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Achtes Kapitel.

Die Liverpooler Damen sind sehr höflich gegen mich. – Ich finde Zutritt in gute Gesellschaft – mache die Bekanntschaft Kapitän Levees – segle wieder nach dem Senegal – behorche ein Komplott, sich durch die Mannschaft eines Sklavenhändlers des Schiffs zu bemächtigen, und komme in die Lage, die Verschwörung zu vereiteln. – Ich erndte Dank und Belohnung von Seiten des Schiffseigenthümers – mache mit Kapitän Leve einen Ausflug nach London, – werde von Straßenräubern angefallen – mache in einer Schenke Quartier. – Ausschweifendes Stadtleben. – Ich ziehe in ein anständiges Kosthaus – treffe mit einem Regierungsspion zusammen – kehre nach Liverpool zurück


Da der Kapitän, obschon ich zu jener Zeit erst 23 Jahre zählte, mich als einen sehr achtsamen, tüchtigen Offizier empfohlen, und ich außerdem früher schon mit dem Eigenthümer auf sehr gutem Fuße gestanden hatte, so fand ich bei Letzterem eine sehr freundliche Aufnahme und sogar weit mehr Berücksichtigung, als mir durch meine Stellung an Bord gebührte. Meine Gefangenschaft unter den Negern und die Erzählung, die ich von meinen Abenteuern geben konnte, wurden nun zum Tagesgespräch. Anfangs wurde ich von den Gentlemen Liverpools belagert, und später lud mich eine von den Kaufmannsfrauen, welche von meinen Schicksalen gehört und in mir einen jungen ansehnlichen Mann gefunden hatte, der sich weit besser zu benehmen wußte, als es gewöhnlich bei Leuten von dem Mast der Fall ist – zu einer Abendtheegesellschaft ein, damit ich ihre Freundinnen mit der Geschichte meiner Erlebnisse unterhalte. Letztere waren namentlich in Betreff der Negerkönigin Whyna sehr neugierig und befragten mich ausführlich über ihr Aeußeres und ihre Kleidung, indem sie zugleich nach Weiberweise ausfindig zu machen suchten, ob nicht so eine Art Intrigue zwischen uns stattgefunden habe. Wenn ich dies feierlich in Abrede zog, schüttelten sie ihre Finger nach mir, und einige derselben schmeichelten mir bei Seite, um von mir ein Zugeständniß dessen zu gewinnen, was sie für die Wahrheit hielten, obschon ich es nicht eingestehen wolle.

Nachdem sie sich mit Fragen über die Negerkönigin erschöpft hatten, fingen sie an, Erkundigung über meine geringe Person einzuziehen; namentlich wollten sie wissen, wie es komme, daß ich kein solcher Bär und in meinem Benehmen nicht so roh sei, wie die übrigen Seeleute. Hierauf konnte ich nichts anderes erwiedern, als daß ich in meiner Kindheit eine gute Erziehung genossen habe. Sie hätten gar zu gern gewußt, wer meine Eltern wären und in welcher Lebensstellung sie sich befanden; ich brauche indeß Euch, meine theure Madame, die Ihr so gut von meiner Geburt und meinem Herkommen unterrichtet seid, kaum zu sagen, daß ich meiner Familie durch das Zugeständniß, einer ihrer Söhne befinde sich in einer so unwürdigen Lage, keine Schande machen wollte. Allerdings dachte ich weder damals, noch denke ich jetzt, daß etwas Arges darin liege, wenn man die Unabhängigkeit in einer niederen Stellung einem Leben vorziehe, wie das war, welches mich zu meinem Schritte bewog; indeß konnte ich meine Familie nicht bezeichnen, ohne auch anzugeben, warum ich sie verlassen hatte, weßhalb ich lieber schwieg, denn ich hielt mich nicht für berechtigt, fremden Familiengeheimnisse mitzutheilen. Die Folgen meiner ersten Einführung in vornehmer Gesellschaft waren für mich sehr angenehm, denn ich erhielt von der versammelten Gesellschaft noch viele weitern Einladungen, obschon mein Matrosenanzug nicht sonderlich im Einklang stand mit den gepuderten Perücken und den seidenen Westen der Gentlemen, noch weniger aber mit den Reifröcken und Atlas-Garnirungen, die den Reizen der Damen zur Folie dienen mußten.

Anfangs machte ich mir nicht eben viel daraus; aber je heimischer ich mich in meinen Kreisen fühlte, desto mehr begann ich mich meines Anzugs zu schämen, namentlich da die jungen Laffen ihre Gläser in die Augen zu stecken pflegten und mich ansahen, als ob ich ein Ungeheuer sei. Ich hatte indeß das schönere Geschlecht auf meiner Seite und brauchte daher nicht auf solches Volk zu achten. Die Damen erklärten mich für bezaubernd und erwiesen mir viel Höflichkeit; ja, meine Eitelkeit ließ mich sogar öfters argwöhnen, ich sei bei einigen etwas mehr, als ein blos Begünstigter. Namentlich bedeutete mir ein muthwilliges, eroberungssüchtiges Frauenzimmer eines Tages, als ich mit ihr in dem großen Fenster des Salons stand – da ich in Beziehung dessen, was zwischen der Negerkönigin und mir stattgefunden, so verschwiegen sei, so könne es mir nicht fehlen, über die Gunst und Geneigtheit der Damen zu gebieten, da diese ein rücksichtsvolles Benehmen bei einem so jungen und hübschen Mann stets zu schätzen wüßten. Ich ließ mich jedoch durch diese Schmeichelei nicht verlocken, da mir, ich wußte nicht wie es kam, stets die französische Dame und ihr Benehmen vor Augen stand. Ja, ich hatte fast einen Widerwillen – im mindesten Falle eine völlige Gleichgültigkeit gegen das schöne Geschlecht eingesogen.

Dieser Zutritt in gute Gesellschaft übte übrigens eine Wirkung auf mich – er machte mich sorgfältiger in meinem Anzug, so daß jetzt alle meine Löhnung auf Ausstattung meines Aeußeren verwendet wurde. Wie Ihr Euch erinnern werdet, Madame, waren damals unter den Seeleuten nur zwei Arten, sich zu tragen, üblich, die eine unter denen, welche in den nördlichen Seen segelten, die andere unter den Schiffern in tropischen Gegenden, je nachdem es eben für das Clima paßte. Die Matrosen des Nordens trugen die Jacke, einen wollenen Kittel, Hosen, einen leinenen Ueberwurf, wollene Strümpfe, Schuhe und Schnallen, wozu gewöhnlich noch die Pelzmütze kam. Bei den andern war die Jacke leicht, kurz und mit hängenden Knöpfen versehen; über den Bund der Beinkleidung lief eine rothe Schärpe, die zierlichen Schuhe waren mit Schnallen geschmückt und den Kopf bedeckte eine Mütze mit niederhängendem Boden oder ein Federhut. Den letzteren hatte ich, da ich mich blos in warmen Climaten herumgetrieben, stets getragen, und ich pflegte statt der Perücke, die ich nie sonderlich leiden konnte, obschon sie auch unter den Seeleuten sehr gewöhnlich war, mein Haar in seine natürlichen Locken zu kämmen. In den durchbohrten Ohren hatte ich lange goldene Ohrenringe und in den Schuhen vergoldete Schnallen. Aber abgesehen von dem Anzuge, den ich allmählig in seinem Material verschönerte, kam mir auch mein Umgang mit Leuten von Stande in so fern zu Statten, daß meine Sitten sich verfeinerten.

