Koloman Mikszáth
Der wundertätige Regenschirm
Koloman Mikszáth

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Unsere Rosalie.

Jawohl, die alte Frau Münz ist als Jude nach Bábaszék geführt worden, für vierzig Gulden Scheidemünze, weil in Bábaszék kein Jude war und unbedingt einer herbeigeschafft werden mußte.

Die Sache verhält sich eigentlich folgendermaßen (für einen Pester allerdings schwer zu verstehen): Bábaszék ist eines jener Kolibristädtchen, die sich nur dadurch von den ärmlichen oberungarischen Dörfern unterscheiden, daß man ihren Richter Bürgermeister tituliert, und daß an einem gewissen Tage des Jahres von den benachbarten Gehöften und Dörfern ein, zwei junge Kühe und Ochsen, sowie einige abgezehrte Pferdchen hingetrieben werden. Ferner kommt an demselben Tage der Lebzelter Samuel Plokár aus Neusohl und stellt in seiner Bude seine Herzen, Husaren und Wiegen aus Pfefferkuchen aus, die alsbald vergriffen und für die Mädchen und Kinder der Umgebung mitgenommen werden. Mit einem Wort, in Bábaszék ist Jahrmarkt. Und auf den ist seit Jahrhunderten jeder eingeborene Bábaszéker stolz und teilt das Kalenderjahr, sowie die Weltereignisse in zwei Teile, derart, daß der eine Teil so und so viel Wochen oder Monate vor dem Jahrmarkt geschieht, der andere Teil hingegen nach dem Jahrmarkte stattfindet, sowie zum Beispiel Franz Deaks Tod gerade zwei Tage nach dem Bábaszéker Jahrmarkt eintraf.

Und an all dem sind die ehemaligen Könige schuld, die in den Burgen von Altsohl und Végles jagten und die benachbarten Dörfer, anstatt ein Trinkgeld zu geben, zu Städten erhoben.

Am Ende ist dies ein schönes Privilegium. In der Stadt hat alles mehr Wert, gilt alles mehr, der Grund und Boden, der Garten, sogar der Mensch. Man ist Bürger, und das ist schon etwas. Wenn man in den Rat gewählt wird, ist man Senator. Das alte, strohgedeckte Haus, wo der Rat seine Sitzungen hält, heißt das Rathaus; der Kleinrichter mit den Riemenschuhen, der anstatt des Dolmans einen Lendengurt mit Kupferschnalle trägt, wird Heiduck genannt. Der Heiduck muß auch zu trommeln verstehen, denn das Städtchen besitzt seine eigene Trommel – die reicheren Städte schaffen sich sogar eine Wasserspritze an ... Da hilft alles nichts, Rang bleibt Rang – doch der muß dann auch aufrecht erhalten werden.

Besonders als vom Komitatshause das Gerücht ausging, daß die meisten der Städtchen von acht-, neunhundert Einwohnern aufgehoben werden sollten, entstand ein Wettstreit zwischen ihnen; jedes wollte seine Lebensfähigkeit beweisen, jedes eilte, sich auf das hohe Pferd zu setzen, trotzdem sein Hafersack nur für den Kopf eines Füllens berechnet war. Das wird kein gutes Ende nehmen, wer so lange lebt, wird es sehen.

Die gute Stadt Altsohl erklärt Slavisch-Pleschnitz den Krieg.

»Das ist ja keine Stadt, nicht einmal eine Apotheke ist darin.«

Altsohl möchte Pleschnitz in einem Löffel Wasser ertränken. (Aber, o du mein Gott, es kann doch nicht jeder Winkel und jede Ecke Neusohl oder London sein!)

Aber auch Pleschnitz ist bissig und bellt und fletscht die Zähne gegen das elende Bábaszék.

»Das ist ja keine Stadt! Nicht einmal einen Juden haben sie! Und der Ort, wo sich kein Jude niederläßt, hat keine Zukunft, der ist schon gewiß nicht für eine Stadt geeignet.«

Bábaszék beißt wieder die geringeren Ortschaften ... Doch ich bin jetzt nicht dazu hier, um dieses garstige Ringen zu schildern, ich will nur kurz bemerken, daß der verdienstvolle Vorstand von Bábaszék sich die neidischen Schmähungen des Feindes zur Lehre dienen ließ – gleich wie die Biene auch aus Giftpflanzen Honig saugt – und mit der erwähnten Witwe Jonas Münz Verhandlungen pflog, sie möge nach Bábaszék ziehen und dort in der Mitte des Marktplatzes der Schmiedewerkstätte gegenüber ein Geschäft errichten, welches jedem Durchreisenden sofort in die Augen stechen müßte und in welchem besonders folgende Waren verkauft werden sollten: Seife, Peitschen, Schminke, Waschblau, Pferdebürsten, Striegel, Pfriemen, Nägel, Salz, Wagenfett, Safran, Ingwer, Zimmet, Kleister, Hanföl, mit einem Wort, alle Artikel, die im Hotter von Bábaszék nicht wuchsen und in Bábaszék auch nicht verfertigt wurden, und wahrlich, es gab außer dem Hergezählten noch einige solche auf der Welt.

