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Dreizehntes Kapitel.

Nachdem ich ein Jahr bei Mr. Trevannion gewesen, macht er mir den Vorschlag, als Theilhaber in sein Geschäft zu treten, ein Anerbieten, das ich aus Beweggründen der Gewissenhaftigkeit zurückweise. – Miß Trevannion behandelt mich mit unverdienter Kälte. – Dies und der Zorn ihres Vaters bewegen mich zu dem Entschluß, das Haus zu verlassen. – Was ich vor meiner Abreise höre und sehe. – Der Ring.


Ihr könnt mich jetzt in einer ganz andern Stellung sehen, meine theure Madame. Statt des Tressenhuts auf dem Kopf und dem Degen an der Seite denkt Euch einen einfachen grauen Anzug mit schwarzen Knöpfen und eine Feder hinter meinem Ohr. Statt auf dem Decke zu gehen und nach den Bewegungen des Schiffs zu balanciren, sitze ich jetzt unbeweglich auf einem hohen Schreibebock; statt mit meinem Fernrohr den Horizont zu bestreichen oder nach den Spieren hinaufzusehen, die sich im Wind anspannen und beugen, sind meine Augen unablässig auf das Hauptbuch geheftet und mit Rechnen beschäftigt. Ihr fragt wahrscheinlich, wie mir dieser Wechsel gefallen habe. Ich gestehe, anfangs nicht sonderlich, und ungeachtet meiner Abneigung gegen das Kaperleben seufzte ich oft tief auf in dem geheimen Wunsche, ich möchte ein Offizier im Dienste des Königs seyn. Der Uebergang von einer angestrengten rührigen Thätigkeit zur sitzenden Lebensweise war zu plötzlich, und ich ertappte mich oft, während meine Augen auf die Zahlen vor mir geheftet waren, auf Luftschlössern, in welchen ich den Feind jagte oder enterte, meinen Stutzsäbel handhabte und bisweilen durch die Glut meiner Einbildungskraft so weit verleitet wurde, den Arm über meinem Kopf zu schwingen. Bei solchen Gelegenheiten pflegte mich ein Ausruf der Ueberraschung von einem der Gehülfen an meine Thorheit zu erinnern, und zornig über mich selbst nahm ich wieder meine Feder auf. Nach einer Weile hatte ich übrigens schon mehr Selbstbeherrschung gewonnen, so daß ich stätig an meiner Arbeit sitzen konnte. Mr. Trevannion hatte oft meine Geistesabwesenheit bemerkt und sich daran belustigt. Wenn wir dann beim Mittagessen zusammentrafen, konnte seine Tochter sagen: »Wie ich höre, habt Ihr diesen Morgen wieder ein Seegefecht gehabt, Mr. Elrington,« und ihr Vater pflegte herzlich zu lachen, während er eine Schilderung meines lächerlichen Benehmens gab.

Unter Mr. Trevannions freundlichem Beistand meisterte ich bald meinen Gegenstand, so daß ich zur Zufriedenheit meines Prinzipals arbeiten konnte. Mein Hauptgeschäft bestand in Führung der Correspondenz. Anfangs copirte ich nur die Briefe, wie sie in Mr. Trevannions Privatbriefbuch standen; indeß bemerkte ich bald, wo eine genauere Ausführung nöthig war, und in solchen Fällen machte ich einen rohen Entwurf, den ich Mr. Trevannion zur Prüfung vorlegte. Anfangs wurden einige Aenderungen vorgenommen und ich schrieb mein Concept nachher ins Reine; aber fast stets war mein Prinzipal damit zufrieden, und wenn es etwas beizufügen gab, kam dies in eine Nachschrift. Ich fand, daß Mr. Trevannions Geschäftsverhältnisse weit ausgedehnter waren, als ich vermuthet hatte. Er besaß die beiden Kaper, zwei Schiffe an der Küste von Afrika, die in Elfenbein, Goldstaub und anderen Gegenständen Geschäfte machten, zwei oder drei Fahrzeuge in Virginien für den Handel in Taback und andern Colonial-Produkten, ferner einige kleinere Schiffe, die bei den Fischereien Neufoundlands beschäftigt waren. War die Ladung eingenommen, so wurde sie ins mittelländische Meer geführt und daselbst verkauft, worauf die Fahrzeuge die Produkte Südeuropa's und der Levante einnahmen, um damit nach Liverpool zurückzukehren. Daß Mr. Trevannion abgesehen von der großen Summe, die er in seinen Seeunternehmungen stecken hatte, ein sehr reicher Mann war, unterlag keiner Beanstandung. Er hatte der städtischen Kasse von Liverpool viel Geld geliehen und besaß einige Landgüter, die er verpachtete; von diesen aber wußte ich nicht weiter, als daß er Renten davon zog. Ich war daher nicht wenig überrascht, daß ein Mann von Mr. Trevannions Reichthum, der nur ein einziges Kind zu versorgen hatte, sich nicht vom Geschäft zurückzog, und bemerkte dies auch eines Tages gegen seine Tochter; ihre Antwort aber war:

»Früher dachte ich auch so, wie Ihr, aber jetzt betrachte ich die Sache von einem andern Gesichtspunkt. Ihr habt gar keinen Begriff, wie unruhig und rastlos mein Vater stets wird, wenn es ihm an Beschäftigung fehlt, und ich habe dies bei Gelegenheit eines Besuchs, als wir mehrere Wochen abwesend blieben, aufs Nachdrücklichste erfahren. Das Geschäft ist ihm zur Gewohnheit geworden, und Gewohnheit ist sprichwörtlich die zweite Natur. Nicht der Wunsch, noch größere Schätze anzuhäufen, hält ihn im Comptoir fest, sondern blos der Umstand, daß er sich ohne Thätigkeit nicht wohl fühlt. Ich suche daher nicht länger in ihn zu dringen, daß er sich zur Ruhe begebe, denn ich bin überzeugt, daß er dadurch unglücklich würde. Ehe Ihr zu uns kamt, war allerdings die Anstrengung zu groß für ihn; aber wie er mir sagt, habt Ihr ihm den beschwerlichsten Theil der Arbeit abgenommen, und ich brauche kaum zu sagen, daß ich froh darüber bin.«

»Um den Gelderwerb braucht es ihm allerdings nicht zu thun zu seyn, Miß Trevannion, und da er in allen Stücken so freigebig ist, muß ich wohl Eurer Versicherung Glauben schenken, daß er nur deshalb sein Geschäft fortführt, weil er die Unthätigkeit scheut. Bei mir ist's noch nicht so zur Gewohnheit geworden,« fuhr ich lächelnd fort, »und ich könnte es mit Vergnügen wieder aufgeben.«

»Aber kommt dies nicht daher, weil Ihr Euch Eurer früheren Angewöhnungen, die so sehr im Widerspruch mit einer ruhigen sitzenden Lebensweise stehen, noch nicht ganz entschlagen habt?« versetzte sie.

»Ich fürchte dies leider,« entgegnete ich, »und glaube auch, daß von allen Angewöhnungen die eines unstäten Umherirrens am schwersten zu überwältigen sind. Ihr pflegtet die ersten paar Monate meines Hierseyns über mich zu lachen – ich denke übrigens, mich seitdem ein wenig gebessert zu haben, da ich in letzter Zeit nicht wieder angegriffen worden bin.«

»So höre ich von meinem Vater. Er ist sehr zufrieden mit Euch, Mr. Elrington; so viel kann ich Euch sagen, wenn Euch etwa diese Ueberzeugung Freude macht.«

»Dies ist gewiß der Fall, denn es ist mein angelegentlichster Wunsch, ihm zu Gefallen zu handeln.«

»Und hoffentlich mir auch?«

»Zuverlässig, Miß Trevannion; ich möchte es nur in meiner Macht haben, Euch zu zeigen, wie viel mir an Eurer guten Meinung gelegen ist.«

»Würdet Ihr auch dafür das Mißfallen meines Vaters wagen?« entgegnete sie, mich fest ins Auge fassend.

»Ja, gewiß – vorausgesetzt –«

»Oh, da haben wir schon eine Clausel.«

»Ich gebe zu, daß ich mir diese hätte ersparen können, denn ich bin überzeugt, Ihr werdet nichts Unrechtes von mir verlangen. Ich wollte in der That durch meine Verwahrung nichts weiter ausdrücken, als daß mir nichts angemuthet werde, was nicht im Einklang mit meinem Gewissen steht.«

»Ihr habt hierin nicht Unrecht, Mr. Elrington, denn wenn's ein Frauenzimmer auf's Ueberreden abgesehen hat, so darf ein Mann wohl auf der Hut seyn, damit er sich nicht durch ein übereiltes Versprechen zu einem Irrthum verleiten lasse. Ich denke übrigens, wir beide sind über diesen Punkt einverstanden, und will daher mit einemmale sagen, was ich von Euch wünsche. Es ist die Absicht meines Vaters, nach einigen Tagen – sobald Ihr nämlich Euer Dienstjahr durchgemacht habt – Euch das Erbieten zu machen, daß Ihr als sein Associé ins Geschäft tretet, und ich bin überzeugt, er wird Euch sehr freigebige Bedingungen stellen. Nun aber wünsche ich, daß Ihr seinen Antrag zurückweist, wenn er die Kaperspekulation nicht aufgibt.«

»Ich will dies thun auf jede Gefahr hin und bin in der That höchlich erfreut, daß Ihr mich zu einem so kühnen Schritt ermuthigt.«

»Ich muß Euch unverhohlen sagen, daß er sehr entrüstet werden wird, denn seine Kaper bieten ihm eine Aufregung, die ihm fast nothwendig geworden ist. Um seine übrigen Spekulationen kümmert er sich nur wenig. Ach, er ist so blind gegen die Unsittlichkeit, zu welcher dieses rohe Gewerbe führt, daß es ihm nicht einfällt, etwas Unrechtmäßiges darin zu sehen, denn wenn dies der Fall wäre, so bin ich überzeugt, daß er es aufgeben würde. Alle meine Ueberredungsversuche sind fruchtlos gewesen.«

»Und wenn eine geliebte einzige Tochter nichts auszurichten vermochte, welche Hoffnung habe ich, Miß Trevannion?«

