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18. Kapitel.

Als Pablo Cortejo vorher den Grafen verließ, fertigte er zunächst die beiden Kuriere ab, dann begab er sich nach seiner Wohnung.

Er war verheiratet gewesen, und sein längst verstorbenes Weib hatte ihm ein einziges Kind, eine Tochter, hinterlassen. Diese war sein Abgott, obgleich sie gar nichts Göttliches an sich hatte.

Sie war lang und hager wie ihr Vater, starkknochig, mit scharfen Gesichtszügen und eckigen Bewegungen. Ihr Teint war wachsgelb, die Zähne fehlten ihr bereits zur Hälfte, und ihre Augen glichen den Augen der Eule, wenn sie im Sonnenlicht sitzt und gezwungen ist, sie zu öffnen.

Pablo Cortejo ging nicht in seine Arbeitsstube, sondern suchte seine Tochter auf, die auf dem Hofgang des Hauses, wo eine erquickende Kühle herrschte, in einer Hängematte lag und Zigaretten rauchte.

»Ah, Papa, was wollte der Graf zu so ungewöhnlicher Stunde?« fragte sie. – »Mir die Faust in das Auge schlagen«, antwortete er grimmig. – »Worum handelte es sich denn?« – »Um nichts anderes, als um Alfonzo!« – »Hm! Er ist doch sein Neffe!« – »Wie es scheint. Oh, wüßte der Alte, wie es steht. Ich möchte ihn sehen. Zunächst kam die Spielschuld aufs Tapet, dann diese verdammte Abfindungssumme für die damalige Liebelei und endlich gar die Duellgeschichte, an der nur du allein die Schuld trägst.« – »Ich?« fragte das Mädchen verwundert. »Habe ich etwa zu der Forderung Veranlassung gegeben?« – »Nein, aber du gabst nicht zu, daß Alfonzo sich stellte, dir war um sein teures Leben bange, und ihm selbst wohl noch mehr.« – »Was hat dies mit der heutigen Affäre zu tun?« – »Graf Embarez hat Don Ferdinando geschrieben.« – »Donnerwetter!«

Dem Sekretär fiel dieser unweibliche Fluch seiner Tochter nicht auf, er fuhr fort:

»Ja, das Donnerwetter habe ich bekommen. Er sprach vom Absetzen, Fortjagen und allem möglichen.« – »Das wagt er nicht!« sagte sie geringschätzig. »Alfonzo würde es nicht zugeben.« – »Pah! Der Graf will ihm die Zügel kürzer ziehen. Er behauptet geradezu, daß ich ihm seinen Neffen verderbe.« – »Du nicht, aber ich«, meinte die Dame mit Selbstbewußtsein. – »Da hast du vollständig recht. Übrigens hat der Brief des Grafen Embarez eine Wirkung gehabt, an die ich nie gedacht hätte. Es kann zu unserem Glück sein: Don Ferdinando wird sich an Alfonzos Stelle duellieren.«

Das Mädchen war mit einem Sprung aus der Hängematte heraus.

»Wann?« fragte sie. – »Ich weiß es nicht, jedenfalls aber baldigst, denn der Graf ist nicht gewöhnt, solche Sachen aufzuschieben.« – »Viktoria, wenn er erschossen würde, Vater!« – »Erstochen.« – »Ah, es ist ein Säbelduell? Das ist unter Umständen noch gefährlicher.« – »Wir hätten dann sofort gewonnen. Das Testament ist ja gemacht, und Alfonzo ist der Erbe.« – »Und ich mit!« lachte das Mädchen. – »Ja, du mit. Oh, es ist ein schlauer Plan, den sich mein guter Bruder Gasparino da drüben in Rodriganda ausgedacht hat. Er will für sich und seinen Sohn alles haben, und für uns soll nur so ein Gnadenteilchen abfallen, aber wir sind ihm an Schlauheit gewachsen. Du erbst mit, dabei bleibt es.« – »Ich bin neugierig, was Alfonzo zu unserem Vorschlag sagen wird.« – »Ja sagt er sicherlich nicht.« – »Warum nicht? Meinst du vielleicht, daß ich ihm nicht schön genug bin?« fragte sie pikiert. – »Das meine ich nicht«, erwiderte er. »Aber wer ein Graf wird, der heiratet eine Gräfin!« – »Will ich denn etwas anderes? Wenn er mich nimmt, so bin ich ja eine Gräfin.« – »Hm, deine Schlüsse sind nicht ganz so dumm, dennoch aber wird es Kampf geben, ehe er einwilligt.« – »Er muß sich ergeben, entweder der Liebe oder dem Zwang.« – »Aber wenn nun Don Ferdinando im Duell nicht fällt?«

