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Eilftes Kapitel.

Ich lasse mich aus dem Dienste meines Rheders entfernen – werde verhaftet, nach London gebracht und in den Tower gesteckt. – Besuch eines römischen Geistlichen, durch dessen Vermittlung ich meine Freiheit wieder erlange. – Ich breche nach Liverpool auf und finde daselbst meinen Rheder und Kapitän Levee. – Ihre Ueberraschung. – Miß Trevannion.


Sobald ich meinen Anker niedergelassen und die Segel beschlagen hatte, besuchte ich meinen Rheder, der mich mit einer Umarmung empfing und dann in das Hinterzimmer neben seinem Comptoir führte.

»Mein theurer Elrington,« begann er, »so gut Ihr es auch eingeleitet habt, um die jakobitischen Gentlemen fortzubringen, so hegt doch die Regierung starken Verdacht, sie seien an Bord Eures Schiffs gewesen, und ich habe bei ihrer Flucht mitgewirkt. Ob man nach Eurer Rückkehr Maßregeln ergreifen wird, weiß ich nicht. Möglich, daß sie Kunde erhalten haben; vielleicht spüren auch die Emissäre der Polizei unter Eurer Mannschaft etwas aus, und wenn dies der Fall ist, so haben wir die Rache des Gouvernements zu gewärtigen. Sagt mir nun, wo Ihr Eure Passagiere gelandet habt, und theilt mir die ganze Geschichte Eures Kreuzzugs mit, denn ich habe von denen, welche die vom Pfeil genommenen Prisen mitbrachten, nur wenig erfahren können. Kapitän Levee hat zuviel mit seinem eigenen Schiff und mit der Prise zu thun, als daß er vor zwei Stunden ans Land kommen könnte; ich wünsche daher mit Euch allein über diese Angelegenheit zu sprechen.«

Nachdem ich ihm alle meine Abenteuer und die Art, wie der französische Kaper genommen worden war, erzählt hatte, sagte er:

»Wenn die Regierungsspione, deren es allenthalben die Menge gibt, von Eurer Mannschaft in Erfahrung bringen, daß Ihr zu Bordeaux Passagiere gelandet habt, so werdet Ihr zuverlässig verhaftet und verhört werden, wenn Ihr Euch nicht aus dem Wege macht, bis die Geschichte verrauscht ist. Natürlich werden die Matrosen in den Wirthshäusern das Abenteuer mit dem französischen Kaper erzählen, und in diesem Falle muß sich herausstellen, daß Ihr in Frankreich am Lande wart. Ihr habt mir zu Gefallen Euch dieser Gefahr ausgesetzt, Elrington, und ich muß Euch daher aus Eurer Schwierigkeit helfen. Wenn Ihr Euch für eine Weile versteckt halten wollt, so zahle ich natürlich alle Kosten.«

»Nein,« versetzte ich; wenn man ausfindig macht, was stattgefunden hat, und mich deshalb greifen will, so halte ich's für's Beste, Stand zu halten. Verberge ich mich, so fahndet man nur um so eifriger nach mir, und die Regierung wird nur um so mehr in ihrem Wahn befestigt, daß ich ein sogenannter Verräther sei. Sie wird einen Preis auf meine Verhaftung setzen und dadurch Anlaß geben, daß ich, sobald ich mich blicken lasse, ergriffen werde. Wenn ich dagegen kühn auftrete und zur Rede gestellt werde, so sage ich unverholen, ich habe wirklich Passagiere gelandet – einen solchen Akt können sie in keinem Fall zum Hochverrath stempeln. Wenn Ihr also nichts dagegen habt, so will ich bleiben. Ich brauche kaum zu sagen, daß ich die ganze Verantwortlichkeit auf mich nehme und die Erklärung abzugeben gedenke, ich habe meine Reisenden ohne Euer Wissen an Bord genommen. In dieser Beziehung könnt Ihr ruhig sein.

»Wenn ich die Sache reiflich überlege, so habt Ihr am Ende Recht,« versetzte mein Rheder. »Ich bin Euch dankbar für Euer Erbieten, mich nicht bloszustellen; indeß würde ich es nicht annehmen können, wenn ich nicht wüßte, daß ich Euch im schlimmsten Falle vielleicht dienstlich zu sein vermöchte; denn wenn auch ich ins Gefängniß geworfen würde, wäre natürlich von einer Vermittelung durch mich keine Rede.«

»Wohlan denn, Sir,« entgegnete ich, »das Beste, was Ihr thun könnt, besteht darin, daß Ihr mir das Kommando des Kapers abnehmt, weil Ihr in Erfahrung gebracht, daß ich Passagiere geführt und sie in Frankreich gelandet habe. Durch diesen Schritt erweist Ihr Euch als einen Freund der Regierung und kommt vielleicht später in die Lage, mir auf eine wirksame Weise aus der Klemme zu helfen.«

»Ihr wollt Euch selbst zum Opfer bringen, Elrington, und dies Alles für mich?«

»Nicht doch, Sir, ich sichere mir für den Nothfall blos einen Freund.«

»Und der soll Euch wahrlich nicht entstehen,« versetzte mein Rheder, mir die Hand drückend. »Dieser Plan wird in der That auch für Euch der beste sein, und so wollen wir darnach handeln.«

»Gut. Ich kehre jetzt an Bord zurück und bedeute den Offizieren, daß ich entlassen sei. Es ist keine Zeit zu verlieren. Doch da kömmt Kapitän Levee – also vor der Hand Gott befohlen, Sir!«

Nachdem ich an Bord zurückgekehrt war, berief ich Offiziere und Mannschaft zusammen und erklärte ihnen, der Rheder sei unzufrieden mit mir und habe mir das Kommando des Kapers abgenommen. Einer der Offiziere fragte mich nach dem Grund, und ich antwortete vor den Matrosen, es geschehe deshalb, weil ich die Passagiere in Frankreich gelandet habe. Sie drückten insgesammt ihre Theilnahme und ihr Bedauern gegen mich aus, daß ich Sie verlasse; auch glaube ich, daß es ihnen Ernst damit war. Dieses mein Benehmen war sehr am Platz gewesen, denn ich machte die Entdeckung, daß die Regierungsspione um die Zeit meiner Erklärung sich bereits an Bord eingeschlichen und von einigen meiner Mannschaft die erwünschte Auskunft erhalten hatten. Ich ließ nun meine Koffer sammt meinem Bettzeug ins Boot schaffen, woraus ich dem ersten Offizier das Kommando übergab, meinen Leuten Lebewohl sagte, über die Seite hinunterstieg und ans Land ruderte, um mich nach meiner früheren Wohnung zu begeben.

