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9. Kapitel.

Kurz nachdem sich die festliche Versammlung getrennt hatte, um zur Ruhe zu gehen, trat Büffelstirn in das Zimmer des Deutschen.

»Gedenkst du noch deines Wortes?« fragte er. – »Ja.« – »Du reitest mit?« – .Ja.« – »So komm!«

Helmers bewaffnete sich und folgte dem Indianer. Unten standen drei Pferde bereit, zwei mit Reitsätteln und das dritte mit einem Packsattel.

»Was soll dieses hier?« fragte der Deutsche, auf das letztere zeigend. – »Ich habe gesagt, daß du nicht arm bist. Du hast den Schatz der Könige nicht berauben wollen, darum sollst du dir davon nehmen dürfen so viel, wie ein Pferd zu tragen vermag.« – »Nein. Wo denkst du hin!« rief Helmers erstaunt. – »Rede nicht, sondern steige auf und folge mir!«

Der Indianer bestieg sein Pferd, nahm das Packtier beim Zügel und ritt fort. Helmers konnte nicht anders, als ihm folgen. Es war finstere Nacht, aber der Indianer kannte seinen Weg genau, und die halbwilden Pferde Mexikos sehen während der Nacht wie die Katzen. Der Deutsche konnte sich der Führung Büffelstirns getrost anvertrauen. Schnell freilich kamen sie nicht vorwärts, denn es ging tief zwischen unwegbare Berge hinein.

Büffelstirn sprach kein Wort. Man hörte in der schweigsamen Nacht nichts als den Schritt und das zeitweilige Schnauben der Pferde. So verging eine Stunde, noch eine und noch eine. Da rauschte Wasser; man kam an den Lauf eines Baches, dem man folgte. Dann türmte sich ein wallartiger Berg vor ihnen auf, und als sie denselben beinahe erreicht hatten, stieg der Indianer ab.

»Hier warten wir, bis der Tag kommt«, sagte er.

Helmers folgte seinem Beispiel, ließ sein Pferd grasen und setzte sich neben Büffelstirn auf einem Felsstück nieder.

»Ist die Höhle hier in der Nähe?« fragte er. – »Ja, sie ist da, wo dieses Wasser aus dem Berg kommt. Man steigt in den Bach, bückt sich und kriecht in das Loch, dann befindet man sich in einer Höhle, deren Größe und Abteilungen niemand kennt als Büffelstirn und Karja.« – »Ist Karja schweigsam?« – »Sie schweigt!«

Helmers dachte an das, was ihm Emma erzählt hatte, und sagte daher:

»Aber es gibt einen, der das Geheimnis des Schatzes von ihr erfahren will.« – »Wer ist es?« – »Der Graf Alfonzo.« – »Ugh!« – »Du bist mein Freund, und darum darf ich dir sagen, daß sie ihn liebt.« – »Ich weiß es.« – »Und wenn sie ihm nun euer Geheimnis verrät?« – »So ist Büffelstirn da. Er wird nicht den kleinsten Teil des Schatzes erhalten.« – »Ist dieser Schatz groß?« – »Du wirst ihn sehen. Nimm alles Gold, das Mexiko heute besitzt, zusammen, so reicht es noch nicht an den zehnten Teil dieses Schatzes. Es hat einen einzigen Weißen gegeben, der ihn gesehen hat, und...« – »Ihr habt ihn getötet?« – »Nein. Er brauchte nicht getötet zu werden, denn er ist wahnsinnig geworden, wahnsinnig vor Freude und Entzücken. Der Weiße vermag den Anblick des Reichtums nicht zu ertragen, nur der Indianer ist stark genug dazu!« – »Und mir willst du den Schatz zeigen?« – »Nein. Du wirst nur einen Teil desselben sehen. Ich habe dich lieb, und du sollst nicht auch wahnsinnig werden. Gib mir deine Hand und zeige mir deinen Puls.«

Der Indianer faßte die Hand des Deutschen und prüfte dessen Puls, worauf er fortfuhr:

»Ja, du bist stark. Der Geist des Goldes hat dich noch nicht ergriffen, aber bis du in die Höhle trittst, wird dein Blut gehen wie der Fall des Wassers vom Felsen.«

Das Gespräch verstummte nun. Es war dem Deutschen eigentümlich wie noch nie zumute. Da begann sich der Himmel zu färben. Der blasse Schimmer des Ostens wurde stärker, und bald konnte man die einzelnen Gegenstände mit Genauigkeit unterscheiden.

