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Dreizehntes Kapitel.
Schachzüge

Während der nächsten zwei Wochen unterstützte Ruth Glidden Frau Meyers und die Krankenschwester in der Pflege Robert Brierlys. Anfangs betrat sie sein Zimmer nur, wenn er schlief, doch nach einigen Tagen, als die Betäubung schwand und das Bewußtsein wiederkehrte, kam sie zu ihm, sobald er wach war. Bei ihrem Anblick hatte er die Augen weit geöffnet, allein kein Laut kam über seine Lippen. Sie setzte sich neben ihn, ergriff seine Hand und sagte mit dem ihr eigenen, bezaubernden Lächeln: »Du böser Robert, fast hättest Du den einzigen Mann, den ich je geliebt, von einem elenden Strolch niederschlagen lassen. Um weiteres Unheil zu verhüten, werde ich jetzt aufpassen.«

Und in der Tat, sie bewachte ihn unablässig. Gehorsam fügte er sich ihrer Tyrannei, die sie sehr energisch ausübte, und er hatte kein Wort des Widerspruchs, als sie ihm mit vielen Gründen auseinandersetzte, er müsse zur Erholung nach dem langen Krankenlager einen Luftwechsel haben. So trat er dann, sobald er einigermaßen wiederhergestellt war, in Begleitung einer Pflegerin die Reise nach einem südlich gelegenen Orte an.

Zwei Tage später segelte John Meyers nach Europa, um, wie er seinen Bekannten erzählte, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden; er müsse einige alte Familienchroniken durchstöbern und wolle sich gleichzeitig London ansehen.

Auch Ruth Glidden und Frau Meyers verließen Chicago, da erstere ihre Freundschaft mit Hilda Grant zu erneuern wünschte. Die beiden ehemaligen Schulgefährtinnen schlossen sich rasch wieder aneinander an, zum stillen Leidwesen von Frau Jamieson, die Hildas Gesellschaft nun öfter entbehren mußte.

Nach Ablauf einer Woche stellte sich auch Ferrars ein, der wie früher bei Dr. Barnes wohnte, während Ruth und Frau Meyers im Glenvillehotel abgestiegen waren. Es entspann sich ein reger Verkehr zwischen den Freunden, in den auch Frau Jamieson hineingezogen wurde. Man sah sie häufig zusammen spazieren fahren, wobei Ferrars meist den Kutscher spielte.

Eines Nachmittags hatte sich die kleine Gesellschaft zu Hilda Grant begeben, um auf der weinumrankten Veranda den Tee zu trinken. Bald darauf fand sich auch Dr. Barnes ein. Er hielt einen Brief in der Hand, den er soeben gelesen zu haben schien.

»Eh, Doktor, interessante Nachrichten erhalten?« warf Ferrars hin.

»Ja,« nickte der Arzt, »aber leider keine guten. Das Befinden unseres Freundes im Süden soll besorgniserregend sein.«

»Sprechen Sie von Herrn Brierly?« rief Frau Jamieson dazwischen. »Sagen Sie uns bitte, wie es um ihn steht.« Und sich zu ihrer Nachbarin Ruth Glidden, deren Verhältnis zu Robert sie nicht kannte, beugend, flüsterte sie dieser zu: »Herr Brierly ist ein Freund von Fräulein Grant. Ich habe ihn zwar nur einmal gesehen, aber er war mir gleich so sympathisch, daß ich mich wirklich für ihn interessiere.«

Sie wandte das Gesicht Dr. Barnes zu, der unterdessen den Brief entfaltet hatte. »Mein Kollege,« sagte er, einen flüchtigen Blick auf Frau Jamieson richtend, »schreibt mir:

Ich fürchte, Herr Brierly wird nicht mehr oft die Sonne von Florida sehen – mit andern Worten, ich glaube nicht, daß er noch lange leben kann. Die Veränderung ist überraschend schnell eingetreten; er leidet an starker Herzschwäche. Ich bereite Sie darauf vor, daß ich wohl bald Schlimmeres zu melden haben werde.«

Als der Doktor geendet hatte, herrschte einen Augenblick lautlose Stille. Frau Jamieson brach zuerst das Schweigen, indem sie ihrem lebhaften Bedauern über das Schicksal des »armen, jungen Mannes« Ausdruck verlieh.

Es kam nun kein rechtes Gespräch mehr in Gang und so trennte man sich bald. Ferrars und Dr. Barnes begleiteten die Damen ins Hotel zurück.

