Koloman Mikszáth
Der wundertätige Regenschirm
Koloman Mikszáth

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Paul Gregorics' Tod und Nachlaß.

Das Ereignis gewann übrigens erst später nach Jahren an Bedeutung, als sich schon niemand mehr daran erinnern konnte, und als es auch Georg vergessen hatte. Dem Kupeczky konnte es schon gewiß nicht mehr in den Sinn kommen, da den alten Mentor auf die Nachricht von Paul Gregorics' Tod, die ein Telegramm, das wie der Blitz einschlug, aus Neusohl gebracht, das Fieber packte, er selbst sich ins Bett legte und folgendermaßen zu seinem schluchzenden Schüler sprach: »Georg, ich sterbe. Ich fühle, daß ich sterbe. Gregorics hat den Lebensmut in mir aufrecht erhalten. Das heißt, ich habe meinen Lebensmut ihm zuliebe aufrecht erhalten, doch jetzt lasse ich ihn sinken. Aus ist's. Ich weiß nicht, was aus dir werden wird, armer Junge! Ob wohl Gregorics für dich gesorgt hat? Aber für mich hat er nicht gesorgt. Alles ist umsonst, ich fühle, daß ich sterbe. Ich möchte wetten.«

Und er hatte die Wette gewonnen, denn Gregorics' Tod und die späteren Nachrichten wirkten auf den Alten so niederschmetternd, daß er das Bett nicht mehr verließ. Georg, der zum Begräbnisse nach Hause gereist war, wurde nach einer Woche durch seine Wirtschafterin benachrichtigt, auch der Mentor sei gestorben, man solle Begräbniskosten schicken.

Aber was war der Tod des Kupeczky im Vergleich zu dem des Gregorics? Die alte Motte hatte niemand mehr nötig, sie that wohl daran zu verschwinden, ihr Fehlen bemerkte kaum jemand. Schön bescheiden zog er sich ins Jenseits zurück, wie es sich schickt. Zeitlebens hat er auch nicht viel Wasser getrübt. Er war da, er verschwand, Punktum. Doch Paul Gregorics vollbrachte auch diese Sache gar sonderbar.

Es geschah eben am Gründonnerstag, daß der Alte zu Mittag anfing, sich über Magenkrämpfe zu beklagen, sehr erbleichte und große Schmerzen empfand, sich niederlegte und bat, ihm gewärmte Hafersäckchen auf den Magen zu legen. Ancsura brachte ihm den Hafer und richtete seine Kissen. Seine Magenkrämpfe ließen etwas nach, aber eine fürchterliche Mattigkeit überkam ihn, er schlief bis zum Abend.

Gegen Abend schlug er die Augen auf und sprach: »Gieb mir meinen Schirm, Ancsura, lege ihn mir unter den Kopf.«

»So, jetzt fühle ich mich leichter.«

Er entschlummerte wieder ein wenig, doch alsbald schreckte er mit verzerrtem Gesicht auf.

»Einen gräßlichen Traum habe ich gehabt, Ancsura. Ich träumte, ich sei ein Pferd geworden, und man führte mich auf den Markt. Meine Brüder, meine Neffen kamen hin und handelten um mich. Und ich zitterte, welcher mich wohl kaufen werde. Mein Bruder Balthasar riß mir das Maul auf besah meine Zähne und sagte: ›Der taugt schon zu nichts mehr, nur die Haut ist fünf Gulden wert.‹ Und wie sie so um mich feilschen, kommt ein Sensenmann daher und klopft mir auf die Schenkel. Jetzt noch schmerzt meine Seite davon. Ich fühle es, Ancsura, hier hat er mich abgeklopft. ›Das Pferd ist mein,‹ sagte er, ›ich kaufe es.‹ Ich schau mir den Sensenmann an, da war's der Tod. Aber den Halfter gebe ich nicht her – erwiderte mein Eigentümer. ›Mir ist es auch so recht,‹ stimmte der Sensenmann zu, ›ich werde gleich einen Halfter aus dem Nachbarladen bringen, warten Sie, ich komme sogleich.‹ Darauf bin ich aufgewacht, Ancsura. Das ist furchtbar!«

Seine rötlichen Haare standen gen Himmel, und Todesschweiß perlte an seinen Schläfen. Ancsura wischte ihn mit einem Tuche ab.

