Oskar Meding
Europäische Minen und Gegenminen
Oskar Meding

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Einundvierzigstes Kapitel.

Die eleganten Salons der Marchesa Pallanzoni waren hell erleuchtet und mit einem aus frischen Blumendüften und feinen Essenzen gemischten Parfüm erfüllt.

Es war nicht der Tag, den die junge Frau zu ihrem Empfange bestimmt hatte, sie war, wenn sie kein Theater besuchte, fast an jedem Abende zu Hause und empfing diejenigen ihrer intimeren Bekannten, denen sie die Erlaubnis gegeben, sie zwanglos zu besuchen. Schnell hatte sich um die schöne, reiche und interessante Italienerin ein Kreis von der Elite der eleganten jungen Männerwelt gebildet, der Graf Rivero war überstürmt worden mit Bitten um Einführung bei seiner schönen Landsmännin, und es war die beste und ausgesuchteste Herrenwelt, welche er in die Salons der Marchesa eingeführt hatte. Und es war nicht ein Salon wie diejenigen der Damen der Halbwelt, in welchem die jungen Herren sich so gern zusammenfinden, der feinste Ton herrschte hier, und wenn auch die Marchesa mit der liebenswürdigsten Anmut es verstand, ihrer Gesellschaft die völlig freieste Bewegung zu geben und jeden zur natürlichsten Entwicklung seiner liebenswürdigsten Eigenschaften zu ermuntern, so war doch jedes Wort, das die zartesten Grenzen der feinen Sitte überschritten hätte, gewiß, sogleich die Zurechtweisung der Dame des Hauses zu erfahren, sei es durch einen Blick, so hoch herab niederwerfend, wie der einer Königin, sei es durch eine ebenso feine und geistreiche als scharfe und bestimmte Rüge. Wahrend in den meisten Salons von Paris der alte, wirklich gute Ton mehr und mehr verschwindet und nur in einzelnen exklusiven Kreisen des Faubourg Saint Germain zu finden ist, erinnerte der Salon der Marchesa Pallanzoni an die beste Gesellschaft vergangener Tage, und diese ganze sonst so zügellose und so wenig an Rücksichten gewöhnte Herrenwelt fügte sich dem anmutigen Zepter, das die schöne Fremde so sicher und unbeugsam führte, keiner dieser jungen Herren blieb aus; obgleich an den Ton des Café Anglais gewöhnt, folgten sie alle dem reizvollen Zug, den dieser gute und vornehme Ton auf sie ausübte, und ihr in den Gesprächen über Pferde, Hunde und Halbweltsdamen träge gewordener Geist erwachte wieder zu frischer Tätigkeit, um ein Lächeln des Beifalls von dieser Frau zu erlangen, welche für Plattheiten nur ein mitleidig bedauerndes Lächeln und für Unverschämtheiten einen niederschmetternden Blick hatte, unter dessen eisig-kalter Verachtung die Keckheit des rücksichtslosesten Roués in nichts zusammensank.

So lieferte die schöne Marchesa den Beweis, daß an der Verschlechterung des Tons in der Gesellschaft, an der wunderbar schiefen Stellung, welche die gute Gesellschaft der Halbwelt gegenüber einnimmt, an all der Erniedrigung und dem Elend, das daraus folgt, nur die Frauen der Gesellschaft schuld sind, die Frauen, welche es heutzutage nicht mehr verstehen, die Männer zu erziehen und zu fesseln, und welche, wenn sie sehen, daß die Damen der Halbwelt ihnen die Herren entführen, nicht daran denken, jene Damen durch Geist und Anmut zu übertreffen und durch Tugend und Würde in den Staub zu werfen, sondern vielmehr sich Mühe geben, den schlechten Ton, die gemeinen Manieren, die extravaganten Toiletten und die noch extravaganteren Sitten derselben nicht nur nachzuahmen, sondern noch zu überbieten.

Es war nach dem Diner.

Noch war die Stunde des eigentlichen Empfangs nicht gekommen, zwei mit allem Reiz geschmackvoller Eleganz ausgestattete Salons lagen vor dem kleinen, ebenfalls geöffneten Boudoir der Dame des Hauses, vor der Tür auf dem Vestibüle standen die Lakaien, an der Tür des Salons der Kammerdiener bereit, den etwa Kommenden zu öffnen, alles atmete vornehme Eleganz und jenes unnachahmliche Etwas, das man nur in den großen Häusern vom besten Ton findet.

In dem halb vom sinkenden Tageslicht, halb von einer rötlich unter grünen Ranken hervorschimmernden Ampel beleuchteten Boudoir saß die schöne Marchesa leicht zurückgelehnt in ihrer Causeuse, sie stützte den schönen Kopf, der Mode zum Trotz mit einfachen Flechten des glänzenden, schwarzen Haares coiffiert, auf die zarte, bläulich geäderte Hand, während der weite Spitzenärmel über den schlanken, marmorweißen Arm zurückfiel. Ihr Kleid vom leichtesten Sommerstoff mit kleinen, violetten Blumen umschwebte duftig ihre zierlich anmutige Gestalt, und der leichte Stoff bewegte sich zitternd bei jedem Atemzug ihres Busens.

Ihr Auge ruhte mit einem wunderbar tiefen, halb neugierig lauschenden, halb treuherzig freundlichen Ausdruck auf dem erregten Gesicht des Herrn von Wendenstein, welcher vor ihr auf einem niedrigen Lehnstuhl saß und lebhaft zu ihr sprach.

Er hatte ihr die Geschichte seiner Flucht aus dem Gefängnis erzählt – bewegt durch die Erinnerung, hatte seine Erzählung einen Reiz gewonnen, der die junge Frau lebhaft anzusprechen und zu fesseln schien.

Der junge Mann hatte geendet und sein Blick ruhte mit dem Ausdruck der Bewunderung auf dem reizenden Bilde der jungen, schönen Frau, die mit so tiefem Interesse seinen Worten zu lauschen schien.

»Ich danke Ihnen, Herr von Wendenstein,« sagte die Marchesa nach einigen Augenblicken des Stillschweigens, indem ein wie unwillkürlich ihren Lippen sich entringender Seufzer ihre Worte begleitete, »ich danke Ihnen für Ihre Erzählung und muß mir Glück wünschen, daß ich Sie heute im Bois de Boulogne entführt und gezwungen habe, mein einsames Diner zu teilen. Sie haben mich so liebenswürdig unterhalten und mir nun diese so merkwürdige Flucht so lebendig erzählt, ich habe dabei den Reiz des Romans empfunden mit dem Eindruck der Wahrheit, der um so lebhafter ist, da ich den Helden der Erzählung vor mir sehe.«

Sie sah ihn mit einem langen Blicke wie prüfend an, als wolle sie sich die Situationen, die er ihr erzählt, in seinem Anblick zurückrufen.

