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XL.
Was ist dem unmöglich, der die große Kunst besitzt, – unverschämt zu seyn!

Es ist geradezu unmöglich, das Staunen, die namenlose Bestürzung zu schildern, die am andern Morgen Sir Williams ganze Hausgenossen ergriff, als sie ihren geliebten Herrn leblos, in seinem Blute schwimmend fanden. Schon der Ort, wo man ihn aufhob, war iedem unbegreiflich genug; doch noch weit unbegreiflicher: wie und warum und von wem er hier den Tod gefunden habe? Von Räubers Hand? Unmöglich; denn er hat noch Ring und Uhr und Börse! – Durch gedungene Mörder? wer konte den Mann hassen, der sein ganzes Glück in Wohlthun sezte! Durch Selbstentleibung? Nie hatte man einen Widerwillen gegen das Leben bei ihm bemerkt; auch lag sein Degen zwei Schritt weit von ihm unbefleckt von Blute! – Durch Zweikampf? Wer schlägt sich in der Mitternachtsstunde? Und hier? Und so ganz ohne Vorbereitung? – Tausend Muthmaßungen wurden aufgeworfen; mannichfaltige Untersuchungen wurden angestellt: doch nicht die geringste Spur von Wahrheit, oder auch nur von Wahrscheinlichkeit, ließ sich entdecken. Denn Niemand faßte da nur den geringsten Argwohn, wo es eines einzigen nachforschenden Worts, eines aufmerksamen Blicks bedurft hätte, um alles zu enträthseln. – Als Miß Lenore, beim ersten Gerücht dieses Unfalls, halb sinnlos, halb unbekleidet noch, in Garten hinunter stürzte; als sie auf den Leichnam ihres Bruders sich hinwarf; als sie in mehr als halb wahnsinnigen Taumel bald: Weh über den Mörder! und bald: Weh, weh über die Mörderin! ausrief; als sie nicht eher ihn zu umklammern nachließ, bis in todesgleicher Ohnmacht ihre Hände erstarrten; als sie aus dieser Ohnmacht mühsam ins Leben zurückgerufen, nach einer stündigen, stummen Betäubung, zulezt doch der Thränen mächtig, in ganzen Strömen dieselben vergoß; als sie, nach zahllosen Händeringen, nach neuen Ohnmachten, von einem Fieber ergriffen, und fast ganz ohne Hofnung aufs Krankenlager hingeworfen ward; als sie in ihren Fantasien immer von ihm sprach, der, blutig vor ihr stehe; und ihr, die ihn getödtet habe, iezt winke, iezt drohe: da sahen und hörten alle in dieser, mir unsichtbaren Zuschauer so deutlichen Selbstverrätherin, nur die leidende Schwester nur das unaussprechlich schmerzhaft erschütterte Mädchen. – Wie hätte man auch anders denken, wo nur den geringsten Verdacht einer Mitschuld hernehmen können?

Eines war iedoch bei allem dem mir verwunderlich genug! Sie, die so oft sich selbst anklagte, so oft sich selbst als Mörderin nante, ließ auch nicht ein einziges mal Sir Heinrich Danbrowes Namen über ihre Lippen gehen. Ruhig verblieb der Nichtswürdige indeß in seiner Wohnung und in seinen übrigen gesellschaftlichen Zirkeln. Er bedauerte Sir William, wenn er von seinem Tode reden hörte; er bedauerte Miß Lenoren, wenn er etwas von ihrer Krankheit vernahm; näher hinzu wagt er sich freilich nicht. Wohl möglich, daß er in den erstern drei oder vier Tagen eine kleine Gefahr besorgte, aber wahrscheinlich war auch dann schon sein Entschlus gefaßt. Niemand als Lenore wußte etwas von seinen nächtlichen Ausgängen; die Anklage einer Fieberkranken bewies nichts; endlich auf den schlimsten, ihm unmöglich dünkenden Ueberweisungsfall hatt' er sich ia nur gewehrt. Umstände, die ein Mann von Sir Heinrichs kalter Entschlossenheit weislich genutzt haben würde! Aber, wie schon gesagt, er bedurfte nicht einmal dieser Ausflüchte. Sei es ein Ueberrest der allmächtigen Liebe, sei es ein günstige, auch Bösewichtern oft geneigtes Ohngefähr, was Lenorens Mund in Rücksicht seiner verschlos; genug, er blieb unverklagt. Vierzehn Tage hindurch kämpfte ihr Leben mit dem Tode. Endlich zwar erhielt ienes im Bund mit ihrer Jugend den Sieg; doch sie erholte sich nur, um neue Schmerzen zu empfinden.

Durch Sir Williams Tod fielen nun alle Güter des Hauses an seinen unwürdigen Bruder. Welche unendliche Kluft zwischen ihm und ienem Ermordeten sei, war albekannt. Daß iezt Mißbrauch an die Stelle des wahren Gebrauchs treten würde, war nur alzu wahrscheinlich; und gleich in den ersten Tagen seines neuen Besitzes bestätigte sich diese Vermuthung. Mutter und Schwester ward angedeutet, daß sie ihre bisherige Wohnung verlassen müsten; ein kaum nothdürftiges Jahrgehalt ward der Erstern angewiesen; elende, schmeichelnde Spießgesellen bisheriger Ausschweifungen solten nun die Stellen von ienen an der Tafel und in der Wohnung einnehmen. Kaum konte der zärtliche Bruder die noch zweifelhafte Genesung Lenorens abwarten, um sie dann auf immer aus dem Hause zu entfernen. Nie hatte er sie, so lange sie noch in Gefahr des Todes schwebte, besucht; sein erster Gang, sein erstes Gespräch hatte diese Ankündigung zum Endzweck. In einer Sänfte, unfähig zum Gehn, ward sie in ihre neue Wohnung gebracht. Im Ueberflus gebohren und erzogen, schien sie nun manche Stufe abwärts zu steigen, an manche Entsagung sich gewöhnen zu müssen; und dennoch – dennoch war dies immer nur noch der Anfang ihrer Prüfung!

