Koloman Mikszáth
Der wundertätige Regenschirm
Koloman Mikszáth

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Verdächtige Erscheinungen.

Der kleine Georg Wibra wuchs schön heran und wurde ein kräftiger, mächtiger Bursche mit einem Brustkorb wie eine Trommel. Paul Gregorics konnte nicht oft genug wiederholen: »Wo er nur diesen Brustkorb hergenommen hat? Zum Teufel, wo mag er ihn hergenommen haben?«

Ihm, dem Engbrüstigen, imponierte dieser Brustkorb am meisten, die andern Fähigkeiten des Georg interessierten ihn kaum. Und er war wirklich ein besonders talentierter Junge. Der alte pensionierte Professor Martin Kupeczky, der ihm täglich in den Elementarwissenschaften Unterricht erteilte, sagte zu Gregorics mit Begeisterung: »Der Knabe ist ein großes Talent; glauben Sie mir, Herr Gregorics. Er wird ein großer Mann, Herr Gregorics. Um was wetten wir, Herr Gregorics?«

In solchen Momenten fühlte sich Gregorics glücklich; er mußte den Knaben sehr lieb haben, obzwar er es nicht zeigte. Gregorics lächelte darauf und sprach: »Also ich wette um eine Cigarre und betrachte sie schon jetzt als verloren.« Er bot dem alten Professor, der sehr gern wettete und plauschte, von seinen feinsten Cigarren an.

»Ich habe noch keinen so genialen Schüler gehabt, glauben Sie mir, Herr Gregorics. Mit lauter mittelmäßigen Fratzen plage ich mich das ganze Leben lang. Auf die verschwende ich meine Wissenschaft. Das ist ein höchst trauriges Gefühl, glauben Sie mir, Herr Gregorics. (Und er linderte seinen großen Schmerz mit einem Prischen Schnupftabak.) Es ergeht mir, Herr Gregorics, wie dem Staatsmünzer. Haben Sie schon davon gehört, Herr Gregorics? Wie, Sie hätten es noch nicht gehört? Nun, ein großes Stück Gold ist unlängst im Münzamt in Verlust geraten. Man sucht, man findet nichts. Wohlan, eine große Untersuchung wird eingeleitet, und es kommt an den Tag, das große Stück Gold ist aus Unvorsichtigkeit in die Kupferkreuzer vermischt worden. Nun, das ist die Sache. Sie verstehen mich doch, Herr Gregorics? Meinen Geist gieße ich schon seit Generationen in lauter Dummköpfe. Denique, jetzt am Ende treffe ich auf ein echtes Talent. Sie verstehen mich doch, Herr Gregorics?«

Und Paul Gregorics hatte nicht nötig, angespornt zu werden; er nährte ohnehin schon eine etwas übertriebene Neigung zu dem Wibra-Jungen, und diejenigen, welche vielleicht nur den Zweck hatten, die Familie Gregorics in Angst zu jagen mit ihrer Weissagung: »Das Ende vom Liede wird sein, daß er die Anna Wibra heiratet und den Jungen adoptiert« kamen sehr nahe an die Wahrheit heran. Sogar Kupeczky sagte es: »Das wird das Ende sein. Wer wettet mit mir, daß es so sein wird?«

Es wäre auch dazu gekommen. Paul Gregorics dachte selbst daran, dies wäre auch –, gestehen wir es nur –, das korrekte Verfahren gewesen, aber Gregorics liebte den kleinen Georg viel zu sehr, als daß er sich getraut hätte, korrekt zu sein.

Vor den logischen Lauf der Begebenheiten stellten sich zwei seltsame Umstände. Einer derselben war, daß Anna Wibra eines Tages von der Leiter fiel und sich den Fuß brach, so daß sie lebenslang lahm blieb, und wer könnte eine lahme Dienstmagd brauchen?

