Koloman Mikszáth
Der wundertätige Regenschirm
Koloman Mikszáth

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Fünfter Teil.

Der dritte Teufel.

Die Rose der Maria Czobor, die Kluft und der alte Birnbaum.

Madame Kriszbay betrachtete die Gegend und stellte fortwährend Fragen. Alles, was sie sah, interessierte sie: der verfallene Schafstall am Rande der Liskowina, im Dickicht des Waldes die zwischen schönen weißen Birken hervorschimmernde Kapelle. Veronika erklärte ihr, dort haben einst Räuber einen reichen Wirt erschlagen – seine trauernde Witwe hat an der Stelle eine Kapelle erbauen lassen.

»Vielleicht aus lauter Freude,« setzte Georg hinzu.

»Sie böser Mensch!« tadelte ihn Veronika.

Die Liskowina ist eine breite, lange Waldung, untermischt mit schönen Thälern, Bergabhängen, smaragdgrünen Lichtungen, gleich einem englischen Park, nur ist wenig Abwechslung in der Baumart. Der Lieblingsbaum der Slawen, die Birke, ist in riesiger Überzahl da, ebenso melancholisch blond unter den Bäumen, wie jene flachshaarigen Ancsuras und Bohuskas unter den Mädchen. Hingegen ist die üppige Vegetation der Liskowina mannigfaltig; die mächtigen Farrenkräuter reichen beinahe bis an die Mitte der Bäume hinan, das Ruchgras ist schon abgeblüht und durchduftet in vertrocknetem Zustande den ganzen Wald. Also auch unter den Pflanzen giebt es solche Schelme, die erst nach ihrem Tode Vergnügen bereiten. Ach wie viel Mannigfaltigkeit in diesem leblosen Leben! Der schwertförmige Gladiolus verbirgt seinen wertvollsten Teil, die Zwiebel, unter der Erde; wer davon ißt, träumt in derselben Nacht von seinem Zukünftigen. Viel mitteilsamer ist die gewöhnliche Kamillenblüte, denn sie offenbart den Menschen ohne viel Mühe, ob man von dem Gegenstände seines Sehnens geliebt wird oder nicht: von Herzen, mit Schmerzen, ein wenig oder gar nicht. Diese Pflanzen sind nicht wie die Pfleglinge des Gartens, der Muttererde aufgedrungene fremde Junge (manche will sie gar nicht aufnehmen, die müssen in Töpfen abgesondert werden), sondern sie sind aus ihrer innersten Seele hervorgegangene Sprößlinge, die sie ars eigenem Antriebe hervorbringt und aufzieht, so wie sie es in ihrer Winterruhe ausdenkt, je nach den Bedürfnissen der andern Geschöpfe dieser Gegend.

Der Kelch der wilden Nelke ist die Herberge der flatterhaften Wespen, die Turbanlilie der Vögel Trinkglas, das Seidenheu mit der kugelförmigen Samenkapsel die Schaukel der Schmetterlinge. Die Liskowina ist ein freundlicher Wald, er gewährt den Käfern eine Ruhestätte im Kelche der Glockenblume, vogelsuchenden Kindern bietet er Erdbeeren; er bietet jedem, was er verdient, für die Singvögel erzeugt er Beeren, für junges Weibervolk einen Blumenstrauß, für alte Frauen Heilpflanzen, für den bösen Wolf den Eisenhut, der ein Giftkraut ist und in der Sprache des Volkes »wolftötender Eisenhut« genannt wird.

Ob diese Pflanze schon einen Wolf getötet hat, ist eine große Frage. Denn auch der Wolf besitzt so viel praktischen Verstand und weiß soviel Botanik, um den Wolfsjungen von Generation zu Generation mitzuteilen: »Kinder, rührt das Aconitum Lycoctinum nicht an, esset lieber Fleisch.«

Durch die Liskowina führte wenigstens ein angenehmer, schattiger Weg. Madame Kriszbay erbebte zwar jedesmal, so oft ein hüpfendes Eichhörnchen im Strauchwerk raschelte, und wartete immerfort auf die Räuber, welche den reichen Wirt getötet hatten.

»Das war doch vor achtzig Jahren, Madame, die sind schon längst gestorben.«

»Und ihre Söhne?«

Sie beruhigte sich erst, als sie die Liskowina verließen und sich der weite Oporzer Hotter mit seinen magern Hafer- und Haidegrützefeldern vor ihnen ausbreitete. Eine traurige Gegend das, wo die Heuhaufen auf Pfählen sitzen.«In wiesenarmen Gegenden, wo wenig Heu wächst, wird es sorgsam auf Pfähle gelegt, damit nichts davon zu Grunde gehen soll.

Jedoch Madames Ruhe währte nicht lange, denn hinter dem Oporzer Hotter nahm wieder ein Wald seinen Anfang, der berühmte »Zelena Hruska,« welcher sich birnenförmig gegen Makova hinzieht. Wer weiß, ob die Räuber nicht hier hinter den großen Eichen auftauchen werden!

