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Sechzehntes Kapitel.

Die Diamantgruben und was sich dort zuträgt. – Ich verliere meinen Freund Ingram und einen andern Bekannten, aber beide hinterlassen mir werthvolle Legate.


Nachdem wir uns etwa zwei Stunden in dem Hof aufgehalten hatten und der Abend herangerückt war, kamen die Gefängnißwärter und trieben uns insgesammt nach einem großen Saale mit massiven Wänden und einem Boden von großen Fliesensteinen, so daß an ein Entrinnen nicht zu denken war. Nie zuvor war mir ein solcher Schauplatz des Unflaths und Elends vorgekommen. Nirgends bemerkte ich eine Stelle, in der man nicht in einer oder in der anderen Weise besudelt wurde, und die Menschenmasse, die zur Hälfte aus Negern bestand, verbreitete eine schlimmere Atmosphäre, als die im Raum eines Sklavenschiffs war, da zur Lüftung nur ein einziges hoch oben angebrachtes, vergittertes Fenster diente. Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen die Wand und muß sagen, daß ich mich in meinem ganzen Leben nie so elend fühlte. Ich dachte an Amy, an alle die schönen Hoffnungen und Vorahnungen eines künftigen Glücks, die jetzt gescheitert waren. Auch die Bilder des Kapitäns Levee und meines Bruders, die frei wie der Wind übers Meer hinschifften, vergegenwärtigten sich meinem geistigen Blicke. Ich dachte an die arme Whyna, an ihren Jammer, wenn sie fand, daß ich ihr nicht nachkam. Tausend Entwürfe gingen durch meinen Kopf, wie ich meine Lage bekannt machen wolle, aber jeder Plan erwies sich mir bei weiterer Erwägung als hoffnungslos. Noch geschwächt von meiner früheren Krankheit, fühlte ich, daß ich ersticken müsse, wenn ich lange an diesem verpesteten Aufenthaltsorte blieb, und ich weinte darüber wie ein Kind. Endlich brach der Tag an, und bald nachher ging die Thüre auf. Wir wurden in den Hof gelassen, und Alles eilte nun nach einer großen Wassertonne, die bald leer war. Der Anblick des Ringens und Kämpfens um dieselbe empörte mich. Eine Stunde nachher wurden einige schlechte Lebensmittel ausgetheilt, und nun erfuhren wir zu unserer großen Freude, daß wir unverweilt nach den Diamantgruben aufbrechen sollten. Man sollte zwar glauben, daß in dieser Kunde nichts sonderlich Erfreuliches lag, denn wir gingen einer lebenslänglichen Knechtschaft entgegen; aber Alles Elend läßt Vergleichungen zu, und jeder Wechsel war mir willkommen, wenn ich nur nicht eine zweite Nacht in jenem schrecklichen Loch zubringen mußte. Eine Stunde später kam ein Haufen schmutzig aussehender Soldaten herein. Wir wurden insgesammt je zwei Fuß von einander paarweise mit Handschellen an eine lange Kette gefesselt, und sobald die erste Kette, an der auch ich mich befand, voll war, erhielten wir Befehl, uns nach dem freien Platz hinaus zu verfügen und auf die Uebrigen zu warten. Meine bessere Kleidung und mein englisches Aussehen erregten viel Neugierde. Die Leute deuteten mit Fingern auf mich und machten ihre Bemerkungen; aber ich fand keine Gelegenheit, an die Behörde zu kommen, und wenns auch der Fall gewesen wäre, würde es doch nichts gefruchtet haben. Wir mußten mehr als eine Stunde warten, bis endlich eine Kette nach der andern herausgekommen war – solcher Ketten waren fünf im Ganzen und an jeder ungefähr vierzig Mann befestigt. Jetzt erging der Befehl zum Aufbruch, und wir mußten zwischen einer Wache von 20 oder 30 Soldaten marschiren, die mit aufgepflanzten Bajonetten etwa drei Schritte von einander neben uns hergingen. Nach einer Stunde hatten wir die Stadt im Rücken und mußten durch einen Hohlweg ziehen, der zu beiden Seiten mit Opuntien und anderem Gesträuche begränzt war. Unter den Gefangenen fehlte es nicht an Heiterkeit, denn sie plauderten und lachten mit einander oder mit den wachhabenden Soldaten – mit einem Wort, sie schienen sich wenig um ihr Schicksal zu kümmern. Was mich betraf, so hatte mir die Schmach und die Schurkerei, welcher ich zum Opfer geworden, das Herz gebrochen. Ich war voll Bitterkeit und hätte mit Freuden hinliegen und sterben mögen, wenn nicht noch immer ein schwacher Hoffnungsfunke in mir gelebt hätte, ich könnte Gelegenheit finden, meine Lage bekannt zu machen und meine Befreiung zu erwirken. Den Verlauf der Reise will ich übergehen, da der eine Tag nur ein Vorspiel des andern war. Um Mittag machten wir Halt und erhielten Früchte und Mais, wurden aber weder bei Tag noch bei Nacht unserer Ketten entledigt. In kurzer Zeit war ich, wie alte Uebrigen, mit Ungeziefer bedeckt, so daß ich mir selbst zum Ekel wurde. Es stund, glaube ich, ungefähr vier oder fünf Wochen an, bis wir unsern Bestimmungsort in dem Distrikt Tejuco erreichten, wo sich die Diamantengruben der Sierra de Espinhaço befanden. Diese Sierra oder das Gebirg bestand aus einer Kette unersteiglicher Felsen, die senkrecht zu beiden Seiten eines engen Thales aufstiegen und einen kleinen Fluß, den Tequetinhonha, durchließen. In diesem Thal und dem Flußbette waren die Diamanten zu finden, mit deren Ausgrabung wir uns den Rest unseres Lebens abmühen sollten. Als ich in die Schlucht eintrat, bemerkte ich, wie unmöglich es seyn würde, zu entkommen, selbst in dem Fall, daß man nach gelungener Flucht den Rückweg finden könnte. Viele Meilen weit war der Weg nur ein enger, in die Seite des Gebirgs gehauener Pfad, unten ein gähnender Abgrund und oben unzugängliche Felsen; auch war dieser schmale Weg je in Entfernungen von drei viertel Stunden durch ein darüber gebautes Wachhaus versperrt, durch dessen Fallgitter man sich hatte Bahn brechen müssen. Da waren wir nun, viele hundert Stunden entfernt von allem civilisirten Leben, im Herzen eines unbewohnten Landes, das nur hin und wieder durch Indianerbanden durchstreift wurde. Endlich gelangten wir durch das letzte der Wachhäuser und befanden uns jetzt in einem weiteren Theile des Engthals, in welchem verschiedenartige Gebäude standen. Wir wurden nach dem Hause des Directors geführt, wo ein Schreiber unsere Namen einzeichnete und unsere Signalements aufnahm. Als die Reihe an mich kam und ich auf Portugiesisch gefragt wurde, wer ich sey, schüttelte ich den Kopf und antwortete: »Ingles.«

Es wurde nun ein Dollmetscher herbeigerufen, und ich gab meinen Namen an, indem ich zugleich die Bitte beifügte, der Director möchte anhören, was ich ihm zu sagen habe. Er schüttelte den Kopf und forderte mich, nachdem mein Signalement niedergeschrieben war, auf, mich zu entfernen.

»Warum habt Ihr meine Bitte nicht vorgebracht?« fragte ich den Dollmetscher.

»Weil der Director nichts von Euch hören will, denn wenn er sich hierauf einließe, würde jeder an der Kette beweisen wollen, daß er aus Versehen hiehergeschickt wurde. Ihr findet vielleicht mit der Zeit Gelegenheit ihn zu sprechen – d. h. nachdem Ihr Portugiesisch gelernt habt und ein Jahr oder zwei hier gewesen seyd; aber es wird nichts fruchten.«

Während der ganzen Reise war ich von Ingram getrennt gewesen, und ich fand jetzt, zum erstenmal wieder, seit wir das Gefängniß verlassen hatten, Gelegenheit, ihm die Hand zu drücken. Es ist unnöthig, meine Freude zu schildern, daß ich meinen Leidensgefährten wiedersah, und unsere einzige Furcht war jetzt, wir möchten wieder getrennt werden. Doch dies war nicht der Fall. Es gab hier regelmäßige Wohnhäuser oder Kasernen für die Sklaven, über die man sich nicht beklagen konnte; aber da alle Flucht als unmöglich betrachtet wurde, so war auch Jedem, der es so halten wollte, gestattet, aus dem Gebüsch, das auf dem Felsen wuchs, sich eine Hütte zu errichten. Wir hatten regelmäßige Arbeitsstunden und wurden in Haufen ausgeschickt, von denen jeder einen gewissen Strich des Flusses oder des Flußufers auf sich nehmen mußte. So arbeiteten wir von Tagesanbruch bis zum Abend, ohne daß uns während der Hitze des Tags mehr als eine Stunde der Ruhe gegönnt gewesen wäre. Ueber jeden aus zwanzig Mann bestehenden Haufen war ein Aufseher gesetzt, der ihn bewachte und seine Leute zur Arbeit zwang. Diese Aufseher hatten wieder Inspektoren über sich, die dem Director das Erzeugniß der Tagesmühe überbrachten und je vier oder fünf Haufen unter sich stehen hatten. Die Arbeit war einfach. Der Sand und der Alluvialboden kamen in Tröge, die unten mit kleinen Sieben versehen waren, so daß die schlammigen Theile durch das Flußwasser ausgewaschen wurden, die Steine und größern Körper wurden dann sorgfältig untersucht und die aufgefundenen Diamanten den Aufsehern eingehändigt, welche sie ihrerseits den Inspectoren überlieferten, wenn diese die Runde machten. Die Inspectoren, welche Staatsgebäude bewohnten, nahmen das Erzeugniß mit nach Haus und übergaben jeden Abend die eingebrachten Diamanten dem Director. Nach einiger Zeit machte ich die Bemerkung, daß das Amt des Aufsehers und Inspectors jedem Sklaven, der sich gut benahm, zugänglich war, so daß also auch unsere Vorgesetzten gleich uns für ihr ganzes Leben Sklaven bleiben mußten. Was mich am meisten Wunder nahm, war der Umstand, daß für so viele Menschen – denn wir beliefen uns auf siebenhundert oder noch mehr – Lebensmittel aufzutreiben waren; indessen erfuhr ich später, daß die Regierung in der Nähe Meiereien und Viehheerden unterhielt, welche ausdrücklich für diesen Zweck durch Sklaven und Indianer bewirthschaftet wurden. Unsere Rationen waren spärlich, aber wir durften jeden tauglichen Fleck, den wir an den mageren Bergseiten fanden, zu einem Gärtchen anbauen. Einige der Arbeiter, welche schon viele Jahre da waren, hatten im Lauf der Zeit einen guten Boden erzielt, der ihnen einen reichlichen Ertrag von Vegetabilien abwarf. Zu meiner Ueberraschung fand ich unter der ganzen Sklavenmasse wenigstens zwanzig Engländer, unter denen sich zwei Inspectoren und mehrere Aufseher befanden – ein Umstand, der sehr zu Gunsten meiner Landsleute sprach. Der Umgang mit ihnen und ihr Rath trug viel dazu bei, mir die Mühseligkeiten meiner Gefangenschaft zu mildern; aber auch sie erklärten mir, daß wir nicht hoffen durften, das Thal je wieder zu verlassen, und daß unsere Gebeine an der Bergseite ihre letzte Ruhestätte finden würden. Natürlich waren Ingram und ich unzertrennlich; wir arbeiteten unter demselben Haufen und bauten uns bald eine Hütte, um welche Ingram, der ein leichtherziger junger Mann war, einen Garten anlegte. Er wälzte schwere Steine von der Gebirgsseite los und schabte alle gute Erde, die er finden konnte, ab, wodurch er bisweilen, aber nicht oft, ein Schnupftuch voll gewann; er meinte übrigens, schon ein kleiner Beitrag helfe weiter. Um Dünger zu gewinnen, tödtete er Eidexen, die er mit Laub bedeckte und mit Wasser begoß, um so die Fäulniß zu unterstützen. Alles, was möglicherweise nützlich werden konnte, wurde aufs Sorgfältigste gesammelt und endlich hatte er so viel gesammelt, daß sein Gärtchen auf vier oder fünf Fuß im Geviert angewachsen war. Dieses pflanzte er an. Der Abfall schaffte ihm weiteren Compost, und im Laufe von einigen Monaten hatte er durch unablässige Thätigkeit und unter meinem Beistand einen leidlichen Strich Grund gewonnen, der aus dem beim Diamantensuchen erzielten Alluvialboden und seinem künstlichen Dünger bestand. Wir verschafften uns sodann Sämereien und erzielten gleich den übrigen Gemüse, bei dem wir jetzt weit besser lebten – d. h. was die körperlichen Bedürfnisse betraf; mein Geist aber wollte keinen Trost finden. Amy Trevannion war der stete Gegenstand meiner Gedanken, und ich versank in eine tiefe Schwermuth. Ich arbeitete eifrig in meinem Dienste und war so glücklich, noch eh' ich ein Jahr im Thal gewesen, einige schöne Diamanten zu finden. Nachdem ich der portugiesischen Sprache mächtig war, brachte ich es bald zum Amt eines Aufsehers. Ich durfte jetzt nicht mehr selbst arbeiten, sondern hatte blos die Anderen zu überwachen und diejenigen, welche ihr Geschäft verabsäumten, mit dem Stocke zu züchtigen. Ich kann nicht sagen, daß mir diese Veränderung gefiel, denn die eigene Arbeit hatte mich weniger unglücklich gemacht; indeß kam ich meiner Pflicht mit Eifer nach. Ingram und ein anderer Engländer, ein alter Mann, der nicht weniger als siebenzig Jahre zählen konnte, befanden sich unter meinem Haufen. Letzterer sagte mir, er habe zu einem Kauffartheischiffe gehört und in trunkenem Muth einen Portugiesen erschlagen, weshalb er mit zwei anderen zu den Diamantengruben verurtheilt worden sey; seine Kameraden aber seyen schon längst todt. Dieser alte Mann, der sehr gebrechlich war und den ich um seiner Jahre willen mit vielem Wohlwollen behandelte, indem ich ihm nicht mehr zumuthete, als er meiner Ansicht nach mit Leichtigkeit vollbringen konnte, erkrankte etwa einen Monat nach meiner Standeserhöhung. Ich meldete ihn als sehr krank, und Ingram, der sich nicht übel auf die Arzneikunde verstand, sagte mir, daß er sterben werde. Einige Stunden vor seinem Tode ließ er mich nach seiner Hütte rufen. Nachdem er mir für meine Liebe gedankt hatte, sagte er, der Tod nahe, wie er wohl fühle, heran, weshalb er von seiner Berechtigung Gebrauch zu machen und seine Habe mir zu hinterlassen wünsche. Diese bestehe in seinem Garten, welcher der beste auf der Sierra sey, und seiner Hütte, die gleichfalls sehr gut genannt werden könne; dann steckte er die Hand unter die Blätter, aus welchen sein Lager bestand und holte ein sehr verbrauchtes, abgegriffenes Buch hervor, von dem er mir sagte, daß es eine Bibel sey.