So geriet Frau Münz nach Bábaszék, wo man sie auch mit großen Ehren empfing und sie in allem verhätschelte, ja sogar beinahe auf Händen trug (was übrigens kein Spaß gewesen wäre, denn Frau Rosalie wog ungefähr zwei Centner).

Anfangs mißfiel es manchen, daß der Magistrat keinen Juden verschafft hatte, sondern nur eine Jüdin, denn es wäre doch schöner, es wäre erhebender gewesen, wenn sie sagen könnten: »Unser Jude hat dies gesagt, jenes gesagt. Unser Moritz oder unser Tobias hat dies gethan, jenes gethan,« aber nur sagen zu können: »Unsere Judenfrau, unsere Rosalie,« das ist nichts, das klingt gar zu bescheiden. Mit einem Worte, einen Juden hätte man nach Bábaszék bringen sollen, einen großbärtigen, krummnasigen, womöglich rothaarigen – das wäre das Richtige.

Doch Herr Konopka, der klügste der Senatoren, der mit Frau Münz die Verhandlungen pflog und sie und ihre Sachen in eigener Person mit dem bestellten Leiterwagen aus Neusohl abholte (sogar die Pferde, welche die Frau brachten, hatte er mit Federbüschen geschmückt), trumpfte die Unzufriedenen ohne Gnade mit einem Argument ab, das noch besser traf als der aus Davids Schleuder geflogene Stein.

»Seid nicht so dumm! Wenn einmal ein Weib König von Ungarn war, warum könnte ein anderes Weib nicht Geschäftsjude von Bábaszék sein?«

Was wahr ist, ist wahr, sie beruhigten sich allmählich und fingen sogar an, die Wahl des Magistrates zu preisen, als am ersten Purimtage und später auch an jedem Laubhüttenfest die Söhne der Frau Münz, sieben an der Zahl, aus allen Weltgegenden zusammenkamen und man sie über den Marktplatz spazieren sah, in eleganten Feiertagsgewändern, mit Schnürschuhen an den Füßen und hohen, topfähnlichen Hüten auf dem Kopfe.

Die Bürger von Bábaszék stellten sich zu solchen Zeiten in ihre Gärten voll Pappelrosen und riefen sich über die Umzäumung zu, während ihr Herz voll Stolz schwoll, wie sie ihnen nachblickten: »Nun, wenn das keine Stadt ist, Gevatter, so ist auch die Fledermaus nur eine Eintagsfliege.«

»Nicht einmal in zehn Jahren sieht man soviel Juden in Pleschnitz,« antwortete, sich den Bauch streichelnd, der andere Gevatter.

Die alte Frau Münz weidete ihre Augen an ihren Söhnen von der Ladenthür aus, denn dort saß sie zumeist und strickte, eine Brille mit Kupferrand auf der Nase (sogar diese Brille verlieh Bábaszék ein gewisses vornehmes, städtisches Ansehen); doch sonst war die Witwe Münz eine alte Frau mit einem freundlichen, angenehmen Gesicht und paßte so gut zum Marktplatze, zu den weißgetünchten Gebäuden, zu der würdevollen Fassade des Rathauses, daß niemand an ihr vorübergehen konnte, ohne den Hut abzunehmen, ebensowenig wie vor der Statue des Johannes Nepomuk. (Am Ende waren ja das die zwei einzigen Sehenswürdigkeiten von Bábaszék.) Jeder fühlte instinktiv, das kleine, runde Mütterchen sei mit eingeflochten in die Pläne von Bábaszéks Emporblühen.

»Guten Tag, junge Frau. Wie geht es Ihnen, junge Frau?«

»Gut, meine lieben Kinder.«

»Wie geht das Geschäft, junge Frau?«

»Gut, meine lieben Kinder.«

Sie freuten sich so sehr, so sehr, daß die junge Frau flink wie eine Eidechse und gesund wie ein Fisch war, und daß sie sich zusehends bereicherte; sie prahlten auch damit überall, wo sie nur mit ihren Fuhrwerken herumkamen.

»Unsere Rosalie gedeiht. Potztausend, unsere Rosalie macht sich immer mehr heraus. Aber in Bábaszék ist dies auch leicht möglich! Bábaszék ist eine goldene Stadt. Bábaszék ist ein jungfräulicher Ort ... in Bábaszék laßt es sich noch leben.«

Die junge Frau Rosalie wurde im wahren Sinne des Wortes verwöhnt. Sie war schon über die Siebzig und wurde doch nicht anders als »mlada pani« (junge Frau) genannt. Und darin steckt auch eine gewisse Logik. Der König hat alle wertlosen Titel an sich gerissen, und nur er darf dieselben verleihen. Da fiel es dem Volke im Gefühle seiner Souveränität ein, die Jugend als Titel zu verleihen. Wie gesagt, die junge Frau Rosalie wurde hoch geschätzt und verhätschelt, und als sie einige Jahre nach ihrer Übersiedelung am Marktplatze ein Steinhaus zu bauen begann, boten sich alle mit Fuhrwerken versehenen Leute aus Gefälligkeit an, ihr eine Fuhre Steine oder Holz umsonst zu holen, und die Kleinhäusler nahmen es auf sich, einen Tag umsonst für sie zu arbeiten; es fanden sich kaum ein, zwei Faulenzer, die sich darum drückten und nicht kamen, und die wurden fürwahr von den Vernünftigeren und Vornehmeren fast ausgescholten.

