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Viertes Kapitel.

Ich segle in der Sally und Kitty nach Liverpool aus und gerathe in eine Bö. – Ein Knabe fällt über Bord und ich ertrinke beinahe im Versuche, ihn zu retten. – Besuch bei dem Rheder zu Liverpool. – Ich schiffe mich in dem Dalrymple nach der afrikanischen Küste ein und lange vor dem Senegal an.


Da wir viel Prisengeld anzusprechen hatten, so besuchte ich den Agenten zu Port-Royal, um einen Vorschuß zu erhalten, setzte aber denselben durch meine Forderung in nicht geringe Verlegenheit. Da Kapitän Weatherall und so viele von den Offizieren gefallen waren, so wußte er kaum, ob diejenigen, welche sich an ihn wandten, zu Prisengeld berechtigt waren, oder nicht. Mochte er nun mein Aussehen für ehrlicher halten, als das der übrigen, oder hatte er einen andern Grund dafür – genug, er ersuchte mich, da ich von sämmtlichen Vorgängen unterrichtet sei, eine Weile bei ihm zu bleiben, und als er fand, daß ich gut lesen und schreiben konnte, mußte ich ihm eine richtige Liste der Mannschaft sammt den Namen derjenigen, welche gefallen waren, desgleichen die Angaben über die näheren Umstände aufzeichnen. Ich konnte ihm jede erforderliche Auskunft wie auch beziehungsweise Stellung der Einzelnen mittheilen, denn es hatten sich schon bei mehreren Gelegenheiten Kaper-Matrosen bei ihm eingefunden, die sich für Unteroffiziere ausgaben, während sie an Bord doch nur als Gemeine gedient hatten – eine Täuschung, durch die sie ihn bewogen, größere Vorschüsse auszuzahlen, als sie überhaupt im Ganzen zu fordern hatten.

Sobald er seine Liste gehörig in Ordnung gebracht hatte, fragte er mich, ob ich nach England zu gehen gedenke; in diesem Falle wolle er mir alle Papiere und Dokumente an den Rheder zu Liverpool mitgeben, da derselbe meines Beistandes bedürfen könnte, um die Rechnungen zu bereinigen. Weil ich damals das Kaperleben übersatt hatte, so willigte ich ein. Ich war von meinen Wunden und Beschädigungen völlig hergestellt und verbrachte nach meinem Austritt aus dem Spital ein paar Monate recht angenehm. Jetzt aber schiffte ich mich in dem Westindienfahrer, die Sally und Kitty genannt, nach Liverpool ein. Der Kommandeur des Schiffs hieß Kapitän Clarke und war ein sehr leidenschaftlicher Mann.

Wir waren noch keine zwölf Stunden zur See, als wir von einer Bö befallen wurden, die mehrere Tage anhielt und uns diese ganze Zeit unter dichtgerefften Mars- und Sturmstagsegeln erhielt. Der Sturm machte uns eine volle Woche zu schaffen und warf berghohe Wellen auf, die übrigens lang und regelmäßig waren. Am siebenten Tage legte sich der Wind, aber die See ging noch immer hoch. Gegen Abend wehte nur eine ganz leichte Brise; aber jetzt trat ein Vorfall ein, welcher mich beinahe das Leben gekostet hätte, wie Ihr selbst zugeben werdet, Madame, wenn ich Euch die Geschichte erzähle. Während der Hundewache zwischen Sechs und Acht, als eben einige Matrosen im Fockmars zu thun hatten, die andere Wache beim Nachtessen saß und der Kapitän mit sämmtlichen Offizieren in der Kajüte war, hörte ich vom Steuer aus, bei dem ich stand, eine Stimme meinen Namen rufen, die augenscheinlich von dem Meere herkam. Ueberrascht eilte ich nach der Seite des Schiffes und sah einen jungen Menschen, Namens Richard Pallant, hinten vom Schiff im Wasser schwimmen. Er war aus den Fock-Puttingen gefallen und hatte mich um Hülfe angerufen, weil er wußte, daß ich mich am Steuer befand. Ich rief augenblicklich sämmtliche Matrosen auf und machte ihnen die Mittheilung, daß Jemand über Bord gefallen sei. Der Kapitän eilte mit allen Andern aufs Verdeck und befahl das Steuer leewärts zu stellen. Das Schiff drehte sich, fiel dann ab und trieb schnell vor der Welle hin, bis wir es endlich zum Beiliegen gebracht hatten.

