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11. Kapitel.

Als der Apache vom Berg El Reparo, wo er Büffelstirn verlassen hatte, nach der Hazienda zurückkehrte, fand er die Bewohner derselben in tiefer Trauer. Emma befand sich bei ihrem verwundeten Verlobten und ließ sich nicht sehen. Ihr kurzes Glück hatte bald eine sehr schlimme Trübung erlitten. Karja war bei ihr, um ihr in der Pflege des Kranken beizustehen und sie zu trösten. Der Haziendero hatte sofort einen seiner besten Reiter auf dem schnellsten Pferd nach Monclova geschickt, um einen erfahrenen Arzt herbeizurufen. Als er den Häuptling der Apachen vom Pferd steigen sah, kam er herbeigeeilt, um sich zu erkundigen:

»Du kommst allein?« fragte er. »Wo ist Tecalto?« – »Noch am Berg El Reparo.« – »Was tut er dort?« – »Er sagte es mir nicht.« – »Ich hörte, daß er sich Indianer hat schicken lassen. Wozu?« – »Ich fragte ihn nicht.« – »Und wo ist Graf Alfonzo?« – »Ich sage es nicht.«

Der Haziendero trat einen Schritt zurück und meinte unmutig: »Er sagte es mir nicht – ich fragte ihn nicht – ich sage es nicht! Solche Antworten wünscht man nicht!«

Der Apache machte eine abwehrende Handbewegung und erwiderte:

»Mein Bruder mag mich nicht nach Dingen fragen, über die ich nicht sprechen kann. Der Häuptling der Apachen liebt die Taten, aber nicht die Worte.« – »Aber wissen möchte ich doch, was da draußen am Berg geschehen ist.« – »Die Tochter der Mixtekas wird es ihm sagen.« – »Auch diese schweigt.« – »So wird Büffelstirn kommen und es erzählen. Mein Bruder führe mich an das Lager Donnerpfeils, damit ich dessen Wunde sehe!« – »So komm!«

Als die Männer das Zimmer des Deutschen betraten, fanden sie die beiden Mädchen an seinem Lager, Emma in Tränen und die Indianerin in schweigende Trauer gehüllt. Der Kranke wälzte sich in seinem Bett hin und her. Er hatte sicher Schmerzen auszustehen, hielt aber die Augen geschlossen und gab keinen Laut von sich. Auch als Bärenherz den Kopf betastete, zog der Patient sein Gesicht in schmerzhafte Falten, blieb aber stumm.

»Wie steht es?« fragte der Haziendero. – »Er wird nicht sterben«, antwortete der Häuptling. »Man lege immer neues Wundkraut auf.« – »Morgen wird der Arzt kommen.« – »Das Kraut Oregano ist klüger als der Arzt. Hat mein Bruder einen Vaquero, der ein guter Reiter und Jäger ist?« – »Mein bester Jäger und Schütze ist der alte Francesco.« – »Man hole ihn und gebe ihm ein gutes Pferd!« – »Wozu?« – »Er soll mich begleiten.« – Wohin?« – »Zu den Komantschen.« – »Zu den Komantschen? O Gott, was wollt ihr bei denen?« – »Kennt mein Bruder die Komantschen nicht? Wir haben ihnen die Gefangenen abgenommen; wir haben viele ihrer Krieger getötet. Sie werden kommen, um Rache zu nehmen.« – »Nach der Hazienda?« – »Ja.« – »So weit?« – »Der rote Mann kennt keine Entfernung, wenn er sich rächen und den Skalp seines Feindes holen will. Die Komantschen werden sicher kommen.« – »Und warum wollt ihr ihnen entgegenreiten?« – »Um sie zu sehen und zu erfahren, wann und auf welchem Weg sie kommen.« – »Ist es nicht besser, du bleibst hier, und wir stellen Posten aus?« – »Der Häuptling der Apachen sieht lieber mit eigenen Augen als mit den Augen anderer. Donnerpfeil, mein Bruder, wollte den Hunden der Komantschen entgegengehen. Nun ist er krank, und ich tue es an seiner Stelle.« – »So reitet in Gottes Namen. Ich will Francesco rufen lassen.«

In der Zeit einer Viertelstunde war der Vaquero zur Stelle. Man sah es seinem ganzen Habitus an, daß er die geeignete Persönlichkeit zu einem solchen Ritt sei. Als er hörte, um was es sich handelte, gab er seine Bereitwilligkeit zu erkennen, den Apachen zu begleiten. Sie versahen sich also mit dem, was zu einem Kundschafterritt notwendig ist, und brachen alsbald auf.