Lenorens Mutter besaß außer ienem, ihr angewiesenen Jahrgehalte, noch ein kleines eigenes Vermögen. Tiefgebeugt durch den Tod ihres Lieblings, in neue Angst durch Lenorens Krankheit versezt, fing sie iezt stärker als iemals an ihr Alter zu fühlen. Sie gedachte, wie billig, die Erbschaft ihrer ganzen geringen Haabe der Tochter allein zu sichern. Der Tag zur Ausfertigung des Testaments war schon bestimt; das Testament selbst von ihrer eignen Hand schon geschrieben; Rechtsgelehrte und Zeugen hatte man schon gebeten; und an eben dieses Tages Morgen fand man die gute Alte – todt in ihrem Bette. Ein sanftes Ende für die Erblaßte selbst! Ein neuer harter Schlag für die hinterlaßne Lenore! Bruder Georg theilte nunmehr nicht blos; er betrog sie noch um den größern Theil des mütterlichen Gutes; und wünschte ihr dann spöttisch wohl zu leben, weil sie doch vermuthlich in dieser Welt nichts mehr mit einander abzuthun haben würden. Es that ihr weh genug; sie sah seine Betrügereien ein; aber es fiel ihr unmöglich, mit einem Elenden zu rechten, der doch, dem Namen nach, ihr Bruder blieb.

Jezt sah Miß Lenore in ganz Britannien noch einen einzigen, für sie schicklichen Zufluchtsort; und der war bey einer iüngern Schwester ihrer verstorbenen Mutter. Lädi Jarvis, so hieß diese Dame, gehörte zu der großen Klasse von Menschen, die man weder als gut preisen, noch als schlimm schelten kann. Sie war Witwe und durch das Vermächtniß ihres Mannes eine Frau von ansehnlichem Vermögen. Von Natur mitleidig, zuweilen freigebig, ohne Falschheit und Ränke, war sie gegenseitig gewaltig schwach, leichtgläubig, wetterwendisch, begabt mit einer Eitelkeit ohne Gränzen, und einer ungezügelten Liebe zum Spiel. Schon über das vierzigste Jahr hinaus kante sie doch kein größeres Vergnügen, als bey ihrem Nachttisch eine Menge iunger lüftiger Herren um sich versamlet zu sehen; gab ihnen dann oft die treflichsten Tafeln, und ward zum Dank dafür, oft grausam verspottet. Alle Abende war entweder bei ihr großes Spiel, oder sie suchte dasselbe an andern ähnlichen Orten auf. Mutter von vier manbaren, in der That reizenden Töchtern, hatte sie ehemals schon nur wenig um ihre Erziehung sich bekümmert, und dachte noch weniger iezt auf ihre Versorgung. Die Aelteste war, durch die Schuld der Mutter, äußerst unglücklich verheirathet; die übrigen drei durften nur selten, wann bei Lädi Jarvis Gesellschaft war, sich zeigen. Warum? läßt sich bei einer alternden Koquette leicht errathen.

Daß eine Dame, die ihre eigne Kinder so gern von sich entfernte, gefälliger gegen ihre reizende Nichte sich bezeigen würde, ließ sich kaum erwarten. Dennoch geschah es! Hatte vielleicht Miß Lenore in glücklichern Zeiten durch bescheidne Ehrfurcht die Gunst ihrer Tante gewonnen; sprach bei der Lädi vielleicht Mitleid gegen die Verwaißte, und Unwillen gegen Sir Georgen, den sie schon lange tödtlich haßte, vereint zu Miß Lenorens Besten; oder glaubte sie auch, in dem zwar schönen, aber verarmten Mädchen keine Nebenbuhlerin befürchten zu dürfen; – kurz, kaum vernahm Lädi Jarvis den schnellen Tod ihrer Schwester, so that sie in ieder Rücksicht alles, ia fast mehr noch, als man von ihr verlangen konte; sie eilte von dem Landgute, wo sie immer – mehr der Mode, als der Landluft halber! – einen Theil des Sommers und des Herbstes zu leben pflegte, nach London; suchte Miß Lenoren mit allen Gründen einer, freilich unfruchtbaren, Beredsamkeit zu trösten; bat sie, nicht nur iezt sie zu begleiten, sondern sich auch von nun an als ein beständiges Mitglied ihres Hauses zu betrachten; und gab ihr die feierlichste Versicherung: daß sie nie einige Abhängigkeit fühlen, wohl aber stets ihre liebste Geselschafterin abgeben solle.

