Oskar Meding
Europäische Minen und Gegenminen
Oskar Meding

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Vierzigstes Kapitel.

Der Kaiser Napoleon war nach Paris und der Kaiser Franz Josef nach Wien zurückgekehrt. Die Konjekturalpolitik hatte allmählich aufgehört, sich mit der Zusammenkunft zu beschäftigen. Das einzige greifbare Resultat dieser so vielfach besprochenen Begegnung war die von den wiener und pariser Journalen einmütig verkündete Nachsicht, daß der Kaiser von Österreich im Oktober den Besuch Napoleons erwidern und zur Besichtigung der Ausstellung in Paris erscheinen werde. Bei diesem Besuche würden dann, so erzählten die mehr ober weniger offiziösen Korrespondenten aus Paris und Wien, die vorläufigen Besprechungen von Salzburg zu bestimmten Stipulationen erhoben werden.

Unbekümmert um alle Konjekturen, welche man an die Zusammenkunft in Salzburg geknüpft hatte, und welche man noch an den bevorstehenden Besuch des Kaisers von Österreich in Paris zu knüpfen fortfuhr, saß der Kanzler des norddeutschen Bundes vor dem großen Schreibtische in seinem Arbeitszimmer. Das Gesicht des Grafen Bismarck zeigte den Ausdruck ruhiger Heiterkeit, es schien nicht, daß irgendeine am Horizont der europäischen Zukunft aufsteigende Wolke seinen Gleichmut zu beeinträchtigen imstande sei. Er hielt einen Brief in der Hand, den man ihm soeben überbrachte, und durchlas aufmerksam dessen Inhalt.

Dies scheint allerdings die Handschrift Garibaldis zu sein,« sagte er, genau die Schriftzüge des Briefes prüfend, »er empfiehlt mir den Überbringer als einen vertrauenswürdigen Mann, der mir wichtige Mitteilungen zu machen habe. – Hören will ich ihn,« sagte er nach einigem Nachdenken, »wie ich alles zu hören gewohnt bin, was an mich herantritt, aber wer bürgt mir dafür, daß man mir nicht irgendeine Falle stellt, sei es von Österreich aus, um Konflikte mit Frankreich zu erregen, sei es auch von Paris aus! – Die Handschrift dieses Garibaldi ist so leicht nachzuahmen, und,« fuhr er fort, »wie leicht könnte man den alten, naiv fanatischen Kondottiere selbst zu einer Intrigue mißbrauchen, um mich zu kompromittieren!«

Er bewegte die Glocke. »Ist der Überbringer dieses Billetts noch da?« fragte er den Kammerdiener.

»Er hat unten die Antwort Eurer Exzellenz abwarten wollen.«

»Lassen Sie ihn rufen,« sagte der Graf, »ich will ihn empfangen.«

Nach einigen Minuten, während deren der Ministerpräsident langsam im Zimmer auf und nieder schritt, öffnete der Kammerdiener einem mittelgroßen, schlanken Mann in einfachem, schwarzen Anzug die Tür. Der Eintretende mochte etwa vierzig Jahre alt sein, sein Gesicht war gelblich bleich, das dunkle, lebhaft bewegte Auge sah unter den Wimpern hervor mit jenem eigentümlichen, halb träumerisch glühenden, halb lauernd zurückhaltenden Blicke, der allen Verschwörern aller Zeiten und Länder gemeinsam ist.

Graf Bismarck hatte sich der Tür zugewendet, ging dem Eintretenden einen Schritt entgegen und sprach, sich mit kalter Höflichkeit verneigend:

»Sie haben mir ein Einführungsschreiben des Generals Garibaldi gebracht, mein Herr, ich bin mit Vergnügen bereit, zu hören, was der General mir mitzuteilen hat.«

Er deutete auf einen seinem Schreibtisch gegenüber stehenden Lehnstuhl und setzte sich selbst auf der andern Seite vor seinem Schreibtisch nieder.

»Der General hat mich zu Eurer Exzellenz gesendet,« sagte der Fremde in französischer Sprache, »weil er das feste Vertrauen hat, daß die Gesinnungen und Überzeugungen, welche Sie im vorigen Jahre bei dem Abschluß einer Allianz mit Italien erfüllten, auch heute noch für Sie maßgebend sind, und daß Sie die tiefe Überzeugung des Generals teilen, die Einigung und Erstarkung Deutschlands zur nationalen Macht und Größe könne nur in inniger Verbindung mit dem Einigungswerk Italiens zur Vollendung gebracht werden, wie die Feinde der deutschen Einheit und derjenigen Italiens dieselben sind.«

Das klare, graue Auge des Grafen ruhte mit scharfem und durchdringendem Blicke auf dem Fremden, der eine gewisse Befangenheit nicht verbergen konnte unter dem Eindruck dieses eisernen und kalten Blicks.

»Ich habe durch die gemeinsame Aktion im vorigen Jahre bewiesen,« sagte Graf Bismarck mit ruhigem Tone, »wie sehr ich davon durchdrungen bin, daß die neuen, nationalen Gestaltungen in Italien und Deutschland viele gemeinsame Interessen bedingen und gemeinsamen Feinden begegnen, und durch meine Haltung seitdem glaube ich gezeigt zu haben, daß meine Ansichten in dieser Beziehung sich nicht geändert haben, wenn ich auch zuweilen nicht habe verkennen können, daß eine gleiche Kontinuität der Ansichten bei der italienischen Regierung nicht immer stattzufinden schien.«

»Die italienische Regierung ist nicht das italienische Volk, Herr Graf,« sagte der Fremde, »in diesem Augenblicke am allerwenigsten. Es machen sich am Hofe zu Florenz in diesem Augenblicke maßgebende Einflüsse geltend, welche von Paris aus geleitet werden, und welche nach der Überzeugung des Generals und aller italienischen Patrioten geradezu den wahren Interessen der Nation entgegenarbeiten.«

Graf Bismarck neigte ruhig und schweigend das Haupt, es wäre schwer zu sagen gewesen, ob zum Zeichen des Einverständnisses mit den Worten des Sprechenden oder der bereitwilligen Aufmerksamkeit, seinen weiteren Eröffnungen zuzuhören.

»Eure Exzellenz haben noch mehr Mittel als wir,« fuhr der Emissär Garibaldis fort, »um die Fäden der europäischen Politik zu verfolgen, es wird daher Ihrem Blicke nicht entgangen sein, was vor uns klar daliegt, daß nämlich in diesem Augenblick ein Plan gesponnen wird, der in Salzburg zuerst Form erhielt und der bei dem Besuch des Kaisers von Österreich in Paris, wo auch Viktor Emanuel anwesend sein soll, zur Vollendung gebracht zu werden bestimmt ist.«

Ein leichtes Lächeln glitt wie ein unwillkürliches Zucken über das ernste Gesicht des Ministerpräsidenten, dann blickte er mit unverändertem Ausdruck einer gespannten, fast neugierigen Aufmerksamkeit zu seinem Besuche hinüber.

»Es handelt sich darum,« fuhr dieser fort, »die französisch-österreichische Allianz, welche dem weiteren Fortschritt der deutschen Einigungsbewegung entgegengestellt werden soll, durch den verbindenden Eintritt Italiens in diese Kombination zu ermöglichen, und mit kleinlichen und ungenügenden Konzessionen das Nationalgefühl und die nationalen Forderungen des italienischen Volkes einzuschläfern, um das große Ziel, die Erhebung der nationalen Fahne auf dem Kapitol, zu beseitigen. – Ein solche Politik wäre aber,« sprach er lebhaft weiter, »für Italien geradezu eine selbstmörderische, denn sie würde dahin führen, daß diesseits wie jenseits der Alpen eine unfertige, in ewigem, innerem, unruhigem Ringen sich aufreibende Staatsform erhalten bliebe, welche es der französischen und österreichischen Politik möglich machen würde, ihren zersetzenden und durch, die Zersetzung herrschenden Einfluß nach beiden Richtungen ferner auszuüben und mit der Zeit auch das wieder zu zerstören, was unter der Mitwirkung Napoleons geschaffen ist, der heute schon bitter bereut, zu der Einigung Italiens aktiv – und zu derjenigen Deutschlands passiv seine Hand geboten zu haben.«

Er hielt inne.