Oben im Korridor kam Ruths Zofe ihrer Herrin aufgeregt entgegen. »Denken Sie sich, Fräulein, ich habe mich furchtbar erschreckt, denn jemand Fremdes ist in Ihrem und auch in Frau Jamiesons Zimmern gewesen. Ich war ein Weilchen unten mit dem Hausmädchen zusammen, und als ich wieder herauf kam, sah ich eine männliche Gestalt aus Frau Jamiesons Salon treten und gleich um die Ecke wegschleichen. Erst dachte ich mir nichts dabei, als ich jedoch Ihr Schlafzimmer für die Nacht herrichten wollte, bemerkte ich, daß auf Ihrem Toilettentisch alles durcheinander geworfen war. Und da fiel mir gleich die Person auf, die sich hier herumgetrieben hatte.«

Ruth öffnete die Türe ihres Salons. »Sehen Sie auch bei sich nach, Frau Jamieson, ob Ihnen etwas fehlt,« sagte sie zu dieser, »bevor wir das Haus alarmieren.«

Frau Jamieson folgte dieser Aufforderung, kam aber schon nach zehn Minuten wieder zu Ruth. »Jemand war in meinem Zimmer,« sagte sie, »das ist gewiß. Zum Glück habe ich mein Geld und meine Juwelen sicher aufbewahrt; aber mein Koffer und die Schränke sind durchwühlt.«

»Vermissen Sie nichts?« fragte Ruth.

»Nein, vielleicht ist der Dieb verscheucht worden, ehe er etwas stehlen konnte.«

Natürlich wurde der Wirt von dem Vorfall benachrichtigt; da die Damen jedoch nicht zu Schaden gekommen waren, so beruhigte man sich bald wieder.

An einem der nächsten Tage veranstalteten die Hotelgäste ein Picknick im Walde, an dem sich auch Frau Jamieson beteiligte. Ruth hatte abgelehnt mit der Erklärung, sie liebe keine Landpartien.

Als die Ausflügler gegen Abend zurückkehrten, erfuhren sie, daß Frau Meyers und die junge Erbin unerwartet abgereist seien.

Frau Jamieson selbst fand in ihrem Zimmer einen Brief, der die Unterschrift F. Grant trug. Klopfenden Herzens begann sie das folgende zu lesen:

»Geehrte Frau! Unsere plötzliche Abreise wird Sie ohne Zweifel überraschen. Wir erhielten die Todesnachricht des armen Brierly und fahren um vier Uhr, da wir rechtzeitig in der Stadt eintreffen möchten. Frau Meyers sowie Fräulein Glidden haben sich erboten uns zu begleiten, damit meine Cousine nicht der Freundin und des Schutzes einer älteren Dame entbehrt. Sie haben mich beauftragt, Ihnen ihre Abschiedsgrüße zu übermitteln. Was mich selbst betrifft, so hoffe ich auf ein baldiges Wiedersehen und schließe daran die Bitte, falls Sie Glenville verlassen wollten, Dr. Barnes Ihre Adresse zurückzulassen.

Ihr sehr ergebener
F. Grant.«

Eine Stunde später berief die schöne Witwe den Arzt zu sich. »Herr Doktor,« begann sie, »ich muß Sie bitten, mir etwas zu verschreiben, denn ich habe starke neuralgische Schmerzen und befürchte eine schlaflose Nacht. Und dann erzählen Sie mir noch etwas von meinen Freunden, die so plötzlich verschwunden sind. Also der arme Brierly ist wirklich tot?«

»Leider. Es unterliegt keinem Zweifel,« entgegnete Dr. Barnes.

»Und Fräulein Grant? Nimmt sie den Schulunterricht nachher wieder auf?«

Der Arzt zuckte die Achsel. »Ich weiß es nicht genau. Ihr Vetter hat eine Reise nach Europa vor und möchte, daß sie inzwischen bei ihren Freunden bleibt. Fräulein Glidden will sie durchaus eine Weile bei sich behalten, und da ich Fräulein Grant mit Herrn Doran sprechen sah, so könnte es sich dabei wohl um ihr Austreten aus ihrem Amte gehandelt haben.«

»Fräulein Grant ist ein so liebes, angenehmes Wesen, daß ich selbst sie mir zur Reisebegleiterin wünschte. Ich werde wahrscheinlich auch bald nach Europa müssen, Herr Doktor, denn es sind noch Geldangelegenheiten meines verstorbenen Gatten zu erledigen, die meine Anwesenheit dort erfordern. Jedenfalls will ich einmal an Fräulein Grant schreiben.«

