Oskar Meding
Europäische Minen und Gegenminen
Oskar Meding

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Zwanzigstes Kapitel.

Heller Sonnenschein strahlte vom wolkenlosen Himmel auf die große Ebene von Longchamps herab, glänzender als je strömten die bunten Wogen von Equipagen und Reitern durch die Avenüen der Champs-Elysees und der Kaiserin nach dem Bois de Boulogne hinaus, um das Frühlingsrennen zu sehen, und allmählich füllte sich der weite Rennplatz dichter und dichter. Die zahlreichen Fremden, welche die bereits eröffnete Ausstellung in schnell steigender Zahl nach Paris geführt, sahen sich hier staunend zum erstenmal in vollem Reichtum, umgeben von jener funkelnden, schimmernden, brausenden und wogenden Welt dieses wunderbaren Paris, dieser Welt, deren zauberischer Farbenglanz das Auge entzückt, ohne es zu blenden, deren seines duftiges Parfüm wie ein unsichtbarer Hauch die Atmosphäre durchdringt, die Nerven berauschend, ohne Schwerfälligkeit und Ermüdung zurückzulassen.

Die langen Reihen der Tribünen waren besetzt mit Damen in den neuesten Frühjahrstoiletten, wehende Federn und farbenschimmernde Blumen zitterten auf den rastlos bewegten, kleinen Hütchen, funkelnde Augen, blitzten nach allen Richtungen – Freunde suchend und begrüßend, und weithin war die sonnenwarme Luft erfüllt von jenen seinen und zarten Düften, welche die Kunst der Destillationen von Pivar aus allen Blüten des Abends- und Morgenlandes vereinigt, und welche die vornehme Damenwelt von Paris umschweben wie ein Atem von Anmut und Reiz. Vor dem Eingange zu den Tribünen hielten in langer Reihe die prachtvollen offenen Kaleschen mit den hohen, schnaubenden Pferden, die Kutscher in unbeweglicher Würde auf dem Bock, die Lakaien neben den mit glänzenden Wappen bemalten Schlägen.

Die Herren tummelten sich zu Pferde oder in leichten Viktorias innerhalb des weiten, abgeschlossenen Raums, der den Tribünen gegenüber die Rennbahn umgibt, nur wenige Damen sah man hier, vorzüglich die Damen der Demimonde, und von der wirklichen, großen Welt nur diejenigen, welche durch besonders glänzende und tadellose Equipagen in der Lage waren, sich den kritischen Blicken des ganzen, versammelten Sports auszusetzen.

Hin und wieder sprengte auf schlankem Renner ein Jockey in der eleganten Seidenjacke mit den Farben seines Pferdes durch die Bahn, und aufmerksam richteten sich die Blicke der Kenner auf die Bewegungen der edlen Tiere, um aus denselben Anhaltspunkte für die Beurteilung ihrer Leistungsfähigkeit und Disposition zu gewinnen.

Die eifrigsten Mitglieder des Jockeyklubs und fremde Sportsmen umstanden die Wagen, ihre Wettbücher in der Hand, in eifriger Unterhaltung, die oft ungeheuren Summen notierend, welche auf dieses oder jenes Pferd gewettet wurden. Große Aufregung herrschte überall, der große Preis der Stadt Paris stand heute zu gewinnen, und es war nicht der hohe Betrag dieses Preises allein, sondern die mit seinem Gewinn verbundene höchste Ehre der Frühjahrsrennen von Longchamps, welche alles, was zum Sport gehörte, in fieberhafte Spannung versetzte.

In einer Viktoria von fast zerbrechlicher Zierlichkeit rollte die Marchesa Pallanzoni in den abgegrenzten Raum. Schnaubend und tänzelnd paradierten vor ihrem Wagen, mit frischen Veilchen und Maiblumen geschmückt, die wunderbar schönen, schwarzen Pferde, welche sie von Madame Musard gekauft, das ganze Gefährt schien kaum den Boden zu berühren. Die hellblaue, mit Silber eingefaßte Livree ihres Kutschers und ihres Grooms, welche in gelb aufgeschlagenen, lackierten Stulpstiefeln, mächtige Buketts von Veilchen und Maiblumen vor der Brust, auf dem Bock saßen, die zarte Toilette der Marchesa in Violett und Weiß, ihre ausgezeichnete durch die Wirkung der frischen Luft erhöhte Schönheit, das alles konnte nicht verfehlen, die Augen dieser ganzen eleganten und lebenslustigen Welt auf die junge Frau zu richten, welche die Neugier aller jungen Herren erregte und nur wenigen bisher bekannt geworden war.

Langsam fuhr die Marchesa hin und her, plötzlich berührte sie leicht mit der Spitze ihres Sonnenschirms die Schulter des Kutschers, die Pferde standen unbeweglich und die Dame grüßte anmutig mit der Hand nach einem leichten, offenen Wagen hinüber, in welchem der Graf Rivero allein saß und ruhig in das bunte Treiben hineinblickte.

Der Graf erwiderte den Gruß mit ausgezeichneter Artigkeit, stieg schnell aus und eilte an den Schlag des Wagens der Marchesa.

»Ich mache Ihnen mein Kompliment,« sagte er lächelnd, »Ihre Equipage ist jetzt tadellos, Sie haben in jeder Beziehung reüssiert.«

»Das alles verhindert nicht,« sagte die Marchesa mit leichtem Seufzer, »daß ich mich langweile.«

»Ich werde Ihnen heute noch ein Mittel gegen die Langeweile geben,« erwiderte der Graf mit ernstem Blick, »das Ihnen etwas romantische Abwechselung bringen wird, ich bitte um einen Platz in Ihrem Wagen bei der Rückfahrt, ich habe mit Ihnen zu sprechen.«

Ein halb freudiger, halb forschender Blick zuckte aus den schönen Augen der Marchesa über das ruhige Gesicht des Grafen, schweigend neigte sie das Haupt.

Rasch trat der Herzog von Hamilton, welcher das Gespräch des Grafen mit der Marchesa bemerkt hatte, aus der Gruppe von Herren, welche die Wage umstanden, heran.

»Guten Morgen, Herr Graf!« rief er, mit der Hand grüßend, und indem er näher trat und den Hut abnehmend, sich tief vor der Marchesa verneigte, fügte er hinzu: »Ich freue mich um so mehr, Ihnen hier zu begegnen, als sich mir zugleich die Gelegenheit bietet, Sie um die Erfüllung eines Versprechens zu bitten. – Sie wollten die Güte haben, mich Ihrer schönen Landsmännin vorzustellen.« Er trat an den Wagenschlag.

»Der Herr Herzog von Hamilton,« sagte der Graf, den jungen Mann vorstellend, »meine schöne Freundin, die Frau Marchesa Pallanzoni, wird erfreut sein, Ihre Bekanntschaft zu machen, Herr Herzog,« fuhr er fort, »sie beklagte sich soeben über Langeweile in diesem bunten, lebensvollen Paris; wenn Sie dem Sport einige Stunden entreißen können, so wird die Frau Marchesa sich freuen, einen so vortrefflichen Kavalier in ihrem Salon zu sehen.«

Die Marchesa neigte mit liebenswürdiger Zustimmung das Haupt und unter ihren halbgesenkten Augenwimpern hervor traf den jungen Engländer ein wunderbar aus vornehmer Sicherheit und halb verlegener Schüchternheit gemischter Blick.

»Ich werde mich stets glücklich schätzen, bei der Frau Marchesa erscheinen zu dürfen,« rief er in einem Tone, dessen feuriger Ausdruck weit über diese so gewöhnliche Phrase der Höflichkeit hinausging.

Eine leichte Viktoria mit dunkler Livree und Kokarden in den hannoverischen Farben rollte rasch durch den Eingang der Longchampswiese und hielt in der Nähe. Der Regierungsrat Meding, der, den Leutnant von Wendenstein zur Seite, darin saß, grüßte artig zum Grafen Rivero herüber. Dieser verließ mit leichter Verbeugung den Wagen der Marchesa, welche ihn mit einem schnellen, forschenden Blick verfolgte, und trat zu den beiden soeben angekommenen Herren. – Der Herzog von Hamilton blieb im Gespräch mit der Marchesa – bald traten mehrere Herren heran und in kurzer Zeit war der Wagen der schönen Frau wie der Thron einer Königin von einem Kreise dienstbereiter Höflinge umgeben, unter welche sie mit der liebenswürdigsten Anmut und der vornehmen Würde einer wahren Fürstin ihre Worte, ihre Blicke und ihr Lächeln verteilte – alle entzückend und alle zugleich in ehrerbietiger Ferne haltend.