Ich hatte mich ungefähr zwei Monate in Liverpool aufgehalten, in der Erwartung, daß ein Schiff seine Ladung löschen und dafür ein anderes Cargo einnehmen würde, als ein Kaper, welcher demselben Eigenthümer gehörte, mit 4 Prisen von beträchtlichem Werthe im Hafen anlangte. Tags darauf lud mich der Schiffsherr zu sich ein, um mich dem Kapitän, der den Kaper commandirte, vorzustellen.

Dieser sah ganz anders aus, als Kapitän Weatherall, welcher ein stämmiger, starkgliederiger Mann mit wetterbraunem Gesichte gewesen war. Er mochte ungefähr sechsundzwanzig zählen, hatte eine dunkle Hautfarbe mit pechschwarzen Haaren und Augen und war etwas schmächtig von Person. Man hätte ihn einen sehr schönen Juden nennen können, denn der Schnitt seines Gesichtes war israelitisch und ich machte auch später die Entdeckung, daß seine Abkunft dem Aeußeren entsprach, obschon ich nicht gerade sagen könnte, daß er je den Gebräuchen dieses merkwürdigen Volkes nachgekommen Ware. Er war schön gekleidet, hatte seine Haare leicht gepudert, trug einen Litzenrock mit dergleichen Weste, eine blaue Schärpe mit langen Beinkleidern, einen Gürtel, in welchem ein Dolch und mit Silber ausgelegte Pistolen stacken und an seiner Seite hing ein zierlicher Säbel. An dem Finger hatte er mehrere Diamantringe, während er in der Hand ein damascirtes Rohr trug. Mit einem Worte, ich war noch nie mit einer so schmucken und gewinnenden Außenseite zusammengetroffen und würde ihn wohl eher für den Befehlshaber eines königlichen Schiffs als für den Kapitän eines Liverpooler Kapers gehalten haben. In der Unterhaltung sprach er gut und geläufig, dabei aber mit einer Miene selbstbewußter Entschiedenheit, und er wußte in der Gesellschaft stets den Ton anzugeben, selbst da, wo man ihn durchaus nicht als die Hauptperson betrachten konnte. Der Schiffseigenthümer theilte mir im Verlauf des Abends mit, daß er ein trefflicher Offizier von großem persönlichen Muthe sei, der schon viel Geld errungen habe, aber es stets verschleudere, sobald er es in seiner Tasche spüre.

Dieser Mann, welcher den Namen Levee führte (wahrscheinlich eine Umwandlung von Levi), machte einen sehr guten Eindruck auf mich, und da ich fand, daß er meine Bekanntschaft nicht verschmähte, so gab ich mir Mühe, ihm zu gefallen. Auch standen wir zur Zeit, als mein Schiff zum Aussegeln bereit war, bereits auf sehr vertrautem Fuß. Ich fand nunmehr, daß ich zu dem Amt eines ersten Maten vorgerückt war – eine Beförderung, die mir große Freude machte.

Wir segelten mit einem nicht schweren, assortirten Kargo aus, und während unserer Fahrt begegnete uns nichts von Bedeutung. Wir machten einen guten Handel an der Küste, an der wir hinliefen, indem wir unsere gedruckten Kattune und Eisenwaaren gegen Elfenbein, Goldstaub und Wachs eintauschten. Nachdem wir uns sechs Wochen an der Küste aufgehalten, fuhren wir in den Senegal ein, um daselbst den Rest unserer Ladung zu veräußern, die uns von dem Gouverneur des Forts abgenommen wurde. Er ließ uns immerhin einen schönen Nutzen, obschon der Tausch lange nicht so einträglich war, wie unser Küstenverkehr; doch dies ließ sich auch nicht wohl erwarten, da wir eigentlich nur noch mit ausgelesener Waare versehen waren. Der Kapitän war sehr erfreut in dem Bewußtsein, daß der Eigentümer mit ihm zufrieden sein würde, und seine Zufriedenheit wurde durch den Umstand nicht wenig erhöht, daß er für eigene Rechnung bei dem Kargo mitspekulirt hatte. Der Rest des Elfenbeins aus den Vorräthen des Gouverneurs war eben eingelaufen, und wir hatten nur noch hinreichenden Mundvorrath und Wasser für die Heimreise einzunehmen, als ein Vorfall stattfand, den ich hier berichten muß. Unsre Mannschaft bestand aus dem Kapitän, mir, der die Stelle des ersten Maten bekleidete, dem zweiten Maten und zwölf Matrosen, von denen vier früher mit mir in der Gefangenschaft der Neger gewesen und in derselben Weise, wie ich bei Gelegenheit unserer frühern Reise berichtete, befreit worden waren. Diese vier Männer liebten mich sehr, vielleicht hauptsächlich wegen meines Wohlwollens gegen sie in der Zeit, als ich Sklave der Königin Whyna war; denn ich sorgte für sie in aller nur möglichen Weise und wußte die Verwendung meiner Gebieterin dahin zu benützen, daß sie stets von der Tafel des Königs mit reichlichem Mundvorrath versehen wurden. Den zweiten Mate und die übrigen acht Matrosen hatten wir zu Liverpool eingenommen; es waren schöne kräftige Leute, aber von sehr lockerem Charakter, obschon wir dies erst nach unserer Ausfahrt entdeckten. Im Senegal lag neben uns eine niedrige schwarze Brigg vor Anker, die im Sklavenhandel Geschäfte machte und gleichzeitig mit uns in der Bai eingelaufen war – letzteres sehr zur Ueberraschung der Mannschaft, denn obschon sie als eine sehr schnelle Seglerin galt, war sie doch in allen Punkten durch unser Schiff ausgestochen worden, welches man für das schnellste Liverpooler Fahrzeug hielt. Die Mannschaft des Sklavenhändlers war sehr zahlreich und eine so blutdürstige Bande, wie mir nur je eine vorgekommen ist. Ihr Boot lag stets neben unserem Fahrzeug, und ich bemerkte, daß ihre Besuche vorzugsweise den acht Matrosen galten, welche wir zu Liverpool eingenommen hatten; mit der übrigen Mannschaft schienen sie sich auf keine Bekanntschaft einlassen zu wollen. Dies machte meinen Argwohn rege, und obschon ich vor der Hand schwieg, waren meine Augen und Ohren doch nicht träge. Als ich eines Vormittags am Fuße der Hüttentreppe stand und unter der Tempellucke vom Deck aus nicht bemerkt werden konnte, vernahm ich, wie unsere Leute über Bord hinunter sprachen, und da ich mich fortwährend verborgen hielt, um von dem Gespräch etwas auffangen zu können, so hörte ich endlich einen der Sklavenschiffmatrosen vom Boot aus sagen: »heute Abend um acht Uhr wollen wir kommen und die ganze Sache ins Reine bringen.« Das Boot schob sodann ab und ruderte nach der Brigg zurück.