»Unsinn, glauben Sie mir, das ist Unsinn. Träume kommen nicht vom Himmel, sondern aus dem Magen.«

»Nein, nein,« stöhnte der Kranke »ich fühle, dies ist mein Ende, ich fühle es. Mir bleibt nur so viel Zeit, Ancsura, bis er den Halfter bringt. Tröste mich nicht, ich liebe das leere Geschwätz nicht, aber gieb mir rasch Tinte und Papier, ich will dem Jungen, dem Georg, eine Depesche aufsetzen, er möge sogleich nach Hause kommen. Das Kind werde ich noch erwarten. Ja, ich erwarte ihn.«

Man schob ihm einen Tisch hin, und rasch mit kräftigen Zügen schrieb er auf das Papier: »Komme schnell nach Hause, Papa-Onkelchen liegt im Sterben, er will dir etwas übergeben. Deine Mutter.«

»Der Diener trage die Depesche auf der Stelle fort.«

Er war so lange unruhig, bis der Diener nach Hause kam. Dreimal fragte er nach ihm. Endlich kam er nach Hause, aber mit einer schlechten Nachricht. Das Telegraphenamt war schon gesperrt, die Depesche konnte nicht aufgegeben werden.

»Es thut nichts, wir werden sie schon morgen aufgeben. Der Herr macht sich ohnehin nur unnötige Sorgen, es wird ihm nichts sein, aber er ist derart nervös, daß man ihn nicht aufregen darf. Sagen Sie nur drin, die Depesche sei abgegangen.«

Diese Lüge beruhigte den Kranken, er fühlte sich ganz erleichtert. Er rechnete aus, wann der Junge ankommen könne. Übermorgen zu Mittag wird er sicher hier sein.

Er schlief die Nacht hindurch ganz ruhig, des Morgens stand er auf, er war sehr bleich, sehr schwach, aber er ging umher, machte sich zu schaffen, räumte in seiner Lade unter alten Andenken. Ancsura dachte bei sich: »Es ist überflüssig, die Depesche abzusenden, es wird ihm nichts sein, schon ist ihm besser, nach einigen Tagen erholt er sich ganz.«

Den ganzen Tag wankte er herum. Nachmittags sperrte er sich in sein Schreibzimmer ein, trank eine Flasche Tokajer Ausbruch und schrieb ununterbrochen. Ancsura bat, ein einziges Mal hineinkommen zu dürfen, um zu erfahren, ob er nicht etwas benötige.

»Nichts.«

»Thut Ihnen nichts weh?«

»Die Seite schmerzt mich, die Stelle schmerzt mich, wo mich der Sensenmann im Traum geklopft hat. Dort innen thut es weh.«

»Sehr weh?«

»Sehr.«

»Soll ich nicht zum Arzt schicken?«

»Nein.«

Gegen Abend ließ er den königlichen Notar, Herrn Johann Sztolarik holen. Er war sehr vergnügt, als der Notar kam, er lachte sogar. Er bat ihn, Platz zu nehmen, und ließ noch eine Flasche Tokajer kommen. »Von der Februar-Lese, Ancsura.«

Der war noch von seinem Vater, dem bekannten Weinhändler, ihm hinterlassen; es war ein Wein aus dem Jahre, wo in Tokaj zwei Weinlesen stattfanden: eine im Februar und eine im Oktober. Nur Könige trinken davon.

Die »Februar-Lese« war infolge des im vorhergehenden Jahre früh eingetretenen Winters bis zum Frühjahr auf dem Stocke geblieben. Es läßt sich denken, welch' eigentümlich feinen, kräftigen Saft die aufgesprungenen Trauben ergaben. Der verstorbene Gregorics nannte dieses Getränk den »Lebensretter« und wiederholte immer: »Wenn ein Selbstmörder vor dem Akt zwei Gläschen voll davon trinkt, läuft er gewiß, wenn er ledig ist, zu dem Heiratsvermittler, und wenn er verheiratet ist, zum Advokaten. Das heißt: er will heiraten oder sich scheiden lassen, doch sterben keineswegs.« Sie stießen mit der starken Flüssigkeit an.