»Das ist ein nichtswürdiger Mensch,« sagten sie von einem solchen, »der ehrt nichts, weder Gott, noch die Geistlichen, noch die Juden.«

Der Respekt der städtischen Behörde ging sogar soweit, daß sie bei der Kommassierung infolge der Aufforderung des weitblickenden Bürgermeisters Johann Mravucsán zwei von den innerhalb der Stadt liegenden Grundstücken extra aussonderte, das eine für einen eventuellen jüdischen Tempel und das andere für einen jüdischen Friedhof – wo sie doch nur diese eine Jüdin im Orte hatten.

Doch gleichviel. Die Zukunft liegt vor ihnen, und wer weiß, was in ihr schlummert. Und schließlich thut es so wohl, in die mit Fremden geführten alltäglichen Gespräche einzuflechten: »ein Steinwurf vom Bábaszéker jüdischen Friedhof entfernt,« oder »vor dem Grundstück des Bábaszéker jüdischen Tempels vorbeigehend« u. s. w.

All dies jedoch hörten die noch kleineren Nachbarstädtchen mit großem Neid und Ärger an, indem sie sich folgendermaßen hinter dem Rücken der Bábaszéker äußerten: »O diese Bábaszéker! In Größenwahn sind sie verfallen, die Erbärmlichen!«

Die Fäden führen nach Glogowa.

An einem sonnigen Frühlingsnachmittag blieb ein leichtes Gefährt vor dem Laden der Frau Jonas Münz stehen, und ein junger Herr sprang aus dem Wagen heraus – der, wie wir schon wissen, niemand anderes ist als unser Georg Wibra.

Die junge Frau Rosalie, die eben draußen mit dem Bürgermeister Mravucsán und dem Senator Galba plauderte, fragte neugierig den mit elastischen Schritten auf sie zukommenden Herrn: »Befehlen Sie etwas?«

»Frau Jonas Münz?«

»Die bin ich.«

»Ich möchte einen Regenschirm kaufen.«

Die zwei Senatoren blickten erstaunt zum wolkenlosen, heitern Himmel auf.

»Zum Teufel,« brummte der weitblickende Mravucsán in sich hinein, »wozu braucht man in solcher Zeit den Regenschirm?« Dann fragte er laut: »Woher kommt der Herr?«

»Aus Neusohl.«

Mravucsán verwunderte sich noch mehr, er hatte beinahe Lust, sich in die Brust zu werfen. Es ist doch eine große Sache, wenn man von Neusohl nach Bábaszék kommt, um einen Regenschirm zu kaufen. Es ist eine schöne Sache, so was zu erleben und gar noch unter seiner eigenen Bürgermeisterschaft. Er stieß Galba leicht an und flüsterte ihm zu:

»Haben Sie gehört?«

»Dies ist nur ein ärmlicher, kleiner Dorfladen, mein Herr, Regenschirme und ähnliche Artikel halte ich nicht,« antwortete Tantchen Rosalie.

»Schade genug,« brummte Herr Mravucsán, seinen großen, ausgewichsten Schnurrbart kauend.

»Aber ich habe gehört,« sprach wieder der Fremde, »daß Sie alte Regenschirme haben.«

»Alte Regenschirme! Pfui!«

Herr Mravucsán, der asthmatisch war, fing plötzlich an, rasch und kurz zu atmen, und wollte eben ein geringschätzendes Wort an den Fremden hervorstoßen, als plötzlich das Herbeirasen scheugewordener Pferde die Aufmerksamkeit anderswohin lenkte. Das Jahrmarktsvolk, welches den Marktplatz anfüllte, flüchtete aufgescheucht von der Mitte des Weges, in der Schmiedewerkstätte gegenüber hörte das betäubende Hämmern auf, die Schmiedegesellen liefen mit erschrockenem Geschrei nach der rechts aufgestellten Garküche, deren Herd das dahinbrausende Gefährte samt den Braten umgeworfen hatte. Die rasch gebräunten Schweinskarbonaden lagen im Staube umher, ihr prächtiger Duft kitzelte angenehm die Nasen der Schmiedegesellen. Die Marktweiber kreischten und jammerten, einige von den Tapfern banden ihre blauen Schürzen ab und schwenkten diese vor den Pferden, um sie abzuschrecken, worauf sich dieselben glücklicherweise gegen die Hütten der Schuster richteten. Eine förmliche Rebellion brach aus, der ganze Marktplatz wogte, war in Bewegung. Ein Schmiedegeselle bemächtigte sich eines gewaltigen Bratenstückes, die Marktweiber rannten ihm nach, worauf ein anderer Schmiedegeselle, um seinem verfolgten Kameraden zu Hilfe zu kommen, plötzlich unter dem Blasebalg ein Stück glühendes Eisen hervorriß, damit auf die Marktweiber zulief und es wie toll mit dem Hammer bearbeitete, so daß die Feuerfunken zwei Klafter weit in der Runde sprühten.

Die zwei Pferde jagten unterdessen über die Waren der Töpfer von Kolpach dahin, die Trümmer eines leichten Gefährtes nach sich schleppend.

