Koloman Mikszáth
Der wundertätige Regenschirm
Koloman Mikszáth

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Zweiter Teil.

Die Familie Gregorics.

Der taktlose Gregorics.

Vor vielen Jahren (nämlich vor Beginn unserer Erzählung) lebte in der königlichen Freistadt Neusohl ein Mann, Namens Paul Gregorics, den man gewöhnlich nur den »taktlosen« nannte, obzwar sein ganzes Dasein darauf basiert war, andern zu gefallen. Paul Gregorics lief immer der Popularität nach, die ein hübsches, kokettes Mädchen ist, und traf überall auf die Kritik, diese Hexe mit dem bösen Gesicht und den giftigen Augen.

Paul Gregorics kam nach dem Tode seines Vaters zur Welt und zwar nach neun Monaten, von dem Tage des Begräbnisses an gerechnet, womit er doch schon eine gewisse Taktlosigkeit gegen seine Mama beging, die sonst eine sehr ehrenwerte Frau war. Wäre er einige Wochen früher zur Welt gekommen, so hätte er viel unangenehmes Gerede im Keime erstickt. Doch daran war am Ende Paul Gregorics unschuldig; ein viel größeres Pech war es für die andern lebenden Mitglieder der Familie Gregorics, daß er überhaupt geboren wurde, denn die Erbschaft wurde nun in mehr Teile zerstückelt.

Das Kind war schwächlich, und die anderen Gregorics' (die erwachsenen Brüder des Paul Gregorics) warteten fortwährend auf seinen Tod; aber Paul Gregorics starb nicht (deshalb war er ja zum taktlosen Menschen prädestiniert), sondern wuchs auf, wurde großjährig und übernahm sein Vermögen, welches größtenteils von seiner seither verstorbenen Mutter herrührte, und woran die Kinder aus erster Ehe nicht beteiligt waren; dieser Teil des Vermögens war größer, obzwar das von vaterseits zurückgebliebene Erbteil auch nicht gerade unbedeutend genannt werden konnte, denn der alte Gregorics hatte beim Weinhandel hübsch viel Geld beiseite geschafft. Dazumal war es in jener Gegend noch leicht, auf diesem Felde reich zu werden. Wein gab es noch, Juden hingegen gab es noch nicht. Heute fehlen schon viel Zuthaten des damaligen Weinhandels: aber das Wasser der Gran, das existiert noch immer.

Dem Paul Gregorics verlieh die Natur ein sommersprossiges Gesicht und rotes Haar, zu welchen Eigenschaften die Menschen zu bemerken pflegen, daß ein rothaariger Mensch niemals gut sein kann. Nun, Paul Gregorics will beweisen, daß er gut sein wird. Sprichwörter sind nichts anderes als alte Töpfe, in denen schon ganze Generationen gekocht haben. Einen dieser Töpfe wird Paul Gregorics zerbrechen. Er wird so gut sein wie ein Bissen Brot. Er wird so weich sein wie Butter, die sich sowohl auf Weißbrot wie auf Schwarzbrot gleich gut streichen läßt.

Er nahm sich vor, sehr gut zu sein, sehr liebenswürdig zu sein, und sein ganzer Lebenszweck bestand darin, die Liebe der Menschen zu gewinnen.

Und er war gut auf Schritt und Tritt; doch was nützte das, wenn ein böser Geist, der ihm voranschritt, das Urteil der Menschen so richtete, daß dieselben seine Thaten falsch auffaßten?

Nachdem er von Pest heimgekehrt war, wo er der juridischen Wissenschaft obgelegen hatte, ging er, als er das erste Mal am Marktplatze erschien, in eine Tabaktrafik und kaufte feine Havannacigarren; alsogleich kamen die Neusohler Zungen in Bewegung: »Der Kerl raucht Cigarren zu fünfunddreißig Kreuzer! Oho! So stehen wir? Das ist ja ein kolossaler Verschwender! Ihr werdet sehen, der endet noch im Armenhaus. O! wenn sein armer Vater aus dem Grabe steigen und sehen könnte, daß er Cigarren zu fünfunddreißig Kreuzer raucht! Herr Gott! Der Alte mischte getrocknete Erdäpfelblätter in den Tabak, um mehr zu haben, und begoß ihn mit Kaffeesatz, damit er langsamer brenne.«

Es kam Paul Gregorics zu Ohren, daß seine teuren Cigarren Anstoß erregendes Aufsehen im Städtchen verursachten, worauf er alsogleich zu den kurzen zwei Kreuzer-Cigarren überging.