»Sie beteiligen sich nicht an den Wetten, Herr Graf?« fragte Herr Meding, »nach den schönen Pferden, die ich bei Ihnen gesehen, hätte ich Sie für einen der ersten Sportsmen gehalten –«

»Ich liebe die Pferde,« erwiderte der Graf, »aber ich beschäftige mich nicht eigentlich mit dem Sport, die Jahre dafür sind bei mir vorüber, ich bin vom Ernst des Lebens schon zu sehr berührt.«

»Wer wäre es nicht in dieser erschütternden Zeit, welche die Menschen durcheinander weht, wie der Herbstwind die fallenden Blätter!« sagte Herr Meding seufzend, »doch,« fuhr er fort, »erlauben Sie mir, Ihnen hier Herrn von Wendenstein, einen Landsmann, vorzustellen, der soeben von Hannover auf einigermaßen ungewöhnlichen Wegen angekommen ist. Die preußische Polizei hatte ihn sorgfältig encoffriert, er hat ein wenig das Beispiel Casanovas nachgeahmt und seinen eigenen Weg in die Freiheit gesucht.«

Die beiden Herren wechselten einen höflichen Gruß, forschend ruhte der Blick des Grafen auf dem frischen, gebräunten Gesicht des jungen Offiziers, dessen blaues, freies Auge durstig die schimmernden Bilder des reichen, bewegten Lebens ringsumher einzusaugen schien.

»Es ist eine merkwürdige Zeit,« sagte Herr Meding mit leichtem, traurigem Lächeln, »die loyalsten Legitimisten wie wir, sehen sich plötzlich in verfolgte Hochverräter und Verbannte verwandelt.«

»Und haben Sie,« fragte der Graf, »die hiesigen Verhältnisse befriedigend gefunden, glauben Sie Hoffnungen für Ihre Sache schöpfen zu können?«

»Mein Gott,« sagte Herr Meding, indem er nach einem schnellen, durchdringenden Blick auf den Grafen das Auge senkte, »es ist schwer, sich in diesem kreisenden Wirbel des pariser Lebens zurechtzufinden, ich beobachte und orientiere mich, das ist ja auch alles, was wir jetzt in unserer Lage tun können.«

In offener, prachtvoller Kalesche, Kutscher und Lakai gepudert und in weißen Strümpfen, fuhr Madame Musard in den abgeschlossenen Raum. Ihre herrlichen Pferde glichen denen, welche sie der Marchesa Pallanzoni abgetreten, auf ein Haar, kaum hätte man einen Vorzug des einen Gespanns vor dem andern bemerken können, sie grüßte verbindlich, aber wenig auffallend zu der von dem eleganten Herrenkreise umgebenen jungen Frau hinüber, welche mit einer gewissen Verlegenheit den Gruß erwiderte, und fuhr dann langsam in die Nähe der Rennbahn.

Der Graf Rivero umfaßte mit einem kurzen Blick diese Begegnung und den flüchtigen Gruß der beiden Frauen, ein eigentümliches Lächeln kräuselte seine Lippen.

Eine leichte Bewegung machte sich unter der Menge bemerkbar.

Vom Bois de Boulogne her fuhren die kaiserlichen Equipagen in raschem Trabe heran, die grüngoldenen Piqueurs voran, in offenem Wagen von vier tadellosen Pferden gezogen, saß der Kaiser und die Kaiserin, Baron de Pierres ritt am Schlage, der General Fleury saß dem kaiserlichen Paar gegenüber.

Napoleon trug schwarzen Überrock und Hut; in sich zusammengesunken saß er in die Ecke gelehnt, leicht erhob er hin und wieder die Hand, wenn die Häupter der am Wege dicht gedrängten Menge sich entblößten und zuweilen aus den Gruppen ein mehr oder minder vollstimmiges Vive I'Empereur! sich hören ließ, aufgerichtet in freier, anmutiger Haltung saß die Kaiserin in dunkelgrauer, unendlich einfacher Toilette neben ihm, weithin über die bunte, in farbenreicher Bewegung schimmernde Ebene schweifte der stolze Blick ihres großen Auges, unablässig grüßte sie nach allen Seiten in unnachahmlicher, reizender Wendung des schlanken Halses, den Kopf rechts und links neigend.

Eine Hofdame und ein Adjutant, ebenfalls in Zivil, folgten in einen zweiten Wagen. In einiger Entfernung konnte man das einfache und unscheinbare Coupé des Chefs der Palastpolizei bemerken.

Die kaiserlichen Wagen fuhren um den Platz und hielten vor dem großen Eingange zu den Tribünen.

Bald erschienen die Majestäten in dem großen, mittleren Pavillon, die Kaiserin setzte sich in ihren Fauteuil, der Kaiser nahm ein Opernglas und blickte nach verschiedenen Richtungen über den Platz hin, ohne daß der müde, abgespannte und gleichgültige Ausdruck einen Augenblick von seinem Gesicht gewichen wäre.

»Sehen Sie diese bunte, summende und schwirrende Menge,« sagte der Graf Rivero ernst, »sehen Sie diesen bleichen, träumenden Imperator, diese strahlende Kaiserin; das alles scheint versammelt, um seinen Glanz der Bewunderung – und dem Neide – zu zeigen, alles Interesse scheint sich auf die Schnelligkeit der Pferde, auf die Chancen des Rennspiels zu konzentrieren, und doch, welch eine zahllose Menge ernster Fäden durchziehen dies leichte, heitere Treiben, Fäden, welche in wunderbar gekreuzten Beziehungen die Schicksale der Völker Europas bewegen und lenken.«

»Ja,« sagte Herr Meding, »es ist ein großes Labyrinth, dieses Paris mit seinem vielgestaltigen Leben, aber wer gibt uns den leitenden Faden in diesen Wegen voll Finsternis und dunkeln Abgründen, die sich unter der schonen, sonnigen Oberfläche bergen?«

»Kein Theseus findet den leitenden Faden,« erwiderte der Graf Rivero lächelnd, »wenn er ihn nicht aus Ariadnes Hand empfängt, glauben Sie mir, nur die Hand der Frauen kann Sie hier in Paris richtig leiten, es ist anders hier als bei Ihnen in Deutschland, haben Sie hier die Damen zu Verbündeten, so werden Ihnen alle Geheimnisse sich öffnen, alle Ziele erreichbar werden, dies ist ein Rat, den ich mir erlaube, Ihnen zu geben, ich glaube, daß er gut ist.«

»Ich danke Ihnen und werde mich bemühen, ihn nutzbar zu machen,« sagte Herr Meding sich leicht verneigend, »doch das Rennen beginnt, treten Sie herauf, Herr Graf.

Er schwang sich rasch auf den Bock, der Graf Rivero und Herr von Wendenstein stellten sich in dem Wagen auf, alles blickte mit gespannter Erwartung nach den bereits in einer Linie aufgestellten Pferden, obgleich man über die Equipagen und die darauf stehenden Menschen hinweg in der Tat nur wenig von dem Wettkampf sehen konnte, der diese ganze Menge hier versammelt hatte.

Nach einem falschen Départ, der die Spannung des Publikums noch mehr steigerte, flogen die Pferde mit ihren Jockeys in den buntfarbigen Seiden- und Sammetjacken durch die Bahn hin und verloren sich bald in der Ferne, hier und da am äußersten Ende der weiten Bahn, am Saume des Gehölzes oder am Fuße eines Hügels wieder auftauchend.

Alle Lorgnetten und Doppelgläser richteten sich auf diese Punkte des weiten Bogens der Rennbahn, an welchem man die Pferde zuweilen erscheinen sah. Fast schweigend erwartete die vorher so laute und unruhige Menschenmenge die Rückkehr der Renner, und nur hier und da hörte man einen lauten Ausruf der Freude ober des Ärgers, je nachdem der eine oder der andere in der Reihenfolge der Pferde, welche er zu erkennen glaubte, Aussicht auf den Gewinn oder den Verlust seiner Wette erblickte.

Endlich erschienen die Pferde auf der, am Bois de Boulogne her, den Tribünen gegenüber zurück ans Ziel führenden Seite der Bahn, atemlose Stille lag auf dieser ganzen, weiten Ebene, als der erste Renner den anderen weit voraus heranflog, ein lauter Ruf begrüßte ihn, als er durch das Ziel ging, alles, was zum Sport gehörte, lief und drängte nach der Wage hin, das Publikum begann sich wieder zu bewegen und jenes eigentümliche, schwirrende Geräusch einer großen Menschenmenge stieg wieder über der Ebene empor.