»Ja, tun Sie das,« nickte Dr. Barnes. »Ihre Adresse ist: Hotel Loremer, Chicago; sie wohnt dort mit Fräulein Glidden zusammen.«

Frau Jamieson führte ihre Absicht jedoch nicht aus, denn schon am folgenden Morgen suchte sie Dr. Barnes auf, um sich von ihm zu verabschieden. »Gleich nach Ihrem Weggang gestern,« berichtete sie ihm, »erhielt ich einen Brief meines Schwagers, der morgen früh in Chicago eintrifft und mit mir nach England fahren will. Wir reisen in drei Tagen und wenn ich unsere Freunde jetzt nicht mehr sehen sollte, so hoffe ich ihnen in London zu begegnen.«

»Die ganze Gesellschaft auf und davon!« brummte Doran, als er Frau Jamieson zum Bahnhof gehen sah. »Unser Klima scheint doch nicht jedem zu bekommen.«

Die Kopfverletzung Robert Brierlys war eine schwerere gewesen, als die Ärzte anfangs geglaubt hatten. Nachdem er einige Tage in halber Betäubung gelegen, hatte sich ein heftiges Delirium eingestellt und nur der sorgsamen Pflege sowie seiner kräftigen Konstitution verdankte er es, daß er mit dem Leben davonkam.

Während er im Fieber lag, weilte Ruth täglich an seinem Lager; als er jedoch das Bewußtsein wieder erlangt hatte, wagte sie sich nicht zu ihm aus Furcht, ihr unvermuteter Anblick könnte ihn aufregen.

»Aufregen darf er sich allerdings nicht,« meinte der Arzt, dessen Rat sie einholte, »aber eine freudige Überraschung – natürlich von kurzer Dauer – wird ihm nicht schaden. Ich will ihn auf Ihr Kommen vorbereiten; im übrigen kann ich Ihnen ja vertrauen.«

Wenige Minuten später stand die schlanke Gestalt des jungen Mädchens an Robert Brierlys Schmerzenslager. Als der Verwundete die Geliebte erblickte, leuchteten seine matten Augen freudig auf; er versuchte zu sprechen, doch Ruth legte den Finger auf den Mund. »Still, still, mein lieber Robert,« sagte sie, sich zu ihm beugend. »Ich habe dem Arzt gelobt, Dich nicht sprechen zu lassen. Wenn Du ihm in allen Dingen folgst, werde ich alle Tage zu Dir kommen. Sorge nur, daß Du bald wieder gesund wirst, sonst würde ich mein ganzes Leben in Trauer verbringen. Das darfst Du mir nicht antun, mein Einziggeliebter!« Sie drückte einen Kuß auf seine Stirn – dann war sie verschwunden.

Statt ihrer sah Brierly den Arzt neben sich stehen. »Nur ruhig bleiben, mein Bester!« sagte dieser beschwichtigend, »die holde Fee an Ihrem Lager« ein Lächeln umspielte seine Lippen – »war kein Traum, sondern eine Wirklichkeit, die sich täglich wiederholen wird, so lange Sie alle meine Anordnungen befolgen.«

Diese Worte blieben nicht ohne Eindruck: nie hatte der Arzt einen gehorsameren Patienten gehabt.

Die später nach allen Seiten verkündigte Reise Brierlys nach einer südlichen Gegend war in Wirklichkeit nur eine Übersiedelung nach einem der stilleren Vororte Chicagos, wo der Patient seine völlige Genesung abwarten sollte. In der Zwischenzeit suchte Ruth Glidden ihre ehemalige Mitschülerin Hilda Grant in Glenville auf. – – –

Es war ein schöner Juliabend. Am offenen Fenster einer hinter breitästigen Bäumen versteckten Villa saß Robert Brierly, noch bleich und abgemagert, aber doch wieder im Besitz seiner früheren geistigen Regsamkeit.

Er rauchte mit sichtlichem Behagen eine echte Havanna, was ihn jedoch nicht hinderte, aufmerksam den Worten seines Freundes Ferrars zu lauschen, der ihm über die bisherigen Resultate seiner Nachforschungen Bericht erstattete.