Der Kapitän, obschon sonst ein entschlossener Mann, war sehr bestürzt und verwirrt über die Gefahr des Knaben, denn die Verwandten desselben waren reiche Leute zu Ipswich und hatten ihn seiner besondern Obhut vertraut. Er rannte hin und her, laut hinaus wehklagend, daß der Knabe umkommen müsse, denn der Wellenschlag sei so hoch, daß er es nicht wagen dürfe, ein Boot auszusetzen, weil es eine solche See nicht auszuhalten im Stande sei; wenn aber das Boot mit der Mannschaft zu Grunde gehe, so blieben ihm nicht Leute genug an Bord, um das Schiff nach Haus zu bringen. Da der junge Mensch keine hundert Ellen vom Schiffe ab schwamm, so deutete ich auf die Möglichkeit hin, ihn durch Schwimmen mit der Tieflothleine zu erreichen; diese werde stark genug sein, um sowohl den Verunglückten, als den, der die Rettung versuche, an Bord zu ziehen. Kapitän Clarke wurde darüber sehr aufgebracht, erklärte mit einer Betheurung, daß dies unmöglich sei und fragte mich, wer zum Teufel denn gehen werde. Aergerlich über eine solche Antwort und von dem Verlangen beseelt, dem Knaben das Leben zu erhalten, erbot ich mich selbst zum Versuch. Ich entkleidete mich, befestigte die Leine um meinen Leib und sprang über die Schiffsseite ins Wasser. Aber das Tau war neu und steif im Bug, so daß es nicht fest um mich anschloß; es entschlüpfte mir daher und ich schwamm durch, konnte es übrigens noch mit den Füßen erfassen und dadurch festmachen, daß ich den einen Arm und den Kopf durch die Schlinge zog. In Folge der Tragkraft des Wassers in diesen Breiten wurde mir das Schwimmen leicht, und ich hielt gerade auf den Unglüchlichen ab, hatte aber kaum die Hälfte des Weges zurückgelegt, als sich die Leine an Bord plötzlich verfing und mich rücklings unter das Wasser zerrte. Ich erholte mich bald wieder und griff aufs Neue aus. Mittlerweile aber hatte man, um die Leine an Bord loszumachen, einige der verwirrten Theile durchschnitten und in der Verwirrung der Hast den unrechten Strang getroffen, so daß das Ende über Bord ging und das halbe Tau an meinem Leibe hing, während das andere triftig vom Schiff niederfiel. Man rief mir augenblicklich zu, ich solle umkehren; aber vor dem Rauschen der Wellen konnte ich kein Wort verstehen, und ich glaubte daher, daß man mich zum Fortfahren ermuntere. Ich antwortete mit einem Hurrahruf, um das Vertrauen an den Tag zu legen, das ich zu mir selbst besaß. Mit Leichtigkeit kam ich über die Wellen vor mir weg, obschon es dabei nur langsam vorwärts ging und ich den Knaben nur in Zwischenräumen, wenn ich mich auf der Höhe der Woge befand, bemerkte. Der Arme konnte nur schlecht schwimmen und hob nicht auf das Schiff ab, sondern hielt die Augen gen Himmel geheftet und plätscherte wie ein Hund, um sich über dem Wasser zu erhalten. Ich begann nun die Last der Leine an mir zu fühlen und fürchtete, daß ich es nicht werde aushalten können. Reue über meine Voreiligkeit bemächtigte sich meiner, und ich gab dem Gedanken Raum, daß ich blos mich selbst geopfert habe, ohne daß eine Möglichkeit vorhanden sei, den Verunglückten zu retten. Gleichwohl kämpfte ich mich eifrig weiter, bis ich den Platz erreicht hatte, wo sich meiner Vermuthung nach der Knabe befinden mußte. Als ich umherschaute, ohne ihn zu bemerken, fürchtete ich schon, er müsse versunken sein; beim Steigen der nächsten Welle aber entdeckte ich ihn im Troge, wo er, von der langen Anstrengung fast aufgerieben, aus Leibeskräften kämpfte, um sich über dem Wasser zu erhalten.