Als die beiden Mädchen sich allein mit dem Kranken befanden, begannen die Tränen Emmas wieder zu fließen. Es war eigentümlich, welchen Eindruck ihre Nähe auf den besinnungslosen Kranken ausübte. Wenn sie ihm ansah, daß er Schmerzen fühlte, ergriff sie seine Hand, und sofort glättete sich sein Angesicht. Drückte sie zuweilen einen leisen Kuß auf seine bleiche Stirn oder seine Lippen, so zog ein freudiges Glänzen über seine Züge, und er schien seine Schmerzen nicht mehr zu empfinden.

»Siehst du, daß er mich kennt?« sagte Emma zu der Indianerin. – »Er sieht dich ja nicht«, antwortete diese. – »Oh, er fühlt mich. Nicht sein Körper, sondern seine Seele empfindet die Nähe derjenigen, die ihn liebt. Oh, wäre er doch nie nach dem Berg El Reparo gegangen! Wie zürne ich deinem Bruder Tecalto, daß er ihn mitgenommen hat!« – »Tecalto meinte es gut! Er wollte ihm den Schatz der Könige zeigen und ihm davon schenken.« – »Und diesen Schatz wolltest du dem Grafen geben!« sagte Emma bitter. – »Kannst du mir nicht verzeihen?« bat die Indianerin. – »Ich verzeihe dir, denn ich weiß, daß die Liebe mächtiger ist als alles. Oh, wenn er doch nur wieder gesund würde!« – »Das Kraut Oregano wird ihm Hilfe bringen. Aber willst du nicht in die Säcke blicken?« – »Nein. Tue du es. Ich mag nicht sehen, was diesem Alfonzo gehört.«

Man hatte nämlich bei den Leichen der beiden Diener die Effekten des Grafen gefunden. Sie bestanden in zwei ziemlich gut gefüllten Reisesäcken, die die Indianerin jetzt öffnete. Sie fand nichts Auffälliges, bis sie auf den Boden des letzten Sackes kam. Dort lag ein Brief, der anscheinend aus der Tasche eines der Kleidungsstücke gefallen war, die der Sack enthielt. Sie las die Adresse. Es war diejenige des Grafen Alfonzo, dann las sie auch den Brief. Es war derselbe, den die Estafette gebracht hatte. Nun warf Karja rasch einen Blick auf die Freundin, und als sie bemerkte, daß diese nur acht auf den Kranken gab, steckte sie den Brief schnell zu sich.

*

Die mexikanischen Pferde sind von großer Ausdauer und Schnelligkeit. Bärenherz und der Vaquero flogen auf ihren Tieren wie der Wind dem Norden zu. Sie erreichten noch vor Abend die Stelle, wo sie bei der Rückkehr von der Reise mit den beiden Damen ihr letztes Nachtlager gehalten hatten, und rasteten nicht, sondern verfolgten den Weg immer fort, den sie damals gekommen waren.

Da, der Abend begann bereits heranzubrechen, hielt der Apache plötzlich sein Tier an und blickte zu Boden, und der Vaquero tat dasselbe.

»Was ist das hier?« fragte letzterer. »Das sind ja Spuren!« – »Von vielen Reitern!« nickte der Apache. – »Sie kommen von Norden her!« – »Und sind nach Westen eingebogen.« – »Sehen wir die Spuren genauer an!«

Sie stiegen ab und untersuchten die Hufeindrücke sehr sorgfältig.

»Es sind viele«, sagte der Apache. – »Wohl zweihundert«, fügte der Vaquero hinzu.

Der andere nickte zustimmend und deutete dann auf einen Hufeindruck, dessen Kanten noch ganz scharf gezeichnet waren.

»Ja«, meinte der Vaquero mit besorgter Miene. »Wir können von Glück sagen. Sie sind vor kaum einer Viertelstunde hier gewesen!«

Der Apache richtete sich rasch vom Boden auf.

»Vorwärts! Ich muß sie sehen!«

Nun bestiegen sie ihre Pferde wieder und folgten der Fährte. Diese führte tief in die Sierra hinein, und gerade, als das letzte Licht des Tages verglomm, erblickten sie auf dem Kamm einer vor ihnen liegenden Höhe eine dunkle Schlangenlinie, die aus Reitern bestand.

»Komantschen!« sagte der Apache. – »Ja, richtig! Donnerwetter, die haben es auf die Hazienda abgesehen!« – »Sie verbergen sich bis morgen in den Bergen«, entgegnete der Häuptling. – »Was tun wir?« – »Mein Bruder kehrt sogleich zurück, um den Haziendero zu melden, daß der Feind kommt.« – »Und du?« – »Bärenherz bleibt auf der Fährte des Feindes. Er muß wissen, was sie tun.«

Damit drehte der Apache sich um und ritt weiter, ohne sich darum zu bekümmern, ob der Vaquero seiner Weisung Folge leistete.