Eine leichte Röte flog über sein Gesicht, es war, als ob sich einen Augenblick ein Schleier über seine Augen legte, und mit unmerklich bebender Stimme sprach er:

»Ich bin unendlich glücklich, Frau Marchesa, daß ich ein wenig zu Ihrer Unterhaltung habe beitragen können, noch mehr darüber, daß Sie so gütigen Anteil an meinem persönlichen Schicksal genommen haben.«

»Wie sollte ich nicht,« sagte sie langsam, während ihr Blick fortwährend auf ihm ruhte, »wie sollte mich das nicht auf das tiefste bewegen, da ja Ihr persönliches Schicksal nur der Ausdruck der Zeitereignisse ist, wie sie auf den einzelnen Menschen zurückwirken, und da ich ja ganz besonders sympathisch berührt werde durch das Schicksal, das Sie getroffen; die Prinzipien, für welche Sie leiden und die Verbannung ertragen, sind ja die meinigen.«

»Die Verbannung hört auf ein Leiden zu sein, wenn sie so reizende Augenblicke bietet, wie den gegenwärtigen,« sagte der junge Mann im Tone der einfachen Galanterie, während jedoch aus seinen Augen ein eigentümlich zitternder Blick zu der schönen Frau hinüberstrahlte.

Sie schien weder das Wort zu hören, noch den Blick zu sehen, obgleich ihr Auge fortwährend auf dem Gesicht des Herrn von Wendenstein ruhte.

»Sehen Sie, mein Freund,« sagte sie langsam, indem sie ihre feine Hand auf die seine legte, »sehen Sie, was Sie jetzt in Ihrem Vaterlande durchmachen und leiden, widerfährt ja auch uns in meiner Heimat, die Throne brechen zusammen, die Fürsten irren in der Verbannung umher, und selbst das, was uns das Heiligste ist, die Kirche und ihr Oberhaupt, sind den Angriffen der alles zerstörenden und nivellierenden Prinzipien der Zeit ausgesetzt. – Bei uns,« fuhr sie fort, indem ihr Blick immer wärmer erglühte und eine lebhaftere Bewegung in ihren Zügen sichtbar wurde, »bei uns in Italien aber ist der Widerstand gegen die bösen Prinzipien der höllischen Gewalten aufgegeben, die natürlichen Vertreter des Rechts haben entweder mit der usurpatorischen Regierung schmähliche Verträge geschlossen, oder sie vergessen in apathischer Untätigkeit ihre Pflichten und ziehen sich von dem Kampfe, den ihre Stellung ihnen aufzunehmen befehlen müßte, zurück. Mit tiefem Schmerz,« fuhr sie fort, »habe ich das alles gesehen, und daß ich es habe sehen müssen, das hat mich fortgetrieben, um hier im Strudel des Pariser Lebens den Jammer meiner Heimat zu vergessen. Allein können wir armen Frauen ja nichts tun,« sprach sie seufzend, »als weinen und klagen, und das würde uns nur lächerlich machen vor unseren Gegnern, wir sind darauf angewiesen, uns an die Kraft der Männer anzuschließen, und dann, o dann,« rief sie mit blitzenden Augen, »dann können wir viel – unendlich viel! Ich fühle die Kraft in mir, den Kampf gegen eine Welt aufzunehmen, wenn eines Mannes starker Arm mich leiten würde, wenn ich in seinem Blick die Aufmunterung und die Belohnung finden würde für die Anspannung aller meiner Fähigkeiten im Dienst einer großen und heiligen Sache. Verzeihen Sie,« sagte sie nach einem Augenblick in traurigem Tone, »verzeihen Sie diese Aufwallung, Ihre Erzählung hat mich hingerissen, ich sah, was Entschlossenheit und Mut gegen die Gewalt des Unrechts tun können, und tiefer Schmerz erfüllte mich, daß bei uns diese Entschlossenheit und dieser Mut nicht zu finden sind.«

Ihre Hand ruhte noch immer auf der seinigen und schien mit leisem, kaum fühlbarem Druck sich an seine Finger zu schmiegen.

Ein Zittern flog durch die Gestalt des jungen Mannes, vor seinem Blick flimmerte es wie eine duftige Wolle, er erhob die schöne, warme Hand zu seinen Lippen und drückte auf dieselbe einen langen Kuß, dessen glühende Sprache mehr sagte, als Worte ausdrücken konnten.

Die Marchesa zog endlich ihre Hand langsam zurück, hob sie ein wenig gegen ihr Gesicht empor und ließ ihren Blick wie träumend auf der Stelle ruhen, die seine Lippen berührt hatten, und welche von der zarten, weißen Haut sich in brennendem Rot abhob.

»Doch,« sagte sie dann in einem Tone, als ob sie sich mit Anstrengung ihren Gedanken entrisse, »doch sind es nicht dieselben Prinzipien, ist es nicht dasselbe heilige Recht, um das es hier und dort handelt? – und wenn man an der einen Stelle daran arbeitet, diesem Rechte zum Siege zu verhelfen, dient man dann nicht auch demselben Rechte im eigenen Vaterlande? Bei Ihnen kämpft man,« fuhr sie fort, »bei Ihnen find Männer, die sich nicht beugen, die nicht zurückweichen wollen, dort ist die Hoffnung auf den Sieg, dort ist der Raum für die Arbeit einer Frau, die dafür glüht, die danach brennt, sich für das ewige Recht in den Kampf zu stürzen und alle ihre Kräfte in diesem Kampfe aufzubieten!«

Immer flammender ruhten die Blicke des jungen Mannes auf dem erregten Gesicht der schönen Frau, aus deren Augen glühendes Feuer in leuchtenden Wellen zu ihm hinüber strömte, abermals ergriff er ihre Hand, drückte in heißen Küssen seine Lippen darauf und sank, immer seine Blicke in die ihrigen tauchend, langsam auf dem weichen Teppich zu ihren Füßen in die Knie.

»Wenn Sie uns beistehen und uns begeistern,« sagte er mit gepreßter Stimme, während seine Brust sich in heftigen Atemzügen hob und senkte, »wenn Sie uns begeistern, ist der Sieg unser!«

»Die Begeisterung,« erwiderte sie in fast flüsterndem Ton, »müssen Sie aus Ihrer Sache selbst schöpfen, aber was ich dazu tun kann, diese Begeisterung in heiligem Feuer glühend zu erhalten, das will ich tun, ich will mit Ihnen denken und arbeiten, kämpfen mit den Mächten der Welt, ich will Sie ermutigen, wenn das Unglück Sie niederbeugt, ich will Sie trösten, wenn der Schmerz Sie übermannt, ich will Ihre Freude teilen, wenn die Hoffnung des endlichen Sieges Sie erfüllt, ich will vor allem sehen und hören für Sie, was in diesem Labyrinth der großen Politik zu sehen und zu hören ist, und eine Frau kann mehr sehen und hören als Sie, ich will,« sagte sie mit einem unendlich weichen Lächeln, »Ihre Freundin, Ihre Verbündete sein, wollen Sie mich als solche annehmen?«

Und wie in Gedanken verloren, machte sie sanft ihre Hand los, welche er noch immer an seine Lippen gedrückt hielt, und strich langsam über seine Stirn.

Eine dunkle Glut sprühte aus den Augen des jungen Mannes, er erhob sich auf ein Knie, breitete die Arme aus und beugte sich zu der schönen Frau hinüber, welche mit ihren wunderbar leuchtenden Blicken ihm so nahe war, daß er den warmen, duftigen Atem aus ihren halbgeöffneten Lippen über sein Gesicht hinwehen fühlte.

Die äußere Tür des zweiten Salons wurde geöffnet – die Marchesa machte schnell eine leicht abwehrende Bewegung, indem zugleich ein Ausdruck des Bedauerns in ihrem Blick erschien.