Cortejos Tochter blickte lange zu Boden und erwiderte:

»O ihr Männer, was seid ihr doch für Schwächlinge!«

Das Auge ihres Vaters blickte einen Moment forschend in ihr Gesicht, dann sagte er:

»Du meinst, er muß fallen?« – »Ja.« – »Wenn nicht durch den Säbel ...« – »Dann durch etwas anderes. Wie lange soll man warten?«

Es zuckte ein Zug grausamer, diabolischer Habgier über ihr häßliches Gesicht.

»Ja, warten«, meinte ihr Vater. »Wer länger wartet, der wird vielleicht gar fortgejagt.« – »So handle!« – »Meinst du?« – »Jawohl! Soll ich dir helfen?« – »Vielleicht«, antwortete er geheimnisvoll. – »Ah! Du hast bereits einen Entschluß gefaßt?« fragte sie. »Welchen?« – »Ich wollte schon, ehe ich zum Grafen gerufen wurde, mit dir darüber sprechen. Hier, lies einmal diesen Brief meines Bruders Gasparino.«

Sie riß ihm den Brief, den er aus der Tasche gezogen hatte, förmlich aus der Hand. Ihre Augen flogen über das Papier hinweg und glühten bei jeder weiteren Zeile immer unheimlicher. Endlich legte sie das Papier zusammen, gab es dem Vater zurück und sagte:

»Also sterben soll er. Gut.« – »Der Plan hat deinen Beifall?« – »Nicht ganz, mir gefällt nicht, daß er wieder aufwachen soll. Weg mit ihm, für immer.« – »Aber er wird ja fortgeschafft.« – »Das ist nicht so sicher wie der Tod.« – »Oh, wer einmal dem Seeräuberkapitän Henrico Landola in die Hände fällt, der ist noch schlimmer als tot. Wer weiß, was Gasparino noch nebenbei bezweckt, aber auch ich scheue mich, zum Mörder, gerade zum Mörder an einem Mann zu werden, dem wir doch so viel zu verdanken haben.« – »Zu verdanken? Wo denkst du hin? Du arbeitest doch für ihn! Aber ich will hier nichts weiter dagegen sagen, als daß überhaupt nichts daraus werden kann, auch wenn wir wollen. Wer gibt uns denn ein solches Gift?« – »Der Apotheker allerdings nicht.« – »Gibt es denn überhaupt ein Gift, das so tötet, daß der Tote nach einer bestimmten Zeit wieder erwacht?« – »Es tötet nicht, sondern es versetzt nur in Scheintod. Ich kenne einen, dem alle Gifte bekannt sind und der einen geheimen, einträglichen Handel damit treibt.« – »Wer ist es?« – »Ein alter Indianer draußen in Sant' Anita. Ich werde mit ihm sprechen.« – »Aber erst nachdem das Duell entscheiden ist! Wie steht es mit Alfonzo?« – »Ich habe ihn bereits vor zwei Tagen durch einen Boten von dem Nötigen benachrichtigt. Heute befahl der Graf, gleich zwei Kuriere nach ihm zu senden, diese werden ihn bereits unterwegs treffen. Er kommt also wieder, und zwar in einigen Tagen.« – »Gott sei Dank, so habe ich ihn wieder.«

Ihre Augen glühten freudig auf. Man sah, dieses Mädchen hatte Alfonzo wirklich lieb, aber in ihrer Seele steckte ein Vulkan von Leidenschaften verborgen. Wehe ihm, wenn er diese Liebe von sich wies.

