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Sechstes Kapitel.
Lebenshunger.

Über Nacht, über Nacht
Tragen Engel dein Leid
Aus der Ewigkeit in die arme Zeit
Und legen es leise auf deine Schwelle,
Auf daß du es findest in Morgenhelle,
Wenn die goldene Sonne erwacht ...
Nimm's treulich in acht!

 

Es war still geworden im Wächterschen Hause. Pflegen und Nachtwachen hatten aufgehört. Die erste schwere Zeit des Vermissens hatte der unabweisbaren Forderung des Lebens Platz gemacht. Gebieterisch heischte die Arbeit ihr Recht, die Jugend mit ihrem Wirklichkeitssinn, ihrem Tatendrang. Und selbst sie, die den Witwenschleier trug, die an der Bahre des Mannes, dem sie Jahrzehnte in Liebe und Treue angehört, ohnmächtig zusammengebrochen war, begann auf die Laute des Tages zu lauschen. Unbemerkt, von keinem beobachtet. Nach außen hin war Juliane Wächter die müde schmerzgebeugte Frau, die ratlos vor ihrem einsamen Wege stand. Doch in der Seele ebbte das Leid ab. Wie ein Gewappneter war's auf sie eingedrungen und hatte sie niedergeworfen. Aber sie hatte einen unversiegbaren Hunger nach Leben. Nicht nach seiner kraftbringenden Seite geregelter Arbeit. Dazu fehlte ihr die tiefste Innerlichkeit. Wonach sie lechzte, was sie in den langen trüben Monaten entbehrt, war das abwechslungsreiche Schönheitsbild des Tages. Danach sehnte sie sich. Trotz allen Vermissens. Trotz der Lücke. Sie beschönigte das Unnatürliche dieser Empfindung nicht. Sie gestand es sich ehrlich ein. Aber dann kamen Stunden, wo sie sich selbst nicht verstand. Sie beging doch kein Verbrechen. Heißer als sie konnte keine Frau ihren Mann lieben. Ihr Schmerz um den Toten war echt. Aber ihr ureigenstes Wesen konnte sie nicht verleugnen. Die Krankheitszeit ihres Mannes hatte sie naturgemäß von der Außenwelt abgeschnitten. Das hörte jetzt auf. Um so mehr fühlte sie sich durch die äußere Trauer gehemmt, viel zu früh nach dem Empfinden anderer Frauen. Sie wußte es wohl. Eine war eben nicht wie die andere. Sie bedurfte Glanz und Sonne, bedurfte auch der Huldigung der Menschen. Sehr jung verheiratet, von ihrem Manne auf Händen getragen, hatte ihre Person immer im Mittelpunkt gestanden. Sie bekam stets ihren Willen, und wenn sie ihn nicht bekam, setzte sie ihn durch. Ihre außergewöhnliche Erscheinung war ihr ein guter Bundesgenosse, und der Zauber ihres Wesens verfehlte seine Wirkung selten. Am wenigsten auf den weichen Charakter Rolf Wächters. An der Seite eines Mannes, der nicht von vornherein auf die Erziehung seiner Frau verzichtete, hätte sie sich zur Persönlichkeit entwickeln können. In der Ehe mit Wächter verflachte sie. Ihre Seele löste sich mehr und mehr vom Mutterboden. Das ureigenste Gebiet des Weibes, an dessen geweihter Stelle sie als kaum erblühtes Kind gestanden, blieb ihr fremd. Es ging ihr wie tausend anderen Frauen, die über den Äußerlichkeiten des Lebens vergessen, daß die Schätze der Welt Erdgeruch an sich tragen. Sie erkennen nicht die heiligen Züge der Ewigkeit im Antlitz der Zeit, Glück und Lust sind getragen von der steten Furcht vor unwiederbringlichem Verlust. Das Große fassen sie nicht, das Kleine wächst ins Unermessene. Die Kräfte erschlaffen in nutzlosem zeitraubendem Tun, das sie Arbeit heißen, die Sinne zerflattern in rastlosem Tanz um das eigene Ich, und ein unfruchtbares gewohnheitsmäßiges Scheinchristentum, das keine Taten kennt, vollendet in vielen Fällen die Verbildung.