Herr von Wendenstein sprang rasch empor und setzte sich auf den kleinen Fauteuil, den er vorher inne gehabt.

»Wir sind also Verbündete,« flüsterte die junge Frau mit reizendem Lächeln, »morgen mehr davon.«

»Der Herr Graf von Rivero!« rief der Kammerdiener.

Einen Augenblick darauf erschien die schlanke Gestalt des Grafen unter der Portiere des Boudoirs.

Bei dem Anblick der jungen Frau und des Herrn von Wendenstein, der noch nicht vollständig seine Fassung wiedergefunden hatte, zog ein dunkler Schatten über das Gesicht des Grafen, und sein tiefer Blick richtete sich forschend auf die Marchesa.

Diese zeigte die vollkommenste Ruhe, mit heiterem Ton begrüßte sie den Grafen und streckte ihm, sich ein wenig auf ihrer Causeuse emporrichtend, die Hand entgegen.

»Ich habe Ihren Verbannten ein wenig zu trösten gesucht,« sagte sie lächelnd, »er hat mit mir diniert und mir soeben die Geschichte seiner Flucht aus dem preußischen Gefängnis erzählt, das hätte mich noch mehr in Unruhe versetzt,« fuhr sie mit scherzendem Tone, aber mit einem Blick voll Teilnahme auf den jungen Mann fort, »Wenn mir nicht die Anwesenheit des Helden der Erzählung schon von Anfang an die Garantie eines glücklichen Ausgangs gegeben hätte.«

»Die Zeit bringt wunderbare Situationen mit sich,« sagte der Graf ruhig, »wohl dem, der, wie unser junger Freund, seine Erlebnisse in freundlichem Boudoir erzählen kann.«

Der Kammerdiener meldete den Herzog von Hamilton, bald folgten noch mehrere junge Herren, die Marchesa erhob sich und verließ das Boudoir, bald entspann sich eine allgemeine Konversation, man machte ein wenig Musik, man plauderte, und überall war die schöne und anmutige Marchesa, bald einen einzelnen in eine kurze Unterhaltung ziehend, bald den Mittelpunkt eines kleinen Kreises bildend und mit ihren Worten die Geister ebenso beherrschend, wie mit ihren Blicken und ihrem Lächeln die Herzen.

Sie hatte soeben mit einem Scherzwort eine Gruppe ihrer Gäste verlassen, als der Graf Rivero sich ihr näherte.

»Ich werde morgen Paris verlassen,« sagte er mit gedämpftem Tone, während sein Gesicht den lächelnden Ausdruck der Salonkonversation beibehielt, »und ich denke einige Zeit, vielleicht länger als ich jetzt übersehen kann, in Rom zu bleiben, ich hoffte Sie noch allein zu finden –«

Die Marchesa sah ihn etwas erstaunt an.

»Wollen Sie nach den anderen hier zurückbleiben?« fragte sie.

»Meine Zeit ist gemessen,« erwiderte er, »auch ist es kaum nötig, da ich Ihnen nichts besonderes mehr zu sagen habe, Rosti bleibt hier, Sie werden Ihre ausführliche Instruktion erhalten' ich erwarte, daß Sie scharf und genau alles beobachten, was vorgeht, und mir alles berichten, was Sie bemerken; je ausführlicher und wahrer Ihre Berichte sein werden, um so höher wird man die Dienste anerkennen, die Sie leisten. Besondere Aufträge werden Ihnen zugehen, vor allem hüten Sie sich,« fuhr er fort, indem er mit düsterem und drohendem Ausdruck seinen Blick auf ihr ruhen ließ, »hüten Sie sich, eigene Wege zu gehen und selbständig sein zu wollen. Bei dem ersten falschen oder zweideutigen Schritt wird meine Hand Sie vernichtend treffen, und wäre ich in der weitesten Ferne.«

Die Marchesa senkte das Auge unter dem Blick des Grafen. »Sie können sich, wie bisher, auf mich verlassen,« sagte sie, leicht das Haupt neigend, in demütigem Ton.

»Ich will nicht,« fuhr der Graf fort, »daß von meiner Abwesenheit früher gesprochen werde, als einige Tage nach meiner Abreise. Sie werden dann sagen, plötzliche Familienereignisse hätten mich abgerufen, um dringende Geschäfte zu erledigen.«

Sie nickte zustimmend mit dem Kopf.

»Um immer gut unterrichtet zu sein,« sprach sie dann, »fehlt mir aber noch viel; ich habe hier einen Salon von Herren, Herren der besten Gesellschaft, es ist wahr; aber die richtige Stellung habe ich noch immer nicht, mir fehlen die Damen. Mag mein Salon über allen Vorwurf erhaben sein, es bleibt doch immer eine Gesellschaft von Herren, welche kommen, um einer Frau den Hof zu machen –«

»Seien Sie ruhig,« sagte der Graf. »Auch dafür habe ich gesorgt. Sie werden der Kaiserin vorgestellt und in die Tuilerien eingeladen werden, dort werden Sie Ihren Damenkreis finden, es ist alles eingeleitet, der Abbé Rosti wird Ihnen das Nähere sagen; der Nuntius wird Ihre Vorstellung veranlassen, die Kaiserin wird Sie auf das Beste empfangen.«

Ein Blitz stolzer Freude leuchtete im Auge der Marchesa auf.

»Noch einmal: Hüten Sie sich vor falschen Schritten und eigenmächtigen Handeln – und – jetzt kein Wort weiter,« sagte der Graf leise. »Ah!« rief er dann laut in heiterem Ton, »da ist ja eine seltene Erscheinung. Seit längerer Zeit habe ich Sie nicht gesehen – wo stecken Sie? Unser junger Freund scheint Neigung zum Einsiedlerleben gewonnen zu haben –«

Und er reichte dem Herrn von Grabenow die Hand, welcher soeben eingetreten war und sich näherte, um die Dame des Hauses zu begrüßen.

Der junge Mann sah bleich und traurig aus. Alle jene fröhliche, sprudelnde Lebenslust, welche früher so frisch aus seinen blauen Augen geblitzt hatte, war verschwunden, diese klaren, heiteren Augen waren umgeben von einem dunklen Schattenringe und blickten unstät wie suchend und fragend umher.

Herr von Grabenow wechselte die konventionellen Höflichkeitsformeln mit der Marchesa, aber man konnte leicht bemerken, daß sein Geist kaum bei dieser Unterhaltung war, die Bemerkungen der Marchesa fanden keine Erwiderung, die über die gewöhnlichsten Trivialitäten hinausgegangen wäre.

Die Marchesa sah ihn mit dem Ausdruck leichter Verwunderung an und wendete sich dann mit einer scherzhaften Bemerkung zu dem Herzog von Hamilton, der in der Nähe stand.

Der Graf Rivero hatte den jungen Preußen mit tiefer Teilnahme angesehen, er legte seinen Arm in den des Herrn von Grabenow und führte ihn langsam durch den Salon in eine Ecke, welche von den lachenden und plaudernden Gruppen entfernt war und eine vertrauliche Unterhaltung erlaubte.