»Sehen Sie,« sagte der Detektiv, »ich hatte verschiedene kleine Anhaltspunkte gefunden, die vielleicht zum Ziel geführt hätten, wäre nicht dieser mysteriöse Junge heimlich in das Zimmer Ihres Bruders gedrungen. Das zwang mich zu neuen Schlußfolgerungen. Wenn ich's aber so recht überlege, brachten Sie mich zuerst auf die rechte Spur.«

»Wieso?« fragte Brierly verwundert.

»Indem Sie mir von dem Überfall erzählten, der auf Ihren Bruder gemacht wurde, bevor er nach Glenville ging.«

»Ich entsinne mich nicht.«

»Sie sprachen allerdings nur von einem Unfall, der ihn betroffen hatte und infolgedessen er die Schule in Glenville übernahm. Ich fragte später Herrn Meyers darüber aus und von ihm erfuhr ich, daß Ihr Bruder damals von zwei Unbekannten auf offener Straße überfallen und nur durch seine Geistesgegenwart gerettet wurde, indem er laut um Hilfe rief und den einen Schurken mit der Faust niederschlug. Der zweite allerdings verletzte ihn dann schwer durch einen Messerstich. Ihr Bruder war damals auf dem Rückweg von einem Krankenbesuch, den er eine Zeitlang regelmäßig zur selben Stunde machte. Das gab mir zu denken und leitete mich allmählich auf die Spur.«

»Ah, ich verstehe,« nickte Brierly, der mit wachsendem Interesse zugehört hatte. »Mein Bruder und ich müssen einen gemeinsamen Feind haben, der es auf unser Leben abgesehen hat. Der Angriff auf Charley bedeutete den Beginn der Feindseligkeit und nun es gelungen ist, ihn zu töten, sucht man auch mich aus dem Wege zu räumen. Ohne Ihre Dazwischenkunft, Ferrars, hätte mir jener angebliche Polizist sicher den Garaus gemacht.«

»Es war nahe genug daran,« entgegnete der Detektiv ernst. »Der Feind lauert auch noch immer im Hinterhalt, so daß Ihr Leben beständig in Gefahr schwebt. Wir müssen diesem Zustand ein Ende machen.«

»O, meinetwegen seien Sie unbesorgt,« unterbrach ihn Brierly.

»Ich werde mich nicht mehr so unbesonnen exponieren, sondern in Zukunft genau Ihre Anweisungen befolgen. Wie lauten dieselben jetzt?«

Ein flüchtiges Lächeln huschte über Ferrars Gesicht. »Daß Sie sich binnen fünf Tagen mit dem Dampfer Lucania nach Europa einzuschiffen haben und zwar in Verkleidung.«

»Etwa als Matrose?«

»Nein. Durch den Kapitän, den ich persönlich kenne, habe ich erfahren, daß eine Anzahl Mitglieder der Heilsarmee das Schiff zur Überfahrt nach England benutzen werden. Wir können daher nichts Klügeres tun, als uns alle in die Uniform der Heilsarmee zu stecken.«

»Uns alle?« wiederholte Brierly verwundert.

»Nun ja. Frau Meyers, die zu ihrem Gatten fährt, um sich mit ihm Paris und London anzusehen, Fräulein Glidden, die Lust hat, eine Reise zu unternehmen, Fräulein Grant, die nach den traurigen Erlebnissen eines Ortswechsels bedarf, – Sie aus gleichen Gründen und ich, um Geschäftliches zu erledigen. So – jetzt kennen Sie die ganze Reisegesellschaft.«

Ferrars lehnte sich in den Sessel zurück, unter halbgeschlossenen Lidern hervor sein Gegenüber beobachtend.

Wider Erwarten schwieg Brierly und zwar so beharrlich, daß der Detektiv sich veranlaßt sah, seiner Eröffnung einige erklärende Worte hinzuzufügen. »Ich kann mir denken,« sagte er, seine Stellung wechselnd, »daß meine Mitteilung Sie in Erstaunen setzt. Ich will Ihnen daher unsere gegenwärtige Lage kurz skizzieren. Wir sind der Lösung des Geheimnisses nahe, dürfen aber nicht überstürzt handeln. Noch liegt das Spiel zum Teil in den Händen des Feindes und die Szene ist jetzt nach London verlegt. Die Gegenpartei wird zunächst die erste Bewegung machen, aber wir müssen bei der Hand sein, wenn sie ihre Karte ausspielt. Endigt alles, wie ich hoffe und voraussehe, so ist Ihre Anwesenheit in England dringend erforderlich. Fräulein Grants Zeugenschaft in diesem oder jenem Punkt wird vielleicht benötigt werden und da ist es natürlich für sie von größter Annehmlichkeit, eine Freundin wie Fräulein Glidden und eine mütterliche Beschützerin wie Frau Meyers bei sich zu haben.«

Brierly wandte das Gesicht zur Seite, um seine heftige innere Bewegung zu verbergen, rangen doch leidenschaftliche Liebe und eigensinniger Stolz in ihm um die Oberhand.

