Oskar Meding
Europäische Minen und Gegenminen
Oskar Meding

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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Die Villa Braunschweig in Hietzing, jenes kleine, nach der Straße durch eine einfache hohe Mauer vornehm abgeschlossene Haus, welches von seinem früheren Besitzer, dem Baron Hügel, so reich mit Kunstschätzen und Seltenheiten ausgestattet und von dem Herzog von Braunschweig mit fürstlich reicher Eleganz erfüllt war, umschloß den kleinen Hof des Königs Georg V., der mit dem Kronprinzen Ernst August und der ältesten Prinzessin Friederike in diesem reizenden buen retiro des Herzogs, seines Vetters, seine Residenz aufgeschlagen hatte, während die Königin mit der Prinzessin Mary noch immer auf ihrem einsamen Bergschlosse Marienburg verweilte.

Im Morgensonnenschein schimmerte das frische Grün der hohen Bäume des Gartens, die großen Glastüren des chinesischen Vorsaales standen weit offen und ließen den Duft der Frühlingsblumen und der ersten aufknospenden Frührosen eindringen, und selbst die lebensgroßen chinesischen Pagoden schienen lebendiger mit den bezopften Köpfen zu wackeln unter dem frischen Geruch der Frühlingsluft, deren Wehen hier und da eines der zahllosen kleinen Silberglöckchen am Plafond in zarter Schwingung erzittern ließ.

Nichts ließ in diesem tief stillen, friedlichen, blühenden und sonnigen Aufenthalt vermuten, daß hier ein Fürst wohnte, dessen Thron die gewaltigen Wetter der Zeit zertrümmert hatten, und auf welchem die aufmerksamen Blicke der Kabinette und der Parteien in Europa ruhten. Lakaien in den scharlachroten Livreen des Welfenhauses gingen in dem langen, zu den inneren Räumen des Hauses führenden Gange auf und nieder, ein angespannter Wagen stand im Hof – alles machte den Eindruck einer vornehm aristokratischen Villeggiatur, deren ruhig dahinfließendes Leben ebenso heiter und licht wäre, wie der helle Frühlingshimmel und der goldene Sonnenschein, der auf den saftigen Rasen und den Farbenglanz der Blumenparterres herabfiel.

Auf dem mit feinem gelben Sande bestreuten Wegen des unmittelbar an den Ausgang der inneren Räume stoßenden Gartens ging die Prinzessin Friederike in einfacher Morgentoilette langsam auf und nieder. Das edle Gesicht der Prinzessin mit den großen, blauen Augen war ernster geworden in dieser ernsten Zeit, deren Hand so schneidend tief eingegriffen hatte in das erwachende Leben ihrer Jugend, aber wenn auch die frischen Lippen nicht lächelten in der sorglosen Heiterkeit ihres Alters, ganz hatte die Jugend ihr Recht nicht verloren, über dem sinnenden, wehmütigen Ernst der stolzen Züge dieser Tochter des alten Geschlechts Heinrichs des Löwen lag ein leichter Duft des Frühlingsschimmers, der die ganze Natur erleuchtete, und ihr Auge erfüllte sich mit sanftem Glanz, wenn sie den Blick hingleiten ließ über all diese erschlossenen Blumen, welche ihre zarten Kelche den Sonnenstrahlen öffneten und den Wohlgeruch ihres Atems in die warme Luft emporhauchten. Neben der Prinzessin ging die Staatsdame Gräfin Wedel, welche wie ihr Sohn gekommen war, um am Hofe des Unglücks den Ehrendienst zu tun; der milde, weiche Blick der alten Dame mit den sanften Zügen und der edlen, vornehmen Haltung ruhte oft mit inniger Teilnahme auf diesem jungen Mädchen, dem der Purpur, in welchem sie geboren, so schweres Leid gebracht hatte.

»Wie habe ich heute morgen wieder meinen Bruder beneidet, liebe Gräfin,« sagte die Prinzessin mit leichtem Seufzer, »als ich die Pferde im Hofe hörte, die für seinen Morgenritt vorgeführt wurden, wie gern wäre ich mit zu Pferde gestiegen, um durch die frische, freie Natur hinzufliegen, den Atem der Freiheit einzusaugen und den Blick zu baden in reinem Morgenlicht!«

»Sollten denn Eure Königliche Hoheit nicht reiten?« fragte die Gräfin, »ich glaubte, daß Seine Majestät davon gesprochen hatte.«

»Ach nein, rief die Prinzessin abermals seufzend, »Mama will es nicht erlauben, schon in Hannover nicht, und jetzt habe ich schon zweimal nach der Marienburg geschrieben und darum gebeten, aber es ist mir abgeschlagen.«

»Nun,« sagte die Gräfin mit freundlichem Lächeln, »dann müssen Eure Königliche Hoheit resignieren, es ist ja im Grunde kein so großes Opfer, das Leben fordert größere und schwerere. Sehen Sie um sich, hier haben wir ja auch die Natur, so schön, so frisch – und zugleich so geordnet, das ist ja unser Los als Frauen, im beschränkten Kreise zu leben und zu wirken, wohl uns, wenn dieser Kreis sich so freundlich mit Blumen schmückt, wie dieser Garten.«

Die Prinzessin schwieg einige Augenblicke.

»Im beschränkten Kreise,« sagte sie dann halb flüsternd, »ja, ja, das ist das Los der Frauen, aber,« rief sie lebhafter, »ich muß Ihnen sagen, Gräfin, daß mir das gar nicht gefällt!«

Sie blieb stehen.

»Glauben Sie nicht,« fragte sie, das ausdrucksvolle Auge mit einer gewissen kindlichen Naivität auf die ruhigen Züge der alten Dame richtend, »glauben Sie nicht, liebe Gräfin, daß es Menschen gibt, die ihre Bestimmung verfehlen?«

Die Gräfin lächelte.

»Gewiß, Prinzessin, gibt es solche Menschen,« sagte sie, »man sieht –«

»Nun,« rief die Prinzessin halb scherzend, halb unmutig, »ich glaube, ich habe meine Bestimmung verfehlt, ich glaube, ich war bestimmt, ein Mann zu werden.«

Die Gräfin lachte.

»Welche Gedanken!« rief sie.

»O ich hatte diese Gedanken schon als Kind,« sagte die Prinzessin, »in Herrenhausen hatte ich nur den Wunsch, die Spiele und Beschäftigungen meines Bruders teilen zu können, ich habe oft geweint, daß ich ein Mädchen sein sollte.« –

»Aber, Prinzessin,« sagte die Gräfin Wedel fast erschrocken, »das waren kindliche, verzeihen Sie, kindische Phantasien, geben Sie sich,« fügte sie ernst hinzu, »solchen Neigungen nicht hin, Sie wissen, wie streng Seine Majestät der König die Grenzen dessen festgehalten wissen will, was die hergebrachte Form und Sitte gebietet.«

Ein leichtes Rot färbte die zarte Wange der Prinzessin. Stolz erhob sie den Kopf, mit einem Ausdruck fürstlicher Hoheit, aus welchem das ganze Bewußtsein ihres tausendjährigen Geschlechts hervorblitzte, sagte sie:

»Sie verstehen mich nicht, Gräfin, nicht die Grenzen der Form und Sitte sind es, die mich beengen. – Sie wissen,« fuhr sie dann in herzlich freundlichem Tone fort, indem sie ihren Arm leicht in den der Staatsdame legte und ihren Spaziergang wieder aufnahm, »Sie wissen, wie tief mir jedes, auch das leiseste Überschreiten jener Grenzen, jenes emanzipierte Wesen zuwider ist, aber abgesehen von diesen Grenzen – warum schränkt man den Lebenskreis der Frauen so eng ein in ihrem Wirken, Streben, Schaffen? – warum soll es uns verschlossen bleiben das große Reich des Wissens, in welchem der Geist der Männer den herrlichen, leuchtenden Bahnen folgt? – warum sollen wir nicht die Hand legen dürfen an das mächtige Rad der Geschichte, das doch auch uns nicht schont in seinem gewaltigen Rollen?« fügte sie seufzend hinzu. »Und nun gar,« rief sie nach einer kurzen Pause, »wenn man Prinzessin ist. – Der enge Kreis, der das Leben der Frauen überhaupt einschließt, wird bei uns so sehr zusammengezogen, daß uns kein Atemzug Luft übrig bleibt, wahrhaftig, die Flügel des Geistes müssen erlahmen, wenn man sie niemals ausbreiten kann! – Sehen Sie,« sagte sie lebhafter, »ich habe den Drang, die Sehnsucht in mir, zu lernen, die Welt und das Leben zu verstehen, das Gebiet des Wissens zu durchdringen, aber wo finde ich Beistand, wo finde ich eine freundliche Hand, die mich führt? – Die Arbeit des Geistes wird mir schwer, aber je schwerer sie ist, um so mehr liebe ich sie, aber wie soll ich es anfangen, mich zu befreien von dem Bann, mit dem mich meine Stellung umgibt« – Ich spreche mit irgend jemand,« rief sie mit zornigem Ausdruck, »ich überwinde meine Verlegenheit, denn ich bin sehr verlegen, wenn ich es auch vielleicht nicht scheine, ich sage irgend etwas und fühle, weiß sehr genau, daß es unrichtig, unklar ist, ich hoffe, daß man mich berichtigen, belehren, aufklären werde, aber – was höre ich?«

Sie stellte sich vor die Gräfin und sagte in parodierender Bewegung, sich tief verneigend:

»Sehr wahr, Eure Königliche Hoheit haben vollkommen recht, es ist zu bewundern, wie Eure Königliche Hoheit die Dinge so scharf zu beurteilen verstehen. – Das höre ich, Gräfin,« rief sie, die Lippen zusammenpressend, »ich mag gesagt haben, was ich will, und an dieser ehernen Mauer der ewigen Ehrerbietung und Devotion fällt der Flug meines Geistes zu Boden!«

Die Gräfin lachte herzlich.

»Eure Königliche Hoheit behaupten die Welt nicht zu kennen,« sagte sie, »und doch haben Sie den Ton der Höfe so genau studiert, daß der größte Schauspieler ihn nicht besser kopieren könnte.«

»Ja, diesen Ton kenne ich zur Genüge,« rief die Prinzessin selbst lächelnd, »aber ich bin seiner auch wahrhaftig herzlich überdrüssig. – Und jetzt,« fuhr sie dann wieder ernst fort, indem sie ihre großen Augen mit tief traurigem Ausdruck zur Gräfin aufschlug, »jetzt, in dieser Zeit, in der unser Haus so schwer getroffen ist von der Hand des Schicksals, da schmerzt es doppelt, so in trauriger Untätigkeit sich in stillem Schmerz und Kummer zu verzehren. – Gräfin,« sagte sie mit gepreßter Stimme, während ihr Auge in feuchtem Schleier sich verhüllte, »wenn ich meinen lieben Vater vor mir sehe, auf dessen teurem Haupt so schweres Leid ruht, dann möchte ich weinen vor bitterem Zorn, daß ich so gar nichts tun kann für ihn und seine Sache, für sein Haus, dessen Blut doch auch in meinen Adern fließt, für sein Recht, das doch auch das meine ist – O wäre ich ein Prinz!« rief sie lebhaft, leicht mit dem Fuß auf den Boden tretend, »könnte ich ringen, arbeiten, kämpfen! – mein Bruder nimmt das leichter,« sagte sie seufzend und das Auge zu Boden schlagend.

Mit inniger Teilnahme blickte die Gräfin Wedel auf die Prinzessin, auch ihr Auge wurde feucht.

Starke Schritte ertönten auf dem Wege, der aus den tieferen Teilen des Gartens herführte.

König Georg V. erschien, auf den Arm des Flügeladjutanten Oberstleutnant von Heimbruch gestützt.

Der König trug die hannöverische Uniform der Gardejäger, ohne Epaulettes und Orden, er rauchte eine Zigarre aus einer langen, hölzernen Spitze.

»Prinzeß Friederike,« sagte Herr von Heimbruch.

»Guten Morgen, mein Töchterchen!« lief der König mit seiner hellen Stimme.

Die Prinzessin eilte ihrem Vater entgegen und drückte die Lippen auf seine Hand, der König nahm ihren Kopf und küßte sie Zärtlich auf die Stirn, indem er langsam ihr glänzendes, aschblondes Haar streichelte.

»Ein herrlicher Morgen,« rief der König tief aufatmend, »wie wohl tut mir diese reine, frische Luft! – ich bin schon lange gegangen, während mein Töchterchen noch schlief,« fügte er lachend hinzu.

»Auch ich bin schon seit einiger Zeit hier im Garten gegangen, mit der Gräfin Wedel,« fügte sie mit einem Blick auf die Staatsdame, welche mit einigen Schlitten bis dicht an den König herantrat.

»Ah, Frau Gräfin, guten Morgen!« rief Georg V., indem er die Hand der Gräfin ergriff und sie mit ritterlichem Anstand an seine Lippen erhob, »wie befinden Sie sich heute? – ich bedauere immer von neuem die Unbequemlichkeiten, die Sie hier ertragen müssen, aber – Sie haben es gewollt, wir sind im Campagnezustand, da muß man sich in manches finden!«

»Majestät,« sagte die Gräfin, »es fehlt mir nicht das geringste, und,« fuhr sie mit innigem Tone fort, »ich bin glücklich, in diesem Augenblick die Pflichten meines Ehrenamts erfüllen zu können, Prinzeß Friederike,« sagte sie abbrechend mit leichtem Lächeln, »war aber nicht ganz mit unserer Morgenpromenade in dem schönen, blühenden Garten zufrieden, sie möchte zu Pferde steigen und hinausreiten in die freie Ferne.«

»Die Königin erlaubt es nicht,« sprach Georg V. ernst.

»Graf Alfred Wedel,« sagte Herr von Heimbruch.

Der Hofmarschall Graf Wedel trat heran in einfachem Morgenanzug.

»Mein lieber Alfred,« sagte der König, sich freundlich nach der Seite wendend, von welcher die Tritte des Kommenden erschallten, »Ihre Mutter ist zufrieden mit ihrem Aufenthalt, das freut mich herzlich, sorgen Sie ja fortwährend, daß es ihr an nichts fehlt; ist der Kronprinz schon zurück?«

»Noch nicht, Majestät,« sagte Graf Wedel, »Seine Königliche Hoheit dachte einen weiten Ritt zu machen.«

»Haben Sie Nachrichten von der Gräfin?« fragte der König, »wird sie bald kommen?«

»Ich hoffe es, Majestät,« erwiderte der Graf, »ich habe heute Morgen einen Brief erhalten, sie denkt bald imstande zu sein, die Reise zu unternehmen.«

»Schreiben Sie ihr viel – viel Freundliches von mir,« sagte der König, »wie sieht es sonst in Hannover aus?« fragte der dann, indem ein tiefernster Ausdruck auf seinem Gesicht erschien.

»Trübe – gedrückt, Majestät,« erwiderte der Graf, »die Zeit lastet auf allen Verhältnissen, und man macht manche wunderbaren Erfahrungen, ich habe auch einen Brief vom Professor L'Allemand, Majestät,« fügte er hinzu, »der –«

»Was schreibt er?« fragte der König rasch und gespannt.

»Er hatte den preußischen Generalgouverneur um Erlaubnis gebeten, das wunderbar schöne Bild, das er gemalt, nach Paris zur Ausstellung senden zu dürfen, es stellt Eure Majestät zu Pferde, die Front des Garderegiments herunterreitend, dar, die Ausführung ist meisterhaft, alle Köpfe von frappanter Porträtähnlichkeit.«

»Ich erinnere mich,« sagte der König, »nun?«

»Dies Bild befindet sich unter den mit Beschlag belegten Vermögensobjekten.«

Der König biß die Zähne aufeinander.

»Und der General von Voigts-Rhetz hatte sogleich bereitwillig die Erlaubnis erteilt, das Bild auszustellen, als er durch einen Bericht darauf aufmerksam gemacht wurde, daß diese Ausstellung höchst bedenklich sei, da das Bild in Paris Sympathien für Eurer Majestät Person und Allerhöchstihre Sache erwecken könne.«

»Und wer hat diesen Bericht gemacht?« fragte der König.