Ich schwamm nach ihm hinunter und rief ihm zu; er war noch bei Besinnung, aber in äußerstem Grade erschöpft. Meiner Aufforderung, mich blos bei der Hand zu halten und ja nicht meinen Leib zu berühren, da sonst wir beide versinken würden, versprach er Gehorsam, weshalb ich ihm meine Rechte hinbot und dann nach dem Schiffe hin das Signal gab, daß man anholen sollte, denn ich ließ mirs nicht entfernt träumen, daß die Leine durchschnitten war. Indeß erschrack ich nicht wenig, als ich bemerkte, daß die Entfernung des Schiffs wenigstens tausend Ellen betrug; ich wußte nämlich daß die Tieflothleine nur hundert Faden maß und ich daher triftig geworden sein mußte – eine Wahrnehmung, die auf einmal allen meinen Muth niederschlug. Das Entsetzliche meiner Lage vergegenwärtigte sich mir augenblicklich und ich fühlte, daß ich verloren war; aber obschon der Tod unvermeidlich schien, begann ich dennoch den Ringkampf um mein Leben, der um so angestrengter wurde, weil mich das Tau jetzt mehr und mehr niederzog. Während meines Vorwärtsschwimmens hatte es nachgeschleppt und ich fühlte nicht die Hälfte seines Gewichts, obwohl es mich in meinem Wege hemmte; jetzt aber sank es in die Tiefe und zerrte mich mit sich. Auch die Wellen hatte ich, so lang sie vor mir waren und ich sie annähern sah, leicht überwinden können; jetzt aber kamen sie hinter uns her, brachen über unsere Köpfe herein, begruben uns oder rollten mit solcher Macht, daß wir überkugelten.

Ich versuchte, mich von der Leine loszumachen, aber vergeblich, weil sich der Knabe an meiner einen Hand festhielt und die Schlinge sich zusammengezogen hatte. Die einzige Ermuthigung in meiner Noth erholte ich aus der Wahrnehmung, daß die Leute an Bord das Boot heraus schafften; denn obgleich der Kapitän es nicht um einer einzigen Person willen hatte gefährden wollen, bestanden doch jetzt die Matrosen auf Aussetzung desselben, weil zwei über Bord waren und Einer davon sein Leben in die Schanze geschlagen hatte, um einen Kameraden zu retten. Dies war für mich eine angstvolle Zeit; endlich aber erfreute ich mich der Gewißheit, daß der Nachen vom Schiffe klar um den Bug herumruderte. Gleichwohl hielt man das Wagniß für so gefährlich, daß sich, als es zur Bemannung des Bootes kam, nur drei zum hineinsteigen bereit finden ließen, und diese waren in der Verwirrung nur mit zwei Rudern und ohne Steuer abgefahren. Unter so unvortheilhaften Verhältnissen konnten sie natürlich nur sehr langsam gegen die berghohen Wellen ankommen, denn sie mußten mit den Rudern steuern, damit das Fahrzeug nicht versinke. Indeß reichte doch der Anblick des Bootes hin, um mich aufrecht zu erhalten. Ich kämpfte mich wahrhaft in ganz unglaublicher Weise ab; aber was thut der Mensch nicht in der Todesangst! Wie es langsam heran kam, nahmen auch allmählig meine Kräfte ab. Ich war nun oft mit dem Knaben unter Wasser und hob mich wieder zu neuer Anstrengung, bis sich endlich eine Kammwelle über uns brach und uns mehrere Fuß tief untertauchte. Die Gewalt der Woge trieb den Knaben gegen mich hin und er faßte mich, während mein Kopf niederwärts hing, an den Lenden. Vergeblich gab ich mir alle Mühe, mich loszumachen, und ich hielt mich für verloren – denkt Euch, welch eine Menge von Gedanken und Erinnerungen in jenen wenigen Augenblicken (denn länger konnte es nicht gewährt haben) mein Gehirn durchzuckten! Endlich tauchte ich, da mein Kopf bereits abwärts stand, noch tiefer hinab, obschon ich von dem langen Halten des Athems unter dem Wasser fast erstickte.

