Koloman Mikszáth
Der wundertätige Regenschirm
Koloman Mikszáth

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Vierter Teil

Die Intelligenz von Bábaszék

Ein Souper beim Bürgermeister Mravucsán

Ich will nicht breit erzählen, was sich noch weiter zutrug. Nur mit Christi Gewändern geschah das Wunder, daß sie mit dem Kinde zugleich wuchsen. Das kleine Mäntelchen, welches er als Knäblein getragen, war noch dasselbe, welches die Glieder des nach Golgatha schreitenden Mannes Jesus bedeckte.

Seitdem giebt es solche Mäntel nicht mehr (zur großen Freude der Schneider), nur unter der Hand der Romanschriftsteller entstehen noch hier und da ähnliche Wunder; der geringe Stoff, für ein Westchen genug, dehnt sich unter ihrer Feder zu ganzen Ballen aus.

Doch ich bin kein Freund dieses Verfahrens und will nur kurz über das Nachtmahl bei Mravucsáns hinweggehen, trotzdem es vorzüglich und schmackhaft war – und wenn sich ein Unzufriedener gefunden, konnte dies nur Madame Kriszbay sein, die bei dem ersten Gang, dem köstlichen Lammpaprikasch, sich den Mund verbrannte und aufschrie: »Ach, da beißt mich etwas in der Kehle!«

Noch weniger konnte das zweite Gericht: Topfnudeln mit Speckgrieben ihr Gefallen erregen, denn sie legte ihre Gabel mit einer häßlichen Grimasse nieder, sobald sie davon gekostet hatte: »Mon Dieu, das sind ja kleingeschnittene, nasse Lappen!«

Die arme Frau Mravucsán war ganz konsterniert, daß Madame Kriszbay nichts essen wollte.

»Welch eine Schande ist das für mich,« jammerte sie. Zum Schlusse brachte sie ihr übriggebliebenes eingesottenes Obst herbei, welchem Madame Kriszbay auch tüchtig zusprach, und sowie sie sich langsam mit ihrem Magen aussöhnte, begann sie sich auch mit ihrer Lage zu befreunden.

Und mit Recht, denn der lutherische Geistliche des Ortes, der hochwürdige Herr Samuel Rafanides und der Kantor Teophil Klempa amüsierten sie bei Tische, der eine links, der andere rechts. Schon die Einladung an die beiden lautete folgendermaßen: »Sie müssen kommen, denn eine deutsche Frauensperson wird bei dem Nachtmahl zugegen sein, die Sie zerstreuen müssen.« Aber sie thaten auch ihr Möglichstes aus lauter »Flanz.« Denn beide wollten vor den Senatoren beweisen, wie bewandert sie in der feinen deutschen Konversation wären.

Madame Kriszbay fand ihre Nachbarn angenehm, besonders als sie erfuhr, daß der hochwürdige Herr Samuel Rafanides ein heiratsfähiger Mann sei. Wie? Also hier pflegen die Geistlichen zu heiraten? (Vielleicht ist sie doch in ein gutes Land geraten!)

Der Kantor war ein hübscherer Mann, aber schon verheiratet und älter. Sein intelligentes ovales Gesicht fand seine Fortsetzung in einem glänzenden, langen, schwarzen Barte, welcher seine ganze Brust bedeckte, außerdem offenbarte sich auch ewiger Witz in ihm, doch dieser sickerte aus ihm nur so heraus wie aus rauhen Baumstämmen das Harz.

Madame Kriszbay lachte oft auf bei einem gelungenen Einfall, schade, daß sie nicht wagte, sich dem Lachreiz ganz hinzugeben, denn in ihrer Kehle kratzte noch immer der verdammte Paprika oder nur die furchtbare Rückerinnerung daran. Ihr wachsgelbes Gesicht wurde öfters rot, sie bemühte sich sichtlich, den Husten zu unterdrücken, welcher nicht nur der Vorbote des Alters, sondern auch ungebührlich ist.

»Ei, das ist ja nichts,« munterte sie Frau Mravucsán auf, »husten Sie sich nur getrost aus, meine Liebe! Kutz, kutz! Husten und Armut lassen sich nicht verheimlichen.«

Sie fühlte sich immer wohler, denn der ehrwürdige Herr besaß auch noch den Vorteil, daß er einst in München die Schule besucht hatte und kleine Anekdoten aus dem dortigen Leben zu erzählen wußte, im dortigen Dialekt, was Madame so gut gefiel, als ob man ihre Seele in Honig badete.

Der ehrwürdige Herr Samuel Rafanides gehörte durchaus nicht zu den langweiligen, frömmelnden Geistlichen, und obzwar der berühmte slowakische Spruch von Bábaszék, welchen Teophil Klempa so geistvoll zusammengestellt hatte, daß er von rückwärts gelesen, denselben Sinn hatte: »szedi na fare Rafanidesz« (Rafanides sitzt auf der Pfarre) ihn als zu Haus auf der Pfarre sitzenden Mann schilderte, war er doch eben das Gegenteil eines Stubenhockers und wanderte und strich ewig umher. Mit einem Wort, er hatte gutes Blut, und schon aus seiner früheren Gemeinde (irgendwo im Komitate Neograd) mußte er sich wegen einer Weiberangelegenheit entfernen. Frau Mravucsán weiß von der Geschichte, sie kennt sogar die betreffende Frau, eine gewisse Frau Matthias Baho: sie muß eine dumme Person sein, denn sie selbst hat ihr Verhältnis mit dem Geistlichen vor ihrem Manne, dem Oberkurator, ausgeplauscht: außerdem ist sie auch keine große Schönheit, denn Frau Mravucsán hat sich Wort für Wort folgendermaßen geäußert: »Rafanides war dumm, sich mit ihr einzulassen. Von einer häßlichen Frau darf man keinen Kuß, von einem armen Menschen keine Anleihe begehren, denn sie prahlen gleich damit.«

So äußerte sich Frau Mravucsán; freilich setzte sie hinzu: »Wenn sich jedoch jemand auf mich berufen sollte, werde ich es ableugnen.« Deshalb kann ich nicht einmal dafür gutstehen, daß sich Frau Mravucsán so geäußert hat, denn ich könnte es nicht beweisen.