»Herr von Seebach, der frühere Generalsekretär des Finanzministeriums, so schreibt man mir,« sagte Graf Wedel.

Der König schwieg lange, er atmete tief, und ein trauriges Lächeln spielte um seine Lippen.

»Preußischer als die Preußen!« sagte er leise, »ob man in Berlin wohl glaubt, mit solchen Elementen die Herzen des Landes zu gewinnen? – Und was hat der General von Voigts-Rhetz getan?« fragte er dann.

»Er hat nichtsdestoweniger die Ausstellung des Bildes erlaubt,« erwiderte Graf Wedel.

»Er ist Soldat!« sagte der König.

»Und ich wollte nun für L'Allemand die Erlaubnis Eurer Majestät erbitten, das Bild nach Paris senden zu dürfen.«

»Gewiß, gewiß soll er es hinsenden,« rief der König, »ich wünsche ihm von Herzen Erfolg und Anerkennung für sein Kunstwerk, schreiben Sie ihm das und grüßen Sie ihn und seine Frau von mir, ich will sogleich an Meding schreiben, damit er dem Bilde einen guten Platz verschafft.«

Der alte Kammerdiener des Königs näherte sich und sprach einige Schritte vom Könige stehen bleibend:

»Graf Platen und Herr von Düring sind im Vorzimmer und fragen, ob Eure Majestät sie empfangen wolle.«

»Düring!« rief der König, »er kommt von Holland, ich will die Herren sogleich sehen!«

»Darf ich dann Eure Majestät vielleicht um die Befehle für das Diner bitten?« sagte Graf Wedel, »der Graf und die Gräfin Waldstein haben sich gemeldet.«

»Der Graf und die Gräfin Waldstein!« sagte der König lebhaft, »wie werde ich mich freuen, sie zu sehen! – lassen Sie sie sogleich einladen, Reischach natürlich, Graf Platen und Herr von Düring – das genügt. – Auf Wiedersehen, mein Töchterchen! – auf Wiedersehen, Frau Gräfin!«

Leicht mit der Hand grüßend, schritt er am Arm des Herrn von Heimbruch schnell dem Hause zu.

In dem chinesischen Vorzimmer fand er den Grafen Platen den Hauptmann von Düring in der Uniform der Flügeladjutanten seiner warten.

Graf Platen war schlank und geschmeidig in seiner Haltung wie früher, sein Schnurrbart und sein Haar trugen nicht mehr die glänzend schwarze Farbe, welche sie in Hannover gezeigt hatten, und der leicht in Graue fallende Ton stand mit den etwas gealterten und nervös abgespannten Gesichtszügen im Einklang.

Der König grüßte die beiden sich tief verneigenden Herren und bat sie, ihm in sein Kabinett zu folgen, welches zur Seite des Vorzimmers lag, und in welchem auf schottischen Seidentapeten herrlich gearbeitete Hochlandswaffen zwischen meisterhaften Ölgemälden hingen, welche Sujets aus Walter Scotts Romanen darstellten.

Georg V. setzte sich in seinen Lehnstuhl vor den Tisch in der Mitte des Zimmers und sagte, indem er den Rock ausklopfte und sich bequem zurücklehnte:

»Nun, ich freue mich sehr, daß Sie wieder da sind, mein lieber Düring, wie also haben Sie die Emigration gefunden, was ist dort zu tun?«

»Eurer Majestät Befehl gemäß,« erwiderte der Hauptmann von Düring, mit der Hand leicht über den blonden Schnurrbart fahrend, »habe ich mich über Paris nach Arnheim begeben und dort eine ziemlich bedeutende Anzahl von Mannschaften und verschiedene Offiziere gefunden, welche aus Hannover ausgewandert waren, um sich Eurer Majestät zur Verfügung zu stellen. Sie hatten vorausgesetzt, daß aus der luxemburgischen Angelegenheit kriegerische Verwicklungen in Europa entstehen würden, und sich deshalb beeilt, neutrales Gebiet zu erreichen, da sie voraussetzten, daß Eure Majestät jetzt Ihre Armee wieder bilden würden.«

»Es ist ja leider jetzt nichts zu machen,« sagte der König achselzuckend, »wer hat nur den Leuten den Befehl gegeben, jetzt gerade aufzubrechen? – ich weiß nichts davon und bedauere diese vorzeitige Auswanderung.«

»Eure Majestät hatten einzelnen Herren Vollmachten erteilt,« erwiderte Herr von Düring, »es scheint, daß sie nun den Moment für gekommen erachtet und die Emigration ins Werk gesetzt haben; in solchen Augenblicken,« fügte er mit fester Stimme hinzu, »muß man ja allerdings auch nach eigenem Ermessen und auf eigene Verantwortung handeln.«

»Gewiß, gewiß,« sagte der König, »ich bin auch weit entfernt, den Herren irgendeinen Vorwurf Zu machen –«

»Sollte nicht von Paris aus ein Wink an sie ergangen sein?« sagte Graf Platen, sich in sich selbst zusammenschmiegend, »waren ja zwei Offiziere gerade in Paris anwesend, als die Emigration begann.«

»Das ist ganz unmöglich,« sagte Herr von Düring, »ich war damals ja selbst gerade in Paris und habe die Herren gesehen, sie sind zurückgereist, um die Auswanderung anzuhalten, was ihnen auch teilweise gelungen ist, freilich strömen noch immer genug Leute nach Holland.«

»Doch nun,« fugte der König, »handelt es sich darum, was geschehen soll, wie die Leute organisiert werden, wo sie bleiben sollen.«

»Majestät,« erwiderte Herr von Düring, »es sind drei Kategorien da, erstens wirkliche Deserteurs, welche bereits in die preußischen Regimenter eingereiht waren, sodann Militärpflichtige, welche schon die Einberufungsorder erhalten hatten, endlich junge Leute, welche zwar im militärischen Alter stehen, aber noch nicht einberufen waren. Die beiden ersten Kategorien können nicht zurückkehren, ohne sich den schärfsten Strafen auszusetzen, die ganz jungen Mannschaften könnten allerdings zurückkehren, aber sie wollen es nicht, sie bestehen darauf, sich dem preußischen Dienst nicht unterwerfen und sich Eurer Majestät erhalten zu wollen.«

»Nach meiner Meinung,« sagte Graf Platen, »sollte man die Unteroffiziere und die gedienten Leute erhalten, um daraus die Kadres zu bilden für den Fall, daß Eure Majestät wieder mit gewaffneter Hand den Kampf für Allerhöchst ihre Rechte aufnehmen, die übrigen aber, ich sehe nicht ein, was sie nützen sollen, und sie werden viel Geld kosten.«

Der König sann nach.

»Die Kosten,« sagte er, »so lange sie nicht faktisch unerschwinglich sind, können nicht in Betracht kommen, wie viel Leute waren dort?« fragte er, sich zu Herrn von Düring wendend.

