Koloman Mikszáth
Der wundertätige Regenschirm
Koloman Mikszáth

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Das Ohrgehänge.

Dem Schramekschen Hause schräg gegenüber tönte laute Jahrmarktsfröhlichkeit aus den geöffneten Fenstern der Schenke, das heißt, pardon, des Gasthauses – so liebten es die Bábaszéker zu nennen und mit Recht, denn es verachtete den einfachen Wacholderbund der Dorfschenken, und von seiner Front wehte der aristokratischere Holzspanbusch. Schon von weitem hörte man das Fiedeln der Pleschnitzer Zigeuner. Neugierige junge Slowakenweiber mit froschförmig aufgesteckten Haaren und koketten Häubchen, von welchen in der Richtung des Ohres je ein neckischer Spitzenwürfel hinabbaumelte, schlanke Mägdlein mit rotem Band in ihren flachsblonden Zöpfen guckten zu den Fenstern hinein und drehten sich draußen auf der Straße im Tanze bei den anregenden Weisen.

Doch die Neugierde ist noch mächtiger als die Melodie. Plötzlich hört das mutwillige Herumhüpfen auf, weil der Heiduck der Stadt, Johann Fiala, von einer großen Menge begleitet, mit der großen Trommel am Halse herannaht. Er bleibt stehen und fängt aus Leibeskräften zu trommeln an. »Nun, Was kann denn Merkwürdiges geschehen sein? Sind vielleicht die zarten Gänschen der Frau Mravucsán von der Weide verloren gegangen?«

Wohl zehn Leute erkundigten sich bei Fiala, was geschehen, doch Fiala nimmt nicht um die Welt die prächtig brennende »Zapekacska«Eine Thonpfeife, welche die Slowaken angefüllt in die Glut vergraben und sie erst dann zu rauchen anfangen, wenn sie schon eine Weile dort gelegen hat. aus dem Munde und ist überhaupt ein viel zu selbstbewußter Mann, als daß er Amtliches auf privatem Wege mitteilen würde.

Deshalb trommelte er auch erst seinen Vers herunter und rief dann mit Stentorstimme, währenddem er mit den Trommelschlägern gestikulierte, wie folgt: »Es wird jedem, den es betrifft, kund gethan, daß ein goldenes Ohrgehänge mit grünen Edelsteinen auf dem Wege vom Ziegelbrenner bis zur Kirche in Verlust geraten ist. Dem ehrlichen Finder, der es auf das Rathaus bringt, wird die gebührende Belohnung garantiert.«

Auch Georg blieb einen Augenblick bei dem Laut der Trommel stehen, hörte die Kundmachung an und lachte über die erwartungsvollen Gesichter der jungen Weiber und Mädchen.

»Nun, ich würde es wahrlich nicht zurückgeben, wenn ich es fände,« sprach die eine.

»Eine goldene Nadel fürs Haar würde ich mir davon machen lassen,« sagte eine andere.

»Blicke auf mich herab, mein Gott!« seufzte die dritte, indem sie ihre Augen gen Himmel richtete.

»Nicht hinauf zum Himmel schau, du Tölpel, wenn du es finden willst, sondern zur Erde hinunter!« machte sie die vierte aufmerksam.

Jedoch das Schicksal fügte es so, daß das Ohrgehänge gerade einer fand, der es nicht gewünscht hatte, und das war Georg Wibra. Er that kaum einige Schritte, als ihn plötzlich aus dem Staube ein winziges grünes Auge anlachte, so groß wie eine Erbse.

Er beugte sich nieder und hob es auf, und siehe, es war gerade das ausgetrommelte goldene Ohrgehänge mit dem Smaragd. Nun, das ist auch ein Ärgernis, wenn man es gar so eilig hat. Hätte es nicht ein anderer finden können von den vielen hundert Menschen, die sich auf der Gasse herumtrieben! Doch gleichviel, das grüne Auge blickt ihn so freundlich an, er kann es nicht wieder hinwerfen, dass es im nächsten Moment von einem Stiefel zertreten werde. Wer mag hier einen so feinen Schmuckgegenstand tragen? Ei, wer es auch sei, wenn er es schon gefunden hat, will er es auch auf das Rathaus tragen, deswegen wird er sich nicht den Rücken brechen, es ist ohnehin nur zehn bis zwanzig Schritte von hier entfernt.

Er trat in das altertümliche Thor des Rathauses, wo von der Wölbung Leiterkannen imponierend herunterhingen, und wo in den Winkel geworfen düster ein verfallener Strafklotz stand (Sic Transit Gloria mundi); er ging die Treppe hinan und trat in den Sitzungssaal, wo an dem großen grünen Tisch der Senat beisammen saß und über eine gar ernste und dringende Angelegenheit beratschlagte.

Ein wirklich unangenehmer Vorfall stand auf dem Tapet. Der Hüter des Liskowinaer Waldes, welcher Eigentum der Stadt war, hatte keuchend die Meldung gebracht, dass er einen fremden Mann in Herrenkleidung an einem Baume aufgehängt gefunden – was hat nun mit der Leiche zu geschehen?

Darüber grübelten eben der Senat, und die großen Seelenkämpfe der Herren waren an den gerunzelten Stirnen ersichtlich.

Senator Konopka setzte auseinander, die Ordnung der Dinge sei, den gehängten Mann in die Leichenhalle hereinzubringen und den Stuhlrichter, den wohlgeboren Herrn Michael Gerry, zu verständigen, damit er mit dem Bezirksarzt, der die Leiche sezieren müsse, an Ort und Stelle erscheinen könne.

Galba schüttelte den Kopf; Galba war immer ein Diplomat, auch jetzt arbeitete sein Verstand an einer List.

