Oskar Meding
Europäische Minen und Gegenminen
Oskar Meding

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Neuntes Kapitel.

In einem freundlichen und geräumigen Hause am Friedrichswall, jener breiten Avenue, welche, vom alten Schlosse in Hannover ausgehend, an den schönen, sogenannten Maschwiesen hinführt, an einer Seite nur bebaut und an der andern von einer prachtvollen Allee alter Bäume begrenzt, wohnte der Oberamtmann von Wendenstein, welcher mit ehrenvollem Abschied aus dem Staatsdienst den alten Amtssitz zu Blechow im Wendlande verlassen und sich in Hannover etabliert hatte. Frau von Wendenstein war noch stiller und ernster als früher, ein wehmütiger Zug lag auf ihrem Gesicht, aber die sanft schmerzliche Erinnerung an das alte, kühle, hallende Haus in Blechow hinderte sie nicht, die neue, vorläufige Heimat in Hannover mit liebevoller Sorglichkeit für die Ihrigen zu ordnen und zu schmücken.

Hatte sie doch alle ihre Lieben um sich, war doch ihr Sohn gerettet und vollständig zu neuem, kräftigem Leben genesen, sollte doch bald durch ihn eine neue Häuslichkeit erblühen, mochten da die Ereignisse der Welt noch so schmerzlich für sie sich gestalten, ihr Leben lag im Hause, und mit stiller Hoffnung und Freude bereitete sie alles vor, um demnächst dem geliebten Sohn die heimatliche Häuslichkeit zu gründen.

Der Oberamtmann ging ernst und schweigend einher. Er gehörte der alten Zeit an, welche er seit lange um sich her zerbröckeln – und dann in der gewaltigen, welterschütternden Katastrophe zusammenbrechen gesehen hatte, er liebte die eigenartige Selbständigkeit seines hannoverischen Landes, schmerzlich berührte es ihn, die neue Herrschaft zu sehen im Lande der Fürsten, denen seine Väter gedient hatten, aber sein klarer, praktischer und verständiger Geist hielt ihn fern von jenen demonstrativen Äußerungen des Unmuts, von jenem passiven, agitatorischen Widerstand, welchen ein Teil des Volkes und ein großer Teil seiner Standesgenossen dem preußischen Regimente entgegensetzte. Er sah die neue Zeit und verstand sie, ohne sie lieben zu können, so lebte er ziemlich allein, zurückgezogen im Kreise seiner Familie; von der neuen, um die preußischen Elemente gebildeten Gesellschaft entfernte ihn sein Herz und sein Stolz – von den sogenannten welfischen Patrioten hielt ihn sein klarer und ruhiger Verstand zurück.

Der Leutnant war vollständig genesen. In der Blüte kräftiger Gesundheit schimmerten wieder seine Wangen, und seine lange Krankheit hatte nur einen tieferen, sinnigen Ernst in dem Blick seines Auges hinterlassen. Schwerer als seinem Vater war es ihm geworden, seine Stellung zu den neuen Verhältnissen zu nehmen. im täglichen Umgang mit seinen Kameraden und Freunden, den Offizieren der früheren hannöverschen Armee, lebte er in einer Sphäre des brennenden, mit jugendlicher Lebhaftigkeit erfaßten und idealisierten Schmerzes um die Vergangenheit, der ja auch sein ganzes Herz mit allen seinen Fasern angehörte.

Der König Georg hatte allen Offizieren erklären lassen, daß sie auf ihren Wunsch und Antrag sofort den Abschied erhalten würden – die Wohlhabenden hatten diesen Abschied nicht genommen, oder waren doch nicht in preußische Dienste getreten, eine große Anzahl von jungen Leuten, welche weder die Mittel zu selbständiger Existenz noch die Ausbildung zu irgend einem andern Lebensberuf besaßen, hatten die Verhältnisse und ihre Notwendigkeit angenommen.

Während die Kämpfe, welche die Notwendigkeit dieser Entschlüsse bedingten, nicht nur die Kreise der jüngeren Offiziere, sondern auch deren Familien lebhaft bewegten und aufregten, hatte der Hauptmann von Adelebsen alle jüngeren Offiziere, die noch nicht in der preußischen Armee Dienste genommen, zu einer Versammlung berufen. Dort hatte er ihnen ein Schreiben des Königs aus Hietzing vorgelesen und gezeigt, in welchem derselbe die Hoffnung ausdrückte, daß alle Offiziere sich seiner Sache erhalten möchten, und zugleich das Versprechen gab, daß jeder eine Jahreseinnahme von fünfhundert Talern beziehen solle, sei es durch Ergänzung der eigenen Mittel, sei es durch vollständige Zahlung aus der Kasse des Königs. Die Offiziere sollten ruhig im Lande leben und der Befehle des Königs gewärtig sein, welche ihnen durch dazu bestimmte Vertrauenspersonen zugehen würden.

Diese Botschaft des Königs hatte neue, große Aufregung und beängstigende Zweifel in die Seelen dieser armen, jungen Leute geworfen, welche so hart und schwer unter den mächtig daherrollenden Ereignissen zu leiden hatten. – Viele waren der Aufforderung des Königs gefolgt und hatten opfermutig das gefahrvolle, traurige Leben auf sich genommen, zu welchem das Festhalten an dem dem Könige Georg geleisteten Fahneneide sie verurteilte, sie hatten es auf sich genommen, ein Leben von Verschwörern zu führen, immer unter der Strafe des Hochverrats stehend, ausgesetzt allen Gefahren, ohne die Ehren und den Ruhm, den der frische, fröhliche Kampf dem Soldaten bringt.

