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Zwölftes Kapitel.
Der Abschied

Theodor hatte nach einigen Tagen seinen Hans wieder. Er bemerkte nicht, daß das Aussehen des Freundes recht verändert war. Eine brennende, eigenthümliche Röthe lag auf den Wangen, die Augen strahlten in feuchtem, schwärmerischem Glanze, die stattliche Haltung des jungen Schiffers schien plötzlich kraftlos und ein wenig gebückt. Dr. von Sechows erfahrener Blick erkannte freilich bald, daß sich der Jüngling ein bedenkliches Brustleiden zugezogen hatte. Er sprach darüber mit dem Badearzt, der ihm erklärte: »Ich beobachte noch, um ganz sicher zu gehen. Ich fürchte das schlimmste. Eine Unvorsichtigkeit, eine Ueberanstrengung, eine Erkältung könnte die Schwindsucht zum Ausbruch bringen.«

Natürlich durfte Theo von alledem nichts merken. Sechow wußte ihn nach und nach zu der Ansicht zu bringen, daß Hans im Winter leichtere Arbeit und bessere Pflege, vor allem aber ein milderes Klima suchen müsse. Daher sei es das beste für ihn, wenn er die Stelle bei dem Gouverneur annehme. Mit schwerem Herzen versprach Theo, Hans nicht zur Ablehnung dieses Anerbietens bestimmen zu wollen. Solange Theo selbst als Primaner bei seinen Eltern wohnte, konnte er den Freund überdies nicht im Winter bei sich haben. Er hoffte insgeheim, daß die Universitätsjahre hier Rath schaffen würden. Bei dem Gouverneur würde Hans es zweifelsohne sehr gut bekommen. Er würde fremde Länder sehen, Sprachen lernen und unterwegs sein Glück machen.

Hans selber erklärte, als die Angelegenheit wieder zur Sprache kam: »Ich will mir's überlegen. Vor Ende November oder Anfang December geht der Gouverneur ja nicht von hier fort. Wenn du es für gut hältst, Theo, daß ich die Stelle annehme, ist es mir auch recht. Aber wir wollen später sehen.«

Die nächtlichen Spaziergänge der beiden Freunde, hinter die der alles wissende Doctor von Sechow gekommen war, mußten auf strengen Befehl des Arztes unterbleiben. Dafür setzte Sechow es aber bei dem Director durch, daß Theo ungehindert mit Bohrmann und Hans auf »pelagische Entdeckungsfahrten« gehen durfte. So verlebten die Freunde noch ein paar stille, glückliche Sommerwochen miteinander. Theo meinte, die bösen Omina seien lange, lange erfüllt und vergessen. Hans, der anders dachte, ließ ihn bei diesem Glauben. Der junge Schiffer wurde von Woche zu Woche ernster und müder, aber Theo hielt die durchsichtige Schönheit seines Kameraden für ein Zeichen aufblühender, herrlicher Jugendkraft.

Graf Waldemar reiste drei Tage nach dem Schiffbruche von Helgoland ab. Etliche Male war auch er bei einem Sturm auf die Börse seines Schwiegervaters an dessen geschäftsmännischer Ruhe und Ueberlegung gestrandet. Dann rückte Mathilde als erste und endlich die Chanoinesse als zweite Reservetruppe vor. Das Außenfort der Festung, nämlich das Herz der Directorin, war bereits von dem gräflichen Schwiegersohn genommen. Da mußte denn der Alte, der mehrtägigen Schlacht müde, die Waffen strecken und mit einem ansehnlichen Wechsel die Kriegscontribution zahlen. Göhring nahm sich indessen vor, sofort nach seinem Eintreffen in Hamburg die Finanzverhältnisse seines Schwiegersohnes ein für allemal zu ordnen. Die ewigen Scharmützel mit den darauf folgenden Damenfrieden hatte er satt.

Stormarn reiste allein ab. Auf der »Freya«, welche ihn nach Hamburg brachte, befanden sich auch die Familien Barband und Rübendorff. Malwine und Auguste Rübendorff blickten mit scheelen Augen auf die bleichsüchtige Commercienrathstochter, welche als Braut des Legationsrathes von Pechtler über die Nordsee schiffen konnte. Sie selbst hatten also vergebens im Meere des Lebens gefischt. Ein schlechter Trost war es, daß wenigstens der Meergreis sich geirrt hatte, als er so unverhüllt gegen die Verbindung von Rosa Barband mit ihrem Anbeter orakelte. Aber vielleicht war die Sache noch nicht so sicher! Verloben ist ja nicht immer – heiraten.