Und wovor sich Madame gar so sehr fürchtete, das wurde von Georg sehnlichst herbeigewünscht. Sowie er dem Mädchen gegenübersaß, reifte der Entschluß, sie wegen des Regenschirmes zu heiraten, immer mehr in ihm. Das Mädchen ist sehr hübsch, doch wenn sie es auch nicht wäre, der Regenschirm ist des Opfers wert. Sankt Petrus hat ihm den Rat gegeben, folglich will er es thun, er wird unbedingt um ihre Hand anhalten. Der dumme Aberglaube, welcher früher so oft seinen Spott hervorgerufen, hat nun auch ihn umgarnt und die Herrschaft über seine gesunden Sinne an sich gerissen. Er fühlte, wie eine unsichtbare Kraft ihn diesem Schritt entgegentrieb. Woher kam jene Kraft? Nun, sicher von Sankt Petrus, der ihm im Traume den Befehl erteilt hatte.

Doch wie sollte er die Sache anfangen? Darüber grübelte er den ganzen Weg. Wie gut käme ihm jetzt ein wenig Romantik zu statten. Wenn Räuber sie nun im Walde überfielen? Dann würde er sie allesamt mit seinem Revolver niederschießen, würde Veronika von ihnen zurückerobern, die dann voll Rührung zu ihm sagen würde: »Du hast mein Leben gerettet, dein bin ich bis in den Tod.«

Doch so ohne alle Antecedenzien wagte er es nicht, sich ihr zu nähern, die Worte, die er in seinem Geiste so schön ausgedacht, blieben ihm in der Kehle stecken. Zweifel ergriffen ihn: vielleicht gefiel er ihr gar nicht? Vielleicht war ihr Herz nicht mehr frei? Unmöglich wäre das nicht. Es mußte sie doch unbedingt schon mancher gesehen haben, und wer sie gesehen, hatte sich auch sicher in sie verliebt. Irgend ein äußeres Ereignis müßte eintreffen, um seine Angelegenheit zu fördern.

Aber die Räuber wollten durchaus nicht zum Vorschein kommen, vielleicht existierten sie gar nicht. Dies ist eine gar arme Gegend, hier giebt es nichts zu stehlen und zu rauben, nicht einmal Räuber gedeihen hier.

Jenseits des »Zelena Hruska« tauchte auf der Bergesspitze Szlatinàs altertümliches Schloß mit seinem schlanken Turme auf; es war einst das Eigentum eines Czobor gewesen, jetzt gehört es den Herzögen von Koburg. Vor der Herberge mußten die Pferde gefüttert werden; Veronika schlug vor, unterdessen das Schloß zu besichtigen, welches von einem alten Pförtner bewacht und den Reisenden gezeigt wurde. Der Wirt erzählte diensteifrig: »Die Besichtigung ist sehr lohnend. Einige Zimmer stehen noch ganz so da, wie sie die Czobors zurückgelassen, im Hofe starren dem Eintretenden noch einige Kanonen entgegen, in den Gemächern sind großartige Waffen und besonders interessante Familienbilder zu sehen, darunter dasjenige eines kleinen Mädchens, der Katharine Czobor, die in ihrem siebenten Jahre von Hause verschwunden ist.«

Veronika interessierte sich für die Kleine.

»Und was geschah mit ihr?« fragte sie den Wirt.

»Nun, das arme Fräuleinchen ist noch bis zum heutigen Tage nicht zum Vorschein gekommen,« seufzte der Wirt.

»Wann trug sich denn die Begebenheit zu?«

»So ungefähr vor dreihundert Jahren,« antwortete er mit einem heimlichen Lächeln und geleitete seine Gäste den steilen Pfad des Hügels zwischen Fliedersträuchern in das verlassene Ahnennest hinauf.

Sie verließen dasselbe mit der trüben Stimmung, die der Anblick der Vergänglichkeit hervorruft. Madame Kriszbay rümpfte die Nase: »Welch muffiger Geruch!« Jedoch Veronika begeisterte sich an den Erinnerungen, und als sie eine prachtvolle aufgeblühte Rose unter der halb zur Ruine eingesunkenen Basteimauer erblickte und ausrief: »Ach, welch' herrliche Blume,« wußte der alte Pförtner auch von dieser eine Legende zu erzählen.

An der Stelle, wo jetzt diese Rose wuchs, hauchte die schöne Maria Czobor, die sich von der Bastei hinabgestürzt hatte, ihre Seele aus. Sie hatte einen Hirten geliebt, und ihr Vater hatte sie zwingen wollen, die Frau eines kaiserlichen Brigadiers zu werden. Der Hirtenknabe hat an jener Stelle einen Rosenbaum gepflanzt, welchem seit dieser Zeit alljährlich eine einzige Blüte entsprießt.

Georg blieb zurück und winkte den Pförtner beiseite.