Den Leuten gefiel auch dies nicht:

»Dieser Paul Gregorics ist eigentlich ein ganz gewöhnlicher Knicker. Der wird ein noch größerer Hund sein als sein Vater. Pfui, wie abscheulich ist der Geiz!«

Paul Gregorics verdroß es sehr, für einen Knicker gehalten zu werden, und bei der ersten Gelegenheit, als er auf einem Wohlthätigkeitsballe erschien, (auf dem Balle der Feuerwehr, dessen Lady Patronesse die Frau des Obergespans war und wo auf den Einladungskarten stand: »Überzahlungen werden angenommen«), löste er seine Eintrittskarte zu zwei Gulden mit zwanzig Gulden aus und dachte bei sich: »Paul Gregorics wird euch beweisen, daß er kein Knicker ist.«

Jedoch hierauf steckten die Arrangeure sogleich die Köpfe zusammen und erklärten: »Paul Gregorics ist ein taktloser Großthuer.«

Und sie hatten wahrlich Ursache zur Entrüstung.

Eine unerhörte Unverschämtheit das, ein Gregorics untersteht sich, den Obergespan, einen Baron Radvánszky zu überbieten. Radvánszky giebt zehn Gulden für seine Karte, Gregorics wirft zwanzig Gulden hin. Das ist ja ein direkter Insult! Der Sohn eines Weinhändlers! Herr Gott, welch ein Jahrhundert! Ein Floh hat die Keckheit, sich lauter zu räuspern als ein Löwe. Welch ein Jahrhundert! Welch ein wunderliches Jahrhundert!

Der arme Paul Gregorics mochte auf dieser Welt beginnen, was er wollte, alles wendete sich gegen ihn. Wenn er mit jemandem in Streit geriet und nicht nachgab, hieß man ihn einen Krakehler, geriet er in Streit und gab nach, war er ein »Poltron.« Anfangs ergriff er, trotzdem er Jus absolviert hatte, keine Beschäftigung; er fuhr zur Jagd auf seine Besitzung, welche eine Meile von der Stadt entfernt lag, und die er von seiner Mutter geerbt hatte. Ein anderes Mal unternahm er einen Ausflug nach Wien, wo er ein Zinshaus – ebenfalls Erbteil seiner Mutter – besaß, daraus bestand seine ganze Beschäftigung, was seine vollständige Verachtung in der arbeitsamen Neusohler Gesellschaft hervorrief.

»Der Paul Gregorics,« sagten sie, »ist nur eine Weltlast. Wochenlang hebt er nicht einmal einen Strohhalm auf. Wozu nur so eine Drohne auf der Welt lebt?«

Auch dies kam dem Paul Gregorics zu Ohren, und er sah ein, daß die Menschen recht hatten, und daß man sein Leben nicht durchfaulenzen darf. So ist's recht, jeder Mensch soll das Brot verdienen, welches er ißt.

Paul Gregorics erbot sich, seiner Stadt oder seinem Komitate mit seinen Fähigkeiten zu dienen.

Nun, das fehlte noch, Paul Gregorics. Hundert Zungen streckten sich sofort gegen diesen Plan. »Was? Der Paul Gregorics will etwas sein? Hier bei uns? Schämt er sich denn nicht? Einem armen Menschen das Brot aus dem Munde nehmen, wo er doch Kuchen hat! Es wäre besser, er überließe die kleinen Ämter, welche hier sind, jenen, die darauf angewiesen sind.«

Paul Gregorics sah ein, daß auch dies richtig sei, entsagte dem Beamtenstand, den öffentlichen Angelegenheiten, zog sich immer mehr von der Herrengesellschaft zurück und faßte den Entschluß, zu heiraten, eine Familie zu gründen. Auch das ist ja ein genügend ehrenwerter, schöner Beruf.