»Ich dachte es,« sagte der Graf Rivero. »daß das Pferd des Grafen Lagrange den Preis gewinnen würde, ich habe die Renner zwar nur flüchtig gesehen, aber dieses Tier war den übrigen weit überlegen.«

»Dies ist alles sehr schön,« sagte Herr von Wendenstein lächelnd, indem er seinen leuchtenden Blick über das weite, glänzende Schauspiel schweifen ließ, »aber vom Standpunkt des Pferderennens aus betrachtet, scheint es mir doch ein wenig naiv.«

»Herr von Wendenstein war hannoverischer Offizier der Kavallerie,« bemerkte Herr Weding, »er nimmt alles, was die Pferde betrifft, sehr ernst.«

»Das tun nun die Pariser eben nicht,« sagte der Graf Rivero, »man kommt hierher, wie man in die Oper geht – um zu sehen und gesehen zu werden, und ich bin überzeugt, daß das große Publikum sich für die bunten Jockeys mehr interessiert als für die Pferde. Der wirklich ernste Sport, wie er in England getrieben wird, ist keine französische Nationalleidenschaft, doch,« unterbrach er sich, »wer kommt dort in den Pavillon des Kaisers?«

Man sah in dem kaiserlichen Pavillon einen großen und schlanken, jungen Mann in leicht vornüber geneigter Haltung, schwarz gekleidet, erscheinen. Sein feines, blasses Gesicht war von einem dunklen Vollbart umrahmt, er drückte die Hand Napoleons, der ihm einige Schritte entgegengetreten war, und näherte sich dann der Kaiserin, welche ihn mit freundlicher Neigung des Kopfes begrüßte.

»Es ist der Prinz Oskar von Schweden,« sagte Herr Meding, der durch sein Glas hinüber gesehen, »der Prinz ist seit einigen Tagen hier, um die Ausstellung zu sehen, er beginnt den Reigen der europäischen Fürsten, die sich hier versammeln werden.«

Der schwedische Prinz war neben den Kaiser an die Brüstung der Loge getreten, Napoleon deutete mit der Hand über die Ebene hin, er schien seinem Gaste etwas zu erklären, und zum erstenmal erhellte der Schimmer eines Lächelns seine müden, abgespannten Züge, als er an der Seite dieses Prinzen, der vom Blute eines der Kriegsgefährten seines Oheims stammte, auf diese zu seinen Füßen wimmelnde Elite der Bevölkerung des schönen Frankreichs herabblickte, dessen kaiserlichen Thron er in so blendendem Glanze wieder aufgerichtet hatte.

Mit der Entscheidung über den großen Preis der Stadt Paris war der Höhepunkt des Interesses vorüber, die große Menge schenkte den noch folgenden kleineren Rennen nur geringere Aufmerksamkeit, der Kaiser stieg von seiner Loge herab und unterhielt sich mit einigen Damen auf den Tribünen, und überall bildeten sich lachende und plaudernde Gruppen.

»Ich sah Sie vorhin am Wagen jener schönen und eleganten Dame,« sagte Herr von Wendenstein, indem er einen langen Blick zu dem Kreise hinüberwarf, dessen Mittelpunkt noch immer die Marchesa bildete, »ich habe selten etwas Distinguierteres gesehen, als diese Equipage – und etwas Schöneres und Anmutigeres als diese Dame!«

»Es ist eine Bekannte aus Italien,« erwiderte der Graf, »welche hier als ein neues Gestirn am Himmel der eleganten Welt von Paris aufgeht. Wenn Sie ihre Bekanntschaft zu machen wünschen,« fügte er in verbindlichem Tone hinzu, »so will ich mir erlauben, Sie ihr vorzustellen, wir können sogleich hinübergehen.«

Herr von Wendenstein verließ den Wagen. »Ich werde Ihnen sehr dankbar sein,« sagte er rasch, sich gegen den Grafen verneigend.

»Sie wollen meinen kaum dem Kerker entronnenen Landsmann sogleich in neue Fesseln schlagen, Herr Graf,« sagte Herr Meding lächelnd, »dagegen mühte ich eigentlich protestieren.«

»Diese Fesseln,« erwiderte der Graf, werden jedenfalls angenehmer zu tragen – und,« fügte er lächelnd hinzu, »leichter abzustreifen sein; begleiten Sie uns zu meiner schönen Freundin?« fragte er mit einem schnellen, forschenden Blick.

»Ich danke Ihnen für Ihre Freundlichkeit,« erwiderte Herr Meding, später vielleicht werde ich von Ihrer Güte Gebrauch machen, für jetzt möchte ich mich nach allen Richtungen sehr zurückhalten.«

Der Graf und Herr von Wendenstein traten zu dem Wagen der Marchesa, welche sie mit reizendem Lächeln empfing, und bald war der junge hannoverische Offizier in das heitere, leichte Gespräch engagiert, welches die schöne Frau umspielte, er gab sich freudigen und leichten Herzens dem Zauber dieser sprudelnden Causerie hin und trug durch seine etwas fremdartige Aussprache der französischen Worte und seine eigentümlichen Redewendungen viel zur allgemeinen Heiterkeit bei.

Das letzte Rennen war vorbei – der Kaiser verließ seine Loge und man sah die kaiserliche Equipage, in welcher der Prinz von Schweden jetzt den Platz des Generals Fleury eingenommen, schnell dem Bois de Boulogne zueilen. Die Tribünen leerten sich, eine Equipage nach der andern löste sich aus der Reihe und rollte an den Kaskaden vorbei der Stadt zu, zugleich verließen langsam nach einander die Wagen den innern abgeschlossenen Raum und diese ganze glänzende und bunte Menge strömte nach diesem großen Reservoir Paris zurück, das so viel schimmernden Glanz auf seiner Oberfläche zeigt und so viel furchtbare und schauerliche Elemente des Entsetzens in seinen Tiefen birgt.

»Ich hoffe Sie bei mir wieder zu sehen, mein Herr,« sagte die Marchesa Pallanzoni mit liebenswürdigem Lächeln zu Herrn von Wendenstein, »wir sind beide Fremde und müssen zusammenhalten in diesem großen Paris, auf Wiedersehen, meine Herren!« fuhr sie fort, sich gegen die übrigen ihren Wagen umstehenden jungen Leute leicht verneigend, »Herr Graf, darf ich Sie bitten, sich zu mir zu setzen und mich unter Ihrem Schutz nach Paris zurückzuführen?«

Der Graf gab seinem in der Nähe haltenden Kutscher einen Wink und stieg in den Wagen der Marchesa, die Herren traten zurück, die Pferde zogen an und noch einmal grüßend fuhr die schöne Frau schnell über die bereits leer gewordene Wiese der Stadt zu.

»Wie finden Sie den jungen Deutschen, den ich Ihnen vorgestellt?« fragte der Graf, als sie in die große Allee einbogen und langsam in der Menge von Wagen der Stadt zufuhren.

»Allerliebst,« erwiderte die Marchesa, »er hat etwas so Frisches und Ritterliches, so viel natürliche Eleganz und fast unschuldige Naivität, er erinnerte mich –« sagte sie halblaut, mit einem leisen Seufzer abbrechend.

Der Graf sah sie scharf von der Seite an.

»Würde es Ihnen unangenehm sein, diese Erinnerung zu kultivieren?« fragte er lächelnd, »vielleicht fände sich hier ein Heilmittel für eine Wunde der Vergangenheit.«

»Lassen wir die Vergangenheit,« sagte sie finster, indem ein scharfer und kalter Ernst sich auf ihre Züge legte, »ich habe aller Schwäche entsagt und will stark und ruhig sein.«

»Wenn aber hier ein ernster Zweck sich mit einer angenehmen Unterhaltung verbinden ließe?« fragte der Graf.

Sie hob ihr Auge erstaunt zu ihm empor und sah ihn fragend an.

»Die ganze Welt ist in Gärung in diesen Zeiten, deren gewaltige Erschütterungen noch nicht abgeschlossen sind, und mir liegt daran, alle durch einander und gegen einander arbeitenden Kräfte genau zu kennen und in ihren Ursachen zu verfolgen. Es entwickelt sich hier eine Tätigkeit von Seiten der in Deutschland besiegten Parteien, der König von Hannover hat einen Vertreter hierher gesendet und es bildet sich ein Mittelpunkt einer stillen und nachdrücklichen Aktion, welche ernste Dimensionen annimmt; mir liegt sehr viel daran, so genau als möglich darüber unterrichtet zu sein, was man in jenen Kreisen wünscht und hofft, was man tut und vorbereitet und wie man hier auf die Regierung und die Parteien in Frankreich wirkt.«

Ein Lächeln zuckte um die Lippen der Marchesa.

»Und dieser junge Mann?« fragte sie, indem ein eigentümlicher Strahl aus ihrem Auge blitzte.