»Was fehlt Ihnen, mein junger Freund?« sagte der Graf mit einem innigeren Ton, als er ihm sonst in der Unterhaltung eigen war, »man sieht Sie so wenig – und Ihr Gesicht zeigt den Ausdruck wahren und tiefen Seelenleidens. Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen meine Teilnahme aufdränge, aber – Sie wissen, ich habe immer Sympathie für Sie gehabt, trotz der Verschiedenheit unseres Alters, und wenn mein Rat – mein Beistand –«

Herr von Grabenow verneigte sich verbindlich, ohne daß der tief schmerzliche, abgespannte Ausdruck einen Augenblick von seinem Gesicht verschwand.

»Ich danke Ihnen,« unterbrach er rasch, »für Ihre freundliche Gesinnung. Es fehlt mir eigentlich nichts, ich bin ein wenig leidend seit einiger Zeit. Eine Erkältung ist mir, wie ich glaube, auf die Nerven gefallen und das drückt mich ein wenig nieder –«

Er machte einen Versuch zu lächeln – ein unwillkürlicher Schauer ließ seinen Körper wie im Fieber erzittern.

Der Graf legte leicht seine Hand auf die Schulter des jungen Mannes.

»Sie haben einen ernsten Kummer, Herr von Grabenow,« sagte er, »der ältere Mann darf dem Jünglinge gegenüber vielleicht wagen, zudringlich zu erscheinen, – sollten Sie nicht Vertrauen zu mir haben können?«

Herr von Grabenow warf einen langen Blick auf den Grafen und seufzte tief auf.

»Es sind in der Tat die Nerven,« sagte er, »ich –«

»Vor einiger Zeit begegnete ich Ihnen in der Ausstellung,« fuhr der Graf Rivero fort, »Sie waren nicht allein, – eine Dame –«

»O ja, – o ja, – ich erinnere mich!« rief der junge Mann mit schmerzlichem Lächeln, »o, es waren schöne Zeiten – sehr schöne Zeiten. Sie sind vorbei,« flüsterte er leise, »vorbei für immer!«

»Da liegt also Ihr Kummer,« sagte der Graf, immer forschend das in heftigem inneren Kampf zuckende Gesicht des Herrn von Grabenow betrachtend, »ich dachte es wohl, in Ihren Jahren läßt sich ja jede Freude und jeder Schmerz auf die Liebe zurückführen, das ist das schöne Alter der Illusionen – später wird das anders, anderes Denken, anderes Streben füllt das Leben aus, es läßt das nicht mehr so viel leiden, aber es macht auch nicht so glücklich!«

Des Grafen Blick schimmerte feucht, ein Seufzer zitterte über seine Lippen.

»Anderes Denken, anderes Streben!« sagte Herr von Grabenow mit einem matten Lächeln, »wann wird das kommen?«

»Es wird kommen, mein junger Freund,« sprach der Graf, »es wird bei Ihnen kommen, wie es bei jedem kommt, wie die Blumen des Lebens nicht unvergänglich blühen, so dauern auch seine Schmerzen nicht ewig, und den abgefallenen Blüten folgen die Früchte, in Schmerzen gereift – zur Ernte der Ewigkeit.«

Der junge Mann sank fast in sich Zusammen, wiederum zitterte jener Schauer durch seine Glieder.

»Was ist Ihnen widerfahren?« sprach der Graf mit tiefer Stimme, welche fast einen befehlenden Ton annahm, »vertrauen Sie sich mir an, ist Ihre Geliebte Ihnen untreu geworden?«

»Untreu?« rief der junge Mann, sich plötzlich emporrichtend und mit flammendem Blick aus seinen fieberhaft glänzenden Augen den Grafen umfassend, »untreu? Das ist unmöglich, unmöglich! Und doch, vielleicht wäre ich ruhiger, vielleicht könnte ich leichter anderes Denken und anderes Streben finden, wenn es so wäre, dann wäre es wenigstens aus, und was auch mein Herz leiden müßte, dies Leiden könnte ein Ende haben, es könnte eine Ruhe darauf folgen – und wäre es die Ruhe des Todes, aber so –«

»Kann es Schlimmeres geben als Falschheit und Untreue eines Herzens, das wir lieben?« fragte der Graf.

Herr von Grabenow sah ihn lange an.

»Ja,« sagte er dann mit einer Stimme, die so tief verzweifelt aus seiner Brust heraufklang, daß der Graf unwillkürlich erbebte, »ja, es kann Schlimmeres geben! Herr Graf,« fuhr er dann fort, »Sie sind anders wie die anderen, ich glaube, Sie verstehen die Leiden des menschlichen Herzens, eines Herzens, dessen Schläge noch nicht erstorben sind in der modernen Blasiertheit dieser Welt, Sie kennen die Menschen und haben viel Herrschaft über sie, Sie können mich verstehen, und können mir vielleicht helfen; Ihnen will ich mein Leid klagen,« fuhr er in heftiger Erregung fort, seine Worte abgebrochen hervorstoßend, »o, ich habe lange einsam gelitten, alle meine Klagen sind fest verschlossen geblieben in meiner Brust, alle meine Tränen sind zurückgeflossen zum eigenen Herzen; o, das tut weh, sehr weh, wenn man nach innen weinen muß, wenn die Träne, die Gott bestimmt hat, das Weh der schmerzdurchzuckten Seele hinauszuströmen in die weite Luft, wenn die Träne heiß und brennend Zurückströmt in die wunde Brust, ätzende Qual bringend statt erquickender Beruhigung! Ich will Ihnen meinen Jammer klagen, geben Sie mir Trost, geben Sie mir Hilfe, wenn Sie können!«

»Sprechen Sie,« sagte der Graf tief bewegt, »und seien Sie überzeugt, daß Sie niemand besser Ihr Leid anvertrauen können als mir.«

»Sie haben mich mit jenem jungen Mädchen gesehen,« sprach Herr von Grabenow rasch, lebhaft und fast keuchend seine Worte hervordrängend, als wolle er nach so langer Zurückhaltung so schnell als irgend möglich seine Brust von der erdrückenden Last befreien, die auf ihr ruhte, »Sie haben gesehen, wie schön sie war, als einen Augenblick der Schleier fiel, mit dem Sie so ritterlich ihr Gesicht schnell wieder verhüllten, o – die Schönheit, die von ihrem holden Antlitz strahlte, war nichts – nichts – gegen die Schönheit ihrer Seele. Sie war meine Geliebte, sie hatte mir alles gegeben, was die Liebe der Liebe zu geben hat, aber ich schwöre es Ihnen bei dem Haupt meiner Mutter, bei dem Glauben an meine Seligkeit, sie war rein, rein und gut, wie nur ein Wesen aus der Hand der allgütigen Gottheit gekommen ist, ich hatte so süße, so schöne Hoffnungen, ich wollte für sie mit den Vorurteilen der Welt kämpfen, ich wollte ihr mein ganzes Leben weihen, und es wäre mir gelungen, ich hätte alles überwunden, ich hatte sie hinübergeführt in meine Heimat und ihr den Platz in meiner Familie gegeben, den sie verdient, da –«

Er hielt inne – wie gebrochen von seiner Erinnerung.

»Nun?« fragte der Graf.

