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XXII.
Er kömt, und sieht und siegt!

Wer eine Thorheit hat, ist auch vor andern nicht sicher! So dachte ich iezt von Arabellen, und nahm mir vor, von nun an zu solchen Stunden, wo sie sich am sichersten glaube, einige unsichtbare Besuche bei ihr abzustatten. – Ich that es an dritten Morgen, und fand, daß sie so eben einen ganzen Stoß neuer Schriften, den sie aus dem Buchladen zum Ansehn bekommen, mit neugierigen Blicken durchlief. Ueberzeugt, daß man vom Karakter eines Frauenzimmers nie richtiger urtheilen kann als wenn man weiß, an welcher Art von Lesen sie vorzüglichen Geschmack findet, war ich hier doppelt aufmerksam, und freute mich, als ich sah: daß sie verschiedne wollüstige Schriften mit Verachtung, noch andere, die auf Coquetterie abzielten, mit Gleichgültigkeit weglegte, und dagegen lauter solcher sich auswählte, die (wenigstens dem Titel nach) mit wahrer Herzenskunde und würdigen Kentnissen sich beschäftigten. Sie fing eben an, in einem dieser leztern, mit vieler Aufmerksamkeit zu lesen, als ihr Bedienter einen Brief hinein brachte, dessen Ueberbringer, wie er sagte, auf eine Antwort warte. Arabella erbrach ihn, und ich, der ich über ihre Achsel mit hinein sah, las folgendes:

Madame,

Die sanfte Güte, die schon aus iedem Ihrer Gesichtszüge spricht, läßt mich hoffen, Sie werden auch mir verzeihen, wenn ich iezt, als ein Unbekanter, Ihnen zu schreiben wage. Denn da ich so unglücklich bin, gerade Niemanden zu kennen, der es auf sich nähme, mich bei Ihnen aufzuführen, so bin ich genöthigt, mein eigner Vorsprecher zu werden. – Voll der reinsten Ehrfurcht und Bewunderung erkühn' ich mich daher sie fragen: Ob es Ihnen nicht gefällig sei, heute Nachmittag (wofern Ihre Zeit nicht schon versagt seyn solte), auf einige Minuten nur, einem Fremden Gehör zu geben, der über eine ihm äußerst wichtige Sache Ihre Entscheidung sich zu erbitten gedenkt, Madame,

Ihr unterthänigster
James Walcoot

Arabella stutzte nicht wenig über diese seltsame Zuschrift. – »Wer ist dieser Walcoot, rief sie endlich, und was mag er wollen? Gütiger Gott, wenn es der Nemliche wäre, den mir die Wahrsagerin prophezeite? Sie sagte: in drei Tagen – und auf Ehre, es ist heute der dritte Morgen. – Wenn ich wüßte, daß er diese versprochne Person wäre, so thät' ich besser, ich ließ' ihn gar nicht, wenigstens nicht gleich das erstemal vor. – Aber solt' ich nicht lieber sehen, ob er auch mit der Beschreibung übereintrift? Kann ich nicht, wiewohl ich es ihm hier versage, an tausend Orten noch mit ihm zusammen kommen? Ist es nicht nur alzugewiß, daß Niemand seinem Schicksaal entgeht? – Warum solt' ich mich also selbst mit dieser Ungewißheit quälen. – Nein, ich will ihn sehen: will hören, was er mir zu sagen hat! – Es kann ia wohl auch ein ganz andres Geschäft seyn. Meine ganze Furcht kann in einer kindischen Einbildung bestehn! – Sei's aber auch, was es wolle, – was kann es mir schaden, wenn ich einmal, ein einziges mal ihn sehe? Wird er mich wohl in meinem eignen Hause entführen? In meinem eignen Hause zu irgend etwas zwingen?«

Sie klingelte, indem sie diesen herzhaften Entschlus faßte, und befahl dem Ueberbringer dieses Briefs zu sagen: Sie werde den ganzen Nachmittag zu Hause und sprechbar seyn. – Der Bediente ging; doch kaum war er draußen, kaum konte er seinen Auftrag ausgerichtet haben, als es Miß Arabellen schon wieder reute. – »Gott, was hab' ich gethan? rief sie aus: Wenn es nun würklich der Bewußte wäre, wie zuvorkommend werd' ich ihm scheinen! Wie erniedrigend, daß er so ganz ohne Umstände –«