Dieser Kunstgriff übte die gewünschte Wirkung; denn als der Knabe bemerkte, daß ich, statt mich mit ihm zu heben, noch tiefer sank, ließ er los, um wieder nach der Oberfläche zu gelangen. Ich drehte mich, folgte ihm und konnte nun aufs Neue Athem schöpfen. Noch ein Augenblick würde unser beiderseitiges Schicksal entschieden haben. Ich dachte nicht länger daran, den jungen Menschen zu retten, sondern hob auf das Boot ab, das mir jetzt nahe stand; der Knabe aber, der dies bemerkte, rief mir zu, ich möchte ihn um Gottes Willen nicht verlassen. Da ich mich einigermaßen von meiner Erschöpfung erholt hatte, kam mir der Gedanke, ich könnte ihn eben so gut, als mich selber retten, und das Mitleid bewog mich, wieder umzukehren. Abermals gab ich ihm meine Hand, ihm auf Leib und Leben einschärfend, daß er meinen Körper nicht zu fassen versuchen solle, und der angestrengte Kampf, sowohl ihn als mich über dem Wasser zu halten, begann aufs Neue. Meine Kräfte waren beinahe völlig aufgerieben, denn das Boot näherte sich nur langsam, und wir sanken beharrlich unter das Wasser, nur alle paar Sekunden wieder auftauchend, um Athem zu schöpfen. Barmherziger Gott, wie langsam schien das Boot heranzukommen! Ein Ringen um das andere; jedes schwächer, als das frühere – aber dennoch erhielt ich mich im Schwimmen. Endlich verließ mich fast alle Besinnung, und ich schluckte viel Wasser. Es war mir, ich sei in einem grünen Gefild, als ich von den Männern erfaßt und ins Boot geworfen wurde, wo ich leblos neben dem Knaben liegen blieb. Nun aber kam eine neue Gefahr – wie sollte das Boot wieder das Schiff erreichen? Mehr als einmal würde es durch die nachfolgenden Wellen halb angefüllt, und als es endlich neben dem Westindienfahrer angelegt hatte, handelte sichs um die Schwierigkeit, uns herauszubringen, denn wenn sich der Nachen der Seite näherte, stand zu befürchten, daß er in Stücke zerschellt werde. Man ließ die Takeln von den Nocken nieder. Die drei Matrosen kletterten daran hinauf und überließen uns unserem Geschick, welches davon abhieng, daß das Boot eingebracht, oder zertrümmert wurde, in welch letzterem Fall wir verloren gewesen wären. Indeß lief die Sache doch günstig ab und wir gelangten, obschon unter großer Beschädigung unseres Kahns an Bord. Ich hatte die Leine noch immer umhangen und es stellte sich heraus, daß ich die Last von siebenzig Ellen getragen hatte. Die Anstrengung hatte mich dermaßen aufgerieben, daß ich viele Tage meine Hängematte hüten mußte, während welcher Zeit ich meine Vergangenheit überblickte und mein Leben zu bessern gelobte.

Wir langten zu Liverpool an, ohne daß uns weiter irgend etwas Denkwürdiges aufgestoßen wäre, und ich besuchte unverweilt mit den mir anvertrauten Papieren den Eigenthümer des Schiffs, dem ich alle wünschenswerthe Auskunft ertheilte. Er fragte mich, ob ich wohl wieder auf einen Kaper zurückkehren oder nicht lieber als Mate an Bord eines nach der afrikanischen Küste bestimmten Schiffes eintreten möchte – eine Wahl, bei der ich mich für das Letztere entschied, sobald ich in Erfahrung gebracht hatte, daß das Fahrzeug nach dem Senegal gehen sollte, um gegen englische Cattune und Stahlwaaren Elfenbein, Wachs, Goldstaub und andere Artikel einzutauschen. Ich muß dies bemerken, da ich mich nicht zum Eintritt hätte bewegen lassen, wenn es nach dem Beispiele der meisten Schiffe, welche von Liverpool aus nach jener Küste gingen, sich mit dem Sklavenhandel befaßt hätte. Einige Tage später ging ich als Mate an Bord des Dalrymple, unter dem Befehl des Kapitän Jones stehend. Die Fahrt nach dem Senegal ging sehr schnell von Statten, und wir brachten unser Schiff an der Barre vor Anker.


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