Er begann einzelne Familien zu besuchen, wo hübsche Mädchen waren, und wo man ihn als gute Partie auch gern empfing –, aber seine intriguierenden Halbgeschwister, die noch immer hofften, das hüstelnde, magere Männchen werde doch einmal sterben, zerstörten ihm jedes angesponnene Verhältnis mit unerhörter List und Schlauheit (wovon es der Mühe wert wäre eine separate Novelle zu schreiben) so daß Paul Gregorics soviel Körbe nacheinander erhielt, daß er dadurch im ganzen Komitate berühmt wurde. Später fanden sich allerdings junge Mädchen, welche der Jungfernkranz schon sehr drückte (denn auch der ist nach einer gewissen Zeit eine lästige Zier), aber diese wurden schon vom Schamgefühl zurückgehalten. Warum nicht gar? Den Mann heiraten, den schon so viele Mädchen zurückgewiesen? Welche will die Königin des Königs aller Körbe sein? Wahrlich nicht eine einzige! Am Sankt Andreastage wurde viel Blei gegossen, viel Blei wurde wieder hart in den Herrenhöfen am Ufer der Gran, aber aus keinem einzigen Stück löste sich die Gestalt des Paul Gregorics. Mit einem Worte, die schwärmerischen Backfische wollen von Paul Gregorics nichts wissen. Die begehren noch Poesie, nicht Geld. Möglich, daß ein altes Mädchen schneller nach dem Ringe greifen würde, denn die sind flinker dabei. Aber von den jungen Mädchen zu den alten Mädchen führt nicht ein Sprung, dazu gehören schon zwei Sprünge, den Haltepunkt zwischen den beiden bilden die jungen Frauen. Die alten Jungfern sind die letzte Station.

Die Backfische und die alten Jungfern sind zwei abgesonderte Welten. Der kleinen Karoline, dem Backfisch, sagt man über Paul Gregorics, er huste Blut, und das erschreckt die kleine Karoline, und bei dem zweiten Besuche des Paul Gregorics fühlt das kleine, heftig klopfende Herz nichts als Mitleid, wo es sich doch gestern beim Anblick des Viererzuges ganz andere Gefühle aufdisputieren wollte. Ah! armer Paul Gregorics! Der arme Paul Gregorics hustet Blut! Welch' Unglück! Umsonst schüttelt das vor den Schlitten gespannte Pferd seinen unruhigen Kopf, heute klingt das Schellengeläute nicht mehr so lustig. Hustet doch der Paul Gregorics Blut!

Ach, du einfältige, kleine Karoline! Ich weiß es, ich glaube es dir, daß Paul Gregorics ein häßlicher, verkümmerter Mann ist, aber wie reich ist er, und am Ende hustet er doch nur sein eigenes Blut –, was geht denn das dich an? Glaube es mir, daß Rosalie, die im ganzen zehn Jahre vor dir in die Schule zu »Madame« ging, schon kein so süßer, kleiner Einfaltspinsel wäre wie du. Rosalie ist schon Philosoph, und wenn man ihr von Paul Gregorics sagen würde, er hustet Blut, so würde sie sich denken: »Wahrlich, dieser Mensch hat Wert.« Und laut würde sie ausrufen: »Ich will ihn pflegen.«

Und tief unten am Grunde des Gehirnes, wo sich jene Regungen befinden, die noch nicht in Worte geformt werden können, weil sie noch keine Gedanken sind, sondern nur abgelagerter Schlamm egoistischer Gefühle, tief unten würde sich schon die Berechnung verstecken: »Wenn Paul Gregorics heute schon Blut hustet, wird er wenigstens schneller fertig werden.«

Ah, kleine Backfische, ihr kennt das Leben noch nicht: Das lange Kleid hat euch Mütterchen schon angelegt, aber euer Verstand ist noch kurz geblieben. Zürnt mir nicht, daß ich euch dies vorwerfe, ich muß es thun, wenn ich dem Leser begreiflich machen will, warum Paul Gregorics keine von euch zum Weibe erhielt.

