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Viertes Kapitel

William's Krankheit. – Bill's Edelmuth. – Verkauf der Farm. – Nachricht aus Europa. – Entscheidung.

Jackson, am Pearl-River gelegen, ist jetzt eine fleißige, lustig emporblühende Stadt. Zur Zeit des im verflossenen Kapitel Erzählten aber bestand es aus wenigen sehr unansehnlichen Häusern. Das größte und solideste war dazumal ein langes, einstöckiges Holzgebäude, mit einer kleinen Veranda umgeben, an deren Gitterwerk von Elle zu Elle Ringe angebracht waren, um die Pferde der Reisenden daran zu befestigen, denn dieses Gebäude war ein Gasthaus, wie das über der Eingangsthür prunkende grell gemalte Schild verrieth: Das Unions-Hotel.

Der Besitzer desselben stand breitspurig in der Thür, die Hände, als echter Yankee, tief in den Hosentaschen vergraben und blickte nachlässig pfeifend auf einen Mann, der eifrig auf ihn einsprach.

»Hm, mein werther Bill,« sprach endlich der Wirth, »das ist Alles recht schön, aber wer bürgt mir für die Zeche, wer für die Kosten des sehr möglichen Begräbnisses?«

»Ich, Herr Wirth, ich selbst!« entgegnete der Andere heftig.

»Aya! Sie?« Und der Wirth zog in komischem Erstaunen die Achseln in die Höhe. »Sie Bill? Und welchem Werth legt Ihr Eurer Bürgschaft bei? Bin wirklich neugierig das zu erfahren!«

»Das könnt Ihr selbst ermessen,« rief nun Bill wüthend, »da ich Euch hiermit 200 Dollars übergebe. Verpflegt den Mann auf das Beste, sorgt für dessen Pferd und vergeßt nur vor allen Dingen nicht den Arzt holen zu lassen.«

Damit sprang Bill auf sein Pferd und jagte davon; in grenzenloser Verwunderung starrte der Wirth dem sich rasch Entfernenden nach, dann wandte er sich plötzlich und verschwand in seinem Hause, in welchem nun seine gellende Stimme erklang, die einem Neger befahl, sogleich den Arzt aufzusuchen; dann hörte man ihn eine Wärterin nach einem Zimmer des Stockwerkes senden.

Bill aber jagte den Weg zurück, den er mit William geritten, er hatte sich fest vorgenommen, den Letzteren nicht zu verlassen, und wollte nur seine Frau benachrichtigen, welcher Grund ihn in Jackson zurückhielt.

Eilig trabte er mit der schlechtesten Laune dahin, zu seinem großen Verdrusse folgte ihm der Bluthund, dessen plötzliche Liebe er durchaus nicht begreifen konnte. Jetzt hatte er die Lichtung erreicht, auf der er mit William zusammengetroffen war.

Er lenkte sein Pferd vom Wege ab nach dem verhängnißvollen Platze und starrte lange, vor sich nieder. Im Geiste durchlebte er noch einmal die Ereignisse der letzten Tage, wie er durch seinen Leichtsinn sich und die Seinen in's Elend gebracht, wie das launenhafte Glück ihm dann wieder gelächelt, und statt das Geschick für den unerwarteten Reichthum zu preisen, hatte er die Hände ausgestreckt nach fremdem Eigenthume. Er gedachte, welche Strafe ihm geworden, wenn ihn William den Gerichten überliefert und was wäre dann aus seinem Weibe, aus seinem munteren Knaben geworden?

Schaudernd wandte er dem Orte den Rücken und ritt langsam, in tiefes Sinnen verloren weiter, er hatte dem Pferde die Zügel über den Nacken gelegt und achtete nicht darauf, daß dasselbe von seinem richtigen Weg abbog, daß es der Hündin folgte, die jetzt vor demselben herlief.

Da schimmerte in der Ferne ein Licht, die Hündin sing an schneller zu laufen und willig folgte ihr das Pferd, vor dessen Geiste ein reizendes Bild von goldgelben Maiskolben auftauchen mochte. Jetzt schlug ein Hund an, Diana antwortete und schoß wie ein Pfeil davon; da das Roß in denselben raschen Lauf fiel, erwachte Bill endlich aus seinen Träumen und schlug sich unwillig vor die Stirn, daß er nicht des Weges geachtet und viele kostbare Stunden vergeudet habe. Er wollte schon sein Pferd wenden, um den rechten Pfad aufzusuchen, als er vor sich das Licht gewahrte. Berechnend, daß ihm eine Frage viel schneller, als langes Suchen in der finsteren Nacht orientiren würde, ritt er entschlossen dem Lichte zu.