»Ei,« so sprach er, »ich würde es für das Vernünftigste halten, nichts zu sagen, nichts zu schreiben, sondern die Leiche insgeheim in das ›Kvaka‹ genannte Birkenhölzchen zu schleppen, welches schon zum Travniker Hotter gehört. Mögen ihn dort die Travniker finden.«

Mravucsán schwankte, summte, bewegte sich unruhig hin und her, kratzte sich den Kopf und begann endlich zu brummen, dass eine fürchterliche, erstickende Hitze herrsche, dass ihn die Gicht in den Händen reiße, und dass der eine Fuß des Senatstisches wackele, man müsse ein altes Aktenbündel darunter legen. Er wartete unterdessen auf die Entscheidung der Majorität. Die Majorität war auf Galbas Seite. Nur dass die Partei des Galba sich wieder in zwei Lager teilte. Die strengen Galbaisten forderten das Hinüberschmuggeln der Leiche auf das Travniker Gebiet. Die Gemäßigten würden sich infolge des Vorschlages von Andreas Kozsehuba, abweichend von den Mamelucken des Galba, auch damit begnügt haben, den Unglücklichen unter dem Baume, an dem er sich erhängt hatte, in die Muttererde zu verscharren. Sie wollten nur dem ausweichen, dass man ihn durch den ganzen Hotter auf den Friedhof führe, was unbedingt erfolgen mußte, wenn man den Stuhlrichter von dem Falle verständigte, und was von großem Nachteil für die Bábaszéker sein würde, da infolgedessen bekanntlich ein Hagelschlag zu befürchten wäre.

»Dummer Aberglaube!« fuhr Konopka auf.

»Es ist ja freilich wahr, Herr Konopka, doch wer kann dafür, wenn das Volk nun einmal daran glaubt,« bestärkte der zur Kozsehubapartei gehörende Senator Fajka.

Konopka schlug zornig mit seiner siegelringgeschmückten fette Hand auf den Tisch, worauf kirchliche Stille entstand.

»Traurig genug, wenn ein Senator so spricht. Ich versichere Sie, dass unser Herrgott wegen dieser armen Leiche seine Hagelwolken gewiss nicht herdirigieren wird. Für einen Abtrünnigen wird er nicht tausend solche strafen, die an seiner Seite geblieben sind, noch dazu in einer Form, die gerade den Sünder unbestraft lässt. Was für ein Gott wäre denn das?«

Mravucsán atmete bei diesen beredten Worten, welche sichtlich den ganzen Magistrat stutzig machten, erleichtert auf, erkannte sofort den glücklichen Moment, und wie einst der Zaunkönig unter den Adlerfittichen, versuchte er höher zu fliegen als der Adler selbst.

»Was richtig ist, ist richtig,« sprach er und zog die Schnüre seiner Toga zurecht, »und folglich spreche ich die Entscheidung aus, daß aus angegebenen Gründen kein Hagelschlag sein wird.«

Darauf sprang Herr Fajka wie ein Hamster auf.

»Gleichviel! Ich wollte, es käme einer, wenn die Sache schon so steht. Denn, wenn schon die ganze Stadt bei der Triester versichert, weiß ich keinen Unterschied, ob Hagelschlag ist oder nicht. Es wäre sogar besser, wenn es hageln würde, denn die Bábaszéker, wie ich sie kenne, werden ihre Saaten über ihren Wert versichern, wenn man die Leiche durch den Hotter führt. Hier liegt das Unglück nicht im Hagelschlag, sondern im Transportieren des Toten.«

Fürwahr, Herr Fajka ist ein großer Redner, er hat den Nagel wieder auf den Kopf getroffen. Die Galba- und Kozsehubaparteien waren elektrisiert.

»Welch Gehirn!« schrie Kozsehuba auf.

Beim Gehirn fiel dem Galba das Secieren ein – per associationem idearum – und er warf lebhaft dazwischen: »Wozu diesen Menschen secieren? Wir wissen ohnehin, wer er ist. Ich soll ein Hund sein, wenn es nicht ein habgieriger Agent der Versicherungsgesellschaft ist, der sich deshalb hier bei uns erhängt hat, damit er die Bevölkerung zur Versicherung antreibt. Es ist ja so klar wie die Sonne.«

»Ihr seid närrisch, Galba!« brauste Konopka heftig auf, worauf ein Aufruhr, ein zügelloser Lärm ausbrach. Die Senatoren sprangen auf und wie der Heiduck Fiala zu sagen pflegte: »die Töpfe der Stadt kochten über,« alle Augen hingen an dem Bürgermeister, an dem Löffel, der den überflüssigen Schaum abschöpfen sollte.

Doch der Bürgermeister zog seinen Kopf in den Kragen seiner blauen Toga, er verschwand beinahe darin wie ein Sandhaufen zwischen aufgepeitschten Wellen; er kaute ratlos an seinem Schnurrbart und überlegte, was er nun thun, was er sagen solle, als plötzlich Georg Wibra in der Thüre erschien ... Wirklich, über die Autorität der Mächtigen wacht die Vorsehung!

Als er den seltsamen Fremdling erblickte, der vor ein, zwei Stunden einen alten Regenschirm bei Frau Münz kaufen wollte, stieß er seinen Sessel weg und rannte in aller Eile auf den jungen Mann zu, damit die Senatoren glauben möchten, er hätte eine besonders dringende und wichtige Angelegenheit mit dem Eingetretenen zu besprechen.

»Ach, mein Herr,« sprach er hastig, »Sie suchen mich.«

»Falls Sie der Bürgermeister sind?«

»Natürlich, o natürlich.« (Wer anders könnte denn in Bábaszék Bürgermeister sein als Mravucsán?)

»Es ist ein verlorenes Ohrgehänge ausgetrommelt worden.«

»Ja, ja, es ist ausgetrommelt worden.«

»Ich habe das Ohrgehänge gefunden, hier ist es.«

Darauf strahlte der Bürgermeister vor Zufriedenheit.

»Nun, das ist Ehrlichkeit, mein Herr. Das liebe ich. Unter meiner Bürgermeisterschaft ist noch kein Ohrgehänge in Verlust geraten außer diesem, und auch das hat sich gefunden. Das nenne ich behördliche Ordnung.«

Dann wandte er sich an die Senatoren: »Vor einer Stunde habe ich den Fiala mit der Trommel ausgeschickt, und das Ohrgehänge ist schon da. So was findet man nicht einmal in Budapest. So was kommt nur in Bábaszék vor.«

Unterdessen bemerkte er, daß der fremde Herr Anstalt machte, sich zu entfernen, und begann, ihn mit verdächtiger Hast zurückzuhalten.