In tiefer Bewegung und lebhaftem, innerem Kampf war der Leutnant von Wendenstein aus jener Versammlung seiner Kameraden heimgekehrt. Sein Herz zog ihn auf die Seite derjenigen, welche den dornenvollen Dienst von Verschwörern und Agitatoren für ihren bisherigen König und Kriegsherrn auf sich zu nehmen entschlossen waren – nicht die persönliche Gefahr, aber der Gedanke an seine Zukunft, an die Heimat, welche er begründen wollte, machte ihn zittern. Durfte er die Geliebte, welche ihr Leben an das seine gebunden, welche von ihm Schutz und Halt erwarten mußte, den Zufällen und Fährnissen eines solchen Lebens aussetzen?

Lange war er sinnend im Kampf widersprechender Gedanken und Empfindungen umhergegangen, dann war er mit allem Vertrauen des Sohnes, mit aller Ehrfurcht des Jünglings vor dem alten, in ehrenfestem Leben bewährten Manne, zu seinem Vater gegangen und hatte ihm die Botschaft des Königs und die Kämpfe seines Herzens mitgeteilt, ihm die Entscheidung anheimstellend.

Ernst und still ging der alte Oberamtmann auf und nieder, den Blick des treuen, klugen Auges Zu Boden gesenkt.

Dann blieb er vor seinem Sohne stehen, blickte ihm voll und frei ins Gesicht und sprach mit milder, ruhiger Stimme:

»Ich danke dir, daß dein Vertrauen dich zu mir geführt. – Du verlangst meine Entscheidung – ich kann sie dir nicht geben. Ich habe meine Söhne erzogen, Männer zu sein – und in Konflikten, wie sie unsere Zeit bringt, muß der Mann der eigenen Stimme folgen fest und unbeirrt. – Aber,« fuhr er fort, indem er die Hand sanft auf die Schulter seines Sohnes legte, »meinen Rat und meine Ansicht bin ich dem Sohne, dem Jüngling schuldig, und ich will dir sagen, was ich denke – frei von allen persönlichen Rücksichten, allein der Stimme der Ehre und des Gewissens folgend, ohne daran zu denken, wie nahe deine Entschlüsse auch mich berühren. – Wenn du,« fuhr er langsam und ruhig fort, »jetzt mit deinem Eide an die Fahne des Königs gefesselt bleibst, so darfst du nicht vergessen, daß diese Fahne fortan nicht mehr diejenige der äußeren Ehre, sondern diejenige der Empörung gegen die von Europa anerkannte Obrigkeit ist, daß die Gefahr, der du entgegengehst, nicht mehr der Tod auf dem Schlachtfeld ist, sondern der Kerker, das Zuchthaus, vielleicht das Schafott. Der Schlaf wird deine Nächte fliehen, Sorge und Angst werden deine Begleiter sein. – Doch davon will ich nicht sprechen, ich weiß,« sagte er mit festem und stolzem Ton, »daß mein Sohn keine Gefahr scheut, sie möge Namen haben, welche sie wolle – wenn er ihr auf einem Wege begegnet, den seine Ehre und seine beschworene Pflicht ihm zu gehen vorschreiben. – Aber eine andere, eine größere Gefahr ist da. Stellst du dich dem Könige zur unbedingten Verfügung, so darfst du nicht vergessen, daß der unglückliche Herr heute nicht mehr auf dem von Gesetzen und Landesrechten umgebenen Throne sitzt, von welchem herab er nur Befehle geben kann, welche mit den Gesetzen und Rechten des Landes übereinstimmen. Gibst du dich ihm jetzt zu eigen mit dem höchsten und heiligsten Bande, das die Erde kennt, dem Fahneneide des Offiziers, so ist er dein absoluter Herr, und kennst du seine Umgebung, kennst du diejenigen, welche ohne verfassungsmäßige Verantwortlichkeit – und ohne persönliche Gefahr ihm ratend zur Seite stehen? Weißt du, welche Befehle du erhalten kannst, kannst du das Ende des Weges übersehen, wenn du den ersten Schritt tust? Kannst du wissen, ob nicht ein Augenblick kommt, in welchem dein Eid auf der einen Seite und deine Ehre, dein Gewissen, dein deutsches Blut,« sagte er mit Betonung, »auf der andern dich m einen furchtbaren Zwiespalt führen können? – Und dann,« fuhr er fort, »stehst du nicht allein. Helene, ich weiß es, wird dich nicht mit einem Wort, nicht mit einem Blick zurückhalten von dem Entschlusse, der dir der rechte scheinen würde, aber ihr Herz wird vergehen in der ewigen Sorge und Angst eines Lebens, das dich zum Geächteten macht!«

Der Leutnant sah traurig zu Boden.

»Helene, arme Helene!« sagte er, die Hände fallend, »aber meine Kameraden, der König!« flüsterte er.

Der Oberamtmann sah ihn lange an.