»Pflücken Sie mir jene Rose ab.«

»Ach, mein Herr, was denken Sie? Der Geist des verstorbenen Mädchens würde sich empören.«

Georg nahm seine Geldtasche hervor und ließ zwei Silbergulden in die Hand des Pförtners gleiten, worauf dieser ohne eine Wort sein Taschenmesser hervorzog und die Rose vorsichtig abschnitt.

»Empört sich der Geist nun nicht mehr,« fragte Georg lachend.

»Nein, weil ich für die Hälfte der Summe durch den Pfarrer eine Messe lesen lassen will.«

Wie mit einem Schatze rannte Georg mit der Rose den Damen nach und überreichte dieselbe Veronika mit einem wahren Siegesgefühl.

»Hier ist die Rose der Maria Czobor! Als Tausch erbitte ich mir die Nelke, mein Fräulein.«

Veronika legte die Hände auf den Rücken und sagte kühl: »Sie haben das Herz gehabt, sie abzureißen?«

»Gewiß, Ihnen zuliebe. Wollen Sie denn nicht tauschen?«

»Nein. Nicht um die Welt möchte ich sie anstecken, ich würde glauben, sie dem toten Mädchen geraubt zu haben.«

»Sie wollen sie wirklich nicht von mir annehmen?«

»Nein.«

Georg war darüber sehr erbittert, er schleuderte die Rose ärgerlich fort, so daß sie den steilen Hügelabhang hinabrollte und zwischen Gräsern, Buschwerk und ihren Schwestern, den wilden Blumen, in den Staub der Straße niederglitt.

Veronika schaute voll Bedauern der Blume nach, so lange sie dieselbe nur sehen konnte.

»Schickt sich das, was Sie gethan haben?« schalt sie ihn dann, »hat diese arme Rose etwas gegen Sie verbrochen?«

»Jawohl,« antwortete der Advokat heftig.

»Was denn? Hat sie Sie gestochen?«

»Sie hat mich zu Tode gestochen. Sie hat mir etwas kundgethan, was unangenehm ist.«

»Was denn?«

»Sie hat mir die Fortsetzung meines heutigen Traumes zugeflüstert.«

»O, die kleine Schwätzerin!«

Liebenswürdige Schalkhaftigkeit klang aus ihrer Stimme, und ihre großen Augen hefteten sich lachend auf Georg.

»Ich hätte einen Korb erhalten.«

Veronika warf den Kopf zurück, wandte ihre Augen zum Himmel, welcher in azurblauer Farbe leuchtete, und indem sie ihr ganzes Gesicht kläglich verlängerte, rief sie aus: »Ach, armer Herr Wibra, wie unglücklich sind Sie (und dabei lächelte sie schelmisch)! Sie hätten im Traum einen Korb erhalten?«

»Gut, gut, spotten Sie nur noch!« sprach der Advokat mit fühlbarer Bitterkeit.

»Und sind Sie dessen auch ganz sicher, daß Sie wirklich einen Korb bekommen hätten?«

»Ja, jetzt bin ich dessen schon sicher,« antwortete er traurig. »Sie können doch ahnen, um wen ich geworben habe.«

»Ich?« sprach sie erbleichend, und ihr Lachen erstarb plötzlich. »Wie, ich?« stammelte sie, doch mehr sprach sie nicht, sondern schritt langsam, wortlos, mit gesenktem Kopfe den schmalen Pfad abwärts, der Madame nach.

Sie hob ihre Röcke ein wenig in die Höhe, damit Wurzel- und Strauchwerk nicht daran hängen blieben, wobei ihre schöngeformten Füßchen sichtbar wurden. Sie schreitet mit dem einen, sie schreitet mit dem andern, schön rhythmisch knarren die kleinen Stiefelchen; Gräser und Feldblumen biegen sich unter ihrem Tritt, doch sie brechen nicht; sie richten sich wieder in die Höhe und sind vielleicht noch frischer, stolzer unter der Spur ihrer Füßchen hervorgegangen.

Eine Eidechse kam in schönem Gewande, mit einem Silberpanzer bekleidet, über den Weg gelaufen. Sie kam unter dem Spindelbaum hervor und wollte in den Liliputaner Wald des schwarzbeerigen Wacholders huschen. Doch welches Los ereilte den kleinen gepanzerten Ritter? Ein zürnender Riese kam des Weges daher (der berühmte Neusohler Advokat), stampfte wütend mit dem schweren Schuhabsatze auf und trennte der kleinen Eidechse den Kopf vom Rumpfe.

Veronika wandte sich um, erblickte es und hatte beinahe Lust, die arme Eidechse zu beweinen, doch sie getraute sich nicht, etwas zu sagen, sie begann, sich nun auch vor dem entsetzlichen Goliath zu fürchten, und murmelte nur in sich, freilich halb hörbar: »Henker.«

Als sie jedoch vom Hügel herabgestiegen war und ihr Weg sie an der kleinen Rose vorbeiführte, welche dort lag, von den Steinen zerrissen, vom Staube beschmutzt, dachte sie Gott weiß woran, beugte sich plötzlich nieder und hob sie auf; sie hauchte sie an, blies mit ihrem schönen kleinen Munde den Staub ab und steckte sie dann zwischen die Brustfalten ihres Kleides. Es schien, als ob sie dort hervorgeblüht wäre.