Doch das ändert nichts an der Sache. Die trockne Thatsache ist die, daß Madame Kriszbay heiter mit ihren Nachbarn plauderte. Die zwei hochgebildeten Männer brachten ihr eine günstigere Meinung über Ungarn bei. Ein wahres Glück, daß sie slowakisch nicht verstand und jene gewöhnlichere Unterhaltung nicht hören konnte, welche die andern eingeladenen Notabilitäten von Bábaszék untereinander pflogen. Denn was wahr ist, ist wahr, auch dies sind kluge Leute, aber auf ihre eigene Art. Die schöne Veronika lächelte öfter als einmal über ihre Späße, denn sie hatte dieselben noch nicht gehört, doch die Eingeborenen kannten schon alle diese Tafelwitze.

Eigentlich ist es eine Gottversuchung, ein solches Nachtmahl schildern zu wollen. Es geschieht ja nichts Nennenswertes. Man ißt, trinkt und geht dann nach Hause. Werden vielleicht interessante Dinge besprochen? Keineswegs. Tausend Nichtigkeiten tauchen auf. Gott behüte einen, das zu drucken. Und doch wird man in Bábaszék noch tagelang von diesen Nichtigkeiten sprechen, daß Herr Mravucsán den roten Wein vergoß, und wie dieser über das Tischtuch floß und man es mit Salz zu bestreuen begann, Senator Konopka ausrief: »Ei, Frau Gevatterin, es giebt eine Kindtaufe!«

Frau Mravucsán errötete natürlich, während Veronika mit unschuldigem Gesicht fragte: »Wie läßt sich daraus eine Taufe bestimmen?«

(Entweder ist das Mädchen noch ein großes Gänschen oder schon eine große Schauspielerin.)

Wie soll man ihr darauf antworten? Denn sie hat ein Gesicht, so sanft, wie das der Jungfrau Maria gewesen sein muß, als dieselbe noch ein Mädchen mit kurzen Röcken war. Sie blickten sich alle gegenseitig an. Doch zum Glücke war die Frau des Försters Wladimir Szliminszky anwesend. Diese Frau mit dem erfinderischen Kopf gab folgende Erklärung: »Nun, mein Fräulein, die Sache verhält sich folgendermaßen, daß der Storch, der die Kinder zu bringen pflegt, unsichtbar voraus erscheint und das Glas als Mahnzeichen umwirft.«

Veronika dachte eine Weile nach, dann schüttelte sie ungläubig ihren schönen Kopf, um den die Glorie der Unschuld zu schweben schien.

»Aber ich habs ja gesehen, wie der geistliche Herr das Glas mit seinem Ellbogen umgeworfen hat!«

Darauf wußte Frau Szliminszky nicht zu antworten und streichelte und liebkoste ihren Gatten den ganzen Abend ihrer Gewohnheit gemäß.

»Kratze das Fett von deinem Gänsebraten, Wladin!«

Wladin runzelte ärgerlich die Stirn, und an seinem mageren Halse bewegte sich der Adamsapfel rascher hin und her, immer ein Zeichen, daß er böse ist.

»Wenn ich das aber am meisten liebe!«

»Gleichviel, Wladin. Ich gebe es nicht zu. Die Gesundheit geht vor.«

Wladin entfernt gehorsam die fetten Teile.

»Warum ist dein Rock aufgeknöpft? Fühlst du nicht, daß es kühl ist? Knöpfe sogleich deinen Rock zu, Wladin.«

Der Förster knöpft seinen Rock zu und greift mit dem wohlthuenden Gefühle der erfüllten Pflicht wieder zur Schüssel.

»Keinen Bissen mehr, Wladin! Du hast genug! Du sollst heute Nacht nicht von Ochsen träumen.«

Wladin legt gehorsam die Gabel nieder und will ein Glas Wasser trinken.

»Gieb es mir erst her,« ruft ihm die Dame erschrocken zu, »damit ich mich überzeuge, ob es nicht gar zu kalt ist.«

Wladin reicht ihr das Wasserglas.

»Du kannst ein wenig trinken. Es ist lau genug. Aber trinke nicht zu viel, viel Flüssigkeit im Magen thut nicht gut. Nun, was giebt's, Wladin? Du trinkst ja wie ein Regenbogen. Genug, genug, um des Himmels willen!«

Armer Wladimir! Märtyrer der ehelichen Liebe! Seit sechzehn Jahren steht er unter unaufhörlicher Pflege und wartet, trotzdem er als kräftiger Mann geheiratet und auch seitdem nie krank gewesen, zu jeder Stunde auf die Katastrophe, denn infolge der fortwährenden Bevormundung glaubt der einfältige Pole heilig, daß es nur eines Luftzuges oder eines schlechten Bissens bedürfe, um sein Ende herbeizuführen. Er fühlt, er fühlt überall die Natur in tausend Gestalten mit mörderischer Absicht um ihn herumschleichen.

»Gieb acht, Wladin! Der Hund wird dir ins Bein beißen!«

Unter dem Tische nagt ein Schäferhund an einem hinuntergeworfenen Knochen und schleicht zwischen den Beinen der Gäste herum, weiterhin miaut die Katze jämmerlich, als ob sie sagen wollte: »Gebt mir auch etwas von diesen vielen Eßwaren ab!«

Die sogenannte »amabilis confusio« beginnt sich einzustellen. Jeder spricht, jeder von etwas anderem, jeder zu einem andern. Die Senatoren kommen wieder auf die öffentlichen Angelegenheiten, auf den aus dem Falle des gehängten Mannes entstandenen Konflikt zu sprechen. Frau Mravucsán klagt, daß niemand etwas gegessen habe, und wahre Betrübnis lagert deshalb auf ihrem ehrlichen, einfachen Antlitz. Teophil Klempa, dessen Zunge der rote Wein gelöst hat, ruft, um die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, da sich ohnehin der Geistliche mit Madame Kriszbay beschäftigt: »Meine Herren Senatoren, ich will eine bußfertige Beichte ablegen.«

»Hört! Wovon?«

»Vom Selbstmord der Hunde.«

Ah, das ist eine merkwürdige Sache. Allgemeine Aufmerksamkeit entsteht, sogar der Geistliche muß seine Plauderei abbrechen.