»Nun, aus dem wird auch kein Wagen mehr,« bemerkte der Schmied phlegmatisch und sah der Scene zu, die Hände unter die Lederschürze gesteckt. Wahrscheinlich war der Wagen gegen eine Mauer geworfen worden, denn der hintere Teil war ganz zertrümmert; auch die Deichsel war entzwei gebrochen, das eine Rad samt Leiste und Schrägen war verloren gegangen, so daß schon der orangegelb gestrichene Wagenkorb hinabzugleiten begann. Die Zügel, die zwischen die Pferde gefallen waren, strichen am Boden, und es war wirklich ein schöner Anblick, die scheu gewordenen Tiere zu sehen. Mit fliegenden Mähnen, schäumendem Maul, dampfenden Nüstern stürmten sie wie im Taumel des Genusses der Harmlosigkeit mit zurückgeworfenem Halse wie toll dahin, und mit ihren Vorderfüßen schienen sie gleichsam in der Luft zu fliegen.

»Schöne Gäule!« sagte Herr Senator Galba.

»Die Pferde des Pfarrers von Glogowa,« bemerkte Mravucsán. »Ich fürchte, ein Unglück ist geschehen. Gehen wir, Galba!«

Während Frau Münz mit den Magistratsherren vor der Ladenthür plauderte, vermehrte sich die Zahl der Käufer, die sie bedienen mußte, und die geduldig auf die junge Frau warteten. Sie sprach nachlässig zu dem Fremden: »Alte Regenschirme wären da, mein Herr, gewiß finden sich einige auf dem Boden, aber die passen nicht für einen so feinen Herrn.«

»Potztausend! Könnte ich sie nicht doch vielleicht sehen?«

Frau Münz trat in die Ladenthüre, faßte die Klinke an, um die Käufer einzulassen, und machte nur von der Schwelle eine zurückweisende Bewegung.

»Ich versichere Sie, Sie würden sie gar nicht in die Hand nehmen mögen.«

Doch unser Held ließ sich nicht so leicht abschütteln, er ging ihr in den Laden nach, wartete, bis sie mit ihren Kunden fertig war, dann wiederholte er, daß er die alten Sachen sehen wolle.

»Ei, mein Herr, lassen Sie mich in Ruhe! Ich sage Ihnen, daß sie nicht für Sie passen. Diese Regenschirme stammen noch aus der Zeit, wo mein Mann am Leben war, der sie zu reparieren verstand; die meisten haben ein zerbrochenes Gestell und sind zerrissen, außerdem sind sie auf dem Boden mit unbrauchbarem Gerümpel und alten Fetzen so herumgeworfen worden, daß es nicht der Mühe lohnt, wegen derselben hinaufzugehen. Nebenbei ist es auch nicht möglich. Mein Sohn ist auf den Jahrmarkt gegangen, die Dienstmagd hat einen schlimmen Fuß und kann sich nicht bewegen, ich selbst darf mich zur Zeit des Jahrmarktes nicht auf eine Minute aus dem Laden rühren.«

Der Advokat zog eine Fünfguldennote aus seiner Brieftasche hervor.

»Ich verlange Ihre Gefälligkeit nicht umsonst, Frau Münz, doch die Regenschirme will ich sehen, um jeden Preis. Lassen Sie mich denn allein auf den Boden hinauf. Nehmen Sie dies vorläufig.«

Frau Münz griff nicht nach dem Gelde, und ihre kleinen Augen, die tief in den Höhlen ihres fetten Gesichtes saßen, hafteten stechend und mißtrauisch an dem vornehmen Jüngling.

»Jetzt zeige ich die Regenschirme schon gewiß nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil mein gottseliger Mann mich gelehrt hat: ›Thue nie etwas, Rosalie, was du nicht verstehst,‹ und mein armer Mann war ein sehr weiser Mensch.«

»Freilich, freilich. Sie haben recht, wenn Sie nicht verstehen, warum ich Ihnen fünf Gulden für das Betrachten von zerrissenen Regenschirmen biete.«

»So ist es, für fünf Gulden können Sie was Schöneres sehen.«

»Nun und die Geschichte ist dennoch sehr einfach. Mein Vater hat einen alten Regenschirm besessen, welcher ihm zu seinen Lebzeiten sehr lieb war, er hing förmlich an ihm; ich erfuhr durch Zufall, daß derselbe in die Hände Ihres Mannes geraten ist, Frau Münz, jetzt möchte ich ihn als Reliquie zurückgewinnen.«

»Wer war Ihr Vater, mein Herr? Vielleicht weiß ich etwas von der Sache.«

Der Fremde errötete ein wenig.

»Paul Gregorics,« sagte er.

»Ach, der Gregorics! Warten Sie nur! Ja, ja, ich erinnere mich, dieses sonderbare Männchen, das nach seinem Tode ...«

»Ja, ja! Der je zweitausend Gulden den Neusohler Frauen hinterließ.«

»Ich weiß, ich weiß, doch er hatte, wenn ich mich recht erinnere, keinen Sohn ...«

»Jawohl, das heißt ... (er kam in Verlegenheit, er blieb stecken). Ich bin der Advokat Georg Wibra.«

Nun kam die alte Frau Münz in Verlegenheit.