»Der König,« sagte er dann, »glaubt an einen Kampf für sein Recht, er glaubt an eine Wiedergewinnung seines Thrones, und deine Kameraden, welche sich ihm zur Verfügung stellen wollen, teilen diesen Glauben. – Ich teile ihn nicht!« fuhr er nach einer Pause fort, »denn ich sehe in dem Charakter des Königs und in seiner bisherigen Haltung nichts, was in einem so ungeheuren Kampf Erfolg versprechen könnte, es wird die moralische Wiederholung des Feldzuges vom vorigen Jahre werden, unglaubliche Hin- und Herzüge, Aufopferung heldenmütiger Hingebung, stetes Versäumen der richtigen Mittel und der richtigen Augenblicke – und endlich ein trauriges Ende in selbstgeschaffener Sackgasse, bei welchem den einzigen, schmerzlichen Ruhm die Opfer haben werden. – Sieh, mein Sohn,« fuhr der alte Herr fort, »das Unternehmen eines Fürsten, welcher allein mit seinem Recht und mit wenigen Getreuen dasteht, und welcher so gegen eine Macht, vor welcher die Großstaaten Europas zittern, in den Kampf tritt für sein Recht, das er nicht aufgeben will – hat etwas so Heldenhaftes, mächtig Ergreifendes, daß ich, der alte Mann, welcher gelernt hat, seine Gefühle durch Vorsicht und Erfahrung leiten zu lassen, davon hingerissen werden könnte. Allein – ich müßte die Möglichkeit eines Sieges, eines ehrenvollen Friedens, oder eines großen, ruhmvollen Untergangs sehen. Eine solche Möglichkeit aber sehe ich nicht. – Um zu siegen, oder um durch ehrenvollen Friedensschluß das verlorene Recht ganz oder teilweise wieder zur Geltung zu bringen – müßte der König sich furchtbar und mächtig machen, er müßte sich an die Spitze aller Ideen stellen, welche in Deutschland der preußischen Herrschaft widerstreben, damit, wenn sich je eine Bewegung gegen dieselbe erhebt, er von dieser Bewegung emporgetragen werde, er müßte die Möglichkeit schaffen, auch den Kern einer von mächtigem Gedanken durchströmten Armee bilden zu können, wenn es Not tut, um dann, wenn irgendeine Erschütterung Europas die Gelegenheit bietet, sein Recht zu reklamieren und es durch Kampf oder Vertrag geltend zu machen. Dazu fehlt aber in den bisherigen Manövern, soweit ich sie sehe, alles! Überall dasselbe schwächliche, zweideutige Spiel, man protestiert gegen die Annexion und möchte doch die Domänen unter der preußischen Herrschaft behalten, man will kämpfen und sieht ruhig zu, wie die nach London geretteten Papiere, zu deren Verkauf man so lange Zeit hatte, amortisiert werden, überall Negation statt der Handlungen, der König weiß zu befehlen, aber er versteht nicht zu herrschen! Ich habe hier manches gelernt und gesehen,« fuhr der alte Herr nach einigen Schritten durch das Zimmer fort, »das mir in der ruhigen und zurückgezogenen Tätigkeit in Blechow verborgen geblieben war, und ich muß sagen, was ich von dem Treiben in Hietzing höre – gefällt mir nicht und flößt mir wenig Vertrauen ein. Der General von Knesebeck hat mir Trauriges mitgeteilt. Ihn hat der König unglaublich schnöde behandelt, ebenso ist der alte General von Brandis fortgeschickt, und die Personen, welche sich hier als Vertreter des welfischen Patriotismus gerieren, in wohlfeilen Demonstrationen durch gelbweiße Kravatten und gelegentliche gelbweiße Fähnchen, glaubst du, daß sie die Leute sind, um im großen, geistigen und politischen Kampf Erfolge zu erringen? Mit einem Wort – ich sehe nichts vorher, als ruhmlose Gefahren, verfehltes Streben – und ein klägliches Ende. Dies ist meine Ansicht. – Doch,« fuhr er fort, »deinen Entschluß mußt du selbst fassen, – und,« fügte er mit warmem Blick hinzu, »welchen Weg du auch erwählen magst, du wirst ihn mit Ehren gehen, und mein Segen wird mit dir sein.«

Lange stand der junge Mann in schweigendem Nachdenken.

»Ich bleibe hier!« sagte er dann, seinem Vater die Hand reichend, welche dieser herzlich schüttelte. – »Ich werde meinen Kameraden meinen Entschluß mitteilen, ich will mich nicht heimlich zurückziehen, sollte jemals ein Augenblick kommen, in welchem der König mit Aussicht auf Erfolg und unter günstigen und ehrenvollen Umständen sein Recht im Felde wiederzuerobern versteht, so bin ich da und werde dann bei einem Aufruf nicht fehlen. Für jetzt werde ich meinen Abschied nehmen.«

Und erleichtert durch diesen Entschluß seufzte der junge Mann auf, ein heiteres Lächeln erleuchtete sein Gesicht.

»Hast du Bergenhof genau geprüft?« fragte sein Vater nach einer Pause, »Haus und Hofgebäude haben mir wohl gefallen –«

»Ich habe alles auf das Genaueste angesehen, Boden und Kultur sind gut, ich glaube, daß der Preis angemessen ist,« erwiderte der junge Mann.

»So laß uns in diesen Tagen noch einmal hingehen,« sagte der Oberamtmann, »und dann wollen wir abschließen, mich drängt es, wieder eine wahre, wirkliche Heimat zu haben, und dann – kannst du ja bald deine junge Hausfrau heimführen,« fügte er freundlich hinzu und nahm den Arm seines Sohnes, um seinen vom Podagra etwas schwerfällig gewordenen Gang zu unterstützen.

Beide verließen das Zimmer des Oberamtmanns, um sich in den Salon der Damen zu begeben.

Fast ähnlich waren die Zimmer der Frau von Wendenstein in dem gemieteten Hause zu Hannover den Räumen im alten Hause zu Blechow. Es waren zum Teil dieselben alten Möbel, es war überall dieselbe stille, einfache, saubere Traulichkeit, welche die sanft waltende Hand der alten Dame um sich her geschaffen hatte.

Helene war gekommen, um Einkäufe für ihre Ausstattung zu machen, und in diesem stillen Familienkreise blühte inmitten der großen Katastrophe, welche die Welt aus den Fugen riß, ein friedliches, selbstgenügendes Glück auf, das nur leicht beschattet wurde von den Wolken der Zeit.