Gregorics schnalzte mit der Zunge.

»Höllisch gut. Davon hat mein Vater an meinem Geburtstage getrunken. Das war der Anfang, und ich schließe ebenfalls damit mein Ende ab.«

Dann stießen sie neuerdings mit ihren Gläsern an. Auch dem Notar mundete der Wein. Herr Gregorics zog ein versiegeltes Schriftbündel aus der Tasche.

»Darin ist mein Testament, Herr Sztolarik. Ich habe Sie deshalb rufen lassen, um es Ihnen zur Aufbewahrung zu übergeben.«

Er rieb sich die Hände und lachte.

»Gar seltsame Dinge stehen darin.«

»Die Sache ist noch verfrüht,« bemerkte Herr Sztolarik, die Schrift entgegen nehmend. »Weshalb eilen Sie so?«

Herr Gregorics lächelte matt.

»Das weiß ich schon besser als Sie, Herr Sztolarik. Aber trinken Sie noch ein Gläschen, trinken Sie noch. Lassen wir den Tod, der handelt jetzt um den Halfter. Es ist weit interessanter, Herr Sztolarik, wie mein Vater zu diesem Weine kam. Das ist eine nette Sache.«

»Ich bin ganz neugierig, Herr Gregorics.«

»Na, mein Vater war ein großer Schelm. Er arbeitete mit List, wo er auf geradem Wege nicht weiter kam. Etwas habe auch ich von dieser Schlauheit geerbt, aber das ist nicht die richtige, was übrigens ohnehin schon alles eins ist. In Zemplin lebte ein Nabob, ein sehr, sehr reicher Graf, der nebenbei ein großer Esel war. Das heißt, er war nur ein gutherziger Mensch, der anderen gern Freude bereitete. Nun eben deshalb war er ja ein großer Esel. Mein Vater pflegte Weine von ihm zu kaufen, und wenn sie einen guten Kauf abgeschlossen, bot ihm der Graf jedesmal von diesem Nektar ein Liliputaner-Gläschen an. Es war natürlich, daß er als leidenschaftlicher Weinhändler den Grafen in einem fort molestierte, er möge ihm ein oder zwei Eimer von diesem Weine verkaufen, aber der wollte gar nichts davon hören: ›Nicht einmal Kaiser Franz besitzt soviel Geld, um den kaufen zu können‹ Nun einmal, als sie eben einen Weinkauf mit dem ›Lebensretter‹ besiegelten, fängt plötzlich mein Gottseliger zu seufzen an: ›O, welch' köstlicher Saft, o, welch' vorzüglicher Trank, o, wenn mein armes krankes Weib täglich davon trinken könnte, wenn auch nur einen Fingerhut voll, zwei Wochen lang, dann würde sie sicher genesen.‹ Dadurch wurde der edle Graf gerührt, ließ sofort seinen Kellermeister holen und erteilte ihm den Befehl: ›Füllen Sie die Feldflasche des Herrn Gregorics aus dem ›Lebensretter‹-Fasse.‹ Nach einigen Tagen erhielt der Graf Gäste, hübsche Damen, welchen er vom Feentrank anbieten wollte, doch der Kellermeister meldete: ›Kein Tropfen davon ist mehr da.‹ – ›Wohin haben Sie ihn denn gethan?‹ fuhr der Graf erstaunt auf. ›Alles ist in die Feldflasche des Gregorics hineingegangen, es war nicht einmal genug.‹ Mein Alter hatte nämlich eine drei Eimer große Feldflasche zu Hause vom Böttcher Pivák verfertigen lassen (der alte Pivák lebt noch heute und erinnert sich daran), die hatte er eigens auf einem gemieteten Fuhrwerk nach Zemplin gebracht, um auf diesem Wege zu dem Weine zu gelangen. Aber gelt, er ist sehr gut? Nun trinken Sie noch ein Gläschen auf den Weg, Herr Sztolarik.«

Sobald der Notar sich verabschiedet hatte, rief er den Diener Matykó herbei.