Die Sache verhält sich ganz einfach. Die aufgeblühte Rose ist nicht mehr rein; Bienen haben in ihrem Kelche gebadet, Käfer darin geruht, doch im Innern der sich öffnenden Knospe findet sich noch kein Körnchen Erdenstaub.

Deshalb hat Paul Gregorics soviel Körbe von den Backfischen erhalten; er begann auch langsam einzusehen (denn wie gesagt, er war ein sehr guter Mensch), daß die Ehe wirklich nicht für ihn geschaffen sei: die Backfische haben recht, wenn sie einwenden, er huste Blut. Blut hat am Ende einen andern Zweck.

Er faßte den Entschluß, nicht zu heiraten, infolgedessen bekümmerte er sich auch gar nicht mehr um die Mädchen, sondern nur um die jungen Frauen. Diesen machte er den Hof; der schönen, vollblütigen Frau Vozary ließ er von Wien die Blumensträuße kommen, in den Garten der stattlichen Frau Mathias Muskulyi ließ er eines schönen Abends fünfhundert Nachtigallen los, die er mit vieler Mühe irgendwo in Siebenbürgen hatte zusammenfangen lassen. Ein Herrmannstädter Vogelhändler hatte sie ihm geliefert. Die schöne Frau wunderte sich, als ihr schneeiger Körper sich auf den Kissen hin- und herwarf, warum wohl heute Nacht die Vögel so schön sängen.

Junge Frauen hofieren, das ist ein reeller Maßstab. Weder die Backfische beurteilen einen Mann richtig, noch die alten Jungfern, der Gesichtspunkt beider ist schief, jede reitet ein falsches Steckenpferd; jedoch die jungen Frauen, die unter dem Baume der Erkenntnis stehen und von dort aus den Mann betrachten, die schon nicht mehr träumen und nicht mehr ungeduldig sind, zeigen ganz ruhig, wie viel ein Mann wert ist. Das richtige Gewicht eines Mannes ist immer dasjenige, welches die Urteilswage der jungen Frauen abgiebt.

Paul Gregorics –, wozu sollte ich sein Pech beschönigen –, brachte es auch bei den jungen Frauen nicht weit. Überall gab ihm die Frau den Laufpaß, nicht der Gatte, und die Männer haben es doch gerade auf die Gatten abgesehen; diese sollen es sein, die zuletzt wüten.

Er langweilte sich schon über die Maßen und wußte gar nicht mehr was anzufangen, als der Freiheitskampf ausbrach.

Auch dort nahm man ihn nicht auf. Sie sagten, er sei klein, er sei schmächtig, er könne die Mühen des Kriegszuges nicht ertragen, er würde nur das Regiment verunzieren. Er aber wollte um jeden Preis etwas thun.

Der Werbeoberst, der ein guter Bekannter von ihm war, gab ihm folgenden Rat: »Mir ist es ja recht, wenn Sie durchaus mit uns wirken wollen, wählen Sie sich irgend eine gefahrlose Beschäftigung. Der Kriegszug ist ja auch mit allerlei Geschreibsel verbunden. Wir werden Sie einer Kanzlei zuteilen.«

Paul Gregorics streckte sich stolz, beleidigt in die Höhe, als wenn eine Eule den Pfau nachahmt: »Ich habe die Absicht, mir die gefährlichste Beschäftigung zu wählen. Welche halten Sie dafür, Herr Oberst?«