Frau von Wendenstein saß in ihrem Lehnstuhl, freundlich lächelnd blickte sie auf die jungen Mädchen, welche verschiedene vor ihnen liegende Stoffe musterten.

Mit innigem Ausdruck blickte Frau von Wendenstein auf ihre künftige Schwiegertochter, deren sinnende Augen mehr inneren Bildern zu folgen schienen, als die vor ihr ausgebreiteten Muster zu betrachten. Das junge Mädchen war schöner als früher, ein Licht reinen Glücks verklärte ihre zarten Züge mit duftigem Hauch, aber es war nicht das lachende Glück des frischen, fröhlichen Augenblicks, es war ein träumender Ausdruck sinnigen Seelenlebens, der in wunderbarem Glanz aus den klaren Tiefen ihres Auges heraufschimmerte.

Der Oberamtmann mit seinem Sohne trat ein.

Ein flüchtiges Rot überzog Helenens Wangen. Der Leutnant führte seinen Vater zu einem Lehnstuhl neben seiner Mutter und küßte dann zärtlich und innig die Hand seiner Braut, welche mit strahlendem Blick zu ihm aufschaute.

»Nun,« sagte der Oberamtmann mit heiterem Lächeln, »ich hoffe, wir werden bald mit unseren Vorbereitungen fertig sein, beeilt also die euren, ich stehe in Unterhandlung wegen des Gutes Bergenhof, nicht zu weit von unserer alten Heimat in Blechow und von unserem Freund Berger, sobald ich abgeschlossen, wollen wir den Kindern da ihr Nest bauen.«

Errötend senkte Helene das Haupt.

»Wir werden fertig sein,« sagte Frau von Wendenstein mit einem leichten Anklang milden Selbstbewußtseins, »du weißt ja, daß ich gewöhnt bin, meinen pünktlichen Herrn Gemahl niemals warten zu lassen,« fügte sie lächelnd hinzu.

»Zuweilen auch ihn zu übertreffen und mit ihm zu schmollen, wenn er nicht zur rechten Zeit fertig ist,« lachte der Oberamtmann.

Der alte Diener öffnete die Tür und meldete:

»Der Herr Kandidat Behrmann.«

Der Oberamtmann stand auf und streckte dem eintretenden Kandidaten die Hand entgegen, der sie mit tiefer Verneigung ehrerbietig ergriff und dann die Damen und den Leutnant begrüßte.

Nichts war verändert in dem Äußern des jungen Geistlichen Sein einfacher schwarzer Anzug war ebenso sauber und glatt als die Züge seines ruhigen Gesichts, die niedergesenkten Augenlider und die würdevolle Bescheidenheit seiner Haltung vereinigten sich zu einem Ausdruck geistlicher Ruhe und Zurückhaltung.

»Ich komme nach Hannover,« sagte er mit leiser, salbungsvoller Stimme, »um mir meine Ernennung zum Adjunkten meines Oheims bestätigen zu lassen, welche in der Unruhe des vorigen Jahres noch nicht definitiv ausgefertigt wurde und bis jetzt immer im Zustande des Provisoriums erhalten ist. – Es ist traurig für mich,« fuhr er fort, »mit den Behörden der neuen Herrschaft verhandeln zu müssen, aber der Wunsch meines Oheims, diese Sache reguliert zu sehen –«

»Und wie geht es dem lieben Freunde?« rief der Oberamtmann.

»Seine Gesundheit ist vortrefflich,« antwortete der Kandidat, »aber sein Herz ist schwer bedrückt, er unterwirft sich, wie es christliche Pflicht ist, der Obrigkeit, die da Gewalt über uns hat, aber sein Herz und seine Liebe gehören dem verbannten Könige – und schwer trauert er über das Schicksal des Landes.«

Der Oberamtmann blickte schweigend und düster zu Boden.

»Der Oheim hat mir die herzlichsten Grüße für den Herrn Oberamtmann und seine Familie aufgetragen,« sprach der Kandidat, »und mir diesen Brief für Helene mitgegeben.«

Er zog aus der Tasche seines Rockes einen Brief und reichte ihn seiner Cousine.

Das junge Mädchen hatte seit dem Eintritt ihres Vetters die Augen zu Boden geschlagen, eine leichte Blässe überdeckte ihr Gesicht, rasch nahm sie den Brief, den der Geistliche ihr darreichte, ein scheuer Blick erhob sich zu ihrem Vetter und senkte sich schnell wieder vor seinem scharfen, stechenden Auge, das sich auf sie richtete.

Sie erhob sich und trat in die Nische des Fensters, um den Brief ihres Vaters zu lesen.

»Und wie geht es sonst in Blechow?« fragte der Oberamtmann, »was macht der alte, brave Deyke – und Fritz?«

»Fritz Deyke und seine junge Frau aus Langensalza,« sagte der Kandidat, »führen die Wirtschaft des Hofes, welche der alte Deyke ihnen übergeben, der sich nur sein Ehrenamt als Bauermeister vorbehalten – und es herrscht ein neues, munteres Leben aus dem sonst so ruhigen und stillen, alten Hofe. – Die junge Frau ist fromm,« fuhr er mit salbungsvollem Tone fort, »eine Beschützerin aller Armen des Dorfes, und mein Oheim hat viel Freude an ihrem Tun und Treiben, der Alte macht sich zuweilen in einigen derben Äußerungen über die neue Landesherrschaft Luft, aber ein Blick seiner Schwiegertochter bringt ihn wieder zum Schweigen. – Wenn überall die alte und die neue Zeit sich in so freundlicher Harmonie die Hand reichen, wie auf dem Bauernhofe des alten Deyke, so wäre der Frieden bald hergestellt!«

»Nun,« sagte der Oberamtmann, ernst die Hände faltend, »Gott wird alles fügen nach seinem Wohlgefallen! – In Zeiten wie die unsrigen muß der einzelne Mensch schweigend erwarten, wohin die Vorsehung die Schicksale der Völker führt.«

»Amen!« sprach der Kandidat, das Haupt neigend.