Zu verbindlich war dieses Erbieten – zumahl für eine Person, die sich von ieder andern Seite verlassen sah! – als daß es nicht hätte angenommen werden sollen. Miß Lenore dankte mit gerührtem Herzen ihrer Wohlthäterin, und begleitete sofort dieselbe aufs Land. Sie erhielt dort alles, was man ihr versprochen hatte; ihr eignes, schönes Zimmer, ihre eigne, standeswürdige Aufwartung – kurz das Ansehn einer leiblichen Tochter vom Hause. Dennoch empfand sie bald den gewaltigen Unterschied zwischen iezt und ehemals. Es war nicht mehr ein zärtlicher Bruder, eine liebevolle Mutter, es war eine eigensinnige Tante, von deren Laune ihr ganzes Schicksal abhing. Zwar solange sie auf dem Lande verweilten, fand Miß Lenore noch manche Gelegenheit unterm Vorwand eines Spaziergangs, ihrer schwermüthig gewordnen Laune wenigstens im Stillen nachzuhängen, und ienen Schmerz zu fühlen, der sich zwar selbst verwundet, aber auch selbst wieder Balsam in seine Wunden zu träufeln pflegt. Doch als nun der Winter sich nahte, Lädi Jarvis zur Stadt zurückkehrte und ihre Mittags- und Abendgesellschaften sich wieder erneuten – o welchen Unterschied fand dann Miß Lenore zwischen diesem schaalen, faden, buntfarbigten Gewimmel, und ienem kleinen, gleich weisen als frohen Zirkel an Sir Williams Tafel! Welchen Unterschied zwischen der Ehrerbietung, mit welcher sonst eine ganze Gesellschaft ihr, der Tochter vom Hause, der geliebten Schwester eines reichen Bruders, seiner muthmaslichen Erbin begegnete und der Gleichgültigkeit, mit welcher man die verarmte, zur Gesellschaftsfräulein angenommene Nichte behandelte. Sonst fiel kein Wort von ihr auf die Erde, man buhlte um eine lächelnde Miene von ihr; iezt saß sie oft eine geraume Weile unbemerkt; alles sah und hörte nur auf die Frau vom Hause; ia, wehe sogar Lenoren, wenn sie alzusehr geglänzt und gefallen hätte!

Doch noch hätte sie alles dies nicht tief gerührt. Bald hätte sie vielleicht ienes schaale Geschwäz – den gewöhnlichen Ton der großen Welt! – ertragen, und die Gleichgültigkeit verächtlicher Menschen wieder verachten gelernt; aber ein anderer, wichtiger Umstand stöhrte noch bedenklicher ihre Ruhe. Von Lädi Jarvis Gunst hing Lenorens ganze iezzige Lage ab. Die einzigen Mittel, in dieser Gunst sich fest zu erhalten, waren: unabläßig ihrer Eitelkeit Weihrauch zu streuen, und eine fleißige Gesellschafterin am Spieltisch abzugeben. Schon hatte ienes Miß Lenore so gut erlernt, als es sich nur mit der Lauterkeit ihrer Seele vertrug; doch noch schwüriger ward ihr das Letztere. – Nicht gerechnet, daß ein Frauenzimmer wie sie, von Jugend auf an das Lesen nüzlicher Bücher und eine zweckmäßige Bildung ihres Geistes gewöhnt, da oft eine lästige Langweil empfand, wo nur der leere Kopf, oder der Spieler vom Handwerk ein immerwährendes Vergnügen finden; auch noch andere Rücksichten sezten sie oft in peinliche Verlegenheit! – Lenore hatte zwar bei ihrer Tante alles frei, was zum eigentlichen Lebensunterhalt gehört; aber auch nichts mehr, als dies. Die Zinsen ihrer kleinen Baarschaft deckten den Aufwand in standesmäßiger Kleidung; aber nur äußerst knapp; zu ieder andern, blos willkührlichen Ausgabe blieb wenig oder nichts ihr übrig. Vollkommen genau wußte dies Lädi Jarvis, oder kont' es wenigstens wissen. Dennoch war sie oft unschonend – fast möchte man sagen, grausam genug, Miß Lenoren an solche Spieltische zu ziehen, wo nur für hohes Geld die Zeit versplittert wurde. Mit welcher ängstlichen Besorgnis muste sich dann ein Frauenzimmer von Miß Lenorens feinem Gefühl zu einem Spiel niedersezzen, wo schon ein mäßiger Verlust ihre Kräfte überstiegen, und sie zu dem kränkenden Geständnis ihres Unvermögens gedrängt haben würde! Jene an sich so leichte, und manchen Damen von feinem Ton so bekante Kunst – die Kunst schuldig zu bleiben, war Lenoren eben so ungewohnt, als die noch feinere, sein Glück zu leiten. Zwar hatte sie immer noch ein günstiges Ohngefähr vor großem Verlust bewahrt. Doch wer kont' ihr Bürge seyn, daß dieses Ohngefähr unausgesezt seine gute Laune beibehalten würde? Und iede Spielgesellschaft war für Miß Lenoren, was im Sommer dunkelgestreifte Wolken für den Menschen sind, der sich vor Gewittern fürchtet.

Kein Wunder daher, wenn bei so mannichfachem Kummer, beim Gefühl einer schmerzlichen Erniedrigung, beim Zurückblick auf iene unglückliche Liebe und ihren geopferten Bruder, Miß Lenore auch in ihren äußern Reizen einige Veränderung erlitt. Als sie nach einem Zwischenraum von fünf oder sechs Monden zuerst wieder im Schauspiel oder an andern öffentlichen Orten in Begleitung ihrer Tante sich zeigte, da war schon manches von ienem ersten frischen Jugendglanze zwar nicht verblichen, aber doch gemindert. Ihr Auge funkelte schwächer; ienes unnachahmlich schöne Lächeln kam seltner und verschwand schneller wieder. Ihr Blick senkte sich gern, und starrte oft lange vor sich hin. Wer sie auch noch nie gesehen, nie persönlich gekannt hatte, muste doch gleich bei sich denken: »Dies holde Mädchen war nicht immer glücklich, und ist es auch iezt nicht!« – Dennoch hab' ich wohlbedächtig gesagt: Ihre Reize hatten nur eine Veränderung, nicht eine Verringerung erlitten. Die Schwermuth ihres Gesichts ersezte durch Erweckung von Theilnahme reichlich, was Jugendglanz eingebüßt. hatte. Sie war minder schön, aber eben dadurch noch gefälliger geworden. – Ich besuchte sie fortan wieder fleißig. Ich war unsichtbar der Zuhörer mancher rührenden Selbstgespräche. Sie prägten sich treulich meiner Tafel ein; aber es konte doch theils zwecklos, theils alzuweitläuftig seyn, wenn ich sie hier einschaltete.

