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D.

Dämon

Ein belehrendes Beispiel für die Zähigkeit von Scheinbegriffen; seit Homeros ist das Wort Dichtern wie Philosophen geläufig. Freilich wissen die Wortphilologen nicht, wie sie δαιμων ableiten sollen (die Platonische Etymologie, von δαημων, kundig, ist doch wohl unsinnig; eine Entlehnung, nicht Verwandtschaft, aus dem Indischen oder Zend eher einleuchtend: aus der sogenannten Sanskritwurzel div, wenn es eine solche gab, kam vielleicht in der Zendsprache daêva = Dämon); die Sachphilologen wissen nur zu sagen, daß δαιμων bei Homeros noch kein Mittelglied zwischen Gott und Mensch bedeutete, sondern geradezu etwas Göttliches; der Anruf δαιμονιε freilich hatte alle Schattierungen von Du Göttlicher bis Du Narr. Erst später wurde das Wort zu einer Bezeichnung für die Mittelwesen, die guten wie die bösen Genien; im Neuen Testamente allein für die bösen, für die Teufel. Die Literatur über das Scherzwort des Sokrates, über sein δαιμονιον, möchte ich doch nicht vermehren. Von den Neuplatonikern wurde die Dämonologie in ein förmliches System gebracht, wovon einige Bruchstücke in unseren Schulen noch gelehrt werden, z. B. die Lehre von den Engeln. Das Mittelalter sah die Welt voll von Dämonen; bis tief ins 18. Jahrhundert spukten sie. Wir glauben nicht mehr an solche Geister, weder an gute noch an böse, aber unter uns wird das Wort dämonisch wieder häufig gebraucht. Was man aber, etwa seit der Zeit von Lord Byron, in unseren Kultursprachen mit einer gewissen unklaren Gleichmäßigkeit unter dämonisch versteht, das ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was Altertum und Mittelalter bei dem entsprechenden Worte dachten. Einst bezeichnete es einen Menschen, der ungewöhnliche Handlungen oder Werke ausführt, unter dem zwingenden Einflusse einer ihm fremden Zaubergewalt, einer großen oder kleinen Gottheit; heute bezeichnet es einen Menschen, der ungewöhnliche Taten oder Werke vollbringt, ohne jeden fremden Einfluß, nur von einer unwiderstehlichen Neigung getrieben, von seiner eigensten Persönlichkeit. Es gibt eine ganze Gruppe solcher Worte, in denen wortgeschichtlich noch eine theologische Zeit steckt, die aber individualistische Bedeutung gewonnen haben. Ganz nahe zu dämonisch ist genial zu stellen ( genius =  daemon). Nur daß die so beliebte Zusammenstellung von Genie und Wahnsinn wieder auf uralte theologische Vorstellungen zurückgeht. Früher glaubte man ernstlich, der Wahnsinnige sei besessen, vom Teufel oder von einem Dämon besessen; jetzt sagt man von einem genialen Menschen, er sei besessen, er habe den Teufel im Leibe, er sei dämonisch, und kann sich wirklich nichts dabei denken. Höchstens etwa: er ist ein ungewöhnlicher Mensch. Es ist eine der vielen sprachkritischen Wohltaten Ibsens, daß er sich über das Modewort nach Gebühr lustig gemacht hat. Relling gesteht (Wildente 5. Akt), daß er auch bei dem versoffenen Molvik das stimulierende Prinzip der Lebenslüge konserviert habe. »Den hab' ich dämonisch gemacht. Das ist die Fontanelle, die ich ihm in den Nacken setzen mußte ... Was zum Donnerwetter heißt denn dämonisch? Das ist doch bloß ein Quatsch, den ich erfunden habe, um den Mann am Leben zu erhalten«. Man vergleiche mit diesem Hohne Ibsens den Greisenstil Goethes, der nicht viel mehr als ein Menschenalter zurückliegt. Der alternde Goethe liebte die Worte Dämonen und dämonisch; besonders in Briefen und Gesprächen äußert sich überaus häufig die schmeichelhafte Vorstellung, daß ein höherer gestaltender Wille über seinem eigenen Leben gewaltet habe. Wer nicht durch Pietät zu einem Schönfärber geworden ist, muß bei diesem Sprachgebrauch Goethes zwei ganz verschiedene Gedanken unterscheiden; der eine ist rein und groß und lehrt in immer neuen Wendungen: »Dir kannst du nicht entfliehen« oder (wie es in der Erklärung zu den herrlichen Urworten heißt): »Der Dämon bedeutet hier die notwendige, bei der Geburt unmittelbar ausgesprochene, begrenzte Individualität der Person, das Charakteristische, wodurch sich der Einzelne von jedem Andern bei noch so großer Ähnlichkeit unterscheidet ... deshalb spricht diese Strophe die Unveränderlichkeit des Individuums mit wiederholter Beteuerung aus«; der andere Gedanke ist klein, eitel und abergläubisch; mit diesem menschlichen Zuge Goethes steht sein Unsterblichkeitsglaube in Zusammenhang, mit dem er im Alter so gern spielte und der am Ende auch die Urworte ein wenig verwirrt. (Vgl. Art.  Unsterblichkeit.) Namentlich in den Gesprächen mit Eckermann und in den Briefen an Boisserée äußert sich der Aberglaube an freundlich gesinnte Dämonen, die Goethe durch alle Fährlichkeiten des Lebens geführt haben, gern und oft redselig: je höher ein Mensch, desto mehr stehe er unter dem Einfluß der Dämonen; Raphael, Mozart, Napoleon, auch Lord Byron, werden dämonisch genannt; das Dämonische werfe sich gern an bedeutende Figuren, in einer klaren prosaischen Stadt, wie Berlin, fände es kaum Gelegenheit sich zu manifestieren (1831). Sehr drollig ist es, wenn die subalternen Freunde mit einer Art von Echolalie Goethes Greisenworte wiederholen, und z. B. Eckermann eine kleine Abhandlung über das Dämonische zum besten gibt. Goethe selbst war denn doch noch größer als sein menschliches Haften am Dämonen- und Unsterblichkeitsglauben; immer wieder ist, wenn er sich vertraulich so hat gehen lassen, etwas wie Ironie herauszuhören. Der Dichter spielt mit solchem Glauben. Bald wird ihm das Dämonische zum Unbewußten, bald sieht er in dem retardierenden Treiben, namentlich der kleinen Dämonen, die z. B. die Achse seines Wagens brechen lassen, oder die seine frigide Schwester vor einem Balle regelmäßig mit einem Ausschlage heimsuchen, etwa das, was Vischer die Tücke des Objekts genannt hat. Goethe war trotz seines gelegentlichen Hasses gegen die Sprache zu sehr Dichter, um die Worte zu überwinden wie Ibsen.

 


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