicht, wenigstens in Geldangelegenheiten denkt er nicht. Aber wir, ich meine du, deine selige Mutter, ich selbst und auch deine Stiefmutter, wir sind doch eigentlich keine Phantasten, und ohne Unmenschen zu sein, haben wir eine leidlich vernünftige Lebensauffassung. Aber seit deiner Ehe – nein schon früher – seit dieser unglückselige Martin in dein Leben gekommen ist, scheint dir alle Klarheit des Denkens abhanden gekommen zu sein – und noch etwas anderes – was weit schlimmer ist –, auch von einem angeborenem Stolz scheint dir ein gut Teil abhanden gekommen zu sein, Magdalene, sonst könntest du nicht wieder und immer wieder zu mir kommen und mir die Bitten deines Mannes vortragen. Hast du denn gar kein Gefühl dafür, wie furchtbar entmutigend das auf mich wirken muß? Ja, daß meine Liebe zu dir darunter zu leiden beginnt, Magdalene.«

Das Telephon läutete, Dietholm griff nervös nach dem Hörer und rief dann: »Ich bin jetzt nicht zu sprechen; man soll sich an Holzbrink wenden!«

Magdalene saß, den Kopf in die Hände vergraben, auf ihrem Stuhl. Der Vater ging im Raum auf und nieder.

»Aber von Gefühlssachen wollen wir jetzt gar nicht reden, Magdalene; wir wollen uns heute mal an Tatsachen und an Zahlen halten. Also du weißt so gut wie ich, daß ich deinem Mann von vornherein kein Vertrauen entgegenbringen konnte, daß ich alles, was nur in meinen Kräften stand, tat, um diese Verbindung zu verhindern. Es war alles vergebens; du warst blind und taub, und als du mir dann eines Tages mit der Tatsache entgegentratst, daß du volljährig und also in bezug auf deine Entschlüsse nicht mehr von mir abhängig seist, ließ ich die Dinge laufen. Du erhieltest damals dein mütterliches Vermögen, das ja nicht beträchtlich war. Von mir bekamst du eine anständige Aussteuer und – so lange dein Mann ohne Verdienst war, die Zusicherung eines jährlichen Zuschusses von 5000 M. Nun – das mütterliche Vermögen hat er beim ersten Versuch, sich selbständig zu machen, eingebüßt, die Aussteuer ist verplempert, ohne Verdienst ist er heute mehr als je, bezieht also seit 8 Jahren meinen Zuschuß, kommt jedes Jahr zwei- oder dreimal mit Extrabitten, behandelt mich im übrigen wie einen Schuhputzer und will sich jetzt auf meine Kosten ein Haus kaufen. Ja, Magdalene, hast du denn gar kein Verständnis dafür, daß mir da einmal die Geduld ausgehen muß?«

Sie sagte nichts, sank nur noch mehr in sich zusammen, und Dietholm fuhr fort:

»Ein Haus kaufen! Verzeih', wenn ich darüber lachen muß! Wie kommt er denn dazu? Und für was hält er mich denn eigentlich? Gewiß, Magdalene, ich habe ein gutes Einkommen, das ist bekannt, wird aber wahrscheinlich sehr übertrieben. Aber ich habe doch auch eine große Familie. Vermögen von seiten beider Frauen ist nicht hinzugekommen, denn das, was deine Mutter später erbte, hast du bis auf das Viertel, das mir zufiel, bereits erhalten. Ich bin jetzt Ende der Fünfzig und habe mir erlaubt, mir mein Leben einigermaßen bequem einzurichten, denn dazu hatte ich als Lohn eines sehr arbeitsreich verbrachten Daseins wohl das Recht. Die Kinder kosten Geld, und man will doch auch nicht von der Hand in den Mund leben. Deine beiden älteren Stiefschwestern sind bald erwachsen und verlangen, wenn sie heiraten, selbstverständlich auch eine offene Hand; die Jungen wollen ihre Ausbildung, und deine Stiefmutter hat schließlich auch gewisse Rechte, also, wo soll ich das Geld hernehmen, um einem Schwiegersohn, der als Uebermensch dahin lebt und andere für seine materiellen Bedürfnisse sorgen läßt, ein Haus zu kaufen?«

Magdalene fühlte wie jedes einzelne Wort ihres Vaters tief in ihr Herz bohrte; wie ihr Kopf zu all diesen aufgezählten Tatsachen »Ja« sagen mußte, fühlte sich so ganz und gar als Tochter, als engste Zugehörige zu diesem festen, anständigen, vernünftigen Mann, daß sie ihre Kraft, die Sache ihres Mannes länger zu verteidigen, schwinden fühlte.

Dietholm ging schweigend auf und nieder, warf hin und wieder einen Blick auf seine Tochter und blieb dann wieder dicht an ihrer Seite stehen.