Dort war ich kaum einige Stunden, als ich verhaftet und ins Gefängniß gebracht wurde. Als Staatsgefangener hatte ich übrigens ein sehr gemächliches Quartier erhalten, denn ich glaube, daß man überhaupt einen Mann, der geviertheilt werden und dessen Kopf die Thore des Towers zieren soll, weit mehr Achtung erweist, als einem geringfügigen Uebelthäter. Am andern Tage wurde ich vor die sogenannte Kommission berufen und befragt, ob ich einige Personen in Frankreich ans Land gesetzt habe. Meine Antwort war ein unverhohlenes Ja.

»Wer waren sie?« lautete die nächste Frage.

»Sie gaben sich für römisch-katholische Geistliche aus,« versetzte ich, »und ich glaube, daß sie mir hierin die Wahrheit sagten.«

»Warum habt Ihr dies gethan?«

»Erstlich, weil mir jeder 100 Guineen zahlte und zweitens weil ich sie für unheilbrütende gefährliche Menschen hielt, die mit Verschwörung gegen die Regierung umgingen. Ich meinte, je bälder man sie aus dem Lande schaffe, desto besser sei's.«

»Woraus entnahmt Ihr, daß es Verräther waren?«

»Meiner Meinung sind alle römischen Geistlichen Verräther, und ich hasse sie eben so sehr wie die Franzosen. Mit einem Pfaffen aber ist schlimm umgehen, und ich dachte, ich thue ein gutes Werk, wenn ich das Land von solchem Unkraut säubere.«

»Wer war außerdem in die Sache eingeweiht?«

»Niemand. Ich hatte mich persönlich mit ihnen verständigt, ohne daß ein Offizier oder ein Matrose an Bord irgend Kunde davon erhielt.«

»Aber Euer Rheder, Mr. Trevannion – war nicht dieser dabei betheiligt?«

»Nein. Nach meiner Rückkehr nahm er mir das Kommando des Kapers ab, da er Wink davon erhalten, ich habe die Priester in Frankreich ans Land gesetzt.«

Es wurden mir noch viele andere Fragen vorgelegt, die ich insgesammt sehr vorsichtig beantwortete, ohne übrigens eine Verlegenheit zu verrathen. Nach einem Verhör von vier Stunden erklärte mir der Präsident der Kommission, ich habe meinem eigenen Zugeständniß gemäß der Flucht böswilliger Verräther Vorschub und Beihülfe geleistet, folglich dadurch gehindert, daß sie ihr gerechtes Schicksal auf dem Schaffot ereile. Hiedurch sei ich selbst des Verraths schuldig geworden und müsse daher das Urtheil der Ober-Kommission in London erwarten, wohin ich den andern Tag gebracht werden solle. Ich entgegnete, ich sei ein treuer Unterthan, der die Franzosen und die katholischen Verschwörer in gleicher Weise hasse, und habe in der ganzen Sache nach bester Ueberzeugung gehandelt; müsse dies als Unrecht betrachtet werden, so handle sichs bloß um einen Irrthum im Urtheil, und Jeder, der mich einen Verräther nenne, lüge dies in den Hals hinunter.

Meine Erwiederung wurde zu Protokoll genommen und ich in das Gefängniß zurückgeschickt.

Am andern Nachmittag kam der Kerkermeister mit zwei Personen in mein Gemach, und einer davon theilet mir mit, daß ich unter ihrer Bewachung nach London gebracht werden solle. Man führte mich hinaus, und ich fand an der Thüre drei Pferde, von denen ich eines zu besteigen die Weisung erhielt. Sobald ich im Sattel saß, wurden mir unter dem Bauch des Thieres mit einem Strick die Beine zusammengebunden, damit ich nicht entfliehe; mein Roß aber war in der Mitte der beiden andern, auf welchen meine Hüter ritten, so befestigt, daß nach jeder Seite hin ein Zügel lief. Um den Eingang des Gefängnisses fand ein großes Gedränge statt, und unter den Zuschauern bemerkte ich sowohl Kapitän Levee, als meinen Rheder. Natürlich war ich nicht so unklug, von einem derselben Notiz zu nehmen, und auch sie thaten nicht dergleichen, als ob sie mich kennten.

Ich brauche Euch wohl nicht zu sagen, meine theure Madame, wie sehr es meine Gefühle empörte, also wie ein gemeiner Verbrecher abgeführt zu werden; indeß muß ich doch meinen Hütern die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie mich sehr höflich behandelten. Sie entschuldigten sich gegen mich, daß sie genöthigt wären, solche Sicherheitsmaßregeln zu ergreifen, und benahmen sich unterwegs mit der größten Freundlichkeit gegen mich.

Da Alles schon vorbereitet war, so traten wir unsere Reise an; indeß fand unser Aufbruch sehr spät statt, weil einer meiner Führer vor die Kommission beschieden worden war und fast drei Stunden auf seine Briefschaften hatte warten müssen. Wie sich denken läßt, konnten wir nicht schnell reisen, und es ging meist im Schritt, was ich sehr bedauerte, denn ich sehnte mich nach dem Ort meiner Bestimmung und nach einer möglichst baldigen Entscheidung meines Geschicks.