Nun pflegte der Kapitän jeden Abend ans Ufer zu gehen, um mit dem Gouverneur Sangare zu trinken und zu rauchen. Ich begleitete ihn sehr oft, und das Schiff blieb in solchen Fällen unter der Obhut des zweiten Maten. Auch heute war es meine Absicht gewesen, ans Land zu gehen, und ich hatte dies dem zweiten Maten mitgetheilt, denn wir gedachten uns nur noch zwei Abende bei dem Fort aufzuhalten; nach dem aber, was ich vernommen, beschloß ich, an Bord zu bleiben. Etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang beklagte ich mich über Kopfweh und Uebelkeit und setzte mich unter die Zeltdecke über den Hintertheil des Halbdecks. Als der Kapitän heraufkam, um ans Ufer zu gehen, fragte er mich, ob ich bereit sei; ich gab jedoch keine Antwort, sondern drückte blos die Hand an den Kopf.

Der Kapitän, welcher meinte, ich werde wohl das in der Gegend herrschende Fieber kriegen, war sehr besorgt und forderte den zweiten Maten auf, er solle ihm helfen, mich nach meiner Kajüte hinunterzubringen; dann begab er sich ans Land. Die vier Männer, welche mit mir in der Gefangenschaft gewesen, ruderten wie gewöhnlich das Boot, denn der Kapitän wußte, daß er am Land ihnen besser trauen konnte, als den übrigen, welche sich in Branntwein betranken, so oft sich Gelegenheit dazu gab. Ich blieb bis fast 8 Uhr in meinem Bette und kroch dann leise die Hüttenlücke hinauf, um nachzusehen, wer auf dem Deck sei. Die Matrosen befanden sich insgesammt unten in dem Fockpiek beim Nachtessen, und da ich schon früher bemerkt hatte, daß sie ihre Besprechungen in der Back zu halten pflegten, so begab ich mich in das Vorderschiff und bedeckte mich daselbst mit einem Theil des großen Marssegels, welches die Mannschaft im Laufe des Tags ausgebessert hatte. In solcher Deckung konnte ich Alles hören, was vorging, mochten die Leute in das Fockpiek hinuntergehen oder ihr Gespräch in der Back führen. Ungefähr zehn Minuten nachher vernahm ich den kratzenden Ton des Boots an der Schiffsseite, und unmittelbar darauf stiegen die Matrosen des Sklavenschiffs auf das Deck.

»Ist Alles in Richtigkeit?« fragte Einer von den Leuten des Sklavenschiffs.

»Ja,« versetzte unser zweiter Mate »Der Schiffer ist mit seinen Leuten am Land und der erste Mate hat das Fieber.«

»Um so besser,« entgegnete ein Anderer. »So hat man mit Einem weniger anzubinden. Doch jetzt zur Sache, meine Jungen. Wir müssen noch heute Abend Alles ausmachen, so daß wir nicht mehr zusammenzukommen brauchen, bis die ganze Geschichte abgethan ist.«

Sie begannen sodann sich zu berathen, und ich entnahm aus ihrem Gespräche, daß ihrer Uebereinkunft gemäß unser Schiff geentert und in Besitz genommen werden sollte, sobald es ein Paar Meilen aus der Bai wäre; denn die Sklavenschiffer wagten es nicht, uns anzugreifen, so lange wir in der Nähe des Forts vor Anker lagen. Der zweite Mate und die acht Matrosen, die zu uns gehörten, sollten thun, als leisteten sie Widerstand, bis sie in den Raum hinuntergeschlagen wären; habe man dann das Schiff gewonnen, so wolle man den Kapitän, mich und die andern vier Männer, welche mit dem Boot am Lande waren, für immer zum Schweigen bringen. Hierauf wurde verhandelt, was mit der sehr werthvollen Ladung geschehen und in welchem Verhältniß nach Verkauf derselben das Geld vertheilt werden sollte. Sofort wurde bereinigt, welche Matrosen man zu Offizieren an Bord des Fahrzeugs machen wollte, das sie ohne Zweifel in ein Piratenschiff umzuwandeln gedachten. Ferner entdeckte ich, im Falle des Gelingens sei es ihre Absicht, ihren eigenen Kapitän und diejenige Mannschaft des Sklavenhändlers, welche es nicht mit ihnen halte, zu tödten, das Schiff aber, welches sehr alt war, in den Grund zu bohren.

Die Berathung endete mit einem feierlichen schändlichen Eid, welcher Jeden zur Treue und zur Geheimhaltung des Vorhabens verpflichtete; dann stiegen die Matrosen des Sklavenhändlers in ihr Boot und ruderten nach ihrem eigenen Schiff zurück. Der zweite Mate und unsre Leute blieben noch etwa eine Viertelstunde auf dem Deck, stiegen dann insgesammt durch die Leiter nach dem Fockpiek hinunter und suchten ihre Hängematten auf.