So war der Helgoländer Kreis bereits ein wenig zusammengeschmolzen. Der Seebär hatte die tausendste Makrele schon längst gefangen. Miß Douglas schwärmte weiter für den melancholischen Jüngling, der immer noch nichts merkte, obwohl er im Government-House sogar mehrere Male Lawn-Tennis spielen mußte. Professor Bohrmann hatte in einem Schleimniederschlag des Salzwassers eine ganz neue Art Infusorien entdeckt, von denen er die Tischgesellschaft acht Tage lang mit feurigem Enthusiasmus unterhielt. Dr. Kerkenhusen proponirte ihm für seinen Fund den zoologischen Namen Noli me tangere klebricum Bohrmann, was zur Folge hatte, daß die beiden sich zwei Tage nicht mehr grüßten, bis sie der Seebär wieder versöhnte. Die Chanoinesse wohnte trotz der Mohrin Babuna und allem nächtlichen Teufelsspuk nach wie vor in der Villa Hansa. Der kleine Carlito war ihr bester Freund geworden, da er die alte Dame, die nicht mehr zur Düne fahren noch sonst mit aussegeln konnte, auf ihren gemeinsamen Spaziergängen ganz vortrefflich unterhielt. Freilich hatte die Gräfin von ihm prophezeit: »Dieser kleine Mann wird dereinst ein homme d'esprit. Soyez en convaincue, Madame Dolorès

Dolores selber war leidend. Es schien, daß ihr das Klima wenig zusagte. Carlos bemerkte zu seinem Schrecken, daß sie öfters nach Unterredungen mit seiner Mutter verweinte Augen hatte. Die kleine Frau klagte aber nicht. Sie war viel mit Miß Douglas zusammen und bemühte sich, heiter zu sein. Gräfin Mathilde brachte halbe Tage im Bette zu und las in der andern Hälfte Romane. Der Director und seine Gattin hielten die socialen Beziehungen des Kreises nach Kräften aufrecht. Regierungsrath von den Blenden neckte den Zoologen täglich 24 Stunden.

Allmählich kam für Theodor der Ferienschluß und damit der Beginn seines letzten Gymnasialjahres heran. Anfangs sollte er allein nach Hamburg zurückkehren, aber ein plötzliches Ereigniß bestimmte die ganze Familie, Helgoland schleunigst zu verlassen.

Am Tage, bevor Theo abreisen sollte, traf nämlich ein Telegramm von einem Kameraden Stormarns ein: »Rittmeister Graf Stormarn gefährlich krank. Anwesenheit der Familie erwünscht. von Pelesky.«

Zwei Stunden später, während die bestürzten Verwandten am Packen waren, kam eine andere Hiobspost: »Waldemar heute früh 8 ½ am Herzschlag gestorben. Bitte um Nachricht, mit welchem Schiff Gräfin eintrifft. Mit herzlicher Theilnahme. von Pelesky.«

Die erste Depesche hatte offenbar nur auf das Geschehene einigermaßen vorbereiten sollen. Die »Freya« ging um Mittag ab. Als in der Villa Hals über Kopf das Nothwendigste geordnet und zusammengeholt war, suchte Theodor Hans auf. Sein Freund ließ den Kopf hängen und fragte mit traurigen Augen: »So plötzlich also müssen wir scheiden?«

»Ich hoffe, ich kann im Herbst, wo wir ein paar Tage Michaelisferien haben, wieder herüberkommen. Sonst lad' ich dich nach Hamburg ein.«

»Wie Gott es fügen will. Bist du betrübt um deinen Schwager?«

»Offen gesagt, nein. Ich kann nicht heucheln. Er war kein Edelmann von echtem Schlage.«

»Jetzt wird unser Herrgott ihn gerichtet haben.«

»Ja, Hans. Ich schreibe dir noch heute Abend, wenn wir angekommen sind.«

»Wenn du nicht zu müde bist. Kann ich dir noch etwas helfen?«

»Alles ist gepackt, danke. Was du noch an Tabak und Cigarren in meinem Zimmer findest, ist dein. Außerdem hier diese Börse …«

»Nicht doch, Theo …«

»Keine Widerrede! Die Börse gehört dir.«

»Dann schenke ich dir auch etwas.«

Er öffnete seine Jacke und nahm ein kleines Kreuz vom Halse, das er an einer starken Schnur trug. »Hier, Theo! Besseres habe ich nicht.«

»Aber was ist denn das für ein Kreuz?« rief Theo überrascht.

»Es stammt aus uralter Zeit. Meine Mutter hing es mir nach der Taufe um. Ich gebe dir das Liebste, was ich armer Kerl im Besitz habe. Weise es nicht ab, Theo – bitte, thu mir die Liebe und nimm es! So, ich hänge es dir selbst um, stecke es unter dein Hemd. Recht so … nun, ich rudere dich mit an Bord.«

»Gut, du Lieber! Aber wir müssen hier Abschied nehmen. Es ist das letzte Mal, daß wir allein sind.«

Sie umarmten und küßten sich. Dann half Hans Theos kleines Gepäck mit ins Boot tragen. Zehn Minuten später ruderten die Göhringschen Schiffer nebst Hans die Abreisenden zum Ankerplatz der »Freya«. Noch ein inniger, fester Händedruck, und die Freunde waren getrennt. – –

Zur Brücke zurückgekehrt, sah sich Hans von einer jungen Dame angesprochen: »Kennen Sie den jungen Herrn gut, den Sie an Bord gebracht haben?«

Erstaunt versetzte der Gefragte: »Den jungen Herrn Göhring?«

»Jawohl, Theodor.«

»Theo ist mein guter, mein bester Freund.«

»Ich sah Sie oft mit ihm im Boote.«

»Er ist wie mein Bruder, Fräulein.«

»Wie Ihr Bruder? O … ich danke Ihnen.«

Damit wandte sich Miß Douglas ab, und Hans ging traurig und verwundert aufs Oberland, um von dort wenigstens recht lange der »Freya« und ihrem Rauche nachblicken zu können. Nach fünf Viertelstunden war das letzte Wölkchen am Horizont verschwunden.



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