Helmers erblickte den Berg El Reparo vor sich, dessen schroffer Hang zumeist mit Eichenbäumen bestanden war. Ganz am Fuß desselben trat ein Wasser aus dem Felsen, das wenigstens eine Breite von drei Fuß und eine Tiefe von vier Fuß hatte.

»Dies ist der Eingang?« fragte er. – »Ja«, antwortete Büffelstirn. Aber noch treten wir nicht hinein. Wir wollen erst die Pferde verstecken. Der Besitzer eines Schatzes muß vorsichtig sein.«

Sie führten die Pferde längs des Berges hin, bis der Indianer ein Gebüsch auseinanderbog. Hinter demselben befand sich eine enge, niedrige Schlucht, wo die Tiere Platz fanden. Dann kehrten sie an den Bach zurück und verwischten nach Indianerart ihre Spuren, bis sie an den Felsen gelangten, aus dessen Öffnung das Wasser floß.

»Nun komm!« sagte Büffelstirn und stieg mit diesen Worten in das Wasser, zwischen dessen Oberfläche und dem Felsen ein Fuß tief Raum war, so daß man mit dem Kopf hindurchgelangen konnte. Sie kamen nun in einen dunklen Raum, dessen Luft trotz des Baches außerordentlich trocken war.

»Reiche mir deine Hand!« gebot der Indianer und führte Helmers aus dem Wasser heraus auf das Trockene, um abermals dessen Puls zu befühlen.

»Dein Herz ist sehr stark«, sagte er. »Ich darf die Fackel anbrennen.«

Er ging darauf einige Schritte von Helmers fort, und bald durchzuckte ein matter, phosphorartiger Blitz den Raum, ertönte ein lautes Prasseln, und dann flammte eine Fackel auf.

Aber was ging nun vor? Nicht die eine, sondern tausende von Fackeln schienen zu brennen. Als befände sich der Deutsche inmitten einer ungeheuren, wie Gold und Demant blitzenden Sonne, so strahlten Millionen von Lichtern und Reflexen in sein geblendetes Auge, und in dieses unendliche Schimmern, Schillern und Brillieren hinein erklangen die Worte des Indianers:

»Das ist die Höhle des Königsschatzes! Sei stark und halte deine Seele fest!«

Es verging eine geraume Zeit, ehe der Deutsche seine Augen an diese Pracht gewöhnen konnte.

Die Höhle bildete ein hohes Viereck von vielleicht sechzig Schritt in der Länge und Breite, durch das der mit Steinplatten bedeckte Bach floß. Sie war vom Boden an bis hinauf an die gewölbte Decke angefüllt mit Kostbarkeiten, deren Glanz die Sinne auch des nüchternsten Menschen verwirren konnte.

Da gab es Götterbilder, die mit den kostbarsten Edelsteinen geschmückt waren, besonders die Bilder des Luftgottes Quetzalcoatl, des Schöpfers Tetzkatlipoka, des Kriegsgottes Huitzilopochtli und seiner Gemahlin Teoyaniqui, nebst seines Bruders Tlakahuepankuexkotzin, der Wassergöttin Chalchiuhtlicue, des Feuergottes Ixcozauhqui und des Weingottes Cenzontotochtin. Hunderte von Hausgötterfiguren standen auf Wandbrettern, sie waren entweder aus edlen Metallen getrieben oder in Kristall geschliffen. Dazwischen standen goldene Kriegspanzer, goldene und silberne Gefäße, Schmucksachen in Demant, Smaragden, Rubinen und anderen Edelsteinen, Opfermesser, deren Griffe, die funkelnden Steine gar nicht gerechnet, schon einen Altertumswert von Hunderttausenden hatten, Schilde von starken Tierhäuten, die mit massiven Goldplatten besetzt waren. Von dem Mittelpunkt der Decke aber hing gleich einem Lüster eine Königskrone herab; sie hatte die Gestalt einer Mütze, war aus massivem Golddraht gefertigt und mit Diamanten besetzt. Ferner sah man da ganze Säcke voll Goldsand und Goldstaub. Kisten, die mit Nuggets – Goldkörnern – angefüllt waren, die die Größe einer Erbse bis zu der eines Hühnereis hatten. Auch sah man ganze Haufen gediegenes Silber, gleich in großen Stücken aus zutage getretenen Adern gebrochen. Auf großen Tischen standen leuchtende Modelle der Tempel von Mexiko, Cholula und Teotihuakan; der prachtvollen Mosaiken von Muscheln, Gold, Silber, Edelsteinen und Perlen gar nicht zu gedenken, die am Boden und in den Ecken lagen.