»Vier- bis fünfhundert,« erwiderte dieser, »doch war der Zugang, als ich abreiste, noch immer ein ziemlich starker, so daß, wenn auch so schnell als möglich alle Maßregeln ergriffen werden, um der weiteren Auswanderung Einhalt zu tun, man immer auf sechs- bis siebenhundert Mann wird rechnen müssen.« »Gut,« sagte der König, »sie sollen unterhalten werden,« er sann einen Augenblick nach und fuhr dann fort: »Ich war anfangs ein wenig bestürzt über diese schnelle und zahlreiche Auswanderung, welche zunächst das arme hannoversche Land vielleicht noch härterem Druck aussetzen wird, indes je mehr ich darüber nachdenke, um so mehr sehe ich ein, wie nützlich diese ganze Sache ist, es ist eine Demonstration des Volkes, ein Zeugnis, welches die Hannoveraner ablegen, daß sie an mir festhalten wollen, und in der heutigen Zeit, in welcher das suffrage universel ein Dogma der Politik geworden, fällt das ins Gewicht, außerdem gibt dieses Korps immer die Basis für ein künftiges selbständiges Handeln. – Doch,« fuhr er fort, »wo sollen die Leute bleiben? – werden sie sich in Holland halten können?«

»Das glaube ich nicht, Majestät,« sagte Herr von Düring, »die holländische Regierung wird, ihrer neutralen Stellung entsprechend, nicht dulden können, daß eine Ansammlung von Leuten, welche immerhin einen militärischen Charakter durch ihre Organisation hat, an der preußischen Grenze sich festsetze. Ich bin nach dem Haag gegangen und habe mit dem holländischen Minister des Auswärtigen, dem Grafen Zuijlen, und auch mit dem Minister des Innern, Herrn Heemskerk, gesprochen, beide Herren waren der Sache Eurer Majestät durchaus sympathisch und bedauerten tief das Schicksal Hannovers, sie versprachen auch eine äußerst wohlwollende und freundliche Behandlung der hannoverischen Emigranten, allein beide erklärten mir auch ebenso bestimmt, daß sie ein Zusammenbleiben derselben an einem Ort unter einer bestimmten Organisation Weber nach den Gesetzen des Landes, noch nach den Pflichten, welche die neutrale Stellung des Königreichs bedinge, dulden könnten. Bis jetzt sei von der preußischen Regierung keine Forderung in dieser Beziehung gestellt, allein man wünsche auch dringend, eine solche zu vermeiden und so bald als möglich jede Veranlassung dazu zu beseitigen. Daher werde sich die Regierung genötigt sehen, in wenigen Tagen die Leute zu trennen und einzeln in verschiedene Orte des Königreichs zu internieren. Der Graf Zuijlen bemerkte mir dabei, daß er mir sehr dankbar sein werde, wenn ich die Regierung auch dieser ihr peinlichen Notwendigkeit überhebe – durch eine schleunige Entfernung der Emigranten. – Denselben Rat gab mir der französische Gesandte Baudin, mit dem ich ebenfalls über die Sache sprach. Er interessierte sich lebhaft für die Leute und zeigte die wärmsten Sympathien für die Sache Eurer Majestät, indes fehlte ihm selbstverständlich jede völkerrechtliche Basis, um irgendwie zugunsten der Emigranten etwas zu tun.«

»Aber wohin mit den Leuten?« fragte der König.

»Majestät,« sagte der Hauptmann von Döring, »die Schweiz bietet allen Flüchtlingen ein offenes Asyl, dort, wo die Vertreter der extremsten roten Demokratie aller Nationen sicheren Aufenthalt und völlig freie Bewegung finden, wird ja auch Raum für Anhänger eines unglücklichen Königs sein, wenn Eure Majestät nicht vorziehen, sie nach England gehen zu lassen, das ja auch bis jetzt allen Flüchtlingen unbedingt freie Aufnahme gewährt. Ich darf Eurer Majestät bemerken, daß die Leute selbst vielleicht am liebsten nach England gehen, die Tradition von des Königs deutscher Legion liegt ihnen im Sinn, und sie sehen sich gewissermaßen als eine neue Auflage dieser Legion an, die bei der Okkupation Hannovers am Anfange dieses Jahrhunderts unter englischen Fahnen sich bildete.«

»In England würde aber der Unterhalt der Leute viel mehr kosten,« bemerkte Graf Platen.

»Dafür würde sich aber auch dort mehr Gelegenheit finden, ihnen Beschäftigung und eigenen Erwerb zu schaffen. Eure Majestät kennen die Sympathie, welche viele Kreise in England – die Damen der Aristokratie an der Spitze – der hannöverschen Sache beweisen, schon ist den seit dem vorigen Jahre nach England geflüchteten Hannoveranern durch das Komitee, welches sich in London gebildet hat, so viel Beschäftigung zugewiesen, daß sie fast gar keiner Unterstützung mehr bedürfen, und ich glaube –«

»Nein,« unterbrach der König, »nach England sollen sie nicht gehen, die Sympathien, welche sie dort finden, sind einfaches Mitleid, und den Hebel für den Kampf um meine Rechte kann ich nicht in einem Lande ansetzen, das für mich und das Stammland seiner glorreichen Könige nichts übrig hat als Mitleid und Bedauern. – Die Leute sollen sofort nach der Schweiz gehen, wer führt das Kommando?«

»Der Hauptmann von Hartwig, Majestät,« sagte Herr von Düring, »und ihm zur Seite steht Herr von Tschirschnitz.« »Dann ist die Sache in guten Händen,« rief der König, »Hartwig wird mit seinem biederen, braven Charakter großen moralischen Einfluß auf die Leute ausüben, und Tschirschnitz ist ein sehr tüchtiger Offizier von großer Intelligenz und reichen Kenntnissen, ich hatte ihn zum militärischen Erzieher des Prinzen Hermann gewählt, und er hat ihn vortrefflich gebildet. – Schreiben Sie also unverzüglich, daß die Emigration sofort nach der Schweiz gehen solle.«

»Ich glaube, daß Zürich der beste Ort wäre,« sagte Herr von Düring.

»Also nach Zürich!« rief der König, »dort angekommen, sollen sie sofort über ihre Installation und Organisation berichten, vor allem aber sollen sie jeden Schein einer militärischen Organisation äußerlich vermeiden.«

»Sie müssen die einfache Emigration bleiben,« sagte Graf Platen, »und Eure Majestät müssen zu ihnen nur in dem Verhältnis stehen, daß Allerhöchst dieselben Ihre Untertanen in der Not des Exils unterstützen, vielleicht wäre es gut, wenn man in Hannover selbst ein Unterstützungskomitee bildete, um eine offenkundige, sozusagen offizielle Verbindung Eurer Majestät mit den Flüchtlingen dadurch zu vermeiden.«

»Ich habe keinen Grund, zu verbergen, was ich tue,« sagte der König, stolz den Kopf emporrichtend.

»Aber Eure Majestät haben auch gewiß nicht nötig, ohne Not die Kritik Europas herauszufordern – und den Gegnern Allerhöchst ihre Vorbereitungen vor Augen zu stellen.«

»Gut,« sagte der König, »suchen Sie also ein solches Unterstützungskomitee zu bilden, ich glaube, praktisch wird es eine geringe Bedeutung haben, denn der Geldbeutel ist bei meinen guten Hannoveranern ein sehr kitzlicher Punkt.«

»In wenigen Tagen, Majestät,« sagte Graf Platen, »werden sich darüber Anknüpfungen machen lassen, zu Eurer Majestät Geburtstagsfest sind, wie mir gestern geschrieben wurde, sehr viele Besuche in Aussicht genommen, wir werden hier die einflußreichsten Persönlichkeiten unter den hannöverschen Patrioten versammelt sehen und zwar aus allen Kreisen und Ständen.«

»Es hat mich immer hoch erfreut,« sagte der König mit bewegter Stimme, »wenn an den Familienfesten meines Hauses das Volk so innigen Anteil nahm, doch in Hannover hatte ich die Macht und man hatte vielleicht materielle Gründe, seine Anhänglichkeit zu beweisen, jetzt aber,« er fuhr leicht mit der Hand über die Augen, jetzt rührt mich das doppelt, denn jetzt,« sagte er schmerzlich seufzend, »kann ich keine Gunst gewähren, und alle, die mir Beweise treuer Anhänglichkeit geben, setzen sich vielleicht peinlichen Verfolgungen aus, jetzt lerne ich meine wahren Freunde kennen! – Sie haben also Meding in Paris gesehen,« sagte er nach einem augenblicklichen Schweigen zu Herrn von Düring gewandt, »und mit ihm über die Lage gesprochen, was war seine Ansicht über die nächste Zukunft?«

»Majestät,« sagte Herr von Düring, »der Regierungsrat war überzeugt, daß für die nächste Zukunft, zunächst für die Dauer der Ausstellung, der Frieden ganz unzweifelhaft erhalten werden würde, schon damals, als ich dort war, sagte er mir, daß aus der Luxemburger Frage keine kriegerische Verwicklung entstehen würde, nachdem sie einmal auf das diplomatische Gebiet geführt ei, und er war damit im Interesse Eurer Majestät sehr zufrieden, denn diese Frage hätte, auf die Spitze getrieben, entweder zu einer Allianz zwischen Frankreich und Preußen geführt, wenn man in Berlin ausschließlich und spezifisch preußische Politik hätte machen wollen, ober zu einem deutschen Krieg, in beiden Fällen wäre jede Aussicht, das Recht Eurer Majestät in einer oder der anderen Form jemals wieder zur Geltung zu bringen, für immer verloren gewesen.«

Der König stützte den Kopf in die Hand und fragte halb leise:

»Und für die Zukunft?«

»Der Regierungsrat Meding ist ganz fest und unerschütterlich überzeugt,« sagte Herr von Düring, »daß der Krieg nur eine Frage der Zeit ist, er kann hinausgeschoben werden, ein oder zwei Jahre selbst, aber er wirb mit der Notwendigkeit eines Naturereignisses kommen, allein –«

»Allein?« fragte der König, ohne den Kopf aufzurichten.