»Aber was ist das? Sie wollen doch nicht fortgehen? Zum Teufel, mein Herr, dafür ist eine Belohnung versprochen.«

»Ich mache keinen Anspruch darauf.«

»Ach, warum nicht gar? (Er schüttelte mißbilligend den Kopf.) Bitte, sagen Sie so was nicht! Ich weiß nicht, in welchen Apostelbriefen es geschrieben steht, ›und es besteht nicht jede Süßigkeit aus Gold und Silber.‹ Junger Herr, junger Herr, man muß nicht so leichtsinnig sein Glück verscherzen. Ungesehen verkaufte nur der arme Mann dem Teufel, was er nicht kannte, und dann bedauerte er es sehr. In einem Märchen kommt das vor.«

»Es ist wahr, er bedauerte es,« antwortete lächelnd der Advokat, dem das Volksmärchen in den Sinn kam, »doch hier liegt schwerlich ein ähnlicher Fall vor.«

»Sie ahnen gewiß gar nicht, wem das Ohrgehänge gehört?«

»Nun, wem denn?«

»Der Schwester des Glogowaer Pastors.«

Herr Georg verzog spöttisch den Mund.

»Nun, nun, seien Sie vernünftig, kommen Sie nur auf einen Moment hinein, Sie werden es nicht bereuen.«

»Wo soll ich hineingehen?«

»Hier in das Nebenzimmer.«

Der Bürgermeister wollte ihn mit Gewalt zurückhalten, um Zeit zu gewinnen, bis sich die Zukunft des gehängten Mannes entschieden hatte, er klammerte sich an ihn und zog ihn mit sich.

»Aber mein Herr, ich habe zu thun.«

»Gleichviel, Sie müssen hereinkommen.«

Damit öffnete er die Thür des Nebenzimmers und stieß Georg förmlich vor sich hinein.

»Fräulein,« rief er hinter dem Rücken des jungen Mannes hinein, »hier bringe ich Ihr Ohrgehänge!«

Bei diesen Worten wandte ein junges Mädchen, das in knieender Stellung kalte Umschläge auf die Schulter einer auf dem Diwan liegenden älteren Dame legte, plötzlich den Kopf.

Georg war auf diese Scene nicht vorbereitet. Eine ungewöhnliche Verwirrung und Unbeholfenheit bemächtigte sich seiner, als ob die Centnerlast einer begangenen Unziemlichkeit ihn gelähmt hätte. Die ältere Dame lag halb entkleidet auf dem Diwan, die verletzte rechte Schulter (eine sehr magere, reizlose Schulter) war ganz und gar nackt, und um den Umschlag herum ward die krankhafte weiße Farbe des Körpers sichtbar.

Er murmelte etwas wie eine Entschuldigung, indem er zur Thür zurückwich. Mravucsán verstellte ihm den Weg.

»Oho, ho! Man beißt Ihnen nicht die Nase ab!«

Das junge Mädchen, dessen sympathisches, liebes Gesicht nur für einen Moment in frischer Schönheit hervorleuchtete, deckte schnell ein Kleidungsstück auf die Verwundete und war im nächsten Augenblick schon aus ihrer knieenden Stellung aufgesprungen.

Ach, welch wunderliebliche, schlanke Gestalt sie war. Georg kam es vor, als ob eine gebeugte Lilie sich in ihrer leichten, wiegenden Pracht aufrichtete.

»Dieser junge Herr hat Ihr Ohrgehänge gefunden und hergebracht, Fräulein.«

Ein ungesuchtes Lächeln erblühte auf ihren Lippen (als ob Frühlingssonnenschein in das düstere graue Arbeitszimmer des Bürgermeisters eingedrungen wäre), sie errötete ein wenig und machte dann einen achtungsvollen Knicks vor dem ehrlichen Finder, einen echten Backfischknicks, ungeschickt und doch reizend.

»Ich danke Ihnen, daß Sie so gut waren. Ich freue mich nun doppelt darüber, da ich schon darauf verzichtet hatte.«

Sie nahm das kleine Ohrgehänge in die Hand, begann, es zwischen ihren zwei Fingern zu schaukeln, als ob es die sichtbare Zunge einer unsichtbaren kleinen Glocke wäre und bewegte dementsprechend auch ihren seitwärts geneigten, lieblichen Kopf hin und her. Sie war noch ein echtes, großes Kind – nur so schnell aufgeschossen wie eine Silberpappel.

Georg fühlte, daß er jetzt etwas sagen mußte, aber er fand keine Antwort auf diese zwitschernde, frische Kinderstimme; dieses Kind verwirrte ihn. Und außerdem verbreitete sich ein eigentümlich süßer Duft in der Kanzlei, wie die einfache Stube mit gewohnter Bábaszéker Großthuerei genannt wurde, welcher ihn betäubte. Dort stand er unbeholfen, wortlos, als ob er auf etwas wartete. Vielleicht, daß die unsichtbare kleine Glocke ertöne? Oder vielleicht auf die Belohnung?

Diese Stille war geradezu peinlich. Freilich verursachte dies die heikle Situation.

Endlich sah das Mädchen, daß sich der ehrliche Finder nicht entfernte, und brach das Schweigen.

»Ach mein Gott, beinahe hätte ich vor Freude vergessen, daß ich dafür ... wie soll ich nur sagen.«

Blitzschnell bemerkte Georg den nahenden Satz (zur Zeit der Gefahr wird der ermattete Geist in einem Moment wieder elastisch) und warf instinktiv seinen Namen als Schild dazwischen.

»Ich bin der Doktor Georg Wibra aus Neusohl.«

Der Backfisch schlug vor Freude die Händchen zusammen.

»Herr Gott, welch' Glück! Wir benötigen ja soeben einen Doktor. Die arme Madame ...«

Dieses kleine Mißverständnis kam gerade recht. Wie Löschpapier die Tinte aufsaugt, so verschlang es plötzlich die eingetretene Verwirrung.

Georg lächelte.

»Ich bedauere, mein Fräulein, aber ich bin kein solcher Doktor, sondern nur Advokat.«

Der Backfisch war ganz niedergeschlagen über diesen Irrtum, errötete sogar, aber um so lebhafter wurde Mravucsán: »Was sagen Sie? Daß Sie der Wibra sind, der berühmte junge Wibra? Nun, das ist schön. Wer hätte das gedacht? Zum Teufel, jetzt verstehe ich schon. (Mravucsán schlug sich auf die Stirne.) Euer Wohlgeboren forschen wahrscheinlich in einer Kriminalangelegenheit. Es hätte mir gleich bei der Frau Münz einfallen können. So ein Herr kauft keine abgetragenen Sachen ohne Ursache. Ei nun, Gott hat Sie hergebracht, denn wir beraten drinnen eben über eine so verwickelte Angelegenheit, daß unser Verstand zu kurz dazu ist. O, o, Fräulein Veronika, welch' Zufall, daß eben der berühmteste Advokat Ihr Ohrgehänge findet.«

Veronika blickte verstohlen auf den berühmtesten Advokaten, sie sah erst jetzt, wie hübsch, wie vornehm er aussah, ihr Herz begann erschrocken zu pochen bei dem Gedanken, daß sie ihm beinahe die fünf Gulden angeboten hätte, die ihr Mravucsán als Belohnung für den eventuellen Finder angeraten hatte.