»Sag', Magdalene, liebst du ihn denn immer noch?«

Er strich über ihr Haar und drückte ihren Kopf an seine Seite.

Sie antwortete nicht gleich, erst nach einer Weile sagte sie: »Ich glaube an ihn, Papa!«

»Ich glaube an ihn!« sprach er ihr nach. »An was glaubst du denn bei ihm, Magdalene? An sein Werk? An diese Sache, die so hoch und groß sein soll, daß wir armen, unwissenden Proletarier sie niemals fassen können? Wenn er wenigstens mal mit der Sprache herausrücken wollte, um was es sich denn bei diesem Werke handelt! Aber da wird geheimnisvoll und überlegen gelächelt, und man wirft ihm das Geld hin und wartet – wartet Jahr um Jahr, und es wird nichts. Ich will dir sagen, ich glaube längst nicht mehr an sein Werk. Ich halte ihn einfach für einen Phantasten, der nicht von der Stelle kommt. Es gibt solche, die in gewissem Sinne Genies sind, aber ohne Ausdauer und Verantwortungsgefühl, verlorene Existenzen, die gar nicht auf einen vernünftigen Weg zu bringen sind. Verzeih, Magdalene, wenn ich dir das schroff und vielleicht für dein Empfinden in brutalen Worten sagen muß, aber ich kann einfach nicht mehr anders. Meine Geduld ist am Ende! Geh' und sag ihm das. Der Bruch zwischen ihm und mir ist ja doch längst da – er verachtet mich und ich verachte ihn ...«

Ein ächzender Laut ließ ihn innehalten. Magdalene war vor den Stuhl, auf dem sie gesessen hatte, im die Knie gesunken.

Dietholm war erschrocken über sich selbst – er beugte sich zu ihr hinab und zog sie in die Höhe.

»Magdalene, – Liebe, – Gute! Gott, Magdalene, was mich das kostet, aber ich kann ja nicht anders, gerade weil ich dich liebe, Magdalene, weil ich dich mehr liebe als alle meine andern Kinder, weil du das einzige bist, was mir aus zwei glücklichen Jahren geblieben ist, weil du wie deine Mutter bist: vornehm, klug, mit einem allzugutem Herzen. Solche Frauen wie du und deine selige Mutter müssen auf Händen getragen werden, und er schleift dich ins Elend hinein –, führt dich in den Abgrund!«

»Nein, Papa, nein. Du bist im Unrecht! Mein Gott, du tust ihm das furchtbarste Unrecht, das einem Manne getan werden kann. Hast du denn nie in Biographien von großen, bedeutenden Menschen gelesen, wie die mit ihren Werken ringen mußten, wie die alles über sich ergehen ließen: Spott und Hohn und materielles Elend – alles, alles! Gott, Papa, einfach, weil sie dem praktischen Leben wie Kinder gegenüberstehen, weil sie ganz durchglüht, durchleuchtet sind von ihrer einen Sache – und im übrigen wie Blinde durchs Leben gehen. Sieh, Papa, und wenn du mir mit noch viel brutaleren Worten sagst, daß du nichts von Martin hältst und ihn verachtest, mir kannst du den Glauben an ihn doch nicht aus dem Herzen reißen. Ja, ich glaube an ihn, ich muß an ihn glauben, es ist mein Letztes, dieser Glaube!«

Sie stand jetzt vor ihrem Vater und ihr Gesicht war fest geworden – nur sehr bleich!

Dietholm hielt dem Blick der Tochter stand.

»Armes Kind!« sagte er endlich, »arme Magdalene!«

»Nein, sag' nicht ›arm‹ zu mir, Papa. Ja, arm bin ich, weil ich solche Gänge machen muß, solche Dinge anhören, aber sonst nicht. Denn ich teile sein Leben doch aus freiem Willen – ich liebe ihn doch, Papa!«

»Liebst du ihn wirklich, Magdalene!«

»Ja, Papa! Das heißt, wenn so ein grenzenloses Mitfühlen mit einem anderen Menschen ›Liebe‹ heißt! Und ich muß ja auch bei ihm sein, muß an ihn glauben, denn wenn ich es nicht täte – ich weiß nicht, was dann wäre, es wäre dasselbe, wie wenn eine Mutter ihr hilfloses Kind verläßt!«

»Das ist Mitleid, aber nicht Liebe!«

Die Privatsekretärin klopfte an, um die Korrespondenzen zur Unterschrift zu bringen. Dietholm nahm sie entgegen.

»Es ist gut!« sagte er und verabschiedete das Mädchen.

»Ich will jetzt gehen, Papa!«

Die Dämmerung kam ins Zimmer, die Farben verschwanden und die Umrisse der Gegenstände wurden weicher.

Dietholm hatte sich an seinen Schreibtisch gesetzt.