»Allein,« fuhr Herr von Düring fort, »er sieht diesem Ereignis mit großer Sorge entgegen, denn die sogenannten chauvinistischen Anschauungen sind von großer Macht in Frankreich und bei jeder kriegerischen Verwicklung wird das Geschrei nach Eroberung des Rheins sich laut und betäubend erheben, dann aber würde jede Aktion für Eure Majestät äußerst schwierig – ja unmöglich weiden, selbst ein Frieden mit Preußen würde sich dann nur sehr schwer schließen lassen.«

»Und der Kaiser?« fragte der König, immer in derselben Stellung.

»Der Kaiser Napoleon,« antwortete Herr von Düring, »hegt für seine Person nicht diese chauvinistischen Ansichten und die Eroberungsgelüste gegen Deutschland, aber wird er der nationalen Strömung widerstehen können? Der Regierungsrat Meding,« fuhr er fort, »legt darum den höchsten Wert auf eine völlig selbständige Stellung Eurer Majestät nach allen Richtungen hin, Frankreich sowohl als Österreich gegenüber, damit Eure Majestät zu jeder Zeit die volle Freiheit des Handelns haben; nach seiner Ansicht, die er mich gebeten hat, Eurer Majestät ganz besonders dringend persönlich ans Herz zu legen, ist es vor allem jetzt die Aufgabe unserer Politik, an maßgebender Stelle und in der öffentlichen Meinung Frankreichs den Chauvinismus und die Eroberungsgelüste gegen Deutschland zu bekämpfen, sodann aber legt er ganz besonderen Wert darauf, daß Eure Majestät so bald als möglich mit den hervorragenden Führern derjenigen Parteien in Deutschland in innige Verbindung treten, welche das Prinzip der autonomen Freiheit und Selbstbestimmung vertreten, daß Eure Majestät diese Parteien um sich versammeln, sie organisieren und leiten, damit, wenn der Moment der Aktion eintritt, Allerhöchstdieselben von einem großen und achtungswürdigen Teil der deutschen Nation umgeben sind und Prinzipien auf Ihre Fahne schreiben, welche der deutschen Nation lieb und heilig sind, auch in Paris liegt ihm daran, nicht ausschließlich als der Vertreter der bloßen Legitimität dazustehen, für welche man dort, wie überhaupt im allgemeinen in der Welt, sehr wenig Sinn mehr hat!«

»Der Regierungsrat Meding,« sagte Graf Platen lächelnd, »gefällt sich ein wenig in den Anschauungen des Marquis Posa, ich sehe darin sehr viel Theorie und möchte doch die praktische Unterstützung der Kabinette von Wien und Paris höher anschlagen.«

»Ich glaube, daß diese Unterstützung dem bloßen legitimen Recht niemals zuteil werden wird,« sagte Herr von Düring lebhaft, »wenn aber ein beachtenswerter Teil der deutschen Nation sich um Eure Majestät gruppiert, dann werden Allerhöchstdieselben eine Großmacht sein, deren Allianz ins Gewicht fällt – und welche auch Frieden zu schließen unter Umständen in der Lage sein wird.«

Graf Platen schlug unmerklich lächelnd die Arme übereinander und blickte forschend auf den König.

Georg V. saß schweigend da, den Kopf in die Hand gestützt.

Endlich erhob er das Haupt und sprach mit fester Stimme:

»Ja, ich muß völlig selbständig dastehen, Deutschland darf nie der Preis sein, welchen ich zur Erringung meines Rechts einsetze, wir werden darüber weiter sprechen, wenn Meding demnächst herkommt, doch es muß zur völlig selbständigen Aktion alles vorbereitet werden, nach allen Richtungen, auch in militärischer Beziehung. Sie, mein lieber Düring,« fuhr er fort, »stehen meiner Person zu nahe, als daß Sie, da die Emigration keinen öffentlich militärischen Charakter haben soll, unmittelbar und inmitten derselben ihre Organisation leiten können, ich habe deshalb beschlossen, Sie nach Paris zu senden, von dort haben Sie leichten und freien Verkehr mit der Schweiz und können alles organisieren. Wegen der übrigen Vorbereitungen dazu werden Sie mir dann Ihre Vorschläge machen. Zugleich sollen Sie in Paris alle militärischen Verhältnisse genau beobachten, das ist von höchster Wichtigkeit zur Beurteilung der Situation, und wird Ihnen leicht werden, da Sie ja drei Jahre in der französischen Armee Dienste getan und daher genaue Kenntnis aller Einrichtungen haben.«

»Ich danke Eurer Majestät,« sagte Herr von Düring mit bewegter Stimme, »untertänigst für diesen Beweis des Vertrauens, der mir zugleich eine meiner Neigung so sehr entsprechende Tätigkeit gibt! Eure Majestät dürfen überzeugt sein, daß ich alles aufbieten werde, um die so schöne und große Aufgabe zu erfüllen – so schwer dieselbe immer sein mag.«

»Ich werde Meding sogleich instruieren,« sagte der König, »damit er Sie überall einführt, und ich bitte Sie, so leid es mir tut, Sie nicht bei mir behalten zu können, so bald als möglich abzureisen.«

»Majestät,« sagte Graf Platen, indem er ein Papier aus seinem Portefeuille nahm, »durch Zufall ist hier der Rapport des brandenburgischen Husarenregiments Nr. 3 an mich gekommen, ich darf ihn wohl dem diensttuenden Flügeladjutanten übergeben?«

»Eure Majestät sind noch immer Chef des preußischen Regiments!« rief Herr von Düring erstaunt.

»Glaubten Sie denn, daß mir der König von Preußen den Abschied gegeben?« fragte der König lächelnd.

»Nein,« sagte Herr von Düring, »aber ich glaubte, daß vielleicht Eure Majestät Ihrerseits –«

»Preußen hat mein Recht verletzt,« sprach der König ernst, »und ich werde für mein Recht kämpfen bis zum letzten Atemzuge, das ist meine Pflicht gegen mein Haus und gegen Gott, der mir meine Krone gegeben, das kann aber alte Beziehungen nicht zerreißen, welche aus ruhmreichen Traditionen stammen, und was auch geschehen ist, was noch geschehen möge, der preußischen Armee anzugehören wird mir, wie jedem Fürsten der Welt, stets hoch ehrenvoll sein.«

Er nahm den Rapport des preußischen Regiments an seinen königlichen Chef aus der Hand des Grafen Platen und steckte ihn in die Brusttasche seiner Uniform.

»Warum hat es dahin kommen müssen?« sagte Herr von Düring halb leise, indem sein feuchtes Auge voll Liebe und Bewunderung auf dem Könige ruhte.

»Treffen Sie alle Einrichtungen,« sagte der König zum Grafen Platen gewendet, »damit die braven Hannoveraner, welche zu meinem Geburtstage hierher kommen, gut aufgenommen werden.«

»Zu Befehl, Majestät,« erwiderte Graf Platen aufstehend.

»Seine Kaiserliche Hoheit der Erbherzog Albrecht,« meldete der Kammerdiener und öffnete auf einen Wink des Königs die Flügel der Türe.

Der König nahm den Arm des Hauptmanns von Düring und trat in das Wohnzimmer, an dessen Eingangstür bereits der Erbherzog erschien.

