Helene von Mühlau
Frau Doktor Breuer
Helene von Mühlau

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5.

Der Direktor Dr. Dietholm hatte das Geld für den Hausankauf bereits am 1. Mai flüssig gemacht, obwohl Herr Gormann die Anzahlung erst für den 1. Juli festgesetzt, den Käufern aber gestattet hatte, das Grundstück schon früher zu beziehen.

Dietholm wollte die Sache aus Kopf und Herzen heraushaben. Er hatte seine Tochter, mit der er noch eine telephonische Unterredung gehabt hatte, dringend gebeten, für ihre Person als Käuferin aufzutreten, das Haus also auf ihren Namen eintragen zu lassen. Aber er hatte diese Bitte nicht als Forderung ausgesprochen, weil er keine Weiterungen mit seinem Schwiegersohne zu haben wünschte.

Das Haus aber wurde auf Dr. Breuers Person eingeschrieben und ein Dank von seiner Seite an den Schwiegervater war nicht erfolgt.

Dietholm hatte das nicht anders erwartet – aber dennoch suchte er während einiger Tage, wenn die Post kam, mit etwas nervöser Hand unter den Briefschaften, und ein schmerzliches Lächeln kam um seinen Mund, wenn er vergebens gesucht hatte.

Er hatte damals, während der Unterredung mit Magdalene in seinem Bureau die Aeußerung fallen lassen: »Deine beiden Stiefschwestern sind bald erwachsen und heiratsfähig und verlangen dann auch eine offene Hand!«

Aber die Töchter waren bereits erwachsen genug, um die offene Hand schon jetzt zu verlangen, obwohl Dietholm sie noch als Kinder angesehen hatte.

Es war da seit einem Jahr des öfteren ein junger Leutnant mit adligem Namen, in einem guten Regiment dienend, gänzlich ohne Vermögen, in seinem Hause als Gast gewesen.

Wie er zuerst zu ihm gekommen war, konnte Dietholm sich nicht erklären, seine Frau hatte das fertig gebracht – denn sie hatte gesellschaftliche Talente, und wahrscheinlich hatte sie die Tanzstunde der Töchter benutzt, um einige der jüngeren Herren an sich heranzuziehen.

Dietholm war zu viel beschäftigt, um sich ausgiebig um solche Dinge zu kümmern. Aber eines Tages war es so weit, daß er Frau und Tochter erregt und in Tränen in sein Zimmer, in dem er eben eine kurze Spätnachmittagsruhe abgehalten hatte, eintreten sah.

Aufs höchste erschrocken ging er ihnen entgegen. Die Tochter warf sich ihm in die Arme und die Frau lehnte ihren Kopf an seine Schulter, und dann kam, halb schluchzend, halb jauchzend, das Geständnis heraus: Der junge Leutnant von Stubenrauch hatte um Mariettas Hand angehalten – und Marietta liebte ihn und wollte lieber tausend Tode sterben als von ihm lassen.

Dietholm machte sich aus der Umschlingung von Frau und Tochter frei.

Heiß stieg ihm für einen Augenblick das Blut zum Herzen, Waren diese Kinder schon so weit? Ging das Leben so rasch seinen Gang?

Er hielt das Mädchen mit beiden Händen an den Schultern und sah ihr in das hübsche, erregte Gesicht. Ja, sie war hübsch – seine Kinder waren alle hübsch und klug und hatten eine gewisse Vornehmheit an sich, und diese dunkle Marietta ganz besonders.

Aber dennoch – eine Magdalene war sie nicht – nein, an Magdalene kam sie nicht heran – oder vielmehr – – ja – Dietholm wußte es selbst nicht. Vielleicht war diese hier, die er jetzt an den Schultern hielt und anschaute, um sich zu vergewissern, daß sie kein Kind mehr, sondern eine heiratsfähige junge Dame sei, hübscher, temperamentvoller und verführerischer als die Tochter aus der ersten Ehe. Aber die süße Innigkeit – das Zarte – das Durchgeistigte – dieser leise Hauch von Schwermut fehlte hier – und Dietholm ließ sie los und setzte sich wieder in seinen Sessel.

