Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

14. Der letzte Zweikampf

Die Vorlesung wurde täglich fortgesetzt. Sie bewirkte Wunder; und das größte dieser Wunder schien mir, daß Young Surehand und Young Apanatschka stets die ersten waren, die sich einstellten. So große Freude uns das machte, so taten wir doch, als ob wir nicht darauf achteten. Und sie ihrerseits versäumten trotz dieser ehrlichen Teilnahme für unsern seelischen Winnetou doch keineswegs, den Aufbau ihres steinernen Bildes am Schleierfall soviel wie möglich zu fördern. Es wuchs zusehends, weil die einzelnen Teile schon fertig behauen waren und nur noch zusammengesetzt zu werden brauchten. Es war, als sei ein Wettstreit zwischen ihnen und uns ausgebrochen, welche Gestalt zuerst fertig sein würde, ihre steinerne oder unsre rein geistige, die sich in den Vorleseabenden zu immer größerer Höhe und Schönheit entwickelte.

Am Abend des dritten Tags, nachdem die Brüder Enters bei mir gewesen waren, wurde ich von Hariman wieder aufgesucht. Er hatte, um nicht gesehn zu werden, zu diesem heimlichen Besuch die Zeit der Dunkelheit gewählt. Kurz vor Abend war nämlich ein Trupp Rothäute angekommen, die in der Unterstadt geblieben waren. Nach der Aufregung, die ihre Ankunft dort verursachte, schienen wichtige Personen dabei zu sein, deren Namen wir aber nicht erfahren hatten. Nun kam Hariman Enters, sie uns zu nennen. Ich empfing ihn in Gegenwart meiner Frau.

»Wißt Ihr, Mr. Shatterhand, wer vorhin hier eingetroffen ist?« fragte er.

»Nein.«

»Eure Todfeinde, die vier Häuptlinge.«

»Ah! – Allein?«

»Mit etwa dreißig Mann Begleitung.«

»Mit ihren Unterhäuptlingen?«

»Nein.«

»Wie unvorsichtig von ihnen! Daraus ist doch auf das zu schließen, was sie vorhaben. Die Unterhäuptlinge gehören unbedingt zu ihnen. Fehlen sie, so bedeutet das Gefahr. Sie sind natürlich bei den viertausend Reitern, die man nach dem Tal der Höhle beordert hat?«

»Ganz sicher! Aber das ist jetzt Nebensache. Hauptsache ist, daß man Euch morgen zum Zweikampf herausfordern wird.«

»Oho! Höchst sonderbar!«

Da aber fiel meine Frau schnell ein:

»Was? Eine Herausforderung? Eine Forderung zum Zweikampf? Wer ist denn der Mensch, der sich vorgenommen hat, meinen Mann umzubringen?«

Diese Frage war an Enters gerichtet.

»Es ist nicht nur einer«, antwortete er, »sondern es sind vier.«

»Wie? Vier? Wer sind diese vier?«

»Kiktahan Schonka, Tusahga Saritsch, Tangua und To-kei-chun.«

»Wollen sie etwa alle vier zu gleicher Zeit auf meinen armen Mann losgehn?«

»Sie werden sich mit ihm schießen, weiter nichts.«

»So! Weiter nichts! Als ob das gar nichts wäre! Und alle vier auf einmal?«

»Nein, einer nach dem andern.«

Einen Augenblick war die besorgte Frau sprachlos, dann aber fand sie Worte. »Das ist wie drüben in Deutschland beim Scheiben- oder Vogelschießen! Wenn der eine nicht trifft, trifft der andre! Da muß ja der Gegner unterliegen.«

»Das meinen sie eben auch! Old Shatterhand soll unbedingt fallen. Dann ist endlich ihrer Rache Genüge geschehn. Sie sind nun einmal gegen Old Shatterhand, obwohl er in Sachen des Denkmals eigentlich ihren Standpunkt vertritt. Ist er tot, so haben sie freie Hand, ihren Plan gegen die Apatschen auszuführen. Mit Hilfe der viertausend Reiter ist dann –«

»Oho!« fiel ihm Klara zornig in die Rede. »Er wird aber nicht tot sein! Bevor ich ihn mir erschießen lasse, wage ich selber das Letzte und –«

Sie hielt inne. Sie bemerkte, daß sie in Verwirrung geraten war, und zwang sich zu einem Lachen, in das ich einstimmte. Dadurch legte sich ihre Erregung, und wir konnten in Ruhe weitersprechen.

Es war richtig, daß die vier unversöhnlichen Häuptlinge beschlossen hatten, mich zu einem echt indianischen Kampf auf Leben und Tod zu fordern. Daß sie dabei Bedingungen stellen würden, die mich unmöglich lebend davonkommen ließen, war zu erwarten. Es war aber unnütz, sich darüber schon jetzt den Kopf zu zerbrechen. Ich mußte erst diese Bedingungen kennenlernen. Es war vereinbart, daß Pida, der Sohn Tanguas, mir die Forderung überbringen sollte. Er war mir, wie man weiß, freundlich gesinnt, und so ließ sich hoffen, daß es mit seiner Unterstützung gelingen würde, alle Gefahr von mir abzuwenden.

Als ich das meiner Frau vorstellte, beruhigte sie sich. Aber sie hegte doch immer noch Bedenken.

»Gewiß«, versicherte sie, »Pida ist, wie du ihn mir geschildert hast, ein zuverlässiger Mensch. Aber Bedingungen bleiben Bedingungen und –«

»Bitte«, unterbrach ich sie, »das andere gehört zu den Willkürlichkeiten, denen sich beim Zweikampf jeder aussetzen muß.«

»Muß?« fragte sie.

»Jawohl.«

»Und wenn du nun erklärst, du seist grundsätzlich Gegner jedes Zweikampfs?«

Da mußte ich lachen.

»Klara! Bitte, male dir einmal das Bild aus: Old Shatterhand, der einst gegen Blitzmesser gestanden und Intschu tschuna überwunden hat, der im Stii-poka nicht gewichen ist, der so oft die Waffe gezogen hat, wenn auch immer nur in Abwehr des Feindes, der soll sich plötzlich hinter die Erklärung verkriechen, er sei Zweikampfgegner?«

Sie senkte beschämt den Kopf – oder nicht nur beschämt, sondern auch sichtlich befangen im Widerspruch der Gefühle. Wollte sie doch ihren Mann vor jeder Gefahr geschützt, anderseits aber auch seine Ehre unangetastet wissen.

