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Zweites Kapitel.
Die Begegnung beim Schloßconcert

Nach dem Essen schlug Theo vor, statt auf seine Bude lieber zum Concert auf den Schloßplatz zu gehen; denn er fürchtete, zu Hause dem Doctor gleich wieder mit seiner Melancholie lästig zu fallen. Erst sollte dieser sich etwas in Heidelberg umsehen. Der Student war sich wohl bewußt, daß er seine Laune schlecht in der Gewalt habe, und gerade dieses Bewußtsein von seiner Ungenießbarkeit, welche er dabei noch überschätzte, lag ihm doppelt schwer auf der Seele. Sechow als gewiegter Menschenkenner durchschaute und bemitleidete den jungen Freund, wenn er es auch für gerathen hielt, nach außen hin den moquanten und sarkastischen Gesellschafter zu spielen.

So stiegen die beiden langsam den Schloßberg hinan, und der Doctor blieb von Zeit zu Zeit stehen, um die Aussicht über Stadt und Neckarthal zu genießen, die sich bei jeder höhern Serpentine des Weges herrlicher entfaltete.

»Wie schön, Theo! Das gefällt mir auch nach Italien und Corfu und dem Libanon.«

»Es gibt Menschen, die zum Genuß der Welt prädestinirt sind, und andere, die stets und überall den ewigen Schmerz der Creatur durchklingen hören.« Da war Theo also doch wieder in den Nebelregionen!

»Besonders Söhne von Millionären,« sagte Sechow kühl, »die immer einen guten Wechsel zur Verfügung haben, sollen zu der letztern Klasse gehören. Haben Sie Eduard von Hartmann gelesen, Freundchen?«

»Gelesen? Verschlungen habe ich seine Bücher, besonders seine ›Philosophie des Unbewußten‹, sein System.«

»Hm! Und was halten Sie davon?«

»Hartmann ist der einzige Philosoph, der das Räthsel des Lebens löst und das Menschenherz in seiner Tiefe versteht.«

»Dacht' ich mir! Aehnlich urtheilte ich als grüner – wollte sagen, als junger Springinsfeld über Schopenhauer. Sie brauchen aber nicht böse zu werden: jetzt urtheile ich ganz anders.«

»Sie machen sich über den Pessimismus lustig!« meinte Theodor ärgerlich.

»Natürlich thu' ich das! Wie könnte wohl der Trieb nach Glückseligkeit in jedes Menschen Herz gelegt sein, wenn der Verzicht auf das Glück, sogar auf die Existenz, die Quintessenz aller Lebensweisheit wäre?«

»Sie urtheilen schnell ab.«

»Ja, denn mit dieser einen Thatsache, daß wir sein und glücklich sein wollen, unserer Natur nach es wollen müssen, fällt der ganze Pessimismus.«

»Aber so viel Leid und Thränen in der Welt …«

»Jawohl, Herr Baron; die Thränen fließen, weil wir keine vollkommenen, leidlosen, leidensunfähigen Götter, sondern unvollkommene Sterbliche sind, denen das unverlierbare Glück erst als Belohnung für den guten Kampf gegeben wird. Oder haben Herr Baron etwas dagegen?«

»Lassen Sie doch den Baron zu Hause!«

»Wenn Sie Ihren Pessimismus im Neckar ertränken. Aber, um ernst zu reden: macht uns nicht schon jede gute That, besonders wenn sie mit Ueberwindung großer Schwierigkeiten vollbracht wurde, glücklich?«

»Freilich.«

»Na, dann denken Sie mal darüber nach, wie diese innere Befriedigung zu den Lebensregeln des konsequenten Pessimismus stimmt.«

»Vielleicht ist dieses Glück nur eine Illusion.«

»Nun, solange Sie hungrig sind, sind Sie hungrig. Aehnlich, solange Sie glücklich sind, sind Sie glücklich. Sie wissen, daß eine gute Handlung Sie glücklich macht, also begehen Sie möglichst viele gute Handlungen!«

»Damit dann am Ende der Tod kommt?«

»Ja, aber das wird für den Tugendhaften ein ganz anderer Moment sein als für den Raubmörder und Seelenverführer.«

»Sie reden so schrecklich drastisch!«

»Weil die Herren Pessimisten so schrecklich blind auf dem Holzwege laufen.«

»Und wenn die ganze Welt Illusion wäre?«

»Wille und Vorstellung, meinen Sie, nicht? Dann ist Ihre Ulmer Dogge auch Vorstellung, und die Hundesteuer, die Sie für Buddha bezahlen, ist …«