» Hollah the house,« rief er schallend durch die finstere Nacht, als er an der Fenz anlangte, und wenige Secunden später öffnete sich die Thür des kleinen Blockhauses, aus dem das Licht schimmerte. Ein Mann, eine Kienfackel hoch empor hebend, trat in's Freie und frug, was der Fremde wolle.

»Ich Hab mich verirrt und will nur den Weg nach den Pearl-River erfragen, habe ich ihn erreicht, so weiß ich mich zu finden.«

»Reitet gerade nach Norden, so habt Ihr in etwa drei Stunden den Fluß erreicht, doch ist dies heut unmöglich, der Sturm von gestern hat den Weg mit Aesten und Zweigen übersäet, Ihr würdet sicher vom Wege abkommen. Uebernachtet hier, Fremder, Ihr könnt morgen bei Zeiten weiter reiten.«

Ueberzeugt, daß seiner Einladung Folge geleistet würde, schritt der Farmer nach der Fenz, um den späten Gast einzulassen. Bill sah ein, daß ihm nichts übrig bliebe, als das Nachtlager anzunehmen und seine Unachtsamkeit verwünschend, ritt er nach der Stelle, wo der Farmer die Fenz geöffnet.

»So, Sir,« rief der Letztere, »gebt mir den Zügel, ich werde Euer Ponny leiten, der verwünschte Orkan hat Alles umhergestreut.«

Damit leitete er das Pferd, nachdem er die weggenommenen Fenzstangen wieder an ihren Platz befestigt, vor das Haus und dasselbe an einen Pfahl bindend, lud er Bill ein abzusteigen.

»Tretet ein, Fremder,« sprach der Farmer, der kein Anderer, als unser Freund George Alten war, »tretet ein und nehmt mit dem Wenigen fürlieb, das ich Euch bieten kann. Zurück, ihr Bestien, Trust zurück, Diana willst Du wohl hören? Was fällt dem Vieh ein?« rief George mit dem größten Erstaunen, als er sah, daß die Hündin dem Fremden freudig wedelnd umsprang.

»Kennt Ihr den Hund?« frug Bill, nun seinerseits erstaunt, das Thier, das ihn begleitet, hier zu Haus zu finden.

»Ob ich den Hund kenne? Wahrlich, Fremder, das ist eine seltsame Frage! Es ist mein Hund, auf meiner Farm geboren und bei Gott, eher könnt ich Euch fragen, wie Ihr die Bekanntschaft des Thieres gemacht und – Tod und Teufel, wo hatte ich meine Sinne?« fuhr George jetzt wild empor, indem ein unheimliches Feuer aus seinen Augen blitzte. »Dieses Thier begleitete augenscheinlich Euch, denn kaum zwei Secunden vor Eurer Ankunft kratzte es, Einlaß begehrend, an der Thür, während ich es in Jackson wähnte, wohin es ein Freund von mir mitgenommen. Fremder! sagt mir, wie kommt Ihr zu dem Hunde? Hah und Euer Anzug ist voll Blut, zerrissen wie im Kampfe. Bob, halloh an die Thüre, daß uns der Mann nicht entwischt und nun Sir, gebt Rechenschaft, woher habt Ihr den Hund? Wo ist mein Freund?«

»Ihr braucht keine Sorge zu tragen, daß ich entwische,« entgegnete Bill ruhig. »Ich verwünschte vorhin das Geschick, als ich vom rechten Pfad abgekommen, jetzt preis ich es. Aus Eurer Rede vermuthe ich, daß Ihr George Alten seid. Mein Plan war, diese Nacht mein Weib zu benachrichtigen, daß ich längerer Zeit nicht nach Hause kommen würde! denn Euch, Sir, aufzusuchen, sollte meine nächste Aufgabe sein; ich hatte allerdings keine Ahnung, daß Ihr Euch auf Jerry's Farm aufhieltet und hätte wahrscheinlich lange vergeblich geforscht, da ich von William Warren nur Euren Namen erfuhr.