»Ja freilich! Ach, ach! Mein dummer, alter Kopf. Ach, ach, ich weiß es schon. Wie sollte ich nichts davon wissen. Ich habe schon vom gnädigen Herrn gehört. Ich habe Ihren armen Tate gekannt. Mein Gott, wie sehr Sie ihm ähnlich sehen und doch wie hübsch. Ich habe ihn gut gekannt, trotzdem,« setzte sie lächelnd hinzu, »er mir keine zweitausend Gulden hinterließ. Ach, ich war schon damals alt, als er noch jung war. Nun bitte, betrachten Sie nur die Regenschirme. Ich werde Ihnen den Weg weisen und erklären, wo sich dieselben auf dem Boden befinden. Bitte, folgen Sie mir nach. Wenn Sie nur den Regenschirm des alten gnädigen Herrn finden möchten ...«

»Fünfzig Gulden wären Ihr Lohn, Frau Münz.«

Bei den Worten »fünfzig Gulden« leuchteten die Augen der alten Frau auf wie Johanniskäfer.

»Ach, der gute Sohn!« seufzte sie zum Himmel aufblickend, »es giebt doch nichts Gottgefälligeres, als einen guten Sohn, der das Andenken seiner Eltern ehrt.«

Bei den Worten »fünfzig Gulden« ward sie so flink, so lebhaft wie eine Spindel und führte Georg, nachdem sie die innere Glasthür des Ladens von außen geschlossen hatte, mit raschem Trippeln in den Hof zur Leiter, wo sie nun schon selbst mit ihm hinaufsteigen wollte, um ihm behilflich zu sein.

»Nein, nein, bleiben Sie unten, Frau Münz. Was würde die Welt dazu sagen,« scherzte Georg, »wenn man sehen würde, daß wir zwei miteinander auf den Boden hinaufgehen.«

Mama Rosalie brach in ein lustiges Lachen aus und schlug dabei die Hände zusammen.

»Ach, mein liebes gnädiges Herrchen! Wie weit bin ich schon davon entfernt. Mir hat schon Ihr Papa nichts mehr testiert, trotzdem ich einst ... (Sie strich sich die zerzausten grauen Haare vorn glatt.) Nun, gehen Sie nur hinauf, mein Lieber.«

Georg Wibra stöberte eine gute halbe Stunde im alten Gerümpel der Frau Münz herum, während die Frau zweimal aus dem Laden lief, um nach ihm zu sehen. Die fünfzig Gulden machten sie ungeduldig.

»Nun, was giebt's?« fragte sie, als sie ihn endlich die Stufen der Leiter herunterkommen sah. Doch die Frage war unnütz: er kam ohne Regenschirm.

»Ich habe alles nachgesehen,« sagte er niedergeschlagen, »kein einziger Schirm ist der richtige.«

Die alte Jüdin schnitt ein mißmutiges Gesicht: ihr Doppelkinn schien schmerzlich zu zittern, und ihre Augen zwinkerten heftig. »O weh, wo kann ihn der dumme Jonas hingethan haben?« brummte sie. »Fünfzig Gulden! Schrecklich! Jonas hatte nie Instinkte ...«

»Wahrscheinlich hat Ihr Mann diesen Regenschirm getragen. Herr Sztolarik, der jetzige Präsident des Gerichtshofes, behauptet, er hätte den Regenschirm in seiner Hand gesehen, er erinnert sich ganz genau daran.«

»Wie sah er aus?«

»Der Stoff war rot, mit einem lederfarbenen Flicken obenauf, den Stoff unten umgab ein schmaler grüngeblümter Streifen; der schwarze Stock endigte in einem grauen Horngriff.«

Die junge Frau Rosalie schrie auf: »Ich soll nie in den Himmel kommen, wenn der Jonas nicht den Regenschirm auf seinen letzten Weg mit sich genommen hat. Als ob er noch heute vor mir stände. Der war es, den er mit sich getragen, bei Gott, der war es ...«

»Schlimm genug!«

Mama Rosalie begann ihn zu verteidigen.

»Was wußte er, welchen er zu Hause lassen sollte! Er hatte keine Instinkte.«

»Also aus!« seufzte der Advokat, der ratlos, beinahe erstarrt neben der Leiter stand, wie Marius auf den Trümmern von Karthago; nur daß von seinem Karthago nicht einmal Trümmer geblieben waren – das Ganze hatte sich in Luft aufgelöst, aus der es erbaut war. Niedergeschlagen schritt er zum Thore hinaus auf seinen Wagen zu; das Mütterchen trippelte ihm träge nach, hin- und herwankend, wie eine gemästete Gans, doch draußen auf der Gasse griff sie lebhaft nach dem Mantel des Georg Wibra.