»Sie sind heute nicht in der Stimmung, Doctor, ein ernstes Gespräch über Hartmann anzufangen.«

»Nein, ich kann den Herrn nicht ernst nehmen, da haben Sie recht.«

Als sie sich dem Schlosse näherten, entwickelte Doctor Lexikon seine Ansichten über die Renaissance in so eingehender Weise, daß Theo staunte. Was sein älterer Freund sagte, hatte Hand und Fuß. Man mochte über manches anders urtheilen; aber man mußte zugeben, daß Sechow über alles Große und Bedeutende nachgedacht hatte. Er redete nicht immer als Fachmann, doch meistens wie ein solcher: ruhig, klar und bestimmt. Er war ein interessanter, geistreicher Gesellschafter. Theo fühlte auf Schritt und Tritt seine Ueberlegenheit heraus.

Unweit des Schloßthores begegnete ihnen ein junger Mann, welcher sich auf den ersten Blick als Maler verrieth. Er trug einen breitkrämpigen, hellgrauen Filzhut, die sprichwörtliche schwarze Sammetjacke, den mit beabsichtigter Nonchalance in eine geniale Schleife gebundenen Seidenschlips, die etwas unmodisch sitzenden Beinkleider und die gelben, ledernen Schnürschuhe. Der zierliche Bau seiner Glieder und die dunkle Gesichtsfarbe ließen die Nationalität des Malers vermuthen.

»Es sollte mich nicht wundern,« bemerkte der Doctor zu Theo, »wenn der Apelles da mit seinem Farbenkasten Ihr italienischer Freund wäre.«

»Sie haben recht, in der That; aber kommen Sie, lassen Sie uns in diesen Seitenweg hier einbiegen! Wir verkehren ja nicht mehr miteinander, daher möchte ich den Maler nicht erst grüßen.«

»Nein, Theo! Ich möchte den Künstler gern kennen lernen. Solche Leute sind sehr interessant. Der junge Mann scheint kreuzfidel und glücklich durch die Welt zu schlenkern. Sie müssen uns einander vorstellen.«

Wohl oder übel mußte Theo gehorchen. Der Maler hatte die Entgegenkommenden noch nicht bemerkt. Er verfolgte mit seinen schwarzen Augen einen kleinen Vogel, der zwitschernd vor ihm von Baum zu Baum flog. Dabei pfiff er den Refrain eines neapolitanischen Volksliedes: Funicoli, funicola.

Als Theo vor ihm stand, schwieg er plötzlich. Man konnte seinem ehrlichen Gesichte sofort ansehen, daß er nicht besonders erfreut war. Als Theo ihm die Hand bot, wurde er mit einemmal ganz heiter und sonnig und sagte lachend, indem er die weißen Zähne nach Art seiner Landsleute blitzen ließ: »O Err Gorringe, Sie kennen mich noch?«

»Glauben Sie, ich hätte Sie vergessen, Signor Mallatini?«

»O, o ich weiß nicht, Err Gorringe,« meinte der Maler und lachte sich aus, als ob jemand etwas höchst Komisches bemerkt hätte.

»Es freut mich. Sie zu treffen. Darf ich Sie mit meinem Freunde hier bekannt machen? Herr Doctor iuris von Sechow – Signor Luigi Mallatini.«

»Sserr angenehm, Err Dottor.«

»Es freut mich. Sie kennen zu lernen, Herr Mallatini. Unser gemeinsamer Freund hat mir schon von Ihnen erzählt.«

»O, o, at err? Gutes? Schönes? O ich glaube, es war nicht viel. Er at mich vergessen. Sie schütteln das Kopfe; aber ich glaube, Err Gorringe.«

»Nein,« sagte Sechow, »ich bin Zeuge, daß er Sie seinen ersten Bekannten von Heidelberg nennt.«

» Si, Si. Er at recht. Wir aben zusamme gewandert, gedichtert und gemalert. Aber nach zwei Monaten war es aus. Ich atte nix so viel Geld zu essen wie Err Teodoro.«

»Sie haben sich von mir zurückgezogen,« meinte Theo verlegen. Er wurde roth, als der Doctor ihn scharf anblickte.