»Und wie glaubt der General Garibaldi den Plänen begegnen zu können, über deren Existenz Sie mir zu sprechen die Güte haben, und deren Ausführung, wie ich anerkenne, wenn sie in der Absicht der betreffenden Kabinette liegen sollte, für Deutschland ebenso bedenklich wäre wie für Italien?«

Ein gewisses Erstaunen zeigte sich auf dein Gesichte des Boten Garibaldis.

»Die Ausführung dieser Pläne,« sagte er, »liegt in der Tat in der Absicht der Kabinette und ist bereits weit vorgeschritten, daß sie nicht noch weiter gediehen ist, liegt vielleicht nur an einem gewissen Widerstreben des Kaisers Franz Josef und an dem ängstlichen Zögern Ratazzis, der die mächtige Aufwallung des nationalen Unwillens in Italien fürchtet und durch allerlei kleine Mittel und Intriguen zurückzuhalten sucht. Wir haben die Beweise,« fuhr er fort, indem er einige Papiere aus seiner Tasche zog, »daß –«

Graf Bismarck machte eine abwehrende Handbewegung.

»Wir sprachen von Eventualitäten, deren Möglichkeit die Erörterung anderer Eventualitäten bedingt, um gemeinsamen Gefahren zu begegnen, bleiben wir dabei – nach Erörterung dieser Eventualitäten wird es Zeit sein, zu erwägen, ob es geboten sei, das Gebiet der Tatsachen zu betreten. – Was glaubt der General vorbereiten und tun zu müssen, um die Ausführung der Pläne, welche er voraussetzt, zu verhindern?«

Der Fremde unterdrückte einen gewissen Ausdruck von Enttäuschung, der bei den Worten des Ministers auf seinem Gesicht erschien, und fuhr fort, indem er seine Papiere wieder in die Tasche seines Rockes steckte:

»Wie die Regierung zu Florenz, französischen Einflüssen gehorchend, daran arbeitet, das nationale Gefühl einzuschläfern und Italien in eine Kombination hineinzuführen, welche die Entwickelung zur nationalen Größe und Macht für lange Zeit unterbrechen muß, während dies Werk der Finsternis, dieser große Verrat an der Sache des Volks sich vorbereitet, ist es die Aufgabe der wahren Patrioten, durch einen reinigenden und plötzlich erhellenden Wetterschlag das Volk zu erwecken und ihm das Ziel seines Strebens in scharfer Erleuchtung vor Augen zu führen, das Volk wird schnell begreifen, wo seine wahren Interessen liegen, die Regierung wird der Aufwallung des Volkswillens folgen müssen, die Verräter werden stürzen, und vielleicht wird es gelingen, mit einem kräftigen Schlag das Werk zu vollenden und das Gebäude der nationalen Einheit Italiens auf dem Kapitol zu krönen. – Ich habe,« fuhr er lebhafter fort, »die Zuversicht, daß dies gelingen wird – und wenn es gelingt – wenn es unter dem Beistande Eurer Exzellenz gelingt, so wird Deutschland an dem zu voller Macht erstarkten Italien einen treuen und tatkräftigen Bundesgenossen haben, der jederzeit bereit sein wird, ihm die Hand zu bieten, um auch seinerseits alle Schranken niederzuwerfen, welche innere und äußere Feinde seiner Einigung noch entgegenstellen. – Ich spreche besonders auch,« fuhr er fort, als Graf Bismarck in ruhigem Schweigen verharrte, »von den inneren Feinden – denn auch diese sind bei den Nationen gemeinsam wie die äußeren. Das Papsttum und die von ihm abhängige Hierarchie bekämpft mit allen Mitteln die italienische Einheit, weniger um des Glaubens willen – denn Italien ist katholisch und wird trotz aller freien Ideen, die das Volk durchziehen und bewegen, gut katholisch bleiben, das Papsttum kämpft vielmehr gegen die italienische Einheit in törichter Verblendung zur Erhaltung des absolutistischen Priesterstaats, den es für sein besonderes Recht und für die wesentlichste Stütze seiner Macht hält. Man begreift in Rom nicht, daß das Papsttum unendlich mächtiger wäre, wenn es der nationalen Bewegung die Hand reichte, sich an die Spitze derselben stellte und so, von dem gewaltigen Aufschwunge des Volkes getragen, eine neue Herrschaft begründete, der die Zukunft gehören würde. – Doch das ist vorbei,« fuhr er seufzend fort, »es ist der Krieg auf Leben und Tod erklärt zwischen der Nation und der Kirche, wie sie jetzt ist – und mögen diejenigen es verantworten, welche ihn heraufbeschworen haben. – Wie aber,« sprach er weiter, »das Papsttum die nationale Einigung Italiens bekämpft, um seinen politisch absoluten Priesterstaat zu erhalten, so wird es die Einigung Deutschlands aus religiösen Gründen bekämpfen. Einen deutschen Kaiser würde der Vatikan gern akzeptieren, aber daß dieser deutsche Kaiser ein protestantischer Fürst sein soll, das das freisinnige Berlin der Mittelpunkt Deutschlands werden soll, das wird man in Rom nicht zulassen wollen, und bald wird man alle Dämonen der Finsternis heraufbeschwören, um die Wurzeln der nationalen Einheit in Deutschland zu untergraben und den Religionshaß mit seiner zerstörenden Furienfackel aufzuhetzen gegen die einträchtige Erstarkung des Volkes.«

»Wir haben uns in keiner Weise über die römische Kurie zu beklagen,« sagte Graf Bismarck ruhig, »und Preußen, in dessen Hand die nationale Zukunft Deutschlands liegt, hat viele sehr patriotisch gesinnte katholische Untertanen; wenn also der König von Preußen persönlich Protestant ist, so ist er als Staatsoberhaupt doch wahrlich kein Feind der Katholiken, und ich sehe in der Tat nicht, welche Veranlassung das Papsttum haben könnte, sich der Erstarkung Deutschlands unter preußischer Führung entgegenzustellen.«

»Und doch wird es geschehen,« erwiderte der Agent Garibaldis, »blicken Sie hin auf Süddeutschland, auf die Volkspresse in Bayern, auf Polen, überall regt und bewegt sich der zersetzende, feindselige Einfluß der ultramontanen Parteiführer – und wenn heute die römische Kurie noch keine offizielle Stellung in diesem Kampfe nimmt, so wird dies früher oder später geschehen, früher oder später wird die Maske fallen, Sie werden sich und Ihr Werk dem hartnäckigen und erbitterten Eifer der unversöhnlichen Hierarchie gegenüber sehen.«

»Wenn das geschehen sollte,« sagte Graf Bismarck mit fester, volltönender Stimme, »wird man mich stets bereit finden, den Kampf aufzunehmen und die Waffen nicht eher niederzulegen, als bis der Gegner überwunden ist. Ich meinerseits aber habe keinen Grund, einen solchen Streit heraufzubeschwören.«

»Ich habe,« sagte der Italiener, »diesen Gegenstand nur berührt, um meine Ansicht über die Zusammengehörigkeit der Interessen von Deutschland und Italien vollkommen klar zu machen; ich will mir nun erlauben, den Weg zu bezeichnen, auf welchem der General die Nation zu erwecken und die verräterischen Pläne des gegenwärtigen Ministeriums zu durchkreuzen denkt. Der General hat den Rat seiner Getreuen versammelt und beabsichtigt sogleich einen Zug gegen Rom zu unternehmen, welcher den nationalen Geist mächtig erwecken, und das Ministerium zwingen wird, Farbe zu bekennen. Mag Ratazzi noch so sehr dem Einflüsse Frankreichs gehorchen, der König Viktor Emanuel wird der nationalen Bewegung folgen, und was die Hauptsache ist, Frankreich wird gezwungen sein, uns entweder Rom auszuliefern, oder aber sich der nationalen Erhebung mit den Waffen in der Hand entgegenzustellen und damit für immer jede Allianz mit Italien für sich unmöglich zu machen.«

»Es liegt viel Wahres und Richtiges in der politischen Kombination, die Sie mir soeben entwickeln; jeder Staatsmann in Europa hat gewiß das höchste Interesse, eine Bewegung, wie die von Ihnen angedeutete, mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zu verfolgen. Ich danke Ihnen für das Vertrauen und vermag nur nicht genau zu sehen, in welcher Weise die von Ihnen vorhin als wünschenswert bezeichnete Mitwirkung meinerseits bei dem vom General beabsichtigten Unternehmen würde eintreten können.«

»Ich werde die Natur der Mitwirkung Eurer Exzellenz an einem für Deutschland so wichtigen Werke mit zwei Worten bezeichnen,« sagte der Abgesandte Garibaldis; »der General hat Mannschaften genug für sein Unternehmen, denn die ganze Jugend Italiens wird zu seinen Fahnen strömen, aber er hat keine Waffen und kein Geld, oder wenigstens nicht Waffen und nicht Geld genug, um ein zu nachhaltiger, militärischer Aktion befähigtes Korps auszurüsten und zu unterhalten.«

»Und der General erwartet von mir Waffen und Geld?« fragte Graf Bismarck, den stahlscharfen Blick gerade auf den Sprechenden richtend, indem ein eigentümliches Zucken um seine Mundwinkel spielte.