»Ein Leutnant also – ein adliger Leutnant, und wahrscheinlich ohne Vermögen und womöglich mit allerlei kleinen – – –«

»Marietta, geh jetzt, Kind!« sagte die Mutter und zwinkerte dem Gatten zu, und Marietta küßte den Vater noch einmal und ging.

Und dann kamen die Erklärungen, und es stellte sich heraus, daß Frau Dietholm bereits über alles Bescheid wußte. Aber sie hatte eine geschickte und reizvolle Art, dem Gatten alles, was er wissen mußte, beizubringen. Und befriedigt sah sie, daß Dietholm sein Notizbuch zog und Zahlen aufschrieb und dann aufsah und nickte.

»Kinder kosten Geld!« sagte er seufzend. »Und ich werde nicht umhin können, zum wenigsten noch ein Jahrzehnt weiterarbeiten zu müssen, – aber schadet nichts – ich brauche Arbeit, und die Kinder sollen glücklich werden. – Glaubst du, daß dieser Leutnant verläßlich ist?«

Ein Loblied für den Herrn von Stubenrauch erfolgte.

»Aber ich muß ihn erst kennen lernen, muß auch sehen, etwas über ihn zu erfahren. Ich kann es natürlich nicht zugeben, daß ein zweites meiner Kinder ins Unglück läuft.«

Frau Dietholm senkte den Kopf.

»Magdalene trägt allein die Schuld an ihrem Los!« sagte sie leise. »Ich habe alle meine Ueberredungskraft aufgeboten, um sie von diesem unheimlichen Breuer loszumachen, – es war aber vergebens. Nun, du weißt es ebensogut wie ich, und wir wollen nicht weiter darüber reden!«

Dietholm seufzte.

»Sie war vor etwa drei Wochen bei mir im Bureau,« sagte er dann.

Die Frau schwieg, obwohl Dietholm wünschte, daß sie Fragen an ihn richten möchte.

»Ja, sie kam ins Bureau. Natürlich im Auftrage ihres Mannes.«

»Und wollte Geld?« fragte Frau Dietholm jetzt.

»Ja, sie wollen sich ein Haus kaufen. Draußen in L. – an einem See gelegen – ich weiß nicht, ob das Haus selber am See – aber der Ort liegt am Wasser. Ich war früher einmal dort; es ist ganz nett da draußen, – und er hatte sich in ein Haus verliebt, das zum Verkauf stand!«

»Und du hast ihnen das Geld gegeben?«

»Es war noch etwas da, was Magdalene von der Mutter her zu beanspruchen hatte.«

»Ist er selbst bei dir gewesen?«

»Nein!«

»Hat dir nicht gedankt?«

»Nein,« sagte Dietholm und stand auf. »Und meinethalben mag er das ›Danke‹ bleiben lassen, wenn er mir das Mädel nur nicht zum Ruin bringt. Sie sah erbärmlich aus, wie sie da vor mir saß in meinem Bureau. Und darum will ich dir sagen, wenn dieser Leutnant, den ich ja bis jetzt nur ganz oberflächlich kenne, nach einer eingehenderen Besichtigung mir nicht ganz ausgezeichnet gefällt, dann sage ich ›nein‹, und wenn Marietta meinethalben aus Gram darüber ins Kloster geht!«

Frau Dietholm geriet nicht in Erregung über diese Aeußerung ihres Gatten. Sie lächelte nur ein sehr ruhiges, überlegenes Lächeln.