Der zweite Umstand zerriß das Herz des Sonderlings noch mehr. Der kleine Georg erkrankte eines Tages, wurde ganz blau, hatte Krämpfe, das Fieber schüttelte ihn, man glaubte schon, er werde sterben. Gregorics warf jede falsche Scham beiseite, ließ sein Haupt auf das Bettchen des Kranken sinken, küßte sein Gesicht, seine Augen, seine erkaltende Hand und sprach das erste Mal mit seines Herzens Ton zu ihm: »Was fehlt dir? Was schmerzt dich, mein teures Kind?«

»Ich weiß es nicht, Onkelchen,« wimmerte das Kind.

Gar seltsam war der alte Gregorics in diesem Momente anzusehen mit seinem gen Himmel sich sträubenden, dünnen roten Haar; er sah die Pein, die Todesqual des Kindes, und sein schwächlicher Körper fühlte die Qualen mit, seine Glieder begannen zu zucken, sein Herz brach, und sein Geheimnis kam ans Tageslicht.

Er erfaßte die Hand des Arztes. »Er ist mein Sohn. Hören Sie, mein Sohn. Ein Backkorb voll Gold ist Ihr Lohn, wenn Sie ihn retten.«

Der Arzt rettete den Knaben auch, er erhielt auch den Backkorb voll Gold, so wie ihm das Gregorics im Momente der Gefahr versprochen hatte. Freilich hatte den Backkorb nicht der Arzt ausgesucht, sondern Gregorics ließ ihn eigens flechten von den Sohler Slowaken.

Den Jungen heilte der Doktor, doch Gregorics machte er krank. Er erweckte einen großen Verdacht in der Seele des Gregorics, indem er Vergiftungssymptome bei der Krankheit des Knaben konstatierte.

Nun, dem Gregorics fehlte nur noch dies, um ewig zu grübeln, besorgt zu sein. Wie konnte dies geschehen? »Hast du, mein Herzchen, nicht einen giftigen Pilz gegessen?«

Georg schüttelte den Kopf. »Ich habe keinen gegessen, Papa-Onkelchen.« (Das war der neue Titel. Er acceptierte den »Papa,« wollte aber das alte »Onkelchen« nicht lassen.)

Was konnte er dann gegessen haben? Auch die Mutter riet hin und her. Vielleicht dies, vielleicht jenes. Vielleicht war der Essig in der Speise verdorben. »Was haben wir nur an dem Tage gekocht?« Aber auch das ist nicht unmöglich, daß das Kupfergeschirr unrein war. Gregorics schüttelte erbittert den Kopf.

»Rede keine Dummheiten, Ancsura!«

Gregorics hatte andere Gedanken; er teilte seinen Verdacht niemandem mit, aber vorhanden war er unter seinen geheimsten Gedanken, dort bohrte und zehrte er und zerstörte ihm Schlaf und Appetit. Gregorics dachte an seine Geschwister. Ihre Hand war es, ihre nach der Erbschaft ausgestreckte Hand.

Nun waren seine Pläne, den Knaben zu adoptieren, ihm den Namen und das Vermögen zu geben, für immer vernichtet. »Nein, nein. Es könnte sein Leben kosten. Sie würden ihn töten, wenn ich ihn in ihren Weg stellen wollte. Ich werde ihn nicht in ihren Weg stellen.«

Er zitterte für das Kind, getraute sich aber nicht mehr, es zu lieben.

Er setzte sich ein neues System fest, die Taktik der Verteidigung. Und das war eine grausame und närrische Taktik. Er befahl dem aufgeweckten Knaben, ihn von nun an »gnädiger Herr« zu nennen und ihn nicht mehr zu lieben.

»Das war nur so ein Scherz,« sagte er »daß ich mich als deinen Vater aufgespielt habe. Hast du verstanden?«

Aus den Augen des kleinen Jungen quollen auf diese Worte Thränen hervor.