Sie sprach kein Wort, sie blickte nicht einmal auf den entsetzlichen Goliath, sondern wandte den Kopf ab, um nicht in sein Gesicht schauen zu müssen, und der Goliath begnügte sich nun auch damit, nur die Rose zu sehen; er fühlte eine Wärme in seiner Herzgegend, ein Gefühl der Güte, daß er gern hundert Gulden hingegeben hätte, wenn er imstande gewesen wäre, den Körper des Eidechsenritters wieder an dessen Kopf zu befestigen, doch das war nicht mehr möglich.

Unten vor der Herberge hatte Johann unterdessen die Pferde gefüttert, der Wagen wartete auf die Reisenden, welche darin auch ihre Plätze einnahmen, doch unter der Last einer eigentümlichen Verwirrung, einer drückenden Stimmung. Stumm saßen sie sich gegenüber, wenn der eine die linke Seite der Gegend betrachtete, flüchteten die Augen des andern rechts auf die stahlblauen Bergesspitzen, und wenn ihre Blicke sich doch zufällig trafen, wandten sie dieselben jäh voneinander ab. Wenn sie sprachen, richteten sie ihre Worte beide an Madame Kriszbay, die langsam zu spüren begann, daß etwas zwischen ihnen geschehen war. Doch was? Ei, was war denn auch geschehen? Nun, nichts, eine Kleinigkeit, einige kindische Worte, welche ihr junger Verstand ausgedehnt, in die Breite gezogen hatte, wie einst in Debrezin der Teufel die enge Zelle des Professors Hawani – bis endlich die ganze Stadt hineingelegt werden konnte. Nun, auch in diese wenigen Worte konnte alles hineingelegt werden ...

Und dann geschah auch noch mehr, viel mehr. Weshalb sie es that, weiß ich nicht, ich glaube, sie hatte eine Stecknadel verloren, doch plötzlich bog Veronika ihr Köpfchen nieder, als ob sie etwas im Wagen suchen wollte, und siehe, die gewünschte Nelke glitt aus ihrem Haar und fiel von selbst in Georgs Schoß.

Georg hob sie auf, um sie zurückzugeben – Veronika winkte mit der Hand, er möge sie nur behalten.

»Sie soll Ihnen gehören, wenn sie schon zu Ihnen hingefallen ist, wenn sie schon nicht in meinem Haar bleiben wollte.«

Wollte sie wirklich nicht dort bleiben? Darüber grübelte Georg nach, während er ihren Geruch einatmete. Welch' wunderbar süßen Duft sie ausströmte! Woher mag derselbe herrühren? Vom Haar? Und welchen Duft mag das Haar ohne die Nelke ausströmen!

Das Gefährt rollte unterdessen weiter, immer weiter, bald auf-, bald abwärts am Fuße des Branaberges hin. Ach, der Brana, der berühmte Brana, er sperrt die Welt ab, wie das Thor den Hof, deshalb führt er auch den Namen Brana (Thor). Der Brana ist ein Aristokrat unter den Bergen – auch in schönem Wetter trägt er einen Hut – Wolken krönen sein Haupt. Doch der Alte schwitzt auch: rieselnde Wasseradern und aus Felsenhöhlen hervorsprudelnde Quellen fließen über seinen gefurchten gelben Rucken zur Kvetymàwiese herab, durch deren steinigen, weidenumsäumten Grund ein großer, blauer Bach schäumend dahinsprudelt.

»Dies ist schon die Bjela Voda,« erklärte Veronika der Madame Kriszbay, »der Glogowaer Bach, wir sind nicht mehr weit!«

Nur noch einen Wald müssen sie durchfahren, dann sehen sie Glogowa mit seinen kleinen weißen Häuschen gleich vor sich im Thale liegen. Aber das ist auch der elendeste Weg, krumm wie die Seele des Teufels, voller Klüfte und Felsen und an manchen Stellen so schmal, daß der Wagen kaum durchfahren kann.

Johann wendete sich zurück, indem er sich gar besorgt den Kopf kraute.

»Der Hemmschuh ist König in diesem Reiche!«

Der Hemmschuh? Doch an der Kalesche ist keiner – folglich schweben sie mit der Kalesche in Gefahr. All dies meldete er auf solchen Umwegen seinem Herrn.

»Dann gieb acht, Johann, damit du nicht umwirfst!«

Er stieg jeden Augenblick ab, um das Rad zu hemmen oder wieder loszubinden; die Pferde kamen nur im Schritt vorwärts, manchmal war der Weg so eng zwischen den Felsen, daß nur der Himmel sichtbar war.

»Dies ist nur eine Heimat für einen Vogel,« murmelte Johann.