»Pst, pst! Hören wir den Selbstmord der Hunde!«

Seit einiger Zeit nämlich beginnt es in der Gegend große Sensation zu erregen, daß man jeden Morgen im Bienenstande des Kantor Klempa einen toten Hund findet, der mit einem Gewehr einen Selbstmord begangen hat; er hat sich jedoch nicht vor den Kopf geschossen, sondern in das Rückgrat.

»Ich bin der Mörder,« erzählt Klempa. »Ich pflege folgendermaßen vorzugehen: ich stecke den Lauf einer geladenen Flinte in den obern Teil des leeren Bienenkorbes, binde an den außengebliebenen und gespannten Drücker eine Schnur, mit der ich den Schaft des Gewehres umwinde, und, die Schnur unter der Klappe durchziehend, führe ich sie auch in das Innere des Korbes hinein. Schließlich binde ich ein Stück Fleisch an das Ende der Schnur, der Hund nähert sich, beschnuppert das Fleisch, steckt darum den Kopf in das Innere des Bienenkorbes und beginnt natürlich, das Fleisch mit den Zähnen zu zerren, worauf die Flinte losgeht, bum, und der Tod sich einstellt.«

Der Hundetod wird mit homerischem Gelächter aufgenommen, und Mravucsán zieht sogleich folgende Moral daraus: »Es giebt ohne Zweifel vielerlei Selbstmorde, doch der schrecklichste mag doch der aus Durst hervorgerufene Selbstmord sein. Trinken wir also, meine Herren!«

Die Gläser klingen aneinander, in den heitern Klang mischt sich eine Stimme: »Ei, Wladin, Wladin!«

Das ist die Stimme der Frau Szliminszky, die es übelnimmt, daß auch Wladin zu seinem Glase greift. Ihr wieder nimmt es Mokry, der stutzerhafte Notaradjunkt übel, daß sie, trotz des interessanten Themas, mit welchem er sie amüsierte, mit ihrer Aufmerksamkeit ewig nur ihren Mann verfolgt.

»Diese starke Cigarre wird dir schaden, Wladin! Lege sie doch nieder! Einige Züge davon könnten dir genügen! ... Also, weshalb waren Sie noch in Neusohl, lieber Mokry?«

»Viele Kleinigkeiten habe ich zu besorgen gehabt, und obendrein habe ich diesen Anzug, den ich jetzt trage, von der ›Ziege‹ nach Hause gebracht.«

Er betrachtete mit bewunderndem Wohlgefallen seinen dunkelblauen neuen Anzug, wer weiß zum wievieltenmal heute Abend.

»Ein hübscher Anzug. Wie teuer war er?«

»Ich habe ihn nach Maß bei dem Schneider Klener anfertigen lassen, er ist eigens für mich zugeschnitten worden.«

»Wie viel haben Sie dafür gezahlt?«

»Das ist galizisches Tuch, so stark, daß auch das Wasser nicht durchdringen kann, bei Tag müßten Sie es ansehen.«

»Freilich, doch war der Preis ein hoher?« antwortete zerstreut das polnische Frauchen.

»Ich habe das unberührte Stück Tuch gesehen, sogar der gelbe Anfang war noch daran. Ich war zugegen, als man es abschnitt. Es hat ein ganz eigentümliches Farbenspiel im Sonnenlicht.«

»Gut, gut, aber ich frage nach dem Preise.«

Jedoch es war nicht so leicht, Mokry aus seinem Geleise zu bringen, wenn er von seinem neuen Anzug reden konnte.

»Der Klener hat einen Zuschneider, einen gewissen Kupek. Früher war er bei einem Hofschneider in Wien. Dieser Kupek sprach zu mir: ›Es soll Ihnen nicht leid um das Geld sein, Herr Mokry, denn das ist ein Stoff, daß selbst das Leder sich daneben verstecken muß.‹ Fassen Sie es nur an, Frau Försterin!«

»Weich wie Seide... Wladin, mein Söhnchen, du solltest deinen Platz mit mir wechseln. Dort kann dich leicht ein Luftzug berühren, wenn die Thür geöffnet wird. Nun, weshalb schneidest du ein solch trotziges, böses Gesicht? Du willst mir vielleicht gar widersprechen? Eins, zwei, drei, setze dich herüber, Wladin!«

Der Märtyrer der Liebe tauscht seinen Platz mit demjenigen seiner Frau, und jetzt gerät Frau Szliminszky auf die andere Seite hinüber, neben den jungen Advokaten Wibra, der hauptsächlich mit Veronika beschäftigt ist. Auch der Backfisch plaudert mit Georg, als ob man ihm die Zunge gelöst hätte. Der berühmte, kluge Mann, von dem man sich erzählt, daß er dereinst der Deputierte von Neusohl sein wird, hört ihr mit so gespanntem Interesse zu, als ob ein Bischof redete. Nicht um die Welt möchte er die Augen von ihr wenden, außer dann für einen Moment, wenn Veronika die ihrigen zu ihm aufschlägt.

Sie plaudern leise, man könnte glauben von Gott weiß wie wichtigen Dingen, und doch besprechen sie nur lauter Nichtigkeiten. Was Veronika tagsüber zu thun gewöhnt ist? Nun, sie liest, geht spazieren, daraus entspringt die nächste Frage: was liest sie, wo geht sie spazieren? Veronika zählt die Bücher her. Die hat auch Georg alle gelesen, und sie fangen an, die Helden der Romane zu besprechen, gleich gemeinsamen Bekannten: Elemer, den Adler, Iwan Berend, Elschen Ankerschmidt, Aranka Beldi. Der Paul Beldi war eigentlich ein großer Esel, daß er das Fürstentum nicht angenommen hat.

Doch wer weiß, ob er nicht wohlgethan, denn wenn er es angenommen, woraus wäre dann der schöne Roman entstanden?

Dann erkundigt sich der Advokat nach Glogowa, ob es wohl sehr langweilig sei?

Veronika schlägt verwundert ihre dunkelblauen Augen zu ihm auf: »Wie könnte Glogowa langweilig sein?« (Als ob ein unwissender Mensch gefragt hätte, ob wohl Paris langweilig sei.)