»Warte einen Augenblick, du kannst dann mit mir fahren!«

Er übersah die Briefschaften und unterzeichnete. Die Lampe auf seinem Schreibtisch brannte jetzt, und Magdalene sah das kräftige, gutgeschnittene Profil seines Gesichts, die feste Nase und die hohe, willensstarke Stirn.

Tiefe Traurigkeit und Mutlosigkeit war in ihrer Seele. Was würde das für ein Abend werden, wenn sie mit diesem Bescheid nach Hause kam!

Dietholm klingelte, nachdem er zu Ende gekommen war, übergab die Briefe einem Beamten und wandte sich dann wieder zur Tochter:

»Erkläre mir noch, um was es sich denn eigentlich handelt. Wo liegt denn dieses Haus, von dem er seinen Erfolg abhängig macht und was für ein Objekt ist es denn überhaupt? Ich meine den Kostenpunkt.«

Magdalenens Augen hatten ein Staunen, in ihre Seele kam leise Hoffnung. Sie erklärte und nannte die Zahlen und Dietholm schien erleichtert. »Dieser Herr Gormann, der es verkauft, gibt es wie er sagt, zu einem ganz lächerlichen Preis ab weil es für ihn, da die Zeit ihm mangelt, keinen Wert hat!«

»So etwas sagen sie alle,« schaltete Dietholm ein, »im übrigen kauft man ein Haus doch nicht, ohne einen Sachverständigen befragt zu haben!«

»Wir hatten einen Sachverständigen mit, Papa!«

»Ah, also so weit seid ihr schon? Nun, und was hat dieser Sachverständige euch gesagt?«

»Er hält es für vorteilhaft, Papa, meint, in ein paar Jahren würde es bedeutend an Wert gewonnen haben.«

Dietholm war aufgestanden.

»Mir ist es einerlei,« sagte er. »Ich will dir was sagen. Kind! Wenn ich dich jetzt gehen lasse – zum erstenmal mit einem versagten Wunsch – dann werde ich in den nächsten Tagen und Wochen keine Ruhe finden. Im übrigen gefällt es mir, daß du trotz allem treu zu ihm hältst und den Glauben an ihn nicht verlierst. Kurz und gut, du sollst noch einmal sehen, wie gut ich es mit dir meine, Magdalene. Ich werde den Teil des Vermögens deiner Mutter, der zwar mir gehört, den ich aber für dich zur Seite gelegt habe, flüssig machen. Es ist das Letzte, was ich tun kann, Magdalene, denn wenn ich mehr täte, würde ich ein Unrecht an deinen Geschwistern, die mir doch ebenso nahe stehen wie du, begehen. Also kauft euch das Haus in Gottes Namen! – Herrgott, warum weinst du denn noch, da ich euch doch zu Willen bin!«

Magdalene empfand erst in diesen Augenblicken das Demütigende ihres Besuches und ihrer Bitte in seinem vollen Umfang. Eine große Erschütterung war in ihr: grenzenlose Liebe zu dem Vater quoll in ihrem Herzen auf. Seine Hand, mit der er sie liebkosen wollte, nahm sie und drückte ihre Lippen darauf.

»Papa,« sagte sie leise, »ich bin nicht ohne Stolz. Du weißt nicht, was mich dieser Gang gekostet hat, Aber wenn ich nach Hause gekommen wäre mit einem ›Nein‹ ... Sie schwieg. Aber Dietholm richtete jetzt ihr Gesicht in die Höhe.

»Was wäre dann gewesen, Magdalene?« Und da sie schwieg, fragte er in einer verzweifelten Art: »Magdalene, ist er fähig, roh zu sein? Würde er dich leiden lassen, vielleicht dich mißhandeln?«

»Nein, nicht mißhandeln, Papa, nicht so wie du meinst!«

»Aber in Worten doch! Ich weiß es – wußte es. Und wenn ich dir zu wiederholten Malen angeboten habe: geh von ihm!, so hat das also doch einen stichhaltigen Grund gehabt!«

»Ich würde nie von ihm gehen, Papa. Und wenn ich mit ihm betteln müßte!«

Dietholm seufzte. Es war jetzt völlig dunkel draußen.

»Also, wie ich dir sagte, Magdalene, das Geld steht zur Verfügung. Bis zum 1. Juli sagst du, ist die Anzahlung fällig. Jetzt sind wir im April. Ich werde also die nötigen Schritte tun. Komm jetzt. Ich bringe dich zu deinem Haus.«

Im Wagen sprach er nicht mehr mit ihr, schob aber seinen Arm in den ihren und hielt sie an sich gepreßt.

Magdalene küßte ihm noch einmal die Hand. »Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll. Papa!«

»Laß das. Kind! So, da sind wir! Gute Nacht, Magdalene!«

»Gute Nacht, lieber Papa!«


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