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19. Kapitel.

Als Cortejo den Paseo de la Viga zurückritt, kam ihm ein Reiter entgegen, der den Sitz auf dem Pferd nicht gewöhnt zu sein schien. Er hielt überrascht sein Pferd an. Diesen Mann kannte er und hatte ihn hier nicht vermutet. Er trug eine leichte Sommerkleidung und auf dem Kopf einen wahrhaft riesenhaften Sombrero.

»Ist es möglich! Seid Ihr es, oder seid Ihr es nicht, Señor Henrico Landola?« fragte er. – »Ja, ich bin es«, antwortete der Gefragte. – »Aber, was tut Ihr hier auf dem Paseo?« – »Ich reite Euch entgegen.« – »Mir?« fragte Cortejo erstaunt. – »Ja. Wißt Ihr denn nicht, daß ich in Verakruz gelandet bin? Habt Ihr den Brief Eures Bruders nicht erhalten?« – »Ich habe ihn erhalten.« – »Nun, so ist ja alles richtig. Ich bin durch das verdammte Räuber- und Fieberland geritten, um das Geschäft mündlich mit Euch zu besprechen. Ich suchte Euch auf, fand aber nur Eure Tochter, die mir sagte, daß ich Euch auf dem Paseo sicher begegnen würde. Das ist auch geschehen.« – »Wie unvorsichtig!« – »Unvorsichtig? Inwiefern?« – »Insofern, als Euch niemand sehen darf. Es kennt Euch hier zwar niemand, aber der Teufel treibt sein Spiel oft wunderbar. Zwei Männer, die ein Geschäft wie das unsrige abzumachen haben, die dürfen von keinem Menschen beisammen gesehen werden.« – »Gut! Mir auch recht!« – »Reitet jetzt spazieren, wohin es Euch beliebt, und kommt heute abend um zehn Uhr an dieselbe Stelle, an der wir uns hier getroffen haben!« – »Schön; ich werde mich einfinden!«

Landola ritt weiter, und der Sekretär trabte seiner Wohnung zu. Als er zu Hause ankam, erwartete ihn seine Tochter mit Spannung und fragte:

»Hast du ihn getroffen und das Mittel erhalten?« – »Allerdings. Aber verteufelt teuer ist es!« – »Erzähle!«

Der Sekretär berichtete Josefa nun in kurzen Worten von seinem Besuch bei Benito, dem Giftdoktor, und sagte dann:

»Aber wie kannst du den Fehler machen, mir den Kapitän entgegenzuschicken!« – »Einen Fehler? Inwiefern?« – »Es darf mich kein Mensch hier mit ihm sehen!« – »Ein größerer Fehler wäre es gewesen, wenn ich ihm erlaubt hätte, hier auf dich zu warten.« – »Wollte er das?« – »Ja freilich!« – »Unvorsichtiger Mensch!« – »Oh, nicht unvorsichtig, sondern dreist!« sagte sie sehr indigniert. – »Dreist? Weshalb?« – »Der Kerl wollte mich küssen!« – »Küssen?« Der Sekretär machte nicht etwa ein zorniges, sondern ein ganz erstauntes, sogar ein geradezu verdutztes Gesicht, denn er hatte noch nie einen Menschen gekannt, der den sonderbaren Appetit gehabt hatte, seine Tochter zu küssen. »Was fällt ihm ein!« – »Ja, was fällt ihm ein!« rief diese. »Mich, eine spätere Gräfin, küssen zu wollen!« – »Na, na«, beschwichtigte er, »ein Kuß ist doch nichts gar so Schlimmes!« – »Wie? Ich glaube gar, du hilfst ihm!« – »Laß gut sein!« lachte er. »Ich meine, der Kapitän hat nur Spaß gemacht.« – »Spaß? Er streckte bereits die Arme nach mir aus!« – »Hättest du es doch darauf ankommen lassen. Ich wette, er hätte dich nicht geküßt!« – »Nicht?« fragte sie. »Meinst du etwa, daß ich nicht hübsch genug zum Küssen bin?« – »Wer sagt denn, daß ich dieses meine?« entschuldigte er sich. »Diese Seeleute sind Spaßvögel. Man darf ihnen nichts übel nehmen. War er allein?« – »Ja.« – »Sprach er von unserem Geschäft?« – »Nein, kein Wort.« – »Und auch du nicht?«

Josefa wurde ein wenig verlegen und antwortete:

»Ich fing davon an, aber er ging nicht darauf ein.« – »Das glaube ich. Ein Mann wie Henrico Landola spricht über solche Dinge nicht mit Frauen. Ich glaube, daß er eher sein Schiff mit Mann und Maus auf den Grund treiben läßt, ehe es ihm einfällt, ein Weib zur Mitwisserin eines Geheimnisses zu machen. Sagtest du ihm, wo ich war?« – »Das fällt mir gar nicht ein. Ich sagte ihm nur, daß er dich auf dem Paseo treffen könne. Ihr habt euch also wirklich gesehen?« – »Ja, und er teilte mir mit, daß er bei dir gewesen sei. Ich habe übrigens nur einige Worte mit ihm gewechselt und ihn für heute abend auf dem Paseo wieder bestellt.« – »Das ist recht«, sagte sie, und stolz setzte sie hinzu: »Ich müßte gewärtig sein, er böte mir abermals einen Kuß an. Mein Mann soll mich einst vollständig ungeküßt bekommen!« – »Da bist du eine außerordentliche Seltenheit«, lachte ihr Vater ironisch. Sie wünschte dieses Thema abzubrechen und fragte daher:

»Also, du hast das Mittel? Was ist es? Ein Pulver oder eine Tinktur?« – »Ein Pulver.« – »Zeige es.«

Der Sekretär öffnete das Tütchen und zeigte seiner Tochter den Inhalt.

»Ah! Was kostet es?« – »Hundertundzehn Pesos in summa.« – »Wie! Das ist ja viel zu viel! Dieser Benito ist ein Schelm!« – »Wenn es wirkt, so mag es sein!« – »Wann wirst du es anwenden? Noch heute?« – »Ich muß warten. Alfonzo ist noch nicht da.« – »Der braucht nicht notwendigerweise dabeizusein!« – »So muß ich wenigstens vorher mit Kapitän Landola sprechen.« – »Dann kann Don Ferdinando das Pulver also morgen bekommen?« – »Möglicherweise!« – »Aber wie?« – »Ich habe auch bereits drüber nachgedacht, doch vergebens.« – »Diese alte Marie läßt keinen Menschen zu ihm. Sie wacht über ihn wie ein Drache.« – »Es muß sich aber irgendein Weg finden lassen. Wir wollen darüber nachdenken.« – »Wie wirkt das Mittel?« – »Es wirkt innerhalb einer Nacht, und die Wirkung hält eine volle Woche an.« – »So wird er vielleicht sterben.« – »Warum?« – »Weil er verwundet ist.« – »Das ist dann meine Schuld nicht. Ich will ihn scheintot machen, stirbt er, so ist mein Gewissen frei von einem Vorwurf. Nur ein Bedenken habe ich. Daß der Arzt es merkt, wenn der Graf bloß scheintot, aber nicht völlig tot ist.« – »Das ist allerdings bedenklich. Er wird ihn nicht begraben lassen wollen.« – »In diesem Klima treten die Kennzeichen des wirklichen Todes schnell ein. Man sieht sie bereits am nächsten Tag.« – »Sind diese nicht künstlich hervorzubringen? Wirkt keine Säure oder ein scharfes Kraut?« – »Vielleicht der Saft des Schöllkrauts oder der Wolfsmilch. Aber unsereiner muß vorsichtig sein. Man ist kein Chemiker, man kennt das nicht und kann sehr leicht einen Fehler begehen.« – »Ah, du bist dumm gewesen!« erwiderte Josefa. »Benito hätte vielleicht ein Mittel gehabt.« – »Wahrhaftig! Daran habe ich gar nicht gedacht!« – »Du mußt noch einmal hinaus zu ihm, und zwar heute noch.« – »Du hast recht. Ich kann zu ihm gehen, bevor ich mich mit dem Kapitän treffe. Es ist dann bereits dunkel, und man wird mich in Sant' Anita nicht zum zweiten Mal sehen.«

Es blieb bei diesem Entschluß. Eine gehörige Zeit vor dem Stelldichein machte Cortejo sich auf und ging hinaus nach dem Dorf. Reiten wollte er nicht, weil dies bei einer Unterredung mit Landola zu unbequem gewesen wäre. Als er bei Benito anklopfte, erschien die Alte wieder und fragte in die Dunkelheit hinein:

»Wer ist da?« – »Ein Bekannter«, antwortete Cortejo, »und zwar der Señor, der heute hiergewesen ist.«

Jetzt erkannte sie den Sekretär an der Stimme.