»Da war sie verschwunden, plötzlich verschwunden, ohne eine Spur zu hinterlassen,« sagte der junge Mann tonlos, »alle meine Bemühungen, etwas von ihr zu entdecken, sind vergebens, ich habe Paris durchforscht nach allen Richtungen, vergebens, nach jedem Tage rastlosen Suchens senkte sich wieder die Nacht mit ihrer dumpfen Verzweiflung auf mich herab, tagelang bin ich in lethargischer Abgespanntheit in meinem Zimmer geblieben, allein ringend mit meinem Schmerz, dann wieder hat es mich erfaßt mit Todesangst, ich habe die Straßen durchirrt, das Bois de Boulogne durchflogen, bis meine Pferde vor Ermattung zusammenbrachen, ich habe alle Salons besucht, obgleich sie nie in die Welt ging, immer in der Hoffnung, ihr zu begegnen, eine Spur zu entdecken, aber immer, immer vergeblich, sie ist und bleibt verschwunden, verloren für immer.«

»Und haben Sie keine Idee, was geschehen sein könnte, hat sie Ihnen kein Zeichen, keine Erklärung, kein Wort des Abschieds gegeben?« fragte der Graf.

»Ich habe einige Tage, nachdem sie plötzlich aus ihrer Wohnung verschwunden war, einen Brief von ihr erhalten, worin sie mir schreibt, daß eine Wendung eingetreten wäre, die das Rätsel ihres Lebens löse, daß sie eine Heimat gefunden habe, aber von einer heiligen und liebevollen Autorität abhängig sei, der sie gehorchen müsse, und welche ihr bestimmt verbiete, mir mehr mitzuteilen. Ich möge Vertrauen haben, sie werde mich ewig lieben und mir ewig treu bleiben, in der Zukunft könne vielleicht noch ein Glück für uns erblühen. Das alles schrieb sie mir kurz, aber herzlich und innig, voll tiefer Liebe, o, ich habe diesen Brief tausendmal gelesen und wieder gelesen, um zwischen den Zeilen eine Spur zur Aufklärung zu finden, aber vergeblich.«

»Und ihre Familie?« fragte der Graf. »Oder stand sie allein?«

»Ihr Vater, den sie sehr liebte, war von einem plötzlichen Schlagfluß getroffen und gestorben zur Zeit, da sie verschwand, ihre Mutter weiß nichts von ihr, ach, ihre Mutter wird wenig nach ihr fragen, sie hatte böse Absichten mit ihr, denen zu entgehen sie mir das Versprechen abgenommen hatte, sie in ein Kloster zu bringen, bevor ich Paris verlassen würde.«

»So hat sie sich vielleicht jetzt schon in ein Kloster zurückgezogen, um den Schmerz des Abschiedes zu ersparen,« sagte der Graf.

»Nein,« erwiderte Herr von Grabenow einfach, »das würde sie mir gesagt haben, sie war einer Unwahrheit unfähig.«

Bei diesen mit zitternder Stimme, aber mit dem fest überzeugten Ausdruck eines rührenden Vertrauens gesprochenen Worten glänzte eine Träne im Auge des Grafen.

Es zuckte um seine Lippen, als wolle er sprechen, aber wie mit mächtiger Willenskraft drückte er die Bewegung nieder, welche sein Gesicht durchbebte.

Einige Herren traten heran.

»Mein Gott, Herr von Grabenow,« rief einer von ihnen, »was geht mit Ihnen vor, man sieht Sie niemals mehr, und wahrhaftig, sehen Sie, meine Herren, er sieht in der Tat leidend aus, wir müssen überlegen, was mit Ihnen zu tun ist, um Sie dem Leben wiederzugeben.«

»Begleiten Sie uns heute Nacht nach dem Café Anglais,« rief ein anderer junger Mann, »wir haben eine allerliebste Partie arrangiert, das wird Sie wieder aufheitern –«

»Herr von Grabenow wird schwer aufzuheitern sein,« rief der Herzog von Hamilton, der hinzugetreten war, »wenn eine gewisse kleine Dame nicht von der Partie ist, mit der wir ihn in dem chinesischen Theater begegnet haben –«

»So laden wir sie ein,« rief man, »– laden wir sie ein!«

»O, sie würde nicht kommen!« sagte der Herzog, während Herr von Grabenow tief erbleichte.

Der Graf stand seitwärts und wendete kein Auge von dem jungen Mann.

»Warum würde sie nicht kommen?« rief der Vikomte von Valmory, »wenn Herr von Grabenow es wünscht, kommt sie gewiß, so gut wie sie in der Soiree der Madame de l'Estrada war –«

Ein jäher Blitz sprühte in dem Auge des jungen Mannes auf, seine Lippen zitterten, seine Haare schienen sich emporzusträuben, er trat einen Schritt vor und man mußte eine Antwort erwarten, welche dem Gespräch eine sehr ernste Wendung gegeben hätte.

Rasch trat in diesem Augenblick der Graf Rivero zu dem jungen Mann hin, sorglos ruhige Heiterkeit lag auf seinem Gesicht.

»Verzeihen Sie, meine Herren,« sagte er zu den jungen Leuten, daß ich Ihr Gespräch unterbreche, es betrifft ja keine ernsten Gegenstände – und ich habe mit Herrn von Grabenow noch ein paar Worte zu sprechen, die wichtig sind, ein Pferdekauf, über den wir soeben zu plaudern begonnen hatten, lassen Sie mir unseren Freund ein wenig.«

Er hatte bei diesen Worten in scheinbar leichter Bewegung den Arm des jungen Mannes berührt, aber seine Finger drückten diesen Arm mit eiserner Gewalt; Herr von Grabenow blickte in das Gesicht des Grafen und begegnete einem so herrschenden Ausdruck befehlenden Willens in dessen Auge, daß er nach einem augenblicklichen Zögern mit leichter Verbeugung gegen die Herren dem Grafen folgte, der ihn langsam, immer seinen Arm haltend, in den zweiten Salon führte, in dem in diesem Augenblick niemand anwesend war.

»Warum verhindern Sie mich, Herr Graf,« fragte der junge Mann mit gepreßter Stimme, »diesen Unverschämten zu züchtigen, der es wagt –«

»Vielleicht die Wahrheit zu sagen,« antwortete der Graf.

»Die Wahrheit?« rief Herr von Grabenow zitternd. »Jedermann kennt diesen Salon der Madame de l'Estrada und es sollte die Wahrheit sein, daß meine Julia –«

»Haben Sie mir nicht selbst erzählt,« sagte der Graf, »daß ihre eigene Mutter sie dem Abgrund der Verderbnis zuführen wollte, kann sie nicht, ohne zu ahnen, wohin sie ging, dorthin geführt sein, kann nicht dies gerade ihr die Augen ganz geöffnet haben?« –

»Aber, mein Gott!« rief Herr von Grabenow.

»Wenn nun über diese Sache Erörterungen stattfanden, wenn Sie sich deshalb schlügen, wenn Paris drei Tage über diese Sache spräche,« fuhr der Graf ruhig fort, »glauben Sie, daß Sie damit Ihrer Geliebten einen Dienst leisteten, wenn dieselbe wirklich, wie sie Ihnen gesagt und wie Sie es glauben, eine Heimat und eine Familie gefunden hat?«

»Wahr, wahr!« sagte der junge Mann, »aber mein Gott! soll ich ruhig mit anhören –«

»Wollen Sie den Rat eines älteren Mannes und eines aufrichtigen Freundes annehmen?« fragte der Graf.

»Sprechen Sie,« sagte Herr von Grabenow ruhig und ergeben.

