Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

21. Kapitel.

Im Laufe des Tages verbreitete sich die Nachricht vom Tod des allgemein beliebten Grafen Ferdinando durch die ganze Stadt. Man erfuhr, daß er die Wunde im Duell erhalten habe, und es wurden ausnahmslos von jeder vornehmen Familie Kondolenzkarten abgegeben.

Bereits am Nachmittag gelang es Cortejo, längere Zeit bei dem Toten zu sein, und das benutzte er, die Flecken anzubringen. Sie gelangen so gut, daß selbst ein Kenner getäuscht werden konnte, und als des anderen Tages der Arzt kam, um die Leiche einer nochmaligen Untersuchung zu unterwerfen, erteilte er beim Anblick der Flecken sofort die Erlaubnis zur Beerdigung.

Aber dieser zweite Tag brachte noch etwas anderes.

Am Nachmittag saß Cortejo gerade bei der Schreiberei, als er den Hufschlag eines Pferdes hörte, dessen Reiter vor dem Portal anhielt. Er bekümmerte sich nicht um denselben, sondern überließ dies der Dienerschaft, bald aber vernahm er rasche, sporenklirrende Schritte vor seiner Tür: diese wurde geöffnet, und vor ihm stand – Alfonzo.

Er fuhr vom Schreibtisch empor.

»Alfonzo!« rief er. – »Oheim!« antwortete der andere. – »Oh, ich habe auf dich gewartet.« – »Und ich habe mich nach Mexiko und euch gesehnt.« – »Weißt du schon, daß der Graf tot ist?« – »Ja«, lachte Alfonzo. – »Du lachst! Worüber?« – »Über deine Allwissenheit.« – »Wieso?« – »Du schriebst, daß Graf Ferdinando sterben werde; ich komme, steige vom Pferd und – erfahre, daß er tot ist. Das nenne ich prompt!« – »Und du fragst nicht, wer der Erbe ist?« – »Nein. Der bin ja ich.« – »Oho!«

Alfonzo erbleichte, als er diesen Ausruf hörte.

»Oder etwa nicht?« – »Na, habe keine Sorge«, beruhigte ihn sein Oheim. »Du bist der Erbe, aber es fehlte nicht viel, so warst du es doch nicht.« – »Wer sonst?« – »Graf Emanuel de Rodriganda.« – »Der Teufel hole ihn! Wie kam das?« – »Du wirst es sofort erfahren. Vor allen Dingen sage mir, wie du aussiehst!«

Der Angekommene warf einen lachenden Blick auf seinen zerfetzten Anzug und entgegnete: »Ja, ich komme direkt aus der Wildnis. Doch läßt sich da leicht helfen; ich darf nur nach meinem Zimmer gehen und mich umkleiden.«

Da öffnete sich die Tür, und Josefa trat ein. Als sie den Cousin erblickte, erbleichte sie vor freudigem Schreck, dann trat eine tiefe Glut in ihre Wangen und sie rief, die Arme ausbreitend:

»Alfonzo! Mein Alfonzo! Komm in meine Arme, teurer Cousin!«

Und da er keine Anstalt machte, ihr in die Arme zu fallen, so flog sie auf ihn zu, drückte ihn an ihre busenlose Brust und küßte ihn heiß und stürmisch auf den Mund. Er wollte sie von sich abwehren, da ihm dies aber nicht gelang, so wurde er zornig.

»Laß mich!« gebot er. »Ich verbitte mir dieses Spektakel! Wie kannst du mich so laut Cousin nennen! Wenn es jemand hört, so sind wir verraten!« – »Oh, ich bin so unendlich glücklich, dich wiederzuhaben!« rief sie. – »Das ist aber noch kein Grund, mir mit deinem einzigen Zahn die Lippen abzubeißen!«

Das half. Ihre Eulenaugen sprühten plötzlich ein zorniges Feuer, und sie sagte, sich stolz von ihm abwendend:

»Diese Beleidigung wirst du mir abbitten!« – »Heute nicht!« lachte er. – »Aber morgen!« – »Nie!« – »Warte es ab. Ich lasse mich nicht ungestraft beleidigen.« – »Verschone mich mit deinen Tiraden. Wo sind die Schlüssel zu meiner Wohnung, Cortejo?«

Der Gefragte hatte dieser Empfangsszene mit Spannung zugesehen. Jetzt deutete er mit finsterer Miene auf ein schwarzes Brett, das an der Wand befestigt war und woran an vielen messingnen Haken eine Menge von Schlüsseln hingen.