»Giebt es in Glogowa einen Wald?«

»Und was für einen Wald.«

»Pflegen Sie hinaus zu gehen?«

»Gewiß.«

»Und Sie fürchten sich nicht?«

»Wovor?«

»Nun, Sie wissen wohl, der Wald hat manchmal gewisse Bewohner.«

»Ach, die Bewohner unseres Waldes fürchten sich im Gegenteil vor mir.«

»Was Sie nicht sagen? Kann man sich vor Ihnen auch fürchten?«

»Denn ich fange sie.«

»Die Räuber?«

»Ach gehen Sie! Ich schlage Ihnen gleich auf die Hand, wenn Sie so reden.«

»Nur zu! Hier ist meine Hand.«

»Wenn Sie noch einmal so reden werden! Ich fange die Schmetterlinge im Walde.«

»Und giebt es dort schöne Schmetterlinge? In meinen Studentenzeiten habe ich auch eine Sammlung besessen. Jetzt noch sind einige Exemplare davon vorhanden.«

Hierauf ergriff auch Veronika die Prahlsucht.

»Da sollten Sie meine Sammlung sehen. Alles habe ich schon darin: Totenkopfschwärmer, Admiral, Bärenraupe, Apollo. Schade, daß der eine Flügel meines Apollo zerspalten ist.«

»Und eine Hebe haben Sie auch?«

»Das will ich meinen, und noch dazu so groß wie meine Hand.«

»Wie groß wird denn Ihre Hand sein? Zeigen Sie her!«

Veronika legte ihre Hand auf das Tischtuch. Die war freilich winzig, doch so blütenweiß, wie ein Rosenblatt.

»Ein Klafter groß im Lande Liliput!« bemerkte scherzend der Advokat, nahm ein Zündhölzchen und begann mutwillig die Breite ihrer Hand zu messen.

Während des Messens berührte er sie unvorsichtig mit seinen Fingern, worauf der Backfisch zusammenschrak, die Hand zurückzog und heftig errötete.

»Hier herrscht eine große Hitze,« sagte sie mit gepreßter Stimme, die Handfläche auf das flammende Antlitz pressend, als ob sie dieselbe nur deshalb zurückgezogen hätte.

»Die Stube hat sich wirklich erwärmt,« ergriff Frau Szliminszky das Wort. »Knöpfe deinen Rock auf, Wladin!«

Wladin pustete und knöpfte sich den Rock auf, und Veronika kehrte zu ihren Schmetterlingen zurück.

»Der Schmetterlingsfang ist ein wahrer Sport bei mir. Es mag dasselbe sein, wie wenn Männer ein Wild verfolgen.«

»Auch ich begeistere mich für die Schmetterlinge,« beteuerte Georg, »weil sie nur einmal lieben.«

»Ach, ich liebe sie aus einer anderen Ursache ...«

»Doch vielleicht nicht, weil sie einen Schnurrbart haben ...«

Veronika wandte trotzig den Kopf ab.

»Herr Wibra. Sie fangen an, unausstehlich zu werden.«

»Danke für das Bekenntnis.«

»Welches Bekenntnis?«

»Daß ich anfange, unausstehlich zu werden. Folglich war ich es bisher nicht.«

»Ah, siehe da! Der bekannte Advokatenkniff! Etwas in die Worte des Menschen hineinlegen, was er nicht gesagt hat. Mit Ihnen ist es gefährlich zu reden, wissen Sie wohl. Kein Wort sage ich mehr.«

Georg legte flehend die Hände zusammen.

»Ich will es nicht mehr thun, nie mehr. Sprechen Sie nur.«

»Interessieren Sie die Schmetterlinge im Ernst?«

»Auf Ehre, nicht einmal die Löwen und Tiger interessieren mich in diesem Momente in solchem Maße!«

»Sehen Sie, die Schmetterlinge sind so schön, wie prächtig gekleidete Frauen. Welch' geschmackvolle Farbenvermischung! Ich betrachte ihre Flügel wie ebensoviel gemusterte Stoffe. Nehmen wir zum Beispiel die Hebe, passen ihre schwarz-roten untern Flügel nicht wunderbar zu den bläulich-gelben obern? Die köstliche Harmonie in der Buntheit der Bärenraupe wetteifert mit der feierlich düstern Stimmung der gelbgeränderten, blaugetupften braunen Toilette des Totenkopfschwärmers. Glauben Sie mir, der berühmte Pariser Worth könnte in den Wald kommen, um Toilettenkunst von den Schmetterlingen zu lernen.«

»Leiser, Wladin!« ruft in diesem Momente Frau Szliminszky. »Wie viel Lungen besitzt du eigentlich? Auf Lokalbriefe genügen drei Kreuzermarken.«

Wladimir Szliminszky ließ sich nämlich mit dem Senator Fajka in einen Streit über das aktuelle Thema ein, welches die Folgen wären, wenn der Gehörsinn den Menschen fehlen würde, und darüber disputierten sie so laut, daß die liebende Gattin diese überflüssige Vergeudung von Wladins Lunge nicht ohne ein zurechtweisendes Wort anhören konnte.

»Sie sitzen nebeneinander und schreien dennoch ...« brummte sie mit ärgerlichem Kopfschütteln, »als ob man fünfzehn Kreuzermarken auf Lokalbriefe klebte. Ach, mein Gott, mein Gott, wann wird die Menschheit einmal ganz vernünftig werden!«

In diesem Augenblicke erhob sich Senator Konopka und ließ den Hausherrn, den »Regenerator« von Bábaszék, hochleben, mit derselben dünnen, heisern Stimme wie diejenige des Mravucsán, man konnte mit geschlossenen Augen beinahe glauben, daß sich Mravucsán selbst verherrliche, was laute Heiterkeit hervorrief. Hierauf sprang Mravucsán auf und replizierte Konopka mit denselben Bewegungen, Grimassen und Augenzwinkern, mit welchen Konopka zu reden gewöhnt war. Auch darüber wurde viel gelacht. Und doch thun die Könige auch ähnliches, wenn sie sich gegenseitig in den Kleidern des andern besuchen – nur daß sich darüber niemand zu lachen getraut. Die Toaste begannen sich jetzt mit großer Schnelligkeit zu mehren.

»Du hast die Hunde entfesselt,« flüsterte Fajka dem Konopka zu.