»Der Aufenthalt in Paris,« fuhr der Graf fort, »reibt Ihre Kräfte auf, dieses ewige, vergebliche Suchen, Hoffen und Zweifeln vernichtet Sie körperlich und geistig, Sie müssen vor allem den inneren Halt, die Festigkeit Ihrer Seele wieder gewinnen. Kehren Sie in Ihre Heimat Zurück, ergreifen Sie einen Beruf, und wenn Sie sich nur der Kultur Ihrer Güter widmen, aber schaffen Sie, stählen Sie Ihr Herz in Tätigkeit und Arbeit! – Sie sehen,« fuhr er fort, »ich sehe Ihre Liebe und Ihr Leiden für ernst an, denn ich rate Ihnen zu ernsten Heilmitteln.«

»Ich danke Ihnen dafür von Herzen,« erwiderte Herr von Grabenow, »aber, soll ich sie aufgeben, jede Möglichkeit aufgeben, ihre Spur zu finden?«

»Hören Sie mich an,« sagte der Graf, »entweder ist Ihre Geliebte das, wofür Sie sie halten, dann steht sie unter irgend welchem starken Einfluß und Schutz und Sie werden sie nicht finden, wenigstens jetzt nicht, Sie müssen dann ihrer Liebe vertrauen, ober sie hat Sie getäuscht –«

»Nein!« rief Herr von Grabenow zuversichtlich.

»Dann,« fuhr der Graf fort, ohne diesen Ausruf zu beachten, »finden Sie sie wahrscheinlich auch nicht, und wenn Sie sie fänden, so wäre es besser, daß Sie sie gar nicht gesucht hätten.«

Herr von Grabenow zögerte.

Der Graf sah ihn lange und ernst an.

»Haben Sie Vertrauen zu mir?« fragte er dann, »und glauben Sie, daß ich ein wenig Erfahrung und auch ein wenig Macht über Menschen und Verhältnisse habe?«

»Ja, das glaube ich – und ich habe Vertrauen zu Ihnen,« sagte Herr von Grabenow.

»So verspreche ich Ihnen denn,« sprach der Graf mit vollem Ton seiner tiefen Stimme, »Ihre Sache zu der meinigen zu machen. Kehren Sie ruhig zurück in Ihre Heimat, Sie werden mir einige Notizen geben und ich will Ihnen Nachricht geben, sobald es mir möglich sein wird, Ihnen etwas über das Schicksal Ihrer Geliebten mitzuteilen. Seien Sie überzeugt, daß es mir mit meinen vielen Verbindungen und Anknüpfungspunkten leichter möglich sein wird, zu einem Resultat zu gelangen, als Ihnen, um so mehr, da ich ruhig und kaltblütig sein werde. – Doch jetzt lassen Sie uns gehen,« fuhr er fort, »damit wir hier nicht wieder gestört werden, wir setzen unser Gespräch besser draußen fort.«

Sie verließen unbemerkt den Salon und stiegen auf die Straße hinab.

Lange gingen sie Arm in Arm auf dem breiten Trottoir bei Boulevard Malesherbes auf und nieder in eifriger Unterredung, und als sie sich endlich trennten, da sagte Herr von Grabenow mit trübem und tränendem Blick zwar, aber mit fester Stimme:

»Ich werde Ihnen ewig dankbar sein, Sie haben mir die Kraft zum Leben wiedergegeben, ich werde in wenigen Tagen nach meiner Heimat zurückreisen, und stark und ruhig den Kampf mit dem Leid des Lebens aufnehmen. Gebe Gott, daß Sie mir einst das Glück wiedergeben können!«

»Leben Sie wohl,« sagte der Graf tief bewegt, »Sie haben einen Freund für das Leben gewonnen, und so Gott es will, sollen Sie aus meiner Hand Ihre Geliebte wieder erhalten!«

Mit raschem Händedruck wendete er sich ab und schritt der Chaussee d'Antin zu, während Herr von Grabenow nach seiner Wohnung zurückkehrte.

»Es sind gute und reine Herzen,« flüsterte der Graf vor sich hin, »sie sollen glücklich werden, wenn sie ausharren und die Treue bewahren. Vielleicht wird es mir vergönnt, das Glück dieser Kinder zu begründen und den finsteren Schatten zu versöhnen, den das unglückliche Opfer dieses dämonischen Weibes, die ja doch mein Werkzeug war, in meine Seele wirft.«

Herr von Wendenstein hatte bei der Ankunft der übrigen Gesellschaft die Salons der Marchesa Pallanzoni verlassen und war mit hochatmender Brust in die Nachtluft hinausgeeilt. Seine Blicke glühten in trunkenem Feuer, seine Pulse schlugen, alle seine Gedanken verwirrten sich. Sein ganzes früheres Leben, trotz der gewaltig erschütternden Ereignisse des letzten Jahres, so ruhig gleichförmig in seiner friedlichen Stille, versank in seiner Erinnerung, überrauscht von diesen glänzenden Fluten des Pariser Treibens, das den jungen, lebenslustigen Mann in seinem vielfarbigen Glanz umspielte. Und inmitten all' dieses reichen Farbenschimmers erhob sich das Bild dieser Frau, deren wunderbare Schönheit mit berauschender Gewalt seine Sinne fesselte und deren kühner, stolzer Geist ihn fortriß in glühender Bewunderung. Wohl sah er neben diesem üppigen, alle Sinne fesselnden Bilde ein bleiches, zartes Antlitz mit tiefen, treuen Augen sich erheben, aber diese Mahnung an eine stille Vergangenheit mit ihren Träumen und ihren Hoffnungen versank, wenn auch unter schmerzlichen Zuckungen des Herzens, in den schimmernden Lichtwellen der Gegenwart.

Was lange unbewußt in dem Herzen des jungen Mannes sich entwickelt hatte, während er die glühende Lebenslust der großen Weltstadt mit durstigen Zügen einsog, das war heute zur flammenden Klarheit geworden, er hatte zu den Füßen dieser Frau gekniet, die alle seine Lebensnerven vibrieren ließ, er hatte ihren Atem auf seinem Gesicht gefühlt, er war hingerissen von dem sympathischen Strom, der sie umfloß, er fühlte die Sehnsucht seiner Liebe in heller Lohe ihr entgegenschlagen.

Er hatte keinen Gedanken über die Zukunft, er dachte nicht an die Vergangenheit, er fühlte sich versinken in den feurigen Wogen eines übermächtigen Gefühls.

Langsam war er durch die Straßen gegangen; kaum das Treiben auf den Boulevards beachtend, wendete er sich in die Rue du Faubourg Montmartre und stieg in einem der ersten Häuser dieser Straße die Treppe zu seiner mit einfacher Eleganz eingerichteten Wohnung empor.

In tiefen Gedanken trat er in den Salon neben seinem Schlafzimmer, sein Diener, ein emigrierter hannoverscher Soldat, hatte die Lampe auf den Tisch gestellt und einige Briefe daneben gelegt.

Abgespannt und ohne seine Toilette zu ändern, warf sich Herr von Wendenstein auf das Kanape neben dem Tisch.

Längere Zeit lag er in träumende Gedanken versunken, sein Blick schimmerte in feuchtem Glanz, glühend strömte sein Atem aus seinen geöffneten Lippen.