»Ah, der mir einen Peso gab! Oh, ein Peso ist gut! Was wollt Ihr?« – »Ist Señor Benito zu Hause?« – »Nein, er ist ausgegangen.« – »Wann kommt er wieder?« – »Ich weiß es nicht.« – »Sagt nur die Wahrheit, Señora. Ich habe wirklich sehr notwendig mit ihm zu sprechen.« – »Sehr notwendig?« fragte sie mit schlauer Betonung. »Das merke ich nun eben nicht.« – »Ah, Ihr wollt abermals einen Peso? Wenn ich ihn Euch nun gebe, ist Benito dann zu Hause?« – »Ja.« – »Nun, da habt Ihr ihn.«

Er zog das Silberstück aus der Tasche und gab es ihr.

»So kommt!« sagte sie jetzt.

Dann schloß sie die Tür auf, ließ Cortejo eintreten und führte ihn in dasselbe Loch, wo er bereits einmal gewartet hatte. Es dauerte nicht lange, bis der Giftmischer erschien.

»Was wollt Ihr?« fragte er. – »Ich habe heute etwas vergessen, und zwar die Frage an Euch zu richten: Bekommt ein Scheintoter Verwesungsflecke?« – »Nein.« – »Aber diese müssen doch in meinem Fall vorhanden sein; es ist notwendig.« – »Hm, das ist schlimm!« entgegnete Benito mit schlauem Lächeln. »Wollt Ihr nicht lieber den Mann gleich töten? Dann werden die Flecken sicher zu sehen sein.« – »Nein, sterben soll er nicht.« – »So müßt Ihr sehen, wie Ihr ohne die Flecke auskommt.« – »Der Arzt wird ohne sie die Leiche nicht begraben lassen.« – »Das ist seine und Eure Sache, aber nicht die meinige.« – »Kann man diese Flecke denn nicht künstlich hervorbringen?« – »Hm, vielleicht.« – »Vielleicht? Ich denke, Ihr müßt so etwas genau wissen?« – »Ich weiß es auch gewiß. Es geht schon, wenn man das rechte Mittel hat, und ich besitze auch dieses Mittel.« – »Kann ich es bekommen?« – »Ich weiß nicht, ob es Euch nicht zu teuer ist.« – »Benito, Ihr seid ein Schelm. Ihr wollt nur Geld von mir erpressen. Was kostet das Mittel?« – »Zehn Pesos.« – »Das ist zu teuer. Ich fürchte, Ihr werdet mir ein paar Tropfen Säure oder Pflanzensaft geben, der kaum einige Tlacos wert ist.« – »Nun, dann geht und macht Euch das Mittel selbst, wenn es Euch bei mir zu teuer ist.« – »Hole Euch der Teufel! Ihr wißt, daß ich nichts davon verstehe. Fünf Pesos will ich geben.« – »Gebt zehn oder geht fort. Anders nicht.«

Benito tat, als wolle er sich entfernen.

»Halt, ich gebe dir zehn!« sagte jetzt Cortejo eilig. – »So wartet. Ich werde das Mittel holen.«

Der Indianer ging und kehrte bereits nach einigen Minuten mit einem Fläschchen zurück, in dem sich eine gelbliche Flüssigkeit befand.

»Wißt Ihr die Stellen, an denen sich bei einem Verstorbenen die Verwesungsflecke zeigen?« fragte er. – »Ja.« – »So tränkt ein Läppchen mit dieser Flüssigkeit und reibt die Stellen damit ein. Je mehr Ihr nehmt, desto dunkler werden sie.« – »Ihr meint, ich müsse in der Mitte mehr nehmen als am Rand?« – »Das versteht sich.« – »So gebt her. Hier habt Ihr das Geld.«

Cortejo gab die zehn Pesos hin, die der Indianer mit einem vergnügten Schmunzeln in seine Tasche versenkte, denn er hatte heute eine Einnahme gehabt, wie selten bisher.

Als der Sekretär ging, stand die Alte bereits an der Tür, um sie zu öffnen. An dieser Höflichkeit waren nicht nur die beiden Pesos schuld, sondern sicher auch der Umstand, daß er sie jetzt bei seinem zweiten Besuch nicht du, sondern Ihr genannt hatte.

Er schritt nun langsam dem Paseo zu, denn er hatte noch Zeit bis zur Stunde des Rendezvous. Dennoch traf er den Kapitän bereits an.