»Herr von Tschirschnitz und Herr von Hartwig!« meldete der alte Diener, und die beiden Herren, frühere hannoverische Offiziere, traten in den Salon.

Herr von Tschirschnitz, der Sohn des früheren Generaladjutanten des Königs Georg, war ein großer, schöner Mann von hohem, kräftigem Wuchs; die ausdrucksvollen Züge seines von dunkelblondem Vollbart umrahmten Gesichts drückten Intelligenz und Energie aus; Herr von Hartwig, älter als jener, hatte weiche, kränkliche Züge, sein Kopf war ganz kahl und seine hellen, freundlichen Augen blickten jetzt wehmütig und traurig.

Die Herren setzten sich zu dem Tische, nachdem sie den Oberamtmann und die Damen begrüßt und ihrem Kameraden, dem jungen Herrn von Wendenstein, herzlich die Hand gedrückt.

»Kandidat Behrmann aus Blechow,« sagte der Oberamtmann vorstellend.

Die Herren verneigten sich. »Ein guter Hannoveraner?« rief Herr von Hartwig mit freiem Ausdruck, »wie es sich ja hier von selbst versteht!« fügte er zum Oberamtmann gewendet hinzu.

Der Kandidat neigte schweigend das Haupt.

Herr von Tschirschnitz betrachtete ihn mit forschendem Blick.

»Ich habe mit tiefer Teilnahme von dem harten Schlage gehört, der Sie betroffen,« sagte Frau von Wendenstein mit innigem Ausdruck, sich an Herrn von Hartwig wendend, »wie konnte dies schwere Unglück so schnell kommen?«

»Meine arme Frau,« erwiderte Herr von Hartwig, indem eine Träne sein Auge verdunkelte, »war schwer erschüttert durch die Ereignisse, man brachte mich ihr auf den Tod verwundet, die unermüdliche Pflege, die Sorge und Angst haben ihre schon schwankende Gesundheit zerrüttet – ein chronisches Brustleiden nahm schnell eine akute Gestalt an, und als ich mich von meinem Lager erhob,« fügte er mit bebender Stimme hinzu, »da war es – um meine Frau zu Grabe zu geleiten.«

»Welche Schmerzen, welcher Jammer!« sagte Frau von Wendenstein leise, »o die Kronen der Fürsten müßten sich nur mit Perlen schmücken, statt mit Diamanten und Rubinen, wie viele Tränen haften an ihrem Glanz!«

»Aber es wird ein Tag der Rache kommen,« rief Herr von Tschirschnitz, »und vielleicht ist er nahe!«

»Rache?« sprach der Oberamtmann ernst und sinnend, »die Rache ist des Herrn, vor dessen Blick allein Schuld und Unschuld offen liegt, menschliche Rache fügt nur immer weiter Ring an Ring in der furchtbaren Kette der Leiden. – Doch,« unterbrach er sich, »Was gibt es Neues in dieser Zeit, wie sind die Herren zufrieden, welche in den preußischen Dienst getreten?«

»Sie werden mit aller Zuvorkommenheit behandelt,« erwiderte Herr von Tschirschnitz, »aber sie fühlen selbst mehr, als man es sie fühlen läßt, wie schwer die Stellung ist, in welche die Notwendigkeit sie gedrängt hat, um so mehr, als sie vielleicht bald in der neuen Uniform ins Feld ziehen sollen!«

Der Leutnant horchte hoch auf.

Der Kandidat warf einen schnellen Blick auf die Offiziere.

»Ins Feld ziehen?« rief der Oberamtmann, »wie das?«

»Seit gestern,« sagte Herr von Tschirschnitz, »spricht alle Welt von großen Verwicklungen, Frankreich hat sich Luxemburg von Holland abtreten lassen, die Zeitungen bringen die Nachricht von großen, französischen Rüstungen, auch hier sollen im stillen Vorbereitungen getroffen werden, welche auf ernste Ereignisse schließen lassen.«

»Ein Krieg gegen Frankreich?« sagte der Oberamtmann, »das könnte ja vielleicht die neue Waffenbrüderschaft fester kitten.«

Die Offiziere schwiegen.

Der Leutnant von Wendenstein stand auf und schritt im Zimmer auf und nieder.

»Ich bitte um die Erlaubnis,« sagte der Kandidat, »meinen Geschäften nachgehen zu dürfen, meine Zeit ist gemessen, und ich habe viele Gänge zu machen.«

Er stand auf.

Die Herren erhoben sich ebenfalls.

»Wir müssen Euch allein sprechen,« flüsterte Herr von Tschirschnitz dem Leutnant von Wendenstein zu.

»Sogleich – wir wollen auf mein Zimmer gehen,« erwiderte dieser und trat zu Helene, welche den Brief ihres Vaters gelesen hatte.

»Ich hoffe,« sagte der Oberamtmann zum Kandidaten, »daß wir Sie vor Ihrer Rückreise noch sehen?«

»Ich werde nicht versäumen, mich zu empfehlen, und,« fügte er mit einem schnellen Seitenblick auf seine Cousine hinzu, die ihre Hände um den Arm ihres Verlobten geschlungen und ihr Haupt leicht an seine Schulter gelehnt hatte, »und eine Antwort von Helene an ihren Vater abzuholen.«

Helene neigte den Kopf, ohne ihre Augen aufzuschlagen.