»Eine weit bessere, Mr. Elrington. Es ist wahr, er liebt mich; aber ich bin ein Frauenzimmer und er hält meine Bemerkungen für mädchenhafte Schwäche. Einwürfe dagegen, von einem jungen Mann erhoben, der so lange den Dienst selbst mitgemacht hat, werden schwerer ins Gewicht fallen. Außerdem ist, er jetzt so an Euch gewöhnt, Ihr habt ihm so viele Mühe abgenommen, und er setzt ein so unbedingtes Vertrauen in Euch, daß ich keinen Augenblick daran zweifle: wenn er findet, daß er zwischen Eurem Austritt und dem Aufgeben der Kaperspekulationen wählen muß, wird er nicht zögern, die letzteren fahren zu lassen. Ueberdieß habt Ihr einen bedeutenden Einfluß auf ihn, Mr. Elrington, denn er fühlt tief, wie sehr er Euch verpflichtet ist wegen des Muths und der Selbstaufopferung, welche Ihr in der Geschichte mit den jakobitischen Flüchtlingen an den Tag gelegt habt. Ihr müßt daher den Sieg davon tragen, wenn Ihr nur fest bleibt, und in diesem Falle zählt auf meine wärmste Dankbarkeit, wenn Euch anders diese von einigem Werth ist. Daß Ihr meine Freundschaft besitzt, ist Euch ohnehin bekannt.«

Der Eintritt Mr. Trevannions hinderte meine Antwort. Er hatte einen Ausgang gemacht, und wir harrten schon einige Zeit auf seine Rückkehr, da das Mittagessen bereits eine geraume Weile auf dem Tisch stand.

»Ich habe eben einige Leute von dem Pfeil gesehen,« sagte Mr. Trevannion, indem er seinen Hut und Spenser abnahm, »und dies hat mich aufgehalten.«

»So ist also Kapitän Levee angelangt, Sir?« versetzte ich.

»Nein; aber er hat eine Prise eingesendet – freilich von keinem sonderlichen Werth – nur mit leichten Waaren geladen. Die mit dem Einbringen beauftragten Matrosen sagen mir, es habe ein scharfes Gefecht mit einem en flute bewaffneten Schiffe gegeben, und es seyen einige Leute dabei umgekommen. Euer Bruder Philipp ist wie gewöhnlich verwundet.«

Ich muß hier bemerken, daß die beiden Kaper im Laufe des Jahrs mehreremal nach dem Hafen zurückgekehrt waren. Sie hatten während ihrer Kreuzzüge nicht viel Glück gehabt und kaum so viel aufgetrieben, um die Kosten zu bestreiten. Indeß hatte sich mein Bruder stets sehr tapfer benommen und war in verschiedenen Gefechten zweimal verwundet worden.

»Ich denke nicht, Sir,« entgegnete ich, »daß der Verlust von ein wenig Blut einem so heißköpfigen Burschen, wie Meister Philipp ist, viel schaden wird; indeß hoffe ich, ihm in Bälde Gelegenheit verschaffen zu können, sein Blut im Dienste des Königs, nicht aber im Jagen nach Geld zu vergießen. In der That,« fuhr ich fort, als ich mich zu Tische niedersetzte, »der Feind ist jetzt so vorsichtig, oder hat so wenige Schiffe auf hoher See, daß ich fürchte, die laufende Rechnung über die Kaperspekulationen wird sich bei dem Abschluß, der in einigen Tagen vorgenommen werden soll, selbst mit dem eben eingetroffenen Waarenkargo nicht sehr günstig herausstellen.«

»Dann müssen wir für's nächste Jahr auf bessere Zeiten hoffen,« erwiederte Mr. Trevannion. »Amy, meine Liebe, bist Du heute aus gewesen?«

»Ja, lieber Vater, ich habe vor ein paar Stunden einen Spazierritt gemacht.«

»Ist Dein Sattelkissen noch nicht verändert?«

»Ja. Es langte gestern Abend an und ist nun sehr gemächlich.«

»Ich habe Mrs. Carleton besucht, die sich viel besser befindet. Was für ein Zieraffe dieser Mr. Carleton ist – ich weiß nicht, was für ein Räucherpulver er braucht, aber er parfümirt das ganze Zimmer. Wäre nicht Mrs. Carleton Patientin gewesen, so würde ich das Fenster geöffnet haben.«

Mr. Trevannion lenkte sodann das Gespräch auf einige politische Neuigkeiten, die er eben in Erfahrung gebracht hatte, und diese nahmen uns in Anspruch, bis das Mittagsmahl vorüber war. Sodann kehrte ich nach dem Comptoir zurück, wo ich die Männer fand, welche die Prise eingebracht hatten und mir einen Brief von Philipp überlieferten, der mir zu wissen that, daß seine Wunde von keinem Belang sey.

Die Mittheilung, welche mir Miß Trevannion angekündigt hatte, fand am Jahrestag meines Eintritts in das Comptoir meines Prinzipals statt. Als wir nach dem Mittagmahle wie gewöhnlich unsere Pfeifen rauchten, begann Mr. Trevannion:

»Elrington, Ihr seyd nun gerade ein Jahr bei mir und habt Euch während dieser Zeit trefflich ins Geschäft eingearbeitet – zum Ueberraschen gut, muß ich Euch sagen, und ich freue mich darüber. Daß ich allen Grund habe, mit Euch zufrieden zu seyn, mögt Ihr daraus entnehmen, wenn ich Euch sage, es sey meine Absicht, Euch als Associé ins Geschäft zu nehmen; ich hoffe, Ihr werdet dadurch bald ein unabhängiger Mann werden. Das Kapital, welches im Geschäft steckt, kennt Ihr so gut wie ich. Früher sprach ich von einem Achtel, jetzt aber gedenke ich Euch ein Viertel zu übermachen: den Gewinn eines jeden Jahrs könnt Ihr nach Abzug der nöthigen Unkosten wieder ins Geschäft einlegen, bis Ihr ein Recht an die Hälfte erworben habt. Wie wir's künftighin halten wollen, darüber können wir später sprechen.«