Mokry ließ die Hausfrau leben. Mravucsán erhob sich neuerdings und trank im Namen seiner Frau, sowie in seinem eigenen auf das Wohl der Gäste und sprach seinen Dank für ihr liebenswürdiges Erscheinen aus. Er bemerkte, daß Frau Münz die einzige wäre, die von den Eingeladenen nicht hätte kommen können, denn die Gicht wäre ihr gegen Abend in den Fuß gefahren. Es ist kein Wunder, die arme alte Frau ist heute am Markttage viel herumgelaufen. Er leert sein Glas auf das Wohl der abwesenden Judenfrau von Bábaszék.

Laute, begeisterte Hochrufe ließen sich vernehmen, und nachdem der Lärm sich gelegt hatte, rief Wladimir Szliminszky aus: »Jetzt ist an mir die Reihe zu reden!«

»Wladin sprich nicht!« ermahnte ihn seine Frau. »Sprich nicht! Die laute Rede schadet deiner Lunge.«

Doch Wladin war nicht beizukommen. Alles kann der Mensch vollbringen unter dem Regimente des Pantoffels; er knöpft seinen Rock zu, er knöpft ihn auf, er ißt nicht, er trinkt nicht, doch daß jemand den Toast, der in ihm steckt, zurückgedrängt hätte, ein solcher Grad des Gehorsams ist unbekannt in den Annalen von Ungarn.

»Meine Herren, ich erhebe mein Glas auf die schönste Blüte dieser Gesellschaft, auf das Schwesterchen unseres Herren Jesus Christus, auf das Lamm der Unschuld, für welches Gott Wunder gethan, seinem Diener befehlend: ›Geh' rasch, Peter, laß das Kindchen nicht im Regen naß werden‹ Fräulein Veronika Belyi lebe hoch!«

Veronika wurde rot wie Purpur, besonders als die Gäste aufsprangen und der Reihe nach sich zu ihr begaben, um ihr die Hand zu küssen, manche sogar vor ihr niederknieten, während die religiöse Frau Mravucsán sich bis zum Boden beugte und den Saum ihres Gewandes mit den Lippen berührte.

Georg meinte zuerst, als er die närrischen Epithetons vernahm, daß der Förster verrückt geworden sei, doch als er jetzt die ganze Gesellschaft närrisch werden sah, ergriff ihn eine mit Erstaunen vermischte Verwirrung und ein eigentümliches Gefühl des Unbehagens.

»Von welchem Wunder sprach der Herr Gemahl?« fragte er, sich zu Frau Szliminszky wendend.

Frau Szliminszky schlug die Hände zusammen.

»Wie? Sie wissen es also nicht? Wissen Sie es wirklich nicht? Aber das ist ja unmöglich. Es ist ja sogar schon in Druck erschienen, in slowakischen Versen.«

»Was ist im Druck erschienen?«

»Nun, die Geschichte des Regenschirmes ... Wladin, du erhitzest dich zu sehr, du bist so rot wie ein Krebs, du bist ganz in Schweiß gebadet! Soll ich dir nicht meinen Fächer reichen?«

»Welchen Regenschirm?« fragte der Advokat ungeduldig.

»Nun, das ist interessant, daß Sie noch nichts darüber gehört haben. Die Geschichte trug sich folgendermaßen zu: Als Ihre schöne Nachbarin noch ein kleines Kind war, wurde sie in einem Korbe irgendwo draußen im Pfarrhof vergessen. Ihr Bruder, der Glogowaer Pastor, betete in der Kirche. Unterdessen erhob sich ein großer Sturm und ein Wolkenbruch, das schmächtige Kind wäre gewiß davon gestorben, hätte Lungenentzündung oder wer weiß welche Krankheit bekommen können, wenn nicht ein Wunder geschehen wäre. Woher er kam, wohin er ging, weiß keiner, doch plötzlich erschien ein greiser Mann neben dem kleinen Mädchen, als ob er ein von Gott gesandter Himmelsbote wäre, und breitete einen Regenschirm über das Kind.«

»Meinen Regenschirm,« brach es unfreiwillig aus dem Munde des Advokaten hervor.

»Was haben Sie gesagt?«

»Nichts, nichts.«

Das Blut jagte rasch in seinen Adern, sein Herz pochte laut, mit seinen Händen fuchtelte er ungeduldig in der Luft herum, so daß auch er sein Glas umwarf.

»Eine Taufe! Noch eine Taufe!« jauchzten alle heiter.

Der verschüttete Wein nahm seinen Lauf nach Frau Szliminszky hin.

»Ich gratuliere, Frau Försterin,« neckte dieselbe der hochwürdige Herr Rafanides.

Frau Szliminszky schlug die Augen nieder.

»Es ist nicht so,« stotterte sie verschämt. »Nicht wahr, Wladin?«

Doch der Advokat gab es nicht zu, daß neuauftauchende Albernheiten das große Thema, an dem er arbeitete, verschlangen. Er zog seinen Sessel näher an die junge Frau.

»Und dann?« keuchte er fieberhaft erregt.

»Der greise Mann verschwand, als ob die Erde ihn verschlungen hatte, und keine Spur ist von ihm zurückgeblieben. Diejenigen, welche ihn einen Augenblick gesehen hatten, haben in ihm den heiligen Petrus mit dem großen Bart erkannt.«

»Es war der Jude Münz.«

»Haben Sie etwas gesagt?«

Georg biß sich in die Lippen, es verdroß ihn wieder, laut gedacht zu haben.

»Nichts, nichts. Fahren Sie fort, bitte.«

»Nun, Sankt Petrus ist verschwunden, doch der Regenschirm ist zurückgeblieben.«

»Und ist er da?« fragte er hastig.

»Das will ich glauben. Er wird in der Kirche zu Glogowa bewacht wie ein Schatz.«

»Gott sei Dank!«

Er atmete tief auf, als wenn ihm eine Zentnerlast vom Herzen gefallen wäre, und trocknete sich die perlende Stirne mit seinem Taschentuch.

»Gefunden!« murmelte er und blickte starr in die Luft. Er glaubte vom Sessel zu stürzen. Er wusste alles und brach zusammen unter der Last des Glückes. Er fühlte eine Starrheit im Genick, eine Beklemmung im Herzen, es sauste ihm in den Ohren.

»Und wem gehört jetzt der Regenschirm? Der Kirche?« erkundigte er sich mechanisch.