Der Kandidat verließ das Zimmer mit demütiger Verneigung, ein mildes Lächeln auf den geschlossenen Lippen.

Als er auf die Straße gekommen war, verschwand dieses Lächeln, ein scharfer Strahl blitzte aus seinem Auge, und ein harter, feindlicher Ausdruck legte sich auf seine Züge. Bald aber zeigte sein Gesicht wieder seine gewöhnliche, gleichmäßige Ruhe, und mit raschen Schlitten ging er nach dem Georgswalle und trat in das große Haus dem Theater gegenüber, in welchem der preußische Zivilkommissar, Freiherr von Hardenberg, sein Geschäftslokal eingerichtet hatte.

Ein Bureaudiener führte ihn in das Vorzimmer des Zivilkommissars. Nach einer halben Stunde stand er vor dem Chef der Preußischen Zivilverwaltung im ehemaligen Königreich Hannover.

Herr von Hardenberg, ein Mann von etwa dreiundvierzig Jahren, mit vornehmen, freundlich wohlwollenden Zügen von etwas nervös gereiztem Ausdruck, saß vor seinem Schreibtisch und lud durch eine Handbewegung den Kandidaten ein, ihm gegenüber Platz zu nehmen.

In demütiger Haltung und mit niedergeschlagenen Augen sprach der junge Geistliche:

»Ich bin gekommen, um Eure Exzellenz zu bitten –«

»Ich bin nicht Exzellenz,« sagte Herr von Hardenberg kurz.

Der Kandidat verneigte sich tief. – »Mir war,« sagte er, »von der früheren Regierung die Zusicherung erteilt worden, daß ich der Adjunkt meines Oheims, des Pfarrers Berger in Blechow, und demnächst sein Nachfolger werden solle, die Ausfertigung ist in Vergessenheit geraten, und ich wollte untertänigst bitten –«

»Warum wenden Sie sich nicht an die Abteilung für Kultusangelegenheiten?« fragte Herr von Hardenberg.

»Ich habe es mehrfach vergeblich getan,« erwiderte der Kandidat, »ich weiß nicht, ob der Drang der Geschäfte oder persönliches Übelwollen schuld sind,« er schlug in schnellem Aufblick das Auge empor – »ich kann jenes starre Festhalten an den früheren Zuständen nicht zur Schau tragen,« fuhr er fort, »vielleicht, daß deshalb die hohen geistlichen Herren –«

»Sie erfassen also die neuen Verhältnisse,« fragte Herr von Hardenberg ihn forschend anblickend, »wie wir wünschen, daß sie erfaßt werden möchten Zum Wohle des Landes, dem wir alle unsere Sorgfalt widmen, und dem wir mit aufrichtiger Liebe entgegenkommen?«

»Gott hat gerichtet!« sagte der Kandidat, die Hände faltend, »und dem Diener Gottes kommt es nicht zu, dem Urteil des Herrn zu widerstreben, seine Pflicht ist es, die Härten dieses Urteils in christlicher Gesinnung, in Ergebenheit und Liebe zu mildern.«

»Ich freue mich aufrichtig, Herr Kandidat,« sagte Herr von Hardenberg, ihn forschend anblickend, »wie wir wünschen, daß sie Zeile fehlt im Buch. Re.... sinnungen zu begegnen, wenn dieselben allgemein wären – wie viel leichter würde es uns werden, dem Willen des Königs gemäß, mit schonender und liebevoller Hand das Land in die neuen Verhältnisse hinüberzufahren! – Leider,« fuhr er fort, »teilen nicht alle Ihre Standesgenossen diese Anschauungen, und gerade in den Kreisen der lutherischen Geistlichen begegnen wir einem Widerstande, der um so bedenklicher ist, als er sich hinter die Unantastbarkeit der geistlichen Würde stellt.«

Der Kandidat schwieg einen Augenblick. – »Ich bin noch jung an Jahren und im Amte,« sagte er dann, »und mein Urteil mag unrichtig sein, ab»– ich glaube nicht, daß diese widerstrebenden Gesinnungen sich so leicht werden beseitigen lassen« – er hielt inne.

»Und woher glauben Sie denn, daß jene Gesinnungen kommen?« fragte Herr von Hardenberg gespannt, »doch nicht aus der bloßen Anhänglichkeit an den König Georg – er war ja den meisten persönlich unbekannt –«

»Wenn ich mir erlauben dürfte,« sagte der Kandidat zögernd, »meine Ansicht über diese Frage, wie über die ganze Lage des Landes auszusprechen –«

»Ich bitte Sie darum!« rief Herr von Hardenberg, »ein Wort der Aufklärung von jemand, der in den Verhältnissen steht, kann für uns nur von größtem Nutzen sein, und,« fügte er artig hinzu, »uns zur größten Dankbarkeit verpflichten.«