»Ohne Zweifel den Spiondienst.«

»So werde ich Spion.«

Und Gregorics ward ein Spion. Er kleidete sich als eine Art Pilger (es gab dazumal viel solche verkommene Gestalten), ging von einem Feldlager zum andern und leistete dem ungarischen Heer nützliche Dienste. Alte Soldaten erwähnen noch heute das Männchen mit dem roten Regenschirm, das die feindlichen Linien tollkühn durchdrang mit einem so einfältigen Gesicht, als ob es nicht bis zehn zählen könnte. Sein schmales Vogelgesicht, seine aufgekrempten Hosen, sein alter, zerzauster, eingeschlagener Cylinder und sein roter Regenschirm mit dem gebogenen Griff machten ihn auffallend. Wer ihn einmal gesehen, konnte ihn nicht leicht vergessen. Und einmal gesehen hatte ihn jedermann, denn er wandelte unstet umher, wie der Geist des Urban. Wenige ahnten, was eigentlich seine Beschäftigung sei, aber Dembinszky mußte es wissen, denn er äußerte sich folgendermaßen über ihn: »Das Männchen mit dem roten Schirm ist der Teufel in eigener Person, aber aus der Familie der guten Teufel.«

Nachdem der Schlachtensturm ausgetobt, in den grabesstillen Zeiten kehrte er nach Neusohl zurück und wurde ein echter Misanthrop. Er rührte sich aus seinem großen, alten Steinhause nicht heraus und dachte weder daran, eine Rolle zu spielen, noch zu heiraten. Es erging ihm wie den meisten Junggesellen, er verliebte sich in seine Köchin. Die Dinge vereinfachen, vereinfachen und immer mehr vereinfachen, das ist der Fortschritt, das ist die Weisheit. Das war nun auch seine Theorie.

Der Mann braucht eine Frau, um sich bedienen zu lassen, und eine, um sie zu lieben. Das giebt also zusammen zwei Frauen. Aber warum könnten sich diese zwei Frauen nicht in einer Person vereinigen?

Anna Wibra war ein großes, vierschrötiges Frauenzimmer, irgendwo aus Detva her, wo der kleinste Mann eine Klafter mißt, ganz gleich dem Langholz ihrer mächtigen Waldungen; ihr Gesicht war nett genug, doch außerdem wußte sie des Abends, während sie ihr Geschirr spülte, schön zu singen:

Ein Floß schießt auf der Gran im Lauf,
Der Jankó schmaucht seine Pfeife drauf.

Ihre Stimme war so weich und einschmeichelnd, daß sie der Herr einmal in sein Zimmer rief und sie auf dem weichen, mit Leder überzogenen Sessel niedersitzen hieß. Noch niemals in ihrem Leben hatte sie auf einem solchen gesessen.

»Mir gefällt dein Gesang, Anka. Du hast eine hübsche Stimme. Singe hier drinnen, damit ich dich besser hören kann.«

Anka fing ein melancholisches Lied zu singen an, vom Brief des »angeworbenen Burschen,« der der Geliebten sein Leid klagt:

Weißt du, mein Liebchen, wie mein Bett ausschaut?
Auf eiskalten Stein gebreiteter Mantel,
Dies ist mein Lager.
Dort schlafe ich. Und was ist mein Labsal?
Pferdefleisch ist meine Speise, Schnee ist mein Trank,
Kennst du jetzt Liebchen, mein Leben?

Die Melodie rührte Paul Gregorics, er rief auch dreimal aus: »Welche Kehle du hast, Anna Wibra, welch' wunderbare Kehle du hast!«

Und er kam der wunderbaren Kehle immer näher und begann, sie mit seiner Hand zu streicheln, als ob nur die eigentümliche Formation der Kehle ihn interessierte. All dies duldete die Anka ruhig, aber als dann, ob zufällig, ob absichtlich, die knochige Hand des Paul Gregorics tiefer glitt, errötete sie plötzlich und stieß ihn trotzig fort.

»Dies ist im Lohn nicht inbegriffen, gnädiger Herr.«

Auch Paul Gregorics errötete und sagte mit etwas stockender Stimme: »Aber Anka, nimm doch Vernunft an. Sei nicht einfältig.«

Aber Anka wollte nicht vernünftig sein, sie sprang auf und lief zur Thüre.