»Anfangs las ich sie,« fügte er bei, »um mir an diesem traurigen Platze die Zeit zu vertreiben; später aber geschah es hoffentlich mit besserem Erfolg.«

Ich dankte dem armen Mann für sein Geschenk und verabschiedete mich von ihm. Ein paar Stunden nachher war er todt, und Ingram half mir, ihn an der Seite des Bergs zu begraben. Bald nachher starb unser Inspektor, und zu meinem Erstaunen rückte ich in dessen Platz vor. Ich konnte mir nicht denken, welchem glücklichen Umstand ich diese Beförderung zu verdanken hatte, bis ich erst später erfuhr, die älteste Tochter des Direktors (er hatte nemlich seine Familie bei sich) habe Anlaß dazu gegeben, weil sie, obschon ich sie nur ganz gelegentlich gesehen, eine Vorliebe für mich gefaßt habe.

Dies war auffallend, denn ich hatte sie nie gesprochen, und auch nachher kam es nie so weit, daß ich sie oder sie mich anzureden gewagt hätte; die Verwendung war also völlig uneigennützig von ihrer Seite. Jetzt hatte ich noch weniger zu thun und stand in beharrlichem Verkehr mit dem Direktor, welchem ich eines Tages mittheilte, wie ich hieher gekommen sei. Er erwiederte hierauf, daß er mir vollen Glauben schenke, aber helfen könne er mir nicht, und nach dieser Erklärung wurde des Gegenstandes nie mehr zwischen uns erwähnt. Da ich nun wenig zu thun und Zeit zum Lesen hatte, (denn früher war ich den ganzen Tag in Anspruch genommen gewesen) griff ich nach der Bibel des alten Engländers, um in meiner bequemen Wohnung die Stunden der Muße und Einsamkeit mit Lektüre zu verbringen.

Dieses Lesen, das ich mit Eifer fortsetzte, bereitete mir viel Trost. Nicht daß es mich mit meinem Schicksal versöhnt hätte, denn dies war unmöglich, so lang ich mich von Amy getrennt sah; aber dennoch fand ich viel Beruhigung darin und wurde bis zu einem gewissen Grade ergebungsvoll. Mit Abscheu blickte ich auf mein früheres Leben zurück, und dieses zweite Lesen der Bibel – der Leser erinnert sich, daß das erste während meiner Gefangenschaft im Tower stattfand – gereichte mir zuverlässig sehr zum Vortheil. Ich hatte jetzt mehr Zeit zum Nachdenken und zur Selbstprüfung – jeder Tag brachte mein geistiges Leben zu einer besseren Reife, und ich wurde des Namens eines Christen würdiger. Ich konnte nun mit Inbrunst beten und glaube auch, daß meine Gebete Erhörung fanden, wie Ihr, meine theure Madame mit mir glauben werdet, wenn ich in meiner Erzählung fortfahre. Ungefähr drei Monate nach meiner Ernennung zum Inspektor wurde Ingram krank. Anfangs beklagte er sich über Schmerz in den Eingeweiden; aber nach einigen Tagen trat Entzündung dazu, die mit Brand endigte. Bis der letztere eintrat, litt er viel; dann aber fand eine verhältnißmäßige Erleichterung statt.

»Mein theurer Mr. Musgrave,« sagte er, als ich neben seinem Bette stand, »einige Stunden noch, und ich bin aller Sklaverei entnommen. Ich folge dem armen alten Engländer, der Euch zu seinem Erben eingesetzt hat und den ich zum Beispiel nehmen will. Da es hier keine Schreibmaterialien gibt, so will ich mein Testament mündlich machen und alle meine Habe auf Euch übertragen.«

»Ach, Ingram, in einem solchen Augenblicke hatte ich eine ernstere Stimmung von Euch erwartet,« versetzte ich.

»Meine Stimmung ist ernst genug,« entgegnete er. »Ich weiß daß ich in wenigen Stunden nicht mehr sein werde und baue auf das Erbarmen dessen, der für Könige und Sklaven starb. Aber ich habe Euch ein Geheimniß mitzutheilen, Musgrave. Erinnert Ihr Euch des Feemährchens von der kleinen weißen Katze, der man den Kopf abhauen mußte und die dann zur schönsten Prinzessin in der Welt wurde? Nun, mein Geheimniß hat einige Aehnlichkeit mit diesem«

Da ich in diesem Zuge fortsprechen hörte, so glaubte ich, er delirire. Ich wollte eben etwas darauf erwiedern, aber er nahm seine Rede wieder auf.

»Wißt Ihr, was meinen Tod verursacht hat? Ich will es Euch in aller Heimlichkeit mittheilen. Beim Diamantenwaschen fand ich einen Stein, dessen Größe mich in Erstaunen setzte, und da ich seinen großen Werth kannte, wollte ich nicht, daß der König von Portugal eine derartige Gabe von meinen Händen erhalte. Um ihn zu verbergen, steckte ich ihn in den Mund. Freilich wußte ich nicht, was ich nachher damit anfangen wollte; aber wie ich mir noch meine Gedanken darüber machte, kam einer der Aufseher, der mürrische alte Portugiese, welcher zum nächsten Haufen gehört, vorbei und versetzte mir, da er mich müßig und in Gedanken vertieft sah, mit dem Stock einen so derben Schlag auf die Schulter, daß ich nicht nur aus meiner Träumerei auffuhr, sondern auch der Diamant meine Kehle hinunter glitt. Ich bin überzeugt, wenn ich versucht hätte, ihn zu verschlucken, so würde es unmöglich gewesen sein; aber die Ueberraschung half ihm hinunter. Dieser ist die Ursache meines Todes, denn er ist in meinem Magen liegen geblieben und hat die Verstopfung veranlaßt, welche mit Entzündung und Brand endigte. Ich fühle ihn sogar jetzt noch hier – gebt mir Euere Finger, fühlt Ihr ihn nicht gleichfalls? Gut; Ihr begreift jetzt warum ich von der kleinen weißen Katze gesprochen habe. Den Kopf braucht Ihr mir nicht abzuhauen; aber wenn ich todt bin, so fahrt Ihr mit Eurem Messer hier herunter, nehmt den Diamant heraus und begrabt ihn; denn ich sage Euch – und wies heißt, sehen Sterbende klarer, als Andere – ich bin überzeugt, daß Eure Befreiung aus diesem Thale bevorsteht, und dann wird der Diamant Euer Glück machen. Ihr werdet dann finden, daß mein Erbe für Euch von einigem Werth ist. Ich bitte Euch, keine Bedenken – erweist mir diese letzte Gunst und versprecht mir, meinem Wunsche zu willfahren – gebt mir diese Zusage oder ich sterbe unglücklich.«

So sehr mir auch der Gedanke zuwider war, konnte ich doch nicht umhin, ihm die Erfüllung seines Wunsches zu versprechen, da er sie sich so angelegentlich als letzte Gunst erbat. Eine Stunde später hatte der arme Ingram ausgeathmet, und ich trauerte tief über den Verlust eines so würdigen Freundes, der sich durch seine treue Dienstleistung die gleiche Sklaverei, welche mich betreffen sollte, zugezogen hatte. Ich verließ die Hütte und begab mich in Gedanken über die seltsame Mittheilung, die er mir gemacht hatte, nach meiner Wohnung. »Warum,« sagte ich mir selbst, »warum sollte ich diesen Diamanten an mich zu bringen suchen? Ich habe keine Aussicht, je dieses Thal zu verlassen. Und doch – wer weiß – Ingram hat mir's in seinen letzten Augenblicken prophezeit. Nun, jedenfalls will ich dem armen Burschen mein Versprechen halten.« Ich meldete dem Director seinen Tod und begab mich etwa eine Stunde später nach der Hütte, wo er lag. Sein Gesicht war ruhig; ich sah ihn eine geraume Weile an und fragte mich dann selbst, ob er nicht glücklicher sey, als ich je werden könnte. Um jedoch seiner Bitte zu entsprechen – nein, ich konnte den Gedanken nicht ertragen. Was wollte ich von dem Diamanten? Ich, der ich in meiner früheren Laufbahn an nichts gedacht hatte, als an Verstümmelung lebender Menschen, schauderte jetzt bei der Vorstellung, daß ich einen Einschnitt machen sollte in eine Leiche. Es war übrigens keine Zeit zu verlieren, da die Beerdigung stets um Sonnenuntergang stattfand und die Stunde herannahte. Ich bog ein Stück Bambusrohr wie eine Zuckerzange zusammen, legte dann meinen Finger an die Stelle des Magens, die er mir angedeutet hatte, fühlte daselbst einen harten Körper und machte mit meinem Messer einen Einschnitt, worauf ich mit der Klinge sondirte. Sie traf auf den Diamanten, und indem ich mich zugleich des Rohrstücks als einer Zange bediente, gelang es mir nach einigen Versuchen, ihn auszuziehen. Ohne ihn naher zu betrachten warf ich ihn in ein Gefäß mit Wasser, das neben dem Bett stand, deckte die Leiche zu, machte ein Loch in den Boden der Hütte und begrub das Messer, denn ich fühlte, daß ich es nie wieder ansehen könne.

Wie ich zur Hütte hinaussah, bemerkte ich zwei der Sklaven, welche herankamen, um die Leiche fortzunehmen. Ich erklärte ihnen, sie sollten dem Todten die Kleider anlassen, folgte ihnen und wohnte seiner Bestattung an. Dann las ich Gebete über dem Grab und konnte mich bei dem Andenken an meinen treuen Gefährten eines reichlichen Thränenstroms nicht erwehren. Endlich kehrte ich nach der Hütte zurück, nahm das Wassergefäß auf und begab mich damit nach meiner Wohnung. Ich mochte den Diamanten nicht anrühren und getraute mich doch auch nicht, ihn zu lassen, wo er war. Aus diesem Grunde goß ich das Wasser aus dem Gefäß und ließ dann den Edelstein auf den Boden fallen, der aus hart gewordenem Thon bestand. Da sah ich nun, daß er einen sehr großen Werth haben mußte, denn er war von sehr reinem Wasser und mochte seine dreizehn oder vierzehn Gramme wiegen. Er hatte die Gestalt eines stumpfen Oktaeders und war auf der einen Seite ganz glatt und durchsichtig. Nachdem ich diese Untersuchung vorgenommen, stach ich mit einem Stück Eisen etwas Thon aus dem Boden, rollte den Diamant in das Loch und trat die Erde darüber wieder fest.

»Hier magst du liegen bleiben,« sagte ich, »bis zum jüngsten Tag oder bis dich Jemand findet; für mich hast du doch keinen Nutzen.« Ich dachte dabei an den Hahn in der Fabel. Mein Auge fiel nun auf die abgegriffene Bibel, und ich fügte laut bei: »Du bist mir von größerem Werth, als alle Diamanten in der Welt,« – Worte, welche blos ausdrückten, was ich fühlte.

Geraume Zeit trauerte ich um Ingram, ohne je an den Diamanten zu denken. Es waren weitere drei Monate entschwunden, und ich hatte bereits anderthalb Jahre an dem Strafplatz zugebracht, als ein Besuch eintraf: – er bestand in keiner geringeren Person als in einem der Oberen des Jesuitenordens, der von dem portugiesischen König auf einer Inspektionstour nach Brasilien geschickt worden war; d. h. er hatte den geheimen Auftrag, die Staatsangelegenheiten und die Art wie das Einkommen der Regierung beigebracht wurde, zu untersuchen. Die verschiedenen Beamten hatten sich nämlich in letzter Zeit so viele Unterschlagungen zu Schulden kommen lassen, daß man eine ausführliche Nachforschung für nöthig hielt. Ein Jahr zuvor war zu demselben Zweck ein portugiesischer Edelmann abgesandt worden, hatte aber bald nach seiner Ankunft den Tod gefunden, und es war aller Grund zu Muthmaßung vorhanden, er sei vergiftet worden, damit in dieser Weise die Untersuchung unmöglich würde. Die nunmehrige Wahl fiel auf einen Jesuiten, weil es ein Portugiese, der sich zwar wenig aus dem Vergiften oder Erdolchen eines Laien macht, wahrscheinlich nicht wagte, sich an dem Leben einer durch die geistliche Weihe hochgestellten Person zu vergreifen. Da der Abgesandte mit einer umfassenden, außerordentlichen Vollmacht ausgestattet war, so nahm er in den verschiedenen Regierungs-Bezirken eine kurze Untersuchung vor und kam nun auch nach den Diamantgruben, um sich zu überzeugen, in wie weit die Ablieferung der Edelsteine an den Staatsschatz mit dem wahren Ertrage zusammenstimmte; denn die Diamantgruben hatten gewöhnlich eine Revenue von 1-1½ Millionen eingebracht. Der Direktor hatte gewaltig zu schaffen, als er von der Ankunft dieses Regierungs-Sendlings an der Grenze des Bezirks Kunde erhielt; denn obgleich an ihn augenblickliche Meldung ergangen war blieb ihm doch kaum eine Stunde Zeit zu Vorbereitungen, da der Jesuiten-Obere mit seinem Gefolge, das aus ungefähr 20 Personen und 5o oder 60 Saumthieren oder Reitpferden bestand, unmittelbar nach der Ankündigung eintraf. Wir Alle – d. h. sämmtliche Inspectoren – wurden zu seinem Empfang aufgeboten. Ich setzte mich in Bewegung, um der Parade anzuwohnen, und nahm die Sache sehr gleichgiltig; aber wie sehr änderten sich meine Gefühle, als ich in dem Jesuiten-Oberen den katholischen Priester erkannte, der mich in dem Tower besucht und meine Befreiung erwirkt hatte. Der Superior verbeugte sich gegen den Direktor und seine Umgebung; wie er aber meiner ansichtig wurde, erkannte er mich augenblicklich.

