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25. Kapitel.

Cortejo wurde von dem Grafen Alfonzo natürlich mit der allergrößten Spannung erwartet. Sobald er ihn kommen sah, ließ er ihn zu sich rufen.

»Nun, wie ist es gegangen?« fragte er. – »Gut, sehr gut«, lautete die Antwort. – »Ah, da fällt mir ein Stein vom Heizen. Es ist keine Kleinigkeit, einen scheintoten Menschen von hier bis an die Küste zu transportieren. Habt ihr ihn unbemerkt bis auf das Schiff gebracht?« – »Ja.« – »Und die Indianer? Sie sollen ihren Lohn erhalten. Wo sind sie?« – »Tot.« – »Tot?« fragte Alfonzo überrascht. »Wieso?« – »Das ist es eben, weshalb ich sagte, daß es sehr gut gegangen sei. Wir haben keine Zeugen mehr zu fürchten, denn diese Komantschen sind alle erschossen worden.« – »Erschossen! Von wem?« – »Von Büffelstirn und Bärenherz.« – »Ah!« rief Alfonzo. »Von diesen beiden verdammten Kerlen? Wo ist es geschehen?« – »In unserem Versteck an der Küste bei Verakruz.« – »Donnerwetter, so sind sie ihnen gefolgt!« – »Ja, ihnen und dir.« – »Das steht zu erwarten, sie sind uns von der Hazienda aus auf dem Fuß nachgeritten.« – »Und haben zunächst die Komantschen genommen, da du ihnen sicherer bist. Jetzt, da sie mit ihnen fertig sind, wirst du an die Reihe kommen.« – »Das ist verdammt! Erzähle!«

Cortejo erzählte darauf den ganzen Verlauf seiner Reise und auch das Zusammentreffen mit den beiden Häuptlingen und fügte hinzu:

»Dieser Büffelstirn sagte, daß sie mit dir bereits gesprochen haben würden, wenn ich nach Mexiko käme. Du siehst also, daß sie die Absicht haben, dich aufzusuchen. Ich habe mir zwei schnelle Pferde gekauft und bin ihnen zuvorgekommen. Die Wunde des Mixteka wird sie aufgehalten haben.« – »So gilt es, ihnen schleunigst aus dem Weg zu gehen, denn gegen solche Menschen gibt es selbst hier in unseren doch ziemlich geordneten Verhältnissen keinen genügenden Schutz.« – »Du mußt ja nach Spanien hinüber!« – »Allerdings. Ich habe vom ›Vater‹ einen Brief erhalten.« – »Ah! Kann ich ihn lesen?« – »Ja. Er ist sehr kurz. Hier ist er.«

Alfonzo nahm das nur einige Zeilen lange Schreiben von seinem Schreibtisch und reichte es Cortejo hin. Dieser las:

 

»Mein lieber Alfonzo!

Ich ließ Dir bereits durch Señor Cortejo sagen, daß ich Dich hier in Rodriganda mit großer Sehnsucht erwarte. Seitdem stellt sich fast die Hoffnungslosigkeit meiner Augenkrankheit heraus, und ich bitte Dich, daran zu denken, daß ich in Dir als meinem Sohn meine einzige verläßliche, männliche Stütze sehen muß und Dich also sehr bald hier erwarte.

Dein Vater
Emanuel, Graf de Rodriganda y Sevilla.«

 