»Dort sind sie!« sagte er finster.

Alfonzo blickte ihn überrascht an.

»Was hast du?« fragte er. – »Nichts!« – »Nun, so kann der Sekretär sich schon die Mühe machen, seinem Herrn die Schlüssel zu reichen.«

Das Gesicht Cortejos wurde noch finsterer, und er antwortete:

»Oder der Neffe kann so rücksichtsvoll sein, seinem Onkel eine solche Handreichung zu erlassen.«

Alfonzo lachte.

»Onkel«, sagte er, »spiele nicht Komödie; ich tauge weder als Mitspieler noch als Publikum!« – »Bis jetzt bist du nur Statist gewesen, es ist allerdings möglich, daß du gezwungen wirst, von der Bühne abzutreten. Nimm deine Schlüssel, gehe auf dein Zimmer und kleide dich um, dann sendest du den Diener und läßt mich zu dir rufen.«

Das war in einem so festen Ton gesprochen, daß der leichtsinnige junge Mann doch den Mut zu einer Entgegnung nicht hatte. Er gehorchte und ging.

Cortejo aber wandte sich an seine Tochter und sagte:

»Josefa, wir haben eine große Dummheit begangen, daß du gestern das zweite Testament verbrannt hast. Dort im Kamin liegt noch die Asche.«

Ihre Augen leuchteten triumphierend auf, aber dennoch erwiderte sie in bedauerndem Ton:

»Ja. Aber warum war es eine Torheit?« – »Weil wir ihn in der Hand hätten, wenn das Testament noch da wäre.« – »Haben wir ihn nicht auch so in der Hand?« – »Sicher nicht.« – »Wir wollen es versuchen.«

Cortejo setzte seine Arbeit fort, und Josefa ging nach ihrem Zimmer. Dort öffnete sie das verborgene Fach eines Schranks und zog einige Bogen Papier hervor. Es war – das gestrige Testament.

»Oh, wie gut und klug war es«, murmelte sie, »daß ich gestern das kleine Taschenspielerstückchen machte und eine Zeitung anstatt des Testaments verbrannte. Er ist in meiner Hand und soll mir sicherlich nicht entrinnen.«

Als Alfonzo sich umgekleidet hatte, klingelte er dem Diener und befahl diesem, den Sekretär zu rufen.

Dieser kam sofort, nahm ungeniert auf einem Stuhl Platz und begann die Unterredung:

»Wie ist es dir gegangen, Alfonzo? Du siehst wirklich recht abenteuerlich aus!« – »Miserabel ist es mir gegangen, ganz miserabel! Ich werde es dir erzählen, zuvor aber möchte ich erfahren, was hier geschehen ist, das ist die Hauptsache. Rede also, Onkel.«

Cortejo nickte mit dem Kopf und fragte:

»Meinen Brief hast du erhalten?« – »Ja.« – »Und die beiden Kuriere sind dir auch begegnet?« – »Welche Kuriere?« – »Ah, also du hast sie nicht getroffen?« – »Nein. Ich war zu Umwegen gezwungen.« – »Ich sandte im Auftrag Don Ferdinandos zwei reitende Boten an dich ab, um dich holen zu lassen.« – »Gleich zwei? Da muß die Veranlassung sehr wichtig gewesen sein.« – »Allerdings!« – »Wohl die Krankheit des Grafen?« – »Nein, sondern dein Duell.« – »Donnerwetter. Das mit dem Grafen Embarez?« – »Ja. Embarez schrieb dem Grafen und gab drei Tage Zeit, nach welcher Frist er die Angelegenheit in den Blättern veröffentlichen wollte.« – »Der Teufel soll ihn holen. Ich hätte das Gesicht des Grafen sehen mögen.« – »Ich habe es gesehen, es war nicht vergnüglich.« – »Das glaube ich. Was tat er?« – »Er sandte zunächst die Kuriere ab, die dich holen sollten, und ging dann zu Embarez, um ...« – »Um vielleicht eine Frist für mich zu erbitten?« fiel ihm Alfonzo in die Rede. – »Das fiel ihm nicht ein«, antwortete Cortejo. »Don Ferdinando war ein Ehrenmann und kein Feigling, er hielt auf seinen Namen. Daher ging er zu Embarez, um die Ehrensache für dich auszufechten.« – »Donnerwetter! Ist dies wahr, so ist ja die Angelegenheit beendet!« – »Ganz und gar.« – »So sage ich, daß dieser gute Don Ferdinando in seinem ganzen Leben keinen besseren Gedanken gehabt hat, als sich an meiner Stelle erstechen zu lassen! Denn ich vermute, daß sein Tod die Folge des Duells ist.« – »Dies ist die allgemeine Meinung.« – »So starb er aus einem anderen Grund?« – »Allerdings.« – »Du machst mich neugierig. Dein Brief enthielt bereits eine Andeutung. Woran ist er gestorben?«

Cortejo zog den Brief seines Bruders aus der Tasche, den er bereits Josefa gezeigt hatte, und gab denselben dem Neffen.

»Lies diesen Brief«, sagte er.

Alfonzo durchflog das Schreiben und fragte dann gespannt.

»So ist also dieser Brief die Ursache von dem Tod Don Ferdinandos?« – »Ja, aber nicht von seinem Tod. Er lebt.«

Alfonzo sprang auf.

»Er lebt?« rief er. »Bist du nicht gescheit?« – »Ich hoffe, wenigstens ebenso gescheit zu sein wie du!« antwortete der Sekretär. – »Aber es ist ja eine Dummheit, ihn leben zu lassen.« – »Ich folge der Weisung meines Bruders, der dein Vater ist.« – »Aber wie stimmt das? Alle sagen, er sei tot, und du behauptest, daß er noch lebe.« – »Das ist sehr einfach, er ist scheintot.«

Alfonzo erbleichte.

»Scheintot! Donnerwetter. Das muß fürchterlich sein!« – »Er liegt im Starrkrampf.« – »So weiß er, was mit und um ihn vorgeht?« – »Vielleicht.« – »Aber wie hast du das fertiggebracht, Onkel?« – »Ich gab ihm ein Gift, das den Starrkrampf hervorbringt. Diese Wirkung dauert eine Woche, dann lebt er wieder auf.« – »Und was geschieht dann mit ihm?« – »Er wird auf dem Schiff unseres guten Henrico Landola erwachen.« – »Der ihn verschwinden läßt?« – »Ja. Ich werde ihn, eingepackt in einem Korb, nach der Küste schaffen.« – »Das ist schwer. Zwischen hier und dem Meer gibt es viel Gesindel.« – »Das ist wahr, denn ich muß eine Bedeckung haben und darf diese Leute doch nicht einweihen. Ich befinde mich wirklich in Verlegenheit, woher ich solche Männer nehmen soll.«

Da antwortete Alfonzo rasch:

»Oh, da kann ich dir helfen.« – »Du?« fragte Cortejo verwundert. – »Ja.« – »Kennst du zuverlässige Leute, die tapfer, verschwiegen und nicht neugierig sind?« – »Ich kenne welche, die diese Eigenschaften in hohem Grad besitzen. Es sind meine Begleiter von der Hazienda her.« – »Ah, Vaqueros! Die taugen nichts.« – »Nicht Vaqueros, sondern Indianer.« – »Das ginge eher. Sind es christliche?« – »Nein, heidnische.« – »Also Indios bravos! Von welchem Stamm?« – »Es sind Komantschen.« – »Komantschen?« fragte der Sekretär erschrocken. »Du scherzt.« – »Es ist mein Ernst.« – »Aber die Komantschen sind ja fürchterliche Kerle. Sie wohnen gar nicht in Mexiko, sondern an der Grenze und kommen nur herein, um zu morden, zu rauben und zu plündern. Ich habe noch keinen gesehen.« – »Auch mir waren sie bisher unbekannt. Sie sind allerdings hundertmal fürchterlicher als unsere wilden Indianer, aber trotzdem meine Freunde und werden dir treu dienen.« – »Deine Freunde? Sie haben dich nach Mexiko begleitet?« – »Ja. Sie sind in den Bergen vor der Stadt in einem Versteck.« – »Aber das klingt ja wie ein Abenteuer, wie ein Roman.« – »Es ist auch ein ganzer Roman, den ich erlebt habe. Ich sehe schon, daß ich ihn dir erzählen muß.«

Alfonzo begann nun seine Erlebnisse auf der Hazienda zu erzählen. Er berichtete von den Komantschen, den Apachen, von der Höhle des Königsschatzes, von den Kämpfen, von seiner fürchterlichen Lage am Baum des Alligatorenteichs. Er erzählte sogar ganz aufrichtig von seinem Angriff auf die Tochter des Hazienderos und sagte dann auch, was er den sechs Komantschen für ihre Begleitung versprochen hatte.

Cortejo hörte mit offenem Mund und starren Gesichtszügen zu, bis Alfonzo geendet hatte. Dann rief er:

»Mein Gott, das ist ja kaum zu glauben! Du hast also diese ungeheuren Schätze wirklich gesehen?« – »Ja.« – »Und sie sind fort?« – »Fort!« – »Wohin?« – »Das weiß nur dieser verdammte Büffelstirn und vielleicht noch seine armseligen Mixtekas.« – »Man muß suchen, nötigenfalls jahrelang suchen!« rief Cortejo begeistert. – »Das werde ich auch tun, nun ich der Besitzer der Hazienda bin.« – »Und an dem Baum hast du wirklich gehangen?« – »Wirklich! Es waren die fürchterlichsten Stunden meines Lebens. Diese beiden Häuptlinge werden sie mir entgelten müssen.« – »Und diesen Donnerpfeil, diesen Deutschen hast du erschlagen?« – »Ich hoffe, daß er an dem Hieb zugrunde gegangen ist oder noch zugrunde geht.« – »Er muß jedenfalls sterben, denn er ist der einzige Weiße, der den Schatz gesehen hat.« – »Ich werde mit einer Schwadron Lanzenreiter nach der Hazienda gehen.« – »Du wirst die Schwadron bekommen, dem Grafen de Rodriganda wird man sie nicht abschlagen.« – »Dann nehme ich Rache an dem ganzen Gelichter, darauf kannst du dich verlassen.« – »Also du denkst, daß deine Komantschen mich begleiten werden?« – »Ja, denn wir werden sie bezahlen.« – »Wann?« – »Am Abend. Sie erwarten, daß ich ihnen da ihre Belohnung bringe.« – »Ich reite mit.« – »So sorge für alles, was ich ihnen versprochen habe.« – »Wieviel ist es?« – »Ich werde es dir aufschreiben. Aber, vor allen Dingen, wie steht es hier mit der Erbschaft?« – »Du bist der Universalerbe.« – »Ist das Testament eröffnet?« – »Ja. Ich soll den Präsidenten benachrichtigen. Wenn du da bist, will er kommen und die Sache ordnen.« – »So sende gleich zu ihm.« – »Fast wäre uns das Erbe entgangen. Don Ferdinando hatte ein zweites Testament gemacht.« – »Hole ihn der Teufel! Wie kam dies?«

Cortejo erzählte es. Als er geendet hatte, sagte Alfonzo:

»Diese Amme muß man zum Teufel jagen!« – »Das wäre dumm, denn sie würde reden. Man muß sie vollständig unschädlich machen.« – »Das soll heißen?« – »Man stopft ihr den Mund durch Geschenke, oder man läßt sie auf irgendeine Weise verschwinden.« – »Ich habe keine Lust, ein solches Weib noch zu beschenken.« – »So tun wir also das zweite. Jetzt aber hast du zunächst eine heilige Pflicht zu erfüllen.« – »Welche wäre das?« – »Da fragt dieser Mensch, welche Pflicht er hat!« lachte Cortejo. »Bedenke doch, daß du der Neffe des verstorbenen Grafen bist. Was sollen die Diener sagen, wenn du dich um den Toten nicht bekümmerst.« – »Du meinst, ich solle mir die Leiche ansehen?« – »Ja.« – »Ein wenig weinen?« – »Natürlich!« – »Wohl gar am Sarg beten?« – »Das versteht sich.« – »Und große Trauer anlegen?« – »Wie es sich schickt!« – »Gut, ich werde diese saure Arbeit auf mich nehmen. Zuvor aber werde ich dir eins sagen. Es betrifft Josefa.« – »So sprich!« versetzte Cortejo erwartungsvoll. – »Was hat dieser überschwengliche Empfang heute zu bedeuten?« – »Überschwenglich? Das habe ich nicht gefunden. Soll die Cousine sich nicht freuen, wenn der Cousin zurückkehrt?« – »Das war nicht cousinenhaft. Ich glaube, das Madchen ist verliebt in mich!« – »Ich glaube es auch«, sagte Cortejo kalt. – »Ah! Und du verbietest es ihr nicht?« – »Ich kann es ihr nicht verbieten, weil sich die Liebe aus keinem Verbot etwas macht!« – »Aber du siehst doch ein, daß sie hier nicht am Platz ist!« – »Nein, das sehe ich nicht ein.« – »Nicht? Ah! Du meinst also vielleicht gar, Josefa und ich könnten ein Paar werden?« – »Ich halte es für möglich.« – »Aber ich nicht!« rief Alfonzo zornig, »denn sie ist bürgerlich!« – »Du auch!« erklang es scharf. – »Oh, ich bin von heute an Graf Rodriganda.« – »Und sie kann am Hochzeitstag ebenso sagen wie du: Ich bin von heute an Gräfin von Rodriganda.« – »Das wird niemals geschehen.« – »Ihr seid euch ebenbürtig. Dein Grafentum ist kein Grund zu einer Abweisung.« – »Aber sie ist älter als ich, auch nicht schön, ja nicht einmal hübsch.« – »So wird sie keine Anfechtung zur Untreue zu erdulden haben, das ist viel wert, lieber Alfonzo.« – »Sie hat ferner kein Herz und kein Gewissen.« – »Du auch nicht.« – »Nicht einmal Zähne.« – »Sie läßt sich welche einsetzen.« – »Ich halte sie jeden Verbrechens für fähig.« – »Wir dich auch.« – »Hole euch der Teufel!« rief Alfonzo grimmig. – »Wenn er uns holt, so nimmt er dich auch mit«, entgegnete Cortejo ruhig. »Wir gehören zusammen. Ja, wir sind vor dem Gesetz alle drei verschiedener Verbrechen schuldig, und Verbrechen bindet mehr als Tugend. Du wirst nie in deinem Leben dich von uns lossagen können, das merke dir.« – »Und wenn ich es dennoch tue?« – »So bist du verloren.« – »Und ihr mit.« – »Ich glaube das nicht. Es kommt sehr auf die Art und Weise an, wie man solche Dinge angreift.« – »Ich kenne diese Art und Weise.« – »Wir auch. Wenn du vernünftig nachdenkst, so wirst du finden, daß wir dir überlegen sind. Was du bist, das bist du durch uns. Du stehst und stürzt mit uns. Übrigens wollen wir dies Thema fallenlassen.« – »Und zwar für immer, hoffe ich.« – »Wenigstens für jetzt. Gehe zu deinem Oheim und versuche, deine Rolle gut zu spielen.«

Das erste Wort in Beziehung auf Josefa war gesprochen. Alfonzo war nun vorbereitet, er wußte, was man von ihm wollte, und nun stand es bei ihm, sich für oder gegen sie zu entscheiden.