»Gefällt dir die Gegend nicht?«

»Ihr Gesicht ist zu blatternarbig,« meinte Johann, »das ist keine Gegend zum Heiraten!«

Georg schrak zusammen. Sollte der schon etwas bemerkt haben?

»Weshalb, Johann?«

»Weil mein früherer Herr, der Baron (Johann war vordem bei einem Baron aus dem Sároser Komitate bedienstet gewesen), seinen Söhnen zu sagen pflegte, und er war ein kluger Herr: ›Verheiratet euch nie nach einer Gegend, wo keine Felsen sind, wo gute Luft ist und es Sauerwasser giebt.‹«

Hierauf fingen Veronika und Georg zu lachen an.

»Ein echt Sároser Gedankengang,« sagte Georg. »Doch siehst du, du hast das Fräulein erzürnt.«

»So soll ich ewig eine alte Jungfer bleiben?« klagte Veronika scherzend.

Johann widersetzte sich mit Händen und Füßen.

»Ach, mein liebes Fräulein, keineswegs, keineswegs, wenn Sie ...«

Er wollte etwas sehr Schönes sagen, er suchte nur nach dem passenden Worte, doch Gott wollte, daß er in einen großen Fluch ausbrechen sollte, denn in diesem Momente wurden sie gegen eine herausstehende Felsenspitze geschleudert, und der Wagen senkte sich mit argem Krachen auf die Seite.

»Donnerwetter! Unsere Achse ist gebrochen, gnädiger Herr.«

Die Frauen erschraken, Georg sprang ab und untersuchte die Achse. Nun, die war gründlich zerbrochen.

»Was sollen wir nun beginnen,« klagte Johann. »Ich habe es gesagt, daß dies ein Land für Vögel ist, die sich weder zu Fuß noch zu Wagen fortbewegen.«

»Das thut nichts,« antwortete Georg, den jetzt nichts aus der guten Laune bringen konnte, weder eine Achse, noch hundert Achsen. »Reich' mir das Beil her! Halte nur die Pferde, ich werde gleich einen Baum abhauen, den wir unter die Achse schieben können.«

Ein Beil mit kurzem Griff lag unter dem Wagensitze, er nahm dasselbe und beruhigte die Damen, er werde sofort dem Übel abhelfen – nur Kaltblütigkeit. Er sprang über den Erddamm und durchwatete das mit dichter Waldrebe überwucherte Strauchwerk bis zu den Bäumen. Bäume waren hier auch so spärlich, wie die Haare auf dem Schädel eines greisen Mannes. Eine verkommene Birke auf einem großen Fleck mit Haselnuß- und wildem Rosengesträuch, dann nichts, dann hin und wieder ein alter Baum, als ob ein davongelaufener Wald ihn hier vergessen hätte. Dieser rotbraune Lehmboden gehört gar nicht mehr zum Körper der Erde, die Produktionskraft ist längst daraus ausgebrannt. (Er bringt nur Pilze und Marienflachs hervor.) Eine Warze auf dem Körper der Erde. Das ist der Berg von Glogowa.

Es war schwer, einen geeigneten Baum zur Stütze auszusuchen. Dieser war gar zu dick, jener gar zu dünn – er ging daher tiefer, immer tiefer in den Wald hinein. Hier mußte er eine Kluft umgehen, dort einen durch das Wasser ausgeschwemmten Graben. Er kam so weit, daß der Wagen vor seinen Blicken verschwand, nur der Schirm Veronikas leuchtete aus der Ferne wie ein Königspilz.

Endlich warf er sein Auge auf eine Birke, welche einsam am Rande einer Kluft wuchs, für eine Gerte schon zu groß, für einen Baum noch zu klein. Ein wahrer Backfisch unter den Bäumen, schön gewachsen, viel versprechend. Gleichviel, du gehörst dem Tode, kleiner Backfisch! Er haute sein Beil hinein.

Doch kaum krachte das Beil ein-, zweimal, als das Wort: »Reta! Reta!« (Hilfe! Hilfe!) ertönte.

Georg schrak zusammen und wandte sich um. Wer hatte gerufen? Die Stimme schien aus der Nähe zu kommen, doch weder nah noch fern war jemand zu sehen, trotzdem er ein großes Stück überblicken konnte. Der Hilferuf wurde wieder hörbar, heiser und dumpf, als ob er aus der Erde hervordränge. Nun war es deutlich erkennbar, daß aus der tiefen Kluft jemand rief.

Georg begann die Kluft entlang zu laufen.

»Hier bin ich!« rief er. »Wer bist du? Wo bist du? Was ist dir geschehen?«

»Hier bin ich,« sprach die frühere Stimme aus der tiefen Kluft hervor. »Hilf mir, wenn du eine Christenseele bist.«

Georg blickte in die Kluft hinab und sah eine mit einem Rock bekleidete Gestalt am Grunde hocken, doch er konnte von dem Menschen nur wenig sehen, denn ganz an den Rand des lockeren Bodens zu treten, wäre gefährlich gewesen.