Eines Tages, als Lädi Jarvis ausgefahren war, Besuche zu machen, oder vielmehr Karten abzugeben; und Miß Lenore ganz allein auf ihrem Zimmer beim Klaviere saß, um ihren geheimen Gram auch in angesprochenen Tönen Luft zu machen; meldete man ihr: ein Kavalier vom Lande sei draußen und wünsche sie in einer dringenden Angelegenheit zu sprechen. Verdachtlos gab Eleonore Befehl, ihn hereinzuführen. Zwei Minuten darauf öfnete sich die Thüre. Leonore stand auf, um den Eintretenden zu bewillkommen. Ein Blick – ein lauter Schrei des Schreckens – ein Zurücksinken in Ohnmacht! – denn es war Sir Heinrich, der eintrat. Aber warlich, die Vorsicht und die Geistes-Gegenwart dieses Mannes war lobenswerth. Ganz gefaßt auf diese Würkung seines Anblicks, eilt' er auch unbestürzt auf die Bewußtlose zu; hob sie empor, und rief sie durch starke, in Ueberfluß mitgebrachte Wässer bald wieder ins Leben zurück. Als sie erwachte, ihn abermals wieder erblickte, voll Abscheu zurückstieß, und laut nach Hülfe rufen wolte, da wußt' er das Letztere, wenigstens so schlau, so glücklich durch einige einzelne, halb bittende, halb drohende Worte zu verhindern, daß es ihm endlich doch gelang, Gehör zu finden. Ob sie sich wegwende von ihm? ob Unwillen in iedem Zug ihres Gesichts spreche? das schien er nicht zu achten; das hoft' er bald zu ändern! Genug, sie war allein mit ihm, und er durfte sprechen!

Vortreflich, Eleonore! – rief er: Vortreflich! Empfangen Sie so einen getreuen Liebhaber, wenn er nach langer, unverdienter Trennung endlich zu Ihnen sich durchbricht? Ist Ihnen der Anblick eines Mannes, den Sie in Gefahr des Todes lockten, unerträglich? Oder spielen Sie vielleicht hier die Beleidigte, wo Sie die Beleidigerin waren? Was hab' ich gethan, daß ich eben da Abscheu und Grausen sehe, wo ich sonst Liebe zu erblicken glaubte?

Miß Len. Was Sie mir gethan haben? – Gerechter Gott, ist es möglich, daß selbst bis zu dieser Frage ihre Frechheit sich versteigt? Hinweg aus meinen Augen, Mörder Deines Busenfreundes! Mörder meines Bruders!

Sir Heinr. Ja, leider fiel Sir William durch meinen Degen! Leider durchbohrt' er sich selbst , als ich nichts that, als mich zu schüzzen suchte! Gemordet hab' ich ihn nicht.

Miß Len. (mit möglichst bitterm Tone) Nicht, schuldloser Sir Heinrich? Würklich nicht? Nun so komme dann das Blut dieses Geopferten zehnfach über das Haupt desienigen, der –

Sir Heinr. (einfallend) Vollenden Sie nicht, Miß Lenore! Um ihrer selbst willen beschwör' ich Sie, vollenden Sie nicht. Je gräslicher Sie Ihren Fluch vollbrächten, um desto schwerer müßt' er ia, wenn ihn der Himmel hörte, auf ihr eignes Herz zurückfallen. – Wer berief mich denn durch ein täuschendes Schreiben auf iene, leider nachher so blutig gewordne Stelle? Wer hatte das Geheimnis unserer Liebe vor Williams Ohren enthüllt? Wer hatte das Richteramt über mich in Williams Mund und Hand gelegt? – Unvorsichtige – oder soll ich sagen, unedelmüthige Lenore? – wessen Werk ist denn alles, was geschah, wenn es das Ihrige nicht ist? Als ich voll Zutrauen auf die Geliebte meiner Seele, in stiller, einsamer Nacht mich plözlich vor einer dritten Person, vor einem erzürnten Bruder erblickte; als ein so unwürdiger Betrug meinen Unwillen, und Williams Vorwürfe meinen Zorn erregten; als er mir gebot, zu ziehen, und schwur: er werde mich durchboren, wenn ich noch länger zögerte; – wo, Lenore, wo blieben da die Schwüre Ihrer reinsten, zärtlichsten Liebe? Waren Sie es nicht, die gegen mich durch Freundes Hand den Degen zuckte? Konte meine beleidigte Ehre in dieser glüenden Sekunde wohl überlegen, was ich that und sprach? Schickten Sie nicht selbst ihren unglücklichen Bruder seinem Schicksaal entgegen? Sezten Sie mich nicht in die traurige Nothwendigkeit zu tödten, oder getödtet zu werden.

Miß Len. Heinrich, Heinrich! halten Sie ein! Ihre Reden sind Kunst und Trug, und doch treffen Sie mein Herz. – Ja, auch ich hatte gefehlt; doch richte mich der Richter dort oben, wenn ich iemals – Ich beschwöre Sie, entfernen Sie sich.