»Dieser junge Mann,« sagte der Graf, »steht im Mittelpunkt der Verhältnisse, welche mich interessieren, er wird das letzte Wort der Geheimnisse nicht haben, aber er wird genug sehen und hören, um aus dem, was man durch ihn erfährt, die Basis zu bilden für die Schlüsse auf dasjenige, was sich verbirgt, nun,« fuhr er fort, »dieser junge Mann wird schwerlich ein verschlossenes Buch bleiben für die schönen Augen einer so geistvollen Frau wie Sie, welche als italienische Legitimistin auch seines Vertrauens und seiner politischen Sympathie sicher ist. – Er wird einen schönen Traum träumen – und so auf die angenehmste Weise zum Werkzeug meiner Absichten werden.«

»Ich verstehe vollkommen,« sagte die Marchesa, »führen Sie ihn an einem dieser Tage zu mir, wenn ich allein bin. – Ich bedaure nur,« fügte sie achselzuckend hinzu, »daß die Aufgabe, welche Sie mir stellen, nicht schwerer ist.«

Der Graf blickte nachdenkend vor sich hin.

»Sie sollen nicht lange auf die schwerere Aufgabe warten,« sagte er in ernstem Tone, »sie liegt bereit, und es war diese Aufgabe, welche ich mit Ihnen besprechen wollte.«

Ihre Züge belebten sich wie durch einen elektrischen Schlag, gespannt hing ihr funkelndes Auge an den Lippen des Grafen.

»Ich habe diesen Ort dazu gewählt,« sagte er, »weil ein Geheimnis, ein ernstes Geheimnis nur in der freien Luft besprochen werden kann, neigen Sie sich ein wenig hierher, damit die Leute auf dem Bock nichts hören können, der allgemeine Lärm der Equipagen hüllt ohnehin jeden Schall der Worte ein.«

Sie lehnte sich nachlässig in den Fond des Wagens zurück, so daß ihr Ohr seinem Munde nahe kam, und mit gedämpfter Stimme sprach er, fortwährend auf seinem Gesicht den Ausdruck heiterer, gleichgültiger Konversation festhaltend:

»Der ganze Schwerpunkt bei Gegenwart und der Zukunft liegt in diesem Augenblick in dem Verhältnis Preußens zu Frankreich, dies Verhältnis so klar und scharf zu durchschauen als möglich, ist daher für mich von allergrößter Wichtigkeit. Nun liegt aber in diesem Verhältnis ein dunkler Punkt, der sich meinem Blicke verbirgt und dessen Aufhellung ich um jeden Preis wünsche.«

»Und der Schlüssel zu diesem Geheimnis?« fragte die Marchesa mit blitzenden Augen und zitternden Lippen.

»Der Schlüssel dazu liegt in der geheimen, persönlichen Korrespondenzen des preußischen Botschafters Grafen Goltz, diese Korrespondenz ist verwahrt in einer Kassette, welche sich auf dem Schreibtisch seines Arbeitszimmers befindet.«

»Ah!« machte die Marchesa.

»Und soll zum Inhalt dieser Kassette ein ähnlicher Weg führen,« fragte sie dann lächelnd mit einem fast mutwilligen Blick, »wie zur Ermittelung der hannoverischen Geheimnisse? – Das dürfte weniger unterhaltend sein.«

»Vielleicht aber vorteilhafter,« sagte der Graf, indes seien Sie ruhig, jener Weg, an den ich anfangs gedacht, würde kaum zum Ziel führen, es muß ein Umweg gemacht werden, der etwas Mühe macht, aber vielleicht auch einige Unterhaltung gewährt.«

»Ich bin begierig zu hören,« sagte sie.

»Das Gedränge hat sich verloren,« sagte der Graf umherblickend, »der Lärm hat aufgehört, ich besorge, daß ein Wort zu den Ohren der Domestiken dringen könnte, lassen Sie uns ein wenig aussteigen, hier diese weite Allee isoliert uns vollkommen.«

Sie berührte leicht mit dem Sonnenschirm die Schulter des Kutschers, der Wagen stand.

Beide stiegen aus; die Marchesa legte ihre Hand in den Arm des Grafen und der Wagen folgte langsam dem in lebhafter Unterhaltung dahinschreitenden eleganten Paar.


In dem Salon der Wohnung des Grafen Rivero in der Chaussee d'Antin ging um dieselbe Stunde ein junger Mann in der Tracht der Weltgeistlichen auf und nieder. Seine schlanke Figur bewegte sich mit ruhiger Leichtigkeit in dem geistlichen Gewande, das zwar etwas bleiche, aber gesunde und frische Gesicht mit seinen, geistig belebten Zügen, das dunkle Auge, das sorgfältig gepflegte, leicht gelockte Haar, welches die kleine Tonsur fast ganz verdeckte, das alles vereinigte sich zu einer vornehmen, ansprechenden Erscheinung, erinnernd an jene Abbés des ancien régime, welche ein so anregendes Element der Konversation, eine so hübsche Staffage der Rokokosalons bildeten.

Der junge Abbé Rosti, welcher dem Grafen Rivero von Wien nach Paris gefolgt war, hielt einige Briefe in der Hand und ging im Salon auf und nieder, die Rückkehr des Grafen erwartend.

Nach einiger Zeit, während welcher der junge Mann ohne alle Ungeduld bald einen Blick in einen der Briefe geworfen, bald einige Augenblicke durch das Fenster auf das belebte Treiben der Straße herabgeblickt hatte, trat der Kammerdiener des Grafen herein und sagte:

»Der Kommandeur Klindworth aus Wien ist draußen. Soll ich ihn hereinführen, um den Herrn Grafen zu erwarten, der gewiß bald zurückkehrt?«

»Es wird dem Grafen gewiß sehr angenehm sein, Herrn Klindworth sogleich zu sehen, sagte der Abbé, »ich glaube, Sie werden wohl tun, ihn zu ersuchen, daß er hier warten möge.«

Der Kammerdiener verneigte sich und öffnete eine Minute später die Tür des Salons dem Staatsrat Klindworth.

Das verflossene Jahr hatte in der Erscheinung dieses merkwürdigen alten Nachtfalters der Diplomatie nicht die geringste Veränderung hervorgebracht.

In seiner gewohnten bescheidenen, fast demütigen Haltung trat er herein, der weite, braune Rock war fast bis an den Hals zugeknöpft, aus der weißen Kravatte blickte das scharf markierte, in seiner geistvollen Häßlichkeit so eigentümliche Gesicht hervor, ein schneller Blick seiner kleinen, scharfen Augen umfaßte den Salon und ruhte eine Sekunde prüfend auf der eleganten und angenehmen Erscheinung des jungen Geistlichen, der ihn mit artiger Zuvorkommenheit begrüßte.

Der Staatsrat näherte sich ihm und sagte mit seiner gleichmäßigen, fast flüsternd leisen Stimme:

»Herr Abbé Rosti, wenn ich nicht irre, ich habe in Wien das Vergnügen gehabt, Sie zu sehen?«

»Ich hatte die Ehre, Ihnen bei dem Herrn Grafen Rivero dort zu begegnen,« erwiderte der Abbé mit leichter Verbeugung, »der Graf,« fuhr er fort, »ist ausgefahren, ich glaube indes, daß er jeden Augenblick zurückkommen kann, und bat Sie deshalb, ihn hier zu erwarten, da ich vermute, daß Sie ihn bald zu sehen wünschen.«

Der Staatsrat neigte das Haupt und ließ sich in einen Fauteuil nieder, während der Abbé ihm gegenüber auf einem kleinen Sessel Platz nahm.