Aus altadligem konservativem, streng christlichem Hause stammend, hatte Juliane Wächter, der starren religiösen Form überdrüssig, solch ein Christentum in die Ehe gebracht. Wäre ihr Mann eine Persönlichkeit wie Linde gewesen, sie hätte an seinem Glauben erstarken können. Er war ein schlichter frommer Christ, verstand es aber nicht, andere zu leiten und zu beeinflussen. Am wenigsten die eigene Frau. Zu oft hatte er ihr gegenüber in wichtigen Lebensfragen den Kürzeren gezogen, um sich nicht völlig darüber klar zu sein, daß es einer starken Überlegenheit und eines gefestigten Willens bedurfte, um sie zu überwinden. Daß er beides nicht besaß, wußte er nur zu gut. Juliane aber war eine Kampfnatur. Um den Frieden seines Hauses besorgt, durch körperliche Leiden gehemmt, vermied er darum jeden nutzlosen Wortwechsel. Vor der Außenwelt war die Ehe eine glückliche. Selbst nahe Freunde merkten nicht, daß die Saiten nicht immer auf den gleichen Ton gestimmt waren. Nur das kundige Auge Siegfried Lindes war bisweilen dem Ausdruck heimlichen Kummers und verhaltener Sehnsucht in den leidenden Zügen des einstigen Schulkameraden begegnet. – – – – – – – – – – –

*

Ein frostklarer Wintertag ging zur Neige. Durch das verschneite Geäst rankenden Weins flutete die untergehende Sonne in den Empfangsraum und trieb ihr schillerndes Spiel mit Farbe und Form. Auf dem geöffneten Bechsteinflügel lagen Noten verstreut – kaum mochte die junge Stimme verstummt sein, die der nervösen überreizten Frau das Lebenslied gesungen. Ein erhöhter Erkersitz lud zum ungestörten Genuß eines Buches und stiller Arbeit ein. Etwas Heimliches lag über dem schönen seidenen Gemach, etwas Lebendiges, das nichts gemein hatte mit der beklemmenden Kühle moderner Empfangsräume. Juliane Wächter hatte es von jeher verstanden, ihrer Heimstätte einen Ton persönlicher Eigenart zu verleihen. In den letzten Jahren war ihre Gestaltungskunst allerdings bisweilen Irrwege gewandert. So stand z. B. im Erker des Speisezimmers ein zierliches Spinnrad, dessen Fäden die Hände der Hausfrau nie berührten. Daß dieser kleine Betrug eine Geschmacksverirrung war, die künstlerischer Entgleisung sehr nahe kam, entging ihr vollständig. Seltsamerweise hatten sich derartige Unebenheiten, die früher keiner an ihr bemerkt, in letzter Zeit gemehrt. Ihre Kinder, die die Mutter wohl als Frohnatur kannten, die das Leben bisweilen ein wenig auf die leichte Achsel nahm, aber nie der leisesten Unwahrhaftigkeit Raum gab, verstanden sie nicht. Das Rädchen mußte herhalten. Walter erklärte ganz unverfroren, das Ding habe keinen Sinn, da die Mutter nicht spinne, und die kleine zartfühlende Magna fügte, die wahre Ursache des Ärgernisses umschreibend, hinzu: »Es paßt nicht zu ihr.« Aber Frau Juliane erklärte das Spinnrad für stilvoll, und es blieb stehen. Mit wichtigeren Dingen ging es ähnlich – da schwiegen die Kinder. Aber wenn sie sich auch sagten, daß der Tod des Vaters tief in das Leben der Mutter eingegriffen, daß sie in der Unrast des Schmerzes verkehrte Wege einschlage und ihre Seele sich erst zurechtfinden müsse, so blieb sie ihnen doch ein Rätsel. Besonders Walter bemühte sich redlich, die vereinsamte Frau zu verstehen, und Magna ließ sich gern von dem Bruder belehren. Aber die verheiratete Schwester, Thea von Rockenau, deren Charakter dem der Mutier am meisten glich, machte sich über die beiden großen Kinder lustig: »Mein Himmel, kennt ihr Mutter denn nicht? Jedes Tierchen hat sein Pläsierchen!« Jedoch Walter und Magna hatten für die immer mehr hervortretende Eigenart ihrer Mutter keinen Sinn. »Sie war früher anders!« beharrte der Primaner, und Magna stimmte ihm bei. Da lachte die junge Baronin: »Seid nicht so kindisch!«