»Ihr hier, mein Sohn?« sagte er.

»Ja, hochwürdiger Vater,« versetzte ich; »und dem Himmel sey Dank, daß Eure Ankunft mich in den Stand setzt, meine Unschuld zu beweisen.«

»Wie ist dies zugegangen?« fragte er.

Ich erzählte ihm in wenigen Worten meine Geschichte.

»Und Ihr wurdet ins Gefängniß geworfen, ohne daß man Euch gestattete. Euch zu verantworten?«

»Ja wohl, frommer Vater; und man sandte mich als lebenslänglichen Sklaven nach den Diamantgruben.«

»Habt Ihr dem Gruben-Director die Sachlage nicht vorgetragen?«

»Wohl, Sir; er äußerte zwar sein Mitleiden gegen mich, erklärte mir aber, daß er mir nicht helfen könne.«

»Ist dies wirklich der Fall, Herr Director?« fragte der Jesuit in strengem Ton.

»Ja. Sennor,« versetzte der Angeredete. »Ich habe mehr als einmal über Fälle berichtet, die mir als Bedrückung erschienen, wenn die Angabe der Verurtheilten richtig war; aber man erwiederte mir darauf, ich sei zu vorlaut, und es könne keine Abänderung des Urtheils stattfinden. Ich kann Euch durch meine Journale und Briefbücher beweisen, wie oft ich es früher versuchte, derartige Angelegenheiten zur Kenntnißnahme der Regierung zu bringen; aber ich erhielt zuletzt Antworten, die ich Euch vorweisen kann und die den Beweis liefern werden, daß die Schuld nicht an mir lag.«

»Erlaubt mir beizufügen, hochwürdiger Vater,« ergriff ich das Wort, »daß der Director sich gegen alle, welche unter seiner Ueberwachung stehen, auf die gütigste und rücksichtsvollste Weise benommen hat. Ich halte es für ein großes Glück, daß ein solcher Mann für diese Stelle ernannt wurde, denn er hat allen seinen Kräften aufgeboten, um den Unglücklichen hier das Elend der Knechtschaft zu erleichtern.«

»Ich freue mich, dies aus Eurem Munde zu hören, Mr. Elrington. Herr Director, dieser Mann ist mir ein teurer Freund und muß augenblicklich in Freiheit gesetzt werden. Selbst der Vicekönig darf meine Verfügungen nicht anfechten.«

Der Superior umarmte mich sodann herzlich und sagte mir, ich sey frei und könne mit ihm nach Rio zurückkehren. Denkt Euch, theure Madame, meine Freude, meine Dankbarkeit. Ich fiel vor ihm auf die Kniee nieder und küßte seine Hände; er aber ertheilte mir seinen Segen und richtete mich wieder auf.

»Wo ist Euer Leidensgefährte?« fragte er.

»Er ist leider todt,« lautete meine Antwort.

Der Superior schüttelte den Kopf und wandte sich mit den Worten ab:

»Verlaßt Euch darauf, ich will, sobald wir nach Rio zurückkommen, in dieser Sache auf den Grund sehen.«

Er forderte sodann den Director auf, seine Bücher herauszubringen, und ließ seine Diener bei mir und den übrigen Inspectoren stehen, während er mit seinem Secretär hineinging. Alle Anwesenden wünschten mir Glück, und sobald ich loskommen konnte, kehrte ich nach meinem Zimmer zurück, wo ich niederkniete und Gott mit Inbrunst für meine unerwartete Befreiung dankte. Nachdem ist diese Pflicht gegen das höchste Wesen erfüllt hatte, setzte ich mich nieder und verfiel in eine entzückte Träumerei, in welcher ich mir die schönste Zukunft vergegenwärtigte. Nachdem der Superior den Director abgefertigt hatte, ließ dieser mich rufen und sagte zu mir:

»Erlaubt mir, Euch meinen Dank abzustatten für die Liebe, die Ihr mir erwiest, als Ihr so sehr zu meinen Gunsten spracht. Ihr habt mir dadurch in der That einen Dienst geleistet, und ich bin Euch von Herzen dankbar dafür.«

»Ich ließ Euch blos Gerechtigkeit widerfahren, Director,« versetzte ich.

»Ja, aber wie wenigen wird in dieser Welt Gerechtigkeit zu Theil,« entgegnete er. »Der Superior hat mir aufgetragen, Euch zu bedeuten, daß Ihr Euch an die Herren in seinem Gefolge halten sollt. Natürlich erlaubt es die Etikette nicht, irgend Jemand an seine Tafel zuzulassen. Zuvor aber müßt Ihr mir ein Vergnügen gestatten; ich will Euch nämlich mit Kleidern versehen, die Euerem Aeußern angemessen sind, da ich dies ohne Unbequemlichkeit für mich leicht thun kann.«

Der Director führte mich sodann in sein Zimmer und öffnete einen Schrank, der mit reicher Kleidung angefüllt war. Hievon las er zwei der schönsten Anzüge nebst Weißzeug und allen erforderlichen Gegenständen, einen schönen Degen und einen Hut aus, mit der Bitte, daß ich dies annehmen möchte. Ein von ihm herbeigerufener Diener mußte Alles in ein Felleisen packen und nach meinem Zimmer bringen.

»Kann ich sonst noch etwas für Euch thun? – sprecht Euch unverhohlen aus.«

»Nein, Director,« versetzte ich. »Ich nehme Alles dies von Euch an, weil ich mich hier damit nicht versehen kann; sobald ich aber zu Rio anlange, bin ich mit Mitteln versehen, mich mit jedem Nöthigen zu versorgen. Ich danke Euch vielmal.«

»Ich will Euch meinen Diener schicken, damit er Euer Haar in Ordnung bringe,« sagte er; »auch bitte ich Euch, während der paar Tage, welche der Superior hier bleiben wird, ohne Umstände über ihn zu verfügen.«

»Glaubt Ihr, er werde sich so lang aufhalten?«

»Ja,« erwiederte der Director. »Ich will Euch im Vertrauen mittheilen, daß er das Verzeichniß des Gruben-Ertrags, wie er der Regierung in Portugal berechnet wurde, mitgebracht hat, und bei der ersten Einsichtnahme stellte sich zwischen diesen und meinen Sendungen nach Rio ein so großer Unterschied heraus, daß es dort wohl zu ernsten Auftritten kommen wird. In Rio bildete man sich nie ein, er werde eine so beschwerliche Reise unternehmen, weßhalb man jetzt dort in großer Unruhe schwebt. Doch ich verlasse Euch jetzt, daß Ihr nach Haus gehen und dort Eure Toilette machen könnt. Erlaubt mir, Euch aus ganzem Herzen zu der glücklichen Beendigung Eurer ungerechten Knechtschaft Glück zu wünschen.«

Nachdem ich ihm abermals für sein Wohlwollen gedankt hatte, begab ich mich nach meiner Wohnung, wo sein Diener bereits auf mich wartete. Er ordnete mir das Haar recht gut und streute etwas Puder hinein, worauf ich in einen der Anzüge schlüpfte; dieser paßte mir ziemlich gut und bedurfte nur, weil er etwas zu weit war, einer kleinen Aenderung, mit welcher der Diener bald zu Stande kam. So konnte ich nun wieder gegen alle meine Erwartungen als Gentleman auftreten. Ich machte mich auf den Weg und schloß mich dem Gefolge des Superiors an, das mir, als sie die Veränderung bemerkten, welche der Anzug in meinem Aeußeren hervorgebracht hatte, Glück wünschte und mich zu dem Mahl einlud, das eben für sie zugerichtet worden war. Am folgenden Tag ließ mich der Superior rufen, bot mir einen Sitz an und ersuchte mich, ihm ausführlich zu erzählen, wie es mir seit unserer letzten Begegnung ergangen sei. Ich entsprach seiner Aufforderung, und meine Berichterstattung nahm den ganzen Nachmittag in Anspruch.

»Euer Leben ist voll von Wechselfällen gewesen,« versetzte er. »Ich hoffe übrigens, Eure Abenteuer sind jetzt vorüber und Ihr könnt Euren Freunden wieder zurückgegeben werden. Der Dienst, den Ihr unserer Sache geleistet habt, wird nicht in Vergessenheit kommen.«

Ich wagte es, ihn zu fragen, wie es komme, daß er jetzt im Dienste des Königs von Portugal stehe. Er antwortete:

»Ich bin von Geburt ein Irländer und wurde zu St. Omers erzogen. Der Orden sandte mich, als ich noch jung war, zuerst nach Spanien, und seitdem wurde ich in Sachen der Verbreitung unserer heiligen Kirche durch die ganze Welt verwendet. Das Vaterland kommt bei unserm Orden nicht in Betracht. Wir alle stehen im Dienst der Kirche und gehen dahin, wo man uns braucht. Ich wollte, Ihr wäret ein Katholik, da ich Euch in diesem Falle über alle Eure Hoffnungen Vorschub leisten könnte; aber Ihr wollt heirathen und dies macht der Frage schon vornweg ein Ende.«

Da ich dachte, der hochwürdige Herr müsse der langen Unterhaltung satt seyn, so stand ich auf und verabschiedete mich.

Drei Tage später theilte er mir mit, er gedenke nunmehr die Rückkehr nach Rio anzutreten, und dies rief mir den Diamanten ins Gedächtniß, den ich mitzunehmen beschloß. Unter dem Schutze des trefflichen Superiors besorgte ich keine Durchsuchung, weßhalb ich nach meiner Wohnung ging, den Diamant ausgrub und ihn, nachdem ich ihn zuvor gewaschen, zum erstenmal prüfte, wie er es verdiente. Der Edelstein war sicherlich sehr werthvoll, obschon ich ihn nicht genau zu schätzen wußte. Der Director pflegte jeden größern Diamant, der ihm gebracht wurde, anzuschlagen, und so viel ich aus seinen gewöhnlichen Schätzungen entnommen hatte, konnte man auf diesen Stein nicht weniger als 20 000 Pfund bieten. Ich beobachtete die Vorsicht, ihn nicht in meiner Tasche zu tragen, sondern nähte ihn in das Futter meines Rocks. Ich war hoch vergnügt, als ich vernahm, daß der Aufbruch für den nächsten Tag festgesetzt sei. Da für mich ein Pferd bestimmt war, so packte ich noch am selben Abend meinen Mantelsack, ohne dabei meine alte Bibel zu vergessen, und legte mich zu Bett, Gott tausendmal dankend, daß dies die letzte Nacht war, welche ich in der unseligen Sierra de Espinhaço zubringen sollte.

Mit Tagesanbruch verabschiedete sich der Superior, stieg auf sein Maulthier und wir brachen auf. Bald kamen wir durch das Wachhaus in der engen Straße, durch das ich nie wieder zu ziehen gehofft hatte, und noch vor Mittag lag uns die Sierra im Rücken. Abermals breitete sich das offene Land vor mir aus. Die Dienerschaft bildete mit einem Theil der Saumthiere den Vortrab, damit der Superior an dem Orte, wo wir Halt machen sollten, die Mahlzeit bereits zugerichtet fände.

Das Wetter war ungemein schwül und die Sonnenglut wirkte im höchsten Grad belästigend. Um Mittag machten wir Halt, um unser Diner einzunehmen und nachher die gewöhnliche Siesta zu feiern. Die Dienerschaft hatte für den Superior eine Art Palanquin aufgerichtet, und wir trafen Alles schon fertig an. Der Superior stieg ab und setzte sich unter den Palanquin, der ihm gegen die Strahlen der Sonne Schutz verlieh, während wir uns in achtungsvoller Entfernung um ihn her niederließen. Die Hitze war so maßlos, daß der hochwürdige Herr, um sich Erleichterung zu verschaffen, das lange schwarze Gewand, welches die Priester seines Ordens zu tragen pflegen, abwarf. Das Mittagsmahl wurde aufgetragen und wir tafelten trotz der großen Hitze sehr heiter. Nach dem Essen suchten wir uns so gut wie möglich Schatten zu bereiten und hielten etwa zwei Stunden Siesta; dann aber erhob sich der Superior wieder und gab das Zeichen zur Wiederaufnahme der Reise. Die Pferde waren bald bereit. Man führte das Maulthier des Jesuiten nach dem Palanquin hinauf, der königliche Bevollmächtigte erhob sich und einer der Diener hielt ihm eben sein Gewand hin, damit er hineinschlüpfe, als mein Auge den Kopf einer Schlange entdeckte, welcher aus der Seitentasche, in der der Geistliche sein Brevier und sein Schnupftuch zu tragen pflegte, hervorsah. Ich kannte die Schlange wohl, denn sie war uns oft in der Sierra de Espinhaço vorgekommen, und zwei oder drei der Sklaven hatten durch ihren Biß das Leben verloren: er war so tödtlich, daß sie weniger als fünf Minuten nachher starben. Der Superior hatte sein Tuch in der Hand und würde es ohne Zweifel, ehe er sein Maulthier bestieg, in die Tasche gesteckt haben; in diesem Falle aber wäre er notwendig gebissen worden und unrettbar verloren gewesen. Wie er daher sein Gewand anlegen wollte, sprang ich vor, ergriff es, warf es auf den Boden und begann zur Ueberraschung sämmtlicher Anwesenden mit aller Macht darauf loszustampfen. Einige hielten mich für toll, Andere aber, die ganz entsetzt über eine solche Behandlung des heiligen Gewands waren, riefen aus » heretico maldetto!« was in unserer guten Muttersprache so viel als »verfluchter Ketzer« bedeutet. Ich fühlte die Schlange, welche sehr kurz ist, aber einen dicken Leib und einen Kopf wie eine Kröte hat, noch einigemal sich unter meinen Füßen bewegen; dann aber rührte sich nichts mehr, weßhalb ich von dem Kleide wegtrat und es an einem Flügel in die Höhe hob, so daß die tobte Schlange aus der Tasche herausrollte.