Sie eilte bei diesen Worten gegen die Thüre; schien Willens zu seyn, alles absagen zu lassen; faßte schon die Klinke am Schloß, und stand plözlich wieder still; pausirte ein paar Augenblicke, wandte sich dann und sprach mit halb mismuthigen Lachen: Bin ich nicht eine Thörin? Weiß er denn mein Geplauder mit der Wahrsagerin? Kann er nicht aus tausenderlei andren Ursachen herkommen? Brauch' ich mich vor einem Manne zu schämen, den ich noch niemals sah und sprach? – den ich nur auf einen sehr anständig geschriebenen Brief vorlasse? – Zeigt nicht der Ton dieses Billets, daß sein Verfasser ein Mann von Stande, wenigstens von Bildung seyn müsse? Und kann ich mir nicht, sobald er von Liebe redet, seine fernern Besuche verbitten?

In diesem Kampf von Selbsttadel und Selbstentschuldigung würde sie wahrscheinlich noch lange sich befunden haben, hätten sie nicht zwei andre iunge Damen überrascht, und zu einem Morgen-Spaziergang im Park eingeladen. Ich entfernte mich daher, doch mit dem vollen Entschlus des Nachmittags wieder zu kommen, und zu sehen, welche weitre Wendung dieser Handel nehme. – Als ich ohngefähr in der fünften Stunde mich einstellte, sah ich schon eine feine Halbchaise vorm Hause stehn, und muste eine geraume Weile warten, eh die verschlosne Thüre sich öfnete. Um so schneller ging ich, als sie endlich sich aufthat, grade auf das Zimmer zu, wo ich Arabellen vermuthete; Und gleich beim ersten Eintritt, gleich beim ersten Blick auf den Fremden, fand ich zwischen ihm und ienem Portrait in der Kaffeetasse eine so vollkomne Uebereinstimmung daß mir kein Zweifel mehr übrig blieb: Jene Gauklerin habe den Helden des Spiele schon persönlich gekannt; und verdecke das Gewerbe einer Heirathsstifterin – wo nicht gar einer Kuplerin! – nur unter der Larve der Wahrsagerei.

Es war wirklich ein schlanker, gut gebauter, von der Natur in keinem Betreff schlecht ausgesteuerter iunger Mann. In seinem Gesichte war zwar ein etwas trozziger Zug, den man aber auch für Muth und Raschheit hinnehmen konnte; selbst die Narbe auf der Stirne war da, und – verunstaltete ihn nicht. Er hatte sich ziemlich dicht an Arabellen gesezt; und mochte so eben eine Liebeserklärung ihr gemacht haben; wenigstens schlos ich es, aus der Antwort der Lädi.

»Sir, es schickt sich nicht für mich, Erklärungen dieser Art von einer Person anzuhören, deren Stand, Glücksgüter und Karakter mir noch so gänzlich fremd sind.«

James. In allen diesen Punkten, Miß, steht Ihnen die befriedigendste Aufklärung zu Befehl. Nur erlauben Sie mir erst, von meiner lebhaftesten, meiner glüendsten Neigung Sie zu überzeugen.

Arab. Ihr Aeusseres sowohl als Ihr Betragen erlaubt mir auch nicht den geringsten Zweifel, daß ich mit einem Manne von Stand und Ehre spreche. Gleichwohl wird es mir angenehm seyn, wenn Sie mir einige Personen nennen, mit welchen Sie bereits in Bekanntschaft stehen.

James. Nichts ist billiger als diese Forderung, und dennoch bin ich grade diese zu befriedigen nicht im Stande. Ich bin noch ganz fremd in London. Niemand kent mich; selbst die Briefe, die ich abgeben sollen, hab' ich über den wichtigern Geschäfte, Sie zu sehen und aufzusuchen, vergessen. Wenn Ihnen dies, schöne Miß, seltsam dünkt, so erlauben Sie mir mit wenigen Worten einen kleinen Abriß meiner Geschichte, und Ihre Verwunderung wird sich hoffentlich legen.

Arab. Ich bitte sie selbst um diese Erzählung.