»Nun,« sagte der Staatsrat, indem er einen scharfen Blick auf den jungen Geistlichen warf und mit den Fingern auf der Lehne des Sessels trommelte, »wie sieht es hier in Paris aus? – ich mußte einmal kommen und mich selbst unterrichten, der Graf wird nicht untätig gewesen sein, ich bin überzeugt, daß Sie hier inmitten der Bewegung stehen – oder vielmehr der Stagnation, denn,« fuhr er achselzuckend fort, »man hat, wie es scheint, in der heutigen Welt das Handeln verlernt, man sitzt still und träumt, während die Gegner unermüdlich tätig sind, so muß man freilich ein Terrain nach dem anderen verlieren!«

»Wie ich glaube, herrscht hier jetzt allerdings vollständige Ruhe,« sagte der Abbé, »die luxemburgische Frage, welche einen Augenblick alles in Bewegung setzte, ist in den stillen Hafen der Konferenz eingelaufen und wird wohl die Ruhe Europas und das internationale Rendezvous der Ausstellung nicht mehr stören. – Doch haben Sie ja von Wien aus,« fügte er hinzu, »ganz besonders eifrig an der Beruhigung dieses Intermezzos gearbeitet –«

»Natürlich,« rief der Staatsrat lebhaft, »ganz natürlich, sollten wir denn ruhig zusehen, daß dies törichte Spiel weitergespielt wurde, das entweder zu einem Arrangement mit Preußen führen mußte und alle Zukunftspläne zerstören, oder die ganze Welt in einen unübersehbaren Krieg gestürzt hätte, aus welchem unter diesen unvorbereiteten Verhältnissen nichts Gutes hätte kommen können! – Glauben Sie,« fuhr er nach einem kurzen Stillschweigen fort, indem ein rascher Blick zu dem jungen Manne hinüberfuhr, »glauben Sie hier, daß der Kaiser Napoleon entschlossen sei, Frankreichs Prestige, das heißt die Grundlage der Berechtigung seiner Dynastie, wiederherzustellen, ernstlich – in kraftvoller und planmäßiger Aktion, ober schwankt er wie gewöhnlich hin und her zwischen widersprechenden Entschlüssen? – Mir hat es vorkommen wollen, als ob er zuweilen ganz besondere Lust hätte, sich mit Preußen zu alliieren, er täuscht sich,« fügte er achselzuckend hinzu, »man wird ihm dort für seine Allianz keinen Preis bezahlen!«

Des Abbés ruhiges und freundliches Gesicht hatte keinerlei Bewegung bei den Worten des Staatsrats gezeigt, in einfachem, höflichem Ton antwortete er:

»Nach der Sprache, welche die Blätter führen, die der Regierung nahestehen, kann ich kaum annehmen, daß die Gesinnung des Kaisers gegen Preußen freundlich sei, die offizielle Haltung der Regierung ist eine überaus artige und freundliche der preußischen Botschaft gegenüber, man legt großen Wert auf den Besuch des Königs Wilhelm, und ich bin ganz überzeugt, daß man ernstlich alles vermeiden will, was die guten Beziehungen stören könnte.«

»Das alles sind äußere Dinge, Notwendigkeiten der augenblicklichen Lage, aber was ist der innerste, letzte Gedanke? – diesen müßte man kennen, um danach zu operieren,« sagte der Staatsrat, die letzten Worte halb leise zu sich selbst sprechend, »oder,« fuhr er fort, »sollte hinter alledem gar kein Gedanke stecken? – die wunderbaren Blasen, welche dieses Gehirn treibt, spotten aller Berechnung, der klare Verstand und der konsequente Willen ist allein in Berlin zu finden,« flüsterte er in kaum hörbarem Tone, indem ein Zug tiefen Unmuts sich auf sein Gesicht legte.

Ein Geräusch im Vorzimmer wurde hörbar.

Der Graf Rivero trat rasch ein und reichte dem langsam aufstehenden Staatsrat die Hand.

»Gibt es irgendeine Unordnung in der politischen Maschine Europas,« rief er lachend, »daß Sie eine Inspektionsreise für nötig halten?«

Der Staatsrat schlug schnell seine grauen, scharfen Augen empor und sagte dann, indem er den Blick wieder zu Boden senkte und die Hände über der Brust faltete, mit einem in eigentümlicher Weise aus Salbung und Ironie gemischten Tone:

»Die Maschine ist in so guten Händen und unter so kluger Leitung, daß sie mit der bewunderungswürdigsten Regelmäßigkeit und Pünktlichkeit arbeitet; ich bin hierher gekommen, um mich ein wenig in der Pflege meiner Tochter zu erholen, man ist Vater, Herr Graf, und sehnt sich zuweilen nach der stillen Ruhe der Familie.«

»Und Madame Street – wie befindet sie sich?« fragte der Graf in verbindlichem Tone und mit fast unmerklichem Lächeln.

»Vortrefflich, Herr Graf,« sagte der Staatsrat, »sie hat sich vom weltlichen Leben und seiner Unruhe und Aufregung zurückgezogen, ich erhole mich in der Ruhe, die sie umgibt.«

»Ich hoffe,« sagte der Graf, indem er dem Staatsrat einen Fauteuil bezeichnete und sich selbst neben ihm niederließ, »daß Sie nicht so sehr allen weltlichen Dingen fremd geworden sind, um mir nicht ein wenig erzählen zu können, was dort unten in Wien vorgeht, und – wie der neue Besen kehrt, wenn ich diesen trivialen Vergleich gebrauchen darf, mit welchem die alten Hemmnisse der österreichischen Kraft beseitigt werden sollen.«

»Dort geht es gut,« sagte der Staatsrat, indem der gleichgültige Ausdruck aus seinem Ton verschwand, »der Ausgleich mit den Ungarn ist fertig, in kurzem wird der Kaiser sich auf dem Königshügel in Budapest die Stephanskrone aufsetzen, und damit wird dieses Ungarn, das so lange wie ein Bleigewicht die Bewegungen des österreichischen Staates hemmte, zu einem neuen Faktor lebendiger Kraftentwicklung gemacht sein. – Im inneren Verfassungsleben,« fuhr er achselzuckend fort, »wird viel liberaler Wind gemacht – und der weht uns schon ganz hübsch die Sympathien aus Deutschland zu – wir spielen mit Erfolg das Spiel, welches Preußen jahrelang gegen Österreich gespielt hat, und,« sagte er mit höhnischem Lächeln, »die Regierung in Berlin ist durch die Verhältnisse gezwungen, die Rolle des starren, rücksichtslosen Absolutismus zu übernehmen, zu deren Schreckbild man so lange das österreichische Kabinett gestempelt hatte.«

Mit tiefem Ernst blickte der Graf in das Gesicht des Sprechenden.

»Reden Sie im Ernst, mein lieber Staatsrat?« fragte er mit ruhiger Stimme.

»Gewiß,« erwiderte Herr Klindworth etwas erstaunt aufblickend, »warum zweifeln Sie daran?«

»Weil ich,« erwiderte der Graf langsam nach einem augenblicklichen Schweigen, »in Ihren Worten nicht jenen scharfen, durchdringenden Verstand, nicht jene unerbittlich folgerichtige Logik wiederfinde, welche ich stets so sehr an Ihnen bewunderte.«

Der Staatsrat trommelte in schneller Bewegung mit den Fingern seiner rechten Hand auf der äußeren Fläche der Linken.

»Was wollen Sie,« sprach er mit einem scharfen, schnellen Seitenblick auf den Grafen, »Verstand und Logik regieren heute nicht mehr die Welt, die unvernünftige Masse ist mündig geworden, wie sie das nennen, das heißt, man hat ihr Zügel und Gebiß abgenommen, um sie nun zu lenken, um diese unverständigen Riesenungeheuer, die man Majorität und öffentliche Meinung nennt, dienstbar zu machen, muß man sie mit dem Futter ködern, das sie am liebsten fressen.«

Der Graf schüttelte schweigend mit fast traurigem Lächeln den Kopf.

»Das ist eine Ansicht, die ich nicht teilen kann,« sagte er, »die ich bedauern muß. Sind die Völker frei geworden, so wird man sie mit falschem Köder nicht mehr regieren, man muß ihnen gesunde und kräftige Nahrung bieten. – Doch,« fuhr er mit leichtem Seufzer abbrechend fort, »wie ich höre, beabsichtigt man auch Änderungen in der Stellung Österreichs zur Kirche, das Konkordat –«

»Das Konkordat,« sagte Klindworth lebhaft, »ist ein Popanz, gegen welchen man die sogenannte öffentliche Meinung gesetzt hat, ganz Deutschland blickt mitleidig auf dieses vom Konkordat beherrschte Österreich herab, und diese guten Österreicher selbst schreien und deklamieren gegen das Konkordat, das doch keiner – kein einziger von ihnen kennt, man muß dieser Richtung, die ich bedauere, aber die jetzt einmal nicht zu ändern ist, ein Opfer schlachten, die Einführung der fakultativen Zivilehe –«

Graf Rivero schüttelte abermals den Kopf.

»Auf diese Weise glauben Sie,« sagte er, den Staatsrat unterbrechend, »Österreich verjüngen und zu neuer Kraft erstarken lassen zu können?«

»Das Volk wird jubeln,« erwiderte Herr Kindworth, »und wird für jede große politische Aktion der Regierung alle Opfer bringen.«

»Selbst diese Voraussetzung als richtig angenommen,« sagte der Graf, »was werden die Folgen sein? – Haben Sie in Österreich die eiserne Hand, welche diesem Fortschritt auf der schiefen Ebene Halt gebieten kann?«

»Diese Hand wird sich dann später vielleicht finden,« sagte der Staatsrat mit einem schnellen, stechenden Blick.