Ein Blick von ihr sagte mir deutlich, was sie fragen wollte. Darum brach ich den Bann.

»Sei ohne Sorge!« erklärte ich. »Die Häuptlinge meinen blutigen Ernst, ich aber werde ihr Beginnen zum Narrenspiel machen.«

Sie sah mich fragend an.

»Du hältst die Sache also nicht für gefährlich?«

»Nein.«

»Und glaubst, mit heiler Haut davonzukommen?«

»Unbedingt.«

»Daran haben die Häuptlinge auch gedacht«, fiel Hariman Enters ein. »Sie trauen Eurer List und Findigkeit nicht. Darum ließen sie mich und meinen Bruder kommen und teilten uns ihren Plan mit, Euch im Zweikampf umzubringen. Falls Ihr dem Tod in irgendeiner Weise entgehn solltet, bin ich mit meinem Bruder von ihnen beauftragt, Euch auf die Seite zu schaffen, Euch und Eure Frau –«

»Auch mich?« stutzte meine Frau. »Seid Ihr darauf eingegangen?«

»Selbstverständlich! Aber nur zum Schein!« nickte er. »Es fällt uns nicht ein, uns an Euch zu vergreifen. Wir sind Euch treu.«

»Das glaube ich Euch!« versicherte sie in aufrichtiger Herzensregung.

»Ihr glaubt mir also?« fragte er, indem sein Gesicht sich erhellte.

»Ohne weiteres«, antwortete sie.

»Und Ihr, Mr. Shatterhand?«

»Auch ich glaube Euch«, bestätigte ich.

»Das freut mich! Ich kann Euch sogar beweisen, daß wir es ehrlich meinen. Ich habe eine Art Vertrag.«

»Schriftlich niedergelegt?« stutzte ich.

»Ja.«

»Unglaublich! Von wem ausgestellt?«

»Von den vier Häuptlingen verfaßt und von Mr. Evening und Mr. Paper als Zeugen unterschrieben. Hier habt Ihr ihn.«

Er gab ihn mir. Es war kein Vertrag, sondern ein Zahlungsversprechen, das man nur darum schriftlich aus der Hand gegeben hatte, weil sowohl die beiden Brüder als auch die zwei Zeugen von den Häuptlingen betrogen werden sollten. Daß diese Schrift in die Hände eines Gegners gelangen könne, war von den Ausstellern überhaupt nicht in Erwägung gezogen worden. Sie sollte den Brüdern ja nur für kurze Zeit gehören, ihnen dann aber wieder abgenommen werden. Nachdem ich sie gelesen hatte, wollte ich sie Hariman Enters zurückgeben; er aber sagte:

»Kann sie Euch nützen, wenn Ihr sie behaltet?«

»Sogar viel.«

»Dann mag ich sie nicht wiederhaben. Betrachtet sie als Euer Eigentum!«

»So danke ich Euch. Damit habt Ihr eindeutig bewiesen, daß Ihr es ehrlich meint. Warum brachtet Ihr Euern Bruder nicht mit?«

»Weil niemand von unsrer Unterredung etwas wissen soll und zwei viel eher auffallen und entdeckt werden als einer. Sobald wieder etwas zu melden ist, mag er es tun. Jetzt aber bitte ich, mich zu entlassen.« –

»Er ist wirklich treu«, sagte meine Frau, als er fort war.

»Ob aber auch sein Bruder?« fragte ich.

»Ich glaube nicht, daß er mir etwas Böses zufügen würde.«

»Ja, dir nicht! Aber mir? Für mich hat er nichts übrig. Das ist gewiß. Ich fühle mich nur deshalb vor ihm sicher, weil alles Böse, was er mir antun könnte, unbedingt auch dich mit treffen muß. Ich stehe also hier unter deinem ganz besonderen Schutz!«

»Den hast du auch nötig!« scherzte sie mit. »Vor allem morgen, wenn vier Häuptlinge auf dich schießen, so recht hübsch einer nach dem andern.«

Ich mahnte sie mit einem Blick. Da lachte sie:

»Sei gut! Ich vertraue Dir.«

Am nächsten Morgen stellten sich zwei Kiowa-Indianer bei mir ein, die mir meldeten, daß Pida, ihr Häuptling, mich zu sprechen wünsche. Ich solle ihm mitteilen, wann ich ihn empfangen wolle. Darauf bestellte ich ihn zur Mittagszeit. Als sie sich entfernt hatten, ließ ich durch Intschu inta alle die Personen, die abends zur Vorlesung zu erscheinen pflegten, so einladen, daß sie bereits eine Viertelstunde vor Mittag bei mir eintrafen. Sie kamen, und ich teilte ihnen in Kürze mit, worum es sich handelte. Es erschien mir wichtig, daß bei der Forderung soviel Zeugen wie möglich vorhanden waren.

Pida kam in großer Begleitung angeritten, wurde aber nur allein vorgelassen, denn die bei ihm waren, standen nicht im Häuptlingsrang. Obwohl er sich gut in der Gewalt hatte, sah man es ihm aber doch an, daß er überrascht war, mich nicht allein, sondern in so zahlreicher Gesellschaft zu finden. Meine Frau, Aschta und Kolma Puschi waren auch anwesend. Als er eintrat, stand ich von meinem Platz auf und ging ihm einige Schritte entgegen.

»Pida, der Häuptling der Kiowas, hat einst mein Herz gewonnen. Er besitzt es auch heut noch. Doch weiß ich nicht, ob ich in der Sprache des Herzens mit ihm reden darf oder nicht. Er sage mir, in welcher Eigenschaft er zu mir kommt, ob als Gast, mich zu begrüßen, oder als Bote seines Vaters, der mir den kleinsten Gruß verweigern würde!«

Er war jetzt ein Fünfziger. Sein Gesicht war schärfer geschnitten als früher, aber noch immer einnehmend. Sein Auge ruhte mit freundlichem Blick auf mir, doch klang seine Stimme ernst.

»Old Shatterhand weiß, ob Pida ihn liebt oder haßt. Ich komme als Bote meines Vaters und seiner Verbündeten.«

»So mag Pida sich setzen und dann sprechen!«

Indem ich das sagte, kehrte ich an meinen Platz zurück und deutete ihm durch eine Handbewegung an, sich vor mir niederzulassen. Er aber lehnte ab.