Sir Heinr. Nicht eher, bis Sie mir verzeihen, wie ich Ihnen. – (indem sie ihn mit eine Blick halb voll Unwillen, halb voll Verachtung ansieht) Ja, Lenore, ich wiederhol' es: wie ich Ihnen! Daß auch meine Seele wahrscheinlich durchs ganze Leben Unruhe verfolgt; daß ich noch in manchen Traume den Blutenden zu sehen fürchte; daß ich dazu gedrängt ward, den Bruder meiner Seele zu erwürgen; Grausame oder Unglückliche, was hast Du in Deine Wagschaale zu werfen, das schwerer als diese Anklage wöge? – Wenn es ia blos Unvorsichtigkeit war, was dem Sir William unser Geheimnis verrieth; wenn ich sogar ienes einladende Billet entschuldigte, so wenig es sich iemals entschuldigen läßt; warum – warum ließest Du uns Männer allein? Warum linderte Dein Zuspruch Williams rauhe Vorwürfe, warum Dein sanfter Blick meine auflodernde Hizze nicht? Warum – doch zerreiße mein Schuldregister, und ich will auch das Deinige zerreißen. Laß uns wechselseitig vergeben und vergessen! Ein dichter Schleier verdeckt vor den Augen der ganzen Welt dieses traurige Geheimnis. Wollen wir auch dann denselben nie mehr heben, wann wir unter vier Augen uns sprechen!

Miß Len. Aber wozu, Sir Heinrich, wozu dies alles? Wozu selbst dieser ganze Besuch? Was begehren Sie von mir? Warum lassen Sie einer Unglücklichen, der Sie alles raubten, – Mutter, Bruder, Versorger, äußern Wohlstand, und innere Zufriedenheit! – warum lassen Sie dieser nicht wenigstens eine anscheinende Ruhe? Sie ganz zu vergessen, war schon längst mein innigstes Bestreben; nur dann wäre noch einiger Trost für mich denkbar; und auch diesen macht Ihre iezzige Erscheinung unmöglich, oder wenigstens doch entfernter. – Gehen Sie, ich beschwöre Sie, gehen Sie hinweg! Meine Vergebung wollen Sie haben? Vergeb' Ihnen der Himmel! Bei ihm und nicht bei mir steht Vergebung, wie Vergeltung.

Sir Heinr. Nicht dies Vergehen allein, auch die Erlaubniß ihres fernern Umgangs –

Miß Len. (ganz erstaunt) Umgang? ein fernerer Umgang mit mir? Bei allem, was heilig ist, wozu soll dieser nüzzen? Was können Sie von ihm erwarten? Soll täglich die Wunde wieder aufgerissen werden, die Sie schon unheilbar genug mir schlugen? Oder hätten Sie iezt noch den sinnlosen Plan, mit neuen Versicherungen von Zuneigung und Zärtlichkeit mich täuschen zu wollen? – Gestanden Sie nicht damals schon, als noch mein William lebte, daß iede ernste Verbindung zwischen uns unmöglich sei? Wollen Sie etwa der verarmten Lenore mit einer Hofnung schmeicheln, die Sie ehmals selbst der nicht Unbegüterten versagten? Ist nach ienen Vorfällen Liebe, ia auch Freundschaft nur, unter uns möglich? Kann ich ie den Mörder meines Bruders erblicken, ohne wenigstens heimlich zu schaudern?

Sir Heinrich wolte antworten; und noch iezt, indem ich dies schreibe, bin ich ungewiß, was er geantwortet haben dürfte. Eine Wahrheit schwerlich! Dessen bin ich so gut, als gewiß; nur welche Art von Unwahrheit er gewählt haben würde, und wohin überhaupt, diese ganze Unternehmung ihn leiten solte? das bleibt mir räthselhaft. Denn bevor er noch das Wort wieder nehmen konte, trug sich ein Umstand zu, der, äußerst unbedeutend für den ersten Augenblick, doch bald darauf die ganze Ansicht der Dinge veränderte. – Die Thüre ging auf, und Lädi Jarvis trat herein! – Jezt noch lange nicht zurückerwartet, und überhaupt nur äußerst selten auf Miß Lenorens Zimmer sichtbar, kam sie dieser Letztern in iedem Betracht unerwartet, und auch vielleicht unerwünscht. Ein kleiner Unfall, der ihrem Wagen zugestoßen, hatte sie auf halben Wege umkehren gemacht; als sie unten vernahm, daß ein iunger, artiger Gentlemann zum Besuch bei ihrer Nichte sei, war sie von der Neugier hinaufgezogen worden; aber sie staunte allerdings ein wenig, als sie Sir Heinrichen erkante.

Nicht zwar, als ob sie seinen Besuch selbst unschicklich gefunden hätte; denn sie wuste, daß er einer von Sir Williams vertrautesten Freunden gewesen war; sondern weil es ihr würklich Mühe kostete, ihn wieder zu erkennen. Sie hatte bei Lebzeiten ihres Gemals vielen Umgang mit seinem Hause gepflogen, sich nachher zwar in ganz andre Zirkel geworfen, doch immer noch viel Achtung gegen seine Familie beibehalten. Damals war Sir Heinrich noch ein ziemlich unbedeutender Jüngling gewesen, der eben im Begrif stand, seinen Eintritt in die große Welt mit aller Schüchternheit eines Neulings zu thun, und dann auf Reisen zu gehen. Wenigstens fünf bis sechs Jahr hindurch war er ihr ganz aus den Augen und natürlich auch aus den Gedanken gekommen; war indessen ein ausgewachsener, feiner, liebenswürdiger, iunger Mann, und in iedem, selbst im zweideutigen Verstande des Worts, ein gebildeter Kavalier geworden. Leicht begreiflicher Weise fand sie ihn daher äußerst zu seinem Vortheile geändert, fand es noch mehr, als er ihr mit aller der Artigkeit, die ihm eigen war, wenn und wo er wolte, seine Hochachtung bezeugte; und als er im Gespräch mit ihr manches feine Kompliment bald auf ihren Geist, bald auf ihren Puz, bald wohl gar – denn auch diese Schwäche entdeckte oder errieth er schnell! – bald wohl gar auf ihre iugendliche Wohlgestalt einzuweben wußte.