»Ich möchte glauben,« sagte der Kandidat, indem er die Augen aufschlug und den Blick voll auf Herrn von Hardenberg richtete, »daß die feindliche Haltung der Geistlichkeit gegen die neuen Zustände nicht politischer, sondern, um mich so auszudrücken, rein theologischer Natur ist. – Die preußische evangelische Landeskirche,« fuhr er fort, »beruht auf der Union, dieser Wiedervereinigung dessen, was der Streit der Reformatoren geschieden, die hannoverische Kirche steht auf dem Boden des strengen und exklusiven Luthertums, welches eher noch zur katholischen Kirche zurückkehren würde, als den Reformierten einen Schritt entgegenkommen. Die Geistlichen in Hannover sehen nun,« sprach der Kandidat weiter, »in Preußen und allem preußischen Wesen die Verkörperung der Union, das heißt den Übergang zum reformierten Bekenntnis oder den religiösen Indifferentismus, sie finden die altlutherische Kirche bedroht – und,« fuhr er seufzend fort, »um den Grad von fanatischer Erbitterung zu begreifen, welchen diese Auffassung hervorruft, muß man innerhalb der geistlichen Kreise stehen wie ich. – Ich bin,« sagte er nach einer kleinen Pause, »in dieser Frage ein unparteiischer Beobachter. – Seit lange schon habe ich die kirchlichen Verhältnisse in Preußen zum Gegenstande meines Studiums gemacht, und seit lange schon habe ich jene weise Einrichtung der evangelischen Landeskirche bewundert, welche auf dem Boden der Union beider Bekenntnisse alle Gehässigkeiten, Feindschaften und Verketzerungen ausschließt, die das exklusive Luthertum mit sich bringt – dieses Luthertum, welches heute so weit abgeirrt ist von dem Geist der evangelischen Freiheit und Liebe, wie er die ersten Reformatoren erfüllte.«

Herr von Hardenberg hatte aufmerksam zugehört.

»In der Tat,« sagte er, »Sie mögen recht haben, aber was ist dagegen zu tun?«

»So lange die alte hannöverische Kirche besteht,« erwiderte der Kandidat langsam, »wird ihr Einfluß immer den neuen Zuständen feindlich sein – sie wird sich der Notwendigkeit beugen, aber die Rückkehr er früheren Verhältnisse ersehnen, die Einführung der Union, die Einfügung Hannovers in die preußische Landeskirche ist die einzige Möglichkeit, den Einfluß, der Geistlichkeit für das Werk der Assimilierung der Bevölkerungen zu gewinnen.«

»Die Einführung der Union?« rief Herr von Hardenberg, »wenn Sie die preußische kirchliche Entwicklung verfolgt haben, so werden Sie wissen, welche gewaltsame Erschütterungen die Einführung der Union in Preußen selbst hervorrief, und zwar in den ruhigsten Zeiten, unter einer absoluten Regierung. Sollten wir in diese gährenden, von Agitationen durchwühlten Bevölkerungen noch die furchtbaren Aufregungen werfen, welche eine gewaltsame Einführung der Union nach sich ziehen muß?«

»Gewaltsam?« fragte der Kandidat, »das ist meine Meinung nicht gewesen, die gewaltsame Einführung war – wenn ich mir erlauben darf, es auszusprechen – auch in Preußen ein Fehler, man müßte ganz langsam und unmerklich vorgehen, wie denn ja überhaupt der Prozeß, der sich hier vollzieht, ein langsamer ist, der nur allmählich durch geschickte Behandlung der Gärungen zur Abklärung führen kann.«

»Und wie würde sich dies unmerkliche und langsame Vorgehen praktisch zu gestalten haben?« fragte Herr von Hardenberg, der mit immer lebhafterem Interesse zuhörte.

»Die jüngere Geistlichkeit,« sagte bei Kandidat, »neigt sich in großer, überwiegender Mehrzahl denjenigen Anschauungen zu, welche ich mir aus dem unbefangenen Studium der kirchlichen Verhältnisse gebildet habe, sie sehen in der Union einen großen, wirklich reformatorischen und protestantischen Gedanken von segensreichem, mächtigem Einfluß sowohl für die politische Stellung, als für die innere freie Entwicklung der Kirche, sie alle würden mit Freuden eine kirchliche Einigung des ganzen Nordens, des ganzen protestantischen Deutschlands begrüßen, eine Einigung, der die politische Zerrissenheit bisher im Wege stand. – Man müßte also,« fuhr der Kandidat nach einer augenblicklichen Pause fort, »überall, wo und je nachdem die Verhältnisse es möglich machen, jüngere, der kirchlichen Unionsidee ergebene, und damit natürlich auch der politischen Assimilierung günstige Geistliche an die Stelle der alten, exklusiven Vertreter des starren Luthertums bringen, und auf diese Weise ohne alle scheinbare Absicht und ohne schroffe Übergänge den geistlichen Einfluß der neuen Ordnung der Dinge gewinnen und sichern. – Der Erfolg,« fügte er hinzu, »kann nicht ein plötzlicher sein – aber ich möchte dafür bürgen, daß er ein sicherer sein wird.«

»Sie sehen die Verhältnisse klar und unbefangen an,« sagte Herr von Hardenberg, »ich freue mich, daß mir Gelegenheit geworden ist, mich mit Ihnen zu unterhalten. Sie selbst,« fuhr er fort, den Kandidaten fixierend, »würden ohne Zweifel in der von Ihnen angedeuteten Richtung zu wirken bereit sein?«

»Ich bin Adjunkt meines Oheims und kam hierher, um Ihre Bestätigung dafür zu erbitten.«

»Ich werde sogleich das nötige veranlassen,« sagte Herr von Hardenberg, »Ihr Oheim –«

»Der Pastor Berger in Blechow,« sagte der Kandidat – Herr von Hardenberg notierte die Namen auf ein Blatt Papier – »mein Oheim,« fuhr der Kandidat fort, »gehört der allerstrengsten und exklusivsten lutherischen Richtung an, er tut gewiß nichts, um Agitationen zu befördern, aber er wird niemals die neuen Verhältnisse freundlich ansehen.«

»Aber er ist alt?« fragte Herr von Hardenberg, »und es würde vielleicht seine Emeritierung möglich sein?«

»Herr Baron,« sagte der Kandidat mit leiser Stimme, »es ist mein Oheim, den ich wie einen zweiten Vater liebe, sein Vermögen setzt ihn freilich in den Stand, sorgenfrei zu leben, doch liebt er sein Amt und seine Gemeinde.«