»War es Leben,« flüsterte er, »diese Existenz, die ich gesucht habe, dort in der ruhigen Heimat, wo ein Tag dem anderen folgte in gleichmäßigem Einerlei, wo alle Gefühle so langsam und ruhig keimten und sich entwickelten, wie die Blumen auf einem Getreidefelde? – O, das Leben, wahre Leben mit seinen Gluten und seinen Aufregungen, mit seinen tiefen Erschütterungen und seinem süßen Rausch, das Leben der großen Welt, wie faßt es mich so mächtig und gewaltig hier in dem Mittelpunkt Europas, wie zieht mich der Strudel mit allen meinen Sinnen hinein, wie fühle ich hier, was es heißt, zu lieben, zu versinken in dem berauschenden Strom des flammenden Glücks!«

Er schloß die Augen und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Als er nach einigen Minuten wieder aufsah, fiel sein Blick auf die Briefe, welche sein Diener auf den Tisch neben ihn gelegt hatte.

Fast mechanisch streckte er die Hand danach aus und ergriff ein ziemlich starkes Kouvert, welches dem Rande des Tisches zunächst lag.

»Die Handschrift meines Vaters,« sagte er, indem er rasch das Siegel erbrach.

Langsam las er den Brief seines Vaters, der ihm mit einfachen Worten, wie es die Art des alten Herrn war, mitteilte, was in der Familie und im Kreise der Bekannten geschehen sei, und ihm zugleich in dem Ton eines älteren Freundes Mut einsprach für die schwere Zeit, in der er lebte und die er noch vor sich hatte.

Sinnend legte er den Brief neben sich. Die treuen, ernsten Worte des Vaters waren in seinen Rausch hineingeklungen wie eine Mahnung aus einer von purpurnen Wollen verhüllten Welt, einer Welt, in welche die Wurzeln seines Herzens noch tief, tief verwachsen waren.

Der Brief des Oberamtmanns enthielt noch zwei andere.

Der junge Mann ergriff den einen, – er war von seiner Mutter.

Lange las er die Zeilen, welche die alte Dame ihm schrieb und aus welchen es ihm entgegenatmete wie bei eigentümliche Hauch des alten kühlen, schallenden Hauses in Blechow. Seine stille, glückliche Kindheit, seine einfach frohe Jugend trat ihm entgegen aus dem Briefe der Mutter, die in kurzer, sentenzenhafter Weise ihm so viel gute, kluge und liebe Worte schrieb, und die daneben nicht vergaß, ihn zum Schluß zu ermahnen, daß er seine Wäsche nicht verderben lassen und seine Gesundheit schonen möge in dem unruhigen Leben von Paris.

Eine Träne trat in sein Auge, mit wehmütigem Lächeln legte er endlich das Blatt wieder auf den Tisch zurück und griff nach dem dritten Brief.

Fast zögernd öffnete er denselben, – er war von Helene.

Als er die Schriftzüge des jungen Mädchens erblickte, führte er, einer unwillkürlichen Regung folgend, das Papier an seine Lippen.

Dann las er die vier eng beschriebenen Seiten, und als all' diese Reinheit, diese Liebe, diese Treue, dies Vertrauen ihm aus den einfachen, aber vom Duft einer süßen Poesie erfüllten Worten entgegentrat, flog seine ganze Seele hin nach der fernen Heimat, er sah die blühenden Rosenbeete im Pfarrgarten von Blechow, er sah das dunkelverhüllte Zimmer in Langensalza, in welchem die treuen lieben Augen ihm entgegenstrahlten, als er in der Nacht des Todeskampfes befangen dalag, er sah die dunkle Nacht in der Eilenriede, als er mit bangem, gepreßtem Herzen die Geliebte zum Abschied an die Brust drückte, um hinauszureiten der unbekannten Zukunft entgegen, und vor diesen reinen Bildern versank all' der glühende Glanz des Pariser Lebens wie die wallenden Nebel vor der aufsteigenden Sonne.

Er sprang auf und ging mit raschen Schritten durch das Zimmer.

»Wie spricht nur der gute Geist meiner Kindheit aus diesen Briefen!« rief er, »darf ich mich in dieses Meer versenken, dessen Wogen mich hier umspülen, und dessen geheimnisvolle Wunder mich locken und rufen?«

Er ging in heftiger Bewegung auf und nieder.

»Aber,« rief er dann, »ist mein Heiz, mein Blut dazu geschaffen, um all' dies berauschende Glück von sich zu stoßen, um darauf zu verzichten, nachdem es mir erschienen, nachdem ich es kennen gelernt? – Ist es ein Verbrechen, zu genießen, was diese Welt mir bietet und was ja doch nur vorübergehend ist, vorübergehend sein muß? – Kann ich nicht Zurückkehren zu jener stillen Einfachheit, nachdem ich den glühenden Rausch des Lebens genossen und mein dürstendes Herz erquickt habe mit dem süßen Trank aus der Quelle, die hier so reich mir fließt?«

Er preßte die Hand auf seine brennende Stirn und blieb vor dem Tisch stehen.

Sein Blick fiel auf einen Brief, der noch uneröffnet neben den anderen Papieren lag.

Er ergriff das Kouvert, öffnete das Siegel und fand einen Brief des Regierungsrats Meding, welcher ihn mit kurzen Worten ersuchte, ihn so bald als tunlich zu besuchen, um im Interesse des Dienstes des Königs eine Mitteilung entgegenzunehmen.

Mit jener militärischen Pünktlichkeit, welche allen persönlichen Gefühlen übergeordnet bleibt, sah der junge Mann nach seiner Uhr.

Es war zehn Uhr. Er ergriff seinen Hut, verschloß die Briefe, die er erhalten, und verließ seine Wohnung.

Er stieg die Rue du Faubourg Montmartre hinauf, ging über die Place Saint Georges an dem Hotel des Herrn Thiers vorbei und wendete sich einige Schritte weiter in die Rue Mansart, welche die Rue Saint Georges mit der Rue Blanche verbindet.

Vor der großen porte cochère eines Hotels nahe der Ecke blieb er stehen, zog den Kordon und schritt über den Hof nach dem im Grunde desselben vor einem Garten mit großen alten Bäumen liegenden Hause.

Der auf dem Vestibül wartende Kammerdiener sagte ihm, daß Herr Meding zu Hause sei und einige Herren bei ihm wären, er öffnete dem jungen Mann die Tür und Herr von Wendenstein trat in einem Salon im Geschmack Louis XVI., an welchen sich ein zweites mit bequemen Kanapes und Fauteuils gefülltes Zimmer anschloß; die großen Flügeltüren nach dem tiefschattigen Garten waren weit geöffnet, auf dem weiten steinernen Balkon, von welchem man zu dem Garten hinabstieg, standen ebenfalls Lehnstühle und eine Gesellschaft von sechs bis sieben Herren saß rauchend und plaudernd umher.

Der Regierungsrat Meding trat dem jungen Hannoveraner mit herzlichem Gruß entgegen und sagte ihm: »Ich freue mich, Sie heute abend noch zu sehen, ich hatte Sie gebeten zu kommen, um Ihnen zu sagen, daß die Aufrechterhaltung der Ordnung unter der hannöverschen Emigration, welche, wie Sie wissen, nach der Schweiz hat übersiedeln müssen, die Anwesenheit möglichst vieler Offiziere erfordert. So sehr ich Ihre Abwesenheit von Paris bedauern werde, so scheint es mir doch im Interesse des Dienstes unseres allergnädigsten Herrn sehr wünschenswert, daß Sie bald nach Zürich gehen und sich dort Herrn von Hartwig, der die Emigration kommandiert, zur Verfügung stellen.«

Ein eigentümlicher Ausdruck zeigte sich auf dem Gesicht des jungen Offiziers.