»Wenn Eure Exzellenz von der Gemeinsamkeit der Interessen Deutschlands und Italiens überzeugt sind, so werden Sie in einer solchen Unterstützung, welche kein völkerrechtliches Hervortreten bedingt, nur die Förderung der deutschen Sache erblicken.«

Graf Bismarck schwieg einen Augenblick, wahrend des Italieners brennende Augen erwartungsvoll auf seinem Gesichte ruhten.

»Die Frage, welche Sie angeregt haben,« sagte der Ministerpräsident, »hat zwei Seiten, eine rechtlich politische und eine materiell praktische. Was zunächst die letztere betrifft, so muß ich Ihnen sagen, daß ich über keine Mittel zu verfügen imstande bin, welche sich der Genehmigung der Kammern entziehen könnten, und nicht früher oder später zum Gegenstand der öffentlichen Diskussion werden müßten.«

»Ich bin überzeugt,« warf der Italiener ein, »daß die Sache Italiens bei der Majorität der preußischen Kammer populär genug ist, um die Genehmigung einer solchen Verwendung außer Zweifel zu stellen.«

»Parlamentarische Majoritäten,« erwiderte Graf Bismarck, »lassen sich nach meiner Erfahrung niemals vorher bestimmen. Es ist indes nicht dieser Gesichtspunkt, von welchem aus ich meine vorherige Bemerkung gemacht habe, ob die Kammer darüber sympathisch denke oder nicht, kann kaum in Frage kommen, denn ich würde niemals in der Lage sein, eine Verwendung von Geld, wie sie der General wünscht, zum Gegenstand einer Vorlage zu machen. Das Unternehmen des Generals, so patriotisch seine Beweggründe sein mögen, worüber ja nur Ihre Landsleute zu kompetenter Beurteilung berechtigt sind, richtet sich nicht nur gegen Rom, sondern auch, formell wenigstens, gegen die italienische Regierung, und endlich gegen Frankreich. Mit allen drei Mächten steht Preußen und der norddeutsche Bund in friedlichen und freundschaftlichen Beziehungen. Wie sollte es mir möglich werden, unter solchen Verhältnissen das im Werke befindliche Unternehmen auch nur durch Subsidien zu unterstützen? Sie werden begreifen, daß es mir schon aus diesem Grunde ganz unmöglich ist, den Wunsch des Generals, zu erfüllen.«

Der Italiener senkte den Blick zu Boden.

»Ich hatte gehofft,« sagte er, daß, wo so große Ziele in Frage stehen, formelle Hindernisse die Entschließungen Eurer Exzellenz nicht beengen würden.«

»Die Rechtsnormen des internationalen Verkehrs sind eine wesentliche Bedingung des Lebens zivilisierter Völker,« erwiderte Graf Bismarck mit fester Stimme, »und niemals werde ich mich dem berechtigten Vorwurf aussetzen, die Rechtsnormen mißachtet zu haben.«

Er schwieg und blickte nachdenkend und forschend zu dem Italiener hinüber, der still dasaß und kaum zu wissen schien, wie er das an diesem Punkte angelangte Gespräch weiter führen solle.

»Um dem General zu beweisen,« sagte der Ministerpräsident nach einer Pause, »wie sehr ich sein Streben für die Unabhängigkeit seines Landes achte, obwohl ich offen gestehen muß, daß ich keine Chancen des Erfolges für sein Unternehmen zu entdecken vermag, so will ich eine weitere Unterhaltung über den Gegenstand Ihrer Mitteilung nicht zurückweisen, wenn Sie damit einverstanden sind, daß der Geschäftsträger Italiens an dieser Unterhaltung teilnimmt.«

Der Agent Garibaldis erhob sich rasch.

»So tief ich bedaure,« sagte er mit resigniertem Ausdrucke, »die Wünsche des Generals und diejenigen aller Patrioten meines Landes nicht erfüllt sehen zu können, so muß ich doch unter dieser Bedingung auf eine weitere Unterhaltung über den angeregten Gegenstand verzichten. Ich habe nur noch die Bitte auszusprechen, daß Eure Exzellenz meine Mitteilungen als ganz vertrauliche zu betrachten die Güte haben mögen.«

»Ich weiß persönlich dem Vertrauen stets zu entsprechen,« sagte Graf Bismarck, ebenfalls aufstehend, »und der General kann überzeugt sein, daß das seinige nicht getäuscht werden wird; wenn politische Rücksichten auf die Regeln des nationalen Verkehrs meine Handlungen bestimmen müssen, so kann doch in diesen Rücksichten keine Veranlassung für mich liegen, Dinge, die mir persönlich mitgeteilt werden, denunziatorisch andern zur Kenntnis zu bringen.«

»Ich danke Eurer Exzellenz für diese Versicherung,« sagte der Italiener, »und habe nur noch meine Freude auszudrücken, daß die Mission des Generals Garibaldi mir Gelegenheit gegeben hat, den großen Regenerator Deutschlands von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Glauben Eure Exzellenz auch jetzt uns Ihren Beistand versagen zu müssen, so bitte ich Sie doch, von mir im Namen aller italienischen Patrioten die innigsten Wünsche für das Gelingen Ihres großen nationalen Werkes entgegenzunehmen.«

Graf Bismarck verneigte sich mit schweigender Höflichkeit und begleitete den Emissär Garibaldis einige Schritte nach der Tür des Kabinetts hin.

»Das Schicksal ist mir günstig,« sagte er, indem er leicht die Hände reibend einige Male im Zimmer auf und nieder ging. – »Während man in Paris und Wien künstliche Pläne spinnt, um der deutschen Entwicklung eine Koalition entgegenzustellen, welche mich einengen und zurückdrängen soll, kommt mir dieser Garibaldi wie ein deus ex machina zu Hilfe und bereitet einen Handstreich vor, der für mich von großem Wert ist. Er wird Rom nicht gewinnen, dieser arme Enthusiast,« sagte er achselzuckend, »alle diese Italiener, die Freischaren so wenig wie die Regierungstruppen, werden etwas ausrichten, so lange der französische Adler die ewige Stadt und den Papst beschützt. Aber das wird jedenfalls erreicht werden durch diese Diversion, daß die in Salzburg so fein geplante Koalition in ihrer innersten Wurzel tötlich getroffen wird, – Ja, ja,« sagte er lachend, »mein Herr von Beust, mit den feinen Spinngeweben Ihrer politischen Kombination fesselt man das erwachende Deutschland nicht. – Doch,« sagte er, rasch zu seinem Schreibtisch tretend, »es ist immerhin erforderlich, diesen eigentümlichen und geheimen Abgesandten Garibaldis ein wenig zu überwachen und mich zu vergewissern, was er treibt und wo er bleibt.«

Er ergriff einen Bogen Papier, warf rasch einige Zeilen seiner großen und charakteristischen Handschrift auf dasselbe, verschloß es mit dem auf dem Tisch stehenden Petschaft und bewegte die Glocke.

»Dies Billett sogleich an den Polizeipräsidenten,« befahl er dem eintretenden Kammerdiener.