»Mr. Trevannion,« versetzte ich, »es ist kaum nöthig zu sagen, daß ich Euch für eine so unerwartete Freigebigkeit aufrichtig dankbar bin. Euer Erbieten ist edel und verdient die wärmste Anerkennung; aber ich muß gestehen, daß ich ein Bedenken bei der Sache nicht überwältigen kann.«

»Ein Bedenken?« rief Mr. Trevanion, indem er seine Pfeife auf den Tisch legte. »Ach, ich verstehe,« fuhr er nach einer Pause fort. »Ihr meint, ich verkürze dadurch meine Tochter. Nein, nein, der Arbeiter ist seines Lohnes werth, und sie wird immer noch mehr als genug behalten. Ihr treibt Eure Gewissenhaftigkeit zu weit, mein lieber Freund. Auch außer dem Geschäft ist noch mehr als genug für Amy vorhanden.«

»Ich weiß dies, Sir,« fuhr ich fort, »und hatte daher nicht Eure Tochter im Auge, als ich von Bedenken sprach. Ich muß offen gegen Euch sein, Sir. Wie ging es zu, daß ich in Euer Geschäft kam?«

»Je nun, weil Ihr gegen das Kaperleben eingenommen wart und ich Euch eine Schuld der Dankbarkeit abzutragen hatte.«

»Ganz richtig, Sir; aber ob es Euch nun beliebt hätte, mir Beschäftigung zu geben oder nicht, so wißt Ihr wohl, daß ich aus Gründen der Gewissenhaftigkeit den Entschluß gefaßt hatte, nicht mehr an Bord eines Kapers zu bleiben.«

»Nun ja, was weiter?«

»Dieselben Beweggründe, Sir, erlauben mir auch nicht, Antheil an dem Gewinn zu nehmen, der aus solchen Quellen fließt. Ich würde, wenn ich dies thäte, eben so unrecht zu handeln glauben wie wenn ich an Bord geblieben wäre. Zürnt mir nicht, Sir,« fuhr ich fort, »wenn ich mit vielem Dank Euer Erbieten, mich zum Associé anzunehmen, ablehne. Ich will Euch treulich dienen für jeden Gehalt, den Ihr meinem Verdienst als angemessen erachtet, und verlasse mich in allen Stücken unbedingt auf Euern Billigkeitssinn.«

Mr. Trevannion gab keine Antwort. Er hatte seine Pfeife wieder aufgenommen und fuhr fort zu rauchen, die Augen unverwandt auf den Kaminmantel geheftet. Sobald seine Pfeife aus war, stand er auf, griff nach seinem Hute und verließ ohne weitere Bemerkung das Zimmer. Ich wartete einige Minuten und begab mich sodann nach dem Komptoir.

Ich war überzeugt, daß sich Mr. Trevannion ernstlich beleidigt fühlte; indeß schätzte ich die gute Meinung seiner Tochter höher, als die seinige, denn meine Gefühle gegen sie hatten im Laufe des einjährigen Aufenthalts im Hause allmählig eine Beschaffenheit angenommen, die dem Frieden meiner Seele bedrohlich wurde. Ich kann nicht eben sagen, daß ich sie liebte – in der gewöhnlichen Bedeutung des Worts; der Ausdruck »anbeten« würde vielleicht meine Empfindungen besser bezeichnen. Sie war so rein, so edel und ein so schönes Musterbild weiblicher Vollkommenheit, daß ich mit einer Verehrung zu ihr aufblickte, welche fast jedes Gefühl von Liebe in mir erstickte. Mein Inneres sagte mir, daß sie über mir stand, und bei ihrem Reichthum würde es für einen Menschen in meiner dermaligen Stellung Wahnsinn gewesen sein, die Hoffnungen zu ihr zu erheben. Indeß war das erwähnte Gefühl doch so lebhaft, daß ich bereitwillig alle meine Aussichten und alle augenblicklichen Vortheile zum Opfer gebracht haben würde, um mir dadurch von ihr ein beifälliges Lächeln zu erringen. Es war daher nicht zu verwundern, wenn ich Mr. Trevannions Gunst aufs Spiel setzte, um ihre Billigung zu gewinnen, und als ich meinen Sitz am Pult wieder einnahm und über die Vergangenheit nachdachte, gedieh in mir der Entschluß zur Reife, lieber verlassen wieder in die Welt hinauszuziehen, als von dem ihr gegebenen Versprechen abzugehen.

Ich kannte Mr. Trevannion als einen sehr entschiedenen Mann, der aber auch sehr vorschnell war, wenn er sich gekränkt fühlte; und daß er durch meine Weigerung ernstlich beleidigt war, konnte keinem Zweifel unterliegen. Ich fand, daß er unmittelbar, nachdem er das Zimmer verlassen, sich auch von Hause entfernt hatte; meine Hoffnung also, er sei nach dem Gemach seiner Tochter gegangen, und ein Gespräch mit ihr dürfte gute Wirkung geäußert haben, stellte sich als eitel heraus.