»Und nun noch ein Wort betreffs unserer Reise,« bemerkte Ferrars, ohne die Erregung seines Gefährten zu beachten. »Ich habe Ihnen erzählt, daß sich ein Mann kurze Zeit im Glenville-Hotel aufhielt, den meine Agenten scharf im Auge hatten. Fräulein Grant sah ihn einmal und der gefällige Doran verschaffte mir ein Bild von ihm – auf welche Weise erzähle ich Ihnen gelegentlich. Ich habe allen Grund anzunehmen, daß dieser Fremde einer Ihrer Feinde war, vielleicht derjenige, der Sie in Chicago so meuchlings niederschlug.«

»Und auch meinen Bruder erschoß?«

»Das muß meiner Ansicht nach wieder ein anderer gewesen sein, aber der Fremde in Glenville war jedenfalls eine der Hauptpersonen.«

»Gütiger Himmel, wie viele hetzen denn hinter mir her?«

»Die Frage werde ich Ihnen wahrscheinlich erst in Europa beantworten können. Ich schlage nun vor, daß wir, um den Gegner irre zu leiten, auf verschiedenen Wegen nach England fahren, das heißt, die Damen mit dem einen, wir mit dem anderen Schiff. Natürlich darf niemand wissen, daß Sie nach England gehen; es würde Ihre Feinde zu einem äußersten Schritt treiben.«

»Seien Sie ganz ruhig,« erklärte Brierly, »ich werde mich streng an Ihr Gebot halten. Doch nun gestatten Sie mir noch eine Frage: weshalb wurden mein Bruder und ich in solch feindseliger Weise verfolgt? Und warum stehen wir ihnen im Wege?«

»Das kann ich Ihnen jetzt verraten: Sie sind für Ihre Feinde das Hindernis, ein großes Vermögen zu erlangen.«

Brierly stutzte. »Unmöglich!« rief er kopfschüttelnd. »Sie täuschen sich gewiß darin.«

»Dacht' mir wohl, daß Sie's nicht glauben würden,« entgegnete Ferrars gleichmütig. »Doch wir wollen diesen Punkt jetzt nicht weiter erörtern. Kommen Sie mit mir zu den Damen hinüber? Ich möchte mich von ihnen verabschieden.«

Er stand auf und begab sich in Brierlys Begleitung nach dem gegenüber gelegenen kleinen Landhaus, wo Frau Meyers mit den beiden jungen Mädchen ihr Zelt aufgeschlagen hatte.

Die Damen saßen auf der breiten, von wildem Wein umrankten Terrasse, als die Herren sie begrüßten. Nach kurzer Zeit ging Hilda unter einem Vorwand ins Haus, während Ferrars sich von Frau Meyers einige seltene Pflanzenexemplare im Garten zeigen ließ. Und so kam es – sei es durch Absicht oder Zufall – daß die beiden Liebenden allein auf der Terrasse zurückblieben.

Brierly saß auf einem bequemen Rohrsessel – Ruth stand neben ihm, an einen Pfeiler gelehnt, an dem sich blühende Kletterrosen emporrankten. Als sie zu ihm getreten war, hatte Robert sich erheben wollen, doch sie ließ es nicht zu. »Bleib' ruhig sitzen,« sagte sie, »und höre mir zu, denn ich habe Dir etwas zu sagen. Ich habe recht wohl bemerkt, wie unruhig, wie erregt Du heute bist; ich weiß auch, was Herr Ferrars Dir gesagt hat – ich ahne es wenigstens und verstehe, weshalb Du Dich quälst.«

»Ruth!« unterbrach er sie.