Sobald ich glaubte, mit Sicherheit meinen Platz verlassen zu können, kroch ich aus meinem Lauschwinkelchen hervor und zog mich nach der Kajüte zurück. Es war ein Glück, das ich dies gethan hatte, denn eine Minute später hörte ich Tritte auf dem Deck, und der zweite Mate kam nach der Hüttenlucke herunter, um mich zu fragen, ob ich nicht etwas brauche. Ich antwortete mit Nein; ich fühle mich sehr unwohl und hoffe nur, daß ich eine leidliche Nacht bekommen möge. Dann fragte ich ihn, ob der Kapitän zurückgekehrt sei, und nach einer verneinenden Erwiederung zog er sich zurück. Sobald ich allein war, begann ich zu erwägen, was sich wohl in dieser verfänglichen Frage anfangen lasse. Ich kannte den Kapitän als einen sehr bedenklichen Mann und wagte es deshalb nicht, ihm das Geheimniß anzuvertrauen, weil ich voraussah, er werde sich in einer Weise benehmen, welche die Matrosen belehren mußte, daß sie entdeckt und ihre Plane verrathen seien. Dagegen konnte ich mich auf meine frühern Leidensgenossen verlassen. Es war Dienstag Abend, und wir hatten uns vorgenommen, am Donnerstag abzufahren. Es gebrach uns an den erforderlichen Vertheidigungsmitteln, da die kleine Kanone an Bord Gallen hatte und fast nutzlos war; denn wenn sie allenfalls auch noch zu Signalschüssen Dienste leistete, so wäre sie doch sicherlich augenblicklich zersprungen, hätte man sie mit einer Kugel laden wollen. Allerdings waren wir mit Musketen und Stutzsäbeln versehen; aber was konnten wir uns hievon versprechen, wenn wir gegen eine so überlegene Macht anzukämpfen hatten, während zugleich die Meisten der Unsrigen Verräther waren? Natürlich konnten wir unter solchen Umständen unmöglich lange Stand halten. Ich zweifelte nicht daran daß die Sklavenschiff-Matrosen zuerst sich ihres eigenen Fahrzeugs zu bemächtigen gedachten, ehe sie das unsrige angriffen. Allerdings segelten wir in einer Brise schneller, aber die Bai hatte gewöhnlich keinen Wind, und wir mußten schon weit in hoher See stehen, wenn wir von unsern Vortheilen sollten Gebrauch machen können. Ich vermuthete daher, die Meuterer würden die Gelegenheit ersehen, uns zu entern, während wir uns langsam durchs Wasser bewegten und ein Boot leicht gegen uns aufkommen konnte. Der Sklavenhändler hatte seine Absicht angedeutet, demnächst auszufahren, um sich anderswo eine Ladung zu verschaffen; es konnte deshalb keinen Argwohn erregen, wenn er gleichzeitig mit uns die Anker lichtete. Den Schutz des Gouverneurs aufzubieten, wäre ein nutzloses Beginnen gewesen, da er uns nicht schirmen konnte wenn wir einmal aus der Bai draußen waren, und wäre überhaupt ein derartiger Schritt bekannt geworden, so hätte dies nur dazu beigetragen, die Sache zu beschleunigen. Die Matrosen des Sklavenschiffes würden sich, während wir noch vor Anker lagen, unseres Fahrzeugs bemächtigt haben, da die Kugeln des Forts kaum so weit reichten. Nur durch Kriegslist also konnten wir den Klauen dieser Elenden entrinnen. Aber auch angenommen, daß wir ihnen entwischten, so waren wir dennoch in einer äußerst bedenklichen Lage; denn wenn man auch vielleicht auf den Kapitän einigermaßen rechnen konnte, so waren wir doch nur sechs gegen neun und konnten dann Wohl von unserer eigenen Mannschaft überwältigt werden, die aus entschlossenen, kräftigen Leuten bestand.

Die ganze Nacht hindurch warf ich mich auf meinem Bette hin und her und stellte Erwägungen über die Mittel an, die sich möglicher Weise auffinden ließen, bis ich endlich zu einem Entschluß kam. Am andern Morgen begab ich mich aufs Deck und erklärte, daß mich das Fieber verlassen habe, obschon ich noch immer sehr unwohl sei. Das Langboot wurde ausgeschickt, um noch mehr Wasser zu holen, und ich trug Sorge dafür, daß der zweite Mate mit den meuterischen acht Matrosen zu diesem Dienst gewählt wurde; sobald sie abgefahren waren, rief ich die anderen vier ins Vorderkastell und theilte ihnen mit, was ich gehört hatte. Sie waren höchlich erstaunt, da es ihnen nicht entfernt eingefallen wäre, es könnte etwas derartiges an Bord vorgehen. Ich vertraute ihnen sodann meinen Plan, und sie versprachen mir, mich in Allem zu unterstützen – ja, wenn ichs zugegeben hätte, so würden die tapferen Leute den Versuch gemacht haben, den zweiten Maten mit den übrigen zu überwältigen und noch in der Nacht auszusegeln. Dies ging jedoch nicht an, da die Gefahr zu groß war. Sie begriffen mit mir vollständig, daß es unnütz sei, den Kapitän zu unterrichten, und daß wir nichts Weiteres zu thun hätten, als uns diese Leute vom Halse zu schaffen und dann das Fahrzeug so gut wie möglich nach Haus zu bringen. Aber wie es angreifen? Dies war die Hauptfrage. So viel leuchtete Allen ein, daß es nöthig wurde, die Bai bei Nacht zu verlassen, oder es war zu spät. Glücklicherweise wehte bei Nacht stets eine leichte Brise, und da der Mond erst Morgens um drei Uhr aufging, so konnten wir die Dunkelheit benützen und bis dahin die hohe See erreichen. Der Sklavenhändler hatte dann das Nachsehen, da wir geschwinder waren.