Der Sieger von Custozza schritt rasch in leicht gebückter Haltung dem König entgegen, sein blasses Gesicht mit dem kurzen, grauen Haar und dem vollen Schnurrbart zeigte stark ausgeprägt den Typus des habsburgischen Hauses, und die weichen, fast schlaff ineinander fließenden Züge hätten nicht den energischen, tatkräftigen und Willensstärken Feldherrn erraten lassen, wenn nicht das lebhafte, scharfe und helle Auge aus diesem weichen Gedicht hervorgeblitzt hatte; in dein Blick dieses Auges vereinigte sich der Stolz des Fürsten, die weite Umsicht des Generals, die feste, unerschütterliche Ruhe des Soldaten.

Der Erzherzog trug den grauen Rock der Feldmarschallsuniform, das Maria Theresien-Kreuz und den Stern des hannoverschen St. Georgsordens. Ehrerbietig ergriff er die Hand des Königs, welche dieser ihm entgegenstreckte, legte dann den Arm des Königs in den seinen und schritt, den Grafen Platen mit freundlichem Kopfnicken grüßend, in das Kabinett Georgs V., dessen Türen der Kammerdiener verschloß, während sein Adjutant bei den beiden Herren im Vorzimmer blieb.

»Ich komme,« sagte der Erzherzog, nachdem er den König zu seinem Sessel geführt hatte, »um Eure Majestät für übermorgen um die Ehre Ihrer Gegenwart in meinem Hause zu bitten, unser Familiendiner ist bei mir.«

»Der Kaiser und Sie alle sind zu gütig,« sagte der König, »daß Sie uns so liebenswürdig im Schoße Ihrer Familie ausnehmen.«

»Nun,« erwiderte der Erzherzog, indem er sich neben dem Könige niederließ, »uns verbindet halt, abgesehen von allem andern, die Verwandtschaft des gemeinsamen Unglücks und wir sind wahrlich sehr stolz, unseren tapferen und ritterlichen Bundesgenossen unter uns zu sehen, lieber freilich – weiß Gott – sähe ich Eure Majestät auf Ihrem Throne.«

Er seufzte tief.

»Wie geht es der Herzogin von Württemberg?« fragte der König.

»Ich danke Eurer Majestät,« erwiderte der Erzherzog, »ganz nach Wunsch, meine kleine Mathilde habe ich mitgebracht, sie ist drüben bei der Prinzessin Friederike und wird nachher noch die Ehre haben, Eurer Majestät ihren Respekt zu bezeigen. – Es ist merkwürdig,« fuhr er fort, »was die beiden Mädchen für eine Freundschaft miteinander geschlossen haben, meine Tochter schwärmt für die Prinzeß; übrigens hat sie vollkommen recht,« fügte er hinzu, »denn ich muß Eurer Majestät bekennen, daß ich noch nie eine so liebenswürdige und dabei so bescheidene und zugleich charaktervolle Prinzessin kennen gelernt habe.«

Der König lächelte, ein glücklicher Ausdruck erschien auf seinem Gesicht.

»Ja, es ist ein gutes, liebes und treues Kind,« sagte er mit sanftem Tone, »meine Antigone,« fügte er leise hinzu, mit der Hand leicht über die Augen fahrend.

Der Erzherzog beugte sich vor und drückte in unwillkürlicher Bewegung stumm die Hand des Königs.

»Übrigens,« fuhr Georg V. mit heiterem Tone fort, »ist die Schwärmerei gegenseitig, ich höre meine Tochter den ganzen Tag von ihrer Freundin Mathilde sprechen, und nichts hat bei ihr Geltung, was nicht die Billigung der Erzherzogin gefunden hat.«

Der Erzherzog seufzte. »Glückliche Kinder,« sagte er, »sie lachen und tändeln noch über den tiefen, furchtbaren Ernst des Lebens dahin, der die Prinzessin Friederike schon so schwer erfaßt hat, und meiner Tochter auch nicht erspart bleiben wird.«

»Der Erzherzogin wird eine Prüfung erspart bleiben, wie sie meine Kinder in ihrer frühen Jugend betroffen hat,« rief der König.

»Es gibt auch andere Prüfungen, die ebenso schwer – oft schwerer sind,« sagte der Erzherzog mit trübem Tone. – »Haben Eure Majestät von der politischen Kombination bereits gehört, durch welche jetzt die künftige Größe Österreichs wieder neu geschaffen werden soll?«

»Die Allianz mit Italien?« fragte der König, »ich habe davon sprechen gehört, und ich muß aufrichtig gestehen, daß, nachdem einmal das italienische Gebiet aufgegeben worden ist, es mir am besten erscheint, mit dem Nachbarstaat auf gutem Fuß zu stehen, um wenigstens nach jener Seite für alle Fälle Sicherheit und Ruhe zu haben.«

»Mag sein, mag sein,« rief der Erzherzog, »die Politik ist ja ein Wesen, das keine Erinnerung und kein Gefühl hat, aber es wird schwer, sich zu gleich abstrakter Höhe zu erheben, und das müssen wir Fürsten doch, so kann ich auch nicht ohne tiefen Schmerz daran denken, daß es gerade mein Blut sein soll, welches dies neue Bündnis kitten soll mit dem Lande, das ich auf unseren alten Ehrenfeldern das Schwert Österreichs fühlen ließ, mit dem Lande, das jetzt unsere schönen, reichen Provinzen, unser Festungsviereck besitzt.«

Der König neigte in tiefem Ernst das Haupt.

»So ist es wahr,« sagte er, »was ich neulich andeuten hörte, daß die Idee einer Verbindung besteht?«

»Es ist wahr,« erwiderte der Erzherzog.

»Das Haus Savoyen ist aber eines der vornehmsten Häuser und mit dem kaiserlichen Hause nahe verwandt,« bemerkte der König, »auch soll der Kronprinz ein liebenswürdiger Herr von vortrefflichem Charakter sein.«

»Gewiß, gewiß,« rief der Erzherzog, »allein – Eure Majestät werden begreifen, daß sich – Custozza nicht so leicht vergessen läßt.«

»Der Sieger kann es leicht vergessen, wenn die Besiegten es vergessen,« sagte der König.

Schweigend und ernst schüttelte der Erzherzog den Kopf.

»Gott gebe,« fuhr Georg V. fort, »daß alle diese Schritte zum Heile Österreichs, zur Wiederherstellung seiner Macht und Größe führen.«

Lebhaft rief der Erzherzog: »Ja, wenn ich dessen gewiß wäre! Welches Opfer könnte mir zu groß, zu schwer sein, um mein Haus und Österreich aus dem Unglück wieder emporzureißen und das herrliche Reich wieder auf die Höhe zu führen, die es einst einnahm in Europa, aber,« fuhr er erregt fort, »führen die Wege, die man jetzt einschlägt, zu diesem Ziel? Ich vermag diese Überzeugung nicht zu gewinnen,« sagte er mit finsterem Ausdruck, »man hat da halt eine Hast, eine Unruhe zu uns importiert, die mit dem Charakter und den Traditionen von Österreich nicht harmonieren.«

Er schwieg und blickte seufzend zu Boden.

»Aber der Ausgleich mit Ungarn ist doch schon ein gewaltiger Fortschritt,« sagte der König, »die Stellung der Ungarn war ja immer – und leider noch im letzten Kriege ein Hindernis der österreichischen Machtentfaltung.«

»Ausgleich mit Ungarn?« rief der Erzherzog. »Ja freilich, alle Welt spricht davon, auch die Krönung wird stattfinden in Pest; auf dem Königshügel werden sie Eljen rufen, aber ist das ein Ausgleich? Wir geben den Ungarn alles, was sie verlangen, und was erhalten wir dafür? Ich sehe bis jetzt nichts Reelles, nichts Greifbares. – Aus Italien sind wir verdrängt,« fuhr er in bitterem Tone fort, »aus Deutschland ausgeschlossen – und dieser jetzige Ausgleich mit Ungarn legt uns nur eine Fessel mehr auf, wenn wir je daran denken könnten, unsere verlorenen Positionen wieder zu gewinnen. – Ich habe wahrlich hohe Sympathie für die edle magyarische Nation, aber mit künstlich parlamentarischen Maschinerien wird man ihr Herz nicht gewinnen, diesseitige und jenseitige Reichsräte und Delegationen werden den österreichischen Fahnen nicht zum Siege verhelfen, und,« sagte er mit festem Tone, »da liegt's, da liegt's allein, die Armee muß wieder schlagfertig gemacht werden, ohne eine siegreiche Armee wird die alte Blüte und Macht nicht wiederkehren. – Und dann, die schiefe Stellung, in welche wir mehr und mehr zur Kirche kommen –«

Er brach ab.