Verwundert blickte der Graf ihn an.

»Vielleicht?« fragte er, »und auf dieses Vielleicht bauen Sie Ihre Zukunft? – Doch,« fuhr er fort, »davon jetzt abgesehen, ist Herr von Beust mit der Kirche, mit der römischen Kurie über die Aufhebung des Konkordats einig?«

»Einig?« rief Klindworth, »wie könnte man darüber einig werden, wie könnte Herr von Beust überhaupt jemals mit der Kirche einig werden! – Nein,« fuhr er lebhaft fort, »hier kann von einer Einigung nicht die Rede sein, man wird zwar unterhandeln, das versteht sich von selbst, aber man wird schließlich einseitig vorgehen müssen, man wird einen großen Coup durch den Reichstag machen, und wenn dann später mit Hilfe dieser Volksaufwallung die Macht Österreichs wieder in Europa glänzend aufgerichtet ist, dann –«

»Dann –?« fragte Graf Rivero.

»Dann werden sich Männer finden,« sagte Klindworth mit einem eigentümlichen Lächeln, »welche den Frieden mit Rom machen und der Kirche wieder zu ihrem Rechte verhelfen werden.«

Der Graf sah ihn scharf an, sein klarer Blick ruhte tief forschend auf diesem listig verschlossenen Gesicht.

»Nennen wir die Sache bei ihrem rechten Namen,« sagte er, »das ist ein falsches Spiel nach allen Richtungen, gegen das Volk, gegen die Kirche – und gegen Herrn von Beust.«

»Haben Sie vielleicht gesehen, daß man mit Ehrlichkeit eine politische Partie gewinnt?« fragte Klindworth.

Der Graf schwieg einen Augenblick.

»Graf Bismarck dürfte vielleicht das Gegenteil beweisen,« sagte er sinnend. – »Wir leben in einer eigentümlichen Zeit,« fuhr er nach einem Augenblick fort, »neben der alten Staatskunst, der Politik der Kabinette, welche mit geheimen, tief verborgenen Faktoren ihr seines Spiel spielte, ersteht heute eine neue Politik, nachdem die Völker selbst als lebendige, beseelte Elemente in die Aktion getreten sind, und ich glaube, daß man jetzt mit größeren, machtvolleren Mitteln operieren muß.«

Der Staatsrat neigte das Haupt ein wenig und blickte von unten herauf erwartungsvoll in das geistdurchleuchtete Gesicht des Grafen.

»Ich glaube,« sagte der Graf ruhig, »daß diese Frage, die Sie berührt und die allerdings für das innere Leben Österreichs von hoher Wichtigkeit ist, anders erfaßt und behandelt werden muß. – Auch ich,« fuhr er fort, indem er sich erhob und die Hand leicht auf die Lehne seines Sessels stützte, »auch ich glaube, daß dem Geiste der Freiheit, welcher durch die Welt weht und den Atem der heutigen Völker bildet, Rechnung getragen werden muß, aber nicht durch halbe – und falsche Zugeständnisse, sondern dadurch, daß man sich selbst mit diesem Geiste durchdringt, daß die Regierungen und die Kirche in dem Geiste der Freiheit ihre Herrschaft wieder neu und kräftiger als jemals befestigen.«

»Herrschaft – und Freiheit? – wie wollen Sie das vereinen?« fragte Klindworth, der mit einem gewissen neugierigen Erstaunen den Worten des Grafen gefolgt war.

»Ich glaube, daß das nicht so unvereinbar ist,« sagte dieser im Tone der Überzeugung, »die Völker müssen immer beherrscht sein, wollen beherrscht sein und werden beherrscht sein, aber die Mittel der Herrschaft müssen die richtigen sein. Die Materie wird durch die Materie beherrscht, der Geist durch den Geist – und die Kirche vor allem ist berufen, auf diesem Gebiete zu herrschen. – Ich bin der Meinung, daß ein Vertrag – ein Gesetz, nennen Sie es, wie Sie wollen, wie das Konkordat, nichts bedeutet, sobald die Geister sich dagegen mit Recht oder mit Unrecht auflehnen; hat die Kirche die Macht, die Herzen zu lenken, die Gewissen zu führen, die Seelen zu durchdringen, so bedarf sie dieses Mittels nicht, ein starres Festhalten desselben kann ihre Herrschaft nur gefährden, hat sie jene Macht nicht mehr, so kann kein Konkordat der Welt sie ihr wiederbringen. Wenn also die Stimmung in Österreich so ist, wie Sie sagen, so ist es allein richtig, in freiem Einverständnis mit der Kirche jene äußere Fessel zu lösen, damit das innere Band immer kräftiger erstarke und die Geister umschlinge, nicht aber sollte man Staat und Kirche in unklarem Spiel entzweien – mit dem Hintergedanken, sie später wieder vereinigen zu können. – Ich habe viel über die Forderungen nachgedacht,« fuhr er sich mehr und mehr belebend fort, »welche unsere Zeit an die Lenker der Staaten und der Kirche stellt, und ich bin zu der klaren Überzeugung gekommen, daß es die große Aufgabe aller katholischen Mächte ist, ihren Einfluß und ihre Arbeit zu vereinigen, um die schwer erschütterte Macht der Kirche neu zu beleben durch eine innige Verbindung mit dem Geiste der Völker, welcher sich immer weiter und freier in selbständiger Bewegung entwickelt und sich nicht mehr gehorsam den aus dem verschlossenes Sanktuarium hervortönenden Befehlen unterwirft. – Man müßte zurückkehren,« sagte er, den klaren Blick vor sich hin richtend wie in unwillkürlichem Vergessen seiner Umgebung, »man müßte zurückkehren zu den eigentlichen ersten Grundprinzipien der christlichen Gemeinde, ihre drei zu organischem Leben verbundenen Glieder waren: die Priester, die Presbyter – und die versammelte Gemeinde, diese drei Faktoren bestimmten und regelten das kirchliche Leben, das mit lebendigem Pulsschlag alle Glieder durchdrang. – Das Leben der Kirche ist in Stagnation geraten und nur durch die Rückkehr zu den ersten gesunden Elementen kann man es wieder in Fluß bringen und die Herrschaft der Kirche über die Geister wieder begründen!«

»Sie vergessen,« sagte der Staatsrat Klindworth, welcher noch immer voll Erstaunen auf den Grafen blickte, »daß die patriarchalischen Zustände des Lebens, unter welchen jene ersten christlichen Gemeinden erstanden und bestanden, nicht mehr existieren, heute –«

»Jede Institution,« fiel der Graf ein, »auch die höchste und heiligste, kann nur in demselben Geiste am Leben erhalten werden, welcher sie geboren hat, und der Geist des Christentums, der Geist der christlichen Kirche ist die Freiheit, nicht jene Freiheit, welche man heute so viel im Munde führt und welche vom Gesetz sich lösen möchte in roher Willkür, sondern die Freiheit, welche in kindlichem Gehorsam danach stirbt, den Sinn des Gesetzes zu erkennen und dasselbe in liebevoller Hingebung zu erfüllen. Führt die Kirche den Menschengeist nicht auf den Weg der wahren, der göttlichen Freiheit, so wird er abirren in dunklem Drang und Streben zu den falschen Götzen, welche die sophistische Vernunft mit so lockendem Schmuck bekleidet.«

Mit leuchtenden Blicken hatte der junge Abbé zugehört, er war hinter den Sessel getreten, in welchem der Staatsrat zusammengebückt saß, der Graf trat einen Schritt näher und das Gesicht von Begeisterung durchschimmert, sprach er mit voll aus dem Innern heraustönender Stimme:

»Ich sehe ein großes, herrliches Bild vor dem Auge meines Geistes sich erheben, das Bild der wiedergeborenen Kirche, welche mit der gewaltigen, Himmel und Erde durchströmenden Macht des Wortes, des heiligen Logos, die Welt vereinigt und ihre Herrschaft wieder ausdehnt über die Geister, und um dies Bild zur Wahrheit werden zu lassen, genügt heute noch ein Wink vom Vatikan, bald vielleicht wird es zu spät sein. – Sehen Sie,« fuhr er nach einem tiefen Atemzug fort, »die ganze große katholische Welt, das ist heute die Gemeinde der Kirche, der Papst, umgeben von den Bischöfen, ist ihr Priester, die katholischen Mächte sind ihre Presbyter. Diese große Gemeinde muß zusammentreten, um in gemeinsamer Arbeit den Geist der Kirche zu regenerieren, um von neuem durch das öffentliche Bewußtsein sich ergießen zu lassen. Der Papst müßte um seinen Stuhl versammeln die Bischöfe der Christenheit, die Vertreter der Mächte und die Vertreter der Völker, um in dieser Versammlung die Satzungen und Ordnungen der Kirche, die Fragen, welche das kirchliche Leben bewegen, in mächtiger, gemeinsamer Arbeit zu erörtern; diese Versammlung müßte, wenn auch vielleicht nur durch Delegationen, in bestimmten Zeiträumen wiederkehren, damit der freie Hauch des Lebens zum Mittelpunkt der Kirche hinströmt und damit von dort aus wieder Licht und Wärme sich weit hinaus in die so viel verzweigte menschliche Gesellschaft ergießt. Was die Völker auf dem politischen Gebiet in den Angelegenheiten des materiellen Lebens verlangen, das tut noch mehr not in der großen Sache der Religion, welche die Seele mit ihrer ewigen Heimat verbindet.«