»O vielleicht ist es so. Sie aben noch der schöne Buddha, Err Gorringe? O da ist er ja. Kommen Sie, Buddha … wie geht es Ihnen? Geben Sie mir Ihre Potte! So, gut! Er at mich immer geliebt, Err Dottor. Aber Err Gorringe, ich sollte der schöne Buddha zeichnen … wissen Sie, Sie aben das versprochen.«

»Sie haben ja Ihr Skizzenbuch und Ihre Farben bei sich. Wollen wir uns irgendwo im Walde niederlassen?«

»O nix eute. Eute aben ich kein Zeit; ich bin traurig.«

»Sie sind traurig?«

» O no, nix traurig. Ich bin nur traurig, weil ich kein Zeit aben. Ich geen morgen ganz fru nach Spira, Speier sag' ich, wo die große Processione Platz at.«

»Welche Procession?«

»Morgen ist Corpus Domini – wie sagen Sie?«

»Ah, Frohnleichnamsfest.«

»Ganz so. Die Processione aus die Cattedrale durch der ganze Stadt ist sserr gelobt. Als Katholik und Künstler muß ich geen.«

»Wäre das nicht auch etwas für uns, Theo?« fragte der Doctor.

Theo hatte keine rechte Lust und meinte: »Wollen mal sehen, heute Abend.«

»Ich möchte den berühmten Dom doch einmal besuchen. Aber, Herr Mallatini, heute Abend sind Sie doch noch frei?«

» No, ich bin traurig.«

»Haben Sie schon ein Engagement?«

» Si, si. Ich mache meine Confessione. Morgen ist ein großes Feiertag. Ich geeit nun nach Ause. Err Gorringe, ich aben mich sserr gefreut.«

»Wollen Sie nicht bei uns bleiben, Mallatini? Gut – aber Sie besuchen mich, wenn Sie von Speier zurückkommen, hören Sie?«

»O wenn Sie wollen, gern.«

»Ja, ich bitte drum.«

»Gut, ich werde kommen. Sie wohnen noch in das alte Aus?«

»Freilich, bei Tapezier Möppel.«

»Gut. Addio, Err Gorringe! Abe die Ehre, Err Dottor.«

Als er fort war, setzten die beiden ihren Weg fort. Sechow dachte: Der Maler hat wirklich in seiner kindlichen Naivetät etwas von Hans Payens. Aber der träumerische, sinnige Schifferjunge schien ihm doch für Theo besser gepaßt zu haben. Es war begreiflich, daß Theo sich mit dem quecksilberigen, heitern Künstler nicht auf die Dauer befreunden konnte. Und doch wünschte der Doctor insgeheim, daß die Freundschaft mit Mallatini wieder ins rechte Geleise gekommen sein möchte; denn gerade weil der Italiener so grundverschieden von dem melancholischen Studenten war, konnte unter Umständen etwas sehr Heilsames für Theo aus solchem Umgänge erwachsen.

Im Schloßgarten setzten der Doctor und Theo sich an einen kleinen Tisch und bestellten eine Flasche Hardtwein. Sie wurden aufmerksam von einigen Corpsiers beobachtet, welche in der Nähe an zwei Tafeln saßen.

»Sind Ihre Leute dabei?« fragte Sechow. »Es scheint nicht; ich sehe Ihren Vangionenstürmer nicht.«

»Die Vangionen sind heute oben auf der Molkenkur. Die Füchse müssen dort eine Erdbeerbowle schmeißen.«

»Erwartet man Sie nicht, Theo?«

»Wahrscheinlich. Glücklicherweise habe ich Sie aber zu Besuch und kann mich dispensiren, was ich mit leichtem Herzen thue. Wie hat Ihnen übrigens der kleine Pittore gefallen?«

»Gut.«

»Er ist trotz seiner 20 oder 21 Jahre ein halbes Kind.«

»Das wird er auch noch mit 30 bleiben.«

»Dann liege ich hoffentlich unter dem grünen Rasen,« seufzte Theo.