Die Sonne sank. Rosengluten lagen über der feiernden Stadt, die sich wie ein scharf geschnittenes graues Schattenbild von der Pracht des lohenden Himmels abhob. In fast greifbare Nähe gerückt, trug das Gegenständliche, vom Zauber der Dämmerung umsponnen, die Züge vergangener Zeiten. Langsam verblaßte der zarte Schleier. Wie ein Mantel von blauen Waldveilchen lag's über Gasse und Gäßchen. Der letzte Sonnenstrahl erlosch. Burg und Stadt gingen schlafen. Nur in den Fenstern hochgelegener Landhäuser stand noch jenes seltsame Feuer, davon der Volksmund erzählt, es grüße eine Braut.

Verschwenderisch streute es sein Gold in den freundlichen Raum.

Da teilte sich der Vorhang. Auf der Schwelle stand eine Frau in Witwentrauer. Lang herab fiel der Schleier und verhüllte die immer noch schöne Gestalt. Die großen dunklen Augen schweiften unruhig umher, als suchten sie etwas. Auf dem feingeschnittenen Gesicht lag leichte Röte. Die Bewegungen verrieten eine gewisse Hast, die nicht ganz zu der etwas zur Fülle neigenden Erscheinung paßte. Vom raschen Gang ermüdet, ließ sie sich schwer auf einen Sessel nieder.

Immer noch wanderte der Blick, als stünde sie unter dem zwingenden Bann eines Gedankens.

Juliane Wächter lehnte sich erschöpft zurück. Unter den Augen lagen tiefe Schatten, die Nase ward plötzlich spitz und wachsgelb. Über die schlaffen Züge lief zuckende Ungeduld. Sie gähnte nervös: »Das war doch gar kein Weg! Nicht das Geringste kann man mehr leisten, es ist wirklich fürchterlich!«

Ein paar zornige Tränen rannen über ihr Gesicht. Sie stand auf. Die Gestalt straffte sich, und mit raschem, beinahe leichtem Schritt trat sie an ein eingelegtes Zierschränkchen, nahm eine Kristallflasche mit Südwein heraus, goß das daneben stehende Kelchglas voll und stürzte es herunter.

Tiefaufatmend stand sie da, ein Gefühl wohliger Entspannung durchrann ihre Glieder. Die Farbe kehrte in die Wangen zurück. Die Züge belebten sich.

Sie sah auf die Flasche.

Dann wandte sie lauschend den Kopf. Alles war still.

Da füllte sie das Glas zum zweitenmal und trank es hastig aus. »Es geht nicht anders!« sagte sie halblaut und schloß sorgfältig den Schrank. Dann wandte sie sich um.

Ein riesengroßer Spiegel, von Blattgewächsen umkränzt, gab den vornehmen Raum in seiner ganzen Schönheit wieder. Langsam schritt Juliane Wächter auf die Frauengestalt zu, die ihr aus der grünen Umrahmung entgegentrat, als käm' sie aus einem Garten.

Prüfend ging ihr Blick über die stattliche Erscheinung. Sie konnte zufrieden sein. Und dann vertiefte sich das Rot auf ihren Wangen. Langsam senkte sie den Blick. Daß sie's immer wieder vergaß, daß sie Witwe war! Sie zog die Stirn in Falten. Flüchtig wie sie gekommen, verschwand die Regung der Scham. »Mein Himmel, ich werde mir doch in dieser trüben Zeit, wo das nationale Unglück ohnehin schon wie ein Bann auf einem lastet, die Freude am Schönen bewahren dürfen!« sagte sie halblaut zu sich selber. »Was hat man denn sonst noch vom Leben? Nach Rolfs Sinn wäre solche Überempfindsamkeit wahrhaftig nicht!«

Und die Frage war erledigt.