»Ah! William, William, wo ist er?« frug George ungeduldig.

»In Jackson, mein werther Sir!« und nun erzählte Bill sein Zusammentreffen mit William, wenn er es auch nicht für nöthig fand, die eigenthümliche Art ihres Bekanntwerdens mitzutheilen. »So jagten wir denn,« erzählte er seinen beiden athemlosen Zuhörern, »unter den Bäumen dahin, was die Pferde nur laufen konnten; die vom Orkane losgerissenen Aeste prasselten um uns nieder, dicht wie der herabströmende Regen. Da schwand mir, der ich nun über achtzehn Jahren in den Wäldern lebe und mancher Gefahr schon in's Auge gesehen habe, wahrlich der Muth, ich glaubte die Erde sollte untergehen und schweigend ritten wir dahin, nur bemüht, uns dicht aneinander zu halten. Endlich sah ich in der Ferne Lichter schimmern, ich wußte, es sei Jackson, wußte, daß wir in höchstens zwei Minuten das Ende des Waldes erreichen würden, daß wir bald gerettet seien.

»Jubelnd brüllte ich meinem Gefährten die frohe Kunde in's Ohr! Ob er mich verstanden, weiß ich nicht, doch war es mir, als ob eine Antwort an mein Ohr schlage und ich sah', daß er sein Pferd zu größerer Eile antrieb. – Da flammte ein Blitzstrahl herab, daß ich geblendet die Augen schloß; ein Donnerschlag folgte, wie ich einen gleichen noch nie gehört und unter dem Prasseln der zerschmetterten Bäume flog ich besinnungslos vom Pferde! doch bald brachte mich der strömende Regen wieder zur Besinnung, ich sprang auf und fand mein Ponny wiehernd neben mir stehen. Ich saß auf und ritt eilig aus dem Walde, dort hielt ich, um mich nach meinem Gefährten umzusehen. Da hörte ich vor mir rasch sich entfernenden Hufschlag, hörte das Bellen dieses Hundes, das ich leicht an dem tiefen Baßton erkannte; überzeugt, mein Begleiter reite vor mir, sprengte ich ihm nach; immer deutlicher hörte ich die Pferdetritte, ein Beweis, daß ich mich ihm näherte und noch vor dem ersten Haus Jackson's, das diesseits des Flusses steht, holte ich das Pferd ein. Das Pferd sage ich, denn es war reiterlos, nur der Hund sprang vor demselben her, als wolle er es zurückscheuchen.«

»Schrecklich! Schrecklich!« stöhnte George und Bob schlug heulend seine Hände vor das schwarze Gesicht.

»Ja, schrecklich war auch mir der Anblick!« fuhr Bill fort. »Leicht gelang es mir Williams Rappen zu fangen, der Hund, der mir bis jetzt stets feindlich entgegengetreten war, folgte mir wie ein Lamm. So zog ich in's Unions-Hotel, ließ die Thiere füttern und pflegen und stärkte mich durch einige Gläser Whisky. Hatte der Orkan auch nachgelassen, so war doch noch solch Hundewetter, daß ich den Wirth vergeblich bat, mir ein Paar Neger mitzugeben, ich aber ließ mich nicht abschrecken und zog, die Hündin an einer Leine führend, dem Orte zu, wo ich gestürzt war.

»Bald nahm das treffliche Thier die Fährte auf und führte mich an einen riesigen Haufen übereinander liegender Aeste, dort blieb es stehen und sein Gebahren bewies nur zu deutlich, daß William darunter liege.

»Nachdem ich mich vergeblich bemüht, die Aeste, wegzuzerren, schlug ich eilig den Rückweg ein, um Hilfe zu holen. Diana aber wich und wankte nicht von dem Orte, wo William augenscheinlich verschüttet lag. Was meine Bitten nicht vermocht, das bewirkten meine Dollars, und bald war ich mit vier Negern und einem leichten Wagen an der Unglücksstätte angelangt; die Neger mit Aexten bewaffnet, brachten leicht ein tüchtiges Theil des Holzes auf die Seite und nun erblickten wir auch Williams Körper. Mit dem besten Willen faßten die Schwarzen zu und nach wenigen Minuten war der bewußt- und regungslose Körper auf dem Wagen. Vorsichtig fuhren wir ihn in das Gasthaus und dort wurde der Unglückliche sorgfältig untersucht. Er war zwar stark verwundet, doch allem Anschein nach, noch lebend. Es gelang mir, den Wirth zu bestimmen, den jungen Mann in Pflege zu nehmen und nachdem auch zum Arzte geschickt war, eilte ich davon – und ein merkwürdiger Zufall leitete mich hierher!«