»Sie wollen ein Konzil?« sagte der Staatsrat Klindworth, »man hat diesen Gedanken schon erwogen –«

»Nicht eigentlich ein Konzil,« erwiderte Graf Rivero, »im Sinne der früheren Kirchenversammlungen, doch mag man diesen Namen beibehalten, was ich im Sinne habe, ist mehr – um diesen profanen Ausdruck zu gebrauchen – ein Kirchenparlament.«

Der Staatsrat lachte leicht.

»Und damit glauben Sie die Herrschaft der Kirche, die Herrschaft des päpstlichen Stuhls wieder begründen zu können, durch ein Mittel, welches schon auf dem weltlichen Gebiet alle Autorität untergraben hat?«

Langsam schüttelte der Graf den Kopf. »Weil die Regierungen den Geist unterdrücken wollen, statt ihn zu beherrschen und zu lenken. Der Geist aber ist das Lebenselement, das eigentliche Gebiet der Kirche, und,« fügte er düster hinzu, »wenn sie es nicht versteht, mit all der großen Summe von höchster Intelligenz, von Hingebung und Begeisterung, über welche sie Herrin ist, auf diesem Gebiete zu herrschen, dann ist ihre Macht überhaupt dahin, der Bannstrahl zündet nicht mehr, das Sonnenlicht des Geistes aber wird zu jeder Zeit siegreich durch alle Wolken brechen, und gegen die Herrschaft des Geistes wird die Macht der Regierung ebenso vergeblich kämpfen, wie die sophistischen Phrasen atheistischer Philosophie!«

Mit einem leichten Anklang von Ungeduld sagte der Staatsrat:

»Es sind sehr große, weite und schöne Ideen, die Sie da aussprechen, Herr Graf, und dieselben werden jedenfalls bei den Erwägungen, welche man im Vatikan über die Berufung eines Konzils anstellt, Beachtung finden, indes für den Augenblick liegt das noch sehr fern, und ich muß gestehen, daß ich meinerseits allen diesen Fragen ziemlich fremd bin,« er warf einen schnellen, scharfen Blick zu dem Grafen hinauf, »mir liegt die politische Welt mit ihren materiellen Machtbedingungen näher, und wir dürfen sie nicht aus den Augen verlieren.«

Mit einem leichten, schmerzlich wehmütigen Lächeln ließ sich der Graf wieder auf seinen Stuhl nieder und sagte in ruhigem Tone:

»Und was glauben Sie, steht jetzt im Vordergrund des politischen Interesses?«

Der Staatsrat richtete sich ein wenig empor, und der durchdringende Blick seines Auges richtete sich länger als gewöhnlich auf den Grafen.

»Sie sind nun längere Zeit bereits hier,« sagte er, »und einer so scharfen Beobachtung wie die Ihrige kann die wahre Lage der Dinge hier nicht entgangen sein, glauben Sie, daß bei Kaiser an eine ernste Aktion denkt, daß er bereit ist, eine solche vorzubereiten, oder trägt er sich mit dem Gedanken, sich mit dieser neuen preußischen Macht verbinden zu können?«

Der Graf schwieg einen Augenblick auf diese direkte Frage.

»Der Fürst Metternich steht den leitenden Kreisen näher als ich,« sagte er dann, »der Kaiser hat großes persönliches Vertrauen zu ihm, man sollte in Wien vollständig durch ihn unterrichtet sein.«

Ungeduldig rückte Herr Klindworth auf seinen Stuhl hin und her.

»Sie wissen so gut wie ich,« rief er, »daß Napoleon seinen letzten Gedanken, wenn ein solcher bei ihm feststeht, dem Fürsten Metternich nicht aussprechen wird, und ihn zu erraten –« Er zuckte leicht die Achseln.

»Der Grundgedanke dieser luxemburgischen Sache,« sagte der Graf ruhig, »war jedenfalls ein Arrangement mit Preußen.«

»Er hat sich getäuscht, diese Sache ist beseitigt, er hat seinen Zweck nicht erreicht, sollte er nicht tiefer als je erbittert, mehr als je von der Notwendigkeit einer großen und kombinierten Aktion durchdrungen sein?« fragte der Staatsrat.

Der Blick des Grafen ruhte einen Augenblick sinnend auf dem gespannten Gesicht des alten Agenten.

»Ich glaube es,« sagte er dann, »jedenfalls ist in seiner nächsten Umgebung der Wunsch nach einer solchen Aktion sehr lebhaft. – Sie wissen aber selbst, wie schwer der Kaiser bestimmte Entschlüsse faßt, wie viel schwerer noch er sie ausführt.«

»Ich werde ihn morgen sehen,« sagte Herr Klindworth, »und möchte gern ein wenig vorher informiert sein, daher meine Fragen. Sie wissen,« fuhr er fort, »ich bin aus einer Zeit, in welcher man die Politik als ein Rechenexempel mit klar benannten Zahlen behandelte, und ich möchte in meine Rechnung so wenig unbekannte Größen als möglich einführen.«

»Und welches ist die Formel der Aufgabe, welche Sie jetzt lösen wollen?« fragte der Graf lächelnd.

»Sie ist einfach,« jagte der Staatsrat. – »Wir müssen Frankreich, Österreich und Italien zu fester Koalition vereinigen, um Deutschland aus den Händen Preußens zu reißen, zu dieser Koalition will ich Napoleon vorbereiten. Der Kaiser Franz Joseph wird hierher kommen, ich möchte, daß er noch vor dem Könige von Preußen kommt, und dann muß diese Tripelallianz besiegelt werden, welche mächtig genug ist, um mit sorgfältiger Vorbereitung und mit wohlerwogenem diplomatischen und militärischen Plan eine erfolgreiche Aktion zu beginnen. Ein Bund der süddeutschen Staaten wird der erste Schritt derselben sein. Wenn Frankreich und Österreich eng verbunden dastehen, so werden die süddeutschen Staaten wieder den Mut zu ernster Verteidigung gewinnen, und sollten sie zögern, so wird,« fügte er lächelnd, die Hände reibend, hinzu, »der Druck von beiden Seiten und von Italien genügen, um sie zu bestimmen.«

Der Graf hatte das Auge zu Boden geschlagen. Seine ruhigen, nachdenklichen Züge zeigten keine Bewegung bei den Worten des Staatsrats.

»Ich kann nur wiederholen,« sagte er, »daß es sehr schwer ist, vorher zu bestimmen, welche Stellung dieser rätselhafte, aus schneidenden Widersprüchen sich zusammensetzende Charakter des Kaisers in der Durchführung einer weitgehenden Kombination einnehmen werde, disponiert aber werden Sie ihn für eine solche Idee, die ja ohnehin ganz in den Verhältnissen begründet ist, in hohem Grade finden, und der Unterstützung der Kaiserin werden Sie sicher sein. – Ob freilich,« fuhr er mit einem tiefen Blick fort, »Italien in diese Kombination eintreten wird, ohne Bedingungen zu stellen, welche Österreich und Frankreich als katholische Mächte in schwere Verlegenheit setzen werden, das möchte mir zweifelhafter erscheinen.«

»Bah,« sagte der Staatsrat, »das wird sich machen lassen, man wird etwas geben, viel versprechen, und wenn erst dies Deutschland wieder in Ordnung gebracht ist, tun, was man will. – Doch,« fuhr er aufstehend fort, »ich verlasse Sie, wir werden uns noch öfter sehen und eingehender alle diese Dinge besprechen, jetzt muß ich mich noch ein wenig orientieren und dann etwas ausruhen, um meine Kräfte zu sammeln, man fühlt doch allmählich das Alter.«

»Darf ich Ihnen meinen Wagen anbieten?« fragte der Graf.