Noch einmal sah sie auf ihr Spiegelbild.

»Stärker darf ich allerdings nicht werden!«

Ein rascher Schritt kam durchs Nebenzimmer. Auf der Schwelle stand eine junge Frau. So mußte Juliane Wächter mit fünfundzwanzig Jahren ausgesehen haben. Nur etwas kleiner und zierlicher war Thea von Rockenau. Der Wächtersche Einschlag fehlte nicht. Aber die schönen dunklen Augen und die feinen, vom Trauerschleier halb verhüllten Züge hatte sie von den Ungelegens.

»Ich habe vorhin meine Noten hier gelassen,« sagte sie und trat zum Flügel. »Bandelows kommen zum Abendbrot. Wir wollen vierstimmig singen.« Sie suchte die Noten zusammen.

»Überanstrenge dich nur nicht, liebes Kind,« warnte die Mutter. »Ich denke oft, du übertreibst das Singen! Du weißt ja, wieviel Freude ich daran habe, besonders jetzt in meiner Einsamkeit, aber es kann auch zuviel des guten werden.«

»Es ist nur heute, Mutter! Wir leben ja wie die Kirchenmäuse. Schon wegen der Trauer! Das ist ja selbstverständlich!«

Frau Wächter war beruhigt. Thea war ihr Liebling, und der Gedanke, daß die junge Frau sich in irgendeiner Weise überanstrengen könne, war ihr beinahe zur Zwangsvorstellung geworden. Noch immer bedauerte sie, daß es zwischen Professor Linde und ihrer Tochter zu einem Bruch gekommen war, nicht etwa aus persönlicher Vorliebe für ihn oder weil sie Thea unrecht gab, sondern lediglich, weil sie seinen hervorragenden Ruf als Frauenarzt kannte und aus eigener Erfahrung wußte, daß man sich keinen besseren Händen anvertrauen konnte. In der Frage selbst stand sie auf Theas Seite. Man durfte an die durch zahlreiche Verpflichtungen verschiedenster Art stark in Anspruch genommenen Frauen des zwanzigsten Jahrhunderts nicht den Maßstab legen, den man an ihre Mütter und Großmütter gelegt. Nerven und Widerstandskraft waren schwächer als die der Voreltern, eine natürliche Folge der gänzlich veränderten Lebensbedingungen. Außerdem war Thea schon als Mädchen sehr zart gewesen. Sie begriff nicht, daß Professor Linde die Sache so auf die Spitze getrieben hatte. Wäre sie damals nicht gerade verreist gewesen, so hätte sie unbedingt zu vermitteln gesucht. Jetzt hielt sie es für zu spät. Wohl forderte die Regelung vormundschaftlicher Angelegenheiten vielfach Berührung mit Dingen persönlicher Art, trotzdem war bisher im großen Ganzen der Rahmen des Geschäftlichen nicht überschritten worden. Ein unsichtbares Etwas schien zwischen ihr und dem Arzte zu stehen, ein Hindernis, um das keines von beiden herum kam. Ein offenes ehrliches Wort der Frau hätte es beseitigen können. Doch sie sprach dies Wort nicht. Seit Hermann nach Amerika gegangen war, hatten sich die alten freundlichen Beziehungen zu lockern begonnen. Die Männer verkehrten zwar in alter Weise, aber die Frauen und Kinder sahen sich seltener, die Interessen führten auseinander.