Eine lange Pause folgte Bill's Erzählung, nur hin und wieder durch Bob's Schluchzen unterbrochen; endlich stand George auf und reichte dem Retter Williams herzlich die Hand.

»Verzeiht mir den barschen Empfang,« bat er, »die Sorge um meinen Freund riß mich hin, kenne ich ihn auch erst wenige Tage, so liebe ich ihn doch wie einen Bruder. Kommt, vergeßt die Worte, die ich in der Aufregung sprach, stärkt Euch und dann wollen wir uns niederlegen, denn beim ersten Hahnenschrei reite ich nach Jackson.«

»Ich auch,« murmelte Bill mit vollen Backen.

»Ich auch« heulte Bob.

»Mein lieber Junge,« rief aber George, schon auf seinem Lager ausgestreckt, »leider mußt Du auch diesmal zurückbleiben, Du kannst Deinem Herrn vor der Hand nichts nützen, handelst aber sicher nach seinem Willen, wenn Du hier zurückbleibst und die kleinen nothwendigen Geschäfte besorgst, die Pferde fütterst und dann als echter Gentleman den Tag mit Nichtsthun zubringst.«

Bob machte noch allerlei Einwände, doch bewies ihm George's tiefes, regelmäßiges Athemholen, daß er tauben Ohren predige, Bill schnarchte gleichfalls schon längst auf seinem Felle und so warf er sich auch nieder, die Menschen verwünschend, die es sich herausnahmen, so ganz ohne seinen Willen über seine kostbare Person zu verfügen. –

Die aufgehende Sonne brach kaum durch die Spitzen der höchsten Bäume, als George und Bill bereits ihre Pferde bestiegen und den Weg nach Jackson einschlugen; Freund Bob aber blieb in einer verzweifelten Stimmung zurück und sandte den soeben im Walde verschwindenden Reitern noch einige wunderbare Schmeicheleien nach. So sehr diese auch sonst durch das Wesen des Negers ergötzt gewesen wären, nahm doch die Sorge um William ihre Aufmerksamkeit ausschließlich in Anspruch und so ritten sie fast wortlos dahin, ihre Pferde in einem so raschen Tempo haltend, daß sie am selben Abend noch ihre schweißtriefenden Rosse an die Eisenringe am Unions-Hotel befestigen konnten.

Hastig traten die beiden Reisenden in das fast leere Gastzimmer, um sich durch einen Trunk zu erquicken; vor dem Kamin saß ein Mann, der eifrig beschäftigt war, mit seinem Bowiemesser Spähne von einem Stück Holz abzuschneiden, das er zwischen seinen Knien hielt. Am Schenktisch lehnte ein Neger, glotzte schläfrig in die trübe Oellampe und fuhr sehr unangenehm überrascht empor, als die beiden so späten Gäste erschienen, ein Zimmer und Verpflegung der Pferde verlangend, doch verließ der Bursche den Saal, um die nöthigen Anordnungen zu treffen.

»Ist Dein Master noch auf Cäsar?« frug George den Neger, als dieser wieder im Zimmer erschien.

»Ah! Massa George,« grinste nun bedeutend freundlicher der Schwarze, »ich hatte Sie nicht erkannt, das Licht brennt so schlecht.«

»Und der Schlaf sitzt Dir schon in den Augen, nicht wahr? Na, laß es gut sein und sag, wo der Wirth ist?

»Bereits zu Bett, Massa!«

»So, so! das ist schade, denn ich weiß, er läßt sich nicht gern wecken. Doch sag' Cäsar, wie befindet sich der Fremde, der zur Pflege hier untergebracht wurde?«

»Das mein Herr!« rief der Mann am Kamin, »kann ich Ihnen am besten sagen, ich bin der Arzt dieses Ortes und habe den jungen Mann vor kaum zwanzig Minuten verlassen.«

»Ah, lieber Sir, wie mich das freut«, entgegnete George lebhaft und seine Stimme bebte vor Aufregung, als er den Arzt bat, ihm zu sagen, ob das Leben seines Freundes in Gefahr sei?