»Er kann auch noch Ihnen gehören,« neckte ihn die junge Frau. »Veronika bringt ihn ihrem Gatten mit in die Ehe. So sagte es mir einst der geistliche Herr von Glogowa: ›Der Regenschirm gehört meiner Schwester, falls sie ihn nicht bei ihrer Verheiratung der Kirche schenkt‹«

»Nein, nein,« murmelte der Advokat kopfschüttelnd und ließ seinen wirren Blick unsicher umherschweifen, als ob er nicht bei vollem Verstande wäre.

»Ich dulde es nicht ... Das heißt, was sage ich. Ja, ja, wovon war die Rede? Mir ist fürchterlich heiß. Ich ersticke beinahe. Herr Mravucsán, bitte, könnte nicht ein Fenster geöffnet werden?«

»Warum denn nicht?«

Mravucsán lief zum Fenster.

»Knöpfe deinen Rock zu, Wladin.«

Die kühle Luft der Frühlingsnacht strömte durch das Fenster herein; der Wind blies in mutwilliger Laune plötzlich beide Kerzen aus.

»Der Kuss ist frei!« rief der Schelm Klempa in der großen Finsternis.

Durch das offene Fenster neigte sich ein Fliederzweig aus dem Garten herein, und seine reichen Blütendolden erfüllten das Zimmer mit liebreizendem Duft, als Tausch für den hinausströmenden Cigarrenrauch.

Madame Kriszbay schrie auf, wahrscheinlich über die Finsternis erschrocken, doch der Schelm Klempa versuchte, den unschuldigen Umstand zu einem boshaften Zwischenruf auszunutzen: »Auf Ehre, ich war es nicht!«

Geheimnisvolles Kichern entstand ringsumher. Im Finstern klingt das unterdrückte Lachen übrigens immer geheimnisvoller. Frau Szliminszky jedoch wollte auch während der Zeit, bis die Kerzen angezündet wurden, demonstrieren, daß sie über diese rohen Witze erhaben sei, und setzte unbefangen die Geschichte des Regenschirmes fort, womit sie gleichzeitig auch bewies, daß sie mit ihrem Munde spräche – ihn folglich zu nichts anderem gebrauchen könnte.

»Das ist eine schöne Legende, Herr Wibra, Sie können es glauben. Ich bin keine gläubige Frau, außerdem sind wir Lutheraner (obzwar es nicht Sitte ist, das einzugestehen); aber das ist doch eine sehr schöne Legende. Der Regenschirm ist ein wahres Wunder. Kranke genesen, sobald sie unter denselben treten; ein Toter, den der Regenschirm berührt hat, ist auferstanden. Sie schütteln umsonst den Kopf. Das ist so. Ich selbst habe jenen Mann gekannt, er lebt noch heute. Und überhaupt ist es unbegreiflich, was alles mit diesem Regenschirm geschehen ist. Schon an und für sich die Thatsache, daß er viel Glück und großen Reichtum über das Glogowaer Pfarrhaus gebracht hat.«

Georg wurde von einem entsetzlichen Verdacht ergriffen. Als die Kerzen wieder lodernd aufflammten, konnte man sehen, daß sein Antlitz bleich wie das eines Toten war.

»Ist der Pfarrer reich?« fragte er leise mit gespensterhaft blitzenden Augen.

»Sehr reich,« antwortete Frau Szliminszky.

Er neigte sich noch näher an sie heran und ergriff plötzlich krampfhaft ihre Hand. Frau Szliminszky konnte es sich nicht erklären. (Wenn er es wenigstens früher gethan hätte, würde sie es verstehen – aber jetzt, wo ja schon die Kerzen wieder brennen!)

»Nicht wahr, er hat etwas im Regenschirm gefunden?« fragte er keuchend, mit gepreßter Stimme.

Frau Szliminszky zuckte kokett ihre aus dem Spitzeneinsatz hervorschimmernde, weiße Schulter.

»Ei, was könnte er in einem Regenschirm finden? Das ist ja weder ein Sessel, noch eine eiserne Truhe. Doch von weiter Ferne pilgern die Brautpaare seit vierzehn Jahren hin, um unter dem Regenschirm getraut zu werden, und zahlen reichlich, und soviel vermögende Kranke und Tote nur an den Ufern der Bjela Voda sind vom Szitnya bis zum Kriván, denen allen nimmt der Glogowaer Pfarrer die Beichte am Totenbette ab und begräbt sie unter dem Regenschirm.«

Veronika, der Frau Mravucsán ihre gestickten Tischtücher und ihr köstliches Linnen gezeigt, begann erst jetzt mit halbem Ohr zu erfassen, worüber ihre Nachbarn verhandelten.

»Sie sprechen von unserm Regenschirm?« fragte sie unbefangen, sich anmutig auf dem Sessel schaukelnd.

Georg und Frau Szliminszky schraken zusammen.

»Ja, Fräulein Veronika,« sagte die Försterin mit einiger Verlegenheit.

Georg lächelte spöttisch.

»Nun,« fragte Veronika, »wie ich sehe, glauben Sie nicht daran?«

»Nein.«

»Ach!« sprach das Mädchen mit einem vorwurfsvollen Blick, »und weshalb nicht?«

»Weil ich an gar keinen Unsinn glaube und weil ...«

Hier wollte er eine große Sache ausplaudern, doch seine Worte wurden abgeschnitten durch die verletzte Miene, den Schrecken, der im ganzen Wesen des jungen Mädchens sichtbar ward. Sie zog sich zusammen wie der Vogel, dem man eine Feder ausgerupft hat. Still wandte sie den Kopf ab und blickte wortlos auf ihren Teller, auf dem die abgeschälte grüne Kruste des Karpathenkäses lag.

Auch Georg verstummte, trotzdem ihn etwas kitzelte und antrieb, aufzuspringen und auszurufen: »Ich bin reich, ich bin ein Herr geworden, im Stocke jenes Regenschirmes sind meine Schätze verborgen.« Es ist eigentümlich, wenn uns ein großes Glück zufällt, ist unser erster Wunsch (denn Wünsche bleiben uns noch immer, auch wenn alle unsere Wünsche erfüllt sind) die Mitteilung: wir möchten es gerne mit Posaunen ausblasen lassen, Herolde müßten das große Ereignis verkünden, die ganze Welt soll es vernehmen.