Er spielte am Sarg des Grafen den über alle Maßen Betrübten, und seine Tränen flossen so reichlich, daß die Diener Mitleid mit ihm fühlten. Übrigens wurde er bald gestört, denn es kamen Leute, die sich den Toten ansehen wollten. Es ist in Mexiko Sitte, daß in solchen Fallen jedermann Zutritt hat. Man treibt ein förmliches Schaugepränge mit der Leiche, und so kamen Vornehme und Geringe, um die Pracht der Ausstattung sich anzusehen.

Cortejo stand nach einiger Zeit eben im Begriff, einmal sich in dieses Gewühl der Neugierigen zu mischen, um irgend etwas im Saal zu besorgen, als ein Mann aus demselben trat, bei dessen Anblick er bis in das Innerste erschrak. Es war ein Indianer mit einer scharfen Habichtsnase, auf der eine monströse Brille saß – Benito, der Giftdoktor.

Auch er sah Cortejo und trat sofort auf ihn zu.

»Nun«, sagte er, »habe ich Euch betrogen, Señor?«

Der Sekretär zog ihn sofort in ein leeres Zimmer.

»Unglückseliger«, erwiderte er, »was habt Ihr hier zu suchen?« – »Nichts. Ich sehe gern Leichen an«, antwortete der Indianer sehr ruhig. – »Aber wie kommt Ihr hierher?« – »Hm, ich kannte Euch schon längst. Ich ahnte, wer das Gift bekommen sollte, und kam nun, um zu sehen, ob die Gabe gut war.« – »Nun?« – »Sie war richtig.« – »Wann wird er erwachen?« – »In sechs Tagen, er hat jedoch schon jetzt sein volles Bewußtsein.« – »Mein Gott, so hört er, was um ihn vorgeht?« – »Ja, er kann selbst mit dem einen Auge, das Ihr nicht ganz zugemacht habt, sehen.« – »Aber das ist ja gefährlich!« – »Das ist Eure Sache, Señor. Ich sehe Euch nicht in die Karte, aber wenn es Euch einmal gutgehen sollte, so vergeßt den armen Benito nicht!«

Der Indianer sprach diese Worte mit einem Augenwink, der nicht beredter sein konnte, und schlüpfte dann zur Tür hinaus. Cortejo folgte ihm. Draußen ging gerade Alfonzo vorüber.

»Wer war der Kerl? Was hattest du mit ihm?« fragte er, da gerade niemand zugegen war. – »Alle Wetter, hatte ich jetzt einen Schreck!« antwortete Cortejo. – »Worüber?« – »Eben über diesen Menschen. Es war Benito.« – »Benito? Welcher Benito?«

Der Sekretär war noch immer ziemlich fassungslos. Er antwortete, nachdem er sich umgeblickt hatte:

»Der Giftdoktor.« – »Donnerwetter! Von dem das Mittel war? Hast du ihm denn gesagt, wer du bist?« – »Nein, er hat mich gekannt.« – »Ahnt er, wer das Gift bekommen hat?« – »Er weiß es nun sogar.« – »Das ist schlimm. Ist er verschwiegen?« – »Wer kann auf die Verschwiegenheit solcher Leute rechnen!« – »Er wird sich wie ein Blutegel an dich hängen.« – »Ich werde ihn abschütteln.« – »Abschütteln und zertreten, das ist das beste.« – »Übrigens habe ich etwas von ihm erfahren, was mir große Sorgen machen wird.« – »Was?« – »Der Graf ist bei Besinnung.« – »Nicht möglich.« – »Er hört und sieht alles.« – »Das ist schrecklich«, sagte Alfonzo. Dann aber flog ein höhnisches Lächeln über sein Gesicht, und er fuhr fort: »So möchte ich wissen, was er gedacht hat, als er mich weinen und jammern hörte!«

Da kam ein Diener herbeigeeilt und meldete, daß der Präsident den Grafen zu sprechen wünsche. Alfonzo ließ den Beamten zu sich bescheiden und nahm Cortejo mit. Die Erbschaftsangelegenheit wurde zur größten Zufriedenheit geordnet. Er war nun der Besitzer von Millionen.