»Nicht im Geringsten,« versicherte der freundliche Arzt. »Der Fremde hat einige tüchtige Quetschungen, hat einen Beinbruch erlitten, das ist Alles. Er würde auch in acht Wochen gesund und munter sein, wie vor dem Fall, hätte er nicht so lange unter den Aesten gelegen, als Bett den vom Regen total zerweichten Boden. Da hat freilich die nasse Unterlage und der Druck des auf ihn liegenden Holzes seinen Körper bös angegriffen, doch wird das weiter keine Folgen haben, als daß es die Heilung verzögert und mein Wort zum Pfand! kommt das Frühjahr, so können Sie mit Ihrem Freunde wieder lustig im Walde jagen.« Damit stand der würdige Mann auf, bezahlte seine Zeche und wenige Secunden später trug ihn sein munteres Ponny in den Wald, da er noch einen Besuch von einigen Meilen zu machen hatte, obgleich es schon zehn Uhr war.

Der Doctor hatte übrigens wahr gesprochen, George und Bill fanden am anderen Morgen ihren Freund zwar ungemein schwach, doch bei voller Besinnung. Konnte er auch nicht reden, so waren seine herzlichen Blicke, der leise Druck seiner Hand den beiden Männern genug und mit beruhigtem Herzen verließen sie Jackson, nach einer langen Unterredung mit dem Wirthe.

Selbstverständlich schickte George nun den treuen Bob seinem Herrn zur Wege und eiliger hatte der Bursche wohl noch nie seinen Grauschimmel gesattelt, als an dem Tage, an welchem er in Bills Begleitung nach Jackson ritt. Letzterer nahm bei seiner Rückkehr William's Pferd und Bob's Ponny zur Farm zurück; eine weise Vorsicht, denn schon zu jenen Zeiten verstanden die amerikanischen Wirthe ganz vortrefflich die Kunst eine horribele Rechnung zu schreiben.

Des Arztes tüchtige Kenntnisse, Bob's treue Pflege und William's unverdorbene Constitution, wirkten denn auch so prächtig zusammen, daß binnen acht Tagen jede Gefahr beseitigt war. So schwand das Jahr, das neue kam heran und William fing den Doctor bedeutend zu drängen an, ihm endlich das Aufstehen zu gestatten. Doch schüttelte derselbe immer noch verneinend den Kopf und sagte lachend:

»Bleiben Sie noch ruhig liegen. Sie haben die beste Pflege. Ihre Freunde besuchen Sie häufig und die übrige Zeit verbringen Sie ja herrlich mit der Dressur Ihres Lieblings! Dabei klopfte er schmeichelnd den mächtigen Kopf Diana's, die George auf William's Bitten Letzterem geschenkt.

»Sie verlieren auch verdammt wenig,« fuhr der Arzt, an das Fenster tretend fort. »Es ist jetzt Tag für Tag ein schauerliches Wetter, das Ihnen gerade keine entzückende Aussicht bieten würde. Doch was ist das? Nach unseren Uebereinkommen soll Sie Mr. Alten erst morgen wieder besuchen und doch kommt er dort in Bill's Begleitung angetrabt; ist es auch gegen die Verabredung, so freut mich die Anhänglichkeit der Beiden doch herzlich.« Bald standen dieselben auch an William's Lager, ihm herzlich die Hände schüttelnd und Beide waren so ausgelassen lustig, daß der Arzt endlich zu etwas Mäßigung rieth.

»Ach was Doctor,« lachte George, »verderben Sie uns unsere Freude nicht.« Dann sprang er auf und stellte Bill den erstaunten Männern als den neuen Besitzer seiner von Jerry geerbten Farm vor.

»Ja, ja, Freund Willy,« fuhr George fröhlich fort, »nun bleibe ich hier, gestern Abend sind wir einig geworden, wir wollen heut noch die Geschichte gerichtlich machen und dann nimmt übermorgen Bill von Allem Besitz, wie es draußen steht und liegt.«

»Doch nicht auch von meinen Pferden?« scherzte William.