Am anderen Morgen hatte die Sonne den Tau noch nicht von der Erde geküßt, als Graf Ferdinando de Rodriganda mit seinem Sekundanten, dem Vicomte, die Stadt Mexiko verließ, um nach dem See von Tescuco zu reiten. Die beiden Señores trugen ihre mexikanische Nationaltracht, den großen, lichten Sombrero, den Hut mit steifer, breiter Krempe, der, mit Goldschnüren verziert, die Schultern überragte, die dunkle Jacke mit den vielen kleinen Silberknöpfen, die reich in Gold und Silber gestickten Zapateros, die über das gewöhnliche Beinkleid von unten her über das Knie gezogen und mit einem Gurt um den Leib befestigt werden.

Auch der Sattel war mit Gold und Silber verziert, der große Sattelknopf aber und die Rückenlehne waren mit Silber beschlagen und Mundstück und Kopfzeug ebenso geschmückt. Die Zügel bestanden aus einer bunten, seidenen Schnur und die großen Radsporen aus Silber. Hinter der Sattellehne war die bunte Serape – Decke – festgeschnallt, und hinter derselben fiel zu beiden Seiten des Pferdes ein Bocksfell tief herab, das den Pistolen zum Schutz diente. Auch der Lasso hing am Sattel.

Die beiden Señores sprachen kein Wort miteinander. Was zu sprechen gewesen war, das hatte man gesprochen, und der Vicomte ahnte nur zu wohl, was in der Seele des Grafen vorgehen müsse, als daß er ihm durch seine leichte Unterhaltung hätte beschwerlich fallen mögen.

Als sie die bestimmte Stelle des Sees erreichten, war der Gegner bereits da. Er hatte den Arzt, seinen Sekundanten und einen Unparteiischen mitgebracht. Beide Gegner verbaten sich jeden Versuch der Aussöhnung und standen sich bald mit den blanken Waffen gegenüber. Das Zeichen wurde gegeben, und der Kampf begann.

Wenn Graf Embarez geglaubt hatte, mit Rodriganda schnell fertig zu werden, so hatte er sich geirrt. Don Ferdinando war ein geschickter Fechter, es gelang ihm bereits im ersten Gang, den Gegner zu verwunden, was diesen aber nur mutiger machte, so daß er im zweiten Gang alle Geschicklichkeit und Kraft anwandte, um Revanche zu nehmen. Er war geübter als Rodriganda, es gelang ihm eine Finte, und sein Degen fuhr Don Ferdinando in die Brust.

»Ich bin verwundet!« rief dieser und sank zur Erde.

Der Arzt, der rasch hinzusprang und die Wunde untersuchte, erklärte sie für nicht lebensgefährlich, aber doch bedeutend genug, um den Kampf zu beenden. Graf Embarez erklärte sich nun mit dieser Satisfaktion zufrieden und ritt davon. Don Ferdinando wurde darauf sorgfältig verbunden und in den Wagen des Unparteiischen gesetzt, in dem man ihn nach Hause fuhr.

Als er dort ankam, wollte Cortejo mit seiner Tochter ein Klagegeschrei anstimmen, doch wurden sie auf einen Wink des Grafen vom Arzt hinausgewiesen. Der Graf wünschte bloß die alte Marie bei sich zu sehen. Diese erschien und wurde mit seiner Pflege betraut. Als der Arzt ihr die nötigen Instruktionen gegeben und sich entfernt hatte, sagte sie:

»Ich habe das Testament mit, gnädiger Herr.« – »Es war unnötig«, lächelte er. »Hier hast du den Schlüssel. Schließe es ein.« – »Wo?« – »Dort im mittleren Fach des Schreibtischs.«

Maria tat es mit einer Sorgfalt und Umständlichkeit, die ebenso groß war wie das Vertrauen, das sie genoß.

Anders war es in der Wohnung des Sekretärs. Dort saßen Vater und Tochter in düsterem Groll beisammen.

