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anthropomorphisch

ist das Erleben und das Denken, das Wissen und das Phantasieren des Menschen. Natürlich. Der vorchristlichen Zeit war diese Einsicht ganz geläufig und namentlich der Satz, daß die Götter nach dem Bilde des Menschen geschaffen seien, ist uralt, stammt schon von dem Eleaten Xenophanes. Aber Feuerbach errang anthropomorphischen Ruhm, als er den Satz wiederholte und ihn der biblischen Lehre gegenüberstellte: Gott (der anthropomorphische) habe den Menschen nach seinem Bilde geschaffen. Goethes Wort »Der Mensch begreift niemals wie anthropomorphisch er ist« ist bekannt genug; weniger beachtet das andere Aphorisma aus den »Sprüchen in Prosa« (Nr. 803 nach der alten Zählung): »Dadurch (durch Fall und Stoß) die Bewegung der Weltkörper erklären zu wollen, ist eigentlich ein versteckter Anthropomorphismus: es ist des Wanderers Gang übers Feld, der aufgehobene Fuß sinkt nieder, der zurückgebliebene strebt vorwärts und fällt, und immer so fort, vom Ausgehen bis zum Ankommen«. Man kann vom Philosophen verlangen, daß er sich dieses unentrinnbaren Anthropomorphismus in jedem Augenblicke bewußt sei oder bewußt werde; der Philosoph kann diese Pflicht anerkennen, kann ihr aber nur nebenher nachkommen, wenn er beim Denken sich selbst über die Schulter sieht. Beim Denken ist er anthropomorphisch wie die Phantasie jedes Kindes, beim Denken erst recht anthropomorphisch, weil er in Sprache denkt und die Sprache anthropomorphisch ist in zweiter Potenz. In der Sprache ist aufbewahrt, was Menschensinne wahrgenommen haben, was menschliches Interesse erregt hat und was innerhalb eines Volkes das Menschengedächtnis behalten hat. Wäre ein Mensch frei oder absolut genug, sich vom Anthropomorphismus los zu lösen, so wäre er doch nicht stark genug, sich von dem anthropomorphischen Gebrauche der Sprache zu befreien.

 


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