»Zu Befehl, Eure Exzellenz.«

»Ist jemand im Vorzimmer?«

»Der französische Botschafter ist soeben gekommen, ich war im Begriff, ihn Eurer Exzellenz zu melden.«

»Führen Sie ihn sogleich herein,« sagte Graf Bismarck. – »Er ahnt nicht, welche Mitteilung mir soeben gemacht ist,« flüsterte er, während der Kammerdiener dem Botschafter die Tür öffnete.

Lächelnd trat der Botschafter des Kaisers Napoleon in das Kabinett, glatt und geschmeidig wie immer, mit ausgesuchter Höflichkeit begrüßte ihn der Graf Bismarck. Wer die Begegnung des Ministers und des Diplomaten hätte sehen können, der hätte die Überzeugung gewinnen müssen, daß die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland die allerbesten und vorzüglichsten seien und daß auf der Grundlage dieser so freundlichen und innigen Beziehungen der europäische Frieden so sicher und fest als möglich beruhe.

Der Botschafter nahm den Platz ein, welchen unmittelbar vorher der Agent Garibaldis inne gehabt, Graf Bismarck setzte sich vor seinen Schreibtisch, mit verbindlicher Aufmerksamkeit die Anrede Benedettis erwartend.

»Ich möchte mir erlauben,« sagte dieser, »heute Ihre Aufmerksamkeit, mein lieber Graf, ein wenig auf die Lage Europas und auf einige für dieselbe besonders wichtige Fragen zu lenken. Es ist nicht nur mein persönlicher Wunsch, meine Ideen mit Ihnen auszutauschen, der mich dabei leitet, ich bin besonders dazu durch meine Regierung veranlaßt, da der Kaiser, wie Sie wissen, einen besonders hohen Wert darauf legt, mit der preußischen Regierung und mit Ihnen,« fügte er mit Betonung hinzu, »in allen Fragen einig zu sein.«

»Ich erkenne besonders dankbar diesen Wunsch des Kaisers an,« sagte Graf Bismarck sich verneigend, »und er begegnet vollständig dem meinigen, der – abgesehen von der hohen Achtung, welche ich stets vor den Meinungen des Kaisers habe – aus der innigen und aufrichtigen Überzeugung entspringt, daß die Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich eine wesentliche Bedingung für die Ruhe Europas ist. Der Kaiser hat sich übrigens persönlich stets überzeugen können, daß in so vielen und wesentlichen Punkten unsere Anschauungen ganz die gleichen sind.«

»Ich darf Ihnen nicht ganz verhehlen,« sagte Benedetti, den ruhig gleichgültigen Blick seines fast ausdruckslosen Auges auf das Gesicht des Ministers richtend, »daß in Paris ein wenig – wie soll ich sagen? – Besorgnis – oder Unruhe darüber besteht, daß die nahen und augenscheinlich immer inniger sich gestaltenden Beziehungen zwischen Preußen und Rußland, dessen Interessen im Orient ja nicht immer mit denjenigen Frankreichs zusammenfallen können, Ihren Beziehungen zu uns vielleicht ein wenig Eintrag tun können.«

»Mein lieber Botschafter,« sagte Graf Bismarck lachend mit dem Ausdruck kordialer Offenheit, »Sie sehen Gespenster, wo keine sind. – Die guten Beziehungen Preußens zu Rußland – basieren übrigens auf der Verwandtschaft der beiden Regentenhäuser und auf Traditionen, welche beiden fürstlichen Familien heilig sind, bestehen seit langer Zeit und sind auf jede Weise vor den Augen von ganz Europa zu jeder Zeit manifestiert worden. Zu diesen Beziehungen persönlicher Natur tritt die Nachbarschaft beider Länder, deren Verkehrsbeziehungen immer mehr und dringender die Beseitigung hemmender Schranken erheischen, divergierende oder kollidierende Interessen liegen nirgends vor, was ist also natürlicher, als daß von beiden Seiten die freundschaftlichen Beziehungen auf das Sorgfältigste gepflegt werden! Darin liegt aber gewiß kein Grund, hinter diesen so natürlichen Beziehungen politische Abmachungen zu suchen, welche imstande sein könnten, unserem Freundschaftsverhältnis zu Frankreich Eintrag zu tun oder uns in der Behandlung der Fragen der europäischen Politik die Hände zu binden.«

»Es ist mir besonders erfreulich,« sagte der Botschafter, »diese Versicherung in diesem Augenblick aus Ihrem Munde zu erhalten, da die eine der Fragen, über welche ich Sie zu unterhalten veranlaßt bin, diejenige des Orients ist, welche stets die besondere Aufmerksamkeit des Kaisers in Anspruch nimmt.«

Der heiter, sorglose Ausdruck in dem Gesicht des Grafen Bismarck machte einen Augenblick einer ernsten Aufmerksamkeit Platz. Durch eine schweigende Neigung des Hauptes deutete er an, daß er zu hören bereit sei.

»Es kann Ihnen nicht entgangen sein,« fuhr der Botschafter fort, »daß sich sowohl in dem Bassin der untern Donau als von Griechenland aus in der letzten Zeit eine lebhafte und systematisch stets wieder in Gang gebrachte Bewegung bemerkbar gemacht hat.«

»Unruhen,« warf Graf Bismarck achselzuckend hin, »die in jenen Gegenden natürlich sind und von Zeit zu Zeit immer auftauchen. Ungeordnete und gärende politische und soziale Zustände bringen das mit sich.«

»Gegenwärtig indes,« sagte Benedetti, »scheint diese allerdings sehr natürliche Gärung auf den verschiedenen Punkten in einem inneren Zusammenhang zu stehen und zu bestimmten Zwecken geleitet zu werden. Die panslavistische Aktion, welche sich mit einer bewundernswerten Organisation weithin – selbst bis in die österreichischen Gebiete erstreckt, die allgemeine Bewegung in der griechischen Kirche, das alles sind Strömungen, welche, wenn sie wachsend fortschreiten, schließlich dahin führen müssen, daß die Türkei zerfällt und verschwindet, und daß die russische Macht, verstärkt und gesteigert durch den religiösen Einfluß, sich unumschränkt über den ganzen Osten erstreckt.«

»Das scheint mir jedenfalls in weiter Zukunft zu liegen,« erwiderte Graf Bismarck, »und für die heutige Lage der Dinge dürfte es kaum nötig sein, sich mit Eventualitäten künftiger Tage zu beschäftigen, deren Eintritt wohl erst zu einer Zeit stattfinden wird, in der andere Verhältnisse die Politik Europas bestimmen und – andere Männer dieselbe leiten werden.«

»Ich, möchte über den fernen Zeitpunkt des Eintritts ernster Krisen nicht ganz Ihrer Meinung beistimmen,« sagte der Botschafter ruhig, »solche Entwickelungen schreiten oft sehr schnell vor und würden, wenn sie unvorbereitet hereinbrächen, große Gefahren für die Ruhe Europas in sich schließen. – Ich bin weit entfernt, zu behaupten,« fuhr er fort, »und habe keine Beweise dafür, daß die russische Regierung in der ganzen, wie es scheint, zusammenhängenden Bewegung, welche den Orient durchzieht, irgendeine leitende oder gar anregende Tätigkeit entwickelt; zweifellos aber ist es, daß die Früchte dieser Bewegung Rußland zugute kommen müssen, und es ist unmöglich, daß in solcher Lage eine Regierung lange sich dem Einfluß der eigenen Interessen entziehen könne, oder einer ihr nützlichen Bewegung hemmend entgegentreten solle.«

»Wir haben allerdings ein Beispiel davon in Italien gesehen, wo die Regierung von Turin – und auch Frankreich – in eine lange von den Parteien vorbereitete Bewegung eintrat, als es galt, die gereifte Frucht zu brechen,« sagte Graf Bismarck, indem sein klares Auge sich durchdringend auf den Botschafter richtete, »indes möchte ich kaum glauben, daß in irgend naher Zeit etwas ähnliches in jenen orientalischen Gegenden zu besorgen sei, wo ja ohnedies die Verhältnisse weit verwickelter und weit schwieriger zu beherrschen sind.«

»Wo aber,« fiel der Botschafter ein, »die zerbröckelnde und in sich schwache Türkei auch einer viel geschlosseneren und imposanteren Macht gegenübersteht, als zu jener Zeit das Königreich Sardinien es war –«

»Sardinien war freilich nur klein,« sagte Graf Bismarck, »doch stand ihm Frankreich zur Seite.«

Der Botschafter schien die letztere Bemerkung zu überhören, sein glattes Gesicht blieb unbeweglich in seinem Ausdruck unveränderlicher, höflicher Gleichgültigkeit.