Mravucsán hingegen beeilte sich, dem Advokaten einen Stuhl hinzuschieben, und ließ seinen Blick mit einer gewissen Ängstlichkeit über die unordentliche Kanzlei schweifen, wo Aktenbündel, als Versatz genommene Bauernpelzjacken, leere Gläser und Flaschen in augenverletzendem Durcheinander herumlagen. Die Herren Senatoren verurteilten nämlich nach jedem Prozeß die streitenden Parteien dazu, ein Gastmahl zu geben, welches gleich in diesem Zimmer verzehrt wurde: denn es gehört sich so, daß sie nach der Wahrheit, die sie aus sich herausgaben, wieder neue Wahrheit einsammeln müssen, und die steckt bekanntlich im Weine. Das Aussehen der Kanzlei hätte in diesem Momente den Bürgermeister wirklich niedergedrückt, wenn ihm nicht das an der Wand hängende Bild des Obergespans, Baron Radvanszky, in die Augen gefallen wäre, der verlieh dem Zimmer doch einen gewissen würdevollen, feierlichen Prunk. Der Bürgermeister wünschte von Herzen, der hochgeborene Herr möge lebendig werden und diese ungewöhnlich schöne Gesellschaft hier sehen.

Doch da der hochgeborene Herr nicht lebendig werden wollte, gab er selbst seinen stolzen Gefühlen Ausdruck.

»Ich bin ein armer Mann, aber es ist mir mehr als hundert Gulden wert, daß ich eine solche Gesellschaft in meiner Kanzlei begrüßen kann! Potztausend! das ist schon etwas, der berühmteste Advokat und das schönste Mädchen des Komitates ...«

»Aber, Onkel Mravucsán!« rief Veronika aus, und ihr Gesicht flammte vor lauter Scham wie eine Fackel.

»Nun, nun,« besänftigte sie Mravucsán, »was wahr ist, ist wahr. Es ist keine Schande, meine Kleine, wenn der Mensch schön ist. Ich war auch schön, doch schämte ich mich deshalb nie. Und schließlich ist ein schönes Gesicht eine große Hilfe für die Frauenzimmer. Nicht wahr, Herr Advokat?«

»Gewiß ist es ein großes Glück,« antwortete Georg aufschreckend, beinahe mechanisch.

Mravucsán schüttelte den Kopf.

»Bleiben wir nur dabei, daß es eine Hilfe ist, denn aus dem Glück kann leicht ein Unglück werden und aus dem Unglück ein Glück, sowie es jetzt auch geschah; denn ohne den heutigen Vorfall mit dem traurigen Ausgang hätte ich nicht das Glück, Sie hier alle von Angesicht zu Angesicht zu sehen.«

»Wie?« fragte Georg, »ist ein Unglück geschehen?«

Veronika wollte antworten, aber der redselige Mravucsán kam ihr zuvor.

»Freilich ist ein Unglück geschehen, aber nach und nach wird jede Spur davon verschwinden; das Ohrgehänge ist wieder da, auch die Schulter der Madame ist da, nur daß sie eine Weile blau sein wird, doch zum Teufel, nicht die Farbe macht die Schultern aus ... und schließlich wird auch der Wagen wieder da sein, sobald ihn der Schmied gerichtet haben wird.«

»Ah, also der zerbrochene Wagen, mit dem die wild gewordenen Pferde auf dem Marktplatz durchgegangen sind ...«

»War unser Wagen,« sagte Veronika, »bei dem Ziegelbrenner wurden die Pferde scheu, die Zügel fielen aus der Hand des Kutschers, und als er versuchte, sich nach ihnen hinunterzubeugen, stürzte er selbst aus dem Wagen. Wir sprangen dann in unserm großen Entsetzen hinunter; mir geschah nichts, aber die arme Madame hat sich verletzt, mein Gott, vielleicht wird sie noch krank. Haben Sie große Schmerzen, Madame Kriszbay?«

Madame Kriszbay öffnete ihre bisher geschlossenen, kleinen, stechenden, gelben Augen, und gleich das erste, was sie von der Welt erblickte, war Veronikas in Unordnung geratene Frisur.

»Bringen Sie Ihre Frisur in Ordnung,« machte sie Veronika auf Französisch aufmerksam, dann stöhnte sie ein-, zweimal, und ihre Augenlider schlossen sich wieder.

Veronika faßte erschrocken nach ihrem Haar und richtig war der eine Zopf gelöst.

»Ach, mein Haar,« rief sie kindlich aus und befühlte ihren Kopf mit beiden Händen; dann stotterte sie, ganz bleich geworden: »Meine Haarnadeln sind verloren gegangen, als ich vom Wagen gesprungen bin, nicht nur das Ohrgehänge. Mein Gott, was soll ich machen?«

»Lassen Sie auch den andern Zopf hinunter,« schlug Mravucsán vor. »So! Bei Gott, so sind Sie noch schöner. Nicht wahr, Herr Advokat?«

»Gewiß,« gab Georg verwirrt zu, als er jetzt seinen Blick gezwungen auf die blauschwarzen, sammetweichen Haare warf, die das Madonnenantlitz umrahmten und in zwei schweren Zöpfen bis zum Saum des geblümten, mit Falbeln besetzten Röckchens hinabhingen.

Also dies ist die Schwester des Glogowaer Pastors! Unglaublich! Er träumt vielleicht nur. Nicht so hat er sich die Pfarrersschwestern vorgestellt. Das sind fette, pausbäckige Schwestern, die einen Entengang haben und mit der Zeit ihrem Pastor ähnlich werden; sie duften nach Pomade und haben ein Doppelkinn. Ohne Doppelkinn giebt's keine Schönheit in den Pfarrhäusern.