Gegen Mittag kam das Boot mit dem Wasser zurück, und die Mannschaft setzte sich zum Mahle nieder. Der Kapitän hatte dem Gouverneur versprochen, bei ihm zu speisen, und forderte mich auf, an dem Abschiedsmahle Theil zu nehmen, da wir am andern Morgen aussegeln sollten. Ich hatte lange bei mir erwogen, wie ich mich wohl der Schufte an Bord entledigen könne, weshalb ich beschloß, mit dem Kapitän an's Land zu gehen und dem Gouverneur einen Plan vorzuschlagen. Eine Mittheilung an diesen von dem beabsichtigten Versuche konnte nicht schaden, um so weniger, da ich hoffte, er werde uns hülfreiche Hand bieten. Ich begab mich daher ins Boot, und als wir ans Land stiegen, sagte ich meinen Leuten, was ich zu thun gedenke. Bei dem Gouverneur angelangt, ersah ich, als der Kapitän eben in einem Buche blätterte, die Gelegenheit, unsern Wirth um einige Augenblicke Gehör zu bitten, und ertheilte ihm sodann Nachricht von dem bestehenden Komplott, indem ich ihm zugleich bedeutete, es dürfte passend sein, gegen den Kapitän nichts davon zu erwähnen, bis Alles in Sicherheit sei. Auf den Plan, den ich ihm vorschlug, ging er aufs Bereitwilligste ein. Er kehrte nunmehr zu dem noch immer im Lesen begriffenen Kapitän zurück und sagte ihm, er besitze einen Vorrath von Goldstaub und anderen werthvollen Gegenständen, die er in unserem Schiff nach England zu schicken wünsche; indeß sei ihm daran gelegen, daß dies nicht öffentlich geschehe, weil er die Ansicht zu unterhalten wünsche, daß er selbst keinen Handel treibe, der Kapitän möge daher nach Eintritt der Dunkelheit sein Langboot ans Ufer schicken, und er wolle dann alle die besprochenen Gegenstände mit der betreffenden Weisung, an wen sie bei unserer Ankunft in England abzuliefern wären, an Bord senden. Der Kapitän war dies natürlich zufrieden. Wir verabschiedeten uns etwa eine halbe Stunde vor Einbruch der Nacht von dem Gouverneur und kehrten an Bord zurück. Ich war noch keine paar Minuten auf dem Deck, als ich den zweiten Maten kommen ließ und ihm den angeblichen Vorschlag des Gouverneurs als ein Geheimniß mittheilte, dabei zugleich bemerkend, er werde die Güter, sobald es dunkel sei, vom Lande aus holen müssen; er solle sich aber dabei sehr in Acht nehmen, weil sich ein großer Vorrath von Goldstaub darunter befinde. Natürlich mußte ihm diese Kunde sehr angenehm seyn, da der Raub, wenn sie sich des Schiffes bemächtigten, nur vergrößert wurde. Ich erklärte ihm noch weiter, er solle keine Zeit verlieren und sobald als möglich wieder zurückkehren, damit wir das Langboot noch aufhissen konnten, sintemal die Abreise auf Tagesanbruch festgestellt sei. Gegen acht Uhr ging das Boot mit dem zweiten Maten und den acht Matrosen ans Land. Der Gouverneur hatte versprochen, sie mit Branntwein so lange hinzuhalten, daß wir Zeit gewännen, uns in Sicherheit zu bringen; sobald wir sie also außer Seh- und Hörweite hatten, trafen wir alle Vorbereitungen, um Anker zu lichten. Der Kapitän war nach seiner Kajüte hinuntergegangen, aber noch nicht im Bette; ich begab mich deßhalb zu ihm, um ihm zu sagen, daß ich oben bleiben wolle, bis das Boot zurückgekehrt und Alles in Ordnung sei: in der Zwischenzeit wolle ich Alles für die Abfahrt am nächsten Morgen zurecht machen – er könne daher immerhin sein Lager aufsuchen; ich wolle ihn mit Tagesanbruch wecken, damit er mich ablöse. Dieser Vorschlag gefiel ihm; eine halbe Stunde später bemerkte ich, daß sein Licht gelöscht war und er sich zur Ruhe begeben hatte. Es war jetzt so dunkel, daß wir den Sklavenhändler, welcher ungefähr drei Kabellängen von uns entfernt lag, nicht sehen konnten, weshalb füglicherweise anzunehmen war, daß wir auch von dort aus nicht bemerkt wurden. Ich begab mich daher nach dem Vorderschiff, ließ in aller Stille das Ankertau los und schickte meine Leute auf die Masten, um die Segel zu lösen. Es wehte eine leichte Brise, die zureichte, uns mit einer Geschwindigkeit von ungefähr 2 Knoten durchs Wasser zu bringen; auch wußten wir, daß sie sich eher steigern als mindern würde. Trotz unserer schwachen Bemannung waren wir nach einer halben Stunde unter Segel, ohne daß dabei nur ein Wort gesprochen worden wäre. Es läßt sich denken, welche Freude wir alle hatten, als wir fanden, daß unser Manöver so gut von Statten gegangen war. Gleichwohl hielten wir einen scharfen Lugaus, um zu sehen, ob der Sklavenhändler unsere Bewegungen bemerkt habe und uns gefolgt sei. Die Furcht hielt uns fast bis zum Tagesanbruch in steter Unruhe; aber jetzt begann eine starke Brise zu blasen, und wir fühlten, daß wir nun nichts mehr zu besorgen hatten. Um die Zeit der Dämmerung standen wir schon vier oder fünf Seemeilen von unserem Ankergrunde und konnten nun nichts mehr von den niedrigen Masten des Sklavenhändlers sehen, der sich noch immer an der Stelle befand, wo wir ihn verlassen hatten.

Ueberzeugt, daß wir jetzt in Sicherheit waren, begab ich mich zum Kapitän hinunter, der noch im Bett lag, und theilte ihm das Vorgefallene mit. Die ganze Sache kam ihm wie ein Erwachen aus einem Traume vor; er stand ohne Erwiederung auf und eilte nach dem Deck. Als er fand, daß wir unter Segel und soweit vom Lande ab waren, rief er:

»Es muß Alles wahr sein; aber wie ist's möglich, das Schiff mit so geringer Bemannung nach Hause zu bringen?«

Ich entgegnete, daß ich um deßwillen unbesorgt sei; ich stehe dafür, daß das Schiff wohlbehalten in Liverpool anlange.

»Aber wie kommt's,« sagte er endlich, »daß ich von alledem nichts erfahren habe? Ich hätte mit den Leuten wohl ins Reine kommen wollen.«

»Wenn Ihr dieß versucht härtet, Sir, so wäre das Schiff augenblicklich genommen worden.«

»Warum ist mir nicht Meldung gemacht worden, frage ich?« ergriff er abermals das Wort.

Ich war inzwischen mit mir ins Reine gekommen, welche Antwort ich ihm geben könne, und erwiederte daher:

»Weil es Euch eine schwere Verantwortung hätte auf die Schulter wälzen können, wenn Ihr als Kapitän dieses Schiffes mit einem so werthvollen Kargo und so schwacher Bemannung nach England ausgesegelt wäret. Der Gouverneur und ich, wir Beide wollten Euch eine so verfängliche Lage ersparen und hielten es daher für besser, von allen Vorfallenheiten gegen Euch zu schweigen. Läuft bei der Sache irgend etwas schlecht ab, so lastet die Schuld nicht auf Euch, sondern auf mir, und der Eigenthümer kann Euch keinen Vorwurf machen.«

Auf diese Bemerkung hin blieb der Kapitän eine Weile stumm und sagte sodann:

»Nun, ich glaube, es ist schon recht so, und ich bin sowohl Euch als dem Gouverneur für die gute Absicht dankbar.«

Nachdem ich diese kleine Schwierigkeit vollends überwunden hatte, focht mich nichts weiter mehr an. Wir breiteten also unsere Segel aus, steuerten heimwärts und langten nach einer schnellen Fahrt, während welcher wir Tag und Nacht auf dem Deck waren, in hohem Grade erschöpft zu Liverpool an. Natürlich theilte der Kapitän dem Eigenthümer alles Vorgefallene mit, und dieser ließ mich sogleich rufen. Nachdem er meine Darstellung der Geschichte vernommen, drückte er mir seinen Dank für die Erhaltung des Schiffes aus und beschenkte zum Beweise, daß es ihm Ernst damit sei, mich mit fünfzig Guineen, während er jedem der Matrosen zehn auszahlen ließ. Die Ladung war bald am Lande, und ich konnte jetzt wieder über meine Zeit verfügen. Im Hafen fand ich den Kapitän Levee, der eben erst von einem neuen Kreuzzuge zurückgekehrt war und eine reiche Prise eingebracht hatte. Er kam mir mit derselben Herzlichkeit wie früher entgegen und erkundigte sich eines Weiteren bei mir nach dem Vorfalle am Senegal, von welchem er bereits durch den Schiffseigenthümer gehört hatte. Als ich ihm meine Geschichte mitgetheilt hatte, sagte er:

»Ihr seid ein Bursche nach meinem Herzen, und ich wollte, wir segelten miteinander. Ein erster Lieutenant, wie Ihr seid, geht mir ab, und wenn Ihr mich begleiten wollt, so sprecht Euch unverholen aus. Freilich wird man mir Schwierigkeiten machen, aber ich will Euch haben.«

Ich entgegnete, daß es mir nicht sonderlich darum zu thun sei, wieder auf einen Kaper zu kommen, und dies führte zu einer Besprechung der Ereignisse, die ich erlebt hatte, als ich mit Kapitän Weatherall an Bord der Rache war.

»Na,« sagte er endlich, »Alles dieß steigert nur meinen Wunsch, Euch bei mir zu haben. Ich liebe ein ehrliches Gefecht, und das Buccaniren ist mir wie Euch verhaßt. Indeß können wir ein andermal darüber sprechen. Ich bin im Begriff nach London aufzubrechen. Was sagt Ihr dazu – wollt Ihr mit? wir können dort einigen Spaß haben. Mit gutgefüllter Tasche läßt sich in London Alles anfangen.«

»Ja wohl,« entgegnete ich, »wer nur erst die gutgefüllte Tasche hätte.«

»Dies macht keinen Unterschied; meines Wissens ist das Geld doch zu nichts nütze, als zum Ausgeben,« erwiederte Kapitän Levee. »Ich habe hinreichend für uns Beide, und meine Börse steht Euch zu Dienst. Nehmt daraus, so viel Ihr wollt, ohne zu zählen, denn ich bin Euer Feind, wenn Ihr je an ein Zurückzahlen denkt. Nun, es bleibt dabei, die Pferde sind gekauft, und wir treten am Donnerstag unsere Reise an. Wie wollt Ihr Euch kleiden? Ich glaube, da wir nach London gehen, so wird es gut sein, wenn Ihr Euer Kostüm ändert. Doch wie Ihr wollt – Ihr seid in jedem Anzug ein sauberer Bursche.«

»Ehe ich auf Euer freundliches Erbieten eine Antwort geben kann, muß ich zuvor mit meinem Schiffseigenthümer sprechen, Kapitän Levee.«

»Dies müßt Ihr freilich; wollen wir gleich hingehen?«

»Recht gern,« entgegnete ich.

Und wir brachen demgemäß auf.

Wir waren kaum in dem Komptoir angelangt, als Kapitän Levee sogleich zur Sprache brachte, was ihm auf dem Herzen lag; er erklärte meinem Schiffseigenthümer, daß er mich zum ersten Lieutenant des Kapers haben möchte und daß ich, wenn er nichts dagegen habe, mit ihm nach London gehen müsse.

»Was einen Ausflug von fünf oder sechs Wochen nach London betrifft, Kapitän Levee, so kann dagegen nichts zu erinnern sein,« erwiederte der Rheder; »anders aber gestaltet sich die Frage in Betreff des ersten Lieutenants. Ich rüste eben ein Schiff aus und war Willens, Mr. Elrington das Kommando anzubieten. Dies geschieht jetzt, und er mag entscheiden, ob er lieber unter Eurem Befehl segelt, oder ein eigenes Schiff kommandirt.«

»Dies will ich für ihn entscheiden,« entgegnete Kapitän Levee. »Er muß beim eigenen Schiff bleiben, denn es wäre nicht freundschaftlich von meiner Seite, wenn ich seiner Beförderung in den Weg treten wollte. Ich hoffe nur, wenn's ein Kaper ist, daß wir einen Kreuzzug zusammen machen.«

»Ueber das Letztere kann ich mich noch nicht erklären,« erwiederte der Rheder. »Die Bestimmung des Schiffs ist noch ungewiß; aber ich biete Mr. Elrington, noch ehe er seinen Ausflug nach der Hauptstadt macht, das Commando über dasselbe an, falls es ihm genehm ist, auf meinen Vorschlag einzugehen.«

Ich antwortete, daß mir dieses Vertrauen große Freude mache, und dankte dem Schiffseigenthümer für seine gute Meinung von mir. Wir unterhielten uns noch einige Minuten, worauf wir Abschied nahmen.

»Laßt Euch jetzt rathen,« sagte Kapitän Levee, als ich ihn nach seiner Wohnung begleitete. »Ihr müßt die Tracht eines Kriegschiffkapitäns tragen – ungefähr so wie ich; denn da Ihr Kapitän seid, so habt Ihr das Recht dazu. Kommt mit mir und laßt mich für Eure Ausstattung sorgen.«

Ich war mit Kapitän Levee einverstanden, daß es so am besten sein dürfte; wir machten uns daher auf den Weg, bestellten einen Anzug für mich und kauften noch andere erforderliche Gegenstände. Kapitän Levee wollte Alles bezahlen, aber ich duldete es nicht, da ich hinreichend Geld besaß. In der That hatte ich mit meinem Sold und dem Geschenk von fünfzig Guineen über siebenzig Guineen in meiner Börse, und meine Equipirung kostete mich nicht mehr als fünfzig, obschon der Degen und die Pistolen sehr schön waren.

Wir brachen erst drei Tage nach der anberaumten Zeit auf. Um Tagesanbruch erschienen zwei starke, gut geschulte Pferde an der Thüre – eines für Kapitän Levee und das andere für mich. Unsere Begleitung bestand aus zwei Dienern, die zu der Mannschaft von Kapitän Levees Kaper gehörten – starke, wild aussehende, entschlossene Männer, die bis an die Zähne bewaffnet waren und gleichfalls ein paar kräftige Gäule ritten. Der Eine hatte Kapitän Levees Mantelsack, der schwer von Gold war, unter seiner Obhut, während der Andere einen viel leichteren, meiner Wenigkeit angehörig, zu verwalten hatte. Wir reisten drei Tage ununterbrochen fort und legten des Tages gegen dreizehn Reisestunden zurück; Abends machten wir Halt, um in den Wirthshäusern, die uns in den Wurf kamen, zu übernachten. Am vierten Tage begegnete uns ein kleines Abenteuer; denn als wir Abends einen Berg hinaufritten, fanden wir unsern Weg durch fünf Kerle mit Kreppmasken versperrt, welche uns Halt geboten und Auslieferung unseres Geldes verlangten.