»Nanana, katzenjammern Sie schon wieder? Hier, trinken Sie mal Ihr Glas aus: Prosit! Auf gut Glück!«

»Sie hoffen immer gegen alle Hoffnung. Aber meinetwegen: Prost!«

»Das Glück kommt oft über Nacht.«

»Mir wäre es lieber, wenn es über Tag käme; dann könnte ich es recht bei Licht besehen, bevor ich leichtsinnig glaube und vertraue.«

»Recht so! Sie sollten Ihr Glück erst chemisch analysiren, um sicher zu gehen, daß kein Molekül Illusion dabei ist. Sie werden ein guter Untersuchungsrichter, wenn Sie brav Strafrecht studiren. Aber schauen Sie doch mal, Theo – da am Musikpavillon den Herrn mit den zwei Damen, wie die uns beobachten …«

»Meinethalben!«

»Ja, offenbar Ihrethalben. Mich alten Graukopf werden sie wohl schwerlich bewundern. Es scheinen Engländer zu sein …«

»Die gibt es hier genug.«

»Wenn ich doch die junge Dame einmal ordentlich sehen könnte … der Baum ist mir im Wege …! Ah, jetzt beugt sie sich vor und spricht zur Mama … Theo! Junge! Wissen Sie, wer das ist? Die, die … na, wie hieß doch die kleine Engländerin, die seinerzeit bei dem Helgoländer Gouverneur zu Besuch war? Miß … Miß …«

»Doch nicht Miß Douglas?«

»Richtig! Jawohl, das ist sie. Aber da bei ihr, das sind nicht Sir Terence und Lady O'Brien.«

»Um so besser; dann können wir die Miß laufen lassen.«

»Sie hat uns erkannt, Theo. Sie spricht mit der alten Dame von uns, von Ihnen vermuthlich. Jetzt schauen sie nach der andern Seite. Wollen wir mal hingehen, Theo?«

»Fällt mir gar nicht ein! Was geht mich Miß Douglas au? Das heißt, wenn Sie die Bekanntschaft erneuern wollen … ich erwarte Sie dann hier, bis Sie zurück sind.«

»Meinen grauen Kopf trag' ich nicht hinüber. Aber Sie sollten Ihren schneidigen Schnurrbart vorstellen. Damals auf Helgoland hatten Sie ihn noch nicht …«

»Doctor, bitte, lassen Sie doch die Witze!«

»Sie sind ein Eiszapfen, Theo.«

»Dann rühren Sie mich nicht an.«

»Theo, die Engländer bezahlen jetzt.«

»Das ist ihre Pflicht.«

»Sie Prosaiker! Alle Achtung, die resolute kleine Miß hat sich herausgemacht! Drehen Sie sich doch mal um, Theo!«

»Ich sitze hier sehr gut.«

»Jetzt gehen sie. Der Alte sieht sehr aristokratisch aus. Ein feiner Kopf! Die Alte scheint ein wenig leidend. Schauen Sie, wie nett die Miß ihrer Mama, oder was sie ist, den Shawl abnimmt. Sie kommen hier den Weg vorbei, links.«

Das log der Doctor, absichtlich. Denn die Engländer mußten rechts vorbeipassiren. Sechow wußte, daß Theo der bezeichneten Seite den Rücken zukehren würde. So ereignete es sich, daß er mit einemmal der Miß voll ins Antlitz schaute.

»O«, rief die junge Dame erröthend und sagte etwas leise zu der Alten.

Die drei blieben stehen, denn Sechow und Theo waren aufgesprungen. Miß Douglas reichte dem Doctor die Hand und erwiderte Theos Gruß nur mit einer Verneigung, wobei sie die Augen senkte. Dann stellte sie die Herren dem alten Paare vor: »Tante, dies ist Herr Dr. von Sechow, ein guter Bekannter von Sir Terence, Onkel! – Herr Göhring. – Mein Onkel, Earl Cantire – Counteß Cantire, meine gute Tante, von der ich Ihnen erzählte, Herr Doctor.«

Man war sehr erfreut, sich kennen zu lernen. Theodor hörte zu seinem Erstaunen, daß die Counteß von ihm und seiner Familie gut Bescheid wußte. Seine Schwägerin Dolores stand in regem Briefwechsel mit Miß Douglas. Sir Terence und Lady O'Brien waren in Hamburg zu Besuch bei dem Seebären gewesen – den Namen kannte der Earl sogar! – und hatten Göhrings daselbst getroffen. Das war eine interessante Entdeckung.

Ob die Herrschaften nicht ein wenig mit am Tische Platz nehmen wollten? Der Earl dankte. Beim Ausgange warte sein Fremdenführer mit dem Wagen. Aber wenn die Herren mitfahren wollten – bis auf die Molkenkur und dann zum Speierer Hof? Sechow sagte sofort zu, obwohl Theo remonstrirte.