»Pida muß stehn. Nur der Friede darf sich niederlassen und ruhen. Old Shatterhand sieht in mir den Boten von vier berühmten Kriegern. Ich nenne ihre Namen: Tangua, der Häuptling der Kiowas, To-kei-chun, der Häuptling der Racurroh-Komantschen, Tusahga Saritsch, der Häuptling der Kapote-Utahs, und Kiktahan Schonka, der älteste Häuptling der Sioux. Es ist lange her, viele Sommer und viele Winter, daß diese Häuptlinge glaubten, danach trachten zu müssen, daß Old Shatterhand ausgelöscht werde aus der Reihe der Lebenden. Er entkam ihnen. Er lebt noch. Aber auch seine Schuld besteht noch, sie ist ungesühnt. Er hat sie vergessen und war wohl der Meinung, sie sei auch von ihnen vergessen. So wagte er es, in ihr Land zu kommen und die Pfade zu betreten, die seinem Fuß verboten sind. Dadurch hat er sich ihnen ausgeliefert. Er muß sterben. Aber die Zeiten des Marterpfahls sind vorbei, und die Häuptlinge gedenken, edel zu sein. Sie wollen ihm Gelegenheit geben, sich vom wohlverdienten Tod zu retten. Sie wollen mit ihm kämpfen. Ich bin gekommen, ihn zu diesem Kampf aufzufordern. Was antwortet er mir?«

Gelassen stand ich auf.

»Nicht nur die Zeiten des Marterpfahls, sondern auch die Zeiten der langen Reden sind vorüber. Was ich zu sagen habe, ist kurz. Ich bin der Feind keines einzigen roten Mannes gewesen. Ich habe weder Haß noch Tod verdient. Ich wandle auch heut nicht auf verbotnen Wegen und fühle mich den Häuptlingen keineswegs ausgeliefert. Auch die Zeiten der Mordtaten, der rohen Zweikämpfe sind vorüber. Ich bin alt und bedachtsam geworden. So verdamme ich jegliches unnötige Blutvergießen heut mehr denn je und bin ein Gegner jedes vermeidbaren Kampfes –«

Dabei stieß mich meine Frau heimlich ermunternd an. Sie konnte das unauffällig tun, weil ich dicht neben ihr stand. Ich aber fuhr unbeirrt fort:

»– aber weil ich die Berühmtheit der Häuptlinge kenne und ihr weißgewordnes Haar achte, will ich es vermeiden, sie durch eine Absage zu beleidigen. Ich bin also bereit, mit ihnen zu kämpfen.«

»Bist du toll?« flüsterte mir Klara zu.

Hierauf ergriff Pida wieder das Wort.

»Old Shatterhand ist noch der alte. Er hat nie Furcht gekannt. Aber er sehe sich vor! Die Bedingungen, die die Häuptlinge stellen, sind unerbittlich hart. Er wird dann zwar auch die seinigen stellen, aber es steht nicht zu erwarten, daß –«

»Ich stelle keine«, unterbrach ich ihn schnell, »und gehe auf alles ein, was die Häuptlinge von mir verlangen.«

Da sah er mich ungewiß an.

»Spricht Old Shatterhand im Scherz oder im Ernst?«

»Im Ernst!«

»So sage er das, was ich jetzt vernahm, noch einmal! Vorher aber höre er, was die Häuptlinge fordern: Die Waffe sei das Gewehr. – Er muß mit einem jeden der vier Häuptlinge kämpfen. – Die Reihenfolge wird durch das Los bestimmt. – Geschossen wird im Sitzen. – Es gibt für jeden zunächst nur einen einzigen Schuß. – Die Gegner sitzen einander gegenüber, nur sechs Schritte voneinander entfernt. – Den ersten Schuß hat stets der ältere. – Der zweite Schuß fällt genau eine Minute nach dem ersten. – Es wird gekämpft bis zum Tod. – Das wird Old Shatterhands Ende sein. – Wenn die vier Gänge mit den vier Häuptlingen vorüber sind und Old Shatterhand ist noch nicht tot, werden sie von vorn angefangen. Das sind die Bedingungen.«

Er hatte nach jedem Satz, der eine neue Vorschrift brachte, eine Pause gemacht und mich prüfend, ja beinahe besorgt angesehn. Jetzt antwortete ich:

»Sie sind bereits erwogen. Wer befiehlt die Schüsse?«

»Der erste Vorsitzende des Ausschusses.«

»Wie lange muß der zweite Schuß warten, wenn der erste nicht fällt?«

»Nicht fällt? Die Häuptlinge sind älter als Old Shatterhand, der noch nicht siebzig Jahre zählt. Keiner von ihnen wird zögern. Sie werden schießen, sobald der Befehl gegeben ist.«

»Wer kann das behaupten? Ich sah schon manches, was man für unmöglich hielt, möglich werden. Also, ich frage: Die Häuptlinge haben jeweils den ersten Schuß; ich stets den zweiten. Wenn der erste Schuß nicht fällt, wann darf ich schießen?«

»Genau eine Minute, nachdem der erste hätte fallen sollen!«

»Einverstanden. Wird noch mehr bestimmt?«

»Ziel ist genau ins Herz.«

»Ach so, keine andere Körperstelle?«

»Keine andere!«

»Wo findet der Kampf statt?«

»Auf der Scheide zwischen der Oberstadt und der Unterstadt. Der Platz wird abgesteckt.«

»Wann soll die Entscheidung fallen?«

»Eine Stunde, bevor die Sonne hinter dem Mount Winnetou verschwindet.«

»Wer sorgt dafür, daß diese Bedingungen streng eingehalten werden?«

»Zwei Personen auf jeder Seite. Die Häuptlinge haben hierzu den Agenten William Evening und den Banker Antonius Paper gewählt. Old Shatterhand wähle ebenso zwei!«

»So ernenne ich hierzu meinen Freund und Bruder Matto Schahko, den Häuptling der Osagen, und meinen Freund Wagare-Tey, den Häuptling der Schoschonen. Sie werden zu meinen Seiten stehn und jeden Häuptling sofort erschießen, der sein Wort bricht, indem er etwa vorzeitig einen Schuß abgibt. Ist Pida, der Bote meiner Feinde, einverstanden?«

»Ich bin es. Und Old Shatterhand?«

»Ich wiederhole, daß ich den Kampf zu den Bedingungen annehme, die soeben besprochen wurden.«

»Um Gottes willen!« raunte mir meine Frau so laut zu, daß alle es hörten. »Ich gebe das nicht zu! Du bist verloren!«

Es war ein Glück, daß sie deutsch gesprochen hatte, so daß niemand ihre Worte verstand, während die Verhandlung zwischen Pida und mir englisch geführt worden war.