»Der Kaiser,« fuhr er fort, »ist nun der Ansicht, daß es notwendig sei, einer hochgefährlichen Entwickelung der Dinge im Orient rechtzeitig und in einem Augenblick vorzubeugen, in welchem noch nicht die hochgehenden Wogen eine erfolgreiche Einwirkung unmöglich machen. Der Kaiser erkennt gern an, daß die Bestimmungen des Pariser Friedens der nationalökonomischen und handelspolitischen Entwickelung Rußlands zu enge und hemmende Grenzen stecken. Er ist deshalb bereit, in bezug auf die Schiffahrt und die Küstenverteidigung des schwarzen Meeres zu einer Revision jenes Vertrages die Hand zu bieten; auf der andern Seite aber ist der Kaiser und seine Regierung überzeugt von der Notwendigkeit, die Integrität der Türkei zu erhalten, wenn das europäische Gleichgewicht nicht schweren Erschütterungen ausgesetzt werden soll. Um also allen gefährlichen Katastrophen vorzubeugen, würde es gewiß am zweckmäßigsten sein, wenn die ganze Lage der Dinge im Orient von den Großmächten einer Prüfung unterzogen würde, wonach dann alle dortigen Verhältnisse geordnet, definitiv festgestellt und unter die Garantie Europas gestellt werden müßten. Die Türkei würde sich den notwendigen Reformen nicht entziehen und ebensowenig würde Rußland wagen, Gedanken an ein orientalisches Weltreich aufkommen zu lassen, oder dahin zielenden Anregungen Gehör zu geben, wenn es sich dem Willen des einigen Europas gegenüber sähe.«

Er hielt einen Augenblick inne.

Graf Bismarck schwieg.

»Es ist nun der Gedanke des Kaisers,« fuhr Benedetti fort, »daß die Anregung einer solchen Prüfung der orientalischen Frage, durch welche, wenn sie Erfolg haben soll, niemand verletzt werden soll und keine Empfindlichkeiten erweckt werden dürfen, daß diese Anregung am besten von Preußen ausgehen würde, da dasselbe dem Konflikt fernstand, welcher den Krimkrieg und den Pariser Frieden zur Folge hatte. Da das freundschaftliche Verhältnis Preußens zu Rußland jeden Verdacht einer feindlichen Absicht ausschließen muß, so würde gewiß der nützliche Erfolg einer gemeinsamen europäischen Prüfung der Verhältnisse des Orients am meisten gesichert sein, wenn die preußische Regierung sich entschließen könnte, die Initiative dazu bei den übrigen Mächten zu ergreifen. Es würde sich dabei natürlich von selbst verstehen, daß zwischen Frankreich und Preußen die bestimmenden Gesichtspunkte vorher festgestellt werden, damit diese beiden Mächte sowohl bei der Anregung als bei der weiteren Behandlung der ganzen Sache in vollständigster Übereinstimmung sich befinden.«

Er schwieg und blickte erwartungsvoll zu dem Grafen hinüber.

»Ich erkenne,« sagte dieser ernst und ruhig, »in den Gedanken des Kaisers von neuem dessen Bestreben, alle Gefahren zu beschwören, welche dem europäischen Frieden drohen könnten, und daneben seinen Wunsch, mit Preußen gemeinsam an diesem Ziel zu arbeiten. Ich muß indes,« fuhr er fort, »mit der Offenheit, welche die erste Bedingung des Verkehrs zwischen zwei befreundeten Mächten ist, sogleich erklären, daß ich nicht einzusehen vermag, wie durch einen europäischen Meinungsaustausch die orientalische Frage, oder vielmehr die orientalischen Fragen irgend gelöst oder auch nur einer späteren Lösung entgegengeführt werden könnten. Die dort schlummernden Konflikte liegen so tief in dem innersten Wesen aller Verhältnisse begründet, daß es meiner Ansicht nach unmöglich ist, sie definitiv auszugleichen. Jedes Anrühren derselben kann nur zu einer Explosion führen, wie es 1854 zu einer solchen geführt hat. Läßt man sie schlummern, so werden sie hoffentlich noch jahrhundertelang weiter schlummern, wie sie es schon jahrhundertelang getan haben, es ist das eine chronische Krankheit, bei der man sich nur hüten muß, sie durch unvorsichtige Kuren zu einer akuten Krisis zu führen. – Das ist meine Meinung über die ganze orientalische Angelegenheit im allgemeinen,« sagte er, während der Botschafter nicht imstande war, ein gewisses Erstaunen über diese kurze und bündige Erklärung ganz zu unterdrücken, »außerdem aber glaube ich, daß Preußen ganz insbesondere keinen Beruf hat, sich überhaupt in diese Frage zu mischen, am allerwenigsten aber eine besonders hervortretende Tätigkeit in derselben zu entwickeln oder eine Initiative zu übernehmen. – Ich persönlich,« fuhr er fort, »bin im ganzen wenig genau über die orientalischen Verhältnisse informiert, ich lese, wie ich Ihnen schon bei früherer Gelegenheit bemerkte, selten die Berichte von dort, weil in der Tat weit näher liegende Interessen meine Zeit vollständig in Anspruch nehmen – aber auch aus allgemeinen politischen Gründen halte ich es für Preußen für notwendig geboten, in jenen Fragen, in welchen ja vorzugsweise England und Frankreich bisher tätig gewesen, eine vollkommen passive Rolle zu spielen.«

»Und Sie würden nicht geneigt sein – aus dieser passiven Rolle herauszutreten, auch nicht durch einen Ideenaustausch – der noch keine Aktion ist?« fragte Benedetti.

»Ich bin ein sehr praktischer Mensch, mein lieber Botschafter,« sagte Graf Bismarck in kordialem Ton, »und beschäftige mich gern mit Fragen, die ein augenblickliches, nachdrückliches und erfolgreiches Handeln bedingen und möglich machen, hier vermag ich aber in der Tat nicht abzusehen, welchen praktischen Nutzen ein Austausch theoretischer Anschauungen haben könnte, ich muß Ihnen also aufrichtig gestehen, daß ich eine Erörterung jener Fragen, über die ich nicht vollständig orientiert bin, und eine Verständigung über dieselben mit dem Kaiser und seiner Regierung, die mir von hohem Werte ist und an der ich nicht zweifle, lieber vertagen möchte, bis dazu eine unmittelbare, praktische Veranlassung vorliegt.«

Benedetti hatte seine gleichmäßig ruhige Fassung wieder gefunden und sprach in einem Tone, als sei er durch die Erklärung des Grafen Bismarck vollständig befriedigt, weiter:

»Es bleibt mir noch übrig, dem Wunsche des Kaisers gemäß, Ihre Aufmerksamkeit auf eine zweite Frage zu lenken, welche den Interessen Preußens und Deutschlands, wie mir scheint, weniger fern liegt, und bereits mit denselben in inniger Verbindung gestanden hat, ich meine die Angelegenheiten Italiens.«

Graf Bismarck sah den Botschafter mit dem Ausdruck der Verwunderung an.

»Die Angelegenheiten Italiens?« fragte er, »und in welcher Weise sollten dieselben den Gegenstand von Erörterungen bilden können – die ganzen Verhältnisse dort sind ja in der Konsolidierung begriffen und der Septembervertrag regelt ja vollständig den delikaten Punkt des Verhältnisses zu Rom?«

»Und doch ist es gerade dieser Punkt,« sagte Benedetti, »welcher nach der Meinung des Kaisers eine ernste Erwägung und eine Einwirkung der Großmächte erheischt. – Die italienische Regierung,« fuhr er, dem fragenden Blick des Grafen Bismarck antwortend, fort, »hat ohne Zweifel die bestimmteste und festeste Absicht, alle ihre Verpflichtungen zu erfüllen und das Verhältnis zum römischen Hofe genau nach den Vertragsbestimmungen zu erhalten, indes ist gerade jene Regierung mehr als irgendeine andere von den Parteien und von derjenigen Strömung abhängig, durch welche das neue Königreich Italien gebildet worden.«

»Sollte es denn Parteien in Italien geben, welche daran denken könnten, durch neue Unruhen die dortigen Zustände zu erschüttern und die völkerrechtlichen Grundlagen des dort Erschaffenen zu zerstören?« fragte Graf Bismarck.