Der alte Gregorics zitterte, beugte sich herab, küßte ihm die Thränen weg, und seine Stimme war unendlich traurig: »Du darfst niemandem sagen, daß ich dich geküßt habe, denn du könntest in großer Gefahr schweben, wenn man es erfahren würde.«

Er verfiel in eine wahre Vorsichtsmanie. Er nahm Kupeczky ins Haus, der Tag und Nacht den Knaben beaufsichtigen und ihm jede Speise vorkosten mußte. Wenn der Junge das festversperrte Haus verlassen wollte, wurde er zuerst ausgekleidet; er mußte den Samtrock und die hübschen Lackschuhe ablegen, um draußen bloßfüßig, abgerissen herumzulaufen (alte, schmutzige Kleider wurden eigens zu diesem Zwecke angeschafft), damit, wenn in der Stadt gefragt wird: »Wem gehört der kleine Händelsucher?« diejenigen, die es wissen, antworten sollen: »Der Köchin des Gregorics.«

Ja, um den Verdacht der Verwandten vollkommen einzuschläfern, nahm er es sogar auf sich, für die Erziehung eines Sohnes seiner Schwester Marie, verheiratete Panyoki, zu sorgen. Er nahm ihn auch mit nach Wien ins Theresianum und umgab ihn mit herrschaftlichem Glanz unter den Grafen- und Fürstenkindern; auch den andern Neffen schickte er unaufhörlich Geschenke, so daß die Gregorics', die ihren Bruder Paul nie geliebt, sich langsam mit ihm zufrieden gaben.

»Er ist kein arger Mensch,« sagten sie, »nur ein großer Esel.«

Den kleinen Georg schickte er – als die lateinische Schule an die Reihe kam – in weit entfernt liegende Städte, nach Szegedin, Klausenburg, wohin die Intrigue der Familie nicht reichen konnte. Alsbald verschwand auch Kupeczky insgeheim aus der Stadt; er hätte sich doch wahrlich auch bei Trommelwirbel entfernen können, und kein Hahn hätte nach ihm gekräht.

Zweifelsohne lag eine gewisse Übertriebenheit in dieser Vorsicht. Doch eben die Übertreibungen bildeten ja den Grundzug von Paul Gregorics' Charakter. Er bewegte sich ewig auf dem Grenzsteg. Wenn er eine Sache unternahm, zu der Mut gehörte, war er verwegener als der Teufel selbst, und wenn ihn die Furcht ergriff, sah er tausend Schreckgespenster aus allen Winkeln hervorflattern. Seine Liebe zu Georg war überspannt, seine Angst um ihn war auch überspannt, aber dafür konnte er nicht.

Während der Knabe sich schon entwickelte und eine Klasse nach der andern mit ausgezeichnetem Erfolge absolvierte, begann das Männchen mit dem roten Regenschirm seine Liegenschaften zu verkaufen. Er erzählte, er habe eine große Besitzung in Böhmen gekauft, weshalb er das Wiener Zinshaus verkaufen müßte. Nach kurzer Zeit baute er eine Zuckerfabrik auf seinem böhmischen Besitz, infolgedessen er einen Käufer für das Privorecer Landgut suchte. Es fand sich auch sofort dafür ein reicher Kaschauer Kaufmann. Es lag in all dem, daß das kleine rote Männchen auf seine alten Tage sich in solche Veränderungen einließ, etwas Geheimnisvolles, Rätselhaftes. Eines Tages verschrieb er auch sein Neusohler Haus auf Anna Wibra: Und das kleine Männchen war so heiter, so beweglich, so zufrieden wie niemals vorher.

Er begann wieder Gesellschaften aufzusuchen, interessierte sich, plauderte, ließ sich schön thun, speiste abwechselnd bei seinen Geschwistern, wobei er hier und dort Anspielungen fallen ließ: »Ich werde doch nicht, was ich besitze, auf meinem Rücken ins Jenseits tragen.« Er fing wieder an, den Frauen Besuche abzustatten, welche er in jungen Jahren vergebens hofierte, außerdem verreiste er öfters auf Wochen und Monate mit seinem abgenützten Regenschirm, welcher ihn nie verließ, unter dem Arme. In der Stadt kümmerte man sich nicht mehr viel darum: »Gewiß hat sich der Alte auf seine böhmischen Besitzungen begeben.«

Von diesen böhmischen Besitzungen sprach er wenig, trotzdem besonders die Geschwister viel Interesse für dieselben zeigten. Einer oder der andere erbot sich auch, ihn einmal zu begleiten, da er Böhmen noch nicht kannte u. s. w., aber Herr Paul wußte jedesmal den Fragen zu entschlüpfen und schien sich überhaupt nicht viel in seinem Geiste mit diesem Besitz zu beschäftigen, was er um so eher thun konnte, als er nicht mehr vom böhmischen Boden besaß, als was er einmal unter seinen Nägeln aus Karlsbad mitgebracht, wo er seine Nieren kurierte. Das ganze böhmische Besitztum war nur für die Verwandten ausgedacht.