Am Abend, als alles zur Ruhe gegangen war und nur die Klagefrauen bei dem Toten wachten, öffnete sich eine Hinterpforte des Palastes, und es wurden drei Pferde herausgeführt. Zwei trugen Reitsättel, und das dritte war mit Waffen und anderen Dingen hoch bepackt. Alfonzo und Cortejo stiegen auf und verließen auf finsteren, unbelebten Straßen die Stadt.

Sie wandten sich nach den Bergen, die im Norden der Stadt liegen, und kamen nach einem Ritt, der über eine Stunde währte, in ein enges Tal, in dem ein kleines Feuer brannte, aber niemand zu bemerken war.

Die Indianer hatten sich vorsichtigerweise zurückgezogen, um zu sehen, wer die Nahenden seien. Als sie Alfonzo erkannten, kamen sie herbei.

»Mein weißer Bruder hält Wort«, sagte der Anführer. – »Was ich verspreche, das gilt«, antwortete Alfonzo stolz. – »Wer ist der andere weiße Mann?« – »Mein Freund.« – »So mag er die Pfeife des Friedens mit uns rauchen.« – »Ist das nicht zu umgehen? Wir haben keine Zeit.« – »Zur Pfeife des Friedens ist stets Zeit. Wer sie nicht mit uns rauchen will, ist unser Feind. Und was der Mann tut, das muß er mit dem Nachdenken des Geistes tun.«

Es blieb den beiden nichts anderes übrig, sie mußten sich in die indianische Sitte fügen.

Man setzte sich also auf die Erde, brannte die Pfeife an und ließ sie von Hand zu Hand gehen. Dann erst fragte der Anführer:

»Meine Brüder haben uns alles mitgebracht, und zwar Gewehre, Messer, Blei und Pulver?« – »Alles, auch Perlen und Schmuck für die Squaws.« – »So.«

Der Komantsche hatte nach der vorsichtigen Sitte der Wilden alles einzeln aufgeführt. Jetzt fragte er:

»Und auch genug?« – »So viel, wie wir ausgemacht haben.« – »Wir werden abladen. Haben meine weißen Brüder noch etwas zu sagen?« – »Ja«, antwortete Alfonzo. – »So mag der weiße Graf sprechen.« – »Wollen meine roten Brüder gleich wieder zurückkehren?« fragte Alfonzo. – »Ja.« – »Wollen sie sich nicht noch mehr Waffen und Schmuck verdienen?« – »Was sollen wir für diese Sachen tun?« – »Den Mann beschützen, mit dem ihr die Pfeife des Friedens geraucht.«

»Ist er in Gefahr, daß er des Schutzes seiner roten Freunde bedarf?« – »Nein. Er will von den Bergen hinabreiten bis ans Meer.« – »Wo das große Wasser ist?« – »Ja. Auf dem Weg dorthin gibt es viele böse Menschen, und darum sollen meine Brüder mit ihm gehen, um ihn zu beschützen.« – »Wie viele Tag muß man reiten, um das große Wasser zu sehen, auf dem die Schiffe gehen?« – »Fünf Tage.« – »Wollen meine weißen Brüder jedem von uns geben noch zwei Messer, sowie auch zwei Spiegel, in denen man das Gesicht sehen kann?« – »Ja.« – »Eine hölzerne Pfeife, um Tabak zu rauchen, und dazu ein Pack Tabak, so groß wie der Kopf eines Mannes?« – »Auch das.« – »So werden wir den weißen Bruder bis an das Wasser begleiten. Wann reitet er fort?« – »In zwei oder drei Tagen.« – »So sollen wir hier warten?« – »Ja.« – »Dann müssen uns die weißen Brüder noch geben etwas rundes Silber, das die Weißen Geld nennen, damit wir nicht zu hungern brauchen, sondern uns in den Häusern der Weißen kaufen können, was wir essen wollen.« – »Auch das sollt ihr haben.« – »Wieviel?« – »Zehn Pesos.« – »Kann man davon sechs Männern zu essen geben?« – »Ja.« – »So gebe, mein Bruder, das Silber.«