Fast eine Stunde nach Einbruch der Dunkelheit stürzte von der Seite des Weges her ein Männerhaufen, von dem Einige den Pferden in die Zügel fielen und Andere meinen beiden Begleitern aus dem Sattel halfen, indem sie dieselben am Beine ergriffen und über die andere Seite hinunter warfen. Dies ging so schnell von Statten, daß die zwei Männer, welche wohl bewaffnet waren, keine Zeit fanden, eine Pistole oder irgend eine andere Wehr in Anwendung zu bringen, und sobald sie auf dem Boden lagen, wurden sie augenblicklich ergriffen und übermannt. Die Gesichter der Männer, welche in dieser Weise die königliche Polizei angegriffen hatten, waren geschwärzt, so daß man sie nicht erkennen konnte; aus den Stimmen aber entnahm ich, daß dieses Werk von den Offizieren und Matrosen des Kapers herrührte.

Jetzt so schnell als möglich fort mit Euch, Kapitän Elrington,« sagte Einer davon, »wir wollen diese Kerle schon in unsere Obhut nehmen.«

Ich saß noch immer im Sattel. Anfänglich verwirrte mich zwar der plötzliche Angriff; indeß hatte ich doch Zeit gefunden, mich zu fassen, und über das Benehmen, welches ich einschlagen wollte, einen Entschluß zu fassen. Wie ich dem Rheder schon bei Gelegenheit unserer Berathung bemerkt hatte, fühlte ich wohl, daß eine Flucht nur den schlimmen Tag verschieben hieß, und daß es am Besten war, wenn ich meinem Geschick keck entgegen trat. Ich richtete mich daher in meinen Bügeln auf und sagte zu den Männern mit lauter Stimme:

»Meine guten Freunde, ich bin Euch zwar sehr dankbar für die Mühe, die Ihr Euch um meinetwillen gegeben habt, da sie mir ein Beweis eurer Geneigtheit sind; indeß kann und werde ich keinen Vortheil davon ziehen. In Folge irgend eines Irrthums bin ich als Verräther angeklagt, während ich doch das Bewußtsein in mir trage, daß ich ein treuer loyaler Unterthan bin. Gleichwohl zweifle ich nicht, daß sich meine Unschuld nach meiner Ankunft in London völlig herausstellen wird, und ich kann deshalb die Gelegenheit, zur Flucht, welche sich mir hier darbietet, nicht benützen. Ich achte die Gesetze meines Vaterlandes und bitte Euch, das Gleiche zu thun. Erweist mir den Gefallen, die beiden Gentlemen, die ihr zu Euren Gefangenen gemacht habt, wieder loszulassen, und helft ihnen auf ihre Pferde, denn es ist fest bei mir beschlossen, daß ich nach London gehen will, um daselbst ehrenvoll freigesprochen zu werden. Noch einmal, meine Jungen, vielen Dank für Eure wohlwollende Absicht; aber jetzt wünsche ich Euch Lebewohl und wenn Ihr mir eine große Gunst erweisen wollt, so geht in Frieden auseinander und laßt uns unsere Wanderung fortsetzen.

Die Männer bemerkten, daß es mir Ernst war, und thaten daher, wie ihnen geheißen wurde. Eine Minute später befand ich mich wieder bei meinen Hütern allein.

»Ihr habt Euch ehrenvoll und vielleicht auch weise benommen, Sir,« bemerkte der Eine meiner Führer, als er eben sein Pferd besteigen wollte. »Ich will Euch nicht fragen, wer diese Leute waren, obschon ich nicht zweifle, daß sie Euch nicht unbekannt waren.«

»Ihr irrt,« versetzte ich. »Allerdings konnte ich vermuthen, woher sie kamen, aber ich habe auch nicht eine einzige Person erkannt.«

Ich gab diese vorsichtige Antwort, obschon ich wußte, daß sich Kapitän Levee und einer meiner Offiziere unter dem Haufen befunden hatten.

»Kapitän Elrington, Ihr habt uns den Beweis geliefert, daß man Euch trauen kann; wenn Ihr uns daher Euer Wort gebt, keinen Fluchtversuch machen zu wollen, so wird es uns zur großen Freude gereichen, alle mißliebigen Maßregeln zu beseitigen.«

»Ich habe Euch bereits den überzeugenden Nachweis gegeben, daß es mir nicht um's Entkommen zu thun ist, und leiste deßhalb bereitwillig die Zusage, daß ich meinen Sinn nicht ändern werde.«

»Dies ist zureichend, Sir,« entgegnete der Polizeibeamte.

Er schnitt sodann den Strick ab, durch den meine Beine zusammen gebunden waren, und übergab mir auch die beiden an den andern Pferden befestigten Zügel.

»Wir können jetzt nicht nur angenehmer, sondern auch rascher unsere Reise fortsetzen,« fügte er bei.

Nachdem meine Führer ihre Pferde wieder bestiegen hatten, ritten wir in gutem Trab wieder weiter, und nach einer Stunde erreichten wir den Ort, wo wir übernachten sollten. Wir fanden das Nachtessen bereit und erhielten gute Betten. Meine Begleiter ließen mich fortan völlig zwanglos, und wir begaben uns zur Ruhe. Am andern Tag setzten wir unsere Reise in derselben Weise fort. Meine Führer waren angenehme gebildete Leute, und wir unterhielten uns unverhohlen über alle nur erdenklichen Gegenstände, so daß Niemand mich für einen Staatsgefangenen gehalten haben würde.

Am fünften Tag erreichten wir London, und meine Begleiter überantworteten mich nun ihrer Weisung gemäß an den Aufseher des Towers. Sie sagten mir Lebewohl, gaben mir das Versprechen, daß sie nicht ermangeln würden, meines Verhaltens löblich gegen die Behörden zu erwähnen, und machten mir Hoffnung einer baldigen Befreiung. In dieser Aussicht bezog ich fast frohen Herzens die für mich bereiteten Gemacher, die hoch und gut gelüftet waren.