James. Meine Familie gehört zu einem der ältesten Häuser in ganz England. Schon zu Zeiten Wilhelm des Eroberers blühte sie, und hat Bischöffe, Friedensrichter und königliche Räthe in Menge unter ihren Vorfahren aufzuweisen. Doch zur Zeit der Revolution hatte mein Aeltervater die Hofpartei ergriffen, und als er sah, daß es mit dem König bedenklich zu stehen anfange; als er sich an dem Beispiel der Roialisten nach Carl I. Hinrichtung spiegelte, machte er seine sämtlichen liegenden Güter in Sommersetshire zu baarem Gelde, und begab sich mit allem seinen Hausgesinde nach Philadelphia, wo er seinen Namen änderte, auf Handlung sich legte, und seinen zwei Söhnen ein großes Vermögen hinterließ. Sonderbar war es aber, daß er nicht nur seine Güter, sondern auch seinen Widerwillen gegen Britaniens nachmalige Regierung auf sie vererbt zu haben schien. Beide zeigten nie die geringste Neigung, iemals nur einen Fuß in ihr Vaterland zu sezzen. Beide unterhielten mit England keine, als nur die nothwendigste kaufmännische Verbindung; selbst nach ihren weitläuftigern hier zurückgebliebenen Verwandten erkundigten sie sich mit keiner Silbe. Nur ich – doch ich fürchte, Ihnen lange Weile zu machen, Miß.

Arab. Eine sehr ungegründete Furcht! Ich bitte, fahren Sie fort.

James. Nur ich – wolt' ich sagen – machte von Jugend auf eine Ausname. Wiewohl ich in Amerika und von einer amerikanischen Mutter gebohren war, so kont' ich mich doch nie mit der amerikanischen Lesart ganz vertragen. Immer hingegen hörte, sah und las ich alles gern, was auf Englands Sitten, Einwohner und Geschichte einen Bezug hatte. – Ich weigerte mich zwar nicht, zur Vertheidigung meiner Vatererde, die Waffen mit zu ergreifen. Ich stieg, troz meiner Jugend, bald zum Hauptmann empor. Diese Wunde hier, die wahrscheinlich nie ganz vernarbt, erhielt ich zu Yorkstown, den Tag vorher, ehe Cornwallis sich ergab. Aber dennoch blieb ich im Herzen bei meiner Vorliebe, und kaum war es Friede, als ich meinen Vater um Erlaubnis und Unterstüzzung nach England zu schiffen bat. Er schlug es mir mit großem Unwillen ab; und als er vor einem Jahre starb, wußte mein Oheim, unter manchen Gründen, und unter Bedrohung mich zu enterben, abermals meinen Vorsaz zu vernichten. Vor zwei Monaten zersprang auch diese Kette. Heute beerdigte ich meinen Oheim, und drei Tage drauf saß ich schon auf einem Schiffe, das nach Grosbrittanien segelte; nachdem ich meine ganze Erbschaft der Aufsicht eines geprüften Freundes übergeben, und mir nur so viel mitgenommen hatte, als überflüssig hinreicht, mich in den ersten sechs Monaten standesmäßig zu betragen.

Arab. Hätten Sie aber nicht besser gethan, noch so lange in Philadelphia zu bleiben, bis Sie Ihre ganzen Geschäfte in Ordnung bringen konten?

James. O nein! Ich kenne meinen Freund; er besizt soviele meine wenige Erfahrung übertreffende Kenntnis, und zugleich ein so edles, dienstfertiges, uneigennütziges Herz, daß meine Angelegenheiten sich in seinen Händen so gut und besser noch als in den meinigen befinden. Die rauhe Jahrszeit drohte schon einzubrechen, und die Schiffarth ganz oder wenigstens zum Theil zu sperren. Und endlich – o ich muste der unwiderstehlichen Gewalt endlich nachgeben, die mich immer und immer nach England riß. Ehmals nanten meine Freunde und ich selbst diesen innern Antrieb blos Ungedult. Jezt erkenn' ich, daß es mein Schuzengel war, der mich rief, und der mir eben dasienige liebenswürdige Antliz im Traume zeigte, das ich iezt in der Würklichkeit vor mir sehe.

Arab. (ganz erstaunt) Sie mich im Traume gesehen? Mein Herr, sprechen Sie vielleicht iezt in ihm?