Der Anblick dieser Reichtümer brachte auf den Deutschen einen wahrhaft berauschenden Eindruck hervor. Es war ihm, als sei er ein Märchenprinz aus Tausendundeiner Nacht. Er gab sich Mühe, ruhig zu bleiben, aber es gelang ihm nicht. Er fühlte das Blut an seinen Schläfen pochen, und es war ihm, als ob große Feuer- und leuchtende Demanträder vor seinen Augen wirbelten. Es kam eine Art von Rausch über ihn, und in demselben sah er ein, daß solche Reichtümer eine Macht ausüben, ein wahnsinniges Verlangen erwecken können, das selbst vor dem fürchterlichsten Verbrechen nicht zurückschrecken würde.

»Ja, das ist die Höhle des Königsschatzes«, wiederholte der Indianer. »Und dieser Schatz gehört nur allein mir und meiner Schwester Karja.« – »So bist du reicher als irgendein Fürst der Erde!« antwortete Helmers. – »Du irrst! Ich bin ärmer als du und jeder andere. Oder willst du den Enkel eines Herrschers beneiden, dessen Macht vergangen ist und dessen Reich in Trümmern liegt? Die Krieger, die jene Rüstungen trugen, wurden von ihrem Volk geliebt und verehrt; ein Wort von ihnen gab Leben oder Tod. Ihre Schätze sind noch vorhanden, aber die Stätte, wo man ihre Gebeine niederlegte, ist von den Weißen entweiht und zertreten worden, und ihre Asche wurde in alle Winde zerstreut. Ihre Enkel irren durch die Wälder und Prärien, um den Büffel zu töten. Der Weiße kam; er log und trog, er mordete und wütete unter meinem Volk um dieser Schätze willen. Das Land ist sein, aber es liegt verödet, und der Indianer hat die Schätze dem Dunkel der Erde übergeben, damit sie dem Räuber nicht in die Hände fallen. Du aber bist nicht wie die anderen, dein Herz ist rein vom Verbrechen. Du hast meine Schwester aus den Händen der Komantschen errettet, du bist mein Bruder, und darum sollst du von diesen Schätzen so viel haben, wie ein Pferd zu tragen vermag. Doch nur zweierlei steht dir zu Gebote. Hier sind Goldkörner, ganze Säcke voll, und hier sind Ketten, Ringe und anderer Schmuck; wähle dir aus, was dir gefällt. Das andere aber ist heilig; es soll nie wieder beschienen werden von der Sonne, die den Untergang der Mixtekas gesehen hat.«

Helmers sah die Nuggets und das Geschmeide, ihm wurde fast schwindlig.

»Ist dies dein Ernst?« fragte er. – »Ich scherze nicht.« – »Aber das sind ja hunderttausende von Dollars, die du mir schenkst!« – »Nein; es werden sogar Millionen sein.« – »Ich kann es nicht annehmen!« – »Warum? Willst du die Gabe des Freundes verachten?« – »Nein, aber ich kann nicht dulden, daß du dich meinetwegen beraubst.«

Der Indianer schüttelte stolz den Kopf.

»Es ist kein Raub. Ich bringe kein Opfer. Was du hier siehst, ist nur ein Teil der Schätze, die der Berg El Reparo verbirgt. Es gibt hier noch weitere Höhlen, von denen nicht einmal Karja, meine Schwester, etwas weiß. Nur ich kenne sie, und wenn ich einst sterbe, so wird kein menschlicher Gedanke mehr in diese Tiefen dringen. Ich werde jetzt gehen, um die anderen Höhlen zu besuchen. Siehe dir die Schätze an und lege zur Seite alles, was du für dich auswählst. Wenn ich zurückkehre, beladen wir das Pferd damit und kehren heim nach der Estanzia.«

Der Indianer steckte die Fackel in den Boden und schritt nach der hintersten Ecke, in der er verschwand.

Der Deutsche stand jetzt allein inmitten dieser unermeßlichen Reichtümer. Welch ein Vertrauen mußte der Indianer zu ihm haben! Wie nun, wenn er den Indianer tötete, um Herr des Ganzen zu werden, von dem er nur einen kleinen Teil erhalten sollte? Aber kein einziger solcher Gedanke kam dem ehrlichen Mann. Er fieberte ja schon vor Wonne, daß er eine ganze Pferdelast Geschmeide und Nuggets mitnehmen durfte.


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