»Geh' sogleich zum Klempner und kaufe einen Kessel bei ihm. Dann suche mir, für wie viel Geld es auch sei, zwei Maurer. Aber daß du dir ja nicht einfallen läßt, ein Sterbenswörtchen von all dem jemand zu erzählen.«

Hei, und eben das war die schwache Seite des Matykó. Wenn man es wenigstens nicht verboten hätte! Dann wäre es vielleicht noch möglich zu schweigen.

»Geh' rasch und handle rasch! Nimm die Füße in die Hand!«

Bevor man die Lichter anzündete, waren sowohl die Maurer als auch der Kessel dort. Paul Gregorics rief die zwei Handwerker in sein innerstes Zimmer und sperrte sorglich die Thüren ab.

»Wißt ihr wohl zu schweigen?«

Die Maurer sahen sich an, dachten nach, endlich antwortete der ältere: »Nun, schweigen kann doch der Mensch, er fängt ja gleich damit an, wenn er zur Welt kommt. Und so lange, bis man reden lernt, ist es auch nicht schwer.«

»Später kann man es auch versuchen,« sagte der jüngere Maurer – »wenn es sich lohnt.«

»Nun, es lohnt sich. Ihr bekommt je fünfzig Gulden, wenn ihr heute Nacht eine solche Öffnung in die Zwischenmauer baut, in welcher ein Kessel Platz hat, und diese wieder so vermauert, daß niemand es bemerken kann.«

»Nur das?«

»Nur eben das. Und von nun an gebühren euch jährlich je fünfzig Gulden vom Eigentümer des Hauses, so lange ihr über die Sache schweigt.«

Die Maurer sahen sich wieder an und der ältere antwortete: »Wir werden es machen. Wo soll die Arbeit gethan werden?«

»Ich werde euch führen.«

Gregorics nahm einen rostigen Schlüssel vom Nagel herab, dann ließ er die Arbeiter vorausgehen und folgte ihnen in den Hof, trotzdem ihm das Gehen schwer fiel.

»Kommt mir nach.«

Er ging den Garten entlang. Hinter dem Garten stand »der Libanon,« ein kleines Steinhäuschen, in einem Grunde von zwei Joch, welcher dicht mit Apfelbäumen bepflanzt war. Äpfel mit köstlichem Aroma wuchsen hier. Diesen zuliebe kaufte Gregorics das kleine Haus von der Witwe des Seelsorgers und schenkte es dem kleinen Georg, auf dessen Namen es auch gleich geschrieben wurde. So lange Georg zu Hause war, hatte er dort mit Kupeczky sein Quartier aufgeschlagen, seitdem stand es unbewohnt, verlassen da.

In dieses kleine Häuschen führte Gregorics die Maurer, bezeichnete die Stelle in der Steinwand, wo sie die Nische aushöhlen sollten und ordnete an, ihn zu holen, sobald sie fertig wären, um dann den Kessel hintragen zu können, bei dessen Einmauern er selbst bis zu Ende gegenwärtig sein wollte.

Bis Mitternacht war das Loch fertig. Die Maurer kamen und klopften an das Fenster, Gregorics ließ sie ein. Der Kessel stand schon in der Mitte des Zimmers. Man sah aber nichts anderes als Sägemehl, doch war er trotzdem entsetzlich schwer, die zwei Maurer konnten ihn kaum tragen. Der Inhalt war unsichtbar.

Gregorics folgte ihnen auf dem Fuße nach. Dann rührte er sich nicht weg, so lange, bis sie die Öffnung vermauert und dieselbe verputzt hatten.

»Wenn es der Herr morgen übertünchen läßt, würde nicht einmal der Teufel die Stelle übermorgen finden können.«

»Ich bin zufrieden,« sagte Paul Gregorics und zahlte ihnen die versprochene Summe aus.

»Jetzt könnt ihr fortgehen.«

Der ältere Maurer schien sich zu wundern, daß man ihn so leichten Kaufes fortließ.

»Früher ging's bei ähnlichen Anlässen ganz anders zu,« sagte er mit einer gewissen Geringschätzung. »Ich habe von derartigen Sachen gelesen und auch gehört. Früher ließ man gewöhnlich bei solchen Gelegenheiten den Maurern die Augen ausstechen, damit auch sie sich nicht mehr hinfinden könnten; aber auch das ist wahr, daß sie nicht fünfzig Gulden dafür erhielten, sondern hundertmal so viel.«

»Das war noch in den guten alten Zeiten!« seufzte der andere auf.