Am dritten Tage nach meiner Ankunft wurde eine Commission nach dem Tower geschickt, um mich zu verhören, und ich gab dieselben Antworten, wie früher. Es war ihnen namentlich um eine Beschreibung der Personen zu thun, die ich in Frankreich gelandet hatte, und ich ertheilte umständliche Auskunft. Wie ich später ausfindig machte, hatte ich hierin sehr thöricht gehandelt; denn würde ich ihre Außenseite anders geschildert haben, so hätte man angenommen, sie seien wirklich vier katholische Priester gewesen. Aus meiner genauen Beschreibung ging jedoch hervor, daß ich die vier Verräther, wie man sie nannte, in Sicherheit brachte, auf die man es ganz besonders abgehoben hatte, um an ihnen ein Beispiel zu geben. Der Verdruß der Commissare über diese Entdeckung verstimmte sie so sehr gegen mich, daß mein nachheriges Betragen mir keine Geneigtheit gewinnen konnte.

Drei Wochen entschwanden, und ich war nachgerade meines Gefängnisses herzlich satt. Mein Kerkermeister sagte mir, er fürchte, daß meine Angelegenheiten schlecht stünden und nach Ablauf einer weiteren Woche theilte er mir mit, ich sei wegen Vorschubs und Unterstützung von Verrath verurtheilt worden. Ich muß sagen, daß ich einen solchen Erfolg nicht erwartet hatte, und die Nachricht schlug mich völlig nieder. Ich fragte meinen Schließer, welche Quelle er für seine Kunde habe, worauf er mir erwiederte, von den Vielen, welche zur Bergung der Rebellen mitgeholfen hätten, sei nicht ein Einziger überführt worden, als eben ich, und zwar durch das eigene Geständniß; die Behörden hielten es deßhalb für unbedingt nöthig, ein abschreckendes Beispiel zu geben, damit nicht Andere denen Vorschub leisteten, welche sich noch im Lande verborgen hielten; aus diesen Gründen haben der geheime Rath den Beschluß gefaßt an mir ein Exempel zu statuiren. Er sagte mir noch viel mehr, was ich nicht zu wiederholen brauche; indeß will ich hier anführen, daß jedenfalls die leidenschaftliche Gesinnung daraus hervorging, welche die Machthaber gegen Alle unterhielten, die dem geschlagenen Feind Beistand geleistet hatten. Ich fühlte, daß für mich nichts zu hoffen war, und bereitete mich vor, meinem Geschick entgegen zu gehen.

Aber leider war ich nur schlimm für das Sterben vorbereitet, meine theure Madame, – nicht daß ich den Tod fürchtete, wohl aber, weil mir vor dem Zustand nachher bangte. Ich hatte leichtsinnig und ohne Furcht vor göttlichen oder menschlichen Gesetzen dahin gelebt; die religiösen Gefühle, die mir mein trefflicher Lehrer während meiner Jugend einzuflößen bemüht gewesen (Ihr kennt meine Familiengeschichte, und ich brauche daher nicht weiter zu sagen) hatten sich in der lockeren Gesellschaft, in welcher ich nach meinem Austritt aus dem väterlichen Hause meine Zeit verbrachte, allmählig verwischt, und als ich hörte, daß ich sterben sollte, wurde mein Geist in hohem Grade unruhig. Ich wünschte einen Rückblick zu thun auf mein vergangenes Leben, um mich selbst zu prüfen, wußte aber kaum, wo ich anfangen sollte.

In meinem Geiste war Alles ein wüstes Chaos. Ich konnte mich wohl vieler schlimmen, aber nur weniger guten Handlungen entsinnen und kam mir jetzt vor, wie ein Schiff ohne Steuer und ohne Lothsen. Nach vielen Stunden tiefen Nachdenkens gab ich das Geschäft der Selbstschau verzweifelnd auf, mich mit den Worten tröstend: »nun, wenn es sein muß, so geschehe es.« Ich fühlte Lust, dem Himmel Trotz zu bieten, weil ich mir eingestehen mußte, daß er sich für mich nicht öffnen könne. In solchem Zustand verbrachte ich mehr als eine Woche nach dem Einlaufen der Kunde von meiner Verurtheilung, bis ich endlich über das Wesen unseres Glaubensbekenntnisses und über die Bedingungen nachzudenken begann, unter denen uns Erlösung angeboten ist. Diese Betrachtung ließ mich einen Hoffnungsschimmer erschauen, und ich bat den Kerkermeister, mich mit einer Bibel zu versehen, in welcher ich Tag und Nacht las, denn ich erwartete mit jedem Morgen zur Hinrichtung abgeführt zu werden. Bisweilen wandelten mich schwere Todesängsten an. Aber die Zeit entschwand, und es vergingen abermals vierzehn Tage, während deren ich von meiner Lektüre Vortheil zog. Meine vielen Versündigungen und mein schuldbeladenes Leben erfüllten mich mit einiger Zerknirschung; auch fühlte ich, daß ich durch die Verdienste dessen gerettet werden könne, der für die ganze Welt gestorben ist. Mein Vertrauen wurde mit jedem Tage lebendiger und mein Geist gewann mehr Ruhe. Eines Morgens kam der Kerkermeister mit der Meldung zu mir, daß ein Geistlicher da sei, welcher mich zu sprechen wünsche. Als ich hörte, daß der Besuch ein katholischer Priester sei, so wollte ich ihn bereits zurückweisen; aber nach einiger Erwägung besann ich mich eines Andern und ließ ihn vor. Er war ein großer hagerer Mann mit einem dunkeln spanischen Gesicht.

»Wenn ich nicht irre,« begann er, »so seid Ihr Kapitän Elrington, welcher einigen unsrer armen Freunden zur Flucht behülflich war und jetzt wegen dieses wohlwollenden Aktes verurtheilt ist?«

»Ja, Sir,« lautete meine Antwort.

»Ich weiß,« fuhr er fort, »daß Euer Glaubensbekenntniß nicht das meinige ist, und bin daher nicht gekommen, um mit Euch über ernste Dinge zu sprechen, wenn Ihr es nicht etwa selbst wünscht. Der Zweck, welcher mich hieher führt, besteht einfach darin, daß ich Euch, weil wir wegen Rettung unserer Freunde in Eurer Schuld stehen, meine Dienste in Allem anbieten möchte, worin ich Euch von einigem Nutzen sein kann. Habt Ihr keinen Wunsch zu bestellen, keine Mittheilung an Eure Freunde zu machen, für den Fall, daß Ihr für Euer edelmüthiges Benehmen den Tod erleiden solltet? Ich schwöre Euch zu, Eure Aufträge sollen auf's treulichste besorgt werden.«

Bei diesen Worten nahm er aus den Falten seines Rockes ein Crucifix und küßte es.