»Nein, habt keine Angst,« versetzte Bill; »allein pflegen will ich die Thiere, daß das Herz Euch im Leibe lachen soll, wenn Ihr sie wieder seht! Doch George kommt, wir wollen auf das Gerichtshaus gehen und den Kauf glatt machen, ich kann es kaum erwarten, wieder ein Eigenthum zu besitzen.«

Damit eilten die Beiden hinaus, kaum sich Zeit lassend, die Glückwünsche der Zurückbleibenden in Empfang zu nehmen.

»Hätte nimmer geglaubt,« sagte der Arzt, als die Thür sich geschlossen, »daß Bill Geld hätte. Alten's Farm ist doch mit dem Vieh unter Brüdern seine 6–700 Dollars werth.

»Sechshundert Dollar hat Bill auch bezahlt und zwar mit eigenem Gelde,« entgegnete der Kranke. »Der wackere Bursche hatte beim Wirth für mich 200 Dollars deponirt, ohne zu wissen, ob ich im Stande sei, diese Summe ihm wieder zurückzuerstatten und doppelt anerkennungswerth ist diese Handlung, da jene zweihundert Dollars ein Drittel seines Vermögens waren. Nur durch Zufall erfuhr ich Bill's Edelmuth und Doctor, Sie kennen ja meine Lage und so können Sie sich wohl denken, wie sehr mich die Zurückerstattung des Geldes peinigte.«

»Und wie gelang es Ihnen, Bill wieder zu seinem Gelde zu verhelfen?« frug der Arzt.

»Ja, ja, Sir,« war Williams Antwort, »die Zeit der Wunder ist noch nicht vorüber, ich schrieb, und wahrhaftig mit der geringsten Hoffnung, an meinen Rechtsanwalt in New-Orleans und denken Sie sich mein freudiges Erstaunen, als vierzehn Tage nach Absendung meines Briefes, ein Schreiber des hiesigen Notars erschien und mir für Rechnung des New-Orleaner Advocaten Screw fünfhundert, sage fünfhundert Dollars auszahlte. Meine Angelegenheiten müssen eine merkwürdig günstige Wendung genommen haben, daß der zähe Screw einen solch bedeutenden Vorschuß zahlt. Das Erste, was ich nach Empfang des Geldes that, war natürlich, meine Schuld an Bill abzutragen, den nichts im Stande war zu bewegen, auch nur einen Cent mehr als die geliehene Summe anzunehmen.«

»Und nehmen Ihre Angelegenheiten wirklich ein günstiges Ende,« frug der Doctor fast lauernd, »dann eilen Sie wohl nach New-Orleans und vergraben sich in eins der dumpfen Häuser?«

»Große Lust habe ich wahrlich nicht dazu, doch was bleibt mir übrig?«

»Was Ihnen übrig bleibt?« fuhr der Arzt auf, »Donnerwetter Mann, das bleibt Ihnen noch, wenn Ihre Beine zu schwach sind, Sie in den Wald zu tragen, wenn Ihr Auge nicht mehr das Korn der Büchse erkennt – dann schreibt Zahlen, so viel Ihr wollt, aber jetzt – na, schaut mich nur nicht so erstaunt an!«

»Aber lieber Doctor, Sie sind ja selbst ein ehrbarer Bürger und –«

»Der Teufel bin ich! Glaubt Ihr vielleicht, ich begrübe mich in einer Stadt? Pah, noch hängt an meinem Sattel die Büchse neben meinem Pflasterkasten und der Kranke, welcher 6-8-10 Meilen tief im Walde wohnt, ist mir der Liebste, das ist er! Bürger? – Bürger? – Unsinn verdammter, das sind solch' hausbackene Ideen, die Ihr aus dem alten Europa herübergeschleppt. Muß übrigens ein nettes Land sein, wie mir Strick, der Deutsche, der unten an der Slew wohnt, vor Kurzem erzählte, soll man dort drüben nicht fünf Minuten laufen können, ohne zum wenigsten einen Menschen zu treffen. Bären sollen dort nur in Menagerien zu sehen sein, ja es soll drüben Menschen geben, die in ihrem gesegneten Leben noch nie einen Hirsch erblickt haben. Wirklich, ein nettes Land muß das sein! Apropos,« fuhr der Arzt fort, nachdem er durch Auf- und Niederlaufen in Williams Stube seinen Ingrimm niedergekämpft, »Apropos! hat denn Ihr sehr ehrenwerther Oheim noch nicht geantwortet? Im October, sagten Sie, müsse er Ihren Brief bekommen haben, jetzt sind wir im April – den Teufel auch! Zeit zum Briefschreiben hat er gehabt.«