»Nein, laß mich ausreden. Wenn ich Dich nicht so gut kennen würde, Robert, wenn ich nicht wüßte, was für einen edlen Charakter Du hast, ich hätte schwerlich den Mut, das auszusprechen, was ich Dir jetzt um Deinet- und auch um meinetwillen sagen möchte.«

Wieder wollte er sie unterbrechen, doch sie kam ihm rasch zuvor. »Ich weiß, Robert, wie Du über unsere gemeinschaftliche Reise denkst und –« Sie hielt inne, als fände sie nicht die rechten Worte – »es fällt mir schwer, es richtig zu sagen, aber Du wirst mich auch so verstehen, nicht wahr? Ich ahne, was Du denkst; dennoch kann ich Deine Freundschaft nicht entbehren. Laß uns offen mit einander reden, Robert, damit wir uns verstehen. Charlies Tod und der Geldverlust, der Dir aus den Nachforschungen nach seinem Mörder erwächst, haben alle Hoffnung in Dir vernichtet. Du hast mich deshalb aufgegeben und zwingst Dich, mich zu vergessen. Aber meinst Du, ich werde Dir darin Deinen Willen lassen? Ich kenne Deinen Stolz und ich schätze Dich deswegen, allein warum soll er uns für immer trennen? Du bist nicht der Einzige, der erst seinen Weg in die Welt machen muß, ehe er die Geliebte heimführen kann. Habe ich bis jetzt gewartet, werde ich es, wenn nötig, auch noch länger tun. Aber es ist nicht nötig. Schüttle nur Dein Mißtrauen gegen Dich selbst ab, Deine Furcht – –«

»Ein Glücksjäger genannt zu werden,« ergänzte er mit leiser Bitterkeit.

»Niemand soll Dich so nennen, Du stolzer, stolzer Rittersmann!« flammte sie auf und dann plötzlich ihre Hand auf seine Schulter legend, sagte sie in weichem, fast bittendem Ton: »Robert, sei mir wieder, was Du in vergangenen Tagen warst – mein Freund, der mich versteht, dem ich vertrauen kann. Weiche mir nicht aus! Wir sind beide frei, und unter dem Schutze einer Ehrendame wie Frau Meyers dürfen wir getrost die Reise antreten. Wir wollen alles ruhen lassen, bis die Aufgabe, die uns nach Europa führt, gelöst ist.«

»Wer weiß, was zwischen unserer Hinfahrt und unserer Rückkehr liegt?« entgegnete er zweifelnd. »Wer weiß, was geschehen kann?«

»O, Du Kleinmütiger!« schalt sie ihn, sich von ihm abwendend, doch er sprang auf und ergriff ihre Hände. »Nein, nein, Ruth, ich will nicht feige sein! Hast Du mir nicht neues Leben gegeben? Nur um Deinetwillen wollte ich mich von Dir losreißen, Dir die Freiheit lassen, einen anderen zu wählen!«

»So?« rief sie mit blitzenden Augen. »Würdest Du denn ein Gleiches tun?«

»Niemals! Das weißt Du!«

Ein schelmisches Lächeln überflog jäh ihre Züge. »Wenn ich's nicht so genau wüßte, hätte ich nie in dieser Weise zu Dir gesprochen.«

»Aber es gibt so viele, die Dir mehr bieten können als ich,« wandte er ein.

»Es gibt nur einen einzigen, der meinen höchsten Herzenswunsch erfüllen kann,« erwiderte sie innig.

Brierly schüttelte den Kopf. »Ja, wenn ich reich wäre, Ruth, oder Du arm, dann sollte keine Macht der Erde Dich mir nehmen. So aber könnte ich es nicht ertragen, daß die Welt sagen würde, Ruth Gliddens Gatte sei ein Glücksjäger.«

»Das wird sie nie sagen! Nie!« versicherte sie. »Im Innersten meines Herzens habe ich mich von jeher als Dein zukünftiges Weib betrachtet, Robert. Noch besitze ich den kleinen Goldreif, den Du mir gabst, als wir uns, kaum zehn Jahre alt, in kindlichem Spiel mit einander verlobten. Wir wollen als Liebende nach Europa gehen und wenn es Dir nicht möglich sein wird, mir ein Vermögen zu bieten –« sie schaute mit sonnig lachenden Augen zu ihm auf – »es muß aber ein riesiges sein, sonst bin ich nicht zufrieden, wenn Du mir also das nicht geben kannst, ehe wir nach Amerika zurückkehren, so schenke ich all' mein Geld den Armen Londons und Du mußt mich für den Rest meines Lebens ernähren. O Robert, Robert,« – sie legte ihm beide Hände auf die Schultern und schaute ihm mit heißer, unauslöschlicher Liebe in die