Paul Gregorics machte einfach alles zu Geld, um es in einer Bank placieren und seinem Sohne geben zu können. Aus einer Bankanweisung wird seine Erbschaft bestehen, aus einem Stückchen Papier, welches niemand sieht, welches er in die Westentasche stecken kann, und doch wird es ihn zu einem reichen Manne machen. Schön und vernünftig war es ausgedacht. Er reiste auch infolgedessen nicht auf seine böhmischen Besitzungen, sondern vielmehr in die Städte, wo Georg mit seinem alten Mentor dem Studium oblag.

Dies waren seine glücklichen Tage, der einzige Sonnenschein seines Lebens, wo er sein Kind, das unterdessen ein hübscher, schlanker Student geworden, frei lieben durfte. Er war erster Eminent in der Klasse, und auch an Charakter wie an Benehmen überragte er seine Kameraden.

Der Alte blieb wochenlang in der Mathias-Stadt (wie Szegedin genannt wird) und ergötzte sich an Georg Wibra. Oft sah man sie am Theißufer spazieren gehen, und wie er so mit Kupeczky und Georg sich slowakisch unterhielt, wandte sich jede lebende Seele auf den Klang dieser seltsamen Laute um: was das wohl für Figuren sein möchten, welche Abkömmlinge eines sprachverwirrten Erbauers des Turmes von Babylon.

Gregorics lebte in solchen Zeiten nur für den Jungen. Nach der letzten Lektion wartete er schon auf ihn im Thore des Schulhauses, und der Knabe lief ihm voll Liebe entgegen, trotzdem die bösen Rangen, von welchen man voraussetzt, daß sie außer Ball- und Knopfspiel für andere weltliche Dinge keinen Sinn haben, ihren Spott mit ihm trieben wegen des roten Männchens. Sie erzählten sich, er sei der höllische Satan in eigener Person; er ist es, der die Aufgaben des Georg Wibra macht, er gießt ihm mit einer Zauberformel die aufgegebene Lektion in den Kopf, auf diese Art ist es nicht schwer, erster Eminent zu sein. Es fand sich auch unter ihnen ein Taugenichts, der auf Himmel und Erde schwur, der rätselhafte Alte habe einen Pferdefuß, wenn er seine Stiefel ablege; dem abgerissenen, roten Regenschirm, den er immer bei sich trug, dichteten sie ebenfalls irgend eine Zaubereigenschaft an, so ähnlich wie sie der Lampe des Aladin eigen ist. Stephan Parvesányi, der beste Versmacher der Klasse, schrieb auch ein Distichon an den roten Regenschirm, welches die Neider des ersten Eminenten oft zu dessen Ärgernis deklamierten. Aber Parvesányi bekam auch das Honorar dafür von Georg Wibra in Gestalt eines Backenstreiches, daß ihm das Blut aus Mund und Nase hervorquoll.

Der Knabe Georg ärgerte sich von nun an über den roten, zerrissenen Schirm, welcher »Papa-Onkelchen« vor der Klasse lächerlich machte, und eines Tages sprach er darüber mit Gregorics: »Papa-Onkelchen, Sie könnten sich wirklich schon einen neuen Schirm anschaffen.«

Der alte Herr lächelte verschmitzt.