Fünf Minuten später nahmen alle in dem offenen Landauer Platz, die beiden Damen im Fond, der Earl und Theo auf dem Vordersitz; Sechow bestand darauf, neben dem Kutscher zu sitzen. Den Lohnbedienten schickte man in die Stadt zurück, um im »Prinzen Karl«, wo der Earl wohnte, auf 9 Uhr ein Souper von fünf Gedecken zu bestellen. Buddha wurde von der Leine frei und jagte neben dem Wagen her.

Theo machte gute Miene zu dem bösen Spiel des Doctors. Miß Douglas dachte: Er ist schöner und stattlicher geworden, aber noch melancholischer. Sie fragte nach der Bedeutung seiner Mütze und seines Burschenbandes. Der »Bierzipfel« erregte die Heiterkeit des Earls, der absolut ein Duell mitmachen wollte. Theo versprach, sein mögliches zu thun, um diesem Wunsch zu willfahren. Man führte die Unterhaltung auf englisch, und die Counteß bewunderte Theos gute Aussprache. Die Engländer waren aus der Durchreise nach Baden-Baden und wollten drei Tage in Heidelberg bleiben.

Auf der Molkenkur verließen sie den Wagen für einige Minuten, um die Aussicht auf das Neckarthal und die Rheinebene zu genießen. Vor der Wirtschaft saßen die Vangionen bei der Erdbeerbowle. Natürlich erregte das Erscheinen Theos und seiner Begleitung die höchste Neugier. Man grüßte sich aber nur von weitem. Die ganze Corona erhob sich, als der Corpsbruder mit den Damen erschien.

»Was sind das für Herren?« erkundigte sich Ethel Douglas.

»Das ist das Corps Vangionia, Miß Douglas.«

»Schöne Hunde haben sie,« meinte der Earl mit Kennermiene und ging weiter.

Während die neu Angekommenen die Aussicht bewunderten, rief der erste Chargirte, der in »Kalbleder gebundene« Herr stud. iur. et cam. von Biegerecken mit näselnder Stimme: »Fax!«

»Herr von Biegerecken?«

»Fax, wer sind die Herrschaften da mit dem Baron? Sie waren ja zur Bahn.«

»Ich habe nur den ältern Herrn abgeholt – es ist ein Dr. von Sechow.«

»Von?«

»Ja, von Sechow.«

»Nee, ich meine, woher?«

»Weiß nicht, Herr von Biegerecken.«

»Kloppenstein,« rief der Chargirte einen faßartig entwickelten Corpsbruder an, »woher sind die Sechows? Du kannst ja den ganzen Gothaer Almanach auswendig.«

»Sitzen in Böhmen, mein' ich,« erwiderte der Erbgraf von und zu Kloppenstein mit rauher Kehlstimme.

»Falsch!« schrie ein Fuchs über den Tisch, »die Sechows sind Sachsen. Mein Vetter Pritzelwitz ist Nachbar von einem Sechow aus Plinkenau.«

»In die Kanne, Fuchs!« gröhlte Kloppenstein.

»Halt!« legte sich der Fuchsmajor Anatol Strelnikoff ins Mittel, »auf der Fuchskneipe sind umgekehrte Semester. Du scheinst schon so voll zu sein, daß du das nicht mehr weißt. Du kannst Schmerfeld nicht steigen lassen.«

»Bierjunge!« brüllte Kloppenstein den Mahner an.

»Weinjunge, meinst du.«

»Eh, Sectjunge! Aber gleich trinken, und keinen Neckarschaumwein, sondern Heidsieck!« verlangte Kloppenstein.

»Silentium,« erinnerte der Kalblederne, »es sind Damen in der Nähe! Kloppenstein ist ein Elefant mit seiner Trompete. Fax!«

»Herr von Biegerecken?«

»Fax! Gehen Sie mal zu dem Rosselenker da und bohren Sie ihn an, wer die Damen sind. Da ist Rasse drin.«

»Sofort, Herr von Biegerecken.«

Einer der jungen Leute meinte: »Strelnikoff setzt sein Monocle auf. Das ist ein Zeichen, daß der Großfürst Furore machen will. Großfürst, ich komm dir 'n Schluck.«

»Ich nehm' nur Halbe an,« sagte Strelnikoff.

»'n Ganzen denn.«

»Praast. Teufel, die Bowle ist bleichsüchtig! Da muß mehr Stoff hinein.«

Einige der Vangionen tranken übrigens Sect ohne Bowle.