»Ich wundere mich selbst, daß er noch nicht geantwortet,« sagte William finster. »Bin überhaupt in der verzweifeltesten Stimmung; seit vier Monaten bin ich nun schon krank und wäre längst verrückt geworden, hätten Sie, Georg, und Bill sich meiner nicht so freundlich angenommen.«

»Ja, ja, Freund William, eben Ihrer verzweifelten Stimmung haben Sie Ihr langes Krankenlager zu verdanken; Sie sind ja wahrhaftig der Reihe nach aus einer Krankheit in die andere gefallen, und Ihr letztes Nervenfieber war bei Gott nicht ohne. – Doch Geduld, nächsten Sonntag dürfen Sie aufstehen, wenn Sie sich vernünftig halten.«

»Ah, Doctor, diese Freude!« –

»Wenn Sie sich vernünftig halten, sage ich noch einmal; überhaupt müßte ich mich sehr irren, wenn nicht ein gewisser Warren binnen hier und wenigen Wochen ganz so thun wird, als ob er den Doctor Millers in seinem Leben nicht gesehen.«

Damit empfahl sich der freundliche Arzt und bald klapperten die Hufe seines Ponnys, das den unermüdlichen Reiter schon so manches Mal auf die außerordentlich ausgebreitete Praxis getragen.

William achtete kaum darauf, daß der Arzt sich entfernt, er sah auch nicht den treuen Neger sich vorsichtig über sein Lager neigen, fühlte nicht den warmen Athem seines Hundes, der, den mächtigen Kopf auf die Bettdecke gelegt, seinen Herrn unverwandt anstarrte.

Mit geschlossenen Augen und finstergerunzelter Stirn malte sich der junge Mann, wie er es schon öfters gethan, seine freudenlose Zukunft aus, er gedachte, wie er so ganz verlassen in der großen Stadt dastehen würde, bedauerte, daß er die Freunde verlassen mußte, die er während seiner Krankheit hier gefunden. Zwar war ihm oft der Gedanke gekommen, daß er ja mit George in die Wildniß ziehen könne, aber er hing noch zu sehr am civilisirten Leben und hatte nicht den Muth, mit einem Schlag die kleinen Fäden zu zerreißen, die ihn an dasselbe fesselten.

Bill, der Arzt und George, selbst Bob bestürmten den nun rasch Genesenden aber dermaßen, daß er kaum mehr wußte, wie er den Drängenden ausweichen sollte und um etwas Ruhe zu gewinnen, erklärte er mit so fester Miene seine Zukunft von den Antworten seines Oheims und seines Rechtsanwaltes abhängig machen zu wollen, daß man ihn in Frieden ließ. Ende April endlich, an einem herrlichen Frühlingstage, an welchem William die erquickende Luft in dem kleinen Garten des Hotels einsog, brachte ihm der Postreiter einen Brief aus Europa, der von New-Orleans hierher adressirt war. Begierig öffnete er das Couvert und las die wenigen Zeilen seines Onkels, der bedauerte, ihn nicht unterstützen zu können, da er selbst eine sehr starke Familie habe; er rieth ihm aber das Geschäft des Vaters, so wie dessen Schulden zu übernehmen und zu versuchen, sich emporzuschwingen. Es war einer jener Briefe, die erkältend auf den Lesenden wirken; der berechnende Verstand sprach aus jedem Wort, doch Herz und Gemüth suchte er vergeblich in den schlanken, festen Schriftzügen. Verstimmt schritt William nach seinem Zimmer und schrieb augenblicklich an seinen Vertreter Screw, genau im Sinne seines Onkels.