»Ei nun! Ich hätte beinahe vergessen. Mein Sohn Moritz ist ja eben zu Hause, er ist Fleischhacker in Ipolyságh und ist hergekommen, um Schafe zu kaufen. Mein Sohn Moritz weiß alles, und ich soll nie in den Himmel kommen (Mama Rosalie scheint lieber hier auf der Erde bleiben zu wollen), wenn der nicht irgend eine Aufklärung betreffs des roten Regenschirmes geben kann. Gehen Sie nur, mein lieber gnädiger Herr, geradeaus auf den Marktplatz zwischen die Schafe und reden Sie dort den schönsten Mann an, und das wird mein Sohn Moritz sein ... er ist großartig schön, besonders schön ist der Moritz. Reden Sie ihn nur an und versprechen Sie ihm die fünfzig Gulden. Ich soll nie in den Himmel kommen, wenn mir der Moritz nicht etwas über diesen Regenschirm erzählt hat. Denn als mein armer Jonas verschwand, ging Moritzchen, ihn zu suchen, und nachdem er den Faden aufgefunden hatte, verfolgte er denselben von Spur zu Spur, von Dorf zu Dorf, überall nachfragend, forschend, bis endlich alles ans Licht kam. (Mama Rosalie blickte weinend zum Himmel auf.) Ach, Jonas, Jonas, warum hast du uns das angethan? Wenn du schon deinen Verstand verloren hattest, wozu mußtest du selbst verloren gehen? Deine Söhne haben genug Verstand.«

Georg Wibra hätte sich jetzt schon auch an einen Strohhalm geklammert; er eilte deshalb, ohne ein Wort zu sagen, zu den mit Schuhsohlen und Filzwaren angefüllten Buden auf den Marktplatz.

Nach kurzer Nachfrage fand er den Moritz Münz, ein untersetztes, fettes Männchen, mit einem so sommersprossigen Gesichte wie ein Putenei. Er war häßlich wie ein Faun. Von seiner Hüfte hing ein blanker Stahl herab, und auf seinem rechten Arm war ein Ochsenkopf tättowiert.

Er handelte eben um eine krummhörnige Kuh. Der Verkäufer, ein Kürschnermeister aus Pest, schwor auf Himmel und Erde, daß kein lebender Mensch in Bábaszék noch je eine Kuh gekauft hatte, welche mit dieser zu vergleichen wäre.

»Denn die frißt auch Stroh,« sagte er, »und giebt doch täglich vierzehn Liter Milch.«

»Unsinn!« antwortete geringschätzig Moritz Münz, »ich bin ja kein Kalb, welches trinken will, daß Ihr mir die Milch anpreist, ich bin ein Fleischhacker, der sie abschlachtet und auswägt.«

»Nun, das ist wahr,« gab der ehrliche Kürschnermeister zu und ließ aus eigener Initiative fünf Gulden von dem Preise der Kuh ab.

Das mag dem Moritz noch zu wenig gewesen sein, denn er schlug dem Tiere, nachdem er es überall betastet hatte, fest auf das Schulterblatt: »Wie viel Knochen!« rief er verzweifelt aus, dann riß er ihr das Maul auf und besah ihre Zähne.

»Ach, die hat ja nicht einmal mehr Zähne!«

»Was spricht der Herr von Zähnen?« murrte der ehrliche Kürschner.

»Sie wollen doch vielleicht nicht auch die Zähne auswägen?«

»Aber das häßliche Tier schlägt ja aus!«

»Ach was, nach seinem Tode wird es nicht mehr ausschlagen; und ich hoffe, Sie haben die Absicht, dasselbe erst nach seinem Tode auszuwägen.«

Der ehrliche Kürschner lachte über seine eigene Bemerkung, und weil ihn dies in gute Stimmung versetzte, ließ er in dieser guten Stimmung wieder fünf Gulden ab.

Auch dies schien dem Moritz zu wenig zu sein, denn er betrachtete noch immer die »Bimbó,« um neue und wieder neue Fehler an ihr zu entdecken, als Georg Wibra plötzlich erschien und ihn ungarisch ansprach: »Kommen Sie auf ein Wort, Herr Münz!«

Als man seinen Käufer fortrief, ließ der erschrockene Kürschner noch weitere fünf Gulden ab, worauf ihm nun der kluge Moritz, der immer erst gegen Abend von den hoffnungslosen Eigentümern einkaufte, die bis dahin ihr Vieh nicht anbringen konnten, in die Hand schlug.

»Was wünschen Sie, mein Herr?«

»Ich möchte Ihnen etwas abkaufen, was weder mir gehört, noch Ihnen.«

»Nun, solche Waren giebt es genug auf der Welt,« grinste Moritz. »Ich versichere Sie, daß ich es sehr preiswürdig hergeben werde.«

»Gehen wir etwas weiter weg von hier!«

Georg führte ihn aus der Menge hinaus zu dem Brunnen der Stadt, wo ein ausgebreiteter Eichenbaum Schatten spendete. Dieser Baum, den die vieledle Stadt mit einer Schranke umgeben und unter den sie zu beiden Seiten Bänke gestellt hatte, gehörte auch zu der zukünftigen Größe von Bábaszék: die goldiggrün schimmernden Käfer mit dem Bisamgeruch, welche seine schmalen, länglichen Blätter bedeckten und zu der Bereitung gewisser Arzneien nötig sind, die spanischen Fliegen (wie sie von den Gelehrten genannt werden) können ebensoviel Argumente bei der Obrigkeit sein, daß auch Bábaszék einst eine Apotheke erhalten soll.

Früher haben die jungen Weiber von Bábaszék oft solche Käfer in kleinen Töpfen nach Altsohl getragen, wo sie der Apotheker ihnen für ein paar Groschen abkaufte, doch später verbot die edle Stadt diesen Handel und bemerkte: »Dem Baume gebührt eine Apotheke. Wir erlauben nicht, Käfer auszuführen ...« Der weitblickende Mravucsán kennt seine Pflicht gar gut!