Der Advokat versuchte, seiner Verwirrung Herr zu werden und ein Gespräch anzuknüpfen.

»Ich kann mir vorstellen, wie sehr Sie erschrocken sind.«

»Nicht sehr. Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt erschrocken bin. Doch jetzt fange ich schon an, mich zu fürchten. Mein Bruder wird außer sich sein.«

»Der Pfarrer?«

»Ja, der Pfarrer. Er liebt mich sehr, er wird unglücklich sein, daß wir nicht nach Hause gekommen sind, und ich weiß nicht, wie und wann dies geschehen wird.«

»Warum nicht gar,« warf Mravucsán ermutigend ein, »die Pferde sind da, und einen Wagen werden wir uns verschaffen.«

Veronika schauderte und schüttelte den Kopf.

»Ich, mit jenen Pferden? Nie!«

»Ei, liebes Fräulein, Sie dürfen die Pferde nicht ernst nehmen. Die besitzen keinen festen Charakter. Denn woraus entstand die Sache? Bei dem Ziegelbrenner befindet sich jene närrische Windmühle, denn bei Gott, in einer Stadt muß alles vorhanden sein, die Welt schreitet vorwärts. Sie schreitet vorwärts, so sehr sich auch der Herr Senator Fajka dagegen sträuben mag. Nun, wie gesagt, dort befindet sich jene Windmühle. Ich habe sie errichten lassen, weil man uns immer verspottet hat, daß wir kein Wasser haben. Nun gut, so werde ich den Wind einfangen, so soll der mahlen. Freilich betrachten das die Pferde anders, oberungarische Vollblutpferde, die noch nie ein Tier mit solchen Riesenflügeln in der Luft sich herumdrehen sahen, deshalb sind sie erschrocken und wild geworden. Das kann man ihnen nicht übelnehmen. Aber wenn ihnen jetzt der Schrecken aus dem Kopfe gedampft ist, werden sie das Fräuleinchen schon ruhig nach Hause führen.«

»Nein, nein, ich habe nun einmal Angst vor diesen Pferden. O, wie fürchterlich waren sie! Wenn Sie sie gesehen hätten! Ach, nicht einen Schritt fahre ich mit ihnen. Ich selbst würde mich ja auch zu Fuße auf den Weg begeben, jedoch die arme Madame Kriszbay ...«

»Nun, das wäre schön,« rief entsetzt Herr Mravucsán, »wenn ich das Schwesterchen meines liebsten Pastors mit ihren Bisquitfüßchen zu Fuß auf den Weg ließe. Das wäre schön! Wie würde unser kleiner Engel über die spitzen Steine tip-tap, tip-tap, in seinen zarten Stiefelchen wandern! Mein lieber hochwürdiger Herr würde gewiß sagen: Nun, mein Freund Mravucsán ist eigentlich ein niederträchtiger Mensch; so oft habe ich ihn bewirtet, in Milch und Honig gebadet, und doch läßt er meinen liebsten Schatz so in die Welt hinaus. Nein, das geht nicht, lieber würde ich das Fräulein auf meinem eigenen Rücken bis zur Pfarre von Glogowa tragen.«

Veronika blickte dankbar auf Mravucsán, und in Georg entstand plötzlich der Gedanke, wenn wahrhaftig gar kein Fuhrwerk auf dieser Welt wäre und das junge Mädchen in Wirklichkeit auf dem Rücken nach Hause getragen werden müßte, ob wohl Mravucsán die Last ertragen könnte, und ob dann nicht an ihn die Reihe käme, sie nach Hause zu tragen.

Und neugierig begann er, seine Körperkraft zu messen, zu schätzen, er sah seine Schultern, seinen Brustkorb an – als ob wirklich das nun die brennendste Frage wäre, wer Veronika auf seinem Rücken nach Hause tragen würde.

Er fand, daß Mravucsán ein schwacher, kraftloser Mann war, und fühlte lächelnd, daß ihn dies beinahe angenehm berührte. Man kann sich gar nicht vorstellen, in wieviel ungeahnte Richtungen die Gedanken sich verlieren, und aus wie weit verzweigten Quellen der erste Tropfen Liebe hervorsprudelt.

»So, so, meine Liebe,« versuchte Mravucsán das Mädchen um jeden Preis zu beruhigen, »ruhen Sie sich erst aus, wir werden schon alles ordnen; seien Sie ganz ohne Sorge. Freilich wären andere Pferde besser. Aber was sollen wir thun? Hier in Bábaszék hält man keine Pferde, nur Ochsen, ich selbst besitze auch nur Ochsen. Ein Berg bleibt schließlich immer ein Berg. Ins Gebirge gehört kein Pferd, denn das Pferd kann hier auch nichts anderes thun als der Ochs – im Schritte gehen. Hier kann man nicht paradieren, galoppieren, herumhüpfen, den Kopf hin- und herwerfen, dies hier ist eine ernste Gegend. Jawohl, eine ernste Gegend. Hier muß gezogen werden, und dazu taugt der Ochs. Das Pferd wird hier mutlos, sobald es die Umstände bemerkt, und wächst nicht einmal dem Herkopater zuliebe, als wollte es sagen: ›Ich bin nicht dumm, ich bleibe lieber ewig ein Füllen.‹ Wenn sich hier schon ein Pferd findet, ist es nicht viel größer als eine Katze und greulich anzuschauen.«

Er würde den Faden seiner Unterhaltung noch weiter gesponnen und die Gattung der Pferde bis aufs äußerste herabgesetzt haben, wenn ihn Georg nicht unterbrochen hätte.

»Aber ich habe ja meinen Wagen hier, mein Fräulein, und bringe Sie sehr gern nach Hause.«

»Sie würden es thun?« rief Mravucsán erfreut aus. »Ich wußte, daß Sie ein Kavalier sind! Doch warum haben Sie nicht früher gesprochen, um des Himmels willen!«

»Weil Sie mich nicht zu Worte kommen ließen.«

»Das ist freilich wahr,« lachte Mravucsán gemütlich. »Also Sie nehmen sie mit?«

»Natürlich; auch wenn ich nicht eben die Absicht gehabt hätte, nach Glogowa zu fahren.«

»Sie begeben sich auch dorthin?« fragte Veronika erstaunt.

