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Affinität

Das Wort bezeichnete im Lateinischen deutlich die Nachbarschaft, sodann in der juristischen Gemeinsprache die Verwandtschaft durch Heirat, also Verschwägerung im Gegensatze zur Blutsverwandtschaft, cognatio. Die ältere Logik, welche einen Grund für die Assoziierbarkeit der Begriffe suchte, fand ihn in den Worten cognatio und affinitas und merkte nicht, daß sie mit der Erklärung nicht weitergekommen war. Cognate Begriffe waren solche, die sich unter einen gemeinsamen Oberbegriff fassen ließen, besonders organische Gebilde, die denn auch seit der Herrschaft der Deszendenztheorie als blutsverwandt in irgend einem Grade betrachtet werden; affine Begriffe vereinigten Vorstellungen durch ein zufällig gemeinsames Merkmal z. B. die Röte der Scham und der Rose. Da aber die Assoziation von Begriffen gar sehr von subjektiven Umständen abhängt, von der Nachbarschaft im sog. Selbstbewußtsein, also von der Individualgeschichte der Begriffe in der Seele des assoziierenden Menschen, so ist die nähere oder weitere Verwandtschaft nicht der Realgrund, sondern der hinzugefügte Erkenntnisgrund der Assoziation. Dazu kommt, daß Verwandtschaft immer ein metaphysischer Begriff ist, wenn es sich nicht um Blutsverwandtschaft handelt. Ein Bild ist es schon, die Verschwägerung Verwandtschaft zu nennen; selbst Mann und Frau sind nicht verwandt, nur benachbart. Von Wortverwandtschaft könnte man mit einem guten Bilde sprechen, wenn das eine Wort aus dem andern hervorgegangen ist; Sprachverwandtschaft gibt schon immer ein schiefes Bild, abgesehen von dem Mißbrauch der gegenwärtigen Sprachwissenschaft, die jede alte Adoption für Abstammung erklären möchte. Wieder ganz anders falsch ist das Bild von der chemischen Verwandtschaft oder gar Wahlverwandtschaft, wo das altgriechische Bild von der Liebe und dem Haß besser gewesen wäre. Wie dem immer sei: für die Logik bilden Sprachwissenschaft und chemische Verwandtschaft nur Spezialfälle der Affinität von Begriffen, seitdem die Unterscheidung zwischen logischer Affinität und logischer Cognation praktisch längst fallen gelassen worden ist. Es ist aber nicht zu übersehen, daß die Assoziation der Begriffe auch dann durch die Affinität begründet werden kann, wenn die Verwandtschaft mit einem durchaus falschen Bilde ausgesprochen worden ist. Der wahre Grund ist: daß Gewohnheit und Einübung ebenso gut wie leibliche oder bildliche Nachbarschaft Assoziationen erzeugen und daß falsche Theorien von den Schülern nicht weniger fleißig geübt werden als richtige. Dem Fachmann für Sprachwissenschaft fallen zunächst die Wortbeziehungen auf, die er eingeübt hat, und er hält eine natürliche Affinität für den Grund der leichten Assoziation.

 


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