»Laufe doch nicht hinaus, du Närrin. Ich esse dich ja nicht auf.«

Anka hörte nicht auf ihn, sie lief in die Küche und sperrte sich ein, umsonst kam ihr Paul Gregorics nach, umsonst wiederholte er an der Thüre: »Ich esse dich nicht auf. Bei Gott, ich esse dich nicht auf. Warte nur Ancsura, du wirst es noch bereuen.«

Ancsura wollte tags darauf den Dienst verlassen, aber der Herr versöhnte sie mit einem Goldringe und dem Versprechen, sie mit keinem Finger mehr zu berühren. Er könnte sie nicht entlassen, so sagte er, denn er könnte sich nicht mehr an die Küche einer anderen gewöhnen.

Der Ancsa gefiel das Lob und der Goldring, und sie blieb.

»Aber der gnädige Herr soll dann auch sein Versprechen halten, denn wenn er sich noch einmal vergißt, so schlage ich aus.«

Nun da hilft kein Leugnen, nach einiger Zeit vergaß er sich wieder. Und wieder wollte Ancsura fortgehen, und wieder besänftigte sie Paul Gregorics mit einer roten Korallenschnur samt Goldschnalle, wie sie die Baronessen Radvanszky beim Kirchgang tragen, und die sich so schön auf ihrem kräftigen, weißen Nacken ausnehmen wird.

Die Korallenschnur war so prächtig, daß Ancsura gar nicht mehr das Einstellen der Neckereien zur Bedingung machte. Ist doch der Herr reich genug, was soll sie ihm sparen helfen?

Vielmehr richtete sie noch denselben Tag, als sie die Korallenschnur erhielt, die diplomatische Frage an die alte Krämersfrau, Witwe Karl Botár, welche im Hause des Gregorics einen kleinen Laden in Miete hatte: »Sagen Sie doch, Frau Gevatterin, thut es sehr weh, wenn man einem die Ohren sticht?«

Die Krämersfrau lachte: »O, du närrische Tollkirsche, du willst doch vielleicht nicht Ohrringe tragen? Ei, Ancsa, Ancsa, du hast böse Gedanken, Ancsa!«

Ancsa wurde zornig und schlug die Thüre wütend zu, so daß die Klingel noch eine Viertelstunde zitterte und tönte.

Natürlich wollte sie Ohrringe. Warum auch hätte sie diese nicht haben sollen? Auch ihre Ohren hatte derselbe Herrgott erschaffen, wie diejenigen der in Seide gehüllten Frauenzimmer. Und während des Tages erfuhr sie auch, daß das Ohrenstechen keinen größern Schmerz verursache als ein Flohbiß.

Jawohl, sie wünschte Ohrringe, und jetzt war sie es, die sich Mühe gab, die ungeduldig wartete, Paul Gregorics möge recht bald seine Neckereien wieder beginnen. Das kann doch beschleunigt werden. Jede Evastochter findet die Mittel dazu. Sie kleidete sich hübsch und nett, flocht feuerrote Seidenbänder in ihren flachsblonden Zopf, legte ihr Busenhemd aus feinster Leinwand an, so dünn wie Fliegenpapier, warf das festschließende Leibchen beiseite, welches die Formen beengt und verdeckt, und ging nun so bloß herum, für Männeraugen gefährlich, daß sogar das Heben ihres Busens sichtbar ward.

Paul Gregorics mag pfiffig und schlau genug gewesen sein als Spion der ganzen russischen und österreichischen Armee gegenüber, doch ein Mädchen, und möge sie auch ein einfältiges Mädchen aus Detva sein, ist noch hundertmal schlauer als Gregorics. Nächsten Sonntag erschien sie schon mit goldenen Ohrringen in der Kirche, wo die Burschen und Mädchen, die sie unter sich den Grenadier nannten, sofort kichernd ihre Köpfe zusammensteckten.

»Hm, der Grenadier ist über jemanden gestolpert.«

Und wirklich nach einigen Wochen beklatschten die Leute in der ganzen Stadt das fürchterliche Ereignis, Paul Gregorics habe ein Verhältnis mit ihr.