Georg erzählte kurz, was ihn herführte, daß er den Lieblingsregenschirm seines Vaters, den der alte Jonas mit sich getragen, als Reliquie zurückkaufen wollte.

»Wissen Sie etwas darüber?«

»Jawohl,« antwortete Moritz mißmutig, und seine Nase wurde ziemlich lang, daß nur von so einer Kleinigkeit die Rede war.

»Ich biete Ihnen fünfzig Gulden, wenn Sie mir den richtigen Weg weisen und es Erfolg hat.«

Moritz riß erschrocken die Mütze vom Kopfe. Fünfzig Gulden für einen alten Regenschirm! Ha, das ist vielleicht der Herzog von Koburg selbst aus Szent-Antal. Mit einem einzigen Blick seiner Augen bemerkte er jetzt, welch eleganten Anzug der Fremde trug.

»Der Regenschirm kann aufgefunden werden,« sagte er mit auffallender Hast, dann setzte er nachdenklich das mäßigende »glaube ich« hinzu.

»Erzählen Sie alles, was Sie wissen!«

Er schwieg eine Weile in Gedanken vertieft; die auf seinen Vater sich beziehenden Erinnerungen waren in seinem Kopfe wirr durcheinander geworfen, wie ein Distelschober.

»Ja, ja, der Regenschirm! Wo war er nur? Es sind vierzehn, fünfzehn Jahre her, daß mein Vater verschwunden ist, viel Einzelheiten sind in meiner Erinnerung verblaßt, doch das eine weiß ich sicher, daß ich, als ich mit meinem Bruder auf die Suche nach ihm ausging, den ersten Faden in Podhrágy aufgefunden habe, von wo aus wir seinen Weg verfolgen konnten. In Podhrágy war er noch vollkommen bei Verstand, verkaufte einige Kleinigkeiten an die Bewohner des Dorfes, übernachtete in der Herberge und kaufte für zwei Gulden ein altes Petschaft von einem Landedelmann Namens Raksányi. Er war noch sehr bei Verstand, denn dieses Petschaft haben wir in seiner Tasche gefunden, als man ihn aus der Gran zog, und haben es für fünfzig Gulden an einen Antiquar verkauft, denn es stellte sich heraus, daß es das Siegel des Bid von Mohvra war aus der Arpadenzeit.«

»Schön, schön, aber diese Details interessieren mich nicht, Herr Moritz,« warf unser Held ungeduldig ein.

»Sie werden schon sehen, daß sie interessant sind.«

»Das ist möglich, aber sie beziehen sich nicht auf den Regenschirm.«

»Doch, auch auf diesen beziehen sie sich. Belieben nur mit Aufmerksamkeit zuzuhören. In Podhrágy habe ich erfahren, daß er sich von dort nach Abellowa wandte. So bin ich auch nach Abellowa gegangen. Nach dem Vorhergegangenen fing ich schon an, den Verdacht zu hegen, daß sich der Geist meines Alten umnachtet habe; er neigte ohnehin immer zur Schwermut. Hier nämlich erzählte man uns, daß er die Engelskreuzer mit vier Kreuzern von den Dorfbewohnern einlöste. Doch später stellte es sich heraus, daß ich mich in meiner Voraussetzung geirrt hatte.«

»Wie? Er war noch immer nicht verrückt?«

»Nein, denn einige Tage nach ihm kamen zwei Judenburschen nach Abellowa, die jeder einen Sack Engelskreuzer mit sich brachten, welche wieder die Abellowaer zu drei Kreuzern einlösten, in dem Glauben, daß die Engelskreuzer viere wert seien.«

»Demnach ist es möglich ...«

»Nicht nur möglich, sondern gewiß, daß die zwei jungen Betrüger meinen ehrlichen Alten mit dem Einkauf der Engelskreuzer betraut hatten, der so unbewußt ihr Mitschuldiger ward. Es ist doch wahrscheinlich, daß sein Verstand nicht mehr ganz beisammen war, sonst hätte er sich nicht drankriegen lassen. Von Abellowa ging er über den Birkenwald Visroka Hora nach Dolinka, aber hier konnten wir nichts besonderes über sein Betragen erfahren, trotzdem er sich zwei Tage hier aufhielt; hingegen ist es sicher, daß in dem nächsten Dorfe Sztrecsnyó ihm schon die Kinder nachliefen und ihn verspotteten, wie einst den Propheten Elias, er aber band sein Bündel auf (nicht der Prophet Elias, sondern mein Tate) und bewarf sie mit seinen Waren. Nicht nach fünfzig Jahren wird man diesen Tag in Sztrecsnyó vergessen, als Kokusseife, Korallen, Taschenmesser und Harmonikas wie himmlisches Manna unter das Volk fielen. Seitdem ist es, wie ich höre, Sprichwort geworden ›Einmal ist nach Sztrecsnyó ein verrückter Jude gekommen.‹ Der Teufel soll Sztrecsnyó holen.«

»Kommen wir endlich einmal zur Sache.«

»Wir sind schon dabei. In dem rotbetürmten Kobolnyik sah man meinen armen Vater schon ohne Bündel, wie er sich in einer Hand mit dem Stocke, in der andern mit seinem Regenschirm gegen die auf ihn gehetzten Hunde wehrte. In Kobolnyik hatte er folglich den Regenschirm noch bei sich.«

Über das sommersprossige Antlitz des Moritz perlten die Thränen herab, er war so gerührt, sein Herz war beklommen bei all diesen Einzelheiten, auch seine Stimme klang dumpf und unendlich weich.