Herr von Hardenberg schwieg einen Augenblick. »Seien Sie versichert, Herr Kandidat,« sagte er dann, »daß ich für die Erfüllung Ihres Wunsches Sorge tragen werde. Ich hoffe, daß Sie zur Beruhigung des Landes nach Kräften mitwirken werden, und es wird mich immer freuen, Sie wiederzusehen.«

»Ich bin glücklich,« erwiderte der Kandidat, »daß meine Bemerkungen Ihnen nicht mißfallen haben, und es würde mir zur größten, Befriedigung gereichen, wenn ich durch dieselben hätte dazu beitragen können, das nach der göttlichen Weltlenkung unabwendbare Schicksal meines Landes einer freundlicheren und versöhnenden Zukunft entgegenzuführen, um so mehr, als auch auf anderen Gebieten Gefahren drohen – und vielleicht noch manche Opfer einer verderblichen Agitation zu verfallen bestimmt sind,« fügte er seufzend hinzu.

Herr von Hardenberg horchte hoch auf.

»Da Sie mit so scharfem Blick,« sagte er, »die Verhältnisse auf dem kirchlichen Gebiete beobachtet und verfolgt haben, sollten Sie sonst nicht auch gesehen haben, was nützlich – oder gefährlich sein könnte?«

»Ich habe hier gehört,« sagte der Kandidat ein wenig zögernd, »daß in Angelegenheiten Luxemburgs eine Verwicklung mit Frankreich in der Luft schwebe, ich fürchte fast, daß die Agitation, welche von dem König Georg oder dessen Umgebung ausgeht, in großer Tätigkeit ist, und daß vielleicht irregeleitete junge Leute – Offiziere zu bedenklichen Zwecken gemißbraucht werden könnten, wodurch viele Familien in Bekümmernis versetzt werden würden.«

Herr von Hardenberg blickte in höchster Spannung auf das gleichmäßig ruhige Gesicht des Kandidaten.

»Wissen Sie etwas Näheres darüber?« fragte er lebhaft, »können Sie mir einen Anhaltspunkt für meine Wachsamkeit geben, können Sie mir Personen bezeichnen?«

Der Kandidat machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand.

»Herr Baron,« sagte er, »ich kann wohl warnen, aber nicht denunzieren.«

»Die Sache ist ernst!« erwiderte der Zivilkommissar mit Betonung, »ich hätte ein Recht nach Ihrer Andeutung, Sie nach bestimmten Angaben zu fragen, indes, ich will Sie nur darauf aufmerksam machen, daß eine Mitteilung, die Sie mir machen könnten, keinen denunziatorischen, keinen gehässigen Charakter haben würde. Auch ich habe Grund zu glauben, daß in den welfischen Kreisen etwas vorgeht, im Interesse der jungen Leute selbst, welche verführt und gemißbraucht werden könnten, wünschte ich dringend, Präventivmaßregeln treffen zu können, bevor etwas geschehen ist, denn jedes wirkliche feindliche Vorgehen gegen uns in diesem Augenblick würde mit der vollsten und rücksichtslosesten Strenge der Gesetze geahndet werden müssen.«

»Das wäre schrecklich!« rief der Kandidat mit dem Ausdruck eines lebhaften Erschreckens, »wenn diese so würdige Familie –! Herr Baron,« sagte er, die Hand wie in unwillkürlicher Bewegung auf den Arm des Zivilkommissars legend, »wenn es sich um Präventivmaßregeln handelt – achten Sie auf den Leutnant von Wendenstein!«

»Von Wendenstein?« fragte Herr von Hardenberg, »der Sohn des Oberamtmanns, der seit dem vorigen Jahre hier wohnt?«

»Derselbe,« sagte der Kandidat, »ich fürchte, er verkehrt viel mit sehr preußenfeindlich gesinnten Offizieren, Herr von Tschirschnitz, Herr von Hartwig –«

»Herr von Hartwig?« rief der Zivilkommissar lebhaft, »das ist ja –« er unterbrach sich – »und Herr von Hartwig ist hier bei dem Herrn von Wendenstein gewesen, das könnte auf eine Spur fühlen,« murmelte er, »wenn es gelänge, die Fäden zu entdecken –«

»Ich bitte Sie aber um Gottes willen, Herr Baron,« rief der Kandidat, »mit Vorsicht zu verfahren – und mich nicht zu kompromittieren – vergessen Sie nicht, daß ich in der besten Absicht gehandelt habe!«

»Seien Sie unbesorgt, mein Herr,« sagte Herr von Hardenberg, »und rechnen Sie auf meine Dankbarkeit für Ihren wohlmeinenden Eifer, uns nützlich zu sein!«

Er stand auf.

Der Kandidat erhob sich und verließ, sich tief verneigend, mit niedergeschlagenen Augen das Kabinett.

»Wenn es gelingt,« flüsterte er, »diese nahe Hochzeit aufzuschieben, so habe ich noch ein weites Feld vor mir und kann das Verlorene wiedergewinnen. – Alles gestaltet sich günstig, soll ich das Vermögen des Oheims verlieren, weil es einem nichtsbedeutenden Offizier gefällt, einen Roman mit meiner Cousine zu spielen? Wir werden sehen!«

Und mit einem triumphierenden Lächeln auf seinen dünnen Lippen verließ er das Haus.

Herr von Hardenberg hatte inzwischen einige Zeilen auf ein Papier geschrieben, das er faltete und versiegelte.

»Dies sogleich dem Herrn Polizeidirektor Steinmann!« befahl er dem auf den Schall der hastig gezogenen Glocke eintretenden Bureaudiener.


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