»Ja.«

Sie blickte ihn eine Weile nachdenklich mit ihren schwärmerischen Augen an, dann drohte sie ihm plötzlich neckisch mit zwei Fingern.

»Aber betrügen Sie mich nicht!«

Georg gefiel diese Bewegung ungemein, er lächelte darüber.

»Auf mein Wort, ich habe die Absicht, nach Glogowa zu fahren. Kommen Sie also mit?«

Veronika nickte fröhlich mit dem Kopfe und erhob schon die Hände, um vor Freude zu klatschen, als Madame sich plötzlich auf ihrer Ruhestätte bewegte und tief aufseufzte.

»Ach, mein Gott, die Madame!« rief Veronika erschrocken. »Ich habe ganz vergessen, daß wir vielleicht gar nicht mit Ihnen fahren können.«

»Warum nicht?« sagte der Advokat einfach. »Der Wagen ist bequem genug, wir haben ganz gut Platz darin.«

»Ja freilich, aber ist es wohl erlaubt?«

»Nach Hause zu fahren? Wer könnte es Ihnen verbieten?«

»Also Sie wissen es nicht?«

»Wer denn?« fragte Georg erstaunt.

»Die Anstandsregeln,« antwortete sie schüchtern. Georg lachte auf.

»O, das Gänschen!«

»Ja, ja,« beteuerte sie heftig, beleidigt, daß man sie auslachte, denn auch Mravucsán grinste. »Die Anstandsregeln sagen: ›den Arm eines fremden Mannes darf man nicht annehmen.‹«

»Aber ein Wagen ist ja kein Arm,« fuhr Mravucsán auf. »Wie könnte der Wagen ein Arm sein! Dann hätte ich ja gleich selbst zwei Wagen. Ei, mein Herzchen, lassen wir diese Regeln zum Teufel. In Bábaszék stelle ich die Regeln auf, nicht die Mademoiselle. Ich aber sage, daß der Wagen kein Arm ist, punktum.«

»Das ist freilich wahr, aber ich muß doch erst noch mit der Madame sprechen.«

»So reden Sie gefälligst mit ihr!«

Veronika hockte wieder neben dem Diwan nieder, und über die Kranke gebeugt, flüsterte sie eine Weile mit ihr. Das Ergebnis der Unterhaltung, aus welcher Georgs Ohren einzelne französische Worte auffingen, schien zu sein, daß Madame Kriszbay die Ansichten des Mravucsán teilte, nach welchen der Wagen kein Arm, und wer schon einmal vorgestellt, kein Fremder wäre. Infolgedessen, so meinte Madame Kriszbay, sollte die Gefälligkeit des jungen Mannes angenommen werden.

»Zu Zeiten der Gefahr,« sagte Madame, »giebt es übrigens keine Etikette. Die schöne Blanche Montmorency wurde einmal bei einer Feuersbrunst vom Marquis Privardière im bloßen Hemde aus dem Bette getragen, und nicht einmal der Turm von Notre-Dame ist darüber eingestürzt.«

Georg fühlte eine ähnliche Ungeduld wie der Spieler beim Austeilen der Karten, wenn er eine große Summe auf eine Karte gesetzt hat. Endlich wandte Veronika sich um.

»Wir nehmen den Wagen dankend an,« sprach sie lächelnd und dachte bei sich: »gewiß hätte Blanche Montmorency in diesem Falle auch so gehandelt.«

Mit gieriger Hast nahm Georg die Antwort entgegen. Die Lust zum Aufbruch ergriff ihn sogleich.

»Ich eile, um den Wagen zu bestellen,« sagte er, indem er nach seinem Hute griff. Doch Mravucsán verstellte ihm flink den Weg.

»Oho, ho! Daraus wird nichts. Pro primo, wenn auch das Fräulein fahren könnte, wäre es eine Sünde, Madame so krank auf einen Wagen zu setzen; es ist nicht eher möglich, als bis sie sich ein wenig von dem Schrecken und der Streifwunde erholt hat. Wenn meine Frau die Geschwulst für die Nacht mit ihrer Wundersalbe bestreicht, wird Madame morgen früh als wahres junges Weibchen aufwachen. Pro secundo, können Sie nicht fahren, weil ich nicht zugebe, dass Sie sich fortrühren. Pro tertio, weil es gleich dunkel wird; bitte nur zum Fenster hinauszusehen, wie könnten Sie in die Nacht hinausfahren?«

Wahrlich, die Sonne war schon hinter das stahlblaue Sohler Gebirge gesunken. Die vor dem Fenster stehenden Weißtannen warfen ihre riesenhaften Schatten über die breite Straße bis in den gegenüberliegenden Garten des Bürgermeisters, wo eine magere Katze ihre abendlichen Waschungen beendigte.

Trotzdem versuchte der Advokat zu rippostieren (das gehört ja zu seinem Handwerk): »Es wird eine ruhige, milde Nacht sein; warum könnten wir uns nicht auf den Weg machen? Und Madame mag es schließlich ganz gleich sein, ob sie im Bette ächzt oder im Wagen.«

»Aber es wird schnell dunkel,« erwiderte Mravucsán, »und der Weg nach Glogowa führt an argen, klüftigen Stellen vorbei. Trotzdem ich Bürgermeister bin, kann ich das Mondlicht nicht an den Himmel befehlen.«

»Ei, es ist auch unnötig; es sind Lampen auf meinem Wagen.«

Veronika war unschlüssig; sie schwankte hin und her, je nach einem triftigen Grund der zwei streitenden Männer, bis endlich Mravucsán einen sechs Center schweren Beweisgrund vorbrachte.

»Heut' Nacht gibt's einen Sturm, weil ein Erhängter neben dem Wege an einem Aste baumelt. Sie werden ihn sehen, wenn Sie durch den Wald fahren.«

Darauf schauerte der ganze Körper des kleinen Backfisches zusammen.

»Ach, nicht um die Welt fahre ich bei Nacht durch diesen Wald.«

Damit war die Frage erledigt. Georg neigte gehorsam den Kopf (ein sonniges Lächeln war sein Lohn), und Mravucsán rannte elektrisiert in den Sitzungssaal, um das Präsidium Konopka anzuvertrauen. (Er war überglücklich, dass er befreit war.) Er habe Gäste, er sei beschäftigt, flüsterte er gleich brühheiß einigen Senatoren, die bessere Röcke anhatten, ins Ohr, er werde sich freuen, sie beim Nachtmahl zu sehen. Dann lief er nach Hause, um Vorkehrungen für die Bewirtung der vornehmen Gäste zu treffen, wobei er Fiale, den er unterwegs auf der Treppe erblickte, schleunigst zu dem Wagen des Herrn Advokaten Wibra schickte, welcher vor dem Laden der Frau Münz stand, um denselben in seinen Hof einfahren zu lassen.