»Die Aktionspartei in Italien wird niemals ruhen,« erwiderte Benedetti, »bevor sie nicht ihr Programm durch die Erhebung von Rom zur Hauptstadt des Königreichs erfüllt sieht. Sie kann zeitweise untätig erscheinen, aber sie wird immer und immer wieder neue Versuche unternehmen. Gerade in diesem Augenblick,« fuhr er fort, seinen kalten Blick fast starr auf den Grafen Bismarck richtend, »gerade in diesem Augenblick scheint mir eine lebhafte Bewegung innerhalb jener Partei stattzufinden. Man hat gewiß Grund, mit besonderer Spannung den Kreuz- und Querfahrten Garibaldis an der päpstlichen Grenze zu folgen, es scheint die Annahme nicht unberechtigt, daß dort etwas in der Luft liege. Garibaldi war vor kurzem in Rapolano, einem kleinen Bade in der Provinz Siena, er hat aber diesen Ort bereits wieder verlassen und ist in Colle eingetroffen. Wohin er kommt, strömen die jungen Männer herbei und wird bei verschlossenen Türen verhandelt.«

»Ah!« machte Graf Bismarck, welcher mit großer Aufmerksamkeit den Worten des Botschafters gefolgt war.

»Auf der entgegengesetzten neapolitanisch-päpstlichen Grenze,« fuhr dieser fort, »zu Sora, ist plötzlich Garibaldis Sohn Menotti aufgetaucht. Sora ist ein berühmtes Räubernest, die Anwesenheit Menottis dort muß daher viel zu denken geben. Ich will Ihnen nicht verbergen, daß die Regierung des Kaisers bei dem hohen Interesse, das sie begreiflicherweise an diesen Vorgängen nehmen muß, Sorge getragen hat, um so gut als möglich über die dort gesponnenen Pläne unterrichtet zu werden. Unsere Agenten haben uns berichtet, daß Garibaldi jede Minute über eine kleine Armee von fünftausend Mann verfügen könne, daß fast in allen Städten der Halbinsel ehemalige Offiziere Garibaldis Werbungen vornehmen, nachdem sie von dem General neue Anstellungsdekrete erhalten haben. Zwar ist um das päpstliche Gebiet ein doppelter Kordon von vierzigtausend Mann Regierungstruppen gezogen, aber die Offiziere Garibaldis sprechen laut und offen davon, daß sie unter den Regimentern Einverständnisse haben, welche diesen Kordon illusorisch machen würden.«

Er hielt inne.

»Es scheint also, daß der alte Garibaldi wirklich wieder einen kleinen Streifzug unternehmen will,« sagte Graf Bismarck, »da wird ein wenig Pulver in die Luft gepufft werden, ernste Bedeutung vermag ich der Sache dennoch nicht beizulegen, die französische Fahne deckt Rom, und weder werden die Freischaren Garibaldis etwas gegen Ihre Truppen ausrichten, noch wird es die italienische Regierung wagen, offen gegen Frankreich aufzutreten.«

»Man kann nie wissen, wie weit die italienische Regierung von der Aktionspartei gedrängt wird,« sagte Benedetti, »jedenfalls wird das alles die Ruhe Europas wieder etwas erschüttern, und es wäre in der Tat sehr erwünscht, wenn diesen Zuständen einfürallemal ein Ende gemacht würde.«

»Das möchte schwer sein,« sagte Graf Bismarck.

»Der Kaiser ist der Meinung,« fuhr Benedetti fort, »daß es dennoch gelingen könnte, wenn man – und angesichts der neuen Verwicklungen so bald als möglich – eine Konferenz der Großmächte beriefe, welche die italienische Frage in Erwägung nähme, das Verhältnis zwischen der römischen Kurie und dem Königreich Italien definitiv regelte und unter ihre Garantie stellte. Eine solche Konferenz ist nicht nur durch den Einfluß gerechtfertigt, welchen die fortwährenden Bewegungen in Italien auf die Ruhe Europas ausüben, sondern ganz insbesondere durch die Stellung des Papstes als Oberhaupt der katholischen Kirche, denn alle katholischen Mächte ebenso wie diejenigen Staaten, welche eine große Anzahl katholischer Untertanen haben, sind in hohem Grade dafür interessiert, daß dem obersten Priester der katholischen Welt das für seine Stellung erforderliche Maß von Unabhängigkeit und Sicherheit erhalten bleibe.«

»Der französische Schutz wird dafür ohne Zweifel vollkommen genügen,« erwiderte Graf Bismarck mit verbindlicher Verneigung.

»Es ist nicht deshalb, wie ich glaube,« erwiderte Benedetti mit einem leisen Anklang von Verstimmung in seinem Ton, »daß der Kaiser die Frage vor eine Konferenz der europäischen Mächte zu bringen wünscht, Frankreich wird allerdings den Papst zu schützen wissen, aber dieser Schutz bedingt eben einen fortwährenden Kriegszustand. Es wird den Führern der Aktionspartei in Italien stets sehr leicht sein, die französische Intervention der Nation in einem höchst gehässigen Lichte darzustellen und unserer römischen Politik egoistische Absichten unterzuschieben, dadurch wird die Aufregung und die ihr folgende stete unruhige Bewegung nicht beendet. Anders wäre es, wenn durch die europäischen Mächte die Frage geregelt würde. Der Papst könnte einem Urteilsspruch der Großmächte sich in betreff der von ihm etwa zu fordernden Konzessionen eher fügen, als den Ansprüchen Italiens und dem einseitigen Rat, den wir ihm erteilen, die italienische Regierung auf der anderen Seite würde den vorwärts drängenden Parteien gegenüber fester und sicherer dastehen, wenn sie sich von den europäischen Mächten umgeben sähe, und die Nation selbst könnte der Gesamtheit dieser Mächte gegenüber jedenfalls keine ihr feindliche Absichten voraussetzen. – Der Kaiser hat deshalb die Absicht, eine Konferenz der Mächte vorzuschlagen, möchte sich aber gern mit Ihrem Könige darüber vorher in Akkord setzen, und neigt zu der Ansicht, daß vielleicht Preußen, welches als Alliierter Italiens vom vorigen Jahre der dortigen Sympathien sicher ist, und welches zugleich als nichtkatholische Macht dem römischen Stuhl gegenüber eine freiere Stellung einnimmt, in dieser Sache die Initiative ergreifen könnte.«