»Herr von Stubenrauch und dieser Breuer haben nichts miteinander zu tun. Dieser hier ist ein Edelmann in seinem Aeußern und in seiner Gesinnung – während Breuer – – –«

»Breuer sah nicht übel aus, als ich ihn das erste Mal sah!«

»Breuer ist das, was man ein verkommenes Genie nennt!« sagte Frau Dietholm hart. »Wenn so einer allein bleibt und wohnt in Dachstuben und dichtet bei Kaffee und Kartoffeln, so mag das ergreifend oder originell sein – aber wenn so einer heiratet und entpuppt sich dann als ein überaus anspruchsvoller Patron, der keinen Dank, keine Rücksicht, keine Formen kennt – – –«

»Laß das!« winkte Dietholm ab, und die Frau stand auf – vielleicht gekränkt, vielleicht auch nur, um zu Marietta zu kommen und ihr zu sagen, daß Papa natürlich einverstanden sei.

Dietholm aber saß dann wieder in seinem Sessel und dachte an Magdalene – und sein Gesicht war weich dabei und um den Mund lag ein weher Zug.

Am nächsten Tage saß den Leutnant vor ihm – jung, strahlend – klug und unbefangen – ein freier, offener Bursche ohne Tiefen – aber, wie es schien, voll Ehrlichkeit und vom besten Willen beseelt.

Irgend etwas tat Dietholm wohl. Er erkannte sogleich, daß er an diesem jungen Menschen einen lieben, flotten, fröhlichem Sohn haben werde – und mehr wollte er ja nicht.

Das Geschäftliche wickelte sich glatt ab. Dietholm war großmütig und konnte großmütig sein, obwohl er seiner Tochter Magdalene gegenüber jetzt in einer Art sprechen mußte, die nicht ganz mit dem, was er diesem jungen Menschen hier offenbarte, übereinstimmte.

Aber irgend etwas bei dieser Sache tat ihm wohl – vielleicht auch der Umstand, daß ein Dragonerleutnant von Stubenrauch in engste Beziehungen zu seinem Hause trat. Und der Dragonerleutnant war denn in der Tat so ungefähr das Gegensätzlichste von Dr. Breuer, was es geben konnte. Klirrend war sein Schritt und klirrend war sein Lachen und wo er war, da war Fröhlichkeit und Wärme und ein gewisses Etwas war an ihm, was Frau Dietholm mit »aristokratisch« bezeichnete.

Einen Tag lang oder zwei mochte Dietholm gedacht haben, über das Glück seiner Marietta die Sorgen um Magdalene zu verwinden. Aber es war nicht so. Seit jener letzten Aussprache in seinem Bureau war eine neue große Angst über ihn gekommen, eine Angst, die ihn quälte und verfolgte, die ihm die Ruhe raubte und oft den früher so gesunden Schlaf stören wollte. Ob er sie mißhandelte? Ob er gemein – roh – brutal war? Ob Magdalene Dinge litt, die sie niemals aussprechen würde – die sie aber eines Tages zur Verzweiflung treiben mußten?

Noch hatte Dietholm weder Zeit noch Sinn dafür gehabt, sich das Haus, das von seinem Geld gekauft worden war, anzusehen. Aber eines Sonntags machte er sich frei von denen zu Hause, die ja auch ohne ihn ihr Leben in Freude und Trubel genossen.

Er fuhr im Auto hinaus und freute sich über diese einsame Fahrt – und seine Gedanken gingen zurück in ferne Zeiten – zu der ersten Frau, die ihm diese Tochter – sein liebstes Kind – geschenkt hatte – und von der Toten gingen dann die Gedanken zur Lebenden – und Schatten legten sich auf sein Gesicht.

Magdalene öffnete ihrem Vater die Tür. Ein leiser Ruf, halb Freude, halb Angst, kam aus ihrem Munde, und Dietholm fühlte und verstand beides und ging schweigend mit ihr die Treppe hinan und saß in dem blauen Zimmer mit ihr unter dem Bild des roten Kardinals und staunte und war wie ein Fremder, der nach ein paar einleitenden Worten suchen muß, um eine Unterhaltung in Gang zu bringen.

»Ich bin gekommen,« sagte er endlich, »um dir Mariettas Verlobung mitzuteilen, Magdalene. Ich wußte nicht, ob eine Anzeige willkommen wäre, und meine Briefe – nun, du weißt, ich bin kein Freund vom Briefschreiben!«

Magdalene verstand. Er schrieb nicht, weil er wußte, daß seine Briefe der Kritik ihres Mannes unterlagen.