Doch Paul Gregorics ließ sich mit ihnen nicht weiter ein, sperrte die schwere Eichenthür des Häuschens ab und ging nach Hause, um sich niederzulegen.

Den Morgen darauf stellten sich die Magenkrämpfe wieder ein, er stöhnte und litt viel in seinen Schmerzen. Die Lorbeertropfen und das auf den Magen gelegte Senfpapier verschafften ihm nur eine momentane Erleichterung. Er wurde entsetzlich matt, und in seinen Augenhöhlen verbreitete sich ein stumpfes, gespenstisches Dunkel. Er ächzte, murmelte und zeigte nur hier und da Interesse für die Außenwelt.

»Richte ein gutes Mittagsessen her, Ancsura, ein gutes Mittagsessen. Auch Mohnnudeln sollen dabei sein, denn der Junge kommt zu Mittag an.«

Nach einer halben Stunde wandte er sich wieder an Ancsura: »Bereite die Mohnnudeln mit Honig, Ancsura, denn so ißt sie der Junge gern.«

Für sich verlangte er Sauerwasser, er trank fortwährend, er leerte auf einmal eine ganze Flasche Sauerwasser aus, es bekam ihm sehr wohl, er mußte entsetzliche innere Hitze haben.

Gegen Mittag wurden die Krämpfe noch heftiger, und er begann, Blut zu husten. Ancsura erschrak und brach in Weinen aus. Sie fragte, ob sie nicht zum Arzt oder zum Geistlichen schicken solle.

Gregorics schüttelte den Kopf.

»Nein, nein. Ich bin schon fertig. Alles ist in Ordnung. Ich warte nur noch auf den Jungen. Wie viel Uhr ist es jetzt?«

Gerade erklang die Mittagsglocke im Münster.

»Um diese Zeit kommt der Postwagen mit den Reisenden an. Geh', sag' dem Matykó, er soll sich vor das Thor stellen und den Georg erwarten, damit er seine Tasche hereinbringt.«

Ancsura rang die Hände in ihrer Verzweiflung. Soll sie gestehen, daß sie die Depesche an den Jungen nicht abgeschickt hat? Mein Gott, wie sehnlich er ihn erwartet!

Sie getraute sich nicht, es einzugestehen, trieb lieber die Verstellung weiter und sagte, es wäre gut, sie würde den Mathias hinausschicken.

Jedoch der Kranke wurde immer ungeduldiger.

»Trage dem Mathias das Horn hinaus, Ancsura. (Ein riesiges Hirschhorn hing an einer grünen Schnur an der Wand.) Er soll hineinblasen, wenn der Junge ankommt, damit ich es auch dadurch frischer erfahre.« Nun, auch das Horn mußte abgenommen und hinausgetragen werden, doch Ancsura getraute sich jetzt noch weniger, ihre Versäumnis einzugestehen.

Nach all dem beruhigte sich der Kranke, er stöhnte nicht, er keuchte nicht, sondern horchte, sein Haupt öfters von den Kissen erhebend, und streichelte den Griff des abgetragenen Regenschirmes, der an seinen Kopf gelehnt war, als ob ihm dies Erleichterung verschaffte.

»Öffne das Fenster, Ancsura, damit ich das Blasen des Matykó hören kann.«

Durch das geöffnete Fenster strömte das Sonnenlicht herein, und der säuselnde Wind trieb berauschenden Akazienduft vor sich her. Gregorics sog ihn ein, und Sonnenstrahl und Akazienduft regten noch einmal längst abgestumpfte Sinne seiner Seele an.

»Streichle mir die Stirne mit deiner Handfläche, Ancsura,« keuchte er kaum hörbar, »noch einmal möchte ich Weiberhand auf meinem Leibe fühlen.«

Er schloß die Augen, während Ancsura die Hände auf seinen Schläfen hielt, es schien ihm wohl zu thun, den Kopf so eingepreßt zu fühlen. Nicht die geringste Hitze zeigte sich auf seiner Stirn, sie war sogar eher kalt und trocken, die Haut besaß nicht die gewöhnliche Feuchtigkeit, sie war spröde und schälte sich beinahe.