»Was? Vielleicht gefällt dir mein Schirm nicht, du Zierbengel?«

»Man verspottet Sie seinetwegen, Papa-Onkelchen, glauben Sie mir, die Gymnasiasten haben sogar schon einen Vers darüber geschrieben.«

»Mein Söhnchen, sage den Studenten, daß nicht alles Gold ist, was glänzt, das wissen auch sie schon, aber setze hinzu, daß manchmal auch dasjenige Gold sein könne, was nicht glänzt. Einst wirst du das verstehen, wenn du groß sein wirst.«

Er wurde nachdenklich, stöberte zerstreut mit dem Stocke des Schirmes im blinkenden Flugsand herum und setzte hinzu: »Wenn der Schirm dein Eigentum sein wird.«

Georg schnitt eine gefällige Grimasse mit seinen beweglichen Mundwinkeln und Augen: »Danke schön, Papa-Onkelchen. Ich sehe schon, Sie haben ihn mir zum Namenstagsgeschenk bestimmt; aber doch nicht an Stelle des versprochenen Ponnys?«

Und er lachte übermütig, worauf auch der Alte zu lachen begann, indem er zufrieden seinen aus vier- bis fünf Härchen bestehenden Schnurrbart streichelte. Es lag in seinem Lachen etwas Listiges, Bedeutungsvolles, als ob er nach innen, in seine eigene Seele hinein lachte.

»Nein, nein, den Pony bekommst du. Aber ich versichere dich, daß der Schirm einst dir angehören und ein guter Schutz gegen Wetter und Wolken sein wird.«

»Welche Starrköpfigkeit!« dachte Georg. »Diese alten Herren hängen so an ihren gewohnten Gegenständen und überschätzen dieselben. Auch der Professor Havranek schneidet seine Federn seit einundvierzig Jahren mit demselben Federmesser, nur der Griff und die Klinge sind seitdem schon einigemal erneuert worden.« Aber eine Episode machte auch den Georg stutzig, und er unterließ endgültig alle Versuche gegen den Regenschirm. Eines Tages ruderten sie auf die »gelbe Insel,« ein kleines Eiland, welches sich bei dem Zusammenfluß der Maros und Theiß gebildet hat, und wo die Szegediner alten Fischer die köstliche Fischsuppe kochen. Die jüngeren wissen schon nicht lateinisch, und das ist die einzige Speise, zu deren Bereitung die lateinische Sprache nötig ist, und außerdem natürlich der Karpfen, der Stierl, der Paprika und das Theißwasser. So ist es aufgezeichnet im berühmten Kochbuch des Martin und spielt eigentlich nur darauf an, daß ein Weib nicht imstande ist, eine Fischsuppe zu kochen; oder auch das ist nicht unmöglich, daß es sich auf die alte dreifache Regel der Szegediner Fischer bezieht, welche sie bei der Zubereitung der Fischsuppe schon seit undenklichen Zeiten befolgt haben: »habet saporem, colorem et odorem« (sie hat Geschmack, Farbe und Duft).

Also wie gesagt, Kupeczky, Gregorics und Georg unternahmen einen Ausflug auf die gelbe Insel. Als ihr Seelentränker schon beinahe das Ufer erreichte, stieß er an ein Hindernis und kippte beinahe um. Gregorics, der im Aufstehen begriffen war, wankte, verlor das Gleichgewicht, fiel im Kahn um und ließ im Schrecken seinen Regenschirm fallen, so daß derselbe geradeaus ins Wasser glitt und der Strom ihn schön langsam flußabwärts trieb.

Gregorics schrie auf: »Ach mein Schirm!« Leichenblässe überzog sein Gesicht. Aus seinen Augen sprach Entsetzen. Die zwei Ruderer lächelten, der alte Martin Ördög bemerkte geringschätzig, seine Pfeife in den andern Mundwinkel schiebend: »Es ist nicht schade darum, Euer Wohlgeboren. Der war ohnehin schon zu nichts anderem gut, als in die Hand des ›Weizenmannes‹« (Weizenmann heißt man die aus Fetzen angezogene Vogelscheuche, die zum Abschrecken der Sperlinge in das Weizenfeld gestellt wird.)

»Hundert Gulden für den, der ihn zurückbringt!« röchelte der Alte verzweifelt.

Die Ruderer schauten sich an, der jüngere, Hans Börcsök, begann, sich die Stiefel auszuziehen.

»Spricht der Herr im Ernst?«

»Hier sind die hundert Gulden,« sprach Gregorics schwer atmend und zog aus seiner schwarzen Brieftasche die hundert-Guldennote heraus.