»Nun sehet mal, der alte Ziegenbock leckt Küchensalz.« Kurze, pikante Scenen wußten sie sich zu erzählen, in denen viel burleske Komik steckte. Die Brüder des Paul Gregorics posaunten den Fall mit neuen Zuthaten geschmückt in der Stadt aus. »Ein Gregorics und eine Dienstmagd! Entsetzlich! So etwas ist vielleicht noch nie dagewesen!«

Die Fremden zuckten die Achseln (ach, freilich war es schon dagewesen) und beruhigten die Familie: »Das ist ja nichts. Es ist etwas ganz Natürliches. Keine einzige Angelegenheit des Paul Gregorics ist je korrekt gewesen, aber für euch ist es so besser, wenigstens wird er nicht heiraten, und das große Vermögen bleibt euch.«

Was daran wahr gewesen, und was nicht, konnte nicht sicher festgestellt werden. Aber Thatsache ist, daß die Gerüchte schon langsam einschliefen und erst nach Jahren wieder lebendig wurden, als diejenigen, die in das düstere Gregorics-Haus eindrangen, einen kleinen Jungen auf dem Rasen des Hofes mit einem dort grasenden Lämmchen spielen sahen.

Wem gehörte dieser Junge? Was suchte er hier? Wie kam er in den Gregorics-Hof? Manchmal spielte auch Gregorics mit ihm. Wer durch das Schlüsselloch des abgesperrten Thores hineinguckte, konnte sehen, daß die Hüften des Sonderlings Gregorics ein roter Gürtel umschloß, aus dem zwei Spagatschnüre als Zügel heraushingen, die der kleine Bursche hielt, während er in der andern Hand eine kleine Peitsche schwang.

»Hü, du Rappe!«

Und der alte Esel trabte im Geschirr, tanzte, hüpfte herum, fing alsdann zu laufen an, hie und da wieherte er sogar.

Und seitdem wurde er noch verschlossener; man sah ihn nur selten sich schwerfällig über den Marktplatz bewegen (denn er hatte zwei linke Füße, wie ein Spottvogel bemerkte) im abgetragenen, seltsamen Gewand, an welches er sich aus den Zeiten seines Spiondienstes gewöhnt hatte, mit dem roten Regenschirm unter dem Arme, welcher Winter und Sommer, bei Regen und Sonnenschein immer bei ihm war, und welchen er nie im Vorzimmer niederstellte, wenn er einen Besuch abstattete, sondern mit sich nahm und fortwährend in der Hand hielt. Es kam oft vor, daß man ihn aufmerksam machte: »Legen Sie doch den Schirm nieder, Onkelchen.«

»Nein, nein« entgegnete er »ich habe mich an ihn gewöhnt, ich habe mich derart an ihn gewöhnt, daß ich ihn in der Hand halten muß; ohne ihn könnte ich mich nicht wohl fühlen. Auf Ehre! Als ob mir eine Rippe fehlen würde. Auf Ehre!« Viel wurde darüber gesprochen, weshalb er so an dem Regenschirm hinge. Es ist unbegreiflich! Ei, vielleicht ist er eine Reliquie. Jemand erzählte (ich glaube der Grundbuchsprotokollführer Stephan Pazár, der Honved gewesen war), Paul Gregorics hätte zu seiner Zeit in diesem alten Schirme die wichtigen Estafetten und Notizen getragen, denn der Stock des Schirmes wäre angeblich an einer Stelle hohl. Das könnte freilich auch wahr sein.

Den übrigen Gregorics', die auf die Erbschaft warteten, war der verdächtige kleine Junge im Hofe des Gregorics-Hauses ein Dorn im Auge, und so lange spürten sie der Sache nach, bis sie in der Matrikel der katholischen Kirche zu Privorec (in Privorec lag das Landgut des Paul Gregorics) fanden, was sie gesucht. Er war als »Georg Wibra, illegitim« eingetragen, als seine Mutter Anna Wibra. Er war ein hübscher kleiner Fratz, voll Feuer, voll Leben, in den sich auch fremde Leute verlieben konnten.


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