»Ich muß Ihnen, mein lieber Botschafter,« erwiderte Graf Bismarck, als Benedetti schwieg, »auch in dieser Angelegenheit ebenso offen meine abweichende Meinung aussprechen, als in betreff des Orients. Ich halte ein definitives Arrangement zwischen dem Papst und der italienischen Regierung – das heißt zwischen dem Papst von heute und der italienischen Regierung von heute – für vollständig unmöglich. Italien wird an der Forderung Roms als Hauptstadt festhalten, der Papst bleibt bei seinem: Non possumus stehen. Zwischen diesen Gegensätzen gibt es nichts anderes als einen praktischen modus vivendi, und zwar wird derselbe niemals de jure, sondern nur de facto gerade so lange bestehen, als eine stärkere Macht ihn beiden Teilen mit gewaltig übermächtiger Hand auflegt. Diesen status quo, haben Sie geschaffen und haben die Macht, ihn zu erhalten; jeder Versuch, etwas anderes an die Stelle zu setzen, müßte nach meiner Ansicht alles in Frage stellen und könnte leicht herbeiführen, was vermieden werden soll, eine gewaltsame Katastrophe und eine große Gefahr für den europäischen Frieden. Was nun Preußen und die Stellung des Königs insbesondere betrifft,« fuhr er fort, mit einem Federmesser ein wenig an der Spitze seines Fingernagels schnitzelnd, »so muß ich Ihnen sagen, daß nach meiner Überzeugung unsere Lage uns ganz besonders zurückhaltende Rücksichten in dieser Frage auferlegt. Der König muß – gerade, weil er Protestant ist – als Landesherr einer so bedeutenden Anzahl sehr eifriger und sehr strenger Katholiken, ganz besonders vorsichtig sein; das katholische Westfalen, die Rheinprovinz, Schlesien, die so delikate polnische Frage – das alles steht mit der Stellung zum Papste in nahem Zusammenhang, und es scheint mir für den König von Preußen vorgezeichnet, den Papst ausschließlich als Oberhaupt der Kirche zu behandeln und dessen weltliche Stellung und sein Verhältnis zu Italien niemals zu berühren, jeder Schritt in dieser Richtung müßte uns mehr mißgedeutet werden, als jeder anderen Macht. Ebensosehr bedingt unser Verhältnis zu Italien die höchste Vorsicht. Wir haben Italien Dienste geleistet, große Dienste; sollten wir uns jetzt in seine Angelegenheiten mischen ohne unmittelbar zwingende Gründe, gleich, als glaubten wir uns besonders berechtigt, die Rolle des Mentors zu spielen? – und das in einer Sache, in der doch vom rein nationalen Standpunkt die Berechtigung nicht zu bestreiten ist? Ich muß Ihnen sagen,« fuhr er nach einer kurzen Pause fort, »daß ich nicht nur keine Veranlassung für Preußen sehe, irgendeine aktive Rolle ober gar eine Initiative in dieser Sache zu übernehmen, sondern daß ich sogar nach meiner innigen Überzeugung niemals in der Lage sein würde, dem Könige zu raten, daß er an einer Konferenz, wie die von Ihnen angedeutete, seine Regierung sich beteiligen lasse. Halten Sie ruhig und fest,« sprach er weiter, während Benedetti in unwillkürlicher Ungeduld mit den Fingern auf der Decke des Tisches spielte, »halten Sie ruhig und fest den status quo aufrecht, und überlassen Sie es der Zeit, vielleicht einer späteren Regierung Italiens und einem späteren Pontifikat, den Ausgleich zwischen zwei Prinzipien zu finden, die sich heute noch in diametral unversöhnlichem Gegensatz gegenüberstehen.«

»Wenn aber die anderen Mächte,« sagte Benedetti, »wenn Österreich, wenn vielleicht selbst England, geleitet von dem Interesse für die Ruhe Europas –«

»Ich glaube,« fiel Graf Bismarck ein, »daß ich bei der besonderen Stellung Preußens dem Könige niemals würde raten können, eine solche Konferenz anzunehmen.«

Benedetti neigte einen Augenblick das Haupt vor sich nieder und schien seine Gedanken zu sammeln, oder seine Willenskraft über den Eindruck der Äußerungen des preußischen Ministers Herr werden lassen zu wollen. Als er sein Gesicht wieder erhob, zeigte es nun den Ausdruck heiterer Ruhe und artiger Höflichkeit.

»Ich bedauere,« sagte er, »daß Sie aus Gründen, welche ich als sehr überlegt und beachtenswert anerkennen muß, die Anschauungen des Kaisers über die Fragen des Orients und Italiens nicht teilen können –«

»Die Anschauungen des Kaisers über jene Fragen,« unterbrach ihn Graf Bismarck, »sind fast ganz mit den meinigen übereinstimmend, es ist mir nur nicht möglich, mich davon zu überzeugen, daß der gegenwärtige Augenblick geeignet sei, jene delikaten Fragen anzuregen, und daß Preußen Veranlassung, ja eine Berechtigung habe, in diesen Fragen eine besonders tätige Rolle zu spielen.«

»Eine gemeinsame Verständigung über diese großen Fragen,« fuhr Benedetti fort, nachdem er mit großer Artigkeit den Worten des Ministers zugehört hatte, »würde zugleich den Ausgleich der gegenseitigen Interessen in betreff unmittelbar naheliegender Verhältnisse vorbereitet und erleichtert haben. Sie wissen, wie wenig der Kaiser die Ansicht vieler Parteien in Frankreich teilt, welche in der nationalen Konstituierung Deutschlands eine Drohung gegen uns erblicken.«

»Ich kenne den erleuchteten und vorurteilsfreien Geist des Kaisers,« sagte Graf Bismarck sich verneigend.

»Diese ganze deutsche Frage wäre so leicht zu lösen,« fuhr Benedetti fort, »und alle aus derselben folgenden Schwierigkeiten so leicht zu beseitigen, wenn Preußen und Frankreich darüber einig wären, und wenn Frankreich die nationale Arrondierung erhielte, welche –«

»Frankreich hat den nationalen Entwicklungsprozeß, in dem wir uns jetzt befinden, seit lange hinter sich,« warf Graf Bismarck ein.

»Und dennoch,« fuhr Benedetti fort, »fehlt uns die Beherrschung des natürlichen Sprachgebiets; von jener Theorie der natürlichen Grenzen will ich gar nicht reden, sie führt stets zu Unmöglichkeiten, aber das Sprachgebiet ist etwas anderes, die Sprache bildet die Nationalitäten, und die wahrhaft sichere Bedingung des ruhigen Gleichgewichts ist die Begrenzung der Staaten nach dem Sprachgebiet. Man hätte niemals diesen künstlichen, zwei Sprachen umfassenden Staat schaffen sollen, den man Belgien nennt, ein solcher Staat hat keine innere Lebensfähigkeit und wird immer ein Asyl für alle Elemente bilden, die den großen Staaten und ihrer Ruhe gefährlich werden können. Alles, was Frankreich und seiner Regierung feindlich ist, setzt in Belgien seine Hebel an. Wenn wir wünschen, Belgien, das heißt das französische Belgien, zu besitzen, so liegt diesem Wunsche wahrlich nicht Vergrößerungssucht zugrunde, sondern in der Tat nur die sich täglich mehr aufdringende Überzeugung, daß es für die Ruhe Frankreichs unerläßlich ist, das ganze französische Sprachgebiet zu beherrschen.«

»Wenn die europäische Diplomatie früher einen Fehler gemacht hat,« sagte Graf Bismarck, »so möchte es nicht ganz leicht sein, ihn wieder zu verbessern. Es hätte angehen können, den belgischen Staat nicht zu schaffen, ihn wieder verschwinden zu lassen, möchte ohne tiefe Erschütterung Europas nicht möglich sein; England –«

»Der Kaiser,« fiel Benedetti mit größerer Lebhaftigkeit, als seiner Ausdrucksweise sonst eigen war, ein, »der Kaiser ist – und gewiß mit Recht – überzeugt, daß bei einem Einverständnis zwischen Deutschland und Frankreich ein Arrangement über die belgische Frage kaum einem Widerspruch, gewiß aber keinem Widerstand in Europa begegnen würde.«

»Sie sprechen von Deutschland,« sagte Graf Bismarck, »Deutschland als politische Macht existiert noch nicht, wir haben den Norddeutschen Bund –«

»Ein Arrangement in betreff Belgiens würde als Bedingung die definitive nationale Konstituierung Deutschlands in sich schließen, die der Kaiser nicht fürchtet, sondern wünscht, und der auch die öffentliche Meinung in Frankreich sich günstig zeigen würde, wenn sie unter Verhältnissen einträte, die Frankreich den berechtigten Wunsch nach vollständiger Arrondierung seines nationalen Sprachgebiets erfüllen würden.«

Graf Bismarck saß einen Augenblick nachdenkend da. Benedetti blickte mit unruhiger Spannung zu ihm hin.