Bald kam Frau Mravucsán selbst, um die Damen abzuholen. Sie war ein kleines, liebes Weibchen, aus ihrem breiten, lächelnden Gesicht leuchtete Sanftmut und Gutherzigkeit. Sie trug das ehrsame Gewand der oberländischen Handwerkersfrauen, einen glatten, rostbraunen Rock und eine schwarze Seidenschürze; auf dem Kopfe hatte sie eine gekräuselte schwarze Seidenhaube, die unter dem Kinn mit einem Bande zugebunden war.

Mit großem Geräusch und Lärm stürzte sie in das Zimmer, wie es in dieser einfachen, freundlichen Welt Sitte ist.

»Ach mein Gott, ist es wahr, was ich gehört habe? Der Mravucsán sagt, Sie werden unsere Gäste sein! Welches Glück! Aber ich habe es gewußt, ich habe es gefühlt. Im Traume sah ich heute Nacht eine weiße Lilie aus meinem Waschbecken hervorblühen. Ei nun, das ist eingetroffen. Na, meine Liebe, suchen Sie nur Ihre Sachen zusammen, ich werde dieselben schon hinübertragen, denn ich bin stark wie ein Bär. Aber das Wichtigste habe ich vergessen, was ich zu allererst hätte sagen sollen, daß ich die Frau des Mravucsán bin. Ach, mein Herzchen, mein Fräuleinchen, ich hatte mir nicht vorgestellt, daß Sie so schön sind. O heilige Jungfrau, heilige Jungfrau! Jetzt verstehe ich schon, weshalb unsere Himmelsfrau Maria den Regenschirm auf Sie hinabgesandt hat, damit Ihr thaufrisches Gesichtchen nicht naß werde. Ich höre, die Dame ist krank, sie hat sich die Schulter verletzt. Nun, ich habe ein Kraut, das wir auflegen werden, belieben Sie nur zu kommen. Nur nicht den Mut verlieren, mein Täubchen, das hat nichts zu sagen. Ich bin auch einmal gestürzt, trotzdem Mravucsán die Zügel der Pferde hielt. Wir rollten in einen Abgrund und ich brach mir zwei Rippen. Trotzdem bin ich doch noch da, aber meine Nieren, bei Gott, fühle ich seit dieser Zeit immer. So was kann schon unterwegs passieren. Schmerzt es sehr?«

»Die Dame kann nicht slowakisch,« sagte Veronika, »auch nicht ungarisch.«

»Heiliger Gott,« und Frau Mravucsán schlug ihre Hände zusammen. »So alt, und kann nicht einmal ungarisch! Wie ist dies nur möglich?«

Veronika mußte erzählen, daß Madame direkt aus München zu ihr als Gesellschafterin gekommen, bisher noch nie in Ungarn gewesen und Witwe eines französischen Offiziers wäre. (Frau Mravucsán hätte nicht um die Welt den geringsten Umstand unaufgeklärt gelassen); vorgestern hatten sie in Glogowa den Brief erhalten, daß sie kommen würde, und Veronika wollte sie selbst von der Eisenbahnstation abholen.

»Ach so? Also diese ... (Frau Mravucsán wollte Hopfenstange sagen, schlug sich aber schnell auf den Mund) also diese Dame kann weder slowakisch noch ungarisch. Armes, hilfloses Geschöpf! Was soll ich nun mit ihr beginnen, wen bei Tische neben sie setzen, wie ihr etwas anbieten? Na, das wird eine schöne Unterhaltung werden! Ein Glück, daß der Kantor deutsch spricht! Und gewiß auch der junge Herr?«

»Beruhigen Sie sich, liebe Frau, ich werde sie schon bei Tisch unterhalten und ihr auch vorlegen,« antwortete Georg.

Mit vieler Mühe kamen sie auf den Weg. Madame Kriszbay jammerte und ächzte, als man ihr die Kleidungsstücke wieder aufnötigte, Georg trieben sie vorher in den Korridor hinaus, damit er sie nicht sehe, denn Madame Kriszbay war verschämt; die großen Tücher und Mäntel nahm Frau Mravucsán auf den Arm.

»Den Koffer wird die Magd holen.«

Dann nahm sie Madame unter den Arm, damit sie sich auf sie stützen sollte, und führte sie so mit Mühe und Not die Treppe hinunter.

Madame stöhnte, murmelte etwas in deutscher, mit französischen Brocken untermischter Sprache, während auch Frau Mravucsán fortwährend bald zu den vorausschreitenden jungen Leuten, bald zu der armen Madame sprach, die in ihrer zerzausten Frisur aussah wie ein kranker Kakadu.

»Nur hierher, hierher, mein Fräuleinchen! Das dort ist unser Haus. Nur noch ein, zwei Schritte, liebe Frau. Der Hund beißt nicht. Ruhig, Gran! Gleich sind wir zu Hause. Sie werden schon sehen, Madame, welch' schönes Bett ich Ihnen für die Nacht bereite, aus lauter Flaum sind die Kissen.«

Es störte sie nicht im geringsten, daß Madame Kriszbay kein Wort von all dem verstand. Manche Frau spricht nur deshalb, weil es ihr wohlthut. Was würde sie auch thun, wenn sie nicht reden könnte! Vielleicht würde ihr dann sogar die Spinne den Mund zuweben.