»Hat Old Shatterhand mir noch etwas mitzuteilen?« erkundigte sich Pida.

»Nur daß ich mich mit meinem Gewehr pünktlich einstellen werde, weiter nichts. Pida, der Häuptling der Kiowas, hat seine Botschaft ausgerichtet. Er kann gehn!«

Er machte eine grüßende Handbewegung und drehte sich um, sich zu entfernen. Aber noch unter der Tür blieb er stehn, besann sich, kehrte um, kam schnellen Schritts auf mich zu, ergriff meine beiden Hände und sagte, indem sein Gesicht ganz anders wurde:

»Pida liebt Old Shatterhand. Er will nicht, daß Old Shatterhand stirbt. Kann Old Shatterhand an diesem Kampf, der doch unbedingt zu seinem Tod führen muß, nichts ändern?«

»Ich könnte wohl, aber ich will nicht«, antwortete ich. »Pida ist mein Bruder, und ich bin der seine. Dieser Kampf wird nicht zu meinem Tod führen. Old Shatterhand weiß stets, was er sagt. Pida vertraue mir auch jetzt, wie er mir früher vertraut hat! Kein Komantsche, kein Kiowa, kein Utah und kein Sioux wird mich töten. Ich hoffe zuversichtlich, daß sie schon in aller Kürze unsre Freunde sein werden. Glaube es mir!«

»Ich glaube es, und ich wünsche es«, versicherte er. »Old Shatterhand spricht in Geheimnissen; aber jedes Wort hat bei ihm seinen Grund und seinen Zweck. Er sieht und hört, was andre weder sehn noch hören. Darum weiß er voraus, was andre nicht wissen können. Ich habe gesprochen!«

Er grüßte rundum und schritt erhobenen Hauptes hinaus.

Die Folge dieses Abgangs war, daß ich mit Fragen überschüttet wurde. Doch es war mir unmöglich, so zu antworten, wie man wünschte. Wollte ich nicht den ganzen Erfolg aufs Spiel setzen, so mußte ich über das, was ich vorhatte, schweigen. Deshalb wuchs die Spannung der Anwesenden immer mehr; sie wurde von ihnen sogar hinunter in die Stadt getragen und dort verbreitet. Meiner Frau gegenüber durfte ich freilich nicht schweigen. Ich mußte sie beruhigen, und deshalb sagte ich ihr, daß ich im Besitz von vier kugelfesten Panzern sei, durch die kein Schuß zu dringen vermochte. Diese Panzer waren die Medizinen, die wir vom Haus des Todes mitgebracht hatten. Keinem Indianer kann es jemals einfallen, seine eigne Medizin zu verletzen. Er gibt sich lieber den Tod. Die Medizin Kiktahan Schonkas bestand aus seinem Gürtel und aus den Hundepfötchen, von denen ich einen Teil auf den Stufen gefunden hatte. Was die Medizinen der drei andern Häuptlinge vorstellten, konnte man nicht sehn, weil sie in lederne Medizinbeutel eingenäht waren. Ich knotete die an ihnen vorhandnen Riemen derart, daß die Medizinen grad auf das Herz zu liegen kamen, wenn ich sie mir um den Hals hing. Das war die ganze Vorbereitung, die ich für den so gefährlich erscheinenden Zweikampf traf. Als Klara das hörte, wurde sie ruhiger.

Nicht lange, so war die Aufregung zu sehn, die sich unten im Lager verbreitete. Man steckte den Kampfplatz ab und war besorgt um Plätze für Hunderte von Zuschauern. Es herrschte in der Unter- wie in der Oberstadt eine lebhafte Bewegung. Man sprach von nichts anderm als von dem bevorstehenden Kampf auf Leben und Tod zwischen Old Shatterhand und den vier berühmten Häuptlingen. Man sagte, daß es von mir gradezu wahnsinnig sei, auf so vernichtende Bedingungen einzugehn. Aber man hielt dem auch entgegen, daß Old Shatterhand bisher noch nie unbedacht gehandelt und seinen Kopf aus jeder Schlinge herausgezogen habe und daß man darum auch jetzt nicht voreilig urteilen dürfe, sondern einfach den Ausgang des Kampfs abwarten müsse. Kurz, das Abenteuer war in aller Mund, und es war zu erwarten, daß auch Tatellah-Satah davon erfuhr.

Es war nach dem Mittagessen; da suchte er mich auf. Ich befand mich mit meiner Frau allein. Er sah mir forschend ins Gesicht und fragte dann:

»Du wirst dich mit den Häuptlingen schießen?«

»Nein«, erklärte ich gelassen.

Da ging ein frohes Lächeln über sein Gesicht.

»Ich dachte es! Old Shatterhand handelt nicht leichtfertig. Aber du wirst pünktlich erscheinen?«

»Ja.«

»So frage ich nicht, was du vorhast. Du bist dein eigner Herr und hast keinem andern Menschen vorher Rechenschaft zu geben. Aber ich komme auch!«

»Allein? Oder mit deinen Winnetous?«

»So, wie du es wünscht.«

»So komm allein! Man soll erfahren, daß wir nicht durch große Kriegerscharen, sondern durch uns selber zu siegen wissen.«

»Liest du heut abend wieder vor?«

»Ja. Es ist heut ein Tag wie jeder andre. Der Zweikampf ist lediglich eine Posse, ein Narrenspiel, wenn auch mit sehr ernstem Hintergrund.«

»Wünschen wir, daß dieses Narrenspiel nicht anders endet als du denkst!«

Er reichte uns beiden die Hand und ging. Einige Zeit darauf sahen wir ihn unten im Lager. Er nahm den abgesteckten Platz in Augenschein und schien Befehle zu erteilen. Die uns befreundeten Häuptlinge hatten sich ihm zugesellt. Ich selbst unternahm mit meiner Frau einen Spaziergang, aber nicht in die Lagerstadt, sondern nach dem Binnental und dem Schleierfall hinunter. Auch dort herrschte reges Leben, wenn auch in andrer Weise und zu einem andern Zweck. Man schlug hohe Pfähle ein und zog zahlreiche Schnuren und Drähte. Wir sahen ganze Haufen Papierlaternen liegen; an andrer Stelle wieder elektrische Birnen, Tulpen, Kugeln und andre Formen von Beleuchtungskörpern. Hier und da hantierte man mit photographischen Geräten. Ein Ingenieur, auch ein Indianer, schien die Aufgabe zu haben, einen großen Projektionsapparat am Felsen der Teufelskanzel anzubringen. Das fesselte meine Frau im höchsten Grad. Sie photographiert sehr gern und ist da stets bereit, zum Alten Neues hinzuzulernen. So ließ sie mich jetzt in ihrer Begeisterung einfach stehn und eilte zu dem Ingenieur hin, um ihn – ins Verhör zu nehmen, denn anders kann man das bei ihr nicht nennen. Ich setzte mich inzwischen abseits nieder und beobachtete das rege Treiben rundumher.