»Ich danke dem Gott, den wir Alle verehren, und dem Sohne Gottes, der für Katholiken und Ketzer starb,« rief ich, »daß er mich zum Mittel werden ließ, um unserm hochwürdigen Vater das Leben zu erhalten.«

Während dieses Gebets war ich niedergekniet, und als der Superior die Gefahr, in welcher er geschwebt hatte, bemerkte, that er das Gleiche in stillem Dankgebet. Seinem Beispiel folgend ließen sich alle Uebrigen ebenfalls aus die Kniee nieder.

»Ja,« sagte der Superior, »wollte Gott, daß anstatt sich gegenseitig zu schmähen, alle christlichen Glaubensbekenntnisse sich vereinigten, in gleicher Weise den Kopf der Schlange zu zertreten, die es auf unsern geistigen Tod abgesehen hat.«

Er erhob sich sodann und sagte:

»Mein Sohn, ich danke Dir für den Liebesdienst, den Du mir erwiesen hast.«

Ich erklärte nun dem Superior die todbringende Eigenschaft des Thiers, sprach von meiner Furcht, er könnte das Tuch in die Tasche seines Kleides stecken, ehe ich Zeit gewänne, ihn daran zu hindern, und bat ihn um Entschuldigung wegen meiner anscheinenden Rohheit.

»Bedarf die Rettung eines Menschenlebens wohl einer Entschuldigung?« versetzte er lächelnd. »Doch jetzt wollen wir unsere Wanderung wieder aufnehmen.«

Ich brauche kaum zu sagen, daß wir zur Rückkehr nach Rio bei weitem nicht so lange brauchten, wie zu dem Transport nach den Diamantgruben. Wir vollendeten unsere Reise, ohne gerade übermäßig zu eilen, ungefähr in der Hälfte der Zeit. In der Hauptstadt angelangt, erhielten wir unser Quartier in einem prächtigen Palast, dessen sich der Superior während seines Aufenthalts zu Rio bediente, und ich fand daselbst eine schöne Wohnung. Mein edler Beschützer hatte nun viel mit dem Vicekönig zu verhandeln, so daß ich ihn einige Tage nicht zu sehen bekam; aber endlich ließ er mich vor sich rufen.

»Mein Sohn,« begann er, »ich habe keine Zeit verloren, um in Eurer Sache Nachforschungen anstellen zu lassen, und finde, daß Eure Angaben vollkommen richtig sind. Zur Schande der hiesigen Regierung und der Art, wie hier die Gerechtigkeit verwalte wird, hat sich herausgestellt, daß sich jener Olivarez nach seiner Ankunft zu dem Secretär des Gerichtshofs begab, in welchem die einschlagenden Vergehungen abgeurtheilt werden, und demselben erklärte, er habe zwei englische Meuterer an Bord, welche das Schiff wegzunehmen versucht und mehrere seiner Leute gefährlich verwundet hätten: er wünsche sie natürlich der Gerechtigkeit zu überliefern, sey aber durch die nöthige unverweilte Abfahrt seines Schiffs verhindert, seine Matrosen ins Zeugenverhör zu schicken; eine derartige Zögerung habe großen Nachtheil für ihn und er frage deshalb, ob sich die Sache nicht so einleiten lasse, daß die Verbrecher gestraft würden, ohne daß er oder seine Mannschaft sich vor Gericht stelle; ehe er sich auf einen Aufenthalt einlasse, wolle er sichs lieber eine schöne Summe Geldes kosten lassen. Der Secretär, welcher diese letzte Anspielung vollkommen begriff, nahm, nachdem er sich durch fünfhundert Cruzados hatte abfinden lassen, die Aussagen des Anklägers zu Protokoll, begnügte sich mit dem Eide desselben als einem hinreichenden Zeugniß, und Ihr wurdet auf diese Angabe hin vermittelst richterlichen Erkenntnisses zur Arbeit in den Diamantminen verurtheilt. Es hat uns einige Mühe gekostet, alle diese Thatsachen zu ermitteln; aber da die Frage scharf verfolgt wurde, so hat sich endlich die Wahrheit herausgestellt. Was nun zuerst den Richter und seinen Secretär betrifft, so sind diese ins Gefängniß gesetzt worden und werden für Lebensdauer Euern Platz in den Diamantgruben einnehmen. Hinsichtlich des Olivarez stellt sich heraus, daß er nach seiner Ankunft seine Sklavenladung sehr vorteilhaft verkauft hat. Nach Einzug des Geldes gab er jedem seiner Leute einen kleinen Antheil; diese gingen damit ans Land und hatten sich, wie alle englischen Matrosen, bald betrunken. Olivarez traf nun bei der Polizei solche Maßregeln, daß sie während ihres trunkenen Zustandes ins Gefängniß geworfen wurden, ging am folgenden Morgen zu ihnen und brachte sie auf den Glauben, sie hätten sich in der Aufregung des Rausches solche Vergehungen zu Schulden kommen lassen, daß eine große Summe erforderlich sey, um ihnen wieder zu ihrer Freiheit zu helfen. Er gab vor, er habe dieselbe für sie bezahlt, und nachdem er eine Ladung für seine Reise eingekauft hatte, nahm er sie Alle wieder an Bord, um aufs Neue nach der Küste von Afrika zu segeln. Drei Monate später erschien er abermals mit einer Sklavenladung und verkaufte dieselbe. Er hatte seine Mutter aufgefunden und verwendete nun sein Geld zum Ankauf eines großen, ungefähr anderthalb Meilen von Rio gelegenen Gutes, welches er durch seine Mutter und einige Sklaven bewirthschaften ließ. Er hatte es einzuleiten gewußt, seine Mannschaft aufs maßloseste zu betrügen, und ehe er wieder nach Afrika fuhr, heirathete er eine liebenswürdige junge Person, die Tochter eines Nachbars. Eine dritte und vierte Fahrt lief mit gleich gutem Erfolge ab; aber schon bei jener war es ihm gelungen, sich eines Theils seiner englischen Mannschaft, die ihm jetzt unbequem zu werden begann, zu entledigen und sie durch portugiesische Matrosen zu ersetzen; er that dabei, als sehen die Engländer aus Versehen an der Küste zurückgeblieben. Bis zur vierten Fahrt hatte er die englische Mannschaft durch Abrechnungen und Verteilung einiger hundert Dollars, die er ihnen vor dem Aufbruch nach der afrikanischen Küste zahlte, zufriedengestellt. Jetzt erhöhte er aufs Neue um Einiges die Zahl seiner portugiesischen Matrosen, obschon er, um Argwohn zu vermeiden, nicht allzuviele an Bord setzte, und als er wieder an der afrikanischen Küste anlangte, starb ein Theil der englischen Mannschaft – ob durch Gift oder durch Krankheit ist nicht bekannt; die Uebrigen aber setzte er am Land aus und bemächtigte sich ihres ganzen Eigenthums, so daß die Dollars, mit denen er sie zufriedengestellt hatte, wieder in seine Hände fielen. Da er nun eine große Summe zusammengerafft und außerdem nichts mehr von den Theilhabern an seinem Verbrechen zu fürchten hatte, beschloß er nach seiner Rückkehr von der vierten Reise am Land zu bleiben und mit seiner Mutter und seinem Weibe auf seinem Gut zu leben. Den Schooner aber sandte er unter einem portugiesischen Kapitän und mit portugiesischer Bemannung aus, um das Sklavengeschäft für seine Rechnung fortzuführen; dieser hat seitdem zwei weitere Fahrten gemacht und wird mit jedem Tage zurückerwartet. Nun aber, mein Sohn, ist die Vergeltung schwer auf das Haupt dieses schlechten Mannes gefallen. Wäre er unmittelbar nach seiner Unthat entdeckt und gestraft worden, so würde seine Züchtigung in Vergleichung mit der, die ihn jetzt betrifft, nichts gewesen seyn, denn er hatte damals kein Eigenthum, keine näheren Bande und überhaupt nichts oder wenig, von was er sich mit Schmerz hätte trennen müssen; jetzt aber hat er eine Frau und ein Kind, besitzt ein werthvolles Eigenthum, lebt unabhängig und vergrößert mit jedem Tage seinen Reichthum. Er hat den höchsten Gipfel seines Ehrgeizes erreicht, ist seinem Vaterlande zurückgegeben, steht als ein wohlhabender Mann in Achtung und Ansehen, und wird nunmehr ergriffen, in den Kerker geworfen, ins peinliche Verhör genommen und befindet sich im kläglichsten Zustande da er mit jedem Tage der Vollstreckung des Todesurtheils entgegensieht, das gegen ihn ausgesprochen worden ist. Dabei hat er nicht einmal den Trost zu wissen, daß diejenigen, welche er liebt, dem Mangel enthoben sind; denn alle seine Habe, die er sich nur durch Benutzung dessen, was Euch gehörte, erwarb, ist nun nothwendig Euer Eigenthum und wurde demgemäß für Euch mit Beschlag belegt. Sobald Alles eingezogen ist, soll es in Eure Hände ausbezahlt werden. So habe ich wenigstens für Euch Gerechtigkeit erzielt, mein Sohn.«

Wie Ihr Euch denken könnt, meine theure Madame, ergoß ich mich in Dankesbezeugungen; aber er fiel mir ins Wort und sagte:

»Ich wurde hiehergeschickt, um darüber zu wachen, daß wo möglich Jedem sein Recht werde – keine leichte Aufgabe, wo Alles nur Geld anhäuft und Niemand sich darum kümmert, wie es gewonnen wird; aber in der That wenn irgend Jemand besondere Ansprüche an mich hat, so seyd Ihr es.«

Der Superior stellte sodann viele Fragen an mich in Betreff meiner Herkunft, und ich hielt nichts vor ihm geheim. Ich theilte ihm mit, wer ich war, und warum ich in so früher Jugend mein väterliches Haus verlassen hatte. Unter solchen Gesprächen vergingen zwei Stunden, und dann entließ er mich mit den Worten:

»Ihr könnt stets auf meinen Schutz und auf meine Dankbarkeit zählen.«

Er hatte mir bei dieser Gelegenheit mitgetheilt, daß er ein Depeschenboot nach Lissabon zu senden beabsichtige; ich wünsche wahrscheinlich meine Freunde von meinem Geschick in Kenntniß zu setzen, und wenn ich Briefe schreiben wolle, so werde er Sorge dafür tragen, daß sie in England sicher an ihre Adressen gelangten. Ich benützte mit Freuden dieses Anerbieten und würde sogar für mich selbst um einen Platz an Bord gebeten haben, wenn ich nicht das Geld des Olivarez für Mr. Trevannions Eigenthum gehalten hätte, das ich, noch ehe ich Rio verließ, nach Liverpool zu senden gedachte. Hiedurch wurde meine Abreise um weitere sechs Wochen verzögert, in deren Lauf Olivarez die Strafe erlitt, die seine Verbrechen verdienten; er wurde auf dem Marktplatz erdrosselt.

Das empfangene Geld bestand aus 28,000 Cruzados, und da ich nicht wußte, wie ich darüber verfügen sollte, so wandte ich mich an den Superior, der mir in Duplikaten Anweisungen an den Staatsschatz zu Lissabon gab. Ich fand sehr bald Gelegenheit, Mr. Trevannion die einen mit einer Abschrift meines ersten Briefs und einem zweiten an ihn und Amy zu übermachen, in letzterem bemerkend, daß ich sobald als möglich zurückzukehren gedenke. Ich selbst trat mit der portugiesischen Fregatte, welche meine Briefschaften besorgen sollte die Reise nicht an, da sie einen großen Umweg zu machen hatte, und es ungewiß war, wie lange sie sich in den verschiedenen Häfen aufhalten mußte. Endlich aber wurde mir der Aufenthalt in Brasilien sehr entleidet, und ich sehnte mich nach der Abfahrt eines Schiffs, das nach was immer für einem europäischen Hafen bestimmt war.

Für meinen eigenen Aufwand hatte ich tausend Cruzados zurückbehalten, mit denen ich auszureichen hoffte; aber sie gingen allmählig auf, da ich überall in den besten Gesellschaften Rios Zutritt hatte. Endlich ließ mich der Superior rufen und theilte mir mit, er habe ein Avisboot nach Lissabon zu senden, das zwar sehr klein, aber ein schneller Segler sey; wenn ich es daher wünsche, könne ich die Rückreise in demselben machen. Ich dankte ihm herzlich dafür, nahm mit Freuden den Vorschlag an und begab mich nach meinem Zimmer, um meine Kleider zu packen. Nachmittags kam der Kapitän der Schebecke zu mir, um mir anzukündigen, daß er am folgenden Morgen aufbrechen würde, wenn ich bereit seyn wolle. Ich entgegnete, daß es an mir nicht fehlen solle, und drückte ihm einige Dollars mit der Bitte in die Hand, er möchte für mich Alles besorgen, was er für nöthig und angenehm halte; wenn die Summe nicht ausreiche, wolle ich ihm den Rest bezahlen, sobald wir den Hafen verlassen hätten. Dann machte ich dem Superior meinen letzten Besuch, der mich zum Abschiede noch auf das Wärmste seiner Achtung versicherte, während ich ihm unter Thränen des Dankes Lebewohl sagte. Am andern Morgen früh fand ich mich am Bord der Schebecke ein. In leichten Winden segelte sie ungemein schnell, aber für eine Fahrt über den atlantischen Ocean war sie doch zu klein; gleichwohl behauptete der Kapitän, er habe die Reise schon mehreremal gemacht und hoffe, sein Schifflein werde noch oft aushalten.