»Eure Majestät verzeihen, ich spreche da von Dingen, um die ich mich grundsätzlich nicht kümmern will, ich bin Soldat; und des Kaisers erster Soldat zu sein, ist meine Lebensaufgabe und mein Beruf, hier werde ich meine ganze Kraft und meine volle Arbeit einsetzen, im übrigen – möge Gott alles zum Besten für Österreich lenken und den Kaiser und seine Räte erleuchten, daß sie den rechten Weg zum Heil der Zukunft finden. – Doch,« sagte er nach einer augenblicklichen Pause, »ich darf Eure Majestät nicht länger stören, meine Tochter scheint bei ihrer Freundin den Lauf der Zeit zu vergessen.«

Der König stand auf.

»Die Prinzessinnen werden im Garten sein, wollen Eure Kaiserliche Hoheit mir erlauben, sie aufzusuchen und die Erzherzogin zu begrüßen?«

Er bewegte die Glocke. Der Kammerdiener öffnete die Türflügel; der König legte seinen Arm in den des Erzherzogs und beide Fürsten schritten in den Garten der Villa hinaus.

Während der Erzherzog sich nach dem Kabinett des Königs begeben hatte, war seine Tochter in Begleitung ihrer Oberhofmeisterin, der Gräfin von Eltz, nach den Zimmern der Prinzessin Friederike gegangen, und als sie dort erfahren, daß die Prinzessin im Garten sei, hatte sie die Anmeldung verbeten und war hinausgegangen, um ihre Freundin zu suchen.

Die jugendliche Erzherzogin trug eine helle Frühlingstoilette, eine Mantille von dunkelviolettem Samt und eine zierliche Garnitur von Veilchenbuketts auf dem kleinen Hut, die ganze Erscheinung dieses Kindes aus dem alten Hause der Zäsaren war umhaucht von einem Duft frischer Jugendblüte, die wunderbar schönen Farben des feinen, lieblichen Gesichts mit den Augen, die zugleich so tief sinnend und so hell und rein in die Welt hinausblickten, traten durch die dunklen Farben, welche sie umgaben, in lichter Helle hervor; als die junge Fürstin in den blühenden Garten hinaustrat, da erschien diese auf den Sonnenhöhen des Lebens erschlossene menschliche Blume schöner, frischer und leuchtender als die bunten Kelche, die aus frischem Grün dem Sonnenstrahl und den tändelnden Schmetterlingen sich öffneten.

Die Erzherzogin bemerkte in einiger Entfernung die Prinzessin und die Gräfin Wedel und schnell in anmutig ungeduldiger Eile lief sie ihrer Oberhofmeisterin voraus, die Prinzessin hörte den leichten Schritt auf dem Kies des Weges, sie wendete sich um – und im nächsten Augenblick hatte die Erzherzogin sie in ihre Arme geschlossen.

»Mein Vater ist bei dem Könige,« rief sie, den strahlenden Blick voll inniger Liebe auf die ernsten Züge der Tochter des Welfenhauses richtend, »und da bin ich mit herausgekommen, um dich zu begrüßen. – Übermorgen, hoffe ich, werdet ihr bei uns sein, wie freue ich mich,« fuhr sie lebhaft fort, »Dich wiederzusehen, Du glaubst nicht, wie glücklich es mich macht, daß du hier bist. Ich habe mich immer so nach einer Freundin gesehnt, nach einer wirklichen, wahren Herzensfreundin, und nun habe ich mehr gefunden, als ich je gehofft, wäre nur die Veranlassung nicht so traurig,« flüsterte sie, und indem sie den Arm um die Schultern der Prinzessin legte, streichelte sie sanft ihre Wange und blickte voll tiefen Gefühls zu der etwas größeren Freundin empor.

»Du liebe, gute Mathilde!« sagte die Prinzessin sanft, »wie danke ich dir für deine Teilnahme in dieser Zeit! – Es ist ja unser Los, schwerer die Last des Lebens zu tragen, als andere Menschen.«

»Ach ja – ja,« sagte die junge Erzherzogin plötzlich ernst und traurig zu Boden blickend, »es ist unser Los.« – Sie seufzte tief auf.

Die Prinzessin machte sich sanft vom Arm der Erzherzogin los und reichte der herantretenden Gräfin Eltz die Hand, während die Erzherzogin mit freundlichen Worten die Gräfin Wedel begrüßte.

»Wollen wir in mein Zimmer gehen?« fragte dann die Prinzessin Friederike.

»Nein,« rief die Erzherzogin, »ich bitte, bleiben wir hier, ich habe dich hier aufgesucht, weil es so schön draußen ist, laß uns ein wenig umhergehen, ich muß nachher noch dem König meinen Respekt bezeigen.«

Sie legte ihren Arm in den der Prinzessin und die beiden jungen Mädchen gingen mit der elastisch raschen Bewegung ihres Alters in die schattigen Gänge des Gartens, während die Gräfinnen in ruhigem Gespräch langsam nachfolgten.

»Du hast vorhin so schwer geseufzt,« sagte die Prinzessin Friederike lächelnd, »als ob auch dich ein Kummer drückte, hast du etwas auf dem Herzen?«

Die Erzherzogin blickte schnell nach den Damen zurück, welche sich bereits in ziemlich weiter Entfernung befanden, und sprach mit fast flüsternder Stimme, indem sie den Arm der Prinzessin fester drückte und den Kopf näher zu ihr hinüber neigte:

»Ach mein Gott, ja. Ich habe recht viel und recht schweres auf dem Herzen.«

»Du machst mir fast bange,« sagte die Prinzessin, noch immer lächelnd in scherzendem Tone.

»O lächle nicht!« rief die Erzherzogin mit bittendem Ausdruck, »es ist mir wirklich nicht zum Lächeln zumute; sieh, als du vorhin davon sprachst, daß unser Stand uns bestimmt, dem Schicksal schwerere Opfer zu bringen als andere, das fiel mir brennend auf das Herz, denn – denn –« fuhr sie zögernd fort.

»Nun?« fragte die Prinzessin in ernsterem Tone, indem sie ihren Blick erwartungsvoll auf das rosige Antlitz der Erzherzogin richtete, in welchem der heitere Sonnenschimmer der Jugend mit einer angstvoll unruhigen Erregung kämpfte, »nun?«

»Auch ich soll jetzt schon das Opfer meines Standes werden,« sagte die Erzherzogin leise, »du weißt ja,« fuhr sie mit zitternden Lippen fort, »daß wir Prinzessinnen dazu bestimmt sind, bei den Verbindungen für das Leben nicht das Herz fragen zu dürfen, sondern daß die Politik –«

»Mein Gott!« rief Prinzeß Friederike, so ernst ist die Sache?«

»So ernst!« erwiderte die Erzherzogin mit bebender Stimme, »ich habe Andeutungen gehört – von verschiedenen Seiten, selbst von meinem Vater schon, welche mir keinen Zweifel lassen, daß – man daran denkt, über meine Hand zu bestimmen.«

Mit tiefernstem Blick drückte die Prinzessin die Hand ihrer Freundin.

»Und wer?« fragte sie leise.

»Der Kronprinz von Italien,« hauchte die junge Erzherzogin, indem ihre Wangen sich mit Purpur färbten.

Die Prinzessin schwieg und drückte nochmals zärtlich die Hand der Erzherzogin.

»Man will, wie ich glaube, eine Allianz mit Italien machen,« sprach diese rasch und lebhaft, »und um das Band fester zu knüpfen, soll ich –«

»Kennst du den Prinzen?« fragte Prinzeß Friederike.