»Was haben wir ihm getan!« zürnte Josefa, die Tochter. – »Nichts, gar nichts!« antwortete der Vater. »Diese alte Amme hat es verstanden, sich einzuschmeicheln, ohne daß ich eine Ahnung davon hatte.« – »Und dieser Graf Embarez, der ein so guter Fechter sein soll, ist ein ausgezeichneter Tölpel. Konnte er seinen Stich nicht etwas tiefer richten!« – »Ich werde jetzt gleich hinaus nach Sant' Anita reiten.« – »Ja, man braucht uns ja nicht.« – »Und die Wunde gibt uns die beste Sicherheit gegen Entdeckung.« – »Ja, reite hinaus! Es ist jede Stunde für uns verloren.« – »Ich wollte eigentlich erst die Rückkehr Alfonzos abwarten.« – »Das Gift kannst du doch bestellen?« – »Das ist richtig. Also fort, hinaus!«

Pablo Cortejo ließ satteln und ritt die lange Straße des Paseo de Bucareli hinab und immer weiter, bis er im Süden der Stadt den Paseo de la Viga erreichte, auf dem man zu den beiden Dörfern Sant' Anita und Ixtacalco gelangt, die ausschließlich von Indianern bevölkert sind.

Diese roten Leute führen auf flachen Kähnen, mit denen sie den Kanal von Chalco befahren, Früchte und Blumen, Mais und Heu nach der Stadt. Frauen in grellroten Röcken liegen nebst Kindern und Hunden neben der reichen Ladung. Eine Decke, an zwei Stöcke befestigt, schützt sie gegen die glühenden Strahlen der Sonne.

Links davon dehnen sich die berühmten Chinampas, die schwimmenden Gärten der Indianer. Der Spiegel des Sees von Chalco war ursprünglich hell und klar; die Indianer aber bedeckten ihn mit Flößen und Strohmatten, auf die sie Erde legten, um sie mit Gemüse und Blumen zu bepflanzen. Diese Pflanzen haben vermöge ihrer Wurzeln festen Fuß gefaßt, so daß die Flöße nicht mehr von den Wellen getrieben werden können und nun kleine, von Rosenhecken umgebene Inseln bilden, auf denen die schönsten Gemüse und Früchte erbaut werden.

Diese Indianer sind nicht wild, sondern eifrige Katholiken und werden Indios fideles genannt, im Gegensatz zu den Indios bravos, den freien, wilden Indianern. Sie haben aus ihrem früheren Glauben manche Anschauung und manchen Brauch mit herüber in ihr Christentum gebracht, es gibt welche unter ihnen, die mehr zu fürchten sind als ein freier Komantsche oder Apache.

Ein solcher war Benito, der Giftdoktor, der eigentlich Malito hätte genannt werden sollen, denn er hatte die Kenntnis aller inländischen Gifte, ihrer Zubereitung, Anwendung und Wirkung von seinen Vätern ererbt, war gewissenlos genug, einen ausgedehnten Handel damit zu treiben, und hatte vielleicht mehr Menschen ermordet, als unter den Waffen Büffelstirns und Bärenherzens im ehrlichen Kampf gefallen waren.

Seine Hütte war jedermann bekannt; auch Cortejo kannte sie. Er lenkte jetzt sein Pferd in den kleinen Hof, der neben ihr lag, damit die Besucher hier unbeachtet absteigen konnten, und klopfte an.

Es wurde ihm erst nach wiederholtem Klopfen geöffnet. Das häßliche Gesicht eines alten Weibes grinste ihm entgegen und fragte:

»Was wollt Ihr?« – »Ist Benito, der Arzt, zu Hause?« – »Nein. Ich weiß auch nicht, wo er ist und wann er zurückkommt.«

Da griff Cortejo in die Tasche, zog einen blanken Peso hervor, zeigte ihn der Alten und fragte zum zweiten Mal:

»Ist Benito zu Hause?« – »Vielleicht. Ich will einmal nachsehen. Gebt das Geld her!« – »Das bekommst du nur dann, wenn er zu Hause ist.« – »Er ist da«, sagte sie nun rasch. »Her damit!« – »Kann ich zu ihm?« – »Ja. Kommt!«

Cortejo reichte der Alten das Silberstück und trat ein. Sie schloß hinter ihm wieder zu und führte ihn in einen kleinen Raum, der einem Ziegenstall ähnlicher sah als einer menschlichen Wohnung.

»Setzt Euch nieder«, sagte sie. »Ich werde ihn holen.«

Als sie verschwunden war, sah er sich in dem Loch nach einem Ding um, auf das er sich der erhaltenen Aufforderung nach setzen konnte, fand aber nichts als einen Haufen weicher Pflanzen, auf den er sich nun niederließ.