Er pflegte übrigens gewöhnlich nach dem Norden der Antillen zu laufen, an den Bahama-Inseln zu halten und von dort aufs Neue nach Lissabon anzusetzen. Unsere Mannschaft bestand außer dem Kapitän nur aus acht Matrosen, welche übrigens zureichten, da das Schiff nicht mehr als 30 Tonnen hielt. Wir hatten bis zum 24. Grad nördlicher Breite eine gute Fahrt; aber wie wir uns ostwärts wendeten, um das atlantische Meer zu kreuzen, wurden wir von einem sehr heftigen Sturme befallen, der mehrere Tage währte und uns stündlich mit einem nassen Grabe bedrohte. Endlich blieb uns keine andere Wahl mehr, als vor dem Wind zu lensen; dies geschah zwei Tage lang vor einer tobenden See, die uns den Untergang geschworen zu haben schien. In der zweiten Nacht, als ich mich auf dem Deck befand und dem wilden Spiel der Wellen zusah, vor denen die kleine Barke rasch dahin flog, nahm sich das Wasser auf einmal wie eine einzige weiße Schaummasse aus, und wie wir uns mit der nächsten Woge hoben, wurden wir längs des Kamms hingeschleudert, taumelten auf dem Schaum, bis sie an uns vorbei war, und stießen dann mit Macht auf eine Klippe. Zum Glück bestand diese aus weichem Korallfels, da es sonst um uns Alle geschehen gewesen wäre. Die nächste Welle hob uns wieder, warf uns weiter, und wie sie sich legte, lag die Schebecke hoch und trocken mit einer Seitwärtsneigung auf ihrem Kiele.

Schäumend und brausend hoben sich und fielen die Wogen, aber keine half uns wieder auf, obschon sie auch nicht im Stande waren, uns, die wir uns am Takelwerk anklammerten, von dem Decke wegzuspülen, da der starke kurze Mast, der das lateinische Segel trug, noch fest stand. Wir blieben bis zum Morgen, wo wir waren, und Jeder klammerte sich irgendwo an, ohne Gelegenheit zu finden, sich mit den Uebrigen zu benehmen. Im Laufe der Nacht nahm der Sturm ab und die See begann sich zu legen. Die Wellen wichen zurück, und in Zwischenräumen hätten wir auf den Strand gehen können, wir blieben aber bis zum Mittag auf dem Schiff und fanden nun, daß wir hoch und trocken lagen; die Schebecke war über ein Korallenriff geworfen worden, das sich gegen tausend Ellen in die hohe See zu erstrecken schien.

Die Matrosen, die von den Wellenstößen tüchtig umhergepufft worden und in Folge des langen Festhaltens am Takelwerk ganz erschöpft waren, begannen, sobald sie sich sicher sahen und die Wärme der Sonnenstrahlen spürten, auf dem Strand umherzugehen. Wir beriethen uns lange, was wir anfangen könnten. Es war keine Aussicht vorhanden, das Schiff wieder flott zu machen, und außerdem wußten wir nicht genau, wo wir waren, obschon der Kapitän und ich darin übereinstimmten, daß wir auf einer der kleinen Inseln aus der Bahamagruppe gestrandet seyn müßten – eine Vermuthung, die sich auch als richtig heraus stellte. Nachdem wir eine Weile mit uns zu Rath gegangen, riefen ich und der Kapitän die Matrosen zusammen und bedeuteten ihnen, daß es wahrscheinlich einige Zeit anstehen dürfte, ehe wir Mittel finden würden, von der Insel wegzukommen; wir müßten uns daher möglichst behelfen. Wir wollen daher zuvörderst landen, mit den Segeln ein Zelt aufrichten, und uns mit Mundvorrath versehen. Das Schiff mit seinen Vorräthen müsse als Staatseigenthum betrachtet werden, aber was Jeder für sich eigen habe, solle ihm so gesichert bleiben, als ob wir noch an Bord der Schebecke wären. Der Kapitän behalte wie zuvor das Kommando bei und männiglich müsse seinen Befehlen Folge leisten, so lang sie gerecht und zweckmäßig seyen. Die Matrosen, anständige, ruhige Leute, die, nicht wie die englischen, dem Branntweintrinken ergeben waren, gingen bereitwillig hierauf ein, und es wurde beschlossen, daß wir am folgenden Morgen unsere Arbeit beginnen sollten. Dies war ein schwerer Schlag für mich, der ich mich mit der süßen Hoffnung, die Geliebte bald wieder zu sehen, getragen hatte. Ich wußte, wie zweifelhaft die Aussicht war, daß wir von einem Schiff bemerkt werden würden, und konnte mir nicht bergen, daß wir vielleicht Monate, wo nicht länger, hier bleiben müßten; aber ich hatte meine Schule durchgemacht und konnte mit Innigkeit sagen: »Dein Wille geschehe, o Herr, nicht der meinige.«

Wir blieben selbige Nacht an Bord des Schiffes, und am andern Morgen hatte der Sturm völlig aufgehört. Zu unserem Erstaunen war das Wasser so weit zurückgewichen, daß wir wenigstens sechzig Schritte von der fast windstillen See ablagen. Zuerst untersuchten wir die Insel, um uns zu überzeugen, ob Wasser vorhanden sey – eine Aufgabe, die nicht lange währte, da die ganze Insel kaum eine Stunde im Umfange hatte. Zum Glück fanden wir mitten auf derselben ein tiefes Loch, wahrscheinlich von andern Schiffbrüchigen in den weichen Korallfels eingegraben, und in demselben Wasser, das zwar brackig schmeckte, aber doch genießbar war. Der weiche Fels hatte hier augenscheinlich das Seewasser durchsickern lassen.

Die ganze Insel war mit Korallriffen umgeben, und zwischendurch liefen Striche tiefen Wassers, in welchem nach dem Sturm die Fische zu Tausenden spielten. Aber auf der ganzen Insel zeigte sich kein Baum, keine Spur von Vegetation. Dagegen machten wir bald die Entdeckung, daß sie von Schildkröten besucht wurde, denn wir fanden einige frisch in den Sand eingegrabene Eier. Nachdem wir diese Untersuchung vorgenommen, gingen wir nach dem Schiff zurück und richteten auf dem höchsten Punkte der Insel, der etwa 10 oder 15 Fuß über dem Meeresspiegel lag, mit Spieren und Segeln ein Zelt auf, das groß genug war, erforderlichen Falls sogar fünfzig Mann zu fassen. Wir brachten nun unser Bettzeug, unsere Koffer und den ganzen Kochapparat ans Land, verwendeten die kleine Kambüse, die wir an Bord des Schiffs hatten, zu einem Feuerplatz außerhalb des Zelts, schickten einen Mann ab, um aus der Vertiefung Wasser zu holen, und setzten einiges Fleisch zu, um es zum Mittagessen zu kochen. Abends zogen wir insgesammt auf den Schildkrötenfang aus, und es gelang uns, drei dieser Thiere umzukehren. Mehr wollten wir nicht, bis wir einen Schildkrötenteich hatten, in welchen wir sie setzen konnten; denn wir führten nur für zwei Monate Mundvorrath an Bord und wußten nicht, wie lange wir möglicherweise hier aufgehalten wurden. Die Mannschaft benahm sich sehr gut und schien überhaupt geneigt zu seyn, sichs so gemächlich zu machen, als es unter obwaltenden Umständen möglich war. Am andern Tage warfen wir einige Leinen im tiefen Wasser aus und fingen mehrere große Fische; dann aber machten wir uns auf den Weg, um einen passenden Platz für einen Schildkrötenteich aufzufinden. Für diesen Zweck wählten wir eine Vertiefung in dem Riff, die unserer Ansicht nach passend war, da wir nur das eine Ende aufzufüllen hatten; wir begannen sodann mit Brecheisen den Fels abzutragen und arbeiteten den ganzen Tag eifrig, indeß Einige mit den Brechinstrumenten beschäftigt waren und Andere die abgelösten Massen fortschafften. Allmählig stiegen sie über die Oberfläche des Wassers, und unserer Berechnung zufolge hatten wir nach zwei Tagen den Teich so weit vollendet, daß er die Schildkröten aufnehmen konnte. Am Morgen hatten wir eine Schildkröte getödtet und zehrten nun ausschließlich davon, da wir unsere eingesalzten Vorräthe zu sparen wünschten. Ich hielt mit dem Kapitän häufige Beratungen über die etwa möglichen Schritte und über die Versuche, die wir machen konnten, um von diesem Platze fortzukommen. An Erbauung eines Bootes war nicht zu denken, da wir weder einen Zimmermann unter uns hatten, noch mit den Mitteln versehen waren, das erforderliche Eisenwerk zu fertigen. Wir hatten zwar einige Geräthschaften, wie sie gewöhnlich an Bord von Schiffen gebraucht werden, und mehrere Pfunde großer Nägel, aber doch nichts, was zu Herstellung eines Bootes taugte. Ich machte den Vorschlag, den Boden der Schebecke zu untersuchen und zu sehen, welche Beschädigungen er erlitten habe, bei welcher Gelegenheit wir fanden, daß die Bodenplanke und zwei ihrer Balken gebrochen waren; doch diesen Mängeln ließ sich leicht abhelfen und in jeder andern Beziehung war das Fahrzeug noch gut. Dies bewog mich zu dem Antrage, die Schebecke zu einem großen Boot niederzuhauen, was sich leicht thun ließ, wenn man die Planken und Decken abtrug, das Gebälk aber, zu der erforderlichen Höhe niedersägte. Hiedurch gewannen wir allerdings nur ein schwerfälliges Boot; aber wir konnten es doch durch Rollen flott machen, und die Wassertracht war dann nur so klein, daß wir über die Riffe wegkommen konnten – ein Versuch, der mit der Schebecke unmöglich gewesen wäre. Der Kapitän billigte die Idee und wir kamen überein, sobald der Schildkrötenteich fertig wäre, ans Werk zu gehen. Die erwähnte Arbeit kam richtig in zwei Tagen zu Stande, und wir hatten nun 30 Schildkröten umgedreht, die wir in den Teich setzten. Doch jetzt begannen unsere Matrosen, weil sie fanden, daß sie reichlich zu essen hatten, Zeichen von Trägheit kund zu geben und wollten nicht recht an die Bearbeitung der Schebecke gehen. Sie verbrachten ihre Zeit mit Essen und Schlafen, und die Matratzen, welche im Zelt ausgebreitet lagen, hatten es sehr werth. Bisweilen fischten sie wohl auch; was aber die übrige Arbeit betraf, so hatten der Kapitän und ich die größte Noth mit ihnen, und wenn sie sich je eine halbe Stunde angestrengt hatten, so warfen sie Aexte und Hebebäume weg und kehrten wieder nach dem Zelte zurück. Da es an Tabak nicht gebrach, so rauchten sie den halben Tag fort, aßen Schildkröten und legten sich dann wieder zum Schlafen nieder. Gleichwohl nahm das Geschäft seinen Fortgang, da der Kapitän und ich es an eifriger Thätigkeit nicht fehlen ließen. Nach etwa zehntägiger Arbeit hatten wir die Decken weg und die Seitenplanken so weit abgetragen, als wir für nöthig hielten. Wir waren eben mit Durchsägung des Gebälks beschäftigt, als die träge Ruhe unserer Leute durch einen gar seltsamen Streit unterbrochen wurde. Einer der Matrosen behauptete nämlich im Gespräch, der heilige Antonius sey in Padua geboren, während ihm ein paar andere widersprachen, und diese Meinungsverschiedenheit, welche anfangs eigentlich gar nichts war, endete, vermutlich weil sie in ihrer Trägheit einer Aufregung bedurften, mit einer ernstlichen Fehde, in welcher die Paduaner die Antipaduaner Ketzer und Juden nannten. Das Beiwort Jude aber erbitterte dermaßen, daß die streitenden Parteien, welche sich ganz das Gleichgewicht hielten, denn jede bestand aus vier Mann, am dritten Tage nach einem heftigen Wortwechsel aus dem Zelte herausstürzten, um die Angelegenheit mit ihren Messern zur Entscheidung zu bringen. Der Kampf war sehr grimmig und fand Statt, als der Kapitän und ich eben an der Schebecke beschäftigt waren. Ehe wir sie trennen konnten, waren vier derselben gefallen – zwei blieben todt auf dem Platz und die beiden anderen hatten schwere Wunden davon getragen. Es mag lächerlich erscheinen, daß sich Menschen wegen einer solchen Kleinigkeit auf Tod und Leben befehden sollten können; aber wie oft sieht man nicht, daß sich ganze Nationen wegen fast eben so geringfügiger Veranlassungen bekriegen und beiderseits Tausende hinschlachten. Mit Mühe gelang es uns, die übrigen Kämpfer zu trennen; auch blieb nachher ihr Muth und ihre Aufregung noch so groß, daß sie hin und wieder versuchten, von uns loszubrechen und den Angriff aufs Neue zu beginnen. Wir mußten sie deshalb endlich entwaffnen.

Dies war eine traurige Geschichte, die zu wehmüthigen Betrachtungen Anlaß gab, wenn man daran dachte, daß Leidensgenossen sich gegenseitig das Leben nehmen konnten, statt dem Allmächtigen für ihre Erhaltung dankbar zu seyn.