Sie vergalt ihm treulich und dankbarlich gleiches mit gleichem. Indeß die arme, zerstreute, kaum sich zwingende Lenore dann und wann höchstens nur einige einzelne Silben von sich hören ließ, setzte Lädi Jarvis ihre ganze Wohlredenheit in Odem; hatte Sir Heinrichen wohl Hunderterlei bald von seinem Vater, bald von seinen Geschwistern, bald von seinen Reisen, und bald vom neusten Schauspiel zu fragen, und wieder zu erzählen; lachte über ieden seiner Einfälle in Voraus schon; fand alles, seinen Ton, seinen Frack, seine Schuhschnallen nach dem neuesten allerbesten Geschmack; befahl sofort: daß man Thee heraufbringen solle; versicherte ihn wohl zehnmal, wenn er aufstehen wolte, daß es noch sehr zeitig sei; gab ihm einen verbindlichen, halb scherzhaften Verweiß: daß sein erster Besuch in diesem Hause nur ihrer Nichte gegolten habe; und lud ihn endlich – damit ihrer Gewogenheit kein Wink der Deutlichkeit gebreche! – schon auf den nächsten Tag zu Spiel und Abendtafel ein.

Wahrlich, dies war eine Dazwischenkunft, und ein Empfang, worauf Sir Heinrich nicht gerechnet hatte! Aber wahrlich, er wäre auch nicht Sir Heinrich gewesen, wenn er nicht sofort einem Vortheile, der so ungesucht und unvermuthet sich darbot, weiter nachgedacht haben solte! – Troz seiner anmaslichen Bescheidenheit verstand er die Sprache in der Lädi Blicken und Worten nur alzugut. Es war die Sprache einer rasch auflodernden Liebe. Daß diese Leidenschaft, wenn sie in schon etwas betagten Herzen Plaz gewinnt, auch grade da am stärksten um sich greift; daß eine schnelle Benuzzung derselben auch die Untrüglichste zu seyn pflegt; daß Lädi Jarvis sehr reich, und den Freuden der Welt keineswegs unhold sei; dies alles wußt' er sehr wohl, und entwarf sich daher noch diesen Abend einen Plan, der vollkommen – seiner würdig war. Er erschien pünktlich des andern Tags bei der Lädi; man konte sich nicht einfacher und zu gleicher Zeit nicht vorrheilhafter gekleidet haben; man konte nicht mehr Bescheidenheit im Blick, mehr Feinheit im Betragen, mehr heitern Wiz im Scherz und Erzälen, und mehr Ungezwungenheit in Ton und Manieren vereinen. Aber man konte auch nicht besser aufgenommen werden, als er es ward. Zum dritten Mann an der Lädi Lhombertisch erkohren, spielte er zwar oft mit einer Kentniß, die Uebung genug, doch noch öftrer mit einer Zerstreuung, die ganz andre Gedanken verrieth. Mehr auf die Lädi, als auf die Karte war sein Auge gerichtet. Oft begegnete ihm ihr Blick, und ieder neuere schien eine Ermunterung mehr zu seyn.

Nur Wenige von der Gesellschaft blieben nach dem Spiel zur Tafel. Sir Heinrich nahm dies für einen Wink mehr an, sich zu nähern. Auch Miß Lenore entfernte sich unterm Vorwand eines heftigen Kopfschmerzes. Er verstand dieses Kopfweh vollkommen; aber er freute sich drüber, denn das Feld war nun freier. Nur noch auf ein Zeichen wartete er, und auch dieses erfolgte; er ward bei der Tafel der Lädi Nachbar. Der gestern noch feine Schmeichler wagte heute bereits die gröbsten, sich selbst, auch durch den einfachsten Spiegel widerlegenden Lobsprüche; und sie wurden als buchstäbliche Wahrheiten angenommen. Mit Eröffnung der Laufgräben noch länger zu verziehn, hätte der schöne Sir Heinrich für Zeitverschwendung gehalten. Er fand auch wirklich, daß die Festung schon vor der Auffoderung an Uebergabe gedacht habe.