Der Kranke seufzte: »Deine Hand ist nicht glatt genug? nicht genug ... Deine Hand ist rauh geworden, Ancsura.«

Dann setzte er hinzu: »Doch die Hand des Bübchens, die ist so weich, so warm ...«

Er lächelte matt und öffnete wieder die Augen: »Hast du nichts gehört? Pst! Als ob der Matykó bliese?«

»Ich glaube kaum, ich höre nichts.«

Gregorics wies gereizt mit seinen Händen in das nächste Zimmer.

»Diese Hundeuhr rasselt dort, die stört, die ärgert mich. Halte sie an, Ancsura, schnell, schnell.« Eine altertümliche Uhr tickte im Nebenzimmer auf der Kommode. Es war eine schöne Uhr, die noch der Vater des Gregorics gekauft, als man in Gomör bei einem Herrn von Szentivanyi licitiert hatte. Sie stellte eine Vorhalle aus Ebenholz dar mit zwei Alabastersäulen und goldener Treppenbarriere, in der Vorhalle schwang sich ein Pendel mit einer großen Scheibe von einer Wand zur andern unter dumpfem, krachendem Ticken.

Ancsura stellte sich auf einen Stuhl und sich emporstreckend brachte sie den Pendel zum Stehen.

In diesem Momente ließ sich in der eingetretenen Stille ein röchelnder Schrei vernehmen, ein unverständlicher Mißton, als riefe der Kranke erstickend aus: »Ich höre das Horn, ich höre es,« dann wieder ein Röcheln und ein Fall.

Ancsura sprang hinab und lief ins Schlafzimmer. Da war schon alles still, das Bett von Blut überströmt, und Gregorics lag dort, tot, bleich, mit offenen, starren Augen. Die eine Hand hing herab und hielt den Regenschirm krampfhaft fest.

So endete der arme Paul Gregorics. Die Nachricht seines Todes verbreitete sich rasch bei den Verwandten und Nachbarn. Der städtische Arzt gab als Ursache des Todes ein Magengeschwür an. Er plapperte etwas mit lateinischen Worten untermischt, daß die Magenwand durchlöchert wäre, daher rühre der Blutsturz, und wenn man ihn früher gerufen hätte, so wäre noch Hilfe möglich gewesen.

Bruder Balthasar erschien auf der Stelle, sowie auch Kaspar mit all seinen Kindern. Frau Panyoki (geb. Esmeralda Gregorics), die älteste Halbschwester des Verstorbenen, die den Sommer über auf dem Lande wohnte und erst gegen Abend Kenntnis von dem traurigen Fall erhielt, heulte verzweifelt: »Welch ein Schlag! welch ein Schlag, daß er im Sommer sterben mußte. Ich habe immer gebetet, er soll im Winter sterben und nicht im Sommer, und siehe, er stirbt doch jetzt. Ist es also der Mühe wert, in der heutigen Welt zu beten? Mein Gott, welch ein Schlag! Diese zwei Diebeskerle stehlen mir unterdessen alles vor der Nase weg.«

Sie ließ sofort einspannen, begab sich in aller Eile nach Neusohl, kam jedoch erst in der Nacht an, als Balthasar und Kaspar alles durchstöbert, in allem herumgewühlt und die Herrschaft vollständig an sich gerissen hatten, sogar die Ancsura jagten sie weg. Die fromme Seele widersetzte sich umsonst, das Haus sei ja ihr Eigentum, auf ihren Namen geschrieben und sie der Herr hier.

»Nur die vier Wände gehören Euch,« replizierte Herr Kaspar, »die werdet Ihr bekommen! Alles andere gehört uns. Hier hat eine Person mit einem unreinen Lebenswandel nichts zu suchen. Packt Euch von hier.«

Der Kaspar war Advokat und sehr redegewandt, wie hätte die Ancsura gegen ihn aufkommen können? Sie weinte nur, weinte immerzu, dann nahm sie ihr Tuch, ihre Truhe, ihr Bündel und siedelte zur Mutter des Matykó über, doch erst untersuchten noch die gottlosen Gregorics ihre Sachen, ob sie nicht darunter Schätze, Sparkassenbücher und dergleichen mehr mit forttrage.