»Dies ist merkwürdig! Wie sind Sie dorthin gekommen?«

»Ich bin gestern Abend hineingefallen,« wimmerte der Mann im Rocke.

»Wie, schon gestern Abend? Und Sie können nicht heraufkommen?«

»Unmöglich, denn es ist nichts da, wo ich mich anhalten konnte: wenn ich mich an einen Busch anklammere, reißt er samt den Wurzeln aus der Erde, und ich falle immer wieder zurück.«

»Donnerwetter! Sie sind in einem Hundezustand! Und niemand ist seitdem hier vorübergegangen?«

»Hier geht niemand vorbei. Ich war schon auf das Entsetzlichste vorbereitet, als die Axthiebe in der Nähe ertönten. Dank sei dir, o du mein Gott! Helfen Sie mir, guter Mann dort oben, ich will Sie belohnen, wer Sie auch immer sein mögen.«

»Sehr gern. O natürlich. Ich denke nur über die Mittel nach. Wenn ich Ihnen vielleicht einen langen Baumstamm hinablassen würde, könnten Sie daran heraufklettern?«

»Ich bin durch die Schlaflosigkeit und den Hunger sehr geschwächt,« kam die Antwort aus der Tiefe mit vom vielen Rufen klangloser, abgematteter Stimme zurück.

»Ach, armer Mensch! Warten Sie nur!«

Die Äpfel fielen ihm ein, welche Frau Mravucsán heute Morgen in seine Tasche gesteckt hatte.

»Holla! Geben Sie acht! Ich werfe Ihnen einstweilen einige Äpfel hinab, bis ich etwas ausgeklügelt habe.«

Er nahm die Äpfel der Reihe nach hervor und warf sie in die Kluft hinab. Plötzlich erschrak er. Ach, auch Veronikas Apfel befand sich darunter. Vielleicht wird sie zürnen.

»Haben Sie sie gefunden?«

»Ja. Danke.«

»Bitte, essen Sie den roten nicht, denn er gehört nicht mir.«

»Ich werde ihn nicht essen.«

»Sie scheinen zur gebildeten Klasse zu gehören.«

»Ich bin der Pfarrer von Glogowa.«

Georg taumelte erstaunt zurück. Heiliger Gott: der Pfarrer von Glogowa! Er hätte nichts Wunderbareres auf dieser Welt hören können.

»Ich werde sogleich helfen, hochwürdiger Herr, warten Sie nur noch ein Weilchen.«

Er rannte flugs zu dem Wagen zurück, der ruhig unten im Thale zwischen hohen, unfruchtbaren, zerklüfteten Bergwänden stand. Die Gegend war von dort wie der innere Teil eines gespaltenen Mohnkopfes anzusehen. Er mußte nicht ganz an den Wagen herantreten, sobald sie seine Stimme hören konnten, rief er Johann an: »Nimm rasch das Geschirr von den Pferden ab und bringe es mir nach, die Pferde binde einstweilen an einen Baum!«

Johann folgte dem Befehl, jedoch mit argem Brummen und Kopfschütteln. Er konnte durchaus nicht erraten, was geschehen war, wozu das Pferdegeschirr nötig sei. Er hatte zwar einst ein Märchen in der Spinnstube gehört, in dem der »Bäume ausreißende Gabriel« einmal zwei Bären im Walde vor seinen Wagen spannte. Das Geschirr wird doch wohl nicht zu etwas Ähnlichem nötig sein?

Gleichviel. Sein Herr mag es gebrauchen, wozu er will, er trägt es ihm zur Kluft nach. Dort banden sie die zwei Geschirre mit Hilfe der Riemen zu einem einzigen zusammen und ließen es in die Tiefe hinab.

»Fassen Sie es an, Herr Pfarrer! Und wir beide, Johann, ziehen ihn herauf!«

Der Pfarrer that, wie ihm Georg geheißen: er faßte mit Anspannung seiner äußersten Kraft das derart verlängerte Pferdegeschirr an, und obzwar die steile Wand der Kluft auch jetzt seinen Füßen entglitt, kam er doch glücklich auf die Oberfläche der Erde empor.

Doch wie sah er aus! Lauter Staub, lauter Schmutz, auf seinem Gesichte die Verheerungen der angstvoll durchlebten Nacht, wozu sich noch Erschöpfung und Hunger gesellten. Der Arme hatte schon gar kein menschliches Aussehen mehr. Wir (nämlich ich und meine Leser), die ihn zuletzt als jungen Mann gesehen, suchen umsonst sein schönes, weiches Gesicht, er war ein Mann mit runzligem Antlitz geworden, sein kastanienbraunes Haar war mit weißen Fäden durchzogen; längeres Suchen war nötig, bis das Auge einen bekannten Zug an ihm entdeckte. Nur eines blieb unverändert, die Güte und Sanftmut, welche dieses magere, ernste, echte Priesterantlitz gleichsam durchleuchtete.

Er war erstaunt, einen feingekleideten jungen Mann vor sich zu sehen. Ein wahres Wunder, hier am Rande des Glogowaer Waldes!