»Ich danke, ich danke, ich werde einen Fiaker nehmen,« sagte der Staatsrat mit einem schnellen, forschenden Blick, und mit einer leichten Verbeugung verabschiedete er sich von dem Abbé und dem Grafen Rivero, der ihn bis zur Tür des Vorzimmers begleitete.

Als der Graf wieder in das Zimmer zurücktrat, lag tiefer Ernst auf seinen Zügen.

Er ging einige Male sinnend auf und nieder und blieb dann vor dem Abbé Rosti stehen.

»Mein Freund,« sagte er, seine Hand auf die Schulter des jungen Mannes legend, mit tiefernstem Ausdruck, »was mir in Wien bereits vorschwebte, ist mir hier immer klarer geworden und steht jetzt in unumstößlicher Überzeugung fest: der Weg, welchen Österreich geht, führt zum Unheil! – Zum wahren Heil des Christentums und der Kirche müssen wir mit aller Kraft daran arbeiten, daß die Durchführung dieser Kombination verhindert werde, sie würde die Welt in Flammen setzen und – selbst wenn ihr Zweck erreicht würde, nur die allgemeine Auflösung nach sich ziehen.«

»Ich habe mit Bewunderung die großen und weiten Ideen verfolgt,« sagte der junge Priester, »welche Sie vorhin entwickelten, aber,« fügte er zögernd hinzu, »sollte es möglich sein, daß dieselben bei dem heiligen Stuhle Eingang fänden? – werden nicht die alten Auffassungen von der absoluten, unantastbaren Autorität einer solchen Entfesselung der geistigen Bewegung entgegenstehen?«

»Wer den Geist fürchtet, wird ihn nie beherrschen,« erwiderte der Graf, »wer vermag das Meer in Dämme zu schließen und der Bewegung seiner brandenden Wogen Fesseln anzulegen?« fuhr er fort, »aber der Heiland schritt, getragen von der Kraft des ewigen Wortes, herrschend über die Wellen hin, die sich demütig zu seinen Füßen schmiegten. So soll die Kirche, durchdrungen vom ewigen Geiste Gottes, in siegreicher Zuversicht ihren Fuß auf die Wogen der geistigen Strömung setzen, die rauschende Flut wird sich gehorsam zu ihren Füßen legen. – Der heilige Vater war diesem Gedanken nicht fern,« sagte er sinnend, »am Anfange seines Pontifikats, und wäre früher kraftvoll in diesem Sinne gehandelt worden, so wäre vielleicht heute die Macht Gregors VII. in reinerer, edlerer und herrlicherer Form wieder erstanden, doch noch ist es nicht zu spät, wenn auch spät – sehr spät.«

»Aber,« sagte der Abbé, »wenn auch eine Durchführung dieser großen Idee möglich wäre, wenn man in großartiger Kühnheit diesen Weg einschlüge, um die freie Geistesherrschaft der Kirche zu begründen, so würde es doch um so mehr die Aufgabe der katholischen Mächte sein, diese immer gewaltigere Erhebung des protestantischen Preußens zu bekämpfen und in Deutschland wieder die Hoheit Österreichs zu befestigen, und doch wollen Sie –«

»Katholische Mächte?« rief der Graf, indem er sinnend den Blick erhob, »wo sind die katholischen Mächte? – Ist der Name »katholisch«, wie er gewöhnlich gebraucht wird, noch gleichbedeutend mit wahrem Christentum, mit der Kirche, wie sie Gott zum Heile der Menschheit auf Erden erbaut sehen will? – Ist eine Macht eine katholische, eine christliche, weil in den Kirchen ihres Landes die Messe gelesen wird? Ist Österreich eine katholische Macht, Österreich, welches im vorigen Jahre in eiliger Überstürzung die Existenz, die Macht und das Recht der alten Kirche aufgab, Österreich, das jetzt nicht daran denkt, an einer wahren geistigen Regeneration der Kirche zu arbeiten und dazu in inniger Verbindung mit dem römischen Stuhl seinen ganzen Einfluß aufzubieten, sondern statt dessen dem seichten Liberalismus zuliebe eine wohlfeile Konzession macht und der Kirche einfach den Krieg erklärt, mit Hintergedanken nach allen Seiten? – Ist Frankreich eine katholische, eine christliche Macht? Frankreich, das seit lange in dem Leben seines Staatsorganismus und seiner Gesellschaft alle Grundelemente des Christentums zerstört hat, Frankreich, das die Göttin Vernunft zwar nicht mehr auf den Straßen und öffentlichen Plätzen einherfährt, dafür aber ihren Götzendienst pflegt in feinen Journalen, in seinen öffentlichen Versammlungen, auf dem Herde seiner Familien? Frankreich, das seine Hand auf Rom legt, nicht zum Schutz der Kirche, sondern um jede wahrhaft nationale Entwicklung unseres armen Vaterlandes zu verhindern? – Ist Italien eine christliche Macht, Italien, das eine Beute geworden dem piemontesischen Ehrgeiz und dem roten Wahnsinn eines Garibaldi? – Spanien etwa, dessen nationale Kraft sich nur noch in sporadischen Zuckungen erhebt, um den eigenen Leib zu zerfleischen?«

Er hielt inne und seufzte tief auf.

»Blicken Sie dagegen hin auf dieses Deutschland,« fuhr er dann langsam mit voller Stimme fort, »auf dieses Deutschland, das man uns als die ketzerische Macht bezeichnen möchte, dort ist der wahre Katholizismus, das wahre Christentum, ich spreche nicht nur von den katholischen Gebieten, sondern auch von den protestantischen, in Deutschland ist das Christentum lebendig sowohl im Staat und in der Gesellschaft, wie in der Familie. Das Heil der Kirche kann nur erwachsen, wenn man dies in Rom erkennt, wenn man fest und klar sich auf die deutsche Kraft stützt, an deren Spitze ich so gern das neugeborene Österreich gesehen hätte, welche aber jetzt, und zwar für immer in den Händen Preußens ruht. Deutschland muß der materielle Boden sein, auf welchen die Wiedergeburt der Kirche sich stützt, anknüpfend an die eisten Gedanken Leos X. und Karls V. bei der Reformation. Wenn die päpstliche Kurie es versteht, in inniger Verbindung mit Deutschland die freie, geistige Herrschaft der Kirche wieder aufzurichten, dann wird auch der irdische Felsen ihrer Unabhängigkeit mitten in den Brandungen der italienischen Bewegung feststehen, das piemontesische Werk der Nacht wird nicht vollendet werden, wenn der erste Priester der Christenheit sich stützt auf den Arm des deutschen Kaisers.«

»Des deutschen Kaisers?« rief der Abbé mit tiefem Erstaunen, »Sie glauben, daß das deutsche Reich wieder erstehen werde durch Preußen?«

»Ich glaube es,« fügte der Graf mit fester Stimme, »und ich erblicke darin, wie jetzt die Dinge gekommen sind, das einzige Heil des Christentums, der Kirche, der Zivilisation. Und daß dies geschehe, dafür will ich arbeiten mit Eifer und Wachsamkeit, denn nicht ohne schwere Kämpfe wird das Ziel erreicht werden, Gott gebe, daß dies nur Kämpfe der Geister sein mögen, denn wenn die Waffen entscheiden sollten, wenn die Gedanken und Pläne dieses alten Klindworth Wirklichkeit würden, so würde die Welt von Blut überschwemmt werden.«

»Doch, was wird man in Rom zu dieser Auffassung sagen?« fragte der Abbé Rosti schüchtern und zögernd, »wenn man sie nicht billigte?«

»Dann wird die zweite Ära der Weltherrschaft Roms beendet sein,« sagte der Graf mit düsterem Tone, »dann werden die Legionen des heutigen Rom in Deutschland ebenso ihr Grab finden, wie einst die stolzen Kolonnen des Varus, doch,« fügte er hinzu, »ich habe Andeutungen, daß die Stellung und Bedeutung Deutschlands in Rom wenigstens empfunden, wenn auch noch nicht klar erkannt wird, ich hoffe auf den scharfen Blick Antonellis, ich hoffe, daß der große und freie Geist des heiligen Vaters die Schwingen, die er einst so mächtig regte, wieder ausbreiten werde, um in siegreichem Adlerflug die Kirche hinüberzuführen in die neuen Jahrhunderte des Lichts und der Freiheit!«

Der Abbé hatte die Hände gefaltet und blickte wie träumend in das von prophetischem Schimmer erleuchtete Antlitz des Grafen.

»Sie öffnen mir Gesichte,« sagte er, »deren Helle mich blendet.« »Möchten sie sich einst erfüllen,« sprach der Graf sanft, »zur immer größeren Ehre Gottes!«


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