»Marietta?« sagte sie dann erstaunt. »Marietta, die für mich bis heute noch ein Kind geblieben ist!«

»Ebenso ging es mir, Magdalene. Ich mußte mir das Mädchen erst einmal richtig ansehen, als ich das Geständnis hörte – mußte sie mir lange ansehen und kam dann zu dem Resultat, daß sie wirklich eine junge Dame geworden ist, – eine hübsche, junge Dame, die, wie ich glaube, das Leben sehr normal und klug und praktisch auffaßt!«

»Wer ist es denn, der sie liebt?« fragte Magdalene leise, immer das Gesicht ein wenig zur Tür gewandt, immer lauschend, ob sie Schritte höre, die die Treppe hinankämen.

Aber es blieb still, und Dietholm sagte:

»Ein junger Leutnant, Magdalene. Ein Tanzstundenfreund, den Mama ein wenig in die Familie gezogen hatte. Herr von Stubenrauch heißt er – soweit ein netter, offener, bescheidener junger Mensch, von dem ich hoffe, daß er Marietta glücklich machen wird.«

Magdalenens Gesicht war um einen Schein blasser geworden, und Dietholm brach das Gespräch über diesen Gegenstand ab.

»Also dies ist euer Tuskulum,« sagte er dann, stand auf und trat auf den Balkon hinaus. »Ein sehr hübscher Blick und überhaupt ein netter Ort mit guter Luft und schönen Spaziergängen, nicht wahr? Seid ihr viel draußen? Und seid ihr zufrieden?«

»Ja, Papa!«

»Und diese Möbel hier? Das waren doch nicht die, die du damals bekamst? Aber ist ja gleichgültig!« unterbrach er sich, als er eine leise Verlegenheit bei seiner Tochter wahrnahm.

Er sah dann in ein Nebenzimmer, das völlig leer war. Fragen schwebten ihm auf den Lippen, aber er unterdrückte sie. Das Herz tat ihm weh; er fühlte, daß es auch hier draußen nicht gut werden würde. Er fühlte es mit tödlicher Sicherheit – es lag so in der Luft und seine Blicke hafteten wieder voll tiefer Traurigkeit auf Magdalenens schmalem, feinem Gesicht. Nein, keines seiner anderen Kinder liebte er mit dieser tiefen, schmerzlichen Liebe wie diese hier, und keines von den anderen hatte vielleicht auch eine verstehende, hilfsbereite Liebe so nötig wie seine arme Magdalene.

Er hatte das drängende Bedürfnis, ihr irgendeine Freude zu bereiten, ein Lächeln um diesen ernsten, herb gewordenen Mund zu zaubern.

»Du hast Geburtstag in diesen nächsten Wochen, Magdalene?!« sagte er.

»Laß das, Papa! Ich weiß ohnehin nicht, wie ich dir je meine Dankbarkeit beweisen kann.«

»Ich will keinen Dank, Magdalene. Ich will nur eins – daß du glücklich bist, und das steht nicht in meiner Macht, ich kann dir das Glück nicht geben!«

»Ich bin nicht unglücklich, Papa. Es hat vielleicht den Anschein so, weil unser Leben von dem euren und von dem der Allgemeinheit abweicht, – aber darum muß es nicht unglücklich sein!«

»Aber deine Augen, dein Mund, Magdalene! Wer das zu deuten versteht, was aus deinem Gesicht spricht, der liest kein Glück daraus.«