Hans Börcsök, ein hübsches Exemplar der Szegediner Schiffbauer, wandte sich an Kupeczky: »Ist dieser Herr nicht verrückt?« fragte er in seinem langsamen Tempo, während sich der Regenschirm sanft auf der Oberfläche des Wassers wiegte und immer weiter schwamm auf dem gewellten Rücken des trägen ungarischen Nils.

»Nein, nein,« antwortete Kupeczky, den die sonderbare Anhänglichkeit des Gregorics an den Schirm auch in Erstaunen versetzte. »So viel ist er nicht wert, domine spectabilis, auf Ehre, es ist eine große Dummheit.«

»Schnell, schnell,« keuchte Gregorics.

Jetzt erfaßte noch ein Zweifel den Hans Börcsök: »Ist die Banknote nicht falsch, Euer Wohlgeboren?«

»Nein, nein, nur schnell, schnell.«

Bei diesen Worten hatte Hans Börcsök schon seine Stiefel ausgezogen und entledigte sich seines schwarzen Spencers; in einem Nu war er ins Wasser gesprungen wie ein munterer Frosch und begann, dem Schirm nachzuschwimmen. Martin Ördög konnte ihm nicht genug nachschreien: »Du bist ein großer Esel, Iankó! Was thust du, Iankó? Steig' heraus, Iankó! Quäle dich nicht umsonst!«

Der erschrockene Gregorics sprang auf ihn los, faßte mit einer Hand seine Halsbinde und begann, ihn zu würgen: »Schreien Sie nicht, oder ich töte Sie, ich töte Sie sogleich. Wollen Sie mich zu Grunde richten?«

Martin Ördög nahm dies alles mit dem größten Gleichmute auf.

»Nun, was soll das bedeuten? Der Herr will mich doch hoffentlich nicht erwürgen? Lassen Sie mein Halstuch los!«

»So lassen Sie den Burschen nach dem Regenschirm schwimmen.«

»Aber die Henne muß doch das Hühnchen belehren,« entschuldigte sich Martin Ördög. »Hier ist der Hauptstrom des Wassers, er erreicht den Schirm nicht, doch wozu auch, denn er kommt von selbst nach einer halben Stunde auf das andere Ufer der gelben Insel, da der Fluß hier im Ring um dieselbe fließt. Nach einer halben Stunde werden die Fischer drüben ihr großes Netz ausbreiten, und der Schirm des Herrn läuft sicher hinein, sogar dann, wenn irgend ein großer Fisch ihn bis dahin verschluckt, höchstens nehmen wir den Schirm aus seinem Bauch heraus.«

Es geschah auch so, wie der alte Fischer vorausgesagt, der Regenschirm lief in das Netz ein, und groß war die Freude des Gregorics, als er sein liebstes Hab und Gut wieder in der Hand halten konnte. Ganz leichten Herzens zahlte er dem Johann Böresök die hundert Gulden aus, obzwar er den Schirm richtig nicht erreicht hatte, obendrein beschenkte er auch noch die Fischer reichlich, die tags darauf die Stadt mit der seltsamen Begebenheit vollposaunten, daß ein närrischer alter Mann hundert Gulden für das Herausfischen seines Regenschirmes gezahlt habe. Ein so fetter Karpfen war schon gar lange nicht in der Theiß geschwommen. Die neidischen Fischer und Marktweiber rieten hin und her: »War vielleicht der Griff des Schirmes aus Gold?«

»Bewahre, ganz gewöhnliches Holz.«

»So muß die Leinwand besonders fein gewesen sein?«

»Unsinn! Giebt's denn eine Leinwand auf der Welt, die hundert Gulden wert ist? Er war aus rotem Kanevas, und auch der war zerrissen und geflickt.«

»Nun, dann war das auch nicht so.«

»Und doch war es so.«

Selbst Kupeczky sagte dem Gregorics vor Georg vertraulich nach: »Ich möchte darauf wetten, daß im Schädel des Alten eine Schraube zerbrochen ist.«

»Er ist ein launenhafter, doch guter Mensch,« entschuldigte ihn Georg. »Wer weiß, welche Erinnerungen ihn an seinen Schirm fesseln?«


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