»Sie haben Schmerzen, nicht wahr? Jedoch morgen wird der Schmerz noch ärger sein. So pflegt es schon bei diesen Quetschungen zu gehen. Aber was wahr ist, ist wahr,« sagte sie mit einem bedeutungsvollen Blick auf die Vorausschreitenden, »sie werden ein prächtiges Paar abgeben.«

Das Mravucsánsche Haus mit seiner einladenden Vorhalle und den freundlichen Fenstern war nur einige Schritte weit entfernt, es wäre jedoch noch näher gewesen, wenn sich nicht vor dem Rathause ein großer Tümpel breit gemacht hätte, dessentwegen sie einen Umweg bei dem Wirtshaus vorbei machen mußten. Doch dieser Tümpel war eine Notwendigkeit, er wurde auch von allen Bábaszékern in Ehre gehalten, denn auf ihm schwammen die Gänse des Städtchens herum, an seinen Rändern wälzten sich die kleinen Ferkel, und aus ihm endlich schöpften die Feuerwehrleute das Wasser zur Zeit einer Feuersbrunst. Das erwähne ich gar nicht, daß sämtliche Frösche des Städtchens sich hier aufhielten und für die Bevölkerung wunderbare Konzerte veranstalteten.

Dieser Tümpel war also notwendig, er wurde gern geduldet als eine gemeinnützige Institution, und als einmal der Komitats-Oberingenieur Johann Nepomuk Brunkusz auf der Durchreise den Vorstand aufmerksam machte, daß die Vertiefung vor dem Rathause ausgefüllt werden sollte, lachte jedermann Johann Nepomuk Brunkusz aus.

Der Tümpel mußte demnach jetzt auch von den Gästen der Frau Mravucsán umgangen werden, so daß sie an dem Wirtshause vorbeigehen mußten, welches die Fremden »Zum erfrorenen Schaf« betitelten, mit Bezug auf die klimatischen Verhältnisse von Bábaszék. Im »Erfrorenen Schaf« tönte noch immer Musik, die Gäste hatten schon nicht Platz darin, einige Turozer »Safranyiks« tranken draußen stehend ihren Branntwein, während ein Altsohler Karrenschieber sich an den einzigen Tisch niedersetzte und die Weinflaschen zu dritt kommen ließ. Er hatte schon einen tüchtigen Rausch und ließ sich in ein lautes Selbstgespräch ein, indem er mit zärtlichen Augen zu seinem mageren Gaul hinüberschielte, der vor den Karren gespannt war und mit herabhängendem Kopfe unter dem aus Wacholder geflochtenen Schuppen auf seinen Herrn wartete.

»Mein Nachbar behauptet gar,« philosophierte der Karrenschieber, »mein Pferd sei kein Pferd. Wie wäre es kein Pferd? Das war schon ein Pferd noch in den Kossuthzeiten. Er sagt, es ertrage die Last nicht. Freilich wohl, weil die Last schwer ist. Es ist mager? Wie sollte es nicht mager sein, wenn ich ihm keinen Hafer gebe? Warum ich ihm keinen gebe? Nun, ich möchte ihm schon welchen geben, wenn ich welchen hätte. Er hat gesagt, daß es auch neulich nicht imstande war, den Karren hinauszuziehen. Freilich, wenn das Rad in der Pfütze stecken blieb! Mein Nachbar ist ein großer Esel. Ist es so oder nicht?«

Er erhob sich taumelnd und forderte um jeden Preis von den Turozer Safranyiks, sich zu erklären, ob sein Nachbar ein Esel sei oder nicht.

Diese wichen ihm aus, worauf der Karrenschieber wie ein toller Hund, der weder sieht noch hört und nur durch seinen Spürsinn zu den Menschen gezogen wird, auf die am Arm der Frau Mravucsán dahintrippelnde Madame Kriszbay losstürzte: »Ist also mein Pferd ein Pferd oder kein Pferd?«

Frau Kriszbay erschrak und schrie auf; der aus dem Munde des Karrenschiebers dampfende Weingeruch brachte sie einer Ohnmacht nahe.

»Heiliger Gott!« stöhnte sie mit ersterbender Stimme, »in welches Land bin ich geraten!«

Jedoch so sanft Frau Mravucsán war, ebenso schneidig konnte sie auch sein.

»Ob dein Pferd ein Pferd ist, das weiß ich nicht – aber daß du ein betrunkenes Schwein bist, das sehe ich.«

Und sie gab ihm einen Stoß, daß er am Wege hinfiel wie ein Stück Holz und auf dem Rücken liegend sein Grübeln mit röchelnder Stimme fortsetzte: »Mein Nachbar sagt, der Gaul sei auf einem Auge blind. Unsinn! Er kann doch mit einem Auge ein ebensolches Stück des Weges sehen, wie mit zweien.«

Alsbald erhob er sich und stürzte ihnen mit der unbewußten Konsequenz der Betrunkenen nach, worauf Madame Kriszbay ihre Wunde vergaß und zu laufen begann, indem sie dabei ihre langen Röcke, in denen sie sonst gestolpert wäre, ungeschickt bis zu den Knieen aufhob. Die Safranyiks, die ihr nachblickten, lachten über ihre dünnen Beine und riefen: »Wie zum Teufel kann sie mit diesen Beinen so laufen!«

Noch mehr erstaunte die voranschreitende Veronika, die mit Georg plaudernd nichts von der Zudringlichkeit des Altsohler Karrenschiebers bemerkt hatte und nicht wußte, was es zu bedeuten hatte, als sie die kranke Dame so flink laufen sah.

»Madame, Madame, was fehlt Ihnen?«

Sie antwortete nicht, sondern rannte nur geradeaus auf das Mravucsánsche Thor zu, wo sie jedoch mit einem markerschütternden Schrei zurückprallte, entsetzt durch drei mächtige Bauernhunde, die sie mit lautem Bellen im Thore empfingen.

Sie wäre eben ohnmächtig zu Boden gesunken, wenn der gastfreundliche Mravucsán nicht plötzlich dort erschienen wäre; so fiel sie in seinen Armen in Ohnmacht.

Der brave Bürgermeister hielt sie darin, hielt sie mit unentschlossenem, einfältigem Gesichte, hatte er doch noch nie ein ohnmächtiges Weib gesehen; er hatte zwar etwas davon gehört, daß man sie zu solchen Zeiten mit Wasser zu besprengen pflegt, aber Wasser holen konnte er nicht. Er dachte, daß man sie ein wenig kneifen sollte (davon blinzelt auch ein totes Weib auf), nur daß zum Kneifen etwas Fleisch nötig ist, und Madame Kriszbay bestand aus lauter Knochen.

Er wartete lieber mit christlicher Geduld, bis die andern hinzukamen, die das arme nervöse Geschöpf alsbald zum Bewußtsein brachten.

»Ach,« seufzte sie immer wieder. »In was für ein Land bin ich geraten!«


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