Oskar Meding
Europäische Minen und Gegenminen
Oskar Meding

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Zweiundvierzigstes Kapitel.

An einem Novemberabend des Jahres 1867 saß die Prinzessin Mathilde in dem reizenden, kleinen Salon der oberen Etage ihres Hotels in der Rue de Courcelles, zurückgelehnt in einen tiefen Fauteuil. Die großen Empfangsabende, an welchen die Prinzessin alles, was Paris an Großwürdenträgern, Diplomaten, Künstlern und Schriftstellern in ihren feenhaft mit Gewächshäusern umgebenen Appartements des untern Stockwerks mit der ihr eigentümlichen geistreichen Anmut um sich zu versammeln pflegte, hatte noch nicht begonnen, und die Prinzessin war nur für die ihr näher stehenden Personen im intimen Kreise zu Hause.

Die Tochter Jérômes hatte den schönen Kopf mit den feinen, geistvollen Zügen, den schwarzen, scharfblickend funkelnden Augen und dem dunkeln glänzenden Haar leicht auf die Hand gestützt, deren klassisch schöne Form und alabasterglänzende Weiße in aller Jugendfrische erhalten war und an die berühmte Hand ihres großen Oheims erinnerte. In der Stellung der Prinzessin war das etwas starke Embonpoint ihrer Figur nicht bemerkbar, und man hätte ihrer ganzen Erscheinung bei weitem nicht das Alter gegeben, das sie wirklich erreicht hatte.

Zu den Füßen der Prinzessin lag auf einem weichen Kissen ein kleines Windspiel, das trotz seines Mantels von dichtem, pelzverbrämtem Wollenstoff vor Kälte zitterte, zwei andere kleine Hündchen von der zierlichen, langhaarigen Rasse der Havanais hatten es sich in der Nähe auf niedrigen Tabourets bequem gemacht.

Der Salon war angefüllt mit allem, was ein hochgebildeter, hier und da vielleicht etwas launenhafter Geschmack zur Dekoration eines eleganten Interieurs vereinigen kann, an den Wänden hingen vortreffliche Ölbilder mit Landschaften aus Westfalen und mit Genrebildern aus dem westfälischen Bauernleben, vermischt mit klassischen Gemälden der italienischen Schule, sowie einige eigene, mit ebensoviel Geschick als Genialität ausgeführte Bilder der Prinzessin.

In der einen Ecke des Salons war die Ehrendame Madame de Reiset, eine anmutig schöne, junge Frau, beschäftigt, an einem kleinen Tisch, bedeckt mit geschmackvoll zierlichem Geschirr von Silber und Sevresporzellan, den Tee zu bereiten; neben der Prinzessin saß auf einem kleinen Lehnstuhl Herr Meding, der vertraute Diener des Königs von Hannover.

»Ich bedaure sehr,« sagte die Prinzessin, leicht mit der Spitze des zierlichen Fußes auf das Kissen ihres Windspiels schlagend, »daß unsere Ideen über eine Verbindung des hannoverischen Hauses mit Italien nicht schneller der Realisierung entgegengeführt worden sind. – Die jetzige Lage der Dinge dort muß alle Projekte vertagen und ich hätte so sehr gewünscht, daß das hannoverische Haus durch eine Verbindung mit den großen Mächten mehr in die Lage gekommen wäre, etwas für seine Zukunft zu tun.«

»Eure Kaiserliche Hoheit wissen,« erwiderte Herr Meding, »daß ich ohne Säumnis die Idee, über welche Sie mir die Ehre erzeigten, mit mir zu sprechen, überbracht habe, indes ein plötzlicher und schneller Entschluß schien mir für meine allerhöchsten Herrschaften sehr schwierig, da doch dabei verschiedene, sehr tief einschneidende Fragen in Erwägung gezogen werden mußten – die Religion – und die Prinzipien, welche in Italien zum Ausdruck gekommen sind, und welche ja gerade der König von Hannover in seiner gegenwärtigen Lage und Stellung bekämpfen muß –«