»Nicht mich quälen, Papa! Ich klage ja nicht!«

»Nein, du klagst nicht. Es wäre vielleicht besser, wenn du es tätest. Aber, Magdalene, eines mußt du mir versprechen: wenn es eines Tages nicht mehr geht, wenn du am Ende deiner Kraft bist, dann kommst du zu mir – zu deinem Vater. Ich verlange nicht, daß du zu Mutter und Schwestern kommst, aber zu mir, und ich werde dir helfen. Ich habe dir noch etwas zu sagen: Als du damals bei mir warst wegen des Hauskaufes, da habe ich dir vielleicht alles in zu düsteren Farben geschildert; du quälst dich vielleicht in dem Gedanken, daß ich dir größere finanzielle Opfer bringe, als in meinen Kräften steht! Ich war damals gegen Breuer – gegen deinen Mann in besonders übler Stimmung – ich habe da vielleicht übertrieben. Für dich, Magdalene, wenn du meiner Hilfe bedürftig, ist immer genügend da. Du verstehst, Kind, für dich selbst, nicht für die Wünsche deines Mannes. Von ihm hoffe ich, daß er sich eines Tages auf seine Pflichten gegen dich erinnert und zu einer vernünftigeren Lebensauffassung kommt.«

Dr. Dietholm sagte dies und noch vieles mehr, aber er sprach eigentlich an dem, was er wirklich sagen wollte, vorbei und er wußte, daß er heute auch nicht auf den Weg, der zum Herzen seiner Tochter führen konnte, gelangen würde. Und wußte doch zugleich, daß er dieselbe Unruhe, die er mit hier herausgebracht hatte, wieder mit nach Hause nahm und daß er nicht froh und zufrieden werden konnte, bis hier irgendeine Aenderung eingetreten war – gleichgültig, wie sie aussehen mochte.

Das Haus gefiel ihm und ließ ihn doch kalt. Das blaue Zimmer mit den zusammengetragenen Möbeln, das auf den ersten Blick elegant wirkte, und doch dann vor einem kritischen Blick nicht bestehen konnte, das leere Zimmer daneben und all das, was er nicht zu sehen bekam, was er nur fühlte und vermutete, kurz, das Ganze hier wirkte beklemmend und ungeheuer niederdrückend auf ihn.

»Dein Mann scheint nicht zu kommen, und vielleicht ist es gut so – und ich selbst, Magdalene, habe wohl auch nichts mehr hier zu tun. Ich habe ja nun gesehen, wie es um dich her aussieht und habe dir gesagt, was ich dir zu sagen hatte. Hast du mir vielleicht noch etwas zu sagen, Kind?«

»Nein, Papa!« Und doch stand trotz dieses Wortes »nein« etwas in ihren Augen, was anders sprach, und Dietholm nahm beide Hände der Tochter in die seinen und sah sie an, aber die Augen wichen ihm aus.

Also nichts zu machen! sagte sich Dietholm und griff nach seinem Hut, und wieder wie damals in seinem Bureau, als sie am Schluß ihrer Unterredung angekommen waren, hatte er ein Gefühl der Befriedigung und der Hochachtung darüber, daß diese junge Frau sich nicht irremachen ließ, daß sie fest und treu den Weg ging, den sie sich selbst gewählt hatte.

Arm in Arm gingen sie die Treppe hinab, aber unwillkürlich dämpften sie ihre Stimme, und als sie an Breuers Zimmer vorüberkamen, sprach Magdalene nur noch im Flüsterton.

Sie geleitete den Vater bis zu seinem Auto, aber auch hier war sie beklommen, und das Herz schlug ihr in Unruhe. Sie wußte, daß ihres Mannes Blicke jetzt auf ihr ruhten, wußte, daß der alte Ingrimm in ihm neue Nahrung erhielt durch diesen Besuch, und die Erregung in ihr stieg von Augenblick zu Augenblick, daß sie kaum noch hörte was der Vater zu ihr sprach.

»Ja, dein Geburtstag, Magdalene. Du mußt mir schon erlauben, daß ich dir eine Freude bereite, und da ich oben das leere Zimmer gesehen habe, und da eine Frau doch gern etwas Hübsches um sich sieht, werde ich sorgen, daß es nicht lange mehr leer steht. Also leb wohl, Magdalene!«

Sie nickte nur und gab ihm die Hand. Am Gartenzaun stand die Haushälterin des Major Schwertes; sie grüßte, aber Magdalene sah es nicht. Sie lief fast ins Haus zurück, direkt in das Zimmer ihres Mannes hinein. Breuer ging in dem schmalen, langgestreckten Raum, in dem er zu arbeiten pflegte, auf und nieder; er sah kaum auf, als seine Frau bei ihm eintrat, und Magdalene setzte sich schweigend auf einen der geflochtenen Sessel.