Nach ungefähr einer halben Stunde kehrte Mr. Trevannion zurück; er trat in das Hinterzimmer neben dem Komptoir und forderte mich auf, ihm dahin zu folgen. Nachdem ich seinem Winke Folge gegeben, redete er mich sitzend, während er mich am Tische stehen ließ, mit den Worten an:

»Mr. Elrington, ich fürchte, nach dem Vorgefallenen können wir nicht mehr gut mit einander auskommen. Ihr habt mir, einem alten Manne, den Vorwurf gemacht, als treibe ich ein unrechtmäßiges Geschäft; mit einem Worte, als Ihr Eure Bedenken erhobet und von Eurem Gewissen spracht, wurde mir zu verstehen gegeben, daß ich dem entgegenhandle, was die Gewissenhaftigkeit gebiete. Dies will ungefähr so viel heißen, daß ich kein ehrlicher Mann sei. Ihr habt mir mein freigebiges Anerbieten vor die Füße geworfen, habt meinen Wunsch, Euch etwas Angenehmes zu erweisen, nicht nur mit Gleichgültigkeit, sondern, ich kann wohl beifügen, mit Schimpf behandelt – und dies blos, weil Euch einige abgeschmackte Begriffe von Recht und Unrecht im Kopfe stecken – Begriffe, in denen Niemand mit Euch einverstanden ist, als vielleicht Pfaffen und Weiber. Gleichwohl bin ich Euch noch immer geneigt, Mr. Elrington, und Eure Bethörung thut mir wahrhaft leid. Ich habe Euch zu dienen gewünscht, aber Ihr wolltet, nicht, daß ich Euch unter die Arme greife.«

Mr. Trevannion hielt jetzt inne, aber ich gab keine Antwort. Nach einer Weile wischte er mit seinem Taschentuche den Schweiß von der Stirne, denn er war augenscheinlich in großer Aufregung und fuhr fort:

»Da Euch Eure Gewissenhaftigkeit nicht erlaubt, mit mir in eine Geschäftsverbindung zu treten, so kann ich mir nicht anders denken, als daß Ihr aus denselben Beweggründen auch nicht gerne in meinem Dienste steht, denn ich sehe zwischen beiden keinen sonderlichen Unterschied (in dieser Bemerkung lag eine Folgerichtigkeit, Madame, die mir früher nie eingefallen war). Ohne daher Eure Bedenken so genau abwägen zu wollen, um mich zu vergewissern, wie weit sie gehen mögen oder nicht, fühle ich jedenfalls, daß wir nicht in einem lieblichen Verhältniß mit einander fortarbeiten können. Ich muß stets einen Vorwurf für mich drein sehen, wenn Ihr etwas übers Kapern sagt, und Euch selbst könnte Euer Gewissen in einer Weise zusetzen, daß Ihr vielleicht auch keine Freude mehr am Dienst hättet. Laßt uns daher im Frieden scheiden. Für Eure bisherigen Dienstleistungen und damit Ihr irgend etwas Anderes anfangen könnt, nehmt dieses –«

Mr. Trevannion öffnete ein unteres Schubfach des Tisches und legte einen Beutel vor mich hin, der, wie ich später entdeckte, 250 goldene Jakobusse enthielt.

»Ich wünsche Euch alles Gute, Mr. Elrington; aber ich muß sagen, es wäre mir sehr lieb, wenn wir uns nie gesehen hätten.«

Mr. Trevannion stand dann plötzlich auf, fegte, noch ehe ich antworten konnte, an mir vorbei zur Thüre hinaus und ging raschen Schrittes wieder auf die Straße hinunter. Ich blieb, wo ich stand, und meine Augen folgten dem sich Entfernenden. Ich war im höchsten Grade überrascht. So sehr ich mich auch auf seinen Zorn und auf vielen Widerspruch gefaßt gehalten hatte, wäre mir doch nie eingefallen, daß er so ungerecht sein würde, einen Mann, der um seinetwillen eine gewiß sehr schwere Prüfung ehrenvoll bestanden hatte, in dieser Weise abschütteln würde. Mein Herz war voll Bitterkeit, denn ich fühlte, daß Mr. Trevannion mich mit Härte und Undank belohnt hatte.

»Leider ist so die Welt,« dachte ich, »und bei und unvollkommenen Wesen wird es nie anders werden. Wie vergeblich erwarten wir Beharrlichkeit, geschweige denn Vollkommenheit von der sündigen Menschennatur. Verletze bei einem Menschen die Eigenliebe, verwunde seine Eitelkeit und alle früheren Verpflichtungen sind vergessen!«

Ich wandte mich von dem Geldsacke ab, denn ich hatte mir vorgenommen, ihn nicht anzunehmen, obschon damals meine ganze Habe nur in zwanzig Guineen bestand. Es war noch eine halbe Stunde bis zum Einbruche der Dunkelheit. Ich sammelte alle meine Bücher, legte einige derselben in die Eisentruhe, andere wie gewöhnlich auf mein Pult, und nachdem ich Alles möglichst vollständig geordnet hatte, schloß ich die Kasse ab. Den Schlüssel schlug ich in ein Paket ein, das ich siegelte, mit Mr. Trevannions Adresse Versah und in dem Zimmer, wo wir unser letztes Gespräch gehalten, neben den Geldsack hinlegte.

Es war jetzt beinahe dunkel. Ich überließ es wie gewöhnlich dem vertrauten Pförtner, das Haus zu schließen, und begab mich nach dem Familienwohnzimmer, um Miß Trevannion noch einmal zu sehen und mich von ihr zu verabschieden. Ich fand sie bei einer weiblichen Arbeit; sie hatte eben die Lampe angezündet, die über dem Tische hing.