Die Komantschen erhielten das Geld und auch alles, was das Lastpferd herbeigeschleppt hatte. Sie äußerten eine große Freude, und als sie noch einen Pack Zigarren erblickten, der zugegeben worden war, so kannte diese Freude keine Grenzen.

Nach einem nur noch kurzen Aufenthalt ritten Onkel und Neffe wieder davon, der Stadt entgegen.

Als sie nach Hause kamen und sich zur Ruhe begeben wollten, blickte Cortejo noch einmal in den Saal, in dem die Leiche lag. Dort saß die Amme bei den Klageweibern. Als sie den Sekretär sah, erhob sie sich und kam auf ihn zu.

»Verzeiht, Señor! Es ist nicht die rechte Zeit dazu, aber darf ich dennoch eine Frage wagen?« – »Welche?« – »Das Testament ist eröffnet worden, und zwar gestern gleich nach dem Tod des Grafen. War es das Testament, das im mittleren Fach des Schreibtischs lag?« – »Es wird dasselbe wohl gewesen sein. Der Präsident hat alles übernommen und versiegelt.« – »Ich höre, daß Don Alfonzo Haupterbe ist und daß viele ein Geschenk erhalten haben.« – »Allerdings.« – »Habe auch ich etwas erhalten?« – »Ja. Du bekommst tausend Pesos und freie Pflege bis zu deinem Tod.«

Sie machte ein sehr erstauntes Gesicht.

»So stand es im Testament?« – »Ja.« – »Oh, dann ist es nicht das richtige Testament gewesen.« – »Warum denkst du das?« – »Weil Don Ferdinando mir etwas anderes versprochen und auch im Testament hinzugeschrieben hat.« – »Was war das?« – »Ich sollte in meine Heimat nach Spanien zurückkehren dürfen und so viel erhalten, daß ich bis zu meinem Tod ohne Sorgen leben kann.« – »Und er hat dies auch zum Testament hinzugeschrieben? Wann?« – »Am Abend vor seinem Tod.« – »Da konnte er ja gar nicht schreiben; er war verwundet.« – »Oh, er konnte schreiben. Ich mußte ihn emporsetzen und die Feder eintauchen, es ging ganz gut.« – »Und wohin ist dann das Testament gekommen?« – »In das mittlere Fach des Schreibtischs.« – »So muß ich einmal mit dem Präsidenten sprechen, ob das darinsteht, wovon du redest.« – »Ja, sprecht mit ihm, Señor! Nun der gnädige Herr tot ist, mag ich nicht länger hierbleiben.« – »Wenn sich aber das Geschriebene nicht im Testament befindet?« – »So ist ein falsches Testament eröffnet worden.« – »Waren denn zwei da?« – »Ja.« – »Woher weißt du das?« – »Don Ferdinando sagte es, als er das zweite schrieb.« – »Ah, warum machte er ein zweites?« – »Das kann ich nicht sagen, aber ich müßte dann mit dem Präsidenten sprechen, damit er das richtige suchte.« – »Laß mich zuvor selbst mit ihm reden, Marie. Du sollst erfahren, was er gesagt hat.« – »Ja?« – »Gewiß.«

Cortejo ging, indem er einen leisen Fluch zwischen den Zähnen murmelte. Dieses Weib konnte ihm noch viel zu schaffen machen.


 << zurück weiter >>