Fax kam wieder zurück: »Der Kutscher weiß nur, daß es ein englischer Lord mit seiner Familie ist.«

»Dann muß ich die Geschichte selbst 'rauskriegen. Ich schlängele mich an Göhring heran. Dieser Hamburger Geldschrank geht Nummer Sicher. Da muß was dahinter sein.«

Als die Engländer zu dem Wagen zurückkehrten, erhoben sich wieder alle Vangionen. Der Kalblederne wußte es einzurichten, daß er Theo einen Moment beiseite rief.

»Was ist los, Biegerecken?«

»Sag mal, Göhring, Schwiegermutter in spe? Eh?«

Theo, der sich vorgenommen hatte, seine Corpsbrüder zum besten zu halten, zuckte geheimnißvoll mit den Achseln.

»Rück mal 'raus! Englischer Lord?«

»Mehr als das.«

»Was?«

»Ja!«

»Name?«

»O, im Hotel hat er sich als Earl eingeschrieben. Aber du weißt ja …«

»Was? Ein Incognito? Wer ist es?«

»Du bist doch sonst so scharfsinnig. Ich kann dir nicht mehr verrathen. Nur die eine Andeutung: der Vater des andern Herrn, meines Freundes von Sechow, war jahrelang Gesandter in London. Du kannst jetzt combiniren: er hat Beziehungen zu den höchsten Kreisen. Nun, adieu, bis morgen!«

Fort war er. Verblüfft schaute der Kalblederne dem davonrollenden Wagen nach. Als er zu dem Tische kam, bemerkten einige gleich seine geheimnißvolle Miene: »Na, Biegerecken, sondirt?«

»Dieser junge Börsenbaron hat Connexionen, die mich überraschen. Der alte, graue Staubmantel ist kein simpler Lord. Es müssen Mitglieder der englischen Königsfamilie sein.«

»Du bist wohl aus Dalldorf entsprungen?«

»In die Kanne, Kloppenstein!«

»Der Hamburger hat keinen Verkehr mit Prinzen und Prinzessinnen.«

»Vielleicht ist sein Alter englischer Konsul.«

»Aber dann hätte der Junge doch nichts mit hohen Thieren zu schaffen. Uebrigens ist der alte Göhring, soviel ich weiß, Bankdirector.«

»War er früher, Kloppenstein. Jetzt ist er Rittergutsbesitzer.«

»Aha, damit hängt der Baron zusammen. Nun geht mir ein Licht auf.«

»Was gewöhnlich sehr spät geschieht,« bemerkte der Fuchs Schmerfeld.

»Weinjunge!«

»Wir hängen ja schon!«

»Brumm ihm einen doppelten auf,« rieth der Fuchsmajor.

Ehe Schmerfeld aber dazu kommen konnte, fiel der Erbgraf von und zu Kloppenstein von seinem Stuhl und fing dann an, sehr wenig gräflich zu schimpfen. Das Präsidium steckte ihn in den B. V. zur Strafe für uncommentmäßiges Benehmen, und Fax mußte ihn von oben bis unten fein säuberlich abputzen.

Während die Elite der akademischen Jugend auf diese Weise ihre Principien hochhielt, fuhr Theo mit seinen großbritannischen Fürstlichkeiten weiter durch den kühlen, schattigen Wald.

»Am Nachmittage gehen die Studenten wohl nicht mehr in die Universität?« fragte Ethel.

»Nein,« versetzte Theo lächelnd, »das thun sie nicht.«

»Und wie lange studiren sie am Morgen?«

Sechow rief vom Bock herunter: »Das richtet sich nach den Leistungen des vorhergehenden Abends!«

Die Miß verstand nicht ganz. Theo erklärte ihr aber ehrlich den Stand der Dinge. Solche Offenheit gefiel ihr. Sie meinte indes: »Wenn einer es lange so treibt, könnte ich ihn nicht als Mann achten.«

Da begegnete Theo ihrem Blicke und erröthete. Ethel senkte die Augen und erkundigte sich: »Werden Sie noch lange in Heidelberg bleiben, Mr. Göhring?«

»In etwa 14 Tagen reise ich nach Hamburg, und nach den Ferien denke ich eine andere Universität aufzusuchen.«

Das ernste junge Mädchen nickte, als ob es meinte: Das wird gut sein.



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