»Ah, pünktlich!« sagte dieser, als er ihn erkannte. »Das ist recht; ich liebe das!« – »Ich ebenso. Wo habt Ihre Eure Zeit hingebracht, Señor Landola?« – »Ah, es gibt verschiedene Spelunken, in denen man sich Wohlbefinden kann; man spricht aber nicht davon«, lautete die Antwort. »Gebt mir Euren Arm, wir wollen zur Sache kommen!«

Sie schritten, Arm in Arm, dabei leise flüsternd, weiter.

»Also Ihr habt den Brief Eures Bruders Gasparino erhalten?« begann der Seekapitän. – »Ja. Und Ihr Eure Instruktion, Señor?« – »Nein.« – »Ah, ich dachte doch.« – »Hm, Ihr drücktet Euch nur falsch aus, Señor«, sagte Landola mit einem kurzen Lachen. – »Wieso?« – »Weil Kapitän Henrico Landola sein eigener Herr und Meister ist. Er läßt sich von keinem anderen einen Befehl oder eine Instruktion erteilen.« – »So verzeiht! Ich hatte das Wort nicht im Sinne einer Subordination gemeint.« – »Dann ist es gut. So will ich Euch also sagen, daß Euer Bruder mich gebeten hat, eine Fracht aufzunehmen, die Ihr mir abliefern werdet.« – »Welche Fracht ist es?« – »Hm, vielleicht ein Mensch!« entgegnete der Kapitän leichthin. – »Tot oder lebendig?« – »Mir egal. Ich weiß nur, daß er später wieder lebendig sein wird.« – »Was sollt Ihr mit ihm tun?« – »Ihn verschwinden lassen.« – »Wo?« – »Das steht in meinem Belieben.« – »Wer bezahlt Euch die Kosten?« – »Euer Bruder.« – »Sind sie bereits entrichtet?« – »Ich rechne später mit ihm ab.« – »So habe ich Euch nichts zu bezahlen?« – »Nein. Wann kann ich diese Fracht erhalten?« – »Wie lange liegt Ihr im Hafen?« – »Bis die Sache in Ordnung ist. Doch hoffe ich, daß Ihr mich in dem verdammten Fiebernest nicht auf die Folter spannen werdet, sonst segle ich auf und davon. Ich habe keine Lust, zu sterben.« – »Ich werde mich beeilen. Wißt Ihr, um wen es sich handelt?« – »Nein. Ich nehme meine Fracht auf und bekümmere mich den Teufel darum, wer es ist.«

Wenn es hell gewesen wäre, so hätte Cortejo an der Miene des Kapitäns sehen können, daß er log. Landola durchschaute sämtliche Pläne der beiden Brüder Cortejo und hatte sich bereits längst im stillen vorgenommen, seinen Vorteil dabei zu wahren.