Dann trat der Tod in das Wächtersche Haus, und Professor Linde übernahm die Vormundschaft der beiden Jüngsten. Äußerlich war das Gesicht gewahrt. Das war Juliane Wächter die Hauptsache. Ein Zerwürfnis, wie Frau von Mandel es mit Doktor Trautmann gehabt, wäre ihr höchst peinlich gewesen. Angenehm war ihr die Vormundschaft nicht. Aber klug und weltgewandt, wie sie war, fand sie sich in den letzten Wunsch ihres Mannes, der ihr merkwürdigerweise erst mitgeteilt wurde, als die Würfel gefallen waren. Zum erstenmal in ihrer Ehe sah sie sich übergangen und vor eine vollendete Tatsache gestellt. Ob Rolf Wächter lange Auseinandersetzungen gefürchtet, Kämpfe, denen der Sterbende sich nicht mehr gewachsen fühlte? Warum hatte sie ausgerechnet an jenem Abend mit Magna zur Schneiderin gemußt? Hätte sie Lindes Kommen geahnt, wäre sie selbstverständlich zu Hause geblieben. Während ihrer Abwesenheit hatte ihr Mann einen schweren Anfall gehabt. Er hatte kaum die Kraft, ihr zu sagen, daß Linde auf seine Bitte die Vormundschaft angenommen. Über die Einzelheiten der Unterredung erfuhr sie nichts, auch später nicht, denn der Kranke ward zusehends schwächer und erlosch eines Tages wie ein Licht. Sie aber ward das Gefühl nicht los, daß er ihr etwas verborgen hatte. Etwas, das sie ganz besonders anging. Dies Gefühl verschärfte sich im geschäftlichen Verkehr mit Linde immer mehr. Der Gedanke, er weiß etwas, was andere nicht wissen, er ist dein Gegner, peinigte sie geradezu. Dann schalt sie sich wegen der Unhaltbarkeit ihrer Auffassung. Professor Linde kam ihr mit größter Zartheit und feinstem Takt entgegen, erfüllte seine vormundschaftlichen Pflichten mit vorbildlicher Gewissenhaftigkeit und Treue und stand ihr in jeder schwierigen Lage beratend und helfend zur Seite. Seine sehr bestimmte Art war ihr unbequem. Sie war's nun einmal nicht gewohnt, sich zu fügen. Aber das würde sich jedenfalls ändern, sobald die Hauptfragen geregelt waren. Wenn es ihr nur gelungen wäre, den Schleier zu lüften! – – –

Die kleine Baronin hatte ihre Noten zusammengepackt.

»Ist dir der Ausgang zuviel geworden, Mutter?« fragte sie. »Du siehst abgespannt aus?«

»Findest du?« Frau Wächter sah in den Spiegel. Thea hatte recht. Die Züge wurden schon wieder schlaff. Was das Kind für einen scharfen Blick hatte! Sie hatte sich doch erst eben gestärkt. In die kleinen Spitzgläser ging allerdings nicht viel. Sie hätte drei trinken sollen. Es war das einzige Mittel, ihre Nerven wieder in die Höhe zu bringen.

»Soll ich dir etwas Wein holen?« fragte die junge Frau, die Tür zum Speisezimmer öffnend.

»Nein, danke! Ich nehme eine Kolapastille!«

»Aber Mutter, ein Kognak wäre dir doch gewiß gut!«

Frau Wächter schüttelte den Kopf. »Es ist keiner oben.«

»Kein Kognak oben? Er stand doch immer in der Anrichte.«

In Juliane Wächters Gesicht war dunkle Röte gestiegen. »Professor Linde hat Walter und Magna Bier und Wein verboten.«

»W–a–s?« Theas dunkle Augen staunten. Dann rief sie lebhaft: »Aber er ist ja gar nicht euer Hausarzt! Wie kommt er dazu? Magna, das kleine blutarme Ding, ohne Porter und Wein – das hält sie ja gar nicht aus! Und Walter ist noch so im Wachsen!«

Ihre Mutter zuckte die Achseln. »Er hat es als Vormund verboten.«

Theas Augen wurden immer größer. »Ja, seit wann dürfen Vormünder sich denn solche Schrullen erlauben? Das ist ja unglaublich! Bekommt Magna wirklich keinen Wein mehr?«