»Ich danke Euch für Euer freundliches Anerbieten,« entgegnete ich, »brauche Euch aber mit Nichts zu bemühen. Ich habe meine Familie aus Gründen, die ich nicht auseinander zu setzen brauche, längst verlassen, und sie weiß nicht, ob ich noch am Leben oder todt bin. Mein Name ist ein angenommener und ich wünsche unter demselben zu sterben, damit die Meinigen nicht durch einen schmählichen Tod beschimpft werden oder überhaupt in Erfahrung bringen, ich sei auf dem Schaffott umgekommen.«

»Vielleicht habt Ihr Recht,« versetzte der Priester. »Aber laßt uns über einen andern Punkt sprechen. Habt Ihr keine Freunde, die sich für Euch verwenden – die Eure Begnadigung und Befreiung auswirken könnten?«

»Keine,« erwiederte ich, »als diejenigen, welche, wie ich überzeugt bin, schon vornweg alle ihre Kräfte aufbieten, so daß für sie keine Aufforderung von meiner Seite nöthig ist.«

»Kennt Ihr Niemand bei Hof,« sagte der Priester, »keinen hochgestellten Regierungsbeamten – oder vielmehr einen im Gouvernement verwendeten Gegner der Regierung? Denn die Menschen sind heutzutag nicht immer was sie scheinen, oder als was sie sich ausgeben.«

»Ich stehe in keiner Beziehung zu vornehmen Personen,« erwiederte ich. »Als ich mich von einem der Gentlemen, die ich zu Bordeaux landete, verabschiedete, gab er mir die Adresse einer Dame in Paris und forderte mich auf, wenn ich in Bedrängniß komme, durch sie mich an ihn zu wenden. Doch dies bezieht sich auf ein Mißgeschick, das mir etwa in Frankreich zustoßen könnte – in England kann sie natürlich nichts für mich thun.«

»Habt Ihr die Adresse der Dame?«

»Ja,« versetzte ich; »sie steht auf dem ersten Blatte meines Taschenbuchs. Hier ist sie.«

Der Priester las den Namen und sagte sodann.

»Ihr müßt augenblicklich einige Worte an sie schreiben und sie von Eurer Lage unterrichten. Ich will dafür sorgen, daß der Brief wohlbehalten überliefert wird, noch ehe die Woche vorüber ist.«

»Aber was kann sie möglicherweise für mich thun?« entgegnete ich.

»Hierüber Euch Auskunft zu geben, bin ich außer Stande; so viel aber weiß ich, daß geschehen wird, was sich möglicherweise erzielen läßt. Hurtig Euer Schreibzeug!«

Der Priester rief den Kerkermeister und ersuchte ihn um Schreibmaterialien. Sie wurden gebracht und in einigen Minuten hatte ich der Aufforderung entsprochen.

»Hier ist der Brief, Sir. Ich habe Euch zu Gefallen geschrieben, muß aber aufrichtig gestehen, daß ich den Versuch für nutzlos halte.«

»Wäre ich Eurer Ansicht, so würde ich Euch nicht gerathen haben, zu schreiben,« entgegnete er. »In diesen unruhigen Zeiten läuft ein Räderwerk durch einander, von dem Ihr keinen Begriff habt. Meine größte Furcht besteht nur darin, daß der Beistand zu spät anlangen könnte.«

Der Priester verabschiedete sich von mir und ich blieb in tiefen Gedanken zurück. Ich bedachte, daß die Adresse dieser Dame mir von demselben Mann gegeben worden war, welchen man so gerne als Verräther festgenommen hätte, und kam zu dem Schlusse, daß mir durch eine Verwendung von dieser Seite her kein Vortheil erwachsen konnte, weshalb ich nach einer Viertelstunde mich der ganzen Sache entschlug und wieder in den heiligen Schriften zu lesen begann. Als am andern Morgen der Schließer wieder zu mir kam, konnte ich mich der Bemerkung nicht erwehren, die Verzögerung meiner Hinrichtung überrasche mich, da ich nun doch schon so viele Tage verurtheilt sey. Seine Antwort lautete, dem Vernehmen nach sehen Andere wegen desselben Vergehens in Haft gebracht worden, und man warte nur, bis sie überwiesen seyen, um alle an dem gleichen Tage den Tod erleiden zu lassen; der Befehl zu meiner Hinrichtung sey am letzten Freitag eingelaufen, am nämlichen Nachmittag aber wieder zurückgenommen worden. Obschon mich dies überzeugte, daß ich mir mit keiner Hoffnung schmeicheln durfte, freute ich mich doch, mehr Zeit zur Vorbereitung gewonnen zu haben, und nahm meine Lektüre mit großem Eifer wieder auf. Nach Ablauf einer weiteren Woche kam der Kerkermeister mit feierlichem Gesicht und augenscheinlicher großer Theilnahme zu mir herein, mir die Nachricht überbringend, die übrigen Verhafteten seyen von der Commission gerichtet und verurtheilt worden; man erwarte daher, daß die Hinrichtung morgen oder übermorgen stattfinden werde. Diese Ankündigung ergriff mich nicht sonderlich; ich war auf mein Schicksal gefaßt und hatte gewissermaßen mit dem Leben abgeschlossen. Alle Hoffnungen auf ein häusliches Glück und Bande der Verwandtschaft waren dahin und ich blickte mit Abscheu auf meine Laufbahn als Kaperschiffer zurück – auf ein Leben voll Ruchlosigkeit und Blutvergießen, mit so schwerem Fluch belegt von den heiligen Schriften, die ich vor mir hatte.