»Aber er wird Euch seinen Namen sagen«, bemerkte der Sekretär. – »Ich werde es ihm nicht glauben.« – »Eure Matrosen werden es hören.« – »Es wird kein einziger ihn zu sehen bekommen.« – »Werden wir später erfahren, wohin Ihr ihn schafft?« – »Vielleicht. Das kann ich jetzt noch nicht wissen.« – »Gut. Ich nehme an, der Mann stirbt morgen ...« – »Wann wird er da begraben?« – »In zwei Tagen eigentlich, aber sein Sohn ist nicht da ...« – »So begräbt man ihn in dessen Abwesenheit.« – »Das geht nicht gut an.« – »Ah, dann ist es ein vornehmer Mann! Alle Teufel, so wird am Ende gar ein solcher Doktor sagen, daß er ihn konservieren und einbalsamieren wolle.« – »Das werde ich nicht zugeben. Man kann ja vorschützen, daß dies in der Familie nie gebräuchlich gewesen sei oder daß der Verstorbene irgendein Vorurteil gegen dergleichen Manipulationen gehabt habe.« – »Richtig. Wie aber bringen wir ihn nach dem Hafen?« – »Ihr selbst wollt ihn holen?« fragte Cortejo schnell. – »Nein. Dieses ›wir‹ galt Euch, aber nicht mir.« – »Hm. Im Sarg doch nicht.« – »Nein. Das wäre zu auffällig.« – »In einem Kasten?« – »Da erstickt er.« – »Man bohrt Löcher.« – »Ist erst recht auffällig.« – »So wird ein leichter Korb das beste sein.« – Jedenfalls. Aber wie bringt Ihr diesen zur Küste?« – »Auf Maultieren.« – »Und auf das Schiff?« – »Das Einschiffen des Korbes wird Eure Sache sein, Señor Landola.« – »Hm, das ist mir nicht lieb! Aber meinetwegen, ich werde Euch den Gefallen tun. Seht nur zu, daß Euch der Korb unterwegs nicht abhanden kommt.« – »Das macht mir allerdings Sorge. Der Weg von hier zur Küste ist keineswegs sicher. Es treiben da allerhand rote und weiße Kerle ihr Wesen, denen nicht zu trauen ist.« – »Ihr müßt für eine gute Bedeckung sorgen.« – »Das ist schwierig. Man müßte die Leute einweihen.« – »Nicht nötig. Geht doch selbst mit.« – »Ich kann nicht.« – »So habt Ihr ja einen Sohn.« – »Hm! Auch dieser kann eigentlich nicht. Aber ich werde es mir überlegen. Wie aber merkt Ihr, daß wir angekommen sind, Señor Capitano?« – »Sehr einfach; Ihr sendet mir einen Boten auf das Schiff.« – »Ihr kommt dann selbst?« – »Das weiß ich noch nicht! Ihr schafft den Korb doch nicht etwa bis in die Stadt hinein?« – »Fällt mir nicht ein!« – »So sucht Euch einen recht einsamen Platz an der Küste aus, wo ein Boot gut landen kann. Sobald ich höre, daß Ihr dort seid, komme ich des Nachts und hole den Korb ab.« – »Recht so.« – »Auch ich will mich bewaffnen. Nun aber sind wir wohl zu Ende. Oder habt Ihr noch etwas?« – »Ich wüßte nichts.« – »So wollen wir uns verabschieden.« – »Habt Ihr solche Eile?« – »Sagtet Ihr heute nicht selbst, daß man vorsichtig sein müsse?« – »Heute abend sieht uns kein Mensch.« – »Aber ich habe noch eine kleine Zerstreuung vor, Señor Cortejo. Ihr wißt, das Leben zur See ist verdammt langweilig; kommt man dann einmal an Land, so wird man doch kein Esel sein.« – »Ich verstehe. Also gute Nacht, Señor.« – »Gute Nacht. Beeilt Euch also mit dem Begräbnis.« – »Es soll rasch genug gehen.«

Die beiden Biedermänner gingen auseinander.

Graf Ferdinando, der verwundet auf seinem Ruhebett lag, hatte keine Ahnung davon, daß bereits über sein Begräbnis verfügt war.

Das Glück, oder vielmehr der Teufel, war Cortejo günstig gesinnt. Nämlich als er den Palast seines Herrn erreichte und nach seiner Wohnung gehen wollte, traf er auf die alte Marie Hermoyes, die vom Brunnen kam und ein volles Wasserglas in der Hand trug.

»Wie geht es Don Ferdinando?« fragte er. – »Er klagt nicht«, entgegnete sie. – »Hat sich das Wundfieber bereits eingestellt?« – »Nein; aber einen schrecklichen Durst hat er. Ich muß ihm fast viertelstündlich ein Glas Wasser holen.« – »Gleich vom Brunnen, wie ich sehe?« – »Ja. Es muß kalt sein.« – »War der Arzt wieder hier?« – »Zweimal.« – »Was sagt er?« – »Daß keine edlen Teile verletzt sind; es ist daher nichts zu befürchten, wenn nicht etwas Unerwartetes dazwischenkommt.« – »Wünschen wir, daß der Graf bald gesund sei. In so heißen Gegenden kann die kleinste Verletzung lebensgefährlich werden.« – »Das ist wahr. Aber ich habe keine Zeit, Señor. Gute Nacht!« – »Gute Nacht.«

Sie hatten vor der Tür zu der Wohnung Maries gestanden. Jedenfalls hatte die Alte in der letzteren schnell zu tun oder etwas zu holen. Sie setzte deshalb das Glas einstweilen in eine nahe Mauernische und trat in das Zimmer.

Cortejo hatte sich kaum von der Stelle gerührt. Das Pulver steckte in seiner Tasche. Ein rascher Blick überzeugte ihn, daß er allein und unbemerkt sei. In fieberhafter, zitternder Eile zog er das Tütchen hervor, öffnete es und schüttete den Inhalt in das Glas; dann entfernte er sich mit schnellen Schritten.


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