Die Mutter zögerte. »Du sprichst ja nicht darüber, Thea! Ich gebe ihr vormittags etwas Wein und abends vor dem Schlafengehen ihren Porter. Es wäre ja unverantwortlich, wenn ich dem Kinde alles entzöge. Doktor Trautmann ist doch auch nicht grundsätzlich dagegen.«

»Der war immer vernünftiger. Linde ist ein Dickkopf erster Güte. Wenn er seinen Willen nicht durchsetzt, heißt's: ›Mann über Bord!‹ Denk' an meine Nährgeschichte! Doktor Werner ist viel entgegenkommender. Aber ich hätte es mir ja vorher sagen können. Junge Frauen, die ihre Kinder nicht selber stillen, behandelt Professor Linde nicht.«

»Thea, da verallgemeinerst du doch wohl zu stark. Frauen, die nicht stillen wollen, behandelt er nicht.«

»Aber Mutter, es ist doch ganz klar, daß ich es nicht kann, ich bin ja viel zu zart, meine arme kleine Resi würde elendiglich verhungern! Außerdem bin ich doch sonst sehr in Anspruch genommen, wo soll ich die Zeit hernehmen?«

Juliane Wächter antwortete nicht. Theas zarte Gesundheit war eine Tatsache, an der keiner rütteln durfte, auch der hervorragendste Arzt nicht. Daß die junge Frau ihren gesellschaftlichen Pflichten stets nachkam und in mehreren Vereinen tätig war, verdankte sie nur ihrer außergewöhnlichen Willenskraft. Der Haushalt hätte allerdings geordneter sein können, aber was lastete nicht alles auf ihr! Jedenfalls mußte sie Thea, so wie die Dinge lagen, recht geben.

»Steht denn überhaupt kein Wein mehr im Speisezimmer?« fragte die Tochter.

»Doch, mein Tischwein. Nur die Südweine habe ich fortgenommen, weil die Versuchung für die Kinder zu groß ist!«

»Aber Magna bekommt ja Wein!«

»Ich habe ihr gesagt, er wäre alkoholfrei. Doktor Trautmann hätte ihn ihr verordnet. Ebenso das Bier. Damit Walter der Mund nicht wässerig gemacht würde, bekäme sie beides außerhalb der Mahlzeiten. In Wirklichkeit habe ich das so eingerichtet, um Ruhe bei Tisch zu haben. Der Junge ist ja rein vernarrt in seinen Vormund und würde keinen Tropfen Alkohol anrühren.«

»Hält Magna denn dicht?«

»Auf die kann ich mich verlassen. Außerdem ist sie ja in dem Glauben, alkoholfreien Wein zu trinken.«

Um Theas Lippen huschte ein kleines spitzbübisches Lächeln. »Das hast du dir ja fein ausgedacht, Mutter! Man muß sich nur zu helfen wissen.« Sie nahm ihre Noten. »Jetzt muß ich aber schleunigst nach Hause, sonst bekommen meine Gäste nichts zu essen.« Sie trat auf die Mutter zu. »Auf Wiedersehen morgen nachmittag!«

Juliane Wächter küßte die Tochter. »Thea, was ich dir eben erzählte, bleibt natürlich ganz unter uns!«

»Aber selbstverständlich! Wenn du es nicht wünschst, sage ich es sogar Bruno nicht.«

»Es wäre mir lieber.«

»Gut. Ich kann schweigen.« Und hinaus war sie.

Die Stirn in Falten gezogen, wanderte Juliane auf und ab. Die Geheimniskrämerei gegenüber dem Vormund ihrer Kinder war ihr doch unangenehm. Aber was sollte sie machen? Professor Linde war selber schuld daran. Er war ihr gegenüber auch nicht offen.

Sie zuckte die Achseln. Was dem einen recht, war dem andern billig!

Und sie schritt auf das eingelegte Schränkchen zu und schlürfte in langen Zügen den köstlichen Südwein – –!

Tat das gut!


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