Was für einen Zweck hatte das? Es war mir, wie schon erwähnt, mitgeteilt worden, daß man den steinernen Winnetou beleuchten wolle, um die Zuschauer für den Denkmalsplan zu gewinnen. Ich hatte damals gesagt, daß das Denkmal viel eher in die Erde versinken würde, als daß ich dazu zu bringen sei, eine solche Entwürdigung meines Winnetou zuzugeben. Sollte das, was ich hier sah, etwa schon die Vorbereitung zu dieser Beleuchtung sein? Aber die Figur war doch noch gar nicht fertig. Sie war erst bis zur Schulter gediehen. Hals und Kopf fehlten. Und sonderbar – indem ich das dachte und mein Blick dabei an der Gestalt auf und nieder glitt, war es mir, als hätte sie sich merklich zur Seite geneigt. Ich legte das Auge an verschiedne Stellen an und kam immer zu demselben Ergebnis. Man wird sich erinnern, daß ich das Steinbild das letztemal von der Straßenbiegung aus betrachtet hatte. Da war es mir aufgefallen, daß alle Gerüstträger senkrecht gestanden hatten mit Ausnahme eines einzigen. Ich ging jetzt zu dieser Stelle. Wahrhaftig, Gerüst und Figur standen nicht mehr senkrecht, sie hatten sich nach der einen Seite gesenkt, wenn auch nicht viel, aber doch so, daß ich es deutlich bemerkte. Es war kein Zweifel möglich. Der Pfosten, der erst schief gewesen war, stand jetzt grade, und die andern, die grade gestanden hatten, waren ganz zweifellos nach rechts geneigt.

Ich erschrak. Ich dachte an die Risse und Sprünge, die ich unten an der Höhlendecke bemerkt hatte, an das Streuen, Sieben und Niederbröckeln des Gesteins. War die Last des Standbildes für die ausgehöhlte Erdunterlage zu groß? Konnte diese Unterlage das viele hundert Zentner schwere Bild nicht tragen? Welch ein Unglück stand uns da allen bevor! Indem ich daran dachte, kam meine Frau zurück. Sie hatte sich bei dem Ingenieur gründlich Auskunft geholt: es handelte sich zunächst nur um eine Probebeleuchtung, die morgen abend vorgenommen werden sollte. Man hatte vor, alle Anwesenden hierzu einzuladen.

»Und was sollte der riesenhafte Projektionsapparat?« fragte ich.

»Mit seiner Hilfe sollen die Bilder von Young Surehand und Young Apanatschka auf der Spiegelfläche des Wasserfalls zu beiden Seiten des Denkmals erscheinen. Die Schöpfer der Winnetougestalt also rechts und links neben ihrem Werk!«

»Das ist auch wieder so ein Zug der Geschäftstüchtigkeit!« warf ich ein. »Dagegen möchte ich mich mit allen Kräften verwahren.«

»Meinst du, daß man dir gehorchen wird? Zum mindesten würde das einen derben Streit geben. Darum rate ich anders. Bedenke, es ist erst eine Probe! Ist es da nicht ratsam, diese Probe ungestört vorüberzulassen und zu warten, bis der Plan wirklich zur Ausführung kommen soll?«

»Ja, vielleicht ist das richtiger. Aber ich glaube, wir haben diese Sache überhaupt nicht mehr in unsern Händen. Es hat sich ihrer eine Gewalt angenommen, der wir nicht gewachsen sind.«

»Wie meinst du das?«

»Schau einmal die Gestalt nebst dem Gerüst genau an. Stehn beide noch gerade?«

Sie prüfte und antwortete dann:

»Ich meine schon. Man wird sie doch wohl nicht schief aufstellen!«

»Absichtlich gewiß nicht. Wer das Denkmal steht dennoch schief. Du merkst das nicht, weil dein Auge nicht so geübt ist wie das meine. Vergleiche es einmal genau mit der Fallrichtung des Wassers, und sag mir – «

Da fiel sie mir in die Rede:

»Wahrhaftig, es steht schief! Herrgott! Meinst du, daß es etwa gar versinkt? Welch ein Gedanke!«

»Unmöglich ist hier nichts. Man muß abwarten, ob und wie sehr die Abweichung zunimmt. Heut habe ich keine Zeit. Aber morgen werde ich hinunter in die Höhle steigen, um nachzusehn, ob die Decke noch bröckelt.«

»Tu das bitte nicht; es ist zu gefährlich?«

»Noch nicht.«

»Aber du hältst es doch selbst für möglich, daß alles zusammenbricht!«

»Sogar für wahrscheinlich! Doch so schnell geht das nicht, daß der Zusammenbruch schon heut oder morgen erfolgt. Da müßte die Senkung vorher bedeutend größer werden. – Aber bitte, sprich vorerst niemand gegenüber davon! Ich habe guten Grund, zu schweigen.«

»Auch Tatellah-Satah soll nichts erfahren?«

»Auch er nicht. Ich möchte die Lage allein beherrschen. Es soll mir kein andrer dreinkommen und die Sache vielleicht gar verderben!«

»Weißt du auch, was du damit auf dich nimmst?« forschte sie besorgt.

»Ja. Es ist freilich viel. Aber ich glaube, es verantworten zu können. Doch nun komm! Wir müssen heim. Ich darf keine Minute zu spät zum Kampf erscheinen.«

»Oh, dieser entsetzliche Zweikampf!« rief sie und zeigte damit, wie sehr sie heimlich doch um mich bangte und wie ihre gleichmütige, heitere Haltung in dieser Angelegenheit nichts andres war als Selbstbeherrschung.

Sie war wirklich bewundernswert.