»Per dios!« murmelte dieser. »So ein Indianer ist doch ein eigentümlicher Mensch! Wagt sich an zweihundert Komantschen! Stolz wie ein König. Er sagt, was ich tun soll, und reitet fort, ohne nur Abschied zu nehmen oder zu sehen, ob ich ihm auch gehorsam bin.«

Dann wandte er sein Pferd wieder dem Süden zu und ritt denselben Weg zurück, den er gekommen war.

Es galt, die schlimme Nachricht so schnell wie möglich nach der Hazienda zu bringen. Darum strengte er sein Pferd an, und es war kaum Mitternacht, als er die Hazienda erreichte.

Hier lag bereits alles im tiefen Schlaf, und nur Emma wachte am Lager des Geliebten. Deshalb wandte sich der Vaquero zunächst an sie. Sie weckte natürlich sogleich ihren Vater, der den alten Francesco sofort zu sich kommen ließ.

»Ist's wahr, was mir Emma sagte?« fragte Arbellez. »Kommen die Komantschen?« – »Ja, das ist wahr, Señor.« – »Wann? Doch nicht etwa noch heute?« – »Nein, heute sind wir noch sicher.« – »Sind es viele?« – »Wohl zweihundert.« – »Heilige Madonna! Welch ein Unglück! Sie werden die Hazienda verwüsten.« – »Das fürchte ich nicht, Señor«, entgegnete der mutige Alte. »Wir haben ja Arme und auch Waffen genug.« – »Aber habt ihr auch richtig gesehen?« – »Das versteht sich.« – »Es scheint mir gar nicht möglich, daß die Kundschafter der Komantschen in so kurzer Zeit eine solche Schar aus ihren Weidegründen können herbeigeholt haben.« – »Das ist auch gar nicht der Fall, Señor. Als Señor Helmers mit dem Apachen die Damen befreite und dabei einen Komantschen erstach, begann die Blutrache. Es ist ganz sicher gleich damals ein Bote nach den Weidegründen abgegangen, die ja gar nicht weit vom Rio Pecos liegen. Während die Señores dann am Rio Grande gegen ihre Verfolger kämpften, waren bereits die zweihundert aufgebrochen. Die späteren Flüchtlinge sind darauf zu ihnen gestoßen und haben ihnen erzählt, daß sie abermals geschlagen worden sind. Das hat den Verfolgungsritt beschleunigt.« – »Wie weit entfernt ist der Punkt, an dem ihr sie sahet?« – »Sechs Stunden bei gewöhnlichem Ritt.« – »Und sie hielten nicht gerade auf die Estanzia zu?« – »Nein. Das fällt ihnen auch gar nicht ein. Sie haben sich in die Berge geschlagen, um nicht entdeckt zu werden, und werden vor morgen nachts sich sicherlich nicht blicken lassen.« – »Wir werden dennoch sofort Vorsichtsmaßregeln treffen. Oh, wenn doch Señor Helmers nicht verwundet wäre!« – »Auf den Häuptling der Apachen und auf Büffelstirn können Sie sich ebenso verlassen.« – »Büffelstirn ist noch am Berg El Reparo. Ich werde ihn sogleich holen lassen.« – »Soll ich reiten?« – »Du bist ermüdet.« – »Ermüdet?« lachte der Alte. »Mein Pferd wohl, aber nicht ich. Ich nehme ein anderes Tier.« – »Weißt du, wo der Häuptling zu finden ist?« – »Nein.« – »Am Auslauf des mittleren Baches.« – »Gut, ich werde ihn ganz sicher finden. Soll ich jetzt die Leute wecken?« – »Ja, wecke sie. Es ist besser, wir sind bereits heute auf der Hut.«

Der alte Francesco schlug Lärm, dann saß er auf, um nach El Reparo zu reiten, und eine Viertelstunde nach seinem Wegritt brannten rund um die Hazienda mehrere Feuer, die die Umgebung so erleuchteten, daß es sicher kein Indianer gewagt hätte, sich dem Haus zu nahen.

Büffelstirn, der Häuptling der Mixtekas, war eben mit seinen Indianern von El Reparo aufgebrochen, als der alte Vaquero auf ihn stieß. Er dachte sofort, daß etwas geschehen sei.

»Warum kommst du? Was ist's?« erkundigte er sich schnell. – »Rasch zur Hazienda! Die Komantschen kommen!« rief Francesco.