»Das klingt allerdings sehr dringend«, sagte der Sekretär. »Was gedenkst du zu tun?« – »Ich reise natürlich!« – »Auch ich rate dir dazu. Unsere Angelegenheit läßt sich jeden Augenblick vorteilhafter an. Hier bist du bereits der Erbe, und drüben wirst du nach deiner Ankunft auch die ganze Leitung der Grafschaft in die Hand bekommen. Diese Erblindung Don Emanuels ist ein Glück für uns.« – »Ich habe oft schon Sorge getragen, daß er meine Ähnlichkeit mit deinem Bruder erkennen werde«, erwiderte Alfonzo. »Nun aber bin ich von dieser Angst befreit.« – »Hm, man müßte freilich Vorkehrungen treffen, daß er nicht wiederhergestellt werden kann.« – »Das werde ich natürlich mit allen Kräften tun.« – »Und Rosa? Sie wird natürlich die Ähnlichkeit bemerken.« – »Pah, diese fürchte ich nicht.« – »So schlage ich vor, daß du sofort abreisest. Deine Angelegenheiten sind bei mir ja gut aufgehoben.« – »Zuvor werde ich nach der Hazienda reiten.« – »Ah! Diesen Plan hast du wirklich noch?« – »Ja. Ich muß Rache nehmen für alles, was uns dort angetan ist.« – »Die beiden Häuptlinge werden dir aber folgen.« – »Sie können mir nichts tun, denn ich befinde mich unter einem sehr guten Schutz.« – »Du meinst die Lanzenreiter?« – »Ja.« – »Du müßtest, um eine solche Begleitung zu erhalten, zuvor mit dem Präsidenten sprechen.« – »Das habe ich während deiner Abwesenheit bereits getan.« – »Und er hat dir die Erfüllung dieses Wunsches zugesagt?« – »Ja. Ein Graf de Rodriganda ist natürlich ein Mann, dessen Wünsche man berücksichtigen muß.« – »Welche Gründe hast du angegeben?« – »Ich erzählte von dem Überfall der Komantschen, ohne natürlich zu erwähnen, daß ich dieselben selbst nach der Hazienda führte, und sprach die Vermutung aus, daß nun eine bedeutendere Truppe der Wilden kommen werde, um den Tod der Ihrigen zu rächen.« – »Und was wurde dir versprochen?« – »Ich habe bereits zwei Befehle in den Händen, den einen an den Gouverneur und den anderen an den Divisionär von Durango, mir eine Schwadron Lanzenreiter sofort zu verabfolgen.« – »Oh, das ist gut! Ich habe diesen alten Pedro Arbellez nie geliebt!« – »Er wird Augen machen, wenn ich komme. Er hatte die Frechheit, mir zu sagen, daß ich nur sein Gast, nicht aber sein Gebieter sei, da er die Pacht der Hazienda auf Lebenszeit besitze.« – »Davon weiß ich nichts.« – »Ich auch nicht. Don Ferdinando hat nie davon gesprochen, und in den beiden Testamenten wurde die Hazienda mit Stillschweigen übergangen.« – »Ich habe nicht einmal einen Pachtkontrakt auf die Zeit nur eines Jahres in den Händen gehabt. Don Ferdinando hat sein Verhältnis zu Arbellez niemals klar darlegen wollen.« – »So brauche ich mich also nach gar nichts zu richten und kann tun, was mir beliebt.« – »Wann wirst du abreisen?« – »Sogleich.« – »In welcher Begleitung?« – »Ich erhalte einige Mann Militär.«

Jetzt warf Cortejo dem Neffen einen scharfen, forschenden Blick zu und fragte:

»Wie steht es mit Josefa? Habt ihr miteinander gesprochen und euch geeinigt?« – »Geeinigt?« fragte Alfonzo, indem er tat, als wisse er gar nicht, was Cortejo meinte. »Sind wir entzweit oder uneinig gewesen?« – »Hm! Du nimmst doch Abschied von uns, ehe du gehst?« – »Das versteht sich!« antwortete der Gefragte zögernd. – »Gut, so will ich Josefa begrüßen, denn ich habe sie noch gar nicht gesehen, seit ich angekommen bin.«

Cortejo ging und suchte seine Tochter in ihrem Zimmer auf. Sie freute sich seiner glücklichen Rückkehr, schien aber nicht gut bei Laune zu sein.

»Ich sah dich kommen«, sagte sie. »Du warst bei Alfonzo?« – »Ja.« – »Sprach er von mir?« – »Nur nebenbei. Ihr habt euch in diesen Tagen gemieden?« – »Er mich, nicht aber ich ihn. Weißt du, daß er nach Rodriganda gehen will?« – »Ich weiß es. Zuvor aber will er nach der Hacienda del Erina.« – »Auch das habe ich gehört. Ich glaube, daß er von der Hazienda gar nicht wiederkommen wird, sondern von da gleich direkt nach Spanien geht, um mir auszuweichen.« – »So müssen wir die Sache jetzt sofort in Richtigkeit bringen.« – »Wann geht er?« – »Sogleich; er sagte aber, daß er sich verabschieden würde.« – »Ich glaube es ihm nicht. Ich werde zu ihm gehen.« – »Wird er sich zwingen lassen?« – »Ja«, sagte sie in einem sehr bestimmten und selbstbewußten Ton. – »Ich zweifle!« – »Laß mich nur machen. Du gehst doch mit?« – »Das versteht sich!« – »So komm.«

Vater und Tochter gingen nun miteinander nach der Wohnung Alfonzos, den sie mit dem Einpacken beschäftigt fanden. Er machte ein sehr unangenehm überraschtes Gesicht, als er sie erblickte, und schien Lust zu haben, sie fortzuweisen. Josefa aber kam ihm zuvor, indem sie fragte:

»Du wirst verreisen, Alfonzo?« – »Allerdings.«

Seine Miene war bei dieser Antwort eine zornige. Das Mädchen aber kümmerte sich nicht darum.