»Mach dir keine Sorge!« lachte ich. »Du hast vielmehr alle Veranlassung, zuversichtlich zu sein.«

Als wir droben auf dem Schloß angekommen waren, ließ Tatellah-Satah uns sagen, daß er uns abholen werde. Von den Häuptlingen kam ein Bote, der mir meldete, daß auch sie sich einstellen würden, um mich hinunter zu begleiten. Ich lehnte jedoch ab mit der Begründung, die Sache sei einer solchen Mühe nicht wert. Ich war verpflichtet, bei dieser Gelegenheit den Häuptlingsanzug zu tragen, und lud den Henrystutzen, obgleich ich annahm, daß es wahrscheinlich zu keinem einzigen Schuß kommen würde. Die vier Medizinen durfte ich nicht selber tragen. Meine Frau nahm sie in ihre Reisetasche. Sie hatte sich vorgenommen, während des Zweikampfs an meiner Seite zu sitzen. Ich hatte nichts dagegen. Als die Zeit da war und wir in den Hof kamen, wo Intschu inta unsre Pferde bereit hielt, fanden wir dort den Jungen Adler und die weißen Jäger vor, die es sich nicht nehmen ließen, mich nach dem Platz meines erhofften Sieges zu begleiten. Zu gleicher Zeit erschien Tatellah-Satah auf seinem weißen Maultier, ganz allein. Da setzten wir uns in Bewegung. Der Bewahrer der großen Medizin, meine Frau und ich voran, der Junge Adler und die weißen Jäger hinterdrein.

Wir sahen schon von oben, daß sich alle Bewohner der Ober- und der Unterstadt bereits um den Kampfplatz geschart hatten. Es war ein dichtes Gewimmel vieler Menschen, doch muß ich zur Ehre dieser Versammlung erwähnen, daß sich hier die indianischen Tugenden Schweigsamkeit und Gelassenheit wunderbar bewährten. Es gab kein Gedränge, keinen Lärm oder gar Streit. Ruhig suchte sich jeder seinen Platz. Wir waren die letzten, die sich einfanden.

Meine vier Gegner saßen bereit. Als wir in den Kreis traten, standen sie auf. Nur Tangua blieb sitzen, denn er konnte nicht stehn. Tatellah-Satah hatte seinen Sitz so gewählt, daß er die vier Häuptlinge gut im Auge behielt. Es wurde mir gesagt, daß der erste Vorsitzende des Ausschusses, also Simon Bell, eine Rede halten würde. Hierauf würde auch jeder der vier Häuptlinge sprechen. Zuletzt sollte meine Rede folgen; dann könne der Kampf beginnen. Da trat ich vor und erklärte so laut, daß jedermann in der Runde es hören konnte:

»Old Shatterhand ist nicht gekommen, um zu reden, sondern um zu kämpfen. Wenn die Gefahr naht, reißt nur die Furchtsamkeit den Mund weit auf; der Mutige aber schweigt und handelt. Von all diesen Reden ist zwischen Pida und mir kein Wort erwähnt worden. Ich gestatte nur das, was ich dem Überbringer der Forderungen zugestanden habe.«

Da vollführte der Vorsitzende des Ausschusses eine große Armbewegung, die wohl überwältigend sein sollte, und begann:

»Es wurde vom Ausschuß beschlossen, daß ich sprechen soll und was vom Ausschuß beschlossen worden ist, das werde ich –«

»Schweigt!« donnerte ich ihn an. »Beschlossen worden ist nur zwischen Pida und mir! Euer Ausschuß ist für mich nicht vorhanden. Euch dulde ich nur. Ich habe erlaubt, daß Ihr die Schüsse der Häuptlinge und genau eine Minute darauf auch die meinigen befehlt. Mehr ist Euch nicht gestattet!«

»Aber ich stehe doch nicht etwa hier, um –«

»Wenn Ihr nicht stehn wollt, so setzt Euch!« unterbrach ich ihn, indem ich schnell auf ihn zuschritt und ihn mit einem Griff auf die Erde niederdrückte, wo er erschrocken eine Weile sitzenblieb. Dann fuhr ich in demselben entschiednen Ton fort:

»Ich habe gemäß der Aufforderung Pidas meine berühmten Brüder Matto Schahko und Wagare-Tey gewählt, sich die Bedingungen des Kampfes genau zu merken und darauf zu sehn, daß sie ehrlich eingehalten werden. Sie mögen jetzt diese Bedingungen aufzählen!«

Beide standen von ihren Sitzen auf und taten es. Zwar hatten meine vier Gegner ihren William Evening und ihren Antonius Paper zu dem gleichen Zweck gewählt, aber ich wollte unbedingt verhindern, daß diese Herren überhaupt zu Worte kamen. Darum ließ ich durch Matto Schahko und Wagare-Tey auch gleich die Lose besorgen, und die vier Häuptlinge fügten sich dem allen mit überlegener Genugtuung, weil sie überzeugt waren, daß es doch meine letzte Willensäußerung in diesem Leben sei. Das Los ergab, daß meine Gegner in folgender Reihe auf mich schießen sollten: Tusahga Saritsch, To-kei-chun, Kiktahan Schonka und Tangua. In dieser Reihenfolge nahmen sie in einem Halbkreis meinem Sitz gegenüber Platz. Sie waren alle mit Doppelgewehren versehn, und in ihren Mienen glänzte das Bewußtsein des sichern Siegs. Bevor ich mich niederließ, sah ich mich im Kreis um und schritt dann auf Avaht-Niah, den hundertjährigen Häuptling der Schoschonen, zu. Ich beugte mich zu ihm nieder und drückte ihm die Hand.

»Du bist der älteste von allen, die hier atmen. Auf deinem Haupt ruhen der Segen und die Liebe des großen Geistes, der dich nicht hierher geleitet hat, um das Blut derer fließen zu sehn, die dir lieb sind. Du bist der Weiseste und der Erfahrenste von uns allen. Du wirst der erste sein, der aus dem Kampf, zu dem ich hier gezwungen werde, ersieht, daß jeder Kampf zwischen den Menschenkindern nichts weiter als eine Torheit ist, über die man lachen könnte, wenn ihre Folgen nicht so traurig wären.«

Er drückte als Gegengruß nun auch meine Hand und antwortete:

»Old Shatterhand mag uns diese Torheit zeigen, damit die, die nach uns kommen, unterlassen, was ihre Ahnen taten. Der Sieg sei dein!«

Nun ging ich zu der mir angewiesenen Stelle und setzte mich. Meine Frau ließ sich neben mir nieder. Da brauste Kiktahan Schonka zornig auf.

»Was soll die Squaw unter Kriegern? Fort mit ihr!«

»Fürchtest du dich vor einer Squaw?« lächelte ich. »Dann geh! Sie aber fürchtet sich nicht; sie bleibt!«

»Ist Old Shatterhand ein Weib geworden, daß er die Beleidigung nicht fühlt, die ich als Krieger empfinde?« fragte er.