Zunächst leuchtete es in seinem Auge auf bei der Mitteilung, daß ihm Gelegenheit werden solle, der Sache, welche für ihn heilig war und der er gern alle seine Kräfte widmete, dienen zu können, dann zog es wie ein Schatten über seine Züge bei dem Gedanken daran, daß er Paris verlassen solle und alle die süßen Träume, die ihm hier aufgegangen waren.

»Ich werbe einige Zeit zur Vorbereitung und zur Ordnung meiner Angelegenheiten bedürfen,« sagte er, »sobald –«

»Wir wollen morgen weiter darüber sprechen,« erwiderte der Regierungsrat Meding und wendete sich zu einer Gruppe von Herren, unter denen der dänische Agitator Hansen in lebhaftem Gespräch mit einem jungen eleganten Manne sich befand, dessen geistvolles Gesicht von kurzem blonden und leicht gelockten Haar umrahmt war.

»Hansen,« sagte Herr Valfrey, der Redakteur des Mémorial diplomatique, »glaubt nicht, daß in Salzburg etwas Positives geschehen sei, er ist Pessimist und sieht in einer Allianz mit Österreich kein Heil für die Zukunft, während es mir doch auf der Hand zu liegen scheint, daß nur durch die innige Verbindung dieser beiden Mächte für die Zukunft das Unglück der Vergangenheit wieder gut gemacht werden kann.«

»Und warum ist unser sonst unermüdlich« Freund so oppositionell gegen die offizielle und offiziöse Gedankenrichtung, wie wir ihr in allen Journalen begegnen?« sagte Herr Meding lächelnd.

»Weil,« rief der kleine Hansen lebhaft mit seinem scharfen, etwas zischenden skandinavischen Dialekt, »weil ich ein Mann der Tat bin und weil ich noch nie gesehen habe, daß bei Phrasen und Hin- und Herdeliberieren etwas herauskommt. – Davon aber bin ich ganz überzeugt,« fuhr er mit bitterem Lächeln fort, »daß dieser österreichische Reichskanzler, den man mit Recht einen politischen Charmeur genannt, nichts anderes als Phrasen nach Salzburg gebracht hat, und daß der Kaiser Napoleon gewiß nichts getan hat, um diese Phrasen zu Handlungen zu verdichten. – Und das,« rief er, »das geschieht einem Manne gegenüber, der die Inkorporation des tätigen Handelns ist, das geschieht dem Grafen Bismarck gegenüber, der die Worte nur zu gebrauchen versteht, um sie wie den rollenden Donner den zuckenden Blitz seiner Tat begleiten zu lassen! – Wahrlich, auf diese Weise wird man seine Wege nicht durchkreuzen. Es gäbe in der Tat nur einen Weg für Österreich, eine Revanche für Sadowa zu nehmen, man müßte es verstehen, Herrn von Beust zum Minister in Berlin zu machen.«

Herr Meding wendete sich nach dem zweiten Salon und sagte lächelnd:

»Hören Sie, Ihr Landsmann wird uns etwas Musik machen, das ist besser als die sterile Politik.«

Hansen und Balfrey setzten flüsternd ihr eifriges Gespräch fort.

Der Leutnant von Wendenstein hatte sich ein Glas Porter-Vier mit Champagner gemischt, der ihm in einer carafe frappée von einem Lakaien serviert wurde, zündete eine Zigarre an und trat unter die Tür des Salons, gedankenvoll hinaufblickend über die hohen Bäume zum dunklen Nachthimmel.

Inzwischen hatte sich der Graf Schmettow, Jägermeister des Königs von Dänemark, ein eleganter Mann von etwa sechsunddreißig Jahren, mit blondem Haar und langem Schnurrbart, der in Paris seiner Liebe für die Künste lebte, an das Piano gesetzt und begann in fertigem und ausdrucksvollem Spiel eine Art von Potpourri aus dänischen Nationalmelodien vorzutragen.

»Es ist ein wunderbarer Reiz in Ihren nordischen Melodien,« sagte der Regierungsrat Meding, als der Graf innehielt, »ich fühle mich stets durch den kraftvollen und doch so geheimnisvoll sympathischen Klang mächtig angesprochen.«

»Ja,« erwiderte der Graf, »es liegt ein tief melodisches Element in unseren Volksweisen, doch muß ich Ihnen sagen, daß Ihre deutschen Komponisten es verstehen, gerade die wunderbare Einfachheit des Volksliedes unendlich glücklich nachzuahmen.«

Und er begann nach einigen einleitenden Akkorden die Melodie zu spielen:

»Es ist bestimmt in Gottes Rat,
Daß man vom Liebsten, was man hat,
Muß scheiden.«

Die so eigentümlich ergreifenden Töne klangen durch die Salons, unwillkürlich verstummten die Gespräche oder sanken zum leisen Flüsterton herab.

Der Leutnant von Wendenstein zuckte in sich zusammen, als die einfache Melodie zu ihm herüberklang.

Wie mit einem Zauberschlag stieg hinter dem Schatten der mächtigen Platanen, auf denen sein Auge ruhte, das Amtshaus in Blechow herauf, das alte Wohnzimmer, in welchem seine Mutter in so lieber Traulichkeit schaltete. Vor seiner Seele erhob sich lebendig wie die Gegenwart jener bange Abend des Abschieds vor dem Feldzuge, als Helene bleich und zitternd ihm dieses Lieb als letzten Scheidegruß mitgab auf den Weg voll Todesgefahr, er sah sie wieder vor sich, jene lieben, treuen Augen, die ihm geleuchtet hatten, als er aus den Banden des Todes zum Leben erstand, und als jenes tröstende Schlußwort: »auf Wiedersehen« aus den Tiefen seines Herzens auf seine Lippen trat.

Sein Auge strahlte im reinen Licht, ein glückliches, ruhiges Lächeln spielte um seine Lippen – die glänzenden, berauschenden Nebel sanken nieder, und als der Graf Schmettow mit leise verklingendem Akkord schloß, flüsterte der junge Mann leise vor sich hin, das Wort Fausts verändernd:

»Die Erde sinkt – der Himmel hat mich wieder.«

»Ich liebe dies Lied sehr,« sagte Herr Meding. »Sie haben Recht, lieber Graf, es ist so vollendet gemacht, bah man glaubt, eine im Volksmund aufbewahrte Tradition der langentschwundenen Vergangenheit zu hören.«

Herr von Wendenstein war herangetreten.

»Ich habe überlegt,« sagte er, »ich kann morgen früh alles ordnen und im Laufe des Tages nach der Schweiz abreisen.«

»Um so besser,« erwiderte der Regierungsrat Meding, »je schneller Sie dorthin kommen, um so größer wird der Dienst sein, den Sie der Sache des Königs leisten.«

Nach kurzer Zeit brach man auf.

Herr von Wendenstein ging ruhig und heiter nach Hause, Zweifel und Kampf war aus seiner Seele verschwunden und bald versank er in friedlichen Schlaf voll schöner, reiner Träume.

Der Brief Helenes lag auf seinem Nachttisch.


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