Breuers Gesicht war tief nachdenklich; von Zorn, Ungeduld oder einer ähnlichen heftigen Gemütserregung war nichts darin zu lesen. Man sah nur, daß sein Geist stark arbeitete, aber wie es schien, ganz auf abstrakten Gebieten.

Magdalene wußte, daß sie sich jetzt nicht regen durfte; ihr Eintritt ins Zimmer hatte ihn offenbar nicht gestört, aber wenn sie sich jetzt aus ihrer Ecke erheben und hinausgehen würde, dann könnte es geschehen, daß er erwachte und daß ein Sturm entfesselt würde. Still, mit ineinandergeschlungenen Händen saß sie da und wartete. Die Dämmerung kam ins Zimmer; die paar Bilder, die an den Wänden hingen, verblichen. Man sah bald die Umrisse der Möbel nicht mehr, und die Gestalt des immer noch auf- und abschreitenden Mannes war kaum noch erkennbar.

Mit der Dunkelheit kam etwas wie Frieden in Magdalenens Seele: es war, als sei das ganze Zimmer von den tiefen Gedanken, vom Geist ihres Mannes erfüllt. Er schien ihr jetzt in seiner Weltentrücktheit, in diesem Versunkensein wirklich als einer von jenen Großen, von denen sie so gern gelesen, für die sie die tiefen mütterlichen Gefühle gehegt hatte, und ein leises Glück zog in ihr Herz.

»Magdalene,« hörte sie dann seine Stimme wie aus großer Entfernung kommend, zu ihr dringen, »bist du noch da, Magdalene?«

Sie war vom Sessel aufgestanden und schritt auf ihn zu.

»Hier bin ich, Martin,« und sie ergriff seine Hand.

»Es ist merkwürdig, Magdalene. Der Tag war mir so leer und öd gewesen vom frühen Morgen an; der Kopf war wie ein zu Tode erschöpftes Tier, dem man Peitschenhiebe versetzen kann und das darum doch nicht von der Stelle geht. Dann am Nachmittag, als das Auto vor unserem Hause hielt, war auf einmal Volldampf da – es war, als ob das erschöpfte Tier verschwunden und irgendein Rasseexemplar an seine Stelle getreten sei.

Ich habe deinen Vater nicht gesehen, Magdalene, ich habe ihn nur gefühlt – wie ein Elixier – wie eine feindliche Strömung habe ich ihn empfunden. Aber die feindlichen Strömungen sind es immer gewesen, die Kraftquellen in mir erweckten. Es war wundervoll – es war, wenn ich das Wort gebrauchen darf, etwas von ›Wollust‹ für mich darin, meinen Feind in meinem Hause zu wissen und du arme Seele bei ihm, ringend zwischen deinen beiden Welten. Und während ihr euch da oben unterhieltet, ich weiß nicht von was, lief mein Geist hier unten auf Rädern – meilen-, meilenweit – durch Unendlichkeiten ist er gegangen und nun ist Licht und Helle in mir.

Merkwürdig, Magdalene, es liegt mir, wie du weißt, so unendlich wenig an deinem Vater, und doch reizt es mich, daß er eines Tages meine Ueberlegenheit fühlen soll. Und da ihm auf geistigem Gebiete nicht zu imponieren ist, da er den Hut nur vor dem Gott Mammon abnimmt, ist in mir der Entschluß zum Leben gekommen, eines Tages auch auf diesem Gebiete über ihm zu stehen. Ich werde – leicht ist mir das nicht – mein Werk in einzelne Teile zerlegen und ich werde sie auf den Markt bringen; vielleicht bald schon, Magdalene, jedenfalls habe ich den Vorsatz dazu.