»Als Krieger? Pshaw! Glaubst du wirklich, daß ihr noch Krieger seid? Kindische Greise seid ihr geworden. Darum habe ich alle eure Bedingungen angenommen, ohne sie genauer zu betrachten. Es fällt Old Shatterhand nicht ein, mit euch zu kämpfen, denn er ist ein Mann. Er brachte euch seine Squaw, um euch durch sie eine ernste Lehre zu erteilen, die euch zur Vernunft bringen soll. Fürchtet ihr euch vor ihr, so geht!«

»Sie soll bleiben!« rief Kiktahan Schonka ergrimmt. »Aber meine erste Kugel gilt dir, meine zweite ihr!«

»Ja, sie soll bleiben! Sie soll fallen und sterben mit ihm!« stimmten die drei andern bei. »Der Kampf mag beginnen!«

Da hob Matto Schahko noch einmal die Hand.

»Ich bin Matto Schahko. Wer von euch auf die weiße Squaw schießt, den trifft meine Kugel. Howgh!«

Wir fünf Kämpfer saßen in der Mitte des abgesteckten Platzes. Unsre Beigeordneten befanden sich in nächster Nähe. Den ersten großen Kreis um uns bildeten die anwesenden Häuptlinge. Auch die zwölf Apatschenhäuptlinge waren da. Hinter ihnen kamen die Unterhäuptlinge und sonstigen Personen von Rang. Dann drängten in dichten Reihen all die Neugierigen, die sich das Ereignis nicht entgehen lassen wollten. Darunter auch die schon einmal erwähnten Arbeiter, die in den Steinbrüchen und am Denkmalbau beschäftigt waren. Sie hatten ihre Arbeit verlassen, um das Schauspiel des Kampfs zu genießen. Sie betrugen sich als echte Rowdies, obgleich sie in Gegenwart so vieler Häuptlinge nicht wagten, besonders laut zu werden. Bei den Häuptlingen saßen neben Kolma Puschi und den beiden Aschtas noch zwei andre Frauen, deren Gegenwart mir wichtig war, nämlich Pidas Frau und ihre Schwester, Dunkles Haar, die jetzt weibliche Kleidung trug. Beide hatten es also durchgesetzt, mit nach dem Mount Winnetou genommen zu werden. Daß sie sich mit hier befanden, war für mich der sicherste Beweis dafür, daß sich die viertausend Reiter unten im Tal der Höhle eingestellt hatten.

Die Augen all dieser Menschen waren mit größter Spannung auf uns gerichtet.

Der Vorsitzende des Ausschusses, Simon Bell, den ich niedergesetzt hatte, besann sich jetzt auf sein Amt. Er stand auf und stellte sich bereit, die Schüsse zu befehlen. Matto Schahko und Wagare-Tey zogen ihre Revolver, spannten sie und versicherten drohend, daß sie jeden meiner vier Gegner, der es wagen sollte, die vereinbarten Bedingungen zu verletzen, augenblicklich niederschießen würden. Und sie waren fest entschlossen, diese Drohung auszuführen. Nun ergriff auch Tatellah-Satah das Wort.

»Jeder Teil des vierfachen Kampfs kann erst dann beginnen, wenn ich die Hand erhebe, eher nicht. Wer die Schüsse befiehlt, darf dies nicht eher tun, als bis er mein Zeichen gesehn hat. Der erste Kämpfer ist Tusahga Saritsch, der Häuptling der Kapote-Utahs. Ist er bereit?«

Der Gefragte spannte sein Gewehr.

»Ich bin bereit! Nun mag Old Shatterhand beweisen, daß seine Squaw imstande ist, uns zu belehren und zur Vernunft zu bringen, wie er großsprecherisch verheißen hat. Sie mag uns ihre Kunst zeigen!«

Ich nickte Klara zu. Schnell nahm sie die Medizin dieses ersten Gegners aus der Reisetasche und hängte sie mir um den Hals. Mein Herz wurde davon bedeckt. Hierauf meldete ich dem Bewahrer der großen Medizin:

»Auch ich bin bereit. Der Kampf kann beginnen. Tusahgi Saritsch mag schießen! Eine Minute später dann ich!«

Alles war still. Jedermann schaute auf den Beutel den meine Frau mir umgehängt hatte. Niemand wußte sogleich, was das bedeuten sollte. Da befahl Tatellah-Satah:

»Die Zeit ist da. Man beginne!«

Sofort erscholl das Befehlswort des Ausschußvorsitzenden. Aber Tusahga Saritsch schoß nicht. Er hatte das Gewehr zwar in der Hand, doch er hielt es gesenkt. Seine weit aufgerissenen Augen waren mit dem Ausdruck des Schreckens und mit wachsender Angst auf meine Brust gerichtet.

»Meine Medizin! Meine Medizin!« stammelte er.

»Schieß!« rief ich ihm zu.

»Auf meine eigne Medizin schießen?« jammerte er. »Woher hast du sie? Wer gab sie dir?«

»Frag nicht, sondern schieß!« forderte ich ihn zum zweitenmal auf.

Da ging es wie ein lauter, erlösender Atemzug über die Menge rund um uns hin. Man konnte zwar noch nichts begreifen, aber man sah nun doch, daß ich keineswegs so schutzlos war, wie man angenommen hatte. Die Gesichter meiner Freunde erhellten sich zusehends. Und die Stimme Tatellah-Satahs klang hell und froh, als er, die Hand zum zweitenmal erhebend, fragte:

»Warum schießt Tusahga Saritsch nicht? Und weshalb wird der Befehl für Old Shatterhand nicht gegeben? Er braucht nur eine einzige Minute zu warten, länger nicht! Beginnen wir noch einmal! Old Shatterhand ergreife sein Gewehr!«

Das tat ich. Der Befehl für meinen Gegner erscholl zum zweitenmal.

»Ich kann nicht schießen!« schrie Tusahga Saritsch. »Wer seine eigne Medizin mit einem Schuß durchlöchert, vernichtet sein Leben in den ewigen Jagdgründen!«

»Die Minute ist vorüber!« rief Tatellah-Satah.

Da kam der Befehl für mich.

»Tusahga Saritsch, jetzt ist es um dich geschehn! Du mußt sterben«, sagte ich und richtete den Lauf meines Stutzens aus seine Brust.

»Uff, uff!« brüllte er, so laut er brüllen konnte, sprang auf und rannte davon.