Wir begruben die beiden Erschlagenen und verbanden den Anderen ihre Wunden; indeß hatte der Zank doch die gute Wirkung, daß die vier Uebrigen zur Arbeit zurückkehrten und eifrig daran fortmachten. Wir hatten den oberen Theil der Schebecke entfernt und begannen nun am unteren das Gebälk und die Kielschwiene zu befestigen, so daß wir ein bedecktes Boot daraus machen konnten, welches im Lauf einer Woche hergestellt war. Indeß gab es noch viel zu thun. Wir hatten die Masten und Raaen nach dem Ebenmaß zu kürzen, Segel und Takelwerk zu verändern, ein kleines Steuer anzufertigen und Walzen zu machen, auf denen wir unser Fahrzeug nach dem Wasser hinunterrollen konnten. Alles dies nahm uns bei unseren geschmälerten Arbeitskräften einen weiteren Monat in Anspruch, denn obschon die beiden Verwundeten sich wieder erholten, waren sie doch noch immer so schwach, daß sie mit knapper Noth umher kriechen konnten. In den Abendstunden pflegten wir Schildkröten umzukehren, damit es uns an diesem Vorrath nie mangle. Jetzt untersuchten wir das Riff nach einem Kanal von tiefem Wasser, um unser Boot hinauszubringen – ein Geschäft, das uns auch auf eine gewisse Strecke hin gelang, dann aber unmöglich wurde, ohne daß wir vom Riff heruntergingen, und die Haifische waren so zahlreich, daß wir dies nicht wagen durften. Da wir übrigens an der Küste tief Wasser gefunden hatten, so nahmen wir für ausgemacht an, daß wir vermittelst desselben in die hohe See gelangen könnten. Wir brachten jetzt unser Boot auf die Walzen, indem wir den Sand unter ihm weggruben und bis an den Rand des Wassers einen Laufgraben zogen. Nach zweimonatlichem Aufenthalt auf der Insel war Alles so weit gediehen, daß wir unser Fahrzeug vom Stapel lassen konnten.

So sehr ich mich auch nach England zurücksehnte, kann ich doch nicht sagen, daß ich auf dieser Insel unglücklich war; denn wir hatten stets schönen Seewind, der die Luft kühlte und uns in den Stand setzte, ohne Erschöpfung fortzuarbeiten. Mit Ausnahme des erwähnten unseligen Streites war Alles ruhig abgelaufen. Nach beendigter Arbeit nahm ich, wie gewöhnlich, meine Zuflucht zu meiner Bibel und las stundenlang darin; dies übte stets einen beruhigenden Einfluß auf mich und beschwichtigte die von Zeit zu Zeit auftauchende Ungeduld. Ich fühlte, wie sehr ich Ursache hatte, dem Allmächtigen für meine Erhaltung zu danken, und es wäre sündhafte Thorheit von mir gewesen, wenn ich hätte murren wollen, weil ich nicht augenblicklich alle meine Wünsche erfüllt sah. Ich wartete daher ergebungsvoll ab, bis es Gott gefiele, unsere Lage zu ändern, und lebte des zuversichtlichen Vertrauens, daß Alles nur zu unserem Besten geschehe.

Endlich gelang es uns, das Boot ins Wasser zu bringen; es schwamm viel leichter, als wir in Anbetracht der großen Holzmasse erwartet hatten. Sobald wir es etwa 10 Fuß von der Küste ab vor Anker hatten, legten wir eine Laufplanke und nahmen alle unsere eingesalzenen Vorräthe, Wasser und was wir sonst für besonders nöthig hielten, an Bord. Das Unterbringen dieser Gegenstände beschäftigte uns zwei Tage; dann zogen wir die Raa aus, schlugen die Segel an, steckten die Ruder ein und nahmen uns vor, uns am andern Tage einzuschiffen. Da das Boot noch immer sehr leicht schwamm, so brachten wir auch so viele Schildkröten, als wir bequemerweise führen konnten, an Bord und begaben uns dann ans Land, um zum letztenmal auf der Insel der Nachtruhe zu pflegen.

Da für unsere Koffer kein Platz vorhanden war, so kamen wir überein, daß Jeder diejenigen Gegenstände, welche er am meisten brauchte oder werth hielt, in einen Bündel packen und an Bord schaffen sollte. Dieser Vorschlag, welcher von dem Kapitän ausging, erinnerte mich wieder an den Diamanten, an den ich während meines Aufenthalts auf der Insel kaum je gedacht hatte. Als ich ihn aus meinem Koffer nahm, fiel mir ein, es dürfte gut seyn, ihn für das Fortbringen bequemer einzurichten, da ja doch nicht vorauszusehen war, wie unsere neue Expedition ablief. Ich beobachtete daher, während die Uebrigen mit ihren eigenen Habseligkeiten beschäftigt waren oder schliefen, die Vorsicht, ihn mit Pech zu umkleben, damit er, im Falle er mir entrissen würde oder verloren ginge, nicht als Diamant zu erkennen wäre; dann nähte ich ihn in ein Stück Leder, das ich von einem alten Handschuh abgeschnitten, und befestigte ein starkes ledernes Taljereep daran, damit ich ihn um den Hals tragen könne. Nachdem dies, unbemerkt von allen andern, geschehen war und ich nichts weiter mehr zu thun hatte, nahm ich ein schönes Segelgarn und überstrickte meinen Pechkuchen nach Art des Mausens eines Stags in einer den Matrosen eigenthümlichen Weise, so daß er Aehnlichkeit mit einer Miniatur-Ankerboje hatte und mich an einen Abwehrer erinnerte, dergleichen man anzuwenden pflegt, um die Seiten eines Schiffes beim Zusammenprallen mit einem anderen vor Beschädigung zu schützen. Sobald meine Arbeit fertig war, legte ich das lederne Taljereep unter dem Hemde, damit es von Niemand gesehen werden konnte, um den Hals; dann packte ich meine noch übrigen Piaster, die fast die Summe von fünfhundert betrugen, nebst meinen besten Kleidern ein (ich hatte nämlich während meines Aufenthalts in Rio meinen Vorrath sehr vergrößert), und ich brauche kaum zu sagen, daß die alte Bibel nicht vergessen blieb.

Es war ein schöner ruhiger Morgen, als wir uns einschifften. Nachdem wir den Anker gelichtet, griffen wir nach unsern Rudern und fuhren durch den tiefen Kanal hinauf. Der Kapitän stand am Bug und gab die nöthigen Weisungen, während ich das Steuer führte. Das Boot ruderte und steuerte gut; wir hatten daher nur noch zu sehen, was es unter Tuch auszurichten im Stande war. Nach einer Arbeit von zwei Stunden hatten wir das Riff hinter uns und befanden uns in offener See. Jetzt zogen wir die Ruder ein und begannen unsere Vorbereitungen, um die Segel einer Briese darzubieten, die aus Süden blies. Nachdem Alles fertig war, hißten die Matrosen die Segel auf; aber wie dies geschah, bemerkte ich, daß ein Tau verschlungen war, und in dem Augenblicke, als ich es losmachen wollte, brachte es mich zu Fall, so daß ich mit dem rechten Knie auf eine Spacke stürzte, die tief eindrang und mir nicht nur große Schmerzen verursachte, sondern auch mein Bein völlig lähmte. Ich mußte mich im Sterne niedersetzen, da ich fast ohnmächtig war. Mittlerweile hatten die Matrosen die Segel aufgezogen, und das Boot steuerte wohl darunter; es stand so steif unter seinem Tuche, daß wir alle Ursache hatten, uns darüber Glück zu wünschen. Mein Knie schmerzte mich aber jetzt dermaßen, daß ich es nicht rühren konnte, weßhalb ich eines meiner Hemden aus dem Bündel nahm, es zum Verband zerriß und die Wunde damit umwickelte. Wir hatten uns vorgenommen, auf New-Providence, die größte Insel unter der Bahama-Gruppe abzuheben, denn es war uns bekannt, daß sich dort eine Stadt, Nassau genannt, befand, und von hier aus hofften wir Gelegenheit zu einer Fahrt nach Europa zu finden. Freilich wußten, wir nichts von dem Hafen, von den Einwohnern oder von dem Verkehr, den sie unterhielten.

Mehrere Stunden segelte unsere kleine Barke rüstig über das Wasser; aber gegen Abend schlug der Wind um, und das Wetter nahm eine drohende Gestalt an. Wir wußten kaum, wie wir steuern sollten, weil wir die Lage unseres verlassenen Eilands nicht kannten, und da jetzt der Wind von vorne kam, so holten wir auf den Backbordgang um, den Schnabel gegen Nordost gedreht. Mit dem Untergang der Sonne steigerte sich der Wind und die See schwoll an. Unser Boot benahm sich gut, bis zuletzt stärkere Stöße kamen; aber jetzt faßte es so viel Wasser, daß wir öhsen mußten. Wir hatten unsere Segel gerefft und alles so festanliegend gemacht, als wir konnten; aber da das Boot bei dem höher werdenden Wellenschlag mehr Wasser fing, so hielten wir es für räthlich, es dadurch zu erleichtern, daß wir alle Schildkröten über Bord warfen. Wir thaten dies ohne Leidwesen, denn wir hatten so lange von Schildkrötenfleisch gelebt, daß wir's endlich satt hatten. Der Tag brach an und brachte immer schlimmere Zeichen von schlechtem Wetter mit; die Wogen stießen und schäumten viel zu viel für ein so kleines Fahrzeug, wie das unsrige war. Gegen Mittag sahen wir leewärts von und ein Schiff am Wind; dieser Anblick versetzte uns alle in große Freude, und wir hielten darauf ab. Bald erkannten wir, daß es eine zwitterhafte Brigg war, die unter dicht gerefften Marssegeln und Versuchssegeln dahinlief. Wir steuerten unter ihr Heck und breieten. Im Hinterschiff bemerkten wir mehrere Männer, die uns augenscheinlich für einen Seeräuber hielten, da sie Musketen und andere Waffen in den Händen hatten. Wir theilten ihnen mit, wir hätten Schiffbruch gelitten, und könnten das Boot gegen den Sturm nicht halten; dann fuhren wir unter das Lee der Brigg hinüber.

Hier blieben wir vier oder fünf Stunden, während welcher Wind und Wellen sich schnell legten, so daß das Boot nicht länger Wasser einnahm. Indeß hatte uns die Gefahr, in der wir uns befanden, zu sehr erschreckt, als daß wir unsere Fahrt in dieser Weise fortsetzen wollten, wenn wir es anders haben konnten; wir dachten daher, wir könnten jetzt ohne Gefährde neben der Brigg auffahren, wo wir abermals breieten und um Aufnahme baten. Nach einigem Parlamentiren warfen sie uns ein Tau zu, welches wir an dem Boot befestigten; dann ließen wir unser Segel nieder und hielten breit ab, da die See noch immer hoch genug ging. Die auf der Brigg ließen sich nun in ein Gespräch mit uns ein, und ich theilte ihnen mit, was uns zugestoßen war, indem ich zugleich fragte, nach welchem Hafen sie gingen.

Ihre Antwort lautete: »nach Jamestown in Virginien.« Ich fragte dann, ob wir nicht einen Platz zum Mitfahren erhalten könnten, da wir uns scheuten, die Reise in unserm Boot fortzusetzen; wenn dies aber nicht angehe, so möchten sie uns wohlbehalten nach New-Providence bringen.

Der Kapitän kam nun nach dem Vorderschiff. Er war ein sehr finsterer Mann, dunkel wie ein Mulatte, mit scharfen, kleinen Augen und einer Hakennase. Nie zuvor hatte ich ein ungestalteteres und abstoßenderes Gesicht gesehen.

Er sagte, er könne nicht nach New-Providence gehen, da es aus seinem Wege liege; wenn wir es übrigens für passend hielten, so könnten wir leicht dahin kommen.

Ich versetzte, das Boot sei nicht groß und seewürdig genug; es sei eben erst beinahe untergangen, und wenn abermals ein Sturm käme, so würde es sicherlich scheitern – deshalb ersuche ich ihn wiederholt, uns an Bord zu nehmen.

»Habt Ihr Geld, um Eure Fahrt zu bezahlen?« fragte er.

»Ei,« versetzte ich, »die gewöhnliche Menschenfreundlichkeit und das Mitgefühl mit verunglückten Matrosen sollte schon zureichen, Euch zu bewegen, daß Ihr uns an Bord nehmt und nicht zu Grunde gehen laßt; aber wenn Ihr Geld verlangt,« fügte ich bei, »so haben wir mehr, als genug, um Euch zufrieden zu stellen.«

»Wie viel?« schrie ein kleiner Kerl von vierzehn Jahren, das leibhaftige Abbild des Kapitäns en miniature.

Ich gab auf diese Frage keine Antwort, und der Kapitän sagte sodann:

»Was habt Ihr mit dem Boote vor?«

»Natürlich lassen wir's triftig gehen,« versetzte ich.

»Was führt Ihr an Bord?« fragte er weiter.

Ich zählte nun, so gut ich mich erinnern konnte, unsere Mund- und andere Vorräthe auf.

»Gut,« versetzte er; »ich will warten, bis es ein wenig glatter ist; dann können wir das Boot leeren und Euch an Bord nehmen.«

Er verließ sodann den Gang, von dem aus er mit uns gesprochen, und wir taueten hinter der Brigg her.

»Dieser Kerl gefällt mir gar nicht,« sagte ich zu dem portugiesischen Kapitän. »Er scheint uns für Seeräuber zu halten, oder stellt sich wenigstens so an, während er mir eher selbst wie ein Pirat vorkommt.«

»Er sieht aus wie der leibhaftige Teufel,« versetzte der Kapitän. »Und dann das Ansinnen in unserer Lage, unsere Fahrt zu bezahlen! Er ist ein Ungeheuer! Gleichwohl haben wir Alle, Gott sei Dank, einige Dublonen.«

Nachdem eine Stunde später die See ruhiger geworden war, bedeutete uns der Kapitän der Brigg, heranzuscheeren; vier von uns sollten an Bord kommen, die übrigen aber im Boot bleiben, bis es ausgeräumt sei.