Doch wenn auch das erste Gefühl dieser Art ist, gehört das zweite schon dem Zweifel an, hinter dem größten Glück lauert ein Schatten, ein unangenehmes »Wer weiß.« Auch Georg sah das bald.

»Wie sieht besagter Regenschirm aus, mein Fräulein?«

Veronika verzog den Mund, als ob sie es nicht der Mühe Wert hielte, über diesen Gegenstand mit dem Frager sich in ein Gespräch einzulassen.

»Ach, es ist nichts besonderes daran,« sagte sie dann gedehnt, »ein verschossener, roter Stoff, als ob er tausend Jahr alt wäre, auch geflickt ist er, ich weiß nicht wie oft.«

»Rings um den Rand kleine grüne Blümchen?«

»Haben Sie ihn gesehen?«

»Nein, ich frage nur.«

»Ja, am Rande sind Blumen.«

»Darf ich ihn ansehen?«

»Natürlich. Sie wollen ihn ansehen?«

»Deshalb fahre ich ja nach Glogowa.«

»Deshalb? Wie soll ich das verstehen, Wenn Sie nicht an seinen Ursprung glauben.«

»Eben deshalb. Wenn ich daran glaubte, würde ich nicht hinfahren.«

»Sie sind ein böser Mensch, ein Heide.«

Sie rückte ein wenig ihren Sessel von Georg weg, worauf dieser sichtlich betroffen und ernst wurde.

»Habe ich Sie verletzt?« fragte er sanft und reuig.

»Nein, nur erschreckt.« Und ihr schönes, ovales Gesicht drückte Enttäuschung aus.

»Ich will lieber an alles glauben, fürchten Sie sich nur nicht vor mir.«

Ein Lächeln schwebte um Veronikas Lippen.

»Es wäre auch Sünde, nicht zu glauben,« unterbrach Frau Szliminszky das Gespräch. »Das ist kein Aberglaube; es sind Thatsachen, die geschehen und bewiesen sind. Wer daran nicht glaubt, glaubt an nichts. Entweder sind Christi Wunder wahr, und dann kann auch dies wahr sein, oder ...«

Doch sie konnte ihren Satz nicht mehr beendigen, denn Madame Kriszbay hob die Tafel auf, indem sie erklärte, sie sei müde und wolle sich zur Ruhe begeben, worauf sich alle erhoben und Frau Mravucsán sowohl sie als auch Veronika in die zwei nach dem Hof gelegenen Zimmerchen führte.

Bei der Thür schlich sich Georg an Veronika heran, welche auch ihm ein »Gute Nacht« zunickte.

»Wollen wir morgen zeitig aufbrechen?« fragte er.

Sie verbeugte sich mit mutwilligem Gehorsam, indem sie ihren schneeweißen Hals zur Seite neigte.

»Wie Sie befehlen, Herr Thomas

Georg verstand die Benennung »Thomas« und antwortete scherzend: »Alles hängt davon ab, wie lange die Heiligen schlafen.«

Veronika wandte sich in der Vorhalle zurück, machte ein böses Gesicht, ballte die kleine Faust und drohte Georg ganz bäuerisch damit.

»Warten Sie nur!«

Georg konnte seine Augen nicht von ihr abwenden. Sie war so schön, und die drohende Faust stand dem kleinen Schelm so gut. Das sollen ihr die Heiligen nachmachen, wenn sie können.

Bald begab sich auch das Ehepaar Szliminszky nach Hause. (Mravucsán bestellte ihnen einen Mann mit einer Laterne, da kein Mondlicht war.) Frau Szliminszky hüllte Wladin in einen Überzieher ein, hing noch einen Mantel darüber, umwickelte seinen Hals mit einem großen Wolltuche, und während sie ihm anriet, draußen ja nur durch die Nase Atem zu schöpfen, hatte sie auch noch Zeit, mit Georg zu plaudern.

»Das ist wahrlich eine wunderbare Legende, mich wenigstens ergreift sie sehr.«

»Ach diese armen Legenden!« antwortete Georg. »Wenn man den Goldschmelz, den heiligen Duft, den Rauch des Geheimnisvollen von ihnen wegblasen würde, welch' eine sonderbare, anspruchslose Wirklichkeit bliebe da am Grunde zurück!«

»So darf man nicht draufblasen,« sagte die Frau. »Schlage den Kragen deines Mantels auf, Wladin!«

Der Advokat dachte nach.

»Sie mögen recht haben,« murmelte er mit sinnendem Blick.

Bald darauf sehnte sich auch Georg nach Schlaf oder nach Ruhe und bat Frau Mravucsán, ihm sein Lager zu zeigen.

»Hm, der Magnet ist fortgegangen,« murrte der Notaradjunkt.

Kaum hatte er die Thür hinter sich geschlossen, so schrie der Fleischer Kukucska lustig auf: »Das Wurmstichige ist abgefallen.« Er legte seinen Rock ab, streifte keck seine flatternden Hemdärmel auf (auf seinem nackten linken Arm wurde ein tätowierter Ochsenkopf sichtbar), dann blinzelte er Mravucsán schelmisch an.

Der Herr Stadtrichter verstand den Wink.

»Gewiß, gewiß,« erwiderte er mit leuchtendem Antlitz, »wir können uns nicht zur Ruhe begeben, bevor wir nicht eine Probe gemacht haben, ob uns die Frauen noch lieben.«

Mit diesen Worten zog er aus dem Kasten eine Schublade und nahm ein Paket Karten heraus.

Von den Karten fehlte zwar der Grünunter, doch das störte die Intelligenz von Bábaszék nicht im mindesten, denn unlängst hatten sie auch auf diese Art Préférence gespielt, der letzte bekam eine Karte weniger beim Austeilen, doch dieselbe ward in der Einbildung doch ihm zu teil und fungierte als illusorische Karte im Spiel.

Wenn grün gerufen wurde, spielte der letzte in seiner Einbildung den Grünunter aus und sagte: »Der illusorische Unter liegt darauf.«

Manchmal galt sie auch als Stich, besonders wenn Grün Trumpf war.