»Gott sei Dank!« raunte mir Klara zu. »Nun wird mir erst wieder wohl. Ich glaubte an dich und hatte trotzdem Angst.«

Es war lächerlich, den alten Häuptling mit der Schnelligkeit eines jungen Burschen davonspringen zu sehn; aber niemand lachte. Nach den alten, früher geltenden Gesetzen der Prärie war er nun ehrlos. Er hätte sich von mir erschießen lassen müssen.

Mein nächster Gegner war To-kei-chun. Der machte ein eigenartiges, nicht zu beschreibendes Gesicht. Er wußte, daß die vier Medizinen beisammen gelegen hatten. Besaß ich die eine, so hatte ich wahrscheinlich auch die andern, also auch die seine. Ich ließ ihn auch nicht lange in Ungewißheit. Meine Frau mußte mir seine Medizin über die vorige hängen. Dann meldete ich:

»To-kei-chun, der Häuptling der Racurroh-Komantschen, ist am Schuß. Ich bin bereit!«

Ich sah, daß ihm vor Entsetzen der Atem ausging. Er schnappte nach Luft. Seine Augen wurden klein und naß.

»Ist To-kei-chun fertig?« fragte Tatellah-Satah.

»Nein! Ich bin nicht fertig!« schrie er, sprang auf und eilte ebenso schnell davon wie Tusahga Saritsch.

Jetzt begann man schon zu lächeln.

»Nun kommt Kiktahan Schonka, der Häuptling der Sioux«, erklärte ich.

Der aber fuhr mich in seinem grimmigsten Ton an:

»Old Shatterhand ist ein räudiger Hund, ein Schuft! Er stiehlt Medizinen! Hat er auch die meine?«

»Ja«, antwortete ich und ließ sie mir von meiner Frau auf die beiden andern hängen, doch vorläufig nur den Gürtel mit der halben Medizin.

Er sah das und grinste mich höhnisch an.

»Glaubt Old Shatterhand etwa, daß auch ich ausreiße? Meine Kugel wird ihn sicher treffen, denn halbe Medizinen wirken nicht. Die Hälfte fehlt.«

»Deine Medizin ist nicht halb, sondern vollständig«, behauptete ich. »Kiktahan Schonka mag sich überzeugen!«

Ich ließ mir auch die gefundenen Hundepfötchen geben, hielt sie so, daß er sie deutlich sehn konnte, und hängte sie dann an ihren Platz.

Er war zunächst starr vor Schreck. Dann zischte er mich gehässig an:

»Sind räudige Hunde allmächtig? Wer gab dir das, was ich verloren habe?«

»Niemand gab es mir. Ich habe es gefunden.«

»Wo?«

»Auf den Stufen der Teufelskanzel, wo sich die Häuptlinge der Sioux und der Utahs über ihren Zug nach dem Mount Winnetou berieten. Sie warteten dort auf Old Shatterhand, um ihn zu fangen. Während sie miteinander sprachen, erscholl die Stimme des großen Geistes. Sie erschraken und ergriffen die Flucht. Auf dieser Flucht verlorst du deinen künstlichen Haarschopf und deine halbe Medizin. Der Schopf wurde dir nachgetragen. Die halbe Medizin aber steckte ich zu mir, um sie jetzt zur andern Hälfte zu fügen.«

»So hast du uns belauscht? Dort auf der Teufelskanzel?«

»Ja.«

»Uff, uff!«

Er sah aus, als müsse der Schreck ihn augenblicklich töten. Er sank in sich zusammen, und zwar so sehr, daß sein Gesicht fast auf die Knie zu liegen kam.

»Ich bin bereit zum Kampf«, meldete ich dem Bewahrer der großen Medizin.

Dieser fragte:

»Ist Kiktahan Schonka auch bereit?«

Da hob der Alte den Kopf; er schaute nach seinen Leuten aus und gab ihnen einen Wink. Zwei von ihnen kamen herbei.

»Hebt mich auf und führt mich fort!« befahl er ihnen.

Sie taten es, halfen ihm aufs Pferd und schritten dann nebenher, um ihn zu stützen.

Nun war nur noch Tangua, der Vater Pidas, übrig, der grimmigste und unversöhnlichste meiner Feinde. Er saß gelähmt an der Erde und hielt die Augen geschlossen, das Doppelgewehr in der Hand. Kein Zug seines unbewegten Gesichts verriet, was er dachte. Da sagte ich:

»Tangua, der älteste Häuptling der Kiowas, ließ mir schreiben: ›Hast Du Mut, so komm herüber an den Mount Winnetou! Meine einzige Kugel, die ich noch habe, sehnt sich nach Dir!‹ Ich bin gekommen. Hier sitze ich. Wo ist deine Kugel?«

Während ich das sagte, ließ ich mir von Klara seine Medizin umhängen. Er öffnete die Augen und schaute sie an.

»Ich dachte es! Auch die meinige hast du! Ich schieße nicht auf sie! Ich verzichte auf meinen Schuß. Dich aber bitte ich: Gib mir nach deiner Minute eine Kugel ins Herz! Und bin ich tot, so leg mir meine Medizin ins Grab! Willst du das tun?«

»Nein!« antwortete ich.

»So habe ich mich in dir geirrt. Ich hasse dich, wie ich nie einen andern Menschen haßte. Aber ich habe dich für einen ehrlichen Feind gehalten!«

»Du irrst. Ich bin ehrlich, aber nicht dein Feind. Ich will nicht deinen Tod. Ich habe also nichts in dein Grab zu legen, auch nicht deine Medizin.«

»Was hast du mit ihr vor? Willst du sie vernichten?«

»Nein. Eure Medizinen gehören nicht mir. Ich behalte sie nicht. Aber wem ich sie gebe, das werdet ihr selber entscheiden.«

»Wir selber? Wir vier?«

»Ja. Ich werde euch prüfen. Seid ihr es wert, so bekommt ihr eure Medizinen wieder. Seid ihr es nicht wert, so übergebe ich sie Tatellah-Satah. Er ist der Bewahrer der Medizinen und wird sie seinen Sammlungen einverleiben, damit die Kinder eurer Kindeskinder erfahren, was ihre Urväter für töricht böse Menschen waren. Also: Ich schenke dir dein Leben; aber ich schenke dir nicht deine Medizin. Verdiene sie dir! Ich habe gesprochen. Howgh!«

Damit stand ich auf. Meine Frau ebenso. Da erhob sich auch Tatellah-Satah und verkündete laut:

»Der Kampf ist zu Ende! Old Shatterhand hat gesiegt! Ein Sieg ohne Blut, und darum ein zehnfacher Sieg!«


 << zurück weiter >>