»Es ist wohl am besten, wenn Ihr geht,« sagte ich zu dem Kapitän; »denn bei so starker Bewegung werde ich mit meinem beschädigten Knie nie im Stande seyn, an der Seite hinaufzukommen.«

Wir schoren dann neben der Brigg her, und der Kapitän stieg, obschon nicht ohne Schwierigkeit, mit drei von unseren Leuten an Bord. Ich sah sie mit dem Kapitän der Brigg nach dem Hinterschiff hinuntergehen, mußte mich aber sehr wundern, daß sie sich nicht wieder auf dem Deck zeigten, obschon es mehr als eine halbe Stunde anstund, bis wir wieder aufgefordert wurden, an die Seite heranzufahren. Während dieser halben Stunde stiegen in mir schlimme Bedenken auf, daß hier etwas nicht richtig seyn müsse, weil ich weder des portugiesischen Kapitäns, noch der übrigen drei Männer ansichtig wurde. Ich kam auf den Gedanken, das Schiff sey ein Seeräuber, und in diesem Falle hatten wir nicht nur augenblickliche Plünderung, sondern vielleicht gar Ermordung zu gewärtigen. Ich beobachtete nun die Vorsicht, den Verband von meinem Knie abzulösen und den Diamant, den ich von meinem Halse nahm, unter dem Bug zu verbergen, wo er mit Leichtigkeit hielt; dann legte ich die Binden wieder um, denn ich glaubte, man werde mir sie wahrscheinlich nicht von meinem kranken Knie nehmen, um nachzusehen, ob nichts darunter verborgen sey. Nur mit Schwierigkeit gelangte ich an Bord der Brigg, und sobald ich auf dem Deck angelangt war, erhielt ich die Weisung, nach der Kajüte hinunterzugehen. Ich begab mich nach dem Hinterschiff und sah mich nach dem portugiesischen Kapitän nebst seinen Leuten um, konnte aber ihrer nicht ansichtig werden. Mit Schwierigkeit gelangte ich in die Kajüte hinunter, aber sobald ich mich dort befand, wurde ich an den Armen gepackt und von zwei Männern festgehalten, während andere mir die Hände banden.

Da der Kapitän diesem Verfahren zusah, so fragte ich ihn, was dieses rohe Benehmen zu bedeuten habe. Er entgegnete, wir seyen eine Bande schlauer Seeräuber, die ihm sein Schiff genommen hätten, wenn er nicht zu pfiffig für uns gewesen wäre. Ich erklärte diese Behauptung für eine Lüge, die sich leicht widerlegen lasse, da wir noch die Depeschen, mit denen wir beauftragt wären, an Bord hätten; auch könne ich den vollen Beweis führen, daß ich dieselbe Person sey, für die ich mich ausgebe; ich fürchte sehr, wir unsererseits seyen in die Hände von Seeräubern gefallen, aber es müsse mir Recht werden, sobald wir zu Jamestown anlangten, wenn er nicht etwa vorher uns zu ermorden gedenke. Er antwortete, er sey ein zu alter Vogel, um sich mit solcher Spreu fangen zu lassen, deshalb wolle er uns festmachen und, sobald er seinen Hafen anthue, den Behörden überliefern. In großem Zorn erwiederte ich hierauf, er werde sich dann von seinem Irrthum überzeugen, wenn sich's seinerseits von einem Irrthum handle; übrigens sey sein Benehmen schändlich – er sehe vollkommen wie ein Schurke aus, und ich glaube auch, er werde einer seyn.

»He, Ihr nennt mich einen Schurken?« rief er, eine Pistole gegen meinen Kopf anlegend.

»Ihr nennt uns Schurken!« fiel der vorerwähnte Bube, der augenscheinlich der Sohn des Kapitäns war, ein, indem er eine andere Pistole in die Hand nahm. »Soll ich ihn niederschießen, Vater?«

»Nein, Peleg, noch nicht; wir wollen sie alle bezahlen, wenn wir einlaufen. Nehmt ihn hinweg und legt ihn, wie die Uebrigen, in Eisen.«

Auf diesen Befehl hin wurde ich augenblicklich im Zwischendeck nach Vorn geschleppt und durch eine Thüre in den Scheidewänden hineingeschoben, wo ich den portugiesischen Kapitän mit seinen drei Begleitern bereits gefesselt antraf.

»Dies ist eine saubere Behandlung,« sagte er zu mir.

»Ja wohl,« versetzte ich; »aber er soll mir dafür büßen, wenn wir an's Land kommen.«

»Wird dies je der Fall seyn?« fragte der portugiesische Kapitän, indem er mich ansah und seine Lippen zusammendrückte.

»He, mein Mann,« sagte ich zu dem Matrosen, der mit einer Pistole und einem Stutzsäbel an der Thüre Wache stand, »wer seyd ihr, und was seyd ihr? sagt uns die Wahrheit: seyd ihr Piraten?«

»Ich bin's noch nie gewesen,« versetzte er, »und gedenke es auch nicht zu werden. Der Schiffer sagt jedoch, ihr seyet Seeräuber, und er habe euch im Augenblicke erkannt, als ihr neben uns anfuhrt. Dies ist Alles, was ich darüber weiß.«

»Nun, wenn wir Seeräuber sind, wie er sagt, und er uns erkannt hat, so fällt in die Augen, daß er in der Gesellschaft von Seeräubern gewesen seyn muß.«

»Möglich; aber ich weiß nichts davon,« versetzte der Matrose. »Ich halte nicht sonderliche Stärke auf ihn; aber er ist unser Kapitän, und wir müssen seinen Befehlen gehorchen.«

Der Mann brachte nun die drei andern Matrosen, welche im Boot gelassen worden waren, nach dem Vorderschiff. Sie erzählten uns, man habe alle Mund- und andere Vorräthe, Segel u. s. w. an Bord gebracht – ein Beweis, daß man das Boot ausgeweidet hatte, um es dann triftig werden zu lassen. Alle unsere Bündel seyen in der Hütte des Kapitäns drunten, und der häßliche Knirps, sein Sohn, habe eines nach dem andern untersucht und alles Geld, das er gefunden, seinem Vater eingehändigt; auch sie seyen visitirt worden, und wie sie gehört hätten, wolle der Kapitän auch uns einen nach dem andern holen lassen, um uns in gleicher Weise zu durchsuchen. So stellte sich's denn auch heraus. Ich wurde zuerst nach dem Hinterschiff genommen, und der kleine Halunke durchstörte mir meine Taschen; dann schaffte man mich wieder nach vorn und legte mich abermals in Eisen, worauf der portugiesische Kapitän und die drei übrigen Matrosen der Reihe nach vorgefordert wurden, um die gleiche Behandlung zu erleiden. Wir fragten unsere Matrosen, wie viel Geld sie in ihren Bündeln und in den Taschen hätten. Jeder besaß noch vier Dublonen, die er zu Rio als Lohn eingenommen, und der Kapitän hatte gegen vierzig. Meine Baarschaft bestand aus fünfhundert Piastern, so daß wir also um die runde Summe von vierhundert Pfund Sterlingen beraubt worden waren, unsere Kleider nicht mitgerechnet, die doch auch einigen Werth für uns hatten – wenigstens ließ sich dies jedenfalls von den meinigen behaupten.

Die Matrosen, welche uns bewachten und sich gegenseitig ablösten, waren durchaus nicht grämlich oder übelwollend. Während der Nachtwache fragte ich einen derselben, ob er glaube, daß uns der Kapitän das Leben zu nehmen gedenke.

»Nein, dies geben wir nicht zu,« sagte er. »Ihr seyd vielleicht Piraten, wie er behauptet, obschon wir's nicht recht glauben können; aber selbst als Seeräubern soll euch ehrlich Spiel werden – hierüber sind wir Alle eins geworden. Wir können's nicht leiden, daß man Einen zuerst hängt und hintendrein in's Verhör nimmt.«

Ich unterhielt mich lange mit diesem Mann, der augenscheinlich sehr redselig war. Er theilte mir mit, das Schiff heiße der Transcendant, segle von Virginien nach Westindien und komme auch bisweilen nach England; der Kapitän sey zugleich der Eigenthümer; aber woher er komme, oder was er sey, wüßten sie nicht. Er gelte für einen Virginier, und sie glaubten auch, daß er es sey, denn er habe eine Tabakpflanzung dort, welche von seinem ältesten Sohne bewirtschaftet werde. Den Kapitän nannte er einen filzigen, geizigen Kerl, der wegen eines Schillings ein Menschenleben zum Opfer bringen könne; zu Jamestown erzähle man sich seltsame Geschichten von ihm.

Die Unterhaltung mit diesem Mann befriedigte mich sehr, weil ich die Versicherung daraus entnahm, daß unser Leben von keiner Gefahr bedroht war; auch scheute ich mich nicht vor dem Ergebniß meiner Ankunft zu Jamestown, da, wie ich bereits oben bemerkte, Mr. Trevannion Schiffe hatte, welche nach diesem Hafen segelten und ich mich der Namen der Personen noch wohl erinnerte, an welche die Fahrzeuge und Ladungen consignirt waren.

Am folgenden Tage kam der Kapitän der Brigg in Begleitung seines liebenswürdigen Sohnes nach dem Vorderschiff, um von uns, die wir in Ketten dalagen, Augenschein zu nehmen. Diese Gelegenheit benützte ich, um ihn mit den Worten anzureden:

»Ich habe Euch um Euern Schutz gebeten, Sir, und Ihr habt mich fesseln lassen. Ihr raubtet uns unser Geld in einem Betrage von fast vierhundert Pfunden, und entzieht uns auch unser übriges Eigenthum. O, daß ich nur erst wieder auf freiem Fuße wäre. Ich habe Euch den Beweis angeboten, daß ich ein Mann von Vermögen sey, aber Ihr weigertet Euch, mich anzuhören. Jetzt aber will ich Euch sagen, daß ich ein Associé des Hauses Trevannion in Liverpool bin, und daß wir Schiffe haben, welche zwischen Jamestown und diesem Hafen segeln. Unsere Fahrzeuge sind an die Herren Faierbrother und Wilcocks zu Jamestown consignirt, und bei meiner Ankunft wird Euch dies bald bewiesen seyn. Dann sollt Ihr nicht nur das geraubte Eigenthum wieder herausgeben, sondern verlaßt Euch darauf, daß Ihr mir auch für die Behandlung, die Ihr uns erwiesen, theuer büßen sollt.«

»Faierbrother und Wilcocks,« murmelte er. »Zum Geier mit dem Kerl! Oh«, fuhr er fort, indem er sich gegen mich wandte, »vermuthlich kennt Ihr die Namen dieser Firma von einem Schiffe, das Ihr geplündert und versenkt habt. Nein, nein, damit reicht Ihr bei mir nicht aus; alte Vögel lassen sich nicht mit Spreu fangen.«

»Ich glaube, Ihr seyd selbst ein Seeräuber gewesen, wenn Ihr es nicht noch seyd,« versetzte ich; »jedenfalls seyd Ihr ein Dieb und ein erbärmlicher Schurke – doch unsere Zeit wird kommen.«

»Ja sie wird kommen,« ergriff nun der Kapitän der Schebecke das Wort; »und merkt Euch wohl, Ihr Halunke, wenn Ihr Euch auch durchlügen und durch Bestechung mit der Gerechtigkeit fertig werden könnt, so sollt Ihr doch sieben portugiesischen Messern nicht entgehen.«

»Nein, nein,« riefen die portugiesischen Matrosen; »wartet nur, bis wir festen Boden unter uns haben, und dann kommt an's Land, wenn Ihr das Herz habt.«

»Ei, Vater,« sagte jetzt das hoffnungsvolle Knäblein, »dies sieht übel aus. Ich rechne, wir hängen sie lieber, als daß wir und wie Schweine abstechen lassen. Meint Ihr nicht, daß sie zu dem fähig wären, was sie drohen?«

Nie werde ich den teuflischen Ausdruck des Brigg-Kapitäns vergessen, nachdem er die portugiesischen Matrosen also hatte sprechen hören. Er führte eine Pistole in seinem Gürtel, die er jetzt herauszog.

»Recht so, Vater, schieß sie nieder; todte Leute schwatzen nicht aus, wie du immer zu sagen pflegst.«

»Nein, nein,« sagte der wachhabende Matrose, indem er ihnen mit seinem Stutzsäbel zurückwinkte; »es soll da kein Erschießen oder Hängen stattfinden – wir Alle haben darauf geschworen. Wenn sie Seeräuber sind, so gibt es Gesetze im Lande, nach denen sie gerichtet werden sollen; sind sie's aber nicht, – je nun, dann lautet das Liedchen anders.«

Der Kapitän warf dem Matrosen einen Blick zu, als hätte er ihn selbst erschießen können; dann aber wandte er sich hastig um und ging nach der Kajüte zurück, wohin ihm sein würdiger Sprößling folgte.

Sieben Tage hatten wir in Ketten gelegen, als wir von den Matrosen auf dem Deck Land ankündigen hörten, welchem der Schnabel der Brigg zugewandt wurde. Am Abend legte das Fahrzeug bei und steuerte mit dem nächsten Morgen wieder einwärts; wir bemerkten, daß wir uns nunmehr in glattem Wasser befanden. Mit Einbruch der Nacht wurde der Anker niedergelassen, und wir fragten die Wache, ob wir zu Jamestown angelangt seyen. Die Antwort lautete verneinend; wir seyen in einem Fluß an der Küste, den aber weder er noch irgend Jemand von der Mannschaft kenne; auch wüßten sie nicht, warum der Kapitän hier geankert habe; sie hätten mehrere Canoes mit Indianern über den Fluß setzen sehen, aber so viel sie entdecken könnten, scheine hier herum nirgends eine weiße Ansiedlung zu seyn. Das Geheimniß klärte sich übrigens mit dem nächsten Morgen auf. Ein kleines Boot, das kaum acht Mann halten konnte, wurde vom Stern niedergelassen und an die Seite heraufgebracht; man holte uns, Einen nach dem Andern, aus unserer Haft hervor, entkleidete uns bis auf die Hosen, ohne uns auch nur ein Hemd zu lassen, und dann erhielten wir Befehl, in's Boot zu steigen. Sobald wir alle d'rin waren und unser Gewicht das kleine Fahrzeug bis an den Gunnel in's Wasser drückte, wurden uns zwei Ruder eingehändigt, und nun sagte der Kapitän der Brigg:

»Ihr schurkische Seeräuber, ich hätte euch alle an den Galgen bringen können, und würde es auch gethan haben, da ich euch genau kenne. Ich erinnere mich noch gut, wie ihr die ›Elisa‹ plündertet, als ich in der Höhe von Portorico war; aber wenn ich euch zu Jamestown dem Gefängniß überantworte, muß ich zwei oder drei Monate warten, bis der Gerichtshof seine Sitzungen hält, und ich kann mich um solcher Schurken willen nicht aufhalten. Rudert also an's Land und seht zu, wie Ihr fortkommen könnt. Augenblicklich weg mit euch, oder ich sende euch noch eine Kugel durch's Gehirn.«

»Haltet fest,« rief ich, »und laßt ihn Feuer geben, wenn er es wagt. Ihr Leute von dem Transcendant, ich rufe euch zu Zeugen dieser Behandlung auf. Euer Kapitän hat uns eine große Summe Geldes geraubt und läßt uns nun triftig laufen, so daß wir unter Wilden landen müssen, die uns augenblicklich tödten werden. Ich wende mich an euch – könnt ihr diese Grausamkeit, dieses Unrecht dulden? Wenn ihr Engländer seyd, so bin ich überzeugt, daß ihr ein solches Verfahren nicht zugeben werdet.«

Meine Worte hatten einige Vorstellungen gegen den Kapitän der Brigg zur Folge; aber während derselben lehnte sich der Sohn des schurkischen Schiffseigenthümers über die Seite und schnitt mit seinem Messer den Anstreicher oder das Tau, mit welchem das Boot befestigt war, durch. Die Fluth war sehr stark im Gange, so daß wir in weniger als einer halben Minute weit im Stern der Brigg standen und schnell stromaufwärts trifteten.

