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XXI.
Auch Bileam sah nicht,    
Was mit erstauntem Blicke
Sein Thier erleuchtet sah!

Miß Arabella Sorming stamte aus einem guten, und was noch mehr sagen will, wohlbegüterten Hause; sie besaß eben keine übergroße Schönheit, aber ein feines artiges Gesicht auf einem wohlgebauten Körper; war gut erzogen, ihr eigener Herr und im Besiz eines Erbtheils von zwölftausend Guineen. Es lag also, wie man leicht einsehen wird, blos an ihr, daß sie fünf und zwanzig Jahr alt geworden war, ohne verheirathet zu seyn. Schon mancherlei und zum Theil sehr annehmliche Vorschläge waren ihr geschehen; sie hatte sie alle abgelehnt, und doch dabei ihren Ruf so unbefleckt erhalten, daß der Neid selbst auf ihre Zucht und Ehre keinen Schatten von Verdacht zu werfen wagte, und daß alles, was man an ihr tadeln konte, in etwas Eigensinn und Ehescheu bestand.

Seit mehrern Jahren pflegt' ich in ihrem Hause aus und einzugehen, war immer alda aufs beste aufgenommen worden, und hatte nicht einmal den Gedanken gehegt, daß auch hier wohl mein Gürtel gebraucht werden könne. Einst, als ich um die Theestunde kam, fand ich noch eine iunge Lädi dort, die, wie ich wuste, Arabellens vertraute Freundin war, und ihr an guten Ton und unbescholtnen Sitten glich. Wir führten am Theetisch ein ziemlich munteres Gespräch und würden es wahrscheinlich noch ein Stündchen fortgesezt haben, wäre nicht plözlich das Kammermädchen hereingekommen, um ihrer Herrschaft zu melden: daß die bewuste Frau unten sei. – »Recht gut, erwiederte Miß Arabella, man führe sie in ein Zimmer, und sag' ihr, daß sie ein wenig warten solle.«

Diese Worte schienen zwar an und für sich selbst ziemlich gleichgültig zu seyn; doch die iunge Dame sah, indem sie dies sagte, so bedeutend auf ihre Freundin hin, lächelte, nickte ihr, und erhielt auch einen so sichtlichen Gegenwink, daß ich gleich vermuthete, es müsse hier ein kleines Geheimniß obwalten. Um daher nicht den Lästigen zu machen, ergrif ich wenige Minuten drauf meinen Hut und empfahl mich. Auch ward meine erste Vermuthung noch bestätigt, denn, indem ich die Treppe hinabging, hört' ich: daß Miß Arabella ihren Bedienten im Vorzimmer ausdrücklich befahl, sie vor iedem Besuch, der vielleicht kommen könne, zu verläugnen.

Man kann leicht erachten, daß alles dies meine Neugier gewaltig reizte; daß ich sofort nach meinem Gürtel und meiner Schreibtafel eilte, und daß ich mich in wenig Minuten – denn meine Wohnung war in der Nähe, – wieder in Miß Arabellens Vorgemach befand. Aber da sie sich indeß fest verschlossen hatte, so drohten selbst meine magischen Mittel fruchtlos zu bleiben, und alles, was ich an der Thüre vernahm, war, daß man einigemal drinnen recht herzlich lachte. Natürlich wuchs eben dadurch meine Ungeduld um ein großes; aber schon wolt' ich endlich wieder gehn, als ich plözlich den Schlüssel drehen hörte, und indem Miß Arabella ihrem Mädchen rief: reine Tassen zu bringen; indem das Mädchen dem Befehl gehorchte, und die Thüre nur zwei Augenblicke offen stand, schlüpfte ich hurtig hinein.

Ich hatte mir, Gott weiß, welche Seltenheit zu erblicken vermuthet. Wie staunt' ich aber, als ich gleich beim ersten Eintritt erkante, daß dieses ganze, so sorgfältig verschlosne Geheimnis in einer elenden Wahrsagerei aus Kaffee-Satz bestehe! – Mancher Schwachheit hatte ich Arabellen fähig gehalten; denn es war ia ein Mädchen! doch auf eine so gar ungereimte hatt' ich mich nicht gefaßt gemacht; und voll Bedaurung meiner angewandten Mühe, würd' ich gern wieder sogleich weggegangen seyn, hätte mich nicht die verschlosne Thüre genöthigt da zu bleiben, und doch auch endlich hinzuhören: was man denn da unter einander schwazze?

Die Hauptperson des Spiels war eine ziemlich schlecht gekleidete, und auch durch ihr Gesicht sich eben nicht empfehlende Weibsperson. Noch konnte sie kaum vierzig Jahr alt seyn; gleichwohl hatte sie schon ihre Nase mit zwei Brillengläsern gesattelt, die nicht viel kleiner als die Tasse waren, welche sie untersuchte, oder vielmehr zu untersuchen vorgab. In der Mitte von zwei Damen, welche sie mit gröster Freundlichkeit behandelten, sah sie aus wie ein Ziegelstein, den man in Gold eingefaßt hat; und die ernstliche Miene, mit welcher sie sprach, stach drollicht genug von dem nichtswürdigen Gewerbe ab, das sie trieb. Aus allen Umständen zu schließen, hatte sie Arabellens Freundin bereits ihr Glük oder Unglük verkündigt, und machte sich nun gefaßt, auch Miß Sorming das so sehnlich erwartete Horoskop zu stellen. Mit feierlicher Amts-Gebärde schwenkte sie zwei Kaffeeschalen dreimal hin und her; befahl ihrer Klientin, dreimal in iede zu hauchen, sie umzustürzen, und dann dreimal wieder sanft mit dem Zeigefinger der rechten Hand drauf zu klopfen. – »Alles was in der Welt gerathen soll, sagte sie, geschieht durch dreimal drei.« – Pünktlich ward ihr gefolgt; und nachdem man ein Weilgen dem Kaffeesatz Frist zum herablaufen gegeben, und die neue Sibille einige Augenblicke in die aufgehobene Schaale hineingestarrt hatte, sprach sie mit pathetischem Tone:

»Miß, werden eine Braut! Ich sehe hie einen Kranz.«

Arab. Und wenn es nun ein Todtenkranz wäre?

Wahrs. Nein, nein! der ist es sicher nicht; denn nicht eine Bahre, wohl aber ein Herz ist ihm zur rechten Hand; und zur linken – – o Je, o Je! zur linken steht ein großes Haus, ein wahrer Pallast, mit Thorwegen und Thürmen. Ohne Zweifel ein Schlos! Und der künftige Gemahl wird es besizzen oder bauen.

Arab. Wenigstens weiß ich nichts von ihm! Und sieht Sie sonst noch etwas?

Wahrs. Einen Mann, der Geld oder Geldes werth bringt! Es scheinen mir Banko-Billets zu seyn.

Arab. Leicht möglich, denn ich sehe meinen halbiährigen Zinsen morgen oder übermorgen entgegen.

Wahrs. Auch bringt noch iemand ein großes, dickes Packet. Es scheint etwas zu seyn, worüber Miß sich freuen.

Arab. Vielleicht mein neues Kleid! – Aber offenherzig gestanden, wenn die andre Tasse nicht mehr verräth, als diese – –

Wahrs . O das wird sie! das wird sie! Die erste hält sich gewöhnlich immer nur bei der Vorrede auf; die zweite schreitet zum Text. – (indem sie solche anschaut) Sagt ich's nicht? Hier giebt es eine ganze Menge auf einmal. Fürs erste sizt hier ein Herr, so tiefsinnig – so tiefsinnig, als wären ihm Vater und Mutter sei gestorben. Seiner Stellung nach –

Arab. (etwas ungeduldig) Aber guter Himmel, was geht mich denn der Herr, sein Tiefsinn und seine Stellung an?

Wahrs. Viel, Miß! sehr viel! denn sehen Sie, hier sind Sie wieder und eben dieser Herr liegt vor Ihnen auf den Knieen. Sie wenden sich zwar weg, und sehn etwas finster aus, aber ums Herz ist es Ihnen ganz anders. – Richtig! Richtig! da hat er Sie schon wieder und zwar bei der Hand. Nun sind Sie schon um ein gutes Theil freundlicher. Zeit meines Lebens sah ich noch nie etwas so deutlich. Schauen Sie selbst hieher! Hier sind Nase, Mund und Auge. Hier ist er, und –

Arab. Da könt' ich Tagelang hinsehen, und hätte doch am Ende nichts erblickt. Wenn Ihr Auge aber so scharf ist, beschreibe Sie mir doch den Herrn ein wenig genauer.

Wahrs. Ja, das ist freilich schwer! Ganz aufs Haar trift man es kaum. Indeß scheint mir's, er ist lang, wohl gewachsen, hat ein Haar, das weit – weit herunter geht, ein feurig Auge, und auf der Stirne – richtig! ich müste mich sehr irren, wenn das nicht eine kleine Schramme wäre, die ihm doch eher gut als übel steht.

Arab. Unter meiner ganzen Bekanntschaft wüßt ich keinen, auf den dies paßte.

Wahrs. Auch scheint mir's nicht, daß sie einander iezt schon kennen. Aber lange – nein, lange kann es nicht mehr ausbleiben. Hier ein Zweig über seinem Kopfe mit drei kleinen Aesten. In drei Tagen – was haben wir izt, Neumond oder erstes Viertel? – in drei Tagen, höchstens binnen drei Wochen macht er Ihnen seine erste Aufwartung. – Schade, daß keine einzelne Tasse über den nächsten Vollmond hinaus reicht! Fast dürft' ich – – (stockt)

Arab. Und was?

Wahrs. Noch eine dritte Tasse nehmen. Vielleicht, daß ich dann – –

Arab. (hizzig) So nehme Sie zwanzig meinetwegen noch, wenn Sie dann besser im Buch des Schicksals zu lesen glaubt.

Wahrs. Mitnichten! Ueber drei hinaus darf man nicht gehen. Doch diese lezte wollen wir noch versuchen.

Sie schritt sofort zum Werk. Unter ähnlichen Gaukelein, wie zuerst, ward noch eine Tasse eingeweiht, und kaum hatte sie solche angeschaut, als sie dieselbe wieder für Erstaunen gleichsam fallen ließ, die Hände übern Kopf zusammen schlug, und rief:

»Getroffen, Miß, getroffen! Sie werden eine Braut. Hier ist der Altar, ein Priester, der das Buch hält, und wieder ein Ring. Kein Maler könt' es deutlicher zeichnen, als dies alles hier steht. – Es ist ein fremder Herr, das weiß ich nun ganz gewiß; das zeigt das Schiff unter seinen Füßen. Ich hab' in meinem Leben nun schon so manch' tausend Tassen gegossen, doch so augenscheinliche Figuren hatte noch keine. – Ehe der nächste Monat sich schließt, heißt es nicht mehr Miß, sondern Milädi.«

Arabella war bei ieder Periode dieses Geschwäzzes immer ernsthafter geworden. – »Sie hat viel Zutrauen auf Ihre Kunst, gute Frau; sagte sie endlich: aber diesmal dürfte Sie doch wohl sich irren, denn ich bin fest entschlossen, mich nie zu verheirathen.«

Wahrs. Ja, ia, an Ihrem Vorsaz, Miß, zweifl' ich nicht. Auch kann es vielleicht noch ein paar kleine Verdrießlichkeiten geben; denn ganz umsonst stehn diese zwei Schlangen, die Neid und Klatscherei bedeuten, nicht hier. Doch daß alles dies den Rathschlus der Sterne nicht hindert, das weiß ich noch gewisser. Seinem Schicksal entlief noch kein Mensch auf Erden. Dieser Herr hier in der Tasse ist Ihnen vom Schicksal bestimt, und bei dieser Bestimmung wird es bleiben, und wenn Sie sich noch so sehr dagegen sträubten.

Arab. Wie? Ich möchte wollen oder nicht!

Wahrs. Ei was wollen wir arme Menschen denn eigentlich? Oder was kann alles unser Wollen hindern, wenn es dort oben anders lautet? Gerade denienigen Dingen, die wir hundert Meilen weit von uns vermuthen, sind wir oft am nächsten. So wird's auch Ihnen gehen, schöne Miß. Sie können dem ganzen männlichen Geschlechte Haß zugeschworen haben; das Schicksal will, daß sie binnen kurzen einen Mann lieben sollen; und das Schicksal wird Recht behalten. Ich wolte, ich hätte ebenso sicher tausend Pfund, als der Herr in der Tasse hier ihr Gemal werden wird.

Arabellens Freundin, die bisher ganz stillschweigend zugehört hatte, brach iezt in ein lautes Gelächter aus; denn die Kaffeeprophetin sprach würklich in einem so feierlichen Tone, als ob sie auf Apollens Dreifuß säße. Nur Arabella, welche der Inhalt dieser Rede näher anging, blieb bei ihrer Ernsthaftigkeit, und fragte nur:

»Wenn Sie denn so gewiß überzeugt ist, meine Gute, daß ich heirathen werde und muß, so sage Sie mir doch auch aufrichtig: Ob es mir in dieser Ehe gut gehen werde?«

Wahrs. Ausführliches steht davon in unsrer Tasse nichts; denn wie ich schon sagte: Sehr weit hinaus erstreckt sich diese Gabe der Vorherverkündigung nicht; doch solt' ich glauben: Es müsse zum Besten ausschlagen. Geldsäcke hat er in einer kleinen Entfernung wohl zwanzig hinter sich; und lieb hat er Sie bis zum Sterben.

Bei diesen Worten packte die Gauklerin etwas hurtig, gleichsam als wolle sie nicht weiter befragt seyn, ihre sieben Sachen zusammen, und nachdem sie von beiden Damen reichlich beschenkt worden empfohl sie sich ihnen zur fernern Kundschaft, und ging. Von ganzer Seele hatt' ich mich gewundert, daß ein Paar Personen von Erziehung und Talenten, – zwei Frauenzimmer, die wenigstens keine Kinder mehr waren, einem solchen Possenspiele so lange, und so geduldig hatten zuhören können; noch mehr erstaunte ich, als sich aus ihrem nachherigen Gespräch deutlich ergab, daß sie im Ernst an dessen Wahrhaftigkeit glaubten. Wohl zwanzig Fälle, wo alles pünktlich eingetroffen, erzählten sie sich wechselseitig. Doch mein Buch war schon voll, und unwillig eilt' ich von dannen, sobald nur eine Gelegenheit zu entwischen sich darbot.


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