Den dritten Tag wurde Paul Gregorics zu Grabe getragen. Es war ein mageres, ärmliches Begräbnis, niemand beweinte den Verstorbenen, nur die arme Ancsura, die sich wegen der bösen Verwandtschaft gar nicht an den Sarg heranwagte, sondern nur irgendwo hinten sich beiseite schob. Der Knabe war von Szegedin nicht angekommen. (Es ist besser so, daß er sich verspätet, sie hätten ihn noch vielleicht aus dem Hofe hinausgejagt.) Trotzdem aber die Ancsura hinten stand, sah man doch nur sie an, sie fiel jedermann ins Auge, noch mehr aber das große, herrschaftliche Gregoricshaus, das ihr als Erbteil zugefallen war; und als sie zufällig ihr thränenfeuchtes Taschentuch fallen ließ, stürzten alle Witwer der Trauerversammlung herbei, darunter auch ein Ratsherr, um es aufzuheben.

Das fallengelassene Taschentuch war der Maßstab dessen, wie hoch sie in der Meinung der Menschen mit dem heutigen Tage gestiegen war.

Den dritten Tag versammelte sich die ganze Verwandtschaft bei dem königlichen Notar Sztolarik, wo das Testament eröffnet wurde. Nun, das war freilich ein wenig sonderbar. Der ungarischen Akademie der Wissenschaften hinterließ der Alte zweitausend Gulden.

Er testierte ferner allen Frauenspersonen, die er besser gekannt, die er nicht zu besuchen gepflegt, oder denen er den Hof gemacht hatte, einzeln je zweitausend Gulden. Und solche Damen zählte er nun beim Namen auf, die Summe der Legate, zwanzigtausend Gulden ö. W. hatte er in Bargeld dem Testament beigeschlossen und mit deren Verteilung den Notar Sztolarik betraut.

Atemlos lauschten die Verwandten bis hierher und Bruder Balthasar oder manchmal Bruder Kaspar drückten bei den einzelnen Punkten ihre Beruhigung mit einem Kopfnicken aus, eventuell mit irgend einem Zwischenrufe, wie: »Nun, auch das ist recht.«

»Dies ist nur billig.«

»In Gottes Namen.«

»Er hat wohl daran gethan.«

Nur Frau Panyoki grinste höhnisch, als die Namen der neun Frauen vorgelesen wurden: »Ei nun! Wie sonderbar ... wie sonderbar!«

Bruder Balthasar, der meinte, »es sei nicht der Mühe wert, sich bei Kleinigkeiten aufzuhalten« (der arme Paul war ja sein ganzes Leben lang verrückt), rief, seine Großmut zur Schau tragend, aus: »Lesen Sie weiter, Herr Notar'«

Der Notar antwortete kurz: »Es ist nichts weiter da.«

Ausrufe der Verwunderung ließen sich hören. Sie stürzten alle auf das Testament zu.

»Das ist unmöglich.«

Der Notar zuckte die Achseln: »Und doch ist kein Buchstabe weiter darin.«

»Jedoch das übrige Vermögen? Die böhmische Besitzung?«

»Darüber verfügt das Testament nicht. Ich kann nur lesen, was darin steht. Das können die Herren wohl einsehen.«

»Unbegreiflich!« keuchte Kaspar Gregorics.

»Das Sonderbarste ist am Ganzen,« meinte Balthasar, »daß er sich seiner Köchin, sowie ihres Fratzen nicht erinnert, trotzdem die ganze Welt die Sache durchschaut.«

»Ja, ja,« bestärkte Kaspar, »dahinter steckt ein Schwindel.«

Der Notar beeilte sich, sie zu beruhigen.

»Schließlich kann ja das den Herren alles eins sein. Was an Vermögensüberschuß da sein wird, gehört ohne Zweifel den Geschwistern.«

»Ja, ja,« bemerkte Kaspar, »was die Liegenschaften anbelangt. Aber wo ist das Bargeld? Denn viel, sehr viel Bargeld muß er besessen haben. Ich befürchte, damit ist irgend ein Mißbrauch geschehen.«

Frau Panyoki sah mißtrauisch ihre Brüder an.


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