Wir griffen nun zu unsern Rudern und versuchten der Brigg nachzukommen, weil wir wußten, daß die Matrosen für uns Partei nahmen, aber vergeblich. Die Fluth lief sehr stark, und in einer weiteren Minute waren wir trotz aller unserer Anstrengungen fast um fünfhundert Ellen von der Brigg abgekommen; auch war das Boot so sehr belastet, daß wir es kaum wagen durften, uns zu rühren, damit wir nicht umschlugen. Es blieb uns daher keine andere Wahl, als an's Land zu gehen, und uns dem Zufall zu überlassen; wie aber die Matrosen gegen das Ufer umholen wollten, hielt ich es bei weiterer Ueberlegung für besser, nicht sobald zu landen, da die Leute in der Brigg uns gesagt hatten, sie hätten Indianer in ihren Kähnen gesehen. Demgemäß machte ich den Vorschlag, wir sollten das Boot mit der Fluth stromaufwärts und mit der Ebbe wieder hinabtriften lassen, wir selbst aber bis zur Dunkelheit in Mitte des Stromes bleiben; dann konnten wir landen und in den Wäldern Schutz suchen. Mein Rath fand Anklang; wir blieben still im Boot sitzen und benützten unsre Ruder nicht weiter, als daß wir den Schnabel in der Strömung hielten; da wir aber ohne Hemden waren, so bedeckte die glühende Sonne unsere Rücken mit Blasen, und wir hatten bis Nachmittag viel zu dulden. Um diese Zeit mußten wir fast vier Meilen in dem Strom, der so breit war, wie am Eingange des Seearms, hinauf getriftet seyn; aber jetzt begann die Ebbe, die uns wieder abwärts nahm, bis gegen die Dunkelheit hin todt Wasser eintrat. Diese ganze Zeit über hielten wir scharfen Lugaus, um zu sehen, ob wir keine Indianer entdecken könnten, die sich übrigens nirgends blicken ließen. Ich machte jetzt den Vorschlag, wir sollten zu unsern Rudern greifen und aus dem Strom hinausfahren, als ob wir nur eine Untersuchung vorgenommen hätten; denn die Brigg hatte aus Mangel an Wind in einer Entfernung von nicht ganz zwei Seemeilen Anker geworfen, und wenn Indianer in der Nähe waren, so mußten diese auf den Glauben kommen, daß wir nach dem Schiff zurückkehren. In Gemäßheit dieses Raths ruderten wir fort, bis es dunkel war und nur noch eine Seemeile von der Brigg entfernt standen; aber jetzt ging die Fluth auf's Neue stark, weshalb wir den Schnabel des Boots wieder stromaufwärts drehten und nach Kräften ruderten, um möglichst weit zu kommen, ehe wir an's Land gingen. Inzwischen litten wir viel von Hunger und Durst sowohl, als um des Umstandes willen, daß wir uns bei dem beschränkten Raum nicht zu rühren vermochten. Mein Knie war wieder geheilt, weshalb ich jetzt den Verband abwarf und den Diamanten wieder wie früher um den Hals hing. Ich konnte mich einer geheimen Freude nicht erwehren, wenn ich daran dachte, wie wenig sich's der spitzbübige Kapitän träumen ließ, daß ihm ein so reicher Schatz entging, weil er mich triftig werden ließ. Gegen Mitternacht hatte die Fluth ihre Höhe erreicht, und wir nahmen uns nun vor, zu landen; nur fragte sich's, ob wir uns dann trennen oder beieinander bleiben sollten. Nach einiger Berathung beschlossen wir, zwei Haufen zu bilden, und der portugiesische Kapitän wollte sich zu mir halten. Zuerst schoben wir das Boot in den Strom, damit es in die See hinaustriften möchte, und nachdem wir uns unter herzlichen Händedrücken Lebewohl gesagt hatten, brachen wir in verschiedenen Richtungen auf. Eine Weile gingen der Kapitän und ich schweigend durch die Wälder, wurden aber endlich von einem Strom tiefen Wassers mit so hohen Ufern angehalten, daß wir in der Dunkelheit nicht wußten, wie wir hinüberkommen sollten. Wir gingen eine Strecke weit an der Seite hin, um einen Uebergangspunkt zu finden, mußten aber zuletzt entdecken, daß wir uns an den Ufern des Flusses befanden, auf dem wir herauf gekommen waren. Denn wir sahen dicht vor uns unser Boot liegen, welches in kleiner Entfernung von der Stelle, wo wir es abgeschoben hatten, auf den Strand gelaufen war. Wir kosteten das Wasser und fanden es ganz süß, was uns um so mehr Wunder nahm, da es während des Einlaufens der Fluth bei mehrfachen Versuchen salzig geschmeckt hatte. Wir löschten nun unsern Durst nach Herzenslust und setzten uns nieder, um auszuruhen, denn obschon wir nur eine halbe Stunde gegangen, hatte uns doch der mühsame Weg durch das Gebüsch sehr erschöpft.

»Ich glaube,« sagte ich zu dem Kapitän, »daß uns dieses Boot verrathen wird; wäre es daher nicht besser, wir nähmen es wieder in Besitz? Zwei finden darin ein gemächliches Unterkommen, und ich denke, es geht in einem Boot eben so gut, wo nicht besser vorwärts, als wenn wir uns ohne Compaß und Führer durch die Wälder schlagen müssen.«

»Ich bin mit Euch einverstanden,« versetzte der Kapitän; »aber was sollen wir thun?«

»Kehren wir wieder um – wir rudern mit der Ebbe nach der Mündung des Flusses und dann der Küste entlang. Vielleicht gelangen wir nach einer Ansiedelung, wenn wir nicht etwa unterwegs Hunger sterben.«

»Ihr habt Recht,« entgegnete er; »so wird's am besten seyn. Bei Tag verbergen wir uns und Nachts fahren wir an der Küste weiter.«

Wir wateten in den Fluß hinein, stiegen in das Boot und ruderten wieder aufwärts. Der leichte Nachen ließ sich nun gut fortbringen und wir kamen schnell vorwärts. Mit Tagesanbruch hatten wir den Fluß im Rücken und befanden uns dicht vor einer kleinen Insel, die in der Nähe der Mündung lag. Wir waren sehr erschöpft, weshalb wir hier zu landen beschlossen, um uns vor den Eingebornen zu verbergen und den Versuch zu machen, ob wir nicht Lebensmittel auffinden könnten. Das Boot lief auf den Strand, und wir verbargen es unter dem Gebüsch, welches bis an den Wassersaum hinunterwuchs. Nachdem wir uns überall umgesehen, ohne etwas entdecken zu können, machten wir uns auf den Weg, um Nahrung zu suchen, und fanden auch wirklich einige wilde Pflaumen, die wir mit Gier verzehrten; dann gingen wir wieder an die Küste hinunter, wo sich einige Klippen befanden, und erbeuteten daselbst ein paar Schaalthiere, deren harte Mäntel wir zwischen zwei Steinen zerschlugen, um an das Fleisch zu kommen. Nachdem unser Hunger gestillt war, legten wir uns im Schirme des Boots nieder und schliefen ein. Wir waren so müd, daß wir erst spät Abends erwachten; und nun beschlossen wir wieder aufzubrechen und nordwärts an der Küste hin zurudern. Aber wie wir unser Boot in's Wasser lassen wollten, bemerkten wir in der Entfernung einer Seemeile eine Canoe, welches in der Richtung der Insel der Strommündung zusteuerte. Dies bewog uns, Halt zu machen und wieder in unser Versteck zu kriechen. Das Canoe kam immer näher und geradenwegs auf die Stelle zu, wo wir verborgen lagen, so daß wir schon entdeckt zu seyn glaubten. Dies war jedoch nicht der Fall, denn es lief etwa fünfzig Schritte von uns an's Land und die darin Angelangten holten nun den Nachen aus dem Wasser, um ihren Weg zu Land fortzusetzen. Wir konnten sehen, daß es vier Männer waren, aber in der Dunkelheit ließ sich nicht weiter unterscheiden. Nachdem wir uns noch eine Viertelstunde ruhig verhalten hatten, machte ich den Vorschlag, daß wir uns wieder einschiffen sollten.

»Habt Ihr schon ein Canoe gerudert?« fragte mich der portugiesische Kapitän.

»In Afrika sehr oft,« versetzte ich; »aber dort bestehen sie aus ausgehöhlten Baumstämmen.«

»Bei mir ist es der gleiche Fall; indeß glaube ich nicht, daß zwischen diesen und den Canoes ein sonderlicher Unterschied ist. Könnt Ihr rudern?«

»Ja,« erwiederte ich.

»Ich auch,« sagte er. »Merkt jetzt auf: ich glaube, es ist das beste, wenn wir uns jenes Canoes bemächtigen. Wir kommen besser darin fort, denn unser Boot wird stets Aufmerksamkeit erregen, was bei seiner Canoe nicht der Fall seyn wird. Außerdem gewinnen wir damit, daß diese Indianer uns nicht folgen können, wenn sie anders, wie ich vermuthe, gekommen sind, uns auszuspüren.«

»Ich denke, Ihr habt Recht,« sagte ich. »Aber wie greifen wir's an?«

»Einfach so: Ihr schiebt unser Boot ab, geht daneben her und schleppt es nach der Stelle hinauf, wo das Canoe liegt; ich aber begebe mich nach letzterem hin und bringe es in's Wasser. Wir machen uns dann mit beiden Fahrzeugen davon, bis wir weit genug außen sind, um nicht mehr eingeholt werden zu können. Sitzen wir beide in Canoe, so lassen wir das Boot triftig werden.«

Ich war mit diesen Vorschlägen einverstanden. Unser Boot gelangte in aller Stille in's Wasser, und ich watete knietief daneben her, es bis zu dem Canoe fortschiebend. Der Portugiese dagegen kroch auf Händen und Füßen nach seinem Bestimmungsorte, machte den Rindenkahn flott und schloß sich mir an. Letzteren nahmen wir in's Schlepptau unseres Bootes, bestiegen dieses und ruderten von der Insel ab.

Wir hatten jedoch noch keine hundert Ellen Seeraum gewonnen, als ein Pfeil an unsern Ohren vorbeizischte. Es war also augenscheinlich, daß die Indianer uns entdeckt hatten. Zwei oder drei weitere Pfeile kamen nun einhergeflogen, aber wir waren jetzt weit genug außen, so daß sie harmlos niederfielen. Wir fuhren zu rudern fort, bis wir etwa zweihundertfünfzig Ruthen von der Insel weg waren, und legten dann die Ruder nieder. Der Himmel war sternhell und der Mond stand im ersten Viertel, so daß wir ziemlich gut sehen konnten. Die Ruder des Canoes lagen auf den Kreuzstücken. Wir brauchten nun nichts aus dem Boot zu nehmen, als unser Schlepptau und die zwei kleinen Ruder; diese brachten wir in das Canoe, stiegen ein und ließen das Boot triftig gehen. Jetzt arbeiteten wir uns, so gut es gehen wollte, nordwärts zwischen der Insel und dem Festland hin.

Da der Kapitän weit anschicklicher war, als ich, so übernahm er das Amt des Steuermanns. Das Wasser war spiegelglatt und wir kamen rasch vorwärts; auch machten wir in unsrer Anstrengung bis zum Grauen des Morgens fort, indem wir nur hin und wieder für ein paar Augenblicke ausruhten. Wir konnten nun die Insel, welche wir verlassen, kaum mehr unterscheiden und standen jetzt ungefähr zwei Seemeilen vom Festlande ab. Diese gesicherte Lage gab uns Gelegenheit, den Inhalt unseres Fahrzeuges zu untersuchen, und wir hatten allen Grund, über unsere Erwerbung erfreut zu seyn. Auf dem Boden lagen drei Bärenhäute, mehrere Pfunde gekochten und ungekochten Yams, zwei Kalabaschen voll Wasser, Bogen und Pfeile, drei Fischleinen mit Angeln und einige kleine Schläuche voll schwarzer, weißer und rother Farbe. Der wertheste Fund für uns waren übrigens einige Kieselsteine und ein großer, rostiger Nagel mit mürbem Holz, das als Zunder dienen konnte.

»Wir können uns glücklich preisen,« sagte der Kapitän. »Aber ehe wir nach der Küste einwärts rudern, müssen wir uns nach Weise der Indianer bemalen. Jedenfalls müßt Ihr Euch schwärzen, da Ihr kein Hemd habt, und ich habe ein Gleiches zu thun, obschon ich's nicht so sehr brauche, wie Ihr.«

»Zuerst wollen wir essen und trinken,« versetzte ich; »mit unserer Toilette können wir nachher fertig werden.«


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