Die Freunde versuchten vergeblich, William aufzuheitern; er schlug es aus, in dem leichten Wagen des Wirthes Bill auf dessen Farm zu besuchen. Nur als ihn der Doctor zur Jagd einlud, leuchtete sein Auge auf, doch den Kopf schüttelnd, sprach er kurz darauf:

»Nein, meine Freunde, von alle Dem will ich jetzt Nichts wissen; nicht eher will ich zur Büchse greifen, bis ich weiß, ob ich von ihr Abschied nehmen, um sie mit der Feder zu vertauschen, oder ob sie mich zum fernen Westen begleiten soll.«

Mit fieberhafter Aufregung erwartete William den Entschluß der Gläubiger auf die ihnen durch den Rechtsanwalt Screw gemachten Vorschläge und als eines Tages George, Bill, der Arzt, neben dem vollkommen Genesenen, bedient von dem treuen Bob, bei einem sehr soliden Essen im Garten saßen, waren die drei Freunde kaum im Stande des Ungeduldigen Aufmerksamkeit auf andere Gegenstände zu lenken, auf »positivere« meinte Doctor Millers mit kauendem Munde, während die mit einem mächtigen Messer bewaffnete Rechte auf einen delicaten Bärenschinken wies. Da knarrte die kleine Gartenthür in ihren rostigen Angeln, Alle wandten sich unwillkürlich nach dem Geräusch um und einem Jeden blieb der Bissen, das Wort im Munde stecken, als sie den Postreiter erkannten, der auf William zuschreitend, demselben einen Brief mit den Worten hinreichte:

»Hier Sir, Brief aus New-Orleans, steht eilig darauf, deshalb gab ich ihn nicht erst zum Postmeister, ist mit dem Porto allein auch zufrieden. – Herr Gott, ist das heute aber eine Hitze!« und halb verlegen blickte der Mann auf die noch immer regungslos Dasitzenden. Da ermannte sich der Arzt endlich, reichte dem Boten einen halben Dollar hin und schenkte ihm ein großes Glas, halb Wasser, halb Brandy; dasselbe mit einem Zug hinuntergießend, stolperte der Bursche in maßlosem Erstaunen über die sonderbare Tischgesellschaft davon. Als die Thür hinter ihm in's Schloß fiel, stand William schweigend auf und eilte in sein Zimmer.

Dort las William den verhängnißvollen, über seine Zukunft entscheidenden Brief, denselben, welchen am Anfang des ersten Kapitels der Leser kennen gelernt.

Wohl hatte William diese Antwort geahnt, und doch sank er in tiefem Schmerz auf das Sopha, als es unabänderlich fest stand, daß er aus dem Hause seiner Eltern vertrieben, daß er sein Wort gegeben, die Civilisation zu meiden und sein Leben in ferner Wildniß unter Gefahren und Entbehrungen hinzubringen. Thränen standen in seinem Auge, als er die Hiobspost wieder und wieder gelesen und nun sich von dem Sopha aufrichtend, an das Fenster trat.

Lange Zeit stand William dort, in die herrliche Frühlingslandschaft schauend, die Tonne blitzte und funkelte in den klaren Wellen des Pearl-River, und es schien dem Lauschenden, als ob sie leise murmelten:

»Wandere! Wandere!« Die rauschenden, frischen Blätter, sie flüsterten leise: »Wandere! Wandere!« und tausend jubelnde Vogelstimmen sangen ihr »Wandere! Wandere!«

Einen Augenblick noch vergrub er sein Haupt in den Händen, dann richtete er sich kräftig empor und stand in wenig Minuten bei den seiner ungeduldig harrenden Freunden.

Gespannt blickten Sie in Willy's erregtes Antlitz, bis lauter Jubel ihre Zungen löste, als er George's Hand ergreifend, mit fester Stimme sprach:

»Die Würfel sind gefallen, mein Entschluß ist gefaßt, ich entsage meinen frühern Plänen. An Deiner Hand, Freund George, will ich die Wildniß durchstreifen, bis wir einen Platz gefunden, der uns Heimath werden soll.«

Innig preßte George den Freund in seine Arme, auch Bill und der Doctor freuten sich, daß Willy vernünftig geworden sei. Am Stamme einer Persimone lehnte Bob und dankte seinem Gott, daß er von dem geliebten Herrn nicht getrennt werde, daß es ihm vergönnt sei, dem freien Manne gleich, Gottes schöne Welt zu durchstreifen und sich zu der Bluthündin niederbeugend, murmelte der wackere Schwarze:

»Wir beiden werden über ihn treulich wachen.«


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