»Ach, wie soll ich Ihre Güte lohnen?« rief er mit jenem gewissen Pathos, an welchem man den Pfarrer erkennt. Er that einige Schritte dem Bach zu, um sich darin zu waschen, doch sein Fuß versagte den Dienst, und er fühlte einen stechenden Schmerz im Rücken.

»Es scheint, ich habe mich bei dem Falle verletzt, ich kann nicht recht gehen.«

»Stützen Sie sich auf mich, lieber ehrwürdiger Herr!« munterte ihn Georg auf. »Zum Glück ist mein Wagen nicht weit. Und du, Johann, haue unterdessen dieses Bäumchen ab, während wir langsam weitergehen.«

Sie kamen freilich gar langsam vorwärts; der Geistliche konnte den linken Fuß nicht gut heben, er stolperte jeden Augenblick über die aus der Erde geschwemmten Baumwurzeln, die sich kreuz und quer nach allen Richtungen verzweigten, wie die Namensunterschrift des Sultans.

Der Wagen war weit entfernt, sie hatten Zeit, unterwegs zu plaudern. Der Pfarrer mußte auch öfters ausruhen; es gab Stühle, nämlich Baumstämme, genug am Wege.

»Sagen Sie mir nur eins, hochwürdiger Herr, wie kamen Sie des Nachts allein hierher?«

Er erzählte, daß er seine Schwester gestern erwartet hatte, die der Erzieherin zur weitgelegenen Eisenbahnstation entgegengefahren war. Da sie zur Zeit nicht angelangt waren, überkam ihn gegen Abend Unruhe und Ungeduld, und wie schon oft vorher, spazierte er ihnen am Waldwege entgegen. Er ging weiter, immer weiter, mit erhöhter Sorge den Weg von den Hügeln überblickend und nach Dunkelwerden lauschend, ob er kein fernes Wagengerassel vernehme. Plötzlich fiel es ihm ein, ob sie wohl nicht bei der Pribalszkymühle auf den längeren, doch schöneren Weg abgebogen sein könnten, der durch Uhlyavna nach Glogowa führt. Veronika (so heißt nämlich meine Schwester) schwärmt für schattige Waldwege. Ja, so wird es sein, sicher wird es so sein. Seitdem sind sie längst zu Hause angekommen, während er sich hier absorgt. Es wird deshalb das beste sein, sofort zurückzukehren, und zu seinem Unglück bog er, um früher zu Hause zu sein, in einen kurzen Fußpfad ein. Der Teufel der Eile hatte ihn ins Unglück geführt, er trat im Dunkeln fehl und stürzte in die Kluft hinunter.

»Mein armes, kleines Schwesterchen,« seufzte er auf, »wie viel muß sie nun meinethalben leiden!«

Georg bemühte sich um jeden Preis, der trüben Stimmung des Pfarrers eine gemütlichere Wendung zu geben.

»Ei, das Fräulein wird sich trösten, ich stehe gut dafür, und auch Euer Hochwürden werden sich erholen, wenn Sie eins darüber geschlafen haben. Glauben Sie mir, in zwei, drei Tagen wird es Ihnen wie ein unterhaltliches Abenteuer erscheinen.«

»Welches jedoch leicht mit dem entsetzlichsten Tode hätte enden können, wenn Sie die Vorsehung nicht hergeführt hätte.«

»Die Vorsehung muß ihre Hand im Spiele gehabt haben. Die Achse meines Wagens ist am Wege zerbrochen, sonst wäre ich nicht an diese Stelle gekommen.«

Der Pfarrer erhob seine Augen gerührt zum Himmel.

»Auch wenn ich hundert Jahre leben sollte, werde ich Ihre zartfühlende Herzlichkeit nicht vergessen. Ich will Ihren Namen in meine Gebete einflechten. Doch ach, ich Undankbarer, ich habe ja noch gar nicht nach Ihrem Namen gefragt.«

»Georg Wibra!«

»Der berühmte Neusohler Advokat! Mein Gott, so jung! Ich freue mich, mein Herr, daß ich mit einem braven Manne, den ganz Neusohl preist, einen Händedruck wechseln kann. Doch hundertmal mehr würde ich mich jetzt freuen, wenn ein armer wandernder Student als Retter, anstatt des vornehmen Herrn vor mir stände, den könnte ich auf die gehörige Art belohnen. Doch wie soll ich Ihnen gegenüber meine Dankbarkeit beweisen? Ich weiß, Sie würden nichts von mir annehmen ...«

Ein schlaues Lächeln umspielte Georgs Lippen.

»Das ist fraglich! Wissen Sie nicht, daß die Advokaten sehr habgierig sind?«

»Ach, reden Sie, reden Sie! (Unsicher, argwöhnisch blickte er ihm in die Augen.) Wirklich? Treiben Sie keinen Scherz mit mir?«

Der Advokat antwortete nicht sogleich. Stumm thaten sie einige Schritte den Hügel hinan, auf einen verwitterten wilden Birnbaum zu, in dessen Richtung der Wagen stand.