»Mein lieber Botschafter,« sagte der Graf endlich, »Sie regen da Fragen und politische Perspektiven an, über welche es mir in der Tat völlig unmöglich ist, im gegenwärtigen Augenblick und bei der Allgemeinheit, in welcher Sie die Gesichtspunkte ausgesprochen haben, mich eingehend auszusprechen. – Dinge von solcher Wichtigkeit,« fuhr er fort, »bedürfen der ernstesten Überlegung, und dieser Überlegung müssen klar und bestimmt formulierte Gedanken als Grundlage dienen. Wenn wir daher – später – eingehend über diese Frage diskutieren sollen, so müßten die Gedanken des Kaisers in der klaren Form vor mir liegen, die er denselben stets so meisterhaft zu geben versteht, auch müßte ich ungefähr wissen, wie etwa andere Mächte darüber denken möchten.«

»Ich werde,« sagte Benedetti eifrig, »sogleich nach Paris schreiben, um mich genau über die Gesichtspunkte zu informieren, die dort maßgebend sind, denn ich zweifle nicht, daß der Kaiser den Gedanken, der ihn beschäftigt, auch bis in seine Details und seine Konsequenzen durchdacht hat. Ich hoffe demnächst imstande zu sein, Ihnen das alles in bestimmter Form, etwa in Gestalt eines Vertragsentwurfs, zur Erwägung stellen zu können.«

»Seien Sie überzeugt,« sagte Graf Bismarck, »daß ich alle Ihre Mitteilungen über die Ideen des Kaisers stets mit der ehrerbietigsten Aufmerksamkeit entgegennehmen werde –«

»Und ich bin gewiß,« sagte Benedetti aufstehend, »daß wir endlich zu der vollständigen Verständigung gelangen, welche für die Zukunft Europas so heilsam sein muß.«

Er verabschiedete sich mit herzlicher Artigkeit von dem Grafen und verließ das Kabinett.

Graf Bismarck sah ihm mit einem zugleich scharfen und tief sinnenden Blicke nach.

Dann spielte ein fast mitleidiges Lächeln um seine Lippen.

»Das Spiel ist fein ausgesonnen,« sagte er, »und doch so schlecht versteckt, daß man es auf den ersten Blick erkennt. Ich soll Rußland und Italien verletzen, die Sympathien beider Mächte verlieren und damit in eine Isolierung gedrängt werden, die mir keine andere Wahl läßt, als mich Frankreich in die Arme zu werfen. Und als Lockspeise wird mir die Konstituierung Deutschlands gezeigt, für den Preis der Annektierung Belgiens, die dann das neue Deutschland vor Europa vertreten, und nötigenfalls gegen Europa verteidigen soll! Mag er doch mit England sich über Belgien verständigen,« fuhr er fort, »ich habe wahrhaft keine Neigung, Kastanien für Frankreich aus dem Feuer zu holen, und einen Preis für Deutschlands Zukunft zu zahlen. Wenn der deutsche Löwe seine Krallen erhebt, so wird er nicht für Frankreich kämpfen, sondern allein und ohne Kaufpreis sich seine Stellung in Europa erringen.«

Er blickte lange vor sich hin, sein Auge schien die Bilder ferner Zeiten zu verfolgen.

»Er hat die Hoffnung behalten,« sprach er dann, »daß er mich endlich doch bereit finden könnte, auf seinen Handel einzugehen, gut, das zieht den schweren Zusammenstoß hinaus und gibt mir immer mehr Zeit der Vorbereitung. Bei alledem leistet mir dieser Garibaldi einen großen Dienst,« fuhr er lächelnd fort, »er wird die Angelegenheiten Italiens ein wenig durcheinanderbringen, Frankreich wird gegen ihn und vielleicht gegen Italien auftreten müssen, dieser schlaue Ratazzi wird beiseite gestellt werden, und die Last, welche sich Napoleon durch seinen italienischen Feldzug auf die Schultern geladen hat, wird ihn fortan noch etwas schwerer drücken, das ist die Situation, die ich bedarf, meine Hände müssen freier und freier werden, er muß immer tiefer und tiefer in seine eigenen Netze sich verstricken. Hätte ich nachsinnen wollen, wie am besten diese feinen Kombinationen von Salzburg zu zerstören seien, ich hätte kaum ein besseres Mittel finden können, als diesen neuen Zug Garibaldis; nun, die Welt wird nicht verfehlen, mich mit demselben in Verbindung zu setzen! Mag es sein, mag man sagen und denken von mir, was man will, wenn nur mein Werk gelingt und Deutschland hoch herauf tritt auf den ersten Platz in der Reihe der Nationen, dann wird doch der Augenblick kommen, wo man auch mir wird Gerechtigkeit widerfahren lassen!«

Wieder versank er sinnend in die Verfolgung der Bilder, die vor seinem Innern aufstiegen.

»Doch,« sagte er dann, tief aufatmend, indem er wieder vor seinen Schreibtisch trat, »die Vorbereitung der europäischen Konstellationen darf meinen Blick nicht ablenken von der inneren Lage. Auch Preußen muß innerlich gerüstet werden, der neuen Zeit entgegenzutreten und sie zu erfassen mit freiem Geiste. Oh, wenn sie wüßten,« fuhr er fort, »alle, die zu übereiltem Fortschritt drängen, die mich angefeindet haben alle diese Jahre lang, wenn sie wüßten, wie tief ich davon durchdrungen bin, daß nur der Geist der Freiheit, daß nur der mächtig vorwärts strebende nationale Aufschwung den zweiten Teil des großen Werkes vollenden kann, dessen Grund nur gelegt werden konnte durch die straff absolutistische Anspannung der Militärkraft! Sie ahnen nicht, daß meine Ziele freier und weiter vielleicht sind als die ihren, gewiß wenigstens,« sagte er mit strahlendem Blick, »sind sie klarer! – Aber nicht mit einemmal kann der Hauch freierer Bewegung einen Staatsorganismus durchdringen, wenn nicht das heilsame Fluidum Verderben und Zerstörung bringen soll. Schrittweise muß ich vorwärtsgehen auch auf diesem Wege. – Da ist zunächst eine Änderung im Justizministerium nötig, und nicht leicht ist es, an die Stelle des Grafen Lippe eine geeignete Kraft zu setzen, die energisch und produktiv ist, und zugleich auch fähig, neuen Prinzipien, wenn die Zeit kommt, Geltung zu verschaffen nicht bloß durch Negation des Alten, sondern durch schöpferisches Aufbauen. Dieser vielgewandte Minister des Königs Georg hat mir schon vor längerer Zeit eine vortreffliche Idee gegeben,« sprach er weiter, »eine Kraft aus dem neu erworbenen Lande in die Regierung aufzunehmen, ich habe darüber nachgedacht, und ich glaube gefunden zu haben, was ich bedarf. Der früherer Minister Leonhardt scheint mir nach allem, was ich höre, ganz der Mann zu sein, um die schwierige Nachfolgerschaft des Grafen Lippe zu übernehmen. Er ist eine Autorität in der Jurisprudenz und Gesetzgebung, ein fester Charakter, ich muß mit ihm in Verbindung treten, und finde ich ihn, wie ich erwarte, so will ich ihn dem König vorschlagen, dessen geradem Sinn und klarem Geiste der Mann zusagen muß. Ob das freilich viel für die Beruhigung der Hannoveraner helfen wird, scheint mir zweifelhaft; man wird den Minister als Abtrünnigen und Verräter darstellen, und die Agitationen werden fortgehen. Der arme König Georg! – wie gern würde ich ihm helfen! Es werden noch schwere Schritte gegen ihn nötig werden,« sagte er mit traurigem Ton, »er hat den Vermögensvertrag unterzeichnet, es ist ihm zugestanden, was irgend möglich war, doch die Agitationen hören nicht auf und früher oder später wird eine Sequestration nötig werden, um die Sicherheit des Staates zu schützen. Das sind die Folgen tragischer Konflikte, und ein tief tragischer Konflikt ist es, den unsere Zeit hervorgerufen, doch die glorreiche Zukunft wird ihn herrlich lösen.«

Wieder sann er längere Zeit nach.

Dann bewegte er die Glocke.

»Ich lasse den Legationsrat von Keudell bitten,« befahl er dem eintretenden Kammerdiener.

»Dieser schlaue Windthorst hat wohl ganz andere Gedanken gehabt,« sagte er dann, sich lächelnd die Hand reibend, »als er mir einen hannoverischen Juristen für das Justizministerium empfahl, er wird ein wenig erstaunt sein, wenn der Plan mit Leonhardt reüssiert, und vielleicht werde ich da einen Gegner mehr haben. Wohlan,« rief er, »viel Feind', viel Ehr'! und wenn das Glück mir überall so günstig ist, wie dieser Salzburger Tripotage gegenüber, so könnte ich fast das Dichterwort wiederholen, durch welches Herr von Manteuffel einst so großen Sturm in den Kammern erregte, denn in der Tat, es werden die einen meiner Feinde – von den anderen abgetan.«

Und heiter lachend begrüßte er Herrn von Keudell, der mit seinen Vortragspapieren in das Kabinett trat.


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