James. O es befremdet mich nicht, wenn Sie mich einen Schwärmer schelten! Aber ia, Miß, ia, – erst seit fünf Tagen bin ich in England, seit zweien in London. Aber seit Jahr und Tag schon kenn' ich – ach, leider im Traume nur – dieienige, von der es iezt abhängt, das Glück oder Unglück meines wachenden Lebens zu machen. Nein, es ist kein Hirngespinst, was schon die Alten oft von Simpathie und von Bestimmung der Seelen für einander sagten. Wie unsägliche mal hat schon mein Geist den Ihrigen umschwebt, mit Ihm gesprochen, und Ihm die Flamme gestanden, die iezt auch meinen irdischen Theil durchglüht.

Arab. Mein Herr, ich höre Ihnen mit einer Verwunderung zu, der Sie hoffentlich auch etwas Mistrauen verzeihen werden.

James Ich verzeih' es Ihnen; aber ich verdiene es nicht! – Wohlan, Miß, erfahren Sie noch mehr; erfahren Sie alles! Selbst, daß ich Sie fand, so zeitig fand, ist mehr als ein bloßer Zufall. Auch dies hab' ich einer Ahndung, die man ein Gesicht nennen könte, zu verdanken. Es war die erste Nacht, als ich in London, ermüdet von der Reise schlief; da schien mir ein Freund im Traum die Hand zu drücken, und zu sagen: Morgen gegen Mittag in der königlichen Kapelle! Ich erwachte; immer noch schallte mir der Zuruf ins Ohr. Ich lächelte über mich selbst. Dennoch war dorthin zu gehen mein erstes Geschäft, und Sie – Sie, Miß, alda zu sehen, mein erstes und mein höchstes Glück. O es fehlte nicht viel, so hätte ein lauter Ausruf von mir, Aller Augen auf mich geheftet.

Arab. (immer unruhiger.) Verwunderlich! Es ist wahr, ich war vorgestern Morgen dort. Noch mehr, auch mich zog, gleichsam wider Willen, eine gute Freundin mit sich hin! – Und sind Sie gewiß, daß ich es war, die Sie mehrmals im Traum erblickten?

James. O gewisser, als daß ich iezt lebe! Ich schwöre es Ihnen bei allem, was der Himmel heiliges und die Erde reizendes hat. Ich schwöre es bei dieser schönen Hand – (indem er dieselbe schon fassen will, zieht sie Arabella mit schamhaftem, doch keineswegs unwilligen Blick zurück, und unterbricht ihn.)

Arab. Ich wiederhol' es: Dies ist sonderbar! – Aber eben deswegen verdient es eine genauere Ueberlegung, und wir hätten vielleicht für heute genug davon gesprochen. – Doch da Sie mir ihren bisherigen Lebenslauf erzählten: wie gedenken Sie wohl Ihren künftigen einzurichten?

James. Nur von meiner reizenden Gebieterin soll dies abhängen! Alle meine Geschäfte, mein ganzes Vermögen, mein Leben und mein Herz erwarten Ihren Wink. – Ich war Willens, mir in England einen kleinen Landsitz, etwa ein Gut, das iährlich seine funfzehnhundert bis zweitausend Pfund abwirft, anzukaufen. Was ich aber mit dem Ueberrest meines Vermögens, mit der bei weitem reichlichern Hälfte, machen soll; ob ich sie in eine Bank niederlege, oder damit in einem Hofamt mein Glück versuche, darüber bin ich noch nicht entschieden.

Arab (rasch) O das leztere, ich bitte Sie! – Ueber den Hof geht nichts auf Erden.

James. Nichts, als Ihre Gesellschaft, liebenswürdigste Miß! Hab' ich zu dieser für mein übriges Leben Hofnung, so will ich mit Freuden – –

Arab. (als wolte sie ihre vorige Uebereilung verbessern) Nicht auf mich dacht' ich in diesem Augenblick. Sie mögen Ihre Hand reichen, wem Sie wollen, so wird Ihre künftige Gemalin hoffentlich mit mir hierinnen einstimmig denken.

James. O nein, nein! Nie kann mein Herz für eine andre als für die reizende Miß Sorming schlagen! – Wenn Sie nicht meine Bitte erhört, so bleibt für's ganze Leben meine Hand ledig, meine Seele traurig und iede Kraft in mir ungenüzt.