Die Augen des Indianers leuchteten vor Vergnügen auf.

»So schnell? Wer sagt es?« fragte er. – »Ich selbst habe sie gesehen.« – »Ah! Wo?«

Francesco erzählte seinen gestrigen Ritt.

»Ist es so, da haben wir noch Zeit«, meinte Büffelstirn. »Diese Komantschen werden auf der Hazienda del Erina einige Skalps verlieren. Ist Bärenherz hinter ihnen her?« – »Ja.« – »So brauchen wir keine Sorge zu haben. Sie entgehen uns nicht.«

Es ging nun im Galopp auf die Hazienda zu, wo sie alles in Eile und Aufregung fanden. Der Haziendero empfing den berühmten Cibolero selbst und fragte ihn nach seiner Meinung. Dieser blickte umher und schüttelte den Kopf, als er die kriegerischen Vorbereitungen erblickte.

»Halten Sie die Komantschen für Diggerindianer?« fragte er. – »Nein«, antwortete Arbellez. »Die Diggers sind dumm.« – »Aber die Komantschen nicht. Warum also diese Vorkehrungen?« – »Heilige Madonna! Sollen wir uns vielleicht nicht wehren?« – »Wir werden uns wehren, aber anders, Señor!« – »Wie denn?« – »Die Komantschen werden Kundschafter aussenden, um uns zu beobachten.« – »Natürlich.« – »Sie werden uns nicht am Tag überfallen.« – »Das denke ich auch.« – »Wenn wir sie zurückweisen wollen, so dürfen sie nicht ahnen, daß wir wissen, daß sie kommen.« – »Ah, da hast du recht!« – »Wir müssen unsere Vorbereitungen also im stillen treffen. Wie viele Männer haben Sie überhaupt?« – »Vierzig.« – »Das genügt. Jeder hat ein Gewehr?« – »Sie haben alle gute Gewehre.« – »Und Munition ist auch vorhanden?« – »Genug. Ich habe sogar Kanonen.« – »Kanonen?« fragte der Indianer erstaunt. – »Ja, vier Stück.« – »Davon weiß ich nichts. Woher sind sie?« – »Der Schmied hat sie gebaut, als du nicht hier warst.«

Der Häuptling schüttelte ungläubig den Kopf.

»Der Schmied hat sie gebaut? Taugen Sie etwas?« – »Ja, wir haben sie probiert. Der Lauf ist von festestem Eichenholz gebohrt, um welches starke, fünffache Bänder geschmiedet worden sind. Vom Zerspringen ist keine Rede.« – »Dann geht es. Wir schießen mit Glas, Nägeln und altem Eisen, das wirkt furchtbar. Sodann brauchen wir mehrere Feuer.« – »Wozu?« – »Der Überfall wird wohl bereits in der nächsten Nacht geschehen. Dabei muß alles dunkel sein, damit die Komantschen uns im tiefsten Schlaf wähnen. Sobald sie nun kommen, brennen wir die Feuer an und erleuchten die ganze Umgebung der Hazienda, damit wir sicheres Zielen haben.« – »So machen wir die Feuer auf dem platten Dach des Hauses.« – »Das ist klug. Es wird an jeder Ecke ein großer Haufen errichtet und mit Öl begossen. Das genügt für den ganzen Platz.« – »Und wohin stellen wir die Kanonen?« – »Wir errichten an jeder Ecke des Hauses, sobald es dunkel geworden ist, eine Verschanzung, hinter welche dieselben kommen. Sie müssen so stehen, daß sie zwei Seiten bestreichen können. Ah!«

Dieser letzte Ausruf galt einem Reiter, der auf dampfendem Roß durch das Tor kam. Es war – der Apache.

»Bärenherz!« rief der Haziendero. »Wo kommt Ihr her?« – »Von den Komantschen«, antwortete dieser, vom Pferd springend. – »Wo sind sie?« – »Auf dem Reparo.« – »Auf dem Reparo?« fragte Büffelstirn. »Hatten sie dort ihr Lager?« – »Ja. Ich bin ihnen bis auf den Berg gefolgt. Sie erreichten ihn erst nach Mitternacht.« – »Auf welcher Seite lagerten sie?« – »Auf der Seite nach Mitternacht.« – »Uff! Wenn sie ...«, der Indianer unterbrach sich und fügte leise hinzu, so daß ihn nur der Apache hören konnte: »Wenn sie den Grafen finden.« – »Den werden die Krokodile gefunden haben«, entgegnete der Apache ebenso leise.

Diese Annahme war nun allerdings nicht richtig.


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