»Ohne an das zu denken, was ich dir sagte, als der Vater nach Verakruz ging?« – »Hm, ich besinne mich wirklich nicht«, heuchelte er. – »So muß ich deinem Gedächtnis zu Hilfe kommen. Ich sagte dir offen und ehrlich, daß ich dich liebe und daß ich deshalb erwarte, Gräfin de Rodriganda zu werden.«

Jetzt legte sich ein sichtbarer Hohn über sein Gesicht, und er antwortete:

»Donnerwetter, ja, jetzt besinne ich mich, daß du dir diesen unsinnigen Spaß erlaubtest. Ich hoffe jedoch, daß er abgetan ist!« – »Abgetan? Das fällt mir gar nicht ein! Ich erklärte dir ja schon, daß ich dir bis zur Rückkehr des Vaters Zeit geben würde, mir meine Frage zu beantworten. Jetzt ist diese Frist verstrichen. Wie steht es?« – »Ah, du redest also wirklich im Ernst?« fragte er. – »Ja«, antwortete sie mit blitzenden Augen. – »Und willst eine Antwort?« – »Ich verlange sie!« – »Nun, so sollst du sie hören: Ich heirate, wen ich will, dich aber niemals, nie, nie nie!«

Alfonzo hatte erwartet, daß Josefa aufbrausen werde, dies war aber keineswegs der Fall. Sie war sich ihrer Sache so gewiß, daß sie ruhig blieb und ihm nur mit einem scharfen Lächeln antwortete:

»Und dennoch wirst du mich heiraten!« – »Pah! Wer will mich zwingen?« – »Ich.« – »Du?« fragte er mit verächtlichem Ton. »Mach dich nicht lächerlich! Ich errate deine Absichten und auch deine Gründe, die du gegen mich loslassen willst. Sie taugen aber nichts.« – »Du irrst; sie sind die besten, die es geben kann.«

Alfonzo blickte ihr überlegen in das scharfe Gesicht mit den Eulenaugen und antwortete:

»Du willst mich zwingen, dich zur Gräfin de Rodriganda zu machen, indem du mir drohst, zu verraten, daß ich gar nicht ein Rodriganda bin?« – »Ja«, antwortete sie gelassen. – »So bitte ich dich abermals, dich nicht lächerlich zu machen! Über diese Waffe lache ich, denn du kehrst sie gegen dich selbst und gegen deinen Vater. Ihr seid ja meine Mitschuldigen.« – »Das müßte erst bewiesen werden. Dir wenigstens dürfte es schwer werden, es zu beweisen. Du irrst dich übrigens, wenn du glaubst, daß ich eine Lächerlichkeit begehe. Wie nun, wenn das zweite Testament noch vorhanden wäre?«

Alfonzo lächelte höhnisch.

»Das ist verbrannt«, sagte er. – »Nein, es ist noch da«, entgegnete sie, und ihre Miene war bei diesen Worten so ernst, und ihre Stimme klang so siegesgewiß, daß er sich doch unsicher und betreten zu fühlen begann. Auch der Sekretär war überrascht.

»Was, du hättest es nicht verbrannt, Josefa?« fragte er. – »Nein.« – »Aber ich habe es doch mit meinen eigenen Augen gesehen.« – »Ein Zeitungsblatt hast du brennen sehen«, lachte sie. »Oh, ihr klugen Männer! Vater, du wolltest das Testament vernichten, ohne daran zu denken, welch vortreffliche Waffe es gegen diesen sogenannten Grafen de Rodriganda ist.« – »Ah, das ist schlau! Das ist allerdings ein Meisterzug!« rief Cortejo. – »Sie lügt!« behauptete Alfonzo. – »Ich rede die Wahrheit!« antwortete sie. – »Wo ist es?« – »Hier in meiner Tasche!«

Josefa klopfte mit der Hand triumphierend an die Stelle ihres Kleides, an der sich die Tasche befand. Die Augen Alfonzos leuchteten heimtückisch auf. Er sagte:

»Zeige es her, sonst glaube ich es nicht!« – »Da, siehe es!« rief Josefa und griff nicht nur in eine, sondern in alle beide Taschen. Als Alfonzo das Dokument in ihrer linken Hand erblickte, faßte er schnell zu, um es ihr zu entreißen, aber er hatte nicht den Dolch gesehen, den sie mit der Rechten aus der Tasche gezogen hatte und jetzt gegen ihn zückte, darum fuhr er erschrocken zurück und rief:

»Donnerwetter, du willst mich stechen?« – »Nein«, lachte sie, »aber du wirst es mir nicht übelnehmen, wenn ich mein Eigentum verteidige.« – »Dein Eigentum?« zürnte er. »Dieses Testament gehört mir!« – »Nein. Es gehört in die Hand des Präsidenten. Und ich schwöre es dir bei allen Heiligen, daß er es bekommt, wenn du dich vor deiner Abreise nicht schriftlich mit mir verlobst.« – »Das ist unverschämt!« erklärte er wütend. – »War es etwa nicht unverschämt, als du mich alt, häßlich und verbrecherisch nanntest?« – »Du wirst es nicht auf das äußerste treiben!« – »Das werde ich sicher, darauf kannst du dich verlassen, und ich hoffe, daß ich die Unterstützung meines Vaters dabei finde.« – »Das versteht sich«, antwortete dieser. »Das Testament ist in unserer Hand eine Waffe, gegen die du nicht aufkommen kannst. Du wurdest uns als der kleine Graf Rodriganda herübergeschickt, und ich habe den Teufel gewußt, daß du verwechselt worden bist. Die in meiner Hand befindlichen Briefe werde ich verbrennen, und so will ich sehen, wie du es anfangen willst, die Waffe auch gegen mich zu kehren!«

»Ihr seid beide schlecht!« rief Alfonzo. – »Möglich. Aber ich habe keine Lust, mit einem Undankbaren zu arbeiten. Was wir getan haben, muß belohnt werden. Du erhältst aus meiner Hand die unermeßliche Herrschaft der Rodrigandas in Mexiko. Es versteht sich ganz von selbst, daß wir teil daran nehmen, indem du Josefa heiratest.« – »Den Teufel werde ich tun!«

Da trat Josefa hart an ihn heran und fragte mit zornig blitzenden Augen:

»Ist das dein wirklicher Entschluß?« – »Ja«, antwortete er. – »Gut!«

Nur dieses eine Wort sagte sie, dann wandte sie sich um und schritt nach der Tür. Er sah es ihr an, daß sie im Begriff stand, einen ernsten Vorsatz auszuführen. Es wurde ihm nun doch angst, und er rief sie zurück:

»Halt, wohin willst du?« – »Zum Präsidenten«, sagte sie, stehenbleibend. – »Bist du denn des Teufels! Bildest du dir denn wirklich ein, daß du als meine Frau glücklich sein wirst?« – »Ja. Du sollst freie Hand haben in allem, aber Gräfin de Rodriganda will ich sein.« – »Das geht ja nicht! Was wird Graf Emanuel sagen, wenn ich mich ohne seinen Willen mit der Tochter des Sekretärs seines Bruders verheirate!« – »Das verlange ich noch gar nicht. Du kannst mit der Hochzeit bis nach seinem Tod warten, aber jetzt gibst du mir eine schriftliche Erklärung, daß ich deine Verlobte bin.«

Alfonzo besann sich.

»Wirst du mir gegen diese Erklärung das Testament aushändigen?« fragte er. – »Nein. Das Testament gebe ich dir erst am Tag unserer Hochzeit. Aber gegen diese Erklärung erhältst du deine Freiheit und kannst reisen, wohin es dir beliebt.«

Alfonzo nickte mit verschlagener Miene und antwortete:

»Gut, du sollst die Schrift haben.« – »Sofort?« – »Sofort!« – »So wirst du endlich klug, aber denke ja nicht, daß nun alles gut ist und daß du dein Wort nicht zu halten brauchst, wenn du fort bist von uns. Ich würde mich zu rächen wissen, wenn du es brichst.«

Alfonzo warf den Kopf trotzig zurück und unterschrieb. Kurze Zeit später ritt er mit einigen Soldaten zur Stadt hinaus, um sich nach Durango zu begeben. Es war zwischen der Ankunft Cortejos und der Abreise Alfonzos nur einige Stunden vergangen, so groß war die Furcht des letzteren vor den beiden Indianerhäuptlingen.


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