Heute jedoch wurde mit Hinsicht auf die fehlende Karte eine kleine Färbelpartie arrangiert, welche bis nach Mitternacht dauerte. Es spielten die Senatoren, der Fleischer und der geistliche Herr, der Vicenotar trug die Weingläser herbei, der geldlose Klempa (überall ist der Kantor der ärmste) stützte sich bald hier bald dort müßig auf die Ellbogen, denn man jagte ihn von einem Platz zum andern mit dem Bemerken, er sei ein Pechkiebitz, was im Grunde genommen ein sehr verstimmender, erbitternder Titel, aber doch keine Ehrenbeleidigung ist. Der arme Klempa zog und wanderte von Spieler zu Spieler, bis er endlich auf die zwischen dem Fleischhauer und dem geistlichen Herrn sich befindende Tafelecke sein müdes Haupt senkte und einschlief. Dabei diente sein langer, dichter Bart seinem Kinn als Kissen, doch gleichzeitig bereitete er ihm eine unangenehme Zukunft, denn der Taugenichts Paul Kukucska stellte in seiner ausgelassenen Laune (als er einen großen Gewinn eingezogen hatte) den Antrag, man möge den Bart des Klempa an den Tisch siegeln. Es wird köstlich sein, wenn er aufschreckt und der Tisch ihn nicht losläßt.

Sie ergriffen mit Hast den köstlichen Gedanken, Mokry hielt die Kerze, Kukucska tropfte das Wachs ungefähr an drei Stellen auf seinen Bart, während Mravucsán in eigener Person ihn mit seinem Siegelringe an den Tisch drückte ... Daraus wird aber eine große Hatz entstehen!

Auch andere, doch ebenfalls nicht nennenswerte Episoden ereigneten sich. Madame Kriszbay, welche Frau Mravucsán in ihr eigenes Zimmer einquartiert hatte, wagte es nicht, sich in den Ocean von Bettfedern niederzulegen, sie fürchtete, darin zu versinken und zu ersticken. Sie wünschte um jeden Preis eine Decke. Frau Mravucsán besaß keine, brachte jedoch mit findigem Kopfe den langhaarigen Fellpelz ihres Gatten herbei und breitete ihn über Madame, worüber diese derart erschrak, daß sie sofort Migräne bekam; man mußte ihr die ganze Nacht Kren auf die Schläfen legen.

Veronika betraf eine andere Unannehmlichkeit. Sobald sie in dem schönsten Zimmer des Mravucsánhauses alleingeblieben war, verriegelte sie von innen die Thür, hing eine Mantille an die Klinke, damit niemand durch das Schlüsselloch hineinschauen könnte, und zog die Vorhänge an dem kleinen Fenster zu, welches auf den Hof mündete; dann begann sie sich auszukleiden; sie öffnete vorne ihr Leibchen, ein Haken nach dem andern gab nach, auch die Fischbeine leisteten Folge und gaben damit dem Busen und der Taille ihre wirkliche Form zurück – tausendmal schöner, als sie ahnen ließen. Auch der letzte Haken, welcher den obern Rock hielt, ihn um die Hüften pressend, sprang auf, und das geblümte Röckchen mit den Volants begann hinabzugleiten, sowie von der Rosenknospe die neidische grüne Hülle sich löst.

Langsam glitt das Röckchen nieder, den blendend weißen Unterrock streifend. Schon wollte sie auch das Band des letzteren aufbinden, als sie entsetzt bemerkte, daß zwei kleine rote Augen starr auf sie gerichtet waren. Eine kleine, gefleckte Katze kam unter dem Bette hervorgeschlichen, die schaute sie an, schaute, schaute neugierig, voll Interesse, als ob sie ein zur Katze verwandelter Königssohn wäre.

Veronika faßte erschrocken ihr geöffnetes Leibchen an, beugte sich hastig hinunter, raffte mit der andern Hand den hinabgeglittenen Rock wieder auf (aus dem sie eben hinaustreten wollte), während sie bald mit flehender, bald mit befehlender Stimme die Katze schalt und scheuchte.

»Marsch Katze! Pack' dich, garstige Katze! Schau' nicht her, Kätzchen!«

Der Backfisch schämte sich, vor der Katze Nachttoilette zu machen. Sie kleidete sich wieder ganz regelrecht an und versuchte, die Katze zu vertreiben, doch diese versteckte sich hinter die Möbel, sprang auf die Kasten, das Umherjagen war umsonst, die Katze ließ sich nicht aus dem Zimmer treiben.

Frau Mravucsán wurde auf das Geräusch aufmerksam und sprach aus dem Nebenzimmer hinein: »Was fehlt Ihnen, mein liebes Fräulein?«

»Ich kann die Katze nicht hinaustreiben, Tantchen Mravucsán.«

»Es thut nichts, mein Herzchen, auch wenn sie drinnen bleibt; sie ist ein gutes, unschuldiges Tier.«

»Aber sie sieht,« antwortete Veronika ängstlich.

Hierauf löschte sie die Kerze aus und wollte sich im Finstern entkleiden, doch die vertrackte Katze kam wieder bis in die Mitte des Zimmers, und ihre Augen leuchteten im Dunkeln noch mehr.

»Warte nur, du neugieriges Geschöpf, ich will dir gleich beikommen.«

Sie errichtete eine Barrikade aus Stühlen, und hinter dieser Barrikade, als ob sie in ihrer Burg wäre, in die man nicht hineinschauen kann, setzte sie sich auf den Rand des Bettes, kreuzte ihre Füßchen und schnürte zuerst ihre Schuhe auf. Kip, kop, klopfte das eine Stiefelchen, sowie sie es auszog und auf den Boden fallen ließ, kip, kop, klopfte auch das zweite.

Wie, die Sesselburg sollte der Katze imponieren? Tip, top, that sie einen Satz mit gestrecktem Leib und war auf dem mit einem Tuche bedeckten Waschtische; tip, top, noch ein Satz, und dort saß sie in Veronikas Bett, in der Mitte ihres Kissens. Doch es war nicht gut zu nahe zu kommen. Veronika war auch nicht faul und fing sie mit einer geschickten Bewegung.

»Jetzt halte ich dich, Gevatterin Katze! Nur rasch, wo ist ein Tuch? Ich will dich lehren, zuschauen, wenn sich Mädchen entkleiden. Weißt du, Kätzchen, daß dies unschicklich ist?«

Sie fand ein dickes Baumwollentuch und band es doppelt der Katze um die Augen; »Jetzt magst du schauen, wenn du kannst!« Dann begann sie, sich neuerdings auszukleiden.


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