»Überall forschten wir nach in jener Gegend, aber nur in Lehota konnten wir etwas über ihn erfahren. In einer stürmischen Sommernacht klopfte er bei dem am Rande des Dorfes wohnenden Feldhüter an, doch der jagte ihn hinaus, als er sah, daß er ein Jude war. Damals hatte er schon weder Hut noch Schirm. Nur den großen gebogenen Stock, mit dem er uns so oft in unseren Kinderjahren getrieben hat – –«

»Ach ja, ich fange an, ihre Weitläufigkeit zu verstehen. Der Regenschirm ist auf dem Gebiet zwischen Kobolnyik und Lehota verloren gegangen – das wollen Sie nachweisen.«

»Ja.«

»Ich glaube es, Herr Moritz, doch dies ist so viel wie nichts. Ihr Vater kann ihn im Walde zwischen die Felsen geworfen haben. Und im besten Falle, wenn ihn jemand gefunden, hat er ihn auf sein Weizenfeld getragen, um die Vogelscheuche damit noch fürchterlicher auszustatten.«

»Das ist nicht geschehen. Ich weiß, was geschehen ist.«

»Wie?«

»Aus Zufall habe ich es erfahren, denn nicht den Regenschirm habe ich gesucht, was kümmerte mich der Regenschirm, sondern meinen Vater. Im Gebirge ›Kvet‹ begegneten wir einem Töpfer. Der Töpfer, der zu Fuß neben seinem Wagen schritt, war ein sehr redseliger Mann. Wie jeden Reisenden, frug ich auch ihn, ob er auf seinen Wanderungen nicht einen Juden gesehen, der so und so ausgesehen habe. ›Gewiß habe ich ihn gesehen,‹ antwortete er, ›vor Wochen in Glogowa, gerade bei einem Wolkenbruche, fiel es mir auf, wie derselbe über ein dem Regen ausgesetztes Kind unter dem Vordache eines Hauses seinen Regenschirm breitete und weiterging.‹«

Der Advokat sprang lebhaft auf: »Oho! Nur weiter, weiter!«

»Nichts weiter, mein Herr, ich weiß nur soviel, aber das ist sicher. Die Beschreibung des Hafners paßte auf meinen Vater, und außerdem liegt Glogowa zwischen Lehota und Kobolnyik.«

»Das sind schon wertvolle Daten,« rief der Advokat aus und nahm einen Fünfziger aus seiner Brieftasche. »Nehmen Sie dies für Ihre Gefälligkeit. Gott befohlen!«

Er rannte davon wie ein Windhund, der endlich die richtige Spur wittert. Hurra! Ihm nach! Er sprang über einen Zaun, um rascher durch die Wacholdersträucher auf den Weg hinauszugelangen und um schneller zu seinem Wagen zu kommen. Er hätte am liebsten fliegen mögen.

Er schritt weiter, doch als er auf einen Moment bei einer Bude stehen blieb und sich umschaute, stand plötzlich wieder Moritz Münz vor ihm.

»Verzeihen Sie,« sprach er, »daß ich Ihnen nachgelaufen bin, doch es ist mir eingefallen, daß ich Ihnen einen guten Rat geben kann.

Es sind soviel Glogowaer jetzt auf dem Jahrmarkte hier, daß es Euer Hochwohlgeboren austrommeln lassen könnte – ich weiß nicht, ob ich Sie gut tituliere?«

»Gar zu gut,« antwortete der Advokat.

»Sie könnten austrommeln lassen, daß derjenige, welcher von dem vor Jahren stattgefundenen Vorfall mit dem Schirm etwas weiß, wenn er sich meldet, eine Belohnung erhält. Ich bin überzeugt, Sie hätten schon nach einer Stunde sichere Daten. In einem so kleinen Dorfe weiß man alles.«

»Es ist überflüssig,« bemerkte der Advokat, »denn ich begebe mich sogleich selbst nach Glogowa. Nichtsdestoweniger danke ich für Ihre Gefälligkeit.«

»Ach, mein Herr, ich muß Ihnen danken. Sie haben mich wahrlich fürstlich belohnt für so eine Kleinigkeit. Ich schäme mich beinahe. Zum Teufel, fünfzig Gulden. Auch für einen Gulden hätte ich es Ihnen erzählt.«

Der Advokat lächelte.

»Und ich hätte auch tausend dafür gegeben, Herr Moritz.«

Und damit bog er eilig bei dem blaugestrichenen Thore des Schramekhauses ein, wo die feschen Weibchen von Zeleonyik ihre langen Haselnußketten und in große Haufen gelegten Zwiebelkränze u. s. w. verkauften, und wo noch anstatt Geld meistenteils nur Produkte den Tauschwert bildeten. Moritz schaute ihm unterdessen in Erstaunen versunken nach, so lange er ihn nur sehen konnte. »Auch tausend Gulden hätte er gegeben!« sann er nach, und dann schritt er, den Kopf schüttelnd, seinem dem Pester Kürschner abgekauften Kühlein zu.


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