Nun lachst du, nicht wahr? Nein, ich sehe es nicht, aber ich fühle, daß du lachst. Das Wort ›Geld‹ übt auch auf dich eine hypnotische Wirkung aus wie auf alle Menschen, die im Alltag festgewurzelt sind und das Geistige nur als eine angenehme Spielerei betrachten. Ich verzeihe es dir, Magdalene, ich bin dir nicht gram deshalb. Du bist nur eine Frau, und meine Erfahrung an dir hat mich gelehrt, daß eine Frau nicht auf reine geistige Höhen zu bringen ist. Es schadet nichts – es ist vielleicht ein Naturgesetz so – dem man sich beugen muß. Aber wenn du auch nicht mein Kamerad auf Höhenwanderungen bist, so tust du mir doch wohl, Kind. Ich habe das an diesem Nachmittag empfunden, als das mir feindliche Element bei dir war und um deine Seele rang. Es wollte etwas wie Eifersucht in mir aufkommen – eine seelische Eifersucht – aber dann fühlte ich, daß sie nicht am Platze war, denn er vermag nichts über dich. Es liegt nicht in seiner Hand, einen Einfluß gegen mich auf dich geltend zu machen.«

»Nein, Martin, – das würde keinem Menschen gelingen!«

Sie hatte beide Arme um seinen Hals geschlungen und lehnte ihr Gesicht an das seine. Er duldete einige Augenblicke lang ihre Liebkosung, dann machte er sich frei.

»Tu mir einen Gefallen, Magdalene. Bring' mir einen guten starken Tee hierher und etwas zu essen – nein, warte doch noch einen Augenblick, bis ich ausgesprochen habe. Etwas ganz Leichtes zu essen, was nur eben den Hunger ein wenig stillt, ohne den Magen anzustrengen. Und dann laß mich ganz allein, Magdalene – bitte – und sag' mir auch nicht gute Nacht: laß mich allein mit meinen neuen Gedanken.«

Eine Woche später hielt ein Möbelwagen vor dem ehemaligen Gormannschen Besitz. Er enthielt Möbel, wie sie für das Zimmer einer verwöhnten Frau passen: ein kleines weichgepolstertes Sofa mit hellem Samt überzogen, zwei Sessel dazu, einen runden Tisch mit Perlmuttereinlagen, einen Damenschreibtisch, und aus demselben Holze wie die Möbel ein Klavier.

Die Haushälterin des Majors Schwertes stand hinter der Gardine eines Fensters, als diese kostbaren Dinge ankamen, und ein Lächeln, halb befriedigt, halb boshaft, kräuselte ihre Lippen.

Am selben Abend wußte es die Pastorin Lerch, daß nun doch noch ein paar ordentliche Sachen bei diesen seltsamen Leuten angekommen seien, auch der Major bekam es zu hören, und seltsamerweise war er nicht so unwirsch wie sonst, wenn die Haushälterin ihm irgendein Begebnis aus dem Ort erzählte, das er nicht zu erfahren wünschte.

Magdalene richtete ihr Zimmer in einem stillen, tiefen Glück ein; das Klavier aus hellem Holz mit französischen Bronzebeschlägen – ein kostbares Stück – stand in der Nähe des dreifenstrigen Erkers.

Am Tag stand es verschlossen und erfreute nur durch die Schönheit seines Baues; am Abend aber saß Magdalene, wie in ihrer Mädchenzeit, davor, und seltsam, sie hatte in den acht Jahren ihrer Ehe, in denen ihre Finger keine Taste berührt hatten, nichts verlernt – im Gegenteil – es war, als habe diese Ruhepause ihr neue Fähigkeiten verliehen, denn ein Etwas war jetzt in ihrem Spiel, was früher nicht darin gewesen war: die Erfahrungen – die Leiden – die Seele, die durch Tiefen und über Höhen gewandert war und die nun an einsamen Abenden hier am Instrument oft eine glückliche Befreiung fand.


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