Ich bedachte, wenn ich das Gefängniß verließe, habe ich kein anderes Mittel des Unterhalts und müsse deshalb wahrscheinlich zu meinem früheren Leben zurückkehren, wodurch ich meine Seele mit einer noch schwereren Last von Verbrechen belüde, und obschon mir hin und wieder bei dem Gedanken, die Welt so jung verlassen zu müssen – eine Welt, die ich nicht hassen konnte – das Herz schwer wurde, fügte ich mich doch nach einigen Stunden der Einkehr in meinem Innern in mein Geschick und rief aus aufrichtiger Seele: »Dein Wille geschehe!« Ihr werdet vielleicht bemerkt haben, Madame, wie meine ganze Laufbahn trotz meiner Sündhaftigkeit, den Beweis lieferte, daß ich kein verhärteter Verbrecher war. Das Gute war ungeachtet aller meiner Ausschweifungen und der schlimmen Gesellschaft, welche ihres Einflusses auf mich nicht verfehlte, nicht ganz aus meinem Innern verdrängt, sondern blos in Schlummer gewiegt gewesen.

Ich betete jetzt und betete angelegentlich; auch glaubte ich, daß mein brünstiger Ruf Erhörung gefunden hatte. In dieser Gemüthsstimmung befand ich mich am Vorabende des Tags, der zu meiner Hinrichtung bestimmt war, als der Kerkermeister und einer der Sheriffs-Beamten, von dem vorerwähnten katholischen Priester begleitet, in meine Zelle traten. Ich ersah aus dem Gesicht des Gefängnißaufsehers, der ein menschenfreundlicher Mann war, daß er keine unangenehme Kunde zu überbringen hatte. Der Sheriffs-Beamte überlieferte ihm einen Befehl zu meiner Freilassung, und mit Erstaunen mußte ich jetzt von dem Kerkermeister vernehmen, daß meine Begnadigung unterzeichnet und ich frei sey. Die Nachricht betäubte mich völlig, und ich stund da, ohne Worte der Erwiederung zu finden. Der Geistliche winkte seinen beiden Begleitern mit der Hand zu, daß sie das Zimmer verlassen möchten, und sie entsprachen der Aufforderung. Meine Augen folgten den sich Entfernenden und fielen dann auf die Bibel, welche vor mir auf dem Tisch lag; dann sank ich von der Bank herunter auf die Kniee nieder, bedeckte mein Gesicht und betete. Meine Gebete waren verwirrt und ich wußte kaum, was ich sagte – so viel aber ist gewiß, daß sie aus der Tiefe meines Herzens gen Himmel quollen, als Dankopfer für die unerwartete Bewahrung von einem schmachvollen Tode. Nach einer Weile erhob ich mich wieder und bemerkte nun den Priester, dessen Anwesenheit ich ganz vergessen hatte. Er war auf der andern Seite des Tisches niedergekniet und hatte mit mir gebetet; ich fühlte, daß er es für mich gethan hatte. Nachdem ich mich erhoben, stand auch er wieder auf.

»Ich hoffe, Kapitän Elrington,« sagte er nach einer Pause, »daß die Gefahr, die Euch bedrohte, auf Euer ganzes künftiges Leben Einfluß haben und daß die schwere Heimsuchung an Euch nicht verloren seyn wird.«

»Auch ich hoffe es, Sir,« versetzte ich. »Diese Schule des Leidens hat, ich fühle es wohl, zu meinem Besten gedient. Indeß glaube ich, daß ich blos Euren Anstrengungen meine Befreiung zu danken habe.«

»Ich trug blos Sorge dafür, daß Euer Brief pflichtlich und schleunigst überliefert wurde. Mit dem besten Willen konnte ich nicht weiter thun, da ich keine Macht besitze; und dies war nur wenig für einen Mann, der unsere Freunde in ihrer Noth so großmüthig unterstützt hat.«

»So soll ich also glauben, daß ich der Verwendung einer französischen Dame, die am Hof von Versailles ist, meine Befreiung verdanke?«

»Allerdings. Zwar mag Euch dies befremdlich erscheinen, Kapitän Elrington, aber dennoch ist es der Fall. Merkt Euch, in diesen stürmischen Zeiten kann der herrschende Monarch dieses Landes seine Freunde nicht von seinen Feinden unterscheiden; er muß auf ihre Versicherungen bauen, und diese sind nicht immer aufrichtig. Es sitzen Viele in dem Geheimenrath, die sich dem sogenannten Prätendenten, wenn er gesiegt hätte, längst angeschlossen haben würden – Männer, die ihm alles Glück wünschten, obschon sie es nicht wagen durften, ihm offenen Beistand zu leisten. Der Einfluß der fraglichen Dame über diese Personen hat über die wahren Anhänger des hannöverischen Königs den Sieg davon getragen, und so habt Ihr also Niemand anders, als dieser Eurer Gönnerin Eure Begnadigung zu verdanken. Ich theile Euch dies im Vertrauen mit, und Ihr werdet keinen Mißbrauch davon machen, da Ihr dadurch nur Eure Freunde verrathen würdet. Kann ich Euch sonst in irgend etwas zu Dienst seyn? – denn es steht Euch nun frei, Euer Gefängniß zu verlassen, sobald Ihr nur wollt.«

»Nein, ich danke Euch, mein wackerer Sir,« erwiederte ich. »Meine Geldmittel reichen mehr als zu, um meinen Gefängnißwärter zu belohnen und meine Reise nach Liverpool zu bestreiten.«

»So nehmt meinen besten Dank und meine aufrichtigen Wünsche für Euer Wohl. Ich will Euch nicht weiter lästig fallen – nur noch damit, daß ich Euch für den Fall einer Noth meine Adresse gebe. Ihr habt Euch durch Euer Benehmen warme Freunde gewonnen, und wenn Ihr je ihres Bestandes bedürft, so soll er Euch nicht entstehen.«

Der Priester schrieb seine Adresse auf ein Stück Papier und trat sodann auf mich zu.

»Unser Glaubensbekenntnis! ist zwar nicht ganz das Gleiche, aber, mein Sohn, Ihr werdet wohl meinen Segen nicht zurückweisen?«

Mit diesen Worten legte er seine Hand auf mein Haupt.

»Gewiß nicht,« versetzte ich, mich auf meine Kniee niederlassend. »Ich nehme ihn mit dankerfülltem Herzen an.«

»Gottes Segen sey mit Dir, mein Sohn,« sagte er bewegt und verließ sodann meine Zelle.

Die Aufregung, in welche mich vorher schon die Ankündigung meiner Freiheit versetzt hatte, und der Abschied von diesem wohlwollenden Priester wirkten so übermächtig auf meine Gefühle, daß ich, sobald ich mich allein sah, in einen Strom von Thränen ausbrach. Nachdem ich mich wieder gefaßt hatte, erhob ich mich von meiner Bank, steckte meine Habseligkeiten in meinen Mantelsack und rief den Gefängnißaufseher herbei, dem ich unter lebhaften Danke für sein liebevolles Benehmen gegen mich, so lange ich sein Gefangener war, ein ansehnliches Geschenk machte. Dann drückte ich ihm die Hand, belohnte den Schließer, der mich bedient hatte, und eine Minute später hatte ich die Thore des Towers hinter mir. Wie klopfte mir das Herz, als ich wieder die freie Luft athmete!

Ich blickte umher und bemerkte, daß viele Menschen mit Errichtung eines Schaffots beschäftigt waren. Das Herz sank mir ob diesem Anblick, dessen Bedeutung mir im Augenblick klar war; doch um mir noch mehr Gewißheit zu verschaffen, wandte ich mich an eine alte Frau, die in einer Art von Marktbude an das gemeine Volk Meth verkaufte, mit der Frage, für wen dieses Gerüst errichtet werde.

»Man schlägt es für die Leute auf, die morgen hingerichtet werden sollen, weil sie den Jacobiten zur Flucht verhalfen,« lautete ihre Antwort. »Beliebt Euer Gestrengen nicht, ein Morgenmethchen einzunehmen?«

»Ich bin nicht durstig,« versetzte ich und ging hastig, mein Felleisen auf den Schultern, von hinnen.

Da ich in diesem Theile von London fremd war, so wußte ich nicht, wohin ich meine Schritte lenken sollte. Ich ging über den freien Platz vor dem Tower hin und gelangte in die sogenannte Katharinenstraße, wo ich eines Wirthshauses ansichtig wurde. Hier trat ich nun augenblicklich ein und war froh, mich einigermaßen verbergen zu können, denn es kam mir vor, als sehe mich alle Welt darum an, daß ich eben erst aus dem Gefängniß entlassen worden sey. Ich fand in dem Hause ein anständiges Unterkommen und gute Nachtherberge. Am andern Morgen sorgte mir der Wirth für ein Paar gute Pferde und einen jungen Burschen, der sie wieder zurückbringen sollte, worauf ich mich nach Liverpool auf den Weg machte. Eine Reise von fünf Tagen brachte mich ohne weiteres Abenteuer nach dieser Stadt, wo ich alsbald nach meiner Ankunft die Wohnung meines Rheders, des Mr. Trevannion, aufsuchte. Ich nahm meinen Reisesack vom Pferd meines Begleiters, bezahlte letzteren für seine Dienstleistung und klopfte, da es bereits dunkel war, an die Thüre zunächst derjenigen, welche nach dem Comptoir führte. Sie ging auf; aber wie das öffnende Dienstmädchen meiner ansichtig wurde, ließ sie voll Schrecken das Licht fallen und schrie: »Hilfe! O Gott! – ein Geist, ein Geist!« Ein Bote nämlich, der nach meiner Verurtheilung ausdrücklich um meiner Lage willen nach London geschickt worden war, hatte die Kunde überbracht, daß keine Hoffnung vorhanden sey und ich am letzten Montag den Tod erlitten hätte. Es war Samstag Abend, als ich in Liverpool eintraf. Wie Mr. Trevannions Buchhalter den Lärm auf der Flur außen vernahm, kam er mit Licht heraus; aber als er mich bemerkte und das Mädchen ohnmächtig auf dem Boden liegen sah, fuhr er erschrocken nach der angelehnten Thür zurück und stürzte rücklings in das Gemach, in welchem sein Gebieter saß, und zwar mit solcher Gewalt, daß er unter den Tisch zu liegen kam, an welchem Mr. Trevannion sich gewohntermaßen mit Kapitän Levee an einer Pfeife erlabte. Dies veranlaßte den Kapitän gleichfalls mit einem Lichte herauszukommen. Kaum war er meiner ansichtig geworden, als er auf mich zustürzte, mich mit Wärme umarmte und, während der Buchhalter sich aus dem Staube machte, ins Zimmer hinein rief:

»Hier ist Elrington gesund und wohl, Sir!«

Auf diese Ankündigung kam auch Mr. Trevannion heraus, warf sich mir in die Arme und sagte:

»Ich danke Gott für alle seine Gnadenbezeugungen, vor allem aber dafür, daß ich nicht Euren Tod verschuldet habe, mein theurer Elrington. Kommt herein,« fügte er mit stotternder Stimme bei. Und sobald er seinen Sitz wieder eingenommen hatte, legte er den Kopf auf den Tisch und schluchzte in freudiger Aufregung.

Ich folgte Kapitän Levee ins Zimmer und wollte mir eben einen Stuhl nehmen, als ich bemerkte, daß außer Mr. Trevannion und meinem Freunde noch eine dritte Person, nämlich die Tochter des ersteren anwesend war: das heißt, ich hielt sie dafür, denn ich wußte, daß Mr. Trevannion Wittwer und von seinen drei Kindern nur ein Mädchen am Leben geblieben war. Sie mochte ungefähr siebenzehn Jahre zählen und war eben erst aus einem protestantischen Kloster zurückgekehrt: denn so nannte man die Anstalten zu Chester, in welcher junge Mädchen gebildet wurden. Mr. Trevannion hielt noch immer das Gesicht verhüllt und hatte sich von dem Ausbruch seiner Empfindungen noch nicht erholt, weshalb das Mädchen mit den Worten auf mich zutrat:

»Kapitän Elrington, Ihr habt Euch edel gegen meinen Vater benommen; nehmt dafür meine Hand zum Zeichen der Freundschaft.«

Da ich eben aus der Dunkelheit kam, so waren meine Augen geblendet, auch fühlte ich mich durch alles Vorgefallene so verwirrt, daß ich nicht wußte, wo mir der Kopf stand. Indeß nahm ich die dargebotene Hand an und beugte mich darüber hin, obschon ich wahrhaftig sagen muß, daß ich damals ihre Züge nicht zu unterscheiden vermochte. Nur so viel bemerkte ich, daß sie von schmächtiger, sehr zierlicher Gestalt war. Als sie sich wieder nach ihrem Sitze zurückzog, redete mich Mr. Trevannion, der sich inzwischen von seiner Aufregung erholt hatte, folgendermaßen an:

»Ich dachte, Euer Kopf sey in diesem Augenblick über den Thoren von Templebar aufgepflanzt, und Kapitän Levee wird Euch sagen, daß mich diese Idee stets umspukt hat, denn ich fühlte und es würde mir mein Lebenlang nachgegangen seyn, daß ich die Ursache Eures Todes war. Gott segne Euch, mein theurer Sir, und möge ich Gelegenheit finden, Euch meine Dankbarkeit sowohl, als meine Achtung für Euer edles Benehmen gegen mich und für das Opfer, das Ihr mir bringen wolltet, zu bezeugen. Ich weiß es selbst nur zu gut und Ihr braucht mir's nicht zu sagen, daß Ihr alle traurigen Folgen jener Angelegenheit auf die eigenen Schultern nahmet und lieber in den Tod gehen, als mich verrathen wolltet.«

»Mein theurer Elrington,« sagte Kapitän Levee, »ich sagte unserer Mannschaft, und Ihr habt mich zu einem wahren Propheten gemacht, daß Ihr nun und nimmermehr zum Verräther werden könntet, sondern dem Tod muthig ins Auge sehen würdet. Wie Ihr hereinkamt, hatten wir eben von Euch gesprochen, da wir Euch für todt hielten. Ich muß Euch sagen, daß Mr. Trevannion mehr als einmal Willens war, sich selbst auszuliefern und die Wahrheit einzugestehen; ich hinderte ihn übrigens daran, da es ein nutzloses Opfer gewesen wäre.«

»Ja, das habt Ihr gethan; aber gleichwohl lag die ganze Sache so schwer auf meinem Gewissen, daß nur Eure Beharrlichkeit und der Gedanke an das arme Mädchen, welches ich als Waise in der Welt zurücklassen mußte, mich von diesem Schritte zurückzuhalten vermochte; denn das Leben war mir zur Last geworden.«

»Ich freue mich sehr, daß Ihr dies unterließet, Sir,« versetzte ich. »Mein Leben ist von geringem Werth. Ich habe Niemand zu unterstützen, Niemand zu lieben und Niemand, der um meinen Tod klagte. Eine feindliche Kugel kann mich bald aus der Welt schaffen, und es ist dann nur ein Mensch weniger da, um den sich im Grunde doch Niemand bekümmert hat.«

»Dies verhält sich jetzt jedenfalls anders,« entgegnete Mr. Trevannion. »Aber habt die Güte, uns zu sagen, wie Ihr Eure Flucht bewerkstelligtet?«

»Ich bin nicht entflohen,« erwiderte ich. »Hier ist meine Begnadigung mit der königlichen Unterschrift.«

»Und wie erhieltet Ihr diese?« rief Kapitän Levee. »Ich kann Euch versichern, daß die lebhafteste Verwendung einiger standhaften Freunde der Regierung vergeblich war, denn Ihr dürft nicht glauben, daß wir hier unten müßig gewesen seyen. Wir wichen nicht aus London, bis Ihr verurtheilt waret; denn jede Bitte, Euch zu besuchen oder brieflich mit Euch zu verkehren, wurde uns abgeschlagen.«

»So ist's wohl am Besten, wenn ich mit dem Anfang beginne und den ganzen Hergang berichte. Zuerst muß ich Euch danken, mein theurer Levee, für Euern freundlichen Beistand, dessen ich mich nicht bedienen wollte, weil ich – freilich irrthümlicher Weise – es für klüger hielt, ein Gefangener zu bleiben. Ich meinte schon, meine Weigerung zu entfliehen müsse von der Regierung als ein Beweis meiner Unschuld betrachtet werden. Allerdings wußte ich damals nicht, mit was für böswilligen Personen ich zu thun hatte.«

Ich begann sodann meine Erzählung, die den Rest des Abends in Anspruch nahm. Darauf folgten Glückwünsche; wir rauchten noch ein paar Pfeifen, und da ich ermüdet war, begaben wir uns zu Bette. In dieser – ich darf wohl sagen – ersten Nacht der Ruhe nach meiner Befreiung schlief ich nur wenig, denn ich fühlte mich glücklich und verwirrt zumal. Während meiner Gefangenschaft hatte ich mir Gedanken gemacht, daß das Leben eines Kaperschiffers keine Laufbahn sey, der ich mit gutem Gewissen folgen konnte, weshalb ich denn auch aus meiner Herreise den Entschluß gefaßt hatte, es aufzugeben. Ich wußte, daß dies Mr. Trevannion unangenehm seyn konnte und Kapitän Levee mich darüber verspotten würde, weshalb ich bei mir erwog, ob ich nicht erstlich eine wohlbegründete Entschuldigung vorbringen könne; dann aber machte mir auch der Gedanke zu schaffen, welche andere Mittel mir zu Erringung meines Lebensunterhalts zu Gebot ständen. Meine Unruhe bewog mich, viel früher als gewöhnlich aufzustehen, und ich erging mich ein Stündchen auf den Werften. Dort sah ich meinen kleinen Schooner im Strom liegen; er hob sich so sanft, spielte mit den Wellen, welche mit der Fluth hereinliefen und nahm sich so schön aus, daß meine Entschließungen bereits wankend zu werden begannen. Ich mochte nicht länger darnach hinsehen, sondern wandte dem Strome den Rücken zu und begab mich wieder nach dem Hause des Rheders. Es war noch früh, als ich in den Speisesaal trat, wo ich Miß Trevannion allein fand.


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