»Miß Trevannion,« sagte ich, indem ich ihr achtungsvoll näher trat, »ich habe meine Zusage erfüllt und dafür meinen Lohn erhalten – sie blickte zu mir auf – »er besteht darin, daß ich für immer aus diesem Hause und aus Eurer Nähe verwiesen bin.«

»Ich hoffe,« sagte sie nach einer Pause, »daß Ihr meine Wünsche nicht überschritten habt. Was Ihr mir sagt, kommt mir so befremdlich vor, daß ich mich des Glaubens nicht erwehren kann, etwas der Art müsse der Fall gewesen sein. Unmöglich konnte Euch mein Vater blos deshalb, weil Ihr eine Ansicht ausdrücktet, entlassen; Ihr müßt zu weit gegangen sein, Mr. Elrington.«

»Miß Trevannion, wenn Ihr Euern Vater seht, könnt Ihr Euch selbst überzeugen, ob ich mich irgend einer Rohheit, eines ungemessenen Ausdrucks oder eines Mangels an Achtung schuldig gemacht habe. Meine Erklärung wurde gerade in derselben Weise vorgebracht, wie Ihr mir sie vorgeschlagen habt und der Erfolg war der, den ich Euch mittheilte.«

»Wenn Eure Angabe vollkommen richtig ist, Mr. Elrington, so tragt Ihr als Lohn das Bewußtsein in Euch, Eure Pflicht gethan zu habe«; indeß kann ich nicht glauben, daß eine bloße Ansichtsäußerung Eure Entlassung herbeigeführt haben soll. Ihr werdet mich entschuldigen, Mr. Elrington, wenn ich als Tochter einem so geachteten Vater Gerechtigkeit wiederfahren lassen, und deshalb glauben möchte, daß dies der Fall sei.«

Sie sprach dies in so kalter Weise, daß ich mich aufs Empfindlichste dadurch verletzt fühlte. Miß Trevannion hatte mir ihre Dankbarkeit versprochen; statt dessen aber setzte sie Zweifel in meine Worte und ergriff so zu sagen mit ihrem Vater Partie gegen mich. Dies war also ihr Dank! Ich hätte gegen sie aufbrausen und ihr sagen können, was ich empfand – namentlich daß sie meine Gefühle für sie benützt habe, um mich zur Katzenpfote zu machen, durch welche sie ihre Zwecke gegen ihren Vater erreichen wollte, während ich jetzt, nachdem der Versuch fehlgeschlagen, sogar ohne eine Spur von Theilnahme meinem Schicksal überlassen bleiben sollte. Aber sie sah so ruhig, so ernst und so schön aus, daß es mir unmöglich war. Meinen Schmerz niederkämpfend, erwiederte ich:

»Da ich so unglücklich bin, das Mißfallen der Tochter ebenso gut, als das des Vaters auf mich gezogen zu haben, so bleibt mir nichts weiter übrig, Miß Trevannion, als Euch Lebewohl zu sagen und Euch alles Glück für die Zukunft zu wünschen.«

Meine Stimme bebte bei den letzten Worten, und nachdem ich mich gegen sie verbeugt hatte, verließ ich das Zimmer. Miß Trevannion sagte mir nicht einmal Lebewohl; aber doch meinte ich, daß ihre Lippen sich bewegten, als ich mich an der Thüre noch einmal umwandte, um den letzten Blick nach ihrem schönen Antlitz zu entsenden. Ich drückte die Thüre hinter mir zu und sank, von meinen Gefühlen überwältigt, in einem Zustand schwindliger Betäubung auf ein Canapee des Vorzimmers. Ich weiß nicht, wie lange ich dort gelegen hatte, denn die Sinne waren mir vergangen. Endlich wurde ich durch den schweren Tritt Mr. Trevannions geweckt, der ohne Licht durch den Gang kam und, ohne mich zu bemerken, die Thüre des Zimmers öffnete, in welchem sich seine Tochter noch immer befand. Nachdem er eingetreten war, warf er die Thüre hinter sich zu; sie schloß jedoch nicht ganz, und ein schmaler Streifen Helle fiel in das Vorzimmer heraus.

»Vater,« hörte ich Miß Trevannion sagen, »Ihr seht erhitzt und aufgeregt aus.«

»Ich habe auch allen Grund dazu,« entgegnete Mr. Trevannion abgebrochen.

»Mr. Elrington hat mich von der Ursache unterrichtet,« versetzte Miß Trevannion; »das heißt, ich habe seine Darstellung von der Sache vernommen Und freue mich, daß Ihr hier seid, weil ich nur aus Eurem Munde hören will, was vorgefallen ist. Hat Mr. Elrington etwas gesprochen oder gethan, was Euch in so hohem Grade reizen und seine Entlassung nothwendig machen konnte?«

»Er hat sich unverschämt und mit Undank benommen,« erwiederte Mr. Trevannion. »Ich wollte ihn zu meinem Associé annehmen, aber er hat dieses mein Erbieten zurückgewiesen, wenn ich meine Kaperspekulationen nicht aufgebe.«

»Dies habe ich auch von ihm erfahren, aber in welcher Weise ist er unverschämt gegen Euch gewesen?«

»Wie, ist es nicht genug, daß er mir sagte, er handle aus Gründen der Gewissenhaftigkeit – und war damit nicht angedeutet, daß dies bei mir nicht der Fall sei?«

»War seine Sprache beleidigend?«

»Nein, seine Sprache nicht – diese war achtungsvoll genug; aber gerade diese Achtung ist die größte Unverschämtheit. Ich sagte ihm daher, wenn ihm sein Gewissen nicht erlaube, bei den Kaperspekulationen mein Associé zu sein, so müsse es natürlich auch Gewissenssache für ihn werden, die Bücher zu führen – und so habe ich ihm den Abschied gegeben.«

»Wollt Ihr damit sagen, mein theurer Vater, er habe in achtungsvoller Weise abgelehnt, als Theilhaber in Euer Geschäft zu treten, weil es sich nicht mit seinen Grundsätzen vertrage – die ganze Beleidigung besteht demnach in nichts Anderem, als daß er seine Ansicht ausdrückte und auf Euer Erbieten nicht eingehen wollte?«

»Nun, und was willst Du weiter haben?« entgegnete Mr. Trevanion.