Arab. Dies ist die gewöhnliche Sprache Ihres Geschlechts, wenn es der Leichtgläubigkeit des Unsrigen spottet. Die Zeit allein ist der wahre Probierstein der Aufrichtigkeit.

James. Ja, Miß, sie ist es, und sie soll auch die Meinige bewähren. Aber erlauben Sie mir wenigstens, Ihnen künftig meine Empfindungen zu wiederholen! Erlauben Sie dem innigsten, dem wärmsten Liebhaber – –

Arab. Nichts mehr von Liebe für heute. Ich höre hier eine Sprache, die mir fremd ist, und die ich eigentlich nie hören wolte; da Sie aber fremd in der Stadt sind, und noch Mangel an Bekantschaften haben, so würd' es unartig seyn, wenn ich Ihnen die Erlaubnis mich ferner zu besuchen – denn das war's ia doch wohl, warum Sie baten? – ganz verweigerte.

Noch hatte sie dies nicht geendet, so lag er schon knieend zu ihren Füßen; faßte ihre beiden Hände, und drückte, mit allen Merkmalen des höchsten Entzückens, bald diese, bald iene zu zahllosen Küssen an seine Lippen. Sie lies es ohne Widerstand zu. Lange vielleicht hätte dieses stumme und doch so bedeutungsvolle Gespräch gedauert, hätte nicht ein Geräusch an der Thüre ihn plözlich aufzustehen bewogen. – Ein Bedienter brachte seiner Herschaft zwei Briefe von der Post. Sie sah die Aufschrift an, warf sie gleichgültig auf den Tisch, und that nichts weniger, als nach dem Inhalt begierig. – Doch hielt ihr Liebhaber dies, – entweder aus Höflichkeit, oder weil er für's erstemal mit seinem Empfang zufrieden war – für ein Zeichen zum Aufbruch. Ehrerbiethig küßte er noch einmal ihre Hand, bat um die Erlaubnis, morgen wieder aufzuwarten, und entfernte sich.

Kaum glaubte Miß Arabella ohne Zeugen in seyn, als sie sich ganz denienigen Gemüthsbewegungen überließ, die sie auch in seiner Gegenwart, nur mühsam zurück gehalten hatte. – »Gab es ie einen sonderbarern Vorfall? rief sie: Je ein so unglaubliches Zusammentreffen der seltensten Dinge? – Sage man mir nun, was man wolle, im Kaffeesatz liege entweder viel, unbeschreiblich viel verborgen, oder dies Weib ist der Hexe von Endor Schwester. – Hat sie mir meinen Geliebten nicht beschrieben, als könnte sie malen; und doch war er, als sie es that, nicht einmal in London! – Das Schif, womit er kam, die drei Tage, die Narbe auf der Stirn, sein Wuchs, seine Reden – alles! alles! O es ist unbegreiflich. – Nie wolt' ich sonst heirathen; und iezt auf einmal so umgewandelt! Das ist Fügung des Schicksaals, und dieser – die Frau hat Recht – dieser kann niemand widerstehen!«

Sie hielt einige Augenblicke ein, sie nahm das Billet wieder, welches er am Morgen ihr geschrieben; sie las es so aufmerksam durch, als habe sie es vorher noch nie erblickt. Sie ging dann stückweis alles durch, was sie von ihm gesehen, von ihm gehört habe; und alles – alles war so gut, wie die Welt am siebenten Schöpfungstage. – Sie erinnerte sich freilich dran, daß die Männer manches anders sagen, und manches anders denken sollten. Aber grade das Unglaublichste, sein Traum, worinnen er sie sah, seine Ahndung, wodurch er sie in der Kapelle fand, waren in ihren Augen die seltsamsten, und doch unumstöslichsten Wahrheiten; waren sichre Spuren, daß es die Sterne so haben wollten, und daß alles Widersträuben fruchtlos seyn würde. –

Fast eine halbe Stunde sah ich ihr so zu und überzeugte mich: welche elende Stümper die meisten Schauspieler dann sind, wenn sie den Kampf der Leidenschaften, das sich gleichsam bald stopfende, bald durchkreuzende Gefühl der Empfindungen schildern wollen. Dann aber, als ich nach Hause kam, und in meinem Lehnstuhl den seltsamen Auftritten dieses Tages genauer nachdachte, da wußte ich nicht, worüber ich mich mehr ärgern sollte: über den niederträchtigen Betrug, den Sir James mit der Wahrsagerin angezettelt; oder über die verblendete Einfalt, mit welcher Arabella nicht sah und merkte, was ieder dritte mit den Händen schier greifen konnte. – Die Thorheit so mancher Menschen, ihr zukünftiges Schicksal auf kindischen Wegen ergrübeln zu wollen; die Gaukeleien der Gewinnsucht, die unserer Leichtgläubigkeit so schnell ein Blendwerk vorspiegelt; den großen Schaden, der selbst unbedeutend scheinende Schwächen im Verfolg nach sich ziehen: alles dies, und mehr noch, ging mit lebendigen Farben bei meinen Augen vorüber. Ich entbrannte von Unmuth, wenn ich überdachte, wie viel Unheil ein einziges altes gauklerisches Weib anzustellen vermöge; wie oft an ihr einfältiges Geschwäzze das Glück und Unglück ganzer Familien sich knüpfe. Der Dieb in der Nacht sucht wenigstens dann erst einzubrechen, wenn er uns im Schlaf zu finden vermuthet; doch diese wagen sogar uns zu betrügen, wenn wir noch mit wachenden Augen sehen, mit offnen Ohren hören. Auch ist das, was sie uns rauben, nicht etwa blos eine elende Börse, ein Stückchen eitles Metall; sondern die Ruhe unsrer Seele, und das edelste aller Güter – den Verstand.

Wie oft schon mögen diese Nichtswürdigen, mit unserm Gesinde im Bunde, mit unsern innern Geheimnissen (Gott weiß durch welche Schliche!) vertraut, Eltern und Kinder, Brüder und Schwestern, Gattin und Gatten mit einander entzweit haben! Wie mancher väterliche Fluch wäre nicht ausgesprochen, wie manches ehebrecherische Verständnis nicht geknüpft, wie manche zärtliche Liebe nicht zerrissen, wie manches häusliche Glück nicht zertrümmert, wie manches thörichte Herz nicht getroffen worden, wenn diese Gaucklerinnen sich nicht einnisteten, wo sie nur können! Wenn sie hier nicht eine alte Tante, dort ein leichtgläubiges Weibchen, hier eine unerfahrene Dirne, und dort wohl gar einen männlichen Schwachkopf berückten! Wenn sie nicht bald aus einer schmuzzigen Kaffeetasse, bald aus einer geschlagenen Karte, aus den Zügen der Hand, oder aus den Luftbildern eines Traums ihre eigennüzzigen Einflüsterungen begründeten. Was den Zauberschwestern beim Macbeth im Großen gelang – einen edlen Mann zum Bösewicht umzuschaffen; durch ihn ein blühendes friedliches Reich mit Mord und Brand und Frevelthaten zu erfüllen – wie oft mag dies nicht schon einer elenden Zigeunerin, einer nichtsnüzzigen Vettel im Kleinen gelungen seyn! Wie oft – doch ich besinne mich, daß ich nur das, was ich sah und hörte, nicht was ich dabei dachte, aufzuzeichnen versprochen habe; und ich – breche ab.

Nur eine Beobachtung noch kann ich nicht ganz zurück zwingen. Sei ihr Gehalt noch so alltäglich; sie kann nicht minder altäglich in ihrer Anwendung und ihrer Nuzbarkeit seyn! Nichts findet so leicht und so überall Wurzel, als der Aberglauben. Selbst manche, die seiner laut spotten, hegen ihn deshalb heimlich nicht minder. Eine seiner gewöhnlichsten Schlingen ist – Zeichendeuterei; Sich ungleich in Ansehn des Gewandes, bleibt sie sich gleich in der Schädlichkeit gegen ihre Folgen. Wie so manche, die erst nur der Belustigung halber Orakel um Rath befragten, die anfangs nicht daran glaubten und kaum darauf dachten, gingen bald zur Gewohnheit und von der Gewohnheit zum Zutrauen über. Das Ohngefähr ließ eine Vorherverkündigung in Erfüllung gehn, und sie bauten von Stund' an auf alle. Sie nannten es Anfangs alten Weiber-Glauben, und wurden am Ende selbst ein altes Weib.


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