»Da habt Ihr's!« rief Kapitän Levee, indem er seine Pistole abfeuerte und zu gleicher Zeit sein Pferd zügelte. Die Kugel traf ihren Mann, so daß derselbe auf die Gruppe seines Thiers zurücksank, während die Andern vorwärts stürzten. – Ich hielt meine Pistolen bereit und feuerte auf denjenigen, der sein Roß gegen mich hin spornte. Letzteres bäumte sich jedoch, und hierdurch wurde sein Herr gerettet; denn die Kugel drang durch den Kopf des Thiers, so daß es todt zusammenbrach und den Reiter an den Dickbeinen, welche unter seinem Leibe lagen, gefangen hielt. Unsere beiden Diener waren nun gleichfalls herbeigekommen und hatten sich unmittelbar nach dem ersten Angriff uns in Reih und Glied angeschlossen; nun aber die zwei Räuber gefallen waren und die Uebrigen sich in der Minderheit sahen, ließen die Strauchdiebe einige Kugeln gegen uns fliegen, wandten ihre Pferde um und gallopirten von hinnen. Wir würden sie verfolgt haben, aber Kapitän Levee meinte, es sei besser, dies zu unterlassen, weil es leicht möglich wäre, daß sich mehrere von der Bande in der Nähe befänden, und wenn wir den Flüchtigen nachsetzten, könnten wir uns leicht trennen und einzeln abgeschnitten werden.

»Was sollen wir mit diesen Kerlen anfangen?« fragten unsere Diener den Kapitän Levee.

»Sie mögen zusehen, wie sie fortkommen,« versetzte Kapitän Levee; »denn ich will mich in meiner Reise durch eine solche Geschichte nicht aufhalten lassen. Ich stehe dafür, sie verdienen den Galgen nicht mehr, als die Hälfte der Leute, denen wir begegnen. Jetzt vorwärts – tummelt euch, daß wir ins Nachtquartier kommen. Mr. Elrington,« fügte Levee gegen mich bei, als wir zu gallopiren begannen, »im Grunde ist's nicht weiter, als ein bischen Kapern auf dem Land, und wir dürfen sie nicht zu scharf beurtheilen.«

Wenn ich an das zurückdachte, was ich an Bord der Rache mitangesehen hatte, so muß ich bekennen, Madame, daß ich Kapitän Levee vollkommen Recht geben mußte und daß diese Landstraßenhelden nicht schlimmer waren, als wir selber.

Auf unserer Reise begegnete uns nichts weiter, und als wir in London anlangten, lenkten wir unsere Pfade nach einem fashionablen Wirthshaus in St. Pauls. Wir nahmen unsere Zimmer in Besitz, und da Kapitän Levee wohl bekannt war, so fanden wir herzliche Aufnahme und gute Bedienung. Das Wirthshaus stand im Ruf, und die Witzlinge und Lebemänner des Tages pflegten sich daselbst zu versammeln, so daß ich bald mit einer großen Anzahl von Jünglingen vertraut war, die in lebensfroher Heiterkeit ihr Geld wie Fürsten verthaten. Aber in solchen Gesellschaften kannte man weder Maas noch Ziel, und der Kopf schmerzte mich jeden Morgen von der Ausschweifung der vorigen Nacht; auch stifteten wir bei unsern abendlichen Ausflügen in der Regel einen Tumult an, und es lief selten ohne Beulen, ja mitunter nicht ohne ernstliche Wunden ab, welche die Krakeler schlugen oder mit nach Hause nehmen mußten. Nach vierzehn Tagen hatte ich dieses wüste Leben satt, und ich theilte dies eines Morgens dem Kapitän Levee mit, als ich ihm eben einen Säbelhieb verband, den er in einer Balgerei davon getragen hatte.

»Ihr habt Recht,« versetzte er. »Unser Treiben ist sehr thöricht und unehrenhaft, aber wenn man unter so lustigen Vögeln lebt, muß man mitmachen. Außerdem, wie könnte ich meines Geldes los werden, das mich in der Tasche brennt, wenn ich an einem Tage nicht so viel ausgebe, als für drei Wochen reichen würde.«

»Gleichwohl möchte ich Euch lieber eine Wunde verbinden, die Ihr in einem ehrenhaften Kampf mit dem Feinde davon getragen hättet, als eine, die Ihr in einer nächtlichen Schlägerei holtet; auch sähe ich Euch weit lieber an der Spitze Eurer Leute im Gefecht, als daß Ihr hier mit anderen trunkenen Gesellen umhertaumelt und in den Straßen Streit sucht.«

»Ich fühle wohl, daß es unter meiner und unter Eurer Würde ist, Ihr unbärtiger Mentor,« entgegnete Kapitän Levee. »Nun ja, es bedarf nicht eben eines Bartes, um ausfindig zu machen, daß ich mich wie ein Esel benommen habe. Na, was sagt Ihr dazu – wollen wir ein anderes Quartier nehmen und ein anständiges Leben führen; denn so lange wir uns hier aufhalten wird uns dies nun und nimmermehr gelingen.«

»Aufrichtig gestanden, es wäre mir lieber so,« erwiederte ich; »denn unser gegenwärtiges Leben will mir gar nicht gefallen.«

»So sei es denn,« sagte er. »Ich will den Vorwand brauchen, daß ich ausziehe, um in der Nähe einer schönen Dame zu sein. Dies ist ein guter zureichender Entschuldigungsgrund.«

Am anderen Tag mietheten wir uns ein anständiges Quartier, zogen ein und ließen unsere Bedienten sammt den Pferden im Wirthshaus. Wir speisten mit der Familie, und weil auch noch andere das Gleiche thaten, so hatten wir recht angenehme Gesellschaft, namentlich da unter den Kostgängern sich auch viele des zweiten Geschlechtes befanden. Als wir uns am ersten Tage zu Tisch setzten, kam ich an die Seite eines jungen Mannes von angenehmen Manieren, obschon sein Aussehen ziemlich geckenhaft war. Er trug einen sehr kostspieligen Anzug, einen Degen, dessen Heft mit Diamanten besetzt war, und Diamantenschnallen – wenigstens kam es mir so vor, denn ich war nicht Kenner genug, um ächte Juwelen von falschen zu unterscheiden. Mein Nachbar war ein sehr zutraulicher, redseliger Mensch, und noch ehe das Mittagsmahl vorüber war, hatte er mir bereits die Geschichte der meisten Anwesenden mitgetheilt.

»Wer ist die Dame in dem blauen Leibchen?« fragte ich.

»Ihr meint vermuthlich die hübschere,« versetzte er – »die mit dem Schönpflästerchen unter dem Auge? Sie ist eine Wittwe und hat kürzlich erst einen sechszigjährigen Mann begraben, dem sie durch ihre Mutter geopfert wurde. Aber obgleich der alte Kerl so reich war, wie ein Jude, fand er doch so viele Mängel in dem Benehmen der Dame, daß er all sein Geld anderwärts hin vermachte. Dies ist freilich nicht allgemein bekannt, und sie trägt Sorge dafür, es geheim zu halten, weil sie gar gerne wieder heirathen möchte; auch wird es ihr wohl gelingen, wenn ihre nicht sehr bedeutenden Mittel sie in die Lage setzen, das Spiel noch ein wenig länger fortzuführen. Sie hätte beinahe sogar mich daran gekriegt; aber ein Vetter von ihr, der sie nicht leiden kann, unterrichtete mich von dem wahren Sachbestand. Sie hält noch immer ihre Equipage und scheint in Schätzen wühlen zu können; aber ihre Diamanten sind insgesammt verkauft und sie trägt falsche Steine. Jene einfache junge Person an ihrer Seite hat Geld und kennt den Werth desselben. Sie verlangt Renten gegen Renten, und statt den Bewerber an ihren Vater oder an ihre Mutter zu verweisen, schickt ihn die kleine Hexe zu ihrem Advokaten und Geschäftsführer. So häßlich sie auch ist, würde ich mich doch zum Opfer gebracht haben; aber sie behandelte mich in dieser Weise, und meiner Seele, es that mir nicht sehr leid; denn sie ist für jeden Preis zu theuer und ich freue mich, daß ich nicht durchgegriffen habe.«

»Wer ist jener alte Gentleman mit dem schneeweißen Haar?« fragte ich.

»Dies weiß Niemand genau,« antwortete mein Nachbar; »allein ich habe so meine Gedanken. Ich bin der Ansicht;« fügte er bei, indem er seine Stimme zu einem Flüstern ermäßigte, daß er ein katholischer Priester – vielleicht ein Jesuit – und ein Parteigänger des Hauses Stuart ist. Meine Vermuthung ist nicht ohne Grund, denn jedenfalls ist so viel gewiß, daß er von den Sendlingen der Regierung auf's Sorgfältigste beobachtet wird.«

Ihr werdet Euch erinnern, Madame, wie etwa ein Jahr vor dieser Zeit das Land durch die Landung des Prätendenten beunruhigt wurde, wie erfolgreich es ihm anfangs ging, und wie der Herzog von Cumberland, nachdem er von der Armee in den Niederlanden zurückgekehrt war, in Schottland einmarschirte.

»Hat man von Schottland aus Kunde über die Bewegungen der Armeen?« fragte ich.

»Dem Vernehmen nach hat der Prätendent die Belagerung von Fort William aufgegeben; weiter wissen wir nicht, und es läßt sich nicht gut sagen, in wiefern das Gerücht wahr ist. Ihr Herren vom Militär müßt natürlich in einer oder der andern Weise Krieg haben,« warf mein Nachbar in gleichgültiger Weise hin.

»Was die Frage des Fechtens betrifft,« erwiederte ich, »so wäre es mir ziemlich gleichgültig, auf welcher Seite ich kämpfte, da der Anspruch beider Parteien blos Sache der Meinung ist.«

»Wirklich?« entgegnete er, »und für welche Seite entscheidet sich die Eurige?«

»Für gar keine, denn ich glaube, das Recht liegt bei beiden Theilen ziemlich gleich in der Wagschaale. Das Haus Stuart verlor den Thron Englands wegen seiner Religion, und das von Hanover ist aus demselben Grunde zur Herrschaft berufen worden. Beide haben zur Zeit zahlreiche Anhänger, und weil Hanover für den Augenblick stark ist, so folgt daraus nicht, daß das Haus Stuart seine Sache aufgebe, so lange es noch Aussicht auf Erfolg hat.«

»Das ist wahr; aber wenn Ihr Euch für die eine oder für die andere Seite entscheiden müßtet, welcher würdet Ihr den Vorzug geben?«

»Natürlich würde ich die protestantische Religion lieber unterstützen, als die katholische. Ich bin Protestant, und dies ist Grund genug.«

»Ihr habt Recht,« entgegnete mein Nachbar. »Ist Euer wackerer Freund derselben Ansicht?«

»Ich habe ihn nie darüber gefragt, glaube aber, recht wohl für ihn mit Ja antworten zu können.«

Es war ein Glück, Madame, daß ich meine Erwiederung also hielt, denn ich erfuhr nachher, daß dieser geschniegelt schwatzhafte Jüngling mit seinen Ringen und Bändern nichts Anderes war, als ein Regierungsspion, der auf Mißvergnügte fahndete. Jedenfalls war seine Verkleidung gut, denn hinter seinem flitterhaften Aeußeren und seinem gezierten Wesen hätte ich nimmermehr einen solchen Kern gesucht.

Unser gegenwärtiges Leben gefiel mir viel besser, als das frühere. Wir führten die Damen in's Theater und zu Ranelagh, und die Sorglosigkeit, mit welcher Kapitän Levee, mich selbst miteingeschlossen, sein Geld verthat, sicherte uns bald einen Paß in die gute Gesellschaft. Etwa vierzehn Tage später langte die Kunde von der Schlacht bei Culloden an, und es wurden Vorbereitungen zu großen Freudenfesten getroffen. Mein geckenhafter Freund bemerkte gegen mich:

»Nun die Hoffnungen des Prätendenten in Rauch aufgegangen sind und die hannöverische Erbfolge gesichert ist, gibt es Viele, welche dergleichen thun, als freuten sie sich und als seien sie ungemein loyal; aber wenn man die Wahrheit wüßte, würden sie als Verräther geviertheilt werden.«

Ich muß bemerken, daß am Tag vor dem Einlaufen der Kunde über die geschlagene Schlacht der alte Gentleman mit dem schneeweißen Haar verhaftet und nach dem Tower gesendet, später aber wegen Hochverraths hingerichtet wurde.

Briefe von unserem Rheder, welcher uns zu wissen that, daß unsere beiderseitige Anwesenheit unverweilt erforderlich sei, machten unserem fröhlichen Leben in London ein Ende. In der That ging auch nachgerade unser Gold sehr auf die Neige, und dieser Umstand in Vereinigung mit der gedachten Aufforderung bewog uns, drei Tage später aufzubrechen. Wir verabschiedeten uns von der Gesellschaft im Hause, und außerdem gab es noch eine zärtliche Scene mit ein paar lebenslustigen jungen Frauenzimmern; dann bestiegen wir wieder unsere Rosse und brachen nach Liverpool auf, wo wir ohne irgend ein erzählenswerthes Abenteuer anlangten.


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