»Ich möchte wissen, worin die Beschimpfung und die Undankbarkeit lag, über die Ihr Euch seinerseits beschwert?«

»Einfach in der Zurückweisung meines Anerbietens. Er hätte dankbar dafür sein sollen, und dies war nicht der Fall. Er hatte kein Recht, mir derartige Gründe anzugeben, denn diese Gründe verdammen meine Handlungen. Aber ihr Weiber versteht natürlich nichts von solchen Dingen.«

»Ich muß dies fast glauben, mein theurer Vater, denn ich kann weder etwas von der Beschimpfung noch von der Undankbarkeit sehen, über die Ihr Euch beklagt; auch glaube ich, Ihr werdet selbst zu dieser Ansicht kommen, wenn Ihr Euch Zeit gelassen habt, zu überlegen und ruhiger zu werden. Mr. Elrington hat heute nichts Anderes gethan, als das was er ganz in derselben Weise nach seiner Rückkehr aus dem Gefängnisse des Towers that, indem er seinen Widerwillen gegen das Kapern ausdrückte und aus Gründen der Gewissenhaftigkeit das Kommando seines Schiffes aufgab. Damals trugt Ihr das Opfer seiner Selbsthingebung noch mit warmer Dankbarkeit in Eurem Herzen; ihr saht keine Beschimpfung darin, sondern nahmt ihn im Gegentheil noch näher zu Euch, in Euer eigenes Haus. Warum sollte daher jetzt von einer Beschimpfung die Rede sein können? Und eben so wenig sehe ich eine Undankbarkeit darin. Ihr machtet ihm ein Erbieten, dessen Werth er, vom weltlichen Standpunkt aus beurtheilt, vollkommen zu schätzen wußte; aber er lehnte es ab, aus inneren Gründen, that dies, wie Ihr selbst zugebet, mit aller Achtung und bewies dadurch, daß er bereit sei, alle seine zeitlichen Interessen dem zu opfern, was er für seine Christenpflicht hält. Als mir Mr. Elrington mittheilte, Ihr hättet ihn entlassen, fühlte ich mich so sehr überzeugt, er müsse durch ein unverzeihliches Benehmen gegen Euch einen derartigen Schritt herbeigeführt haben, daß ich seiner Versicherung vom Gegentheil keinen Glauben schenkte; denn wie hätte ich als Tochter von dem Vater eine derartige Handlung für möglich halten sollen, die so ganz im Widerstreit mit seinem gewöhnlichen Benehmen steht. Aber ich fühle jetzt, daß ich sehr ungerecht gegen Mr. Elrington gewesen bin – daß ich mich gegen ihn in einer Weise benommen habe, die ich bitterlich bereue, und ich hoffe nur, daß es mir noch möglich sei, mein schmerzliches Bedauern darüber auszudrücken.«

»Amy – Amy,« entgegnete Mr. Trevannion strenge, »hat Dich Deine Zuneigung zu diesem jungen Menschen so ganz und gar verblendet; daß Du gegen Deinen eigenen Vater Partie nimmst? Und muß ich glauben, Du habest ihm Deine Liebe geschenkt, ohne meine Erlaubniß oder Billigung?«

»Nein,« erwiederte Miß Trevanion, »daß ich Mr. Elrington achte und schätze, ist wahr, und wie wäre dies auch anders möglich, wenn ich seine vielen guten Eigenschaften und seine aufopfernde Anhänglichkeit ins Auge fasse. Wenn Ihr mich übrigens fragt, ob ich ihn liebe, so muß ich Euch antworten, daß mir ein solcher Gedanke noch nie zu Sinne gekommen ist. Ohne eine nähere Kenntniß seiner Persönlichkeit oder seiner Familie und ohne Eure Zustimmung werde ich nie daran denken, meine Neigung so übereilt wegzugeben; indeß muß ich noch weiter sagen, daß sich Mr. Elrington um diese Neigung nie beworben hat. Er benahm sich gegen mich stets mit der Achtung, die ich als Tochter seines Prinzipals mit Recht erwarten konnte; indeß hat er nie auch nur entfernt angedeutet, daß er mir einen Vorzug vor Anderen meines Geschlechts einräume. Nach dieser Versicherung, mein theurer Vater, kann ich meine Ansicht nur dahin ausdrücken, daß er in gegenwärtigem Falle nicht nur von Euch, sondern auch von mir mit Ungerechtigkeit behandelt wurde.«

»Nichts mehr davon!« entgegnete Mr. Trevannion.

Wie er dies sprach, ließen sich Fußtritte in der Flur vernehmen, und ich war eben im Begriff, mich nach meinem Zimmer zurückzuziehen; da jedoch der sich Nähernde ohne Licht kam, so blieb ich. Es war der Pförtner, der an die Thür des Wohnzimmers pochte und von Mr. Trevannion zum Eintritt aufgefordert wurde.