Er mußte wieder einige Zeit warten, bis der Indianer erschien. Er war ein kleiner, hagerer Kerl mit scharfen Zügen und einer fürchterlichen Habichtsnase, auf der eine riesige Brille saß.

»Was wollt Ihr?« fragte er. – »Kann man offen mit Euch sprechen?« antwortete der Sekretär. – »Ja, aber auch heimlich.« – »Ihr verkauft Arzneien?« – »Ja.« – »Gute und böse?« – »Sie sind alle gut.« – »Ich meine giftige und nicht giftige.« – »Ja. Wollt Ihr etwa über die giftigen mit mir reden?« – »Allerdings.« – »Da muß man vorsichtig sein. Wer seid Ihr?« – »Das zu wissen, ist nicht nötig; aber, daß ich kein Alguazil – Polizist – bin, das kann ich Euch beschwören.« – »Gut! Habt Ihr Geld? Wer mit mir über die Gifte reden will, hat zehn Pesos – 45 Mark – zu geben. Wollt Ihr sie bezahlen?« – »Ja.« – »Her damit!«

Cortejo griff in die Tasche, nahm die Summe aus dem Beutel und gab sie ihm. Der Indianer steckte die Summe mit einem freundlichen Grinsen in seine weiten Hosen und sagte dann:

»Nun könnt Ihr fragen!« – »Gibt es ein Gift, das nur scheintot macht?« fragte Cortejo. – »Ja, es gibt sogar mehrere. Wer soll es erhalten?« – »Ein Mann, der ungefähr fünfzig Jahre alt und sehr reich ist.« – »Soll er wieder erwachen?« – »Ja, nach einer Woche.« – »Wann wollt Ihr es haben?« – »Gleich heute, jetzt; ich gebe, was Ihr verlangt.« – »Es kostet hundert Pesos.« – »Ich gebe sie.« – »Gut; das ist ein kurzer, schöner Handel. Wartet ein wenig, bis ich es hole und bringe.«

Benito entfernte sich und war dieses Mal über eine Stunde fort. Als er wiederkam, hatte er ein kleines Tütchen in der Hand, das er dem Sekretär entgegenstreckte.

»Hier ist es!« sagte er.

Cortejo nahm das Tütchen, das kaum den vierten Teil eines Fingerhuts faßte, und fragte:

»Das ist es wirklich? Darf ich es öffnen?« – »Meinetwegen!«

Cortejo machte das Papier auf. Es enthielt eine geruch- und farblose Masse, die fast aussah wie zu Mehl zerstoßenes Glas.

»Darf man es ohne Schaden berühren?« – »Es wirkt nur im Magen«, lautete die Antwort. – »Und wie habe ich es zu geben?« – »Ihr löst es in Wasser auf und tut dieses Wasser in das Essen oder Getränk; es kann sein, was es wolle; es wirkt bereits in einer Nacht.« – »Gibt es ein Mittel dagegen?« – »Nein. Auch ist der Genuß anderer Arzneien der Wirkung nicht hinderlich.« – »So werde ich es behalten und bezahlen. Ihr aber haftet mir für die Wirkung. Versteht Ihr?« – »Ich schwöre nicht, aber Ihr werdet sehen, daß dieses Pulver hält, was ich verspreche!« – »Wäre dies nicht der Fall, so würde ich mir mein Geld wiederholen und Euch außerdem noch als Giftmischer anzeigen. Ihr wißt, daß darauf die Todesstrafe steht!«

Der Giftmischer lächelte überlegen und entgegnete:

»Wer ist schuldig, Señor? Derjenige, der das Gift macht, oder der, welcher es den Menschen eingibt? Ich denke, der zweite noch mehr als der erste. Gebt mir das Geld und geht!«

Cortejo zog nun hundert Pesos hervor, die etwa 450 Mark betragen, und gab sie ihm; dann steckte er das Gift sorgfältig zu sich, verließ das Haus und bestieg draußen sein Pferd, um eiligst davonzureiten, denn wen man aus Benitos Wohnung kommen sah, den hatte man sofort im Verdacht, ein unheimliches Geschäft abgeschlossen zu haben.


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