»Nein!« rief die Erzherzogin, »ich habe Bilder von ihm gesehen, du wirst begreifen,« fügte sie mit flüchtigem Lächeln hinzu, »daß ich ein wenig neugierig bin, er hat ein gutes, freundliches Gesicht, aber – ich bin so daran gewöhnt, das Haus Savoyen als unseren Feind anzusehen, man Vater ist gegen sie ins Feld gezogen – und hat sie geschlagen,« sagte sie mit lebhafterer Stimme, indem der ganze Stolz einer Tochter von Habsburg aus ihren Augen blitzte, »sie haben uns unsere Provinzen entrissen, unsere Vettern entthront – und wollen auch den heiligen Vater von Rom verjagen, wie soll ich mich daran gewöhnen, dies Haus, vor dem ich gezittert, das ich zu hassen gelernt habe, als das meinige zu betrachten, und dann,« fuhr sie seufzend fort, »ich bin eben erst in das Leben getreten, alles lächelt mir hier so freundlich in der lieben Heimat, ich habe dich gefunden, eine Freundin, dies seltene Glück für eine Prinzessin, und nun soll ich das alles schon verlassen, so schnell, und hinausgehen in den kalten Glanz eines fremden Hofes.«

»Früher oder später,« sagte die Prinzessin Friederike sinnend, »einmal mußte es ja doch kommen, und,« fuhr sie mit leuchtenden Augen fort, »wenn du das Bewußtsein hast, deinem Hause und deinem Lande zu nützen, das ist doch auch eine schöne und große Sache, und für uns, die wir als Frauen auf die Welt gekommen sind, ist dies ja der einzige Weg, der uns erlaubt, für die große Sache zu handeln, für welche die Prinzen mit dem Schwert in der Hand kämpfen.«

Die Erzherzogin blickte mit dem Ausdruck liebevoller Bewunderung in das ernste, stolze Gesicht der Prinzessin.

»O du bist viel größer und stärker als ich!« rief sie, »du hast einen männlichen Geist, du bist zum Herrschen geboren.«

»Könnte ich meinem Hause, meinem Vater und seiner Sache ein Opfer bringen,« sprach die Prinzessin mit festem Tone und strahlendem Blick, »nichts – nichts in der Welt wäre mir zu schwer! – Leider kann ich nichts tun, als wünschen, hoffen und beten. – Sieh,« sagte sie nach einem Augenblick, »deine Zukunft kann schön und groß werden, du steigst auf einen glänzenden Thron und mächtiger Einfluß wird vielleicht einst in deine Hand gelegt, du kannst vieles, was sonst zu schroffem, scharfem Riß führen würde, freundlich lösen, du kannst es zur Aufgabe deines Lebens machen, für dein Haus zu wirken.«

»Und für meine Freunde!« rief die Erzherzogin lebhaft, »für euch. – O wenn ich einmal die Macht habe, irgend etwas zu tun, glaube mir, für euch will ich arbeiten mit aller Kraft.«

»Für uns!« sagte die Prinzessin mit traurigem Tone und ein tiefer Seufzer stieg aus ihrer Brust empor. – »Doch außerdem,« fuhr sie abbrechend und mit leichtem Lächeln fort, »warum solltest du denn nicht auch glücklich werden, der Prinz –«

»O,« rief die Erzherzogin abermals tief errötend, »das ist es ja, was mir so schwer auf dem Heizen liegt, sieh, den Prinzen kenne ich nicht, man hat mir viel Liebes und Gutes von ihm gesagt, und ich will das alles gern glauben, aber das Haus Savoyen und dies Italien hat unserem Hause so viel Unheil gebracht, und dann,« sagte sie mit einem gewissen wichtigen Ernst, »merke ich wohl, hinter der ganzen Sache steckt Frankreich, und von Frankreich ist uns auch noch nichts Gutes gekommen, die arme Königin Marie Antoinette, Marie Luise, alle österreichischen Erzherzoginnen sind die Opfer der Allianz mit Frankreich geworden, und jetzt mein armer Vetter Maximilian, den sie dort in Mexiko verfolgen, o das kann leinen Segen bringen, und,« fuhr sie mit tieftraurigem Tone fort, indem ihre Augen starr in das Leere blickten, »es will mich zuweilen wie eine tödliche Angst überkommen, es ist, als ob eine kalte Hand sich auf mein Herz legte, o mein Gott, mein Gott, das nimmt kein gutes Ende!«

»Du bist eine kleine Törin,« sagte die Prinzessin, zärtlich die Hand ihrer Freundin drückend, mit leichtem Lächeln, »du mußt,« fuhr sie in heiterem Tone fort, »die Sache auch von einer anderen Seite ansehen. So oft klagst du über die fortwährende Last der Etikette, die dir niemals erlaubt, dich so recht von Heizen frei zu bewegen, nun, wenn du einmal Kronprinzessin und dann Königin bist, so kannst du selbst dein Leben bestimmen, dann kannst du auch deine Zigaretten rauchen,« setzte sie mit schalkhaftem Lächeln hinzu.

»O,« rief die Erzherzogin, indem plötzlich der traurige, angstvolle Ausdruck von ihrem Gesicht verschwand, mit heiterem, triumphierendem Lachen, »das tue ich auch jetzt, wenn ich einmal allein bin, es macht mir so viel Vergnügen, die blauen hübschen Wölkchen in die Luft zu blasen!«

Und schnell zog sie aus der Tasche ihrer Robe ein kleines, zierliches Etui hervor, öffnete es und zeigte der Prinzessin eine Reihe kleiner, zierlicher Damenzigaretten.

»Ein merkwürdiges Vergnügen,« sagte die Prinzessin lächelnd, »für eine so zarte und ätherische kleine Erzherzogin.«

»Ist es denn nicht ein sehr ätherischer Genuß, es ist so gar nichts Materielles dabei, – die kleinen, zierlichen Ringe –« erwiderte die Erzherzogin.

»Seine Majestät!« rief die Gräfin Wedel, schnell herankommend, die Prinzessinnen blieben stehen; rasch verbarg die Erzherzogin das kleine Zigarrenetui, dann eilten beide dem Könige entgegen, welcher am Arm des Erzherzogs Albrecht rasch durch die Allee heranschritt und schon in unmittelbarer Nähe war.

Die Erzherzogin wendete sich zum König, während die Prinzessin Friederike die herzliche Begrüßung des Erzherzogs erwiderte.

»Ich muß meine Tochter selbst holen,« sagte dieser scherzend, »denn wenn sie einmal unter dem Zauber der Unterhaltung mit ihrer Freundin steht, so vergißt sie Zeit und Stunde, sogar ihre Pflicht gegen Eure Majestät.«

»Das wird mir Seine Majestät gewiß verzeihen,« sprach heiter die Erzherzogin, »meiner lieben Friederike kann niemand widerstehen. Der Kaiser und die Kaiserin sind auch stets unter dem Zauber, von welchem mein Papa spricht, dann kann man von einer kleinen Erzherzogin nicht verlangen, daß sie sich demselben entziehe.«

»Sie verziehen alle mein Töchterchen,« sagte der König mit glücklichem Lächeln, dann reichte er der Erzherzogin den Arm, der Erzherzog bot der Prinzessin den seinen und alle schritten dem Hause zu.

Der König führte die Erzherzogin zum Wagen, verabschiedete sich mit herzlichem Händedruck vom Erzherzog und kehrte am Arm des Hauptmanns von Düring, der mit dem Adjutanten des Erzherzogs zum Wagen gefolgt war, in sein Kabinett zurück.

Die Prinzessin Friederike winkte noch dem fortrollenden Nagen nach, aus welchem die Erzherzogin ihr einen Kuß zuwarf, dann ging sie langsam in das Innere des Hauses.

»Ich möchte mich einen Augenblick zurückziehen, ich bin etwas müde,« sagte sie zur Gräfin Wedel, »auf Wiedersehen nachher, liebe Gräfin!«

Sinnend, das Haupt gedankenvoll geneigt, ging sie in ihr Zimmer.


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