»Mit Erlaubniß, Sir, Mr. Elrington ist, glaube ich, ausgegangen, und ich fand dieses Paket mit Eurer Adresse auf dem Tische der inneren Zimmers – auch diesen Sack mit Geld, den Ihr vermuthlich einzuschließen vergaßt, ehe Ihr ausgingt.«

»Schon gut, Humfried; legt's auf den Tisch.«

Der Pförtner entsprach dieser Weisung und verließ das Gemach, ohne übrigens in der Dunkelheit des Vorzimmers meiner ansichtig zu werden.

»Er hat das Geld nicht genommen,« bemerkte Mr. Trevannion. »Er hätte es wohl thun können, denn er muß doch für seine Dienstleistungen bezahlt werden.«

»Mein lieber Vater, vermuthlich waren seine Gefühle durch das Vorgefallene zu sehr verletzt,« entgegnete Miß Trevannion. »Es gibt Verpflichtungen, die sich nicht mit Gold abtragen lassen.«

»Wie ich bemerke, sind hier die Schlüssel zur Kasse. Ich hätte nicht gedacht, daß er schon heute Nacht fortgehen würde.«

Ich hielt es nun für hohe Zeit, das Vorzimmer zu verlassen, in welchem mich das eben erwähnte Gespräch unwiderstehlich gefesselt hatte, und eilte nach meinem Gemach, fest entschlossen, am andern Morgen, noch ehe Jemand auf wäre, das Haus zu verlassen. Es war daselbst dunkel; aber da ich Feuerzeug hatte, so schlug ich Licht und packte meine Kleider zusammen. Ich hatte eben mein Felleisen zugeschnallt, als ich am anderen Ende des langen Ganges der zu meinem Zimmer führte, Licht bemerkte. In der Meinung, es sei Mr. Trevannion, den ich nicht zu sehen wünschte, blies ich mein eigenes aus und zog mich nach einem kleinen Ankleidezimmer zurück, das mit meinem Gemache durch eine Glasthüre in Verbindung stand. Das Licht kam augenscheinlich näher, und endlich bemerkte ich, daß die Person, welche es trug, in mein Zimmer trat, dessen Thüre weit offen stand. Es war Miß Trevannion, die, ihr Nachtlicht in der Hand, sich wehmüthig in dem Gemache umzusehen schien. Sie bemerkte mein Felleisen, und ihre Augen hafteten eine Weile darauf; endlich ging sie an den Ankleidetisch, setzte sich auf den davorstehenden Schemel, verhüllte das Antlitz mit den Händen und weinte.

»Ach, wenn diese Thränen Dir gälten,« dachte ich. »Doch nein – sie ist aufgeregt gewesen und sucht sich durch Thränen Erleichterung zu verschaffen.«

Nach einer Weile richtete sie ihr Haupt wieder auf und sagte:

»Wie ungerecht bin ich gewesen – und ich soll ihn nicht wiedersehen – könnte ich ihn nur um Verzeihung bitten, so würde ich mich glücklicher fühlen. Armer Mensch – was muß er bei meinem rohen Benehmen gefühlt haben! O mein Vater, wie hätte ich auch dies glauben können! Und was sagte ich – daß ich nichts für ihn fühle – ja, ich glaubte es damals, aber jetzt – ich weiß nicht ganz gewiß, ob ich Recht hatte, wenn schon er – nun, es ist besser, daß er fort ist – aber ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß er so von uns geschieden ist. Wie sehr muß sich seine Meinung von mir geändert haben; dies ist's was mir zu Herzen geht.«

Und sie senkte abermals das Haupt auf den Tisch und weinte.

Nach einer kurzen Weile richtete sie sich wieder auf und ergriff ihr Licht. Auf dem Ankleidetisch bemerkte sie einen kleinen goldenen Ring, den ich Tags zuvor von meinem Finger genommen und vergessen hatte; sie griff danach und betrachtete ihn. Nach einer Weile stellte sie das Licht wieder auf den Tisch und steckte den Ring an den Finger.

»Ich will ihn behalten, bis ich ihn wieder sehe,« sagte sie.

Dann ergriff sie ihr Licht und ging langsam aus dem Zimmer.

Was ich durch dieses unabsichtliche Horchen meinerseits erfahren, gab mir Stoff zu reiflichem Nachdenken und beschäftigte, während ich angekleidet auf meinem Bette lag, meinen Geist bis zum Anbruch des Tages. So viel war gewiß, daß ich die gute Meinung der Miß Trevannion nicht verloren, und diese Ueberzeugung verwischte alle Empfindlichkeit, die mein letztes Gespräch mit ihr hervorgerufen hatte. Es war ihre Pflicht, dem Vater so lange keinen Fehler zuzutrauen, bis ihr die Ueberzeugung vom Gegentheile wurde; denn ihren Vater hatte sie viele Jahre gekannt, ohne von ihm je erlebt zu haben, daß er sich einer Ungerechtigkeit schuldig gemacht hätte, während meine Beziehung zu der Familie nicht von langer Zeit her stammte. Aber ihre Aeußerungen und ihr Benehmen in meinem Zimmer – war es möglich, daß sie eine Zuneigung zu mir besaß – eine größere Zuneigung, als sie selbst gegen ihren Vater zugestand, der sie darüber befragte? – Und dann der Umstand, daß sie den Ring ansteckte!


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