»Nun ja,« sagte er dann mit beklommener, beinahe bebender Stimme, »ich möchte gern etwas von Ihnen annehmen.«

»Bitte, reden Sie nur ohne Zurückhaltung!«

»Es ist mir eingefallen, daß Sie etwas auf meinem Wagen haben.«

»Auf Ihrem Wagen?«

»Wovon Sie nichts wissen und womit Sie mich beglücken können.«

Der Priester streckte ihm hastig beide Hände entgegen.

»Was es auch sein mag, es ist Ihr Eigentum.«

Es währte keine halbe Minute mehr, und sie waren oben bei dem Birnbaum.

»Sehen Sie, dort steht mein Wagen.«

Der Pfarrer blickte hin, zuerst stach ihm ein roter Sonnenschirm in die Augen, darunter ein kleiner schwarzer Strohhut mit weißen Margaretenblüten und noch tiefer unten ein leuchtendes Frauenantlitz. Alles war ihm so bekannt, der Schirm, der Hut, die Margaretenblüten und das Antlitz.

Er bebte, als ob er ein Traumgesicht erblickt hätte, dann schrie er auf, indem er den Arm des Advokaten erfaßte: »Mein Gott, meine Veronika!«

Der Advokat lächelte sanft, neigte den Kopf vor dem Priester und legte die Hände flehend zusammen.

»Das heißt, Ihre Veronika,« verbesserte sich der Pfarrer mit gütiger Stimme, »wenn es auch sie so haben will.«

Nun hatte auch Veronika ihren Bruder erkannt, sprang vom Wagen herab und lief rasch mit frohem Zuruf auf ihn zu: »Hier bin ich. Es ist mir nichts geschehen. Ach, wie mußt du dich gesorgt haben. Aber unser Wagen ist zerbrochen. Ach, wenn du unsere Pferde gesehen hättest. Doch was hat sich noch alles zugetragen! Auch Madame Kriszbay habe ich mitgebracht.«

Der Pfarrer umarmte sie. Er war froh, daß sie von seinem Unfall nichts wußte. (Welch braver Mann dieser Wibra ist, daß er das Kind nicht erschreckt hat.)

»Gut, gut, mein kleines Herzchen, du wirst mir alles nacheinander mitteilen.«

Doch Veronika wollte alles zu gleicher Zeit erzählen, das Zertrümmern des Wagens in Bábaszék, das Souper bei dem Bürgermeister Mravucsán (richtig, Onkel Mravucsán läßt dich grüßen), die Details des heutigen Weges, den Verlust des Smaragdohrringes und dessen Auffinden ...

Der Pfarrer, welcher den Zusammenhang allmählich zu verstehen begann, unterbrach sie scherzend: »Und dem ehrlichen Finder hast du nichts gegeben?«

Sie war betroffen über die unerwartete Frage; sie verstummte, als wenn jemand ein schnurrendes Spinnrad plötzlich anhält.

»Nein, nein. Wie meinst du das?« antwortete sie ahnungslos, verwirrt. »Es schickt sich doch nicht, dann wollte er auch nichts.«

»Das wundert mich, denn von mir hat er schon etwas gefordert.«

»Unmöglich,« rief Veronika erstaunt, mit halbem Auge nach Georg spähend. (Ein seltsamer, unaussprechlicher Verdacht begann in ihrem Herzen zu keimen.)

»Und was verlangt er?« setzte sie mit verschleierter Stimme hinzu.

»Er bittet gar viel.«

»Viel?« stammelte sie erbleichend.

»Er bittet das Ohrgehänge, welches er gefunden, zurück, doch samt seiner Eigentümerin,« sagte der Pfarrer feierlich. »Und ich habe es ihm auch schon versprochen.«

Veronika neigte den Kopf, ihr Gesicht erglühte, ihr Busen hob sich erregt, ihre Nasenflügel bebten ... Ach, gleich wird sie in Thränen ausbrechen!

»Nun, du antwortest gar nicht? Habe ich recht gethan, dich hinzugeben? Wie? So antworte doch, Veronika!«

Auch Georg trat an sie heran und bat mit leiser, furchtsamer Stimme: »Fräulein Veronika, ich flehe Sie an, nur ein Wort!«

Zaghaft wich sie unter den verwitterten Birnbaum zurück, von dem ein vom Sturm gebrochener Zweig bis zur Erde herabhing und sie halb verdeckte.

»Ach, ich schäme mich so,« stammelte sie mit ersterbender Stimme, »ich schäme mich so sehr ...«

Sie sprach kein Wort mehr, kein einziges Wort – sie brach nur jäh in Schluchzen aus. Ein Windstoß kam über die Brana daher und schüttelte tüchtig den alten Baum, welcher dann gehorsam seine blaßroten Blüten ihr über den Kopf und das Kleid schüttete, vielleicht die letzten, welche er auf seine alten Tage hervorbringen konnte.


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