Es gibt gewisse Dinge, die in der Natur selbst so unwürdig sind, daß sie bei der Erzälung auch nur flüchtig behandelt werden müssen, wenn sie nicht ermüden sollen. Zu dieser Klasse gehört ohne Zweifel: wenn ein alterndes noch verbuhltes Weib ums Herz eines Jünglings wirbt, und der Eigennüzzige mit täuschender Heuchelei den Verliebten spielt. – Kein Wort daher weiter von Sir Heinrichs fernern Maasregeln und Betragen, als daß er am vierten Tage schon für Lädi Jarvis erklärten Bräutigam galt! – Aber wer beschreibt Miß Lenorens Erstaunen, als sie zuerst (was bereits am zweiten Morgen geschah) ihrer Tante thörichte Neigung und Sir Heinrichs niedrigen Plan durchschaute? Schon hatte sich ihr Herz – wiewohl sie es mühsam vor sich selbst verbarg – wieder um ein gutes Theil mit dem bisher Verabscheuten ausgesöhnt. Schon war ihm sein dreistes Hindurchdringen, seine scheinbare Vertheidigung insgeheim gar sehr zum Vortheil angerechnet worden; und seine Höflichkeit gegen Lädi Jarvis, bei der ersten Ueberraschung sowohl, als auch beim nächsten Besuch hatte für sein Empfehlungs-Mittel zum künftigen Eintritt ins Haus, höchstens für guten Ton und nichts weiter gegolten. Doch iezt, als die Augen ihr aufgingen; als Lädi Jarvis selbst, im Entzücken ihrer Leidenschaft, im Uebermaas ihres Zutrauens, der lieben Muhme kein Geheimniß aus ihrem Vorhaben machte; dann – dann – doch ich glaube: Jeder und Jede, denen weiblichen Stolz und weibliche Schwäche, und die empfindliche Saite betrogner Liebe auch nur oberflächlich bekant sind, alle diese werden auch ohne weitere Ausführung begreifen: wie unbeschreiblich tief dieser abermalige Betrug Miß Lenoren schmerzte. Kaum hatte sie Kraft und Ueberlegung genug, ihren Unwillen, wenigstens im ersten Augenblick, unter dem Anschein des Erstaunens zu verbergen. Kaum konte sie den lauten schmerzlichen Ausruf, und im Verfolg die Thräne zurückhalten. Blos ein so berauschtes, nur mit seinem nahen Glück beschäftigtes Auge, wie iezt Lädi Jarvis Auge war, konte die Regung in Miß Lenorens Herzen übersehn und nicht achten. Auch als sie sich in ihr Zimmer geflüchtet, als sie ein langes Selbstgespräch mit sich gehalten hatte, glaubte sie sich zur bittersten Rache berechtigt. Wie sie solche ausbrechen lassen solte, war sie freilich noch ungewiß. Jede Gelegenheit zu einem zweiten, unbemerkten Gespräch mit ihm hatte sie bisher sorgfältig vermieden; iezt suchte sie dieselbe fast alzu ängstlich auf. Als sie ihrer endlich, – denn auch Er ließ gern sich finden! – theilhaftig ward; fragte sie ihn sogleich ohne weitern Eingang mit dem schneidendsten Tone:

»Ob er wirklich hier einzubringen gedenke, was er ehmals bei Lädi Warren verabsäumt habe?«

Sir Heinr. (mit sehr gelaßner Miene) Und wenn nun auch mein Plan in etwas dem Aehnlichen bestände: was dann?

Miß Len. (hastig einfallend) Was dann? – Könten Sie wohl glauben, daß ich dann stillschweigend zusehen solte, welche tückische Grube Sie meiner redlichen, wiewohl schwachen und leichtgläubigen Tante graben? Schmeicheln Sie sich, daß ich ihr nicht eröffnen werde: welchen vielfachen Betrüger, welchen mit Blutschuld und Laster überdeckten Bösewicht sie ihre Hand und ihr Vermögen darzubieten gedenkt? Heute, heute Abend noch – denn nur auf das Geständniß Ihres eignen Mundes wartete ich noch! – Heute will ich ihr das ganze Gewebe dieser Schändlichkeit enthüllen; will ihr ienes leztere Gespräch im Garten, so sehr auch mein eignes Gefühl dagegen sich sträube, wörtlich wieder erzälen; will in Lädi Warrens Schicksal das eigne ihr verkündigen; will ihr den traurigen Tod meines Bruders enträthseln; will selbst iene leztere Heuchelei, mit welcher Sie in mein Gemach sich drängten, nicht verschweigen; und es dann ihr überlassen: ob sie noch länger einer so thörichten, sie überraschenden Leidenschaft nachhängen, – ob sie mit sichtlichen Augen in einen Abgrund des Elends sich stürzen, – ob sie mehr den Worten eines zehn- hundert- ia tausendfachen Lügners, oder mehr dem Rath einer redlichen, aus eigner, trauriger Erfahrung sprechenden Freundin trauen will.

Sir Heinr. (immer kalt bleibend) Vortreflich! Vortreflich! Welcher Fluß von Worten! – und die Beweise von allen diesen Beschuldigungen, wenn ich bitten darf?

Miß Len. (stuzzend) Und die Beweise? Wie, ist es möglich, daß –

Sir Heinr. (bitter lächelnd) Jawohl, wie ist es möglich, daß man auf so vieles und nur grade aufs Wichtigste nicht gedenken kan? – Vergaßen Sie wirklich, schöne Miß, daß alle diese Beschuldigungen, wahr oder falsch, hart oder leicht, verkleinert oder vergrößert, nur auf Ihrem Zeugniß, und – so Gott will! auf meinem Eingeständniß beruhen? Vergessen Sie, daß blindes Zutrauen auf einen schönen, eifersüchtigen Mund, und das freiwillige Bekentniß eines zu gleicher Zeit versteckten und doch auch reumüthigen Sünders zwei verzweifelt seltne Dinge sind? Vergessen Sie, daß es nie blos auf den Redner allein, sondern auch auf das Publikum ankömt, ob eine Rede Wirkung macht oder nicht? daß eine Dame, die einmal schon in gewissen Jahren steht, und troz derselben noch Liebe fühlt, ia selbst durch ein ernstliches Band diese Liebe zu befriedigen hoft – daß diese wohl etwas harthörig seyn dürfte, wenn man aus diesem süßen Traum sie zu erwecken sucht? daß sie in ieder warnenden Freundin eine Nebenbulerin, in iedem wohlmeinenden Rathe einen Falstrick vermuthen dürfte.

Miß Len. (einfallend) Sei es, auch dann –

Sir Heinr. (wie vorhin, doch noch schneidender) Vergessen Sie endlich, reizende Lenore, wie lieblos Sie mit ihrer eigenen Ehre spielen? Welche unheilbare Wunde Sie Ihrem eignen guten Namen zu schlagen im Begrif sind? Wird Lädi Jarvis auch nicht um ein Haarbreit weiter mit ihrer Vermuthung als Miß Lenore mit ihrer Erzälung gehen? Werden iene Zusammenkünfte in stiller, nächtlicher, einsamer Laube wohl in den Augen einer Dame von feinerm Ton, von ächtem Lebensgenuß, ganz so schuldlos erscheinen, als sie es – zu meiner eignen Beschämung waren? Wird man mich ungehört verdammen? Oder wenn man mich hört: wenn doch vielleicht meine Vertheidigung – man hat ia die Fälle – Glauben, ia selbst meine eingestandne Schuld Verzeihung fände; dürfte dann nicht eine vereinte, verstärkte Rache aufs Haupt der Anklägerin zurückprallen, und sie künftig dem Hohngelächter der großen Welt blos stellen?

Miß Len. (auf einen Sessel sinkend, und ihr Gesicht mit der Hand verdeckend) Gott, alsehender, alhörender Gott! – und ist denn keine Gerechtigkeit in deinem Himmel mehr, die einen Bösewicht von dieser Größe, dieser Dreistigkeit bestrafte.

Sir Heinr. (mit ruhigem Tone) Trügend ist das Fernglas ieder Leidenschaft; es verwandelt Sandkörner zu Bergen, und Mücken zu Elephanten! Doch, daß es selbst die Worte der Tugend zur kränkendsten Unwahrheit verwandeln könne; dies würd' ich niemals geglaubt haben, erführ' ich es nicht izt durch mein eignes Beispiel. – Mit Gedult, Miß Lenore, ertrug ich schon mehrmals ihre Schmähungen; mit Gedult will ich auch iezt es noch einmal versuchen, ihre irrende Einbildungskraft auf den richtigen Pfad hinzulenken, – Warum, schönste Miß, schelten Sie mich in diesem Augenblick einen Bösewicht? Woher rührt dieser ganze Unwille? Aus einem Irthum, aus einem leidenschaftlichen Vorurtheil, das verschwinden muß, wenn wir es näher betrachten! – Ja, ia! Ich gesteh es gern; Lädi Jarvis liebt mich! Wo hier mein Verbrechen? Wo hier überhaupt ein Verbrechen, oder eine Thorheit nur? Darf mich Niemand – Niemand mehr in demienigen Lichte erblicken, in welchem mich einst, – o der glücklichen Zeit! – Miß Lenore selbst erblickte? Noch mehr! Auch ich – das gestand ich Ihrer ersten Frage schon; – auch ich gedenke Milädi meine Hand zu reichen. Doch wo hier ebenfals die Abscheulichkeit, die zu Vorwurf und Anklage berechtigt? Erklärten Sie nicht vorgestern erst iede Verbindung zwischen mir und Ihnen für Unmöglichkeit? Bezeugten Sie nicht den unüberwindlichsten Abscheu gegen eine Hand, die sich, wiewohl ungern und gezwungen mit dem Blut ihres Bruders röthete? Sol ich nun ehlos bleiben, weil Miß Lenore mich verschmäht? Bracht' ich ihr nicht schon mit Lädi Warren ein Opfer? Bin ich nun, ganz zwecklos, auch zum Zweiten ihr verpflichtet? Wenn wenigstens der Balsam der Hoffnung mich gelabt, der Ton der Zutraulichkeit mich getröstet hätte!

Miß Len. Spötter! Nichtswürdiger, giftiger Spötter!

Sir Heinr. Wohl nicht so, wie Sie denken! Wohl möglich, daß grade sogar die Fortdauer meiner verschmähten Liebe, grade der Wunsch, Ihnen wenigstens nahe zu leben – der dämmernde Gedanke, daß doch wohl noch einst – Nein, nein! Was ich iezt sagen wolte, dürfte leicht, entweder für halben Unsinn, oder für eine offenbare Unwahrheit gelten.

Miß Len. (mit verächtlichem Blick) Nun fürwahr, wenn sie auch noch die bisherigen überträfe!

Sir Heinr. (einfallend) Ich verstehe, und ich schweige! Nur so viel noch, schöne Miß: Wäre ich der, für welchen Sie mich halten; wäre mein eigner Vortheil mein einziger Gedanke; so hätt' ich auf alle Ihre Vorwürfe nichts, als die wenigen Worte erwiedert: Thun Sie, was Sie nicht lassen können! – Doch eben, weil ich auch für Ihr Bestes sorge, so wiederhohl ich: Ueberlegen Sie erst kalt und ernst, was Sie zu thun gedenken! Noch liegen die Würfel auf dem Tische! Noch ist nichts entschieden! Doch ein einziger falscher Saz verdirbt oft das ganze Spiel. Wichtig, wo nicht unentbehrlich ist Ihnen iezt Lädi Jarvis Gunst. Viel kan Ihnen dort meine Freundschaft nüzzen. Eben soviel kan ein feindliches Wort von mir –

Er verbeugte sich hier, endete nicht, und ging. Jezt erst ließ Miß Lenore ihren Thränen freien Lauf. Jezt erst hatte sie zum Klagen und Händeringen Luft und Raum! So manchen Stachel hatte der Listige in ihrer Seele zurückgelassen. Daß sie im Kampfe mit ihm nichts gewinnen könne, begrif sie nur alzuwohl. Ihr Entschluß – wohin er ausfiel: ob zu dulden und zu schweigen? oder zu reden und sich zu rächen? – Wer erräth ihn nicht! Am siebenten Tage war Sir Heinrich Jarvis Gemahl und erklärter Besizzer ihres ganzen Vermögens. Am achten war Miß Lenore verschwunden! – Wohin? wußte niemand. – Warum? muthmaßte nur ein Einziger, der gewiß zu schweigen verstand.

 

Ende des zweiten Bandes.

 


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