»Bah,« rief die Prinzeß, »der König wird sich doch nicht vergleichen wollen mit den Bourbons von Neapel und all den ausländischen Fürsten, die durch die Einigung Italiens depossediert sind. Ich sage Ihnen frei, der König hat Unrecht gehabt, sich gegen die Macht und die Verhältnisse zu stellen, aber jedenfalls war er dazu berechtigter, als die fremden Regenten, welche Teile von Italien beherrschten; doch wie dem auch sei, ich möchte gern seinem Hause nützlich sein, ich habe immer eine große Sympathie für ihn gehabt, ich erinnere mich noch lebhaft unserer Begegnung in Potsdam; bei einem Diner bei dem alten Fürsten Wittgenstein saß ich neben ihm und war in der Tat ganz ungemein angenehm berührt von der edlen Erscheinung dieses so ritterlichen und so unglücklichen Herrn. Die Königin von Holland hat mir neuerdings wieder mit großem Interesse von ihm gesprochen, ich bin immer der Meinung, daß richtige Verbindungen mit den europäischen Höfen das Neste sind, was der König in seiner Lage tun kann. – Der Prinz von Carignan hat mir unendlich viel von der Schönheit und Liebenswürdigkeit der Prinzessinnen erzählt, Sie wissen, was das Haus Habsburg durch seine Verbindungen erreicht hat –«

»Sie können überzeugt sein, Prinzessin,« sagte Herr Meding, »daß ich Ihrer Ansicht vollkommen beistimme, und gewiß stets gern bereit bin, in solchem Sinne zu vermitteln, sobald die Interessen meines Herrn dadurch gefördert werden.«

»Jetzt ist gar nichts zu machen und an gar nichts zu denken,« rief die Prinzessin, »diese neue Verwirrung in Italien stellt ja alle Verhältnisse auf den Kopf und bedroht Europa mit neuen Katastrophen. – Warum,« fuhr sie, den Fuß heftig hin und her bewegend, fort, »warum läßt man dies Italien nicht in Ruhe, was haben wir in Rom zu tun, um eine Sache zu schützen, die unhaltbar ist, wenigstens gewiß unhaltbar mit äußerer Gewalt! Wenn die Kirche und die Priester ihre Herrschaft über die Seelen nicht erhalten können mit den Mitteln des Geistes und der Überredung, so werden sie es gewiß niemals können durch Bajonette und Kanonen. O, ich bedaure es sehr, daß man dem Kaiser dazu rät, sich mit der sinkenden Macht des Papsttums zu verbinden und sich zum Feinde Italiens zu machen, statt sich mit dieser neu und jugendkräftig emporstrebenden Macht recht innig zu verbinden, wer wollte solcher Koalition widerstehen – und Frankreich wäre mächtiger als je!«

»Es ist für mich sehr schwer,« erwiderte Herr Meding, »mich als Fremder über die Politik Frankreichs und des Kaisers auszusprechen, da mir die nötige Kenntnis der Verhältnisse zu einem kompetenten Urteil fehlt –«

Die Prinzessin lächelte leicht und blickte aus dem Winkel des halbgeschlossenen Auges zu dem Sprechenden hinüber.

»Eine sehr diplomatische Einleitung!« sagte sie.

»Doch glaube ich,« fuhr Herr Meding fort, »daß die Idee einer festen Verbindung mit Italien sehr ernstlich verfolgt wird, soweit man nach den in die äußere Erscheinung tretenden Ereignissen urteilen kann; der Besuch des Kaisers von Österreich hier –«

»Nichts – nichts!« rief die Prinzessin, »ich habe lange mit Herrn von Beust mich unterhalten, ich bin nicht Politiker von Metier, aber ich habe meine Meinung und sage sie frei, auf Österreich ist nicht zu rechnen, da ist weder fester Willen noch richtige Kraft, Österreich würde Italien folgen, aber Italien handelt nicht mit kleinen Konzessionen, Italien verlangt seine nationale Einheit und seine Hauptstadt, und gerade jetzt schicken wir uns abermals an, diesem nationalen Aufschwung uns entgegenzustellen!« fügte er achselzuckend hinzu.

»Aber, Prinzessin,« sagte Herr Meding, »die Regierung des Kaisers wendet sich ja nicht gegen die italienische Regierung, die ganze Bewegung ist ja ein Freischarenzug, Ratazzi war ganz einverstanden mit –«

»Ratazzi!« rief die Prinzessin mit einem unbeschreiblichen Ton, »und vielleicht Madame Ratazzi auch?«

Unter der Portiere des vorderen Salons erschien in diesem Augenblick ein Herr von etwa sechzig Jahren mit dem großen Band der Ehrenlegion, sein scharfgeschnittenes Gesicht, von dünnem Haar umrahmt, Zeigte eine seine Intelligenz, und die verbindliche Höflichkeit des Hofmannes lag auf seinen Zügen. Ihm zur Seite schritt eine schlanke Dame von wunderbarer Schönheit, das fast marmorbleiche Gesicht war wie durch dunkles Feuer von den tief blauschwarzen Augen mit langgebogenen Wimpern erleuchtet, ebenso schwarze, reiche Flechten faßten die Stirn ein, die hohe Gestalt war gehüllt in eine Robe von schwarzem Sammet – reicher Schmuck von prachtvollen Diamanten glänzte an ihrem Hals und in ihrem Haar.

Es war der Marquis von Chasseloup-Laubat mit seiner Gemahlin, welche der Cousine des Kaisers ihren Abendbesuch machten.

Die Prinzessin reichte der Marquise die Hand und lieh sie neben sich den Platz einnehmen, den Herr Meding aufstehend ihr eingeräumt hatte.

»Nehmen Sie sich in acht, Marquis,« rief die Prinzessin heiter lachend, »Sie finden mich in einer sehr unzufriedenen Stimmung, ich war soeben im Begriff, sehr unangenehme Dinge über die Politik zu sagen, die man in diesem Augenblicke macht, Ihre Loyalität würde in große Verlegenheit gekommen sein, wenn Sie meine Ausfälle hätten anhören müssen –«

»Meine Loyalität wird stets mit dem größten Respekt die Meinung einer Dame und einer kaiserlichen Prinzessin anhören,« sagte der Marquis sich verneigend, »nur werde ich mir vorbehalten, diese Meinung nicht immer zu teilen –«

»Oder es nicht zu sagen, wenn Sie sie teilen,« lachte die Prinzessin. – »Wissen Sie, meine Herren,« fuhr sie nach einem Augenblick fort, während Madame de Reiset den Tee servierte, »was ich mir vorgenommen habe zu tun – ich werde ein Journal gründen, ein großes Journal, das wird eine sehr interessante Beschäftigung weiden – ich werde sehr deutlich meine Meinung sagen über alles, was ich sehe und was mir mißfällt, o, Sie sollen sehen, das würden herrliche Artikel werden, die ich schreiben würde oder schreiben lassen, denn ich müßte meine Redakteure haben. Wollen Sie Mitglied meiner Redaktion werden, Marquis?«

»Ich fürchte, daß dies Journal mit den Preßgesetzen in Konflikt kommen würde,« sagte Herr von Chasseloup-Laubat, »namentlich wenn es die inneren Angelegenheiten ähnlich kritisierte, wie Eure Kaiserliche Hoheit es mit der auswärtigen Politik zu beabsichtigen scheinen.«

»O,« rief die Prinzessin halb scherzend, halb in wirklichem Zorn, »über die inneren Angelegenheiten werde ich noch ganz anders meine Geißel schwingen, denn mit der Verwaltung habe ich wohl Grund auf schlechtem Fuß zu stehen. – Wissen Sie, was Ihr Herr Haußmann mir getan hat?«

Der Marquis zuckte mit einem leicht verlegenen Lächeln die Achseln.

»Dieser Pascha von Paris,« rief die Prinzessin, »hat mir einen Teil meines Gartens von Saint Gratien expropriiert und mir eine häßliche, dampfende und schnaubende Eisenbahn mitten durch meinen schönen, stillen Park gelegt, und was das Schönste ist, die Expropriationsgelder hat er für den kaiserlichen Domanialfonds in Anspruch genommen und dorthin abgeliefert, ist das nicht unerhört? – und als ich mich beim Kaiser beschwerte, hat dieser verlegen seinen Knebelbart gestrichen, den er übrigens gar nicht tragen sollte, denn er kleidet ihn sehr schlecht – und hat mir gesagt, man müsse Herrn Haußmann in allen diesen Dingen freie Hand lassen, er verstehe das ausgezeichnet, aber sei ein wenig selbständig, und das sei nötig, um so große Schöpfungen ins Leben zu rufen. – O, wenn ich mein Journal hätte! – Aber die Gerechtigkeit wird ihn ereilen,« rief sie nach einem augenblicklichen Schweigen, »diesen Herrn Haußmann, er wird einen schönen Stand im Corps legislatif haben, wenn es zur Debatte kommt, daß er den Etat der Stadt Paris um 530 Millionen überschritten hat –«

»Eure Kaiserliche Hoheit wissen?« rief der Marquis von Chasseloup-Laubat erschrocken.

»Ich weiß ein wenig alles,« sagte die Prinzessin mit triumphierendem Lächeln, »man hat seine guten Freunde, und diesmal, das kann ich Sie versichern, bin ich sehr genau unterrichtet.«

»Ich biete mich Eurer Kaiserlichen Hoheit für die Bearbeitung der deutschen Angelegenheiten in Ihrem Journal an,« sagte Herr Meding, das Gespräch von dem peinlichen Punkte, den es berührt hatte, ablenkend.

»Ich danke, nein!« rief die Prinzessin, »Sie kann ich nicht gebrauchen, Sie sind recalcitrant – ich muß Ihnen sagen, ich habe großen Respekt vor diesem Grafen Bismarck, der da weiß, was er will, man sollte ihn ruhig gewähren lassen und keinen Streit mit ihm anfangen, denn daraus muß schließlich ein unglückseliger, furchtbarer Krieg mit all seinem entsetzlichen Elend entstehen, Sie würden mich in böse Konflikte mit der preußischen Regierung bringen –«

»Die Verhältnisse haben mich auf die Seite der Gegner des Grafen Bismarck gestellt,« erwiderte Herr Meding, »aber Eure Kaiserliche Hoheit können überzeugt sein, daß es nie größere Achtung vor einem politischen Gegner geben kann, als ich sie vor diesem Willensstärken, mächtigen Staatsmann empfinde.«

Ein hochgewachsener, schlanker Mann, dunkelblond mit intelligentem, blassem Gesicht, elegant in Manieren und Haltung, trat ein.

»Guten Abend, guten Abend,« rief die Prinzessin, mit leichtem Kopfnicken die tiefe Verbeugung erwidernd, mit der Herr Henry de Pêne, der bekannte geistreiche Schriftsteller, sich ihr näherte, »gut, daß Sie kommen, Sie sind ein Mann vom Metier, Sie sollen mir raten, wie ich es anfangen muß, um ein Journal zu gründen, damit ich endlich einmal der Welt zeigen kann, wie man frei und offen seine Meinung sagt!«

»Eure Kaiserliche Hoheit können das sehr leicht haben,« erwiderte Herr de Pêne lachend, »laufen Sie dem armen Dusautoy seine ›Epoque‹ ab, die Last wird ihm zu groß, er möchte sich, wie ich höre, dieses Blattes entledigen, Eure Kaiserliche Hoheit finden da Ihre Sache ganz fertig –«

»Dusautoy, der Schneider des Kaisers!« rief die Prinzessin mit hellem Lachen, »in seiner Hand kann freilich ein Journal nicht prosperieren, die erste Bedingung eines Organs der öffentlichen Meinung ist ja die Wahrheit, die unverhüllte Wahrheit, Dusautoy aber, das ist stärker wie er, er muß ja diese arme Wahrheit, wenn sie in ihrem mythologischen Kostüm vor ihm erscheint, sofort in feine Fracks und Pantalons stecken!«

Alle lachten.

»Kennen Eure Kaiserliche Hoheit das hübsche Quatrain,« fragte Herr Meding, »das man gemacht hat, als der Sultan sich bei Herrn Dufautoy, diesem vortrefflichen Schneider mit der unglücklichen Idee, ein politisches Journal zu besitzen, während seines Besuches ankleiden ließ?«

»Eh bien!« fragte die Prinzessin.

Herr Meding rezitierte:

»De Mahomet raillant la loi
Le Sultan quitte sa défroque –
Il s'habille chez Dusautoy:
Il est vraiment de son époque!«

»Vortrefflich!« rief die Prinzessin lachend.

»Der Padischah in die ›Epoque‹ gehüllt, das ist ein herrliches Bild,« sagte Herr de Pêne.

»Doch sagen Sie mir,« sagte die Prinzessin, »wie tröstet sich Paris über das Ende bei Ausstellung, diese ewige Ressource der Pariser?«

»Man tröstet sich so gut man kann,« erwiderte Herr de Pêne, »man beginnt sich wieder für einige erste Vorstellungen zu interessieren, man spricht davon, daß Hortense Schneider I. das Szepter der Großherzogin von Gerolstein niederlegen will –«

»In der Tat?« fragte die Prinzessin, »und wer wird ihre Nachfolgerin sein?«

»Mademoiselle Zulma Bouffar,« sagte Herr de Pêne, »welche viel Talent, eine schöne Stimme und jedenfalls mehr Jugend und Frische besitzt als feu la grande duchesse, wie man Mademoiselle Schneider nennt.«

»Ich bin vor einigen Tagen nach dem Ausstellungsplatz gefahren,« sagte die Prinzessin nach einem augenblicklichen Schweigen in nachdenklichem Ton, »und ich muß Ihnen sagen, daß der Anblick dieser allgemeinen Zerstörung und Auflösung einen tief schmerzlichen Eindruck auf mich gemacht hat. Dieses so feenhaft arrangierte Marsfeld, das alle Wunder der Kunst und Industrie, das die Elite aller Nationen in seinen Palästen und auf seinen frischen Rasenplätzen vereinigte, liegt nun wüst und unordentlich da, man sieht nichts als Arbeiter, welche die Gegenstände der Bewunderung der Welt einpacken, um sie nach allen Richtungen der Windrose wieder in die Welt zu versenden, man hört das Hämmern der Packer, das klingt wie die Schläge auf einen Sarg, in welchem man all diese Schönheit, all diesen Reiz begräbt, und dazu kommt noch dies traurige Novemberwetter, das den Himmel mit grauem Schleier bedeckt und die Erde mit schmutzigem Schlamm überzieht. O, es ist kaum möglich, einen schärferen Gegensatz zu sehen zwischen dem Marsfeld von diesem Sommer und dem Marsfeld von heute, kaum möglich, ein treffenderes Bild zu sehen von der Vergänglichkeit alles irdischen Reizes!«

»Ist es denn wahr, Prinzessin,« fragte Herr de Pêne, »daß auch der schöne Glaspalast vollständig wieder abgebrochen werden soll? Er ist doch ein wunderbares Werk der Architektur, und es wäre wahrlich schade, ihn wieder zu vernichten. Die Ausstellungskommission wünscht dringend, ihn zu erhalten, man könnte ihn zu permanenten Ausstellungen und zu verschiedenen öffentlichen Zwecken vortrefflich benützen.«

»Das Palais wird niedergerissen werden,« sagte die Prinzessin, »es soll nicht anders gehen, die Militärs behaupten, daß sie den großen Übungsplatz des Marsfeldes nicht entbehren können.«

»Und ich glaube, sie haben Recht,« bemerkte der Marquis von Chasseloup-Laubat, »wir haben uns Mühe gegeben, das Ausstellungsgebäude zu erhalten, aber wir haben uns doch überzeugen müssen, daß die Gründe, welche das Kriegsministerium dem Kaiser entwickelte, durchschlagend seien. – Die französische Armee und an ihrer Spitze das Elitekorps der Garde ist eben die Grundlage, auf welcher der Glanz und die Größe Frankreichs beruht, und das Marsfeld bietet allein der Garde die weite Fläche zu ihren Übungen und zugleich den historischen Boden, der doch für den Geist der Soldaten auch nicht gleichgültig ist.«

Die Prinzessin schwieg. »Wie mag es dem armen Grafen Goltz gehen?« fragte sie nach einer Pause.

»Der Graf ist sehr leidend,« sagte der Marquis von Chasseloup-Laubat, »man glaubt, daß er unheilbar sei.«

»Es ist wirklich traurig,« rief die Prinzessin, »er war noch wenige Tage vor seiner Erkrankung bei mir, ich liebte ihn nicht zu sehr – er hatte ein ewiges Lächeln, das mich agacirte, und zwei Tage darauf, als er Morgens seine Zigarre anzündete, er hatte die sehr schlechte Gewohnheit des Rauchens, fühlte er einen Schmerz in der Zunge und sein Arzt, der ihn untersuchte, sagte ihm, es sei ein Krebsgeschwür. – Der arme Mann,« fuhr sie fort, »er liebte mich auch nicht sehr, das war natürlich – ich war ihm zu wenig diplomatisch, und dann – doch sein Schicksal tut mir herzlich leid! – Und denken Sie,« fuhr sie fort, »es ist eine Familienkalamität, sein Vater war preußischer Gesandter zur Zeit Napoleon I. – und er starb ebenfalls am Zungenkrebs.«

Eine Pause trat in dem Gespräch ein. Der Marquis von Chasseloup-Laubat erhob sich und verabschiedete sich mit seiner Gemahlin, welche mit keinem Wort an der Konversation teil genommen hatte, von der Prinzessin.

Herr Henri de Pêne folgte bald dem Marquis und der Marquise.

Der Regierungsrat Meding, welcher sich inzwischen mit Frau von Reiset unterhalten hatte, näherte sich der Prinzessin, um sich zu verabschieden.

»Ich bitte Sie,« sagte diese, »wenn Sie Ihrem Könige schreiben, ihm meine Komplimente zu machen und ihn meiner herzlichsten Teilnahme zu versichern.«

»Seine Majestät wird über die freundlichen Gesinnungen Eurer Kaiserlichen Hoheit sehr erfreut sein,« sagte Herr Meding, indem er die dargebotene Hand der Prinzessin mit den Lippen berührte.

In diesem Augenblick trat schnell ein schlanker Mann mit blassem Gesicht von südlichem Typus und dunkeln Augen ein. Sein dünnes Haar war sorgfältig frisiert und gescheitelt, ein spitzgedrehter Schnurrbart bedeckte die Oberlippe.

Seine Haltung und der Ausdruck seiner Züge trugen den Stempel der Hast und Aufregung.

»Nun, Graf Vimercati, was bringen Sie Neues? – Sie haben etwas Wichtiges zu erzählen – ich sehe es Ihnen an!« rief die Prinzessin dem Vertrauten des Königs Viktor Emanuel zu, der in Paris weilte, um durch den Einfluß seiner persönlichen Verbindungen die Beziehungen zwischen den Höfen von Paris und Florenz inniger und vertrauter zu erhalten.

»Ich habe in der Tat Wichtiges und Neues zu erzählen,« rief Graf Vimercati, indem seine Worte von raschen Atemzügen unterbrochen wurden, »bei Mentana vor Rom hat ein Zusammenstoß zwischen den Freischaren Garibaldis und den französischen Truppen stattgefunden, fast die ganze Schar Garibaldis ist niedergemacht durch das mörderische Feuer der Chassepotgewehre, die Aufregung ist furchtbar, ich habe soeben einen Kurier erhalten – ich weiß nicht, ob die Regierung und die Gesandtschaft schon unterrichtet sind, wollte aber keinen Augenblick säumen, Eure Kaiserliche Hoheit au fait zu setzen.«

Die Prinzessin hatte sich aufgerichtet und stand einen Augenblick nachdenkend da. Zornige Bewegung arbeitete in ihren Zügen.

»Das ist die Folge der italienischen Politik, welche sich zwischen zwei unversöhnliche Gegensätze hat stellen wollen und die Feindschaft beider endlich davontragen wird. – Durch die Chassepotsalven von Mentana ist Frankreich von Italien getrennt, und bitter wird sich diese Trennung einst rächen. – Auch die Ideen, über welche ich mit Ihnen gesprochen,« fuhr sie zu Herrn Meding gewendet fort, »sind damit zu Unmöglichkeiten geworden, denn nach diesem Ereignis wird die Zukunft unberechenbar.«

Sie ließ sich langsam wieder in ihren Fauteuil zurücksinken.

»Erlauben Eure Kaiserliche Hoheit, daß ich mich zurückziehe,« sagte Herr Meding, »es drängt mich, meinem Herrn von diesem wichtigen Ereignis Kunde zu geben.«

Er küßte die Hand der Prinzessin, welche leicht den Kopf neigte, und verließ den Salon,– –

Die Prinzessin hatte Recht. Die Ideen, welche die Entrevue von Salzburg veranlaßt hatten, welche bei dem österreichischen Besuch in Paris hatten zur weiteren Entwickelung kommen sollen, waren durch den Zug Garibaldis und den Zusammenstoß bei Mentana beseitigt. Italien zog sich tief verletzt von Frankreich zurück und wartete, bis eine günstige Gelegenheit ihm erlauben würde, die Hand auf seine nationale Hauptstadt zu legen.

Österreich zog sich ebenfalls vorsichtig in sich selbst zurück und aus der Staatskanzlei am Ballhofsplatze zu Wien gingen die feierlichsten Versicherungen herzlichen Einvernehmens nach Berlin ab. Das kaiserliche Frankreich stand isoliert in Europa da und hatte in dieser Isoliertheit nicht den Trost des Wortes: »Der Starke ist am mächtigsten allein.«

Während so das Kaiserreich einsam dastand auf seinem leise und allmählich zerbröckelnden Fundament, während das berliner Kabinett in kalter und stolzer Ruhe unbeirrt seinen Weg verfolgte, verkündete die offizielle Presse triumphierend – und triumphierend wiederholte die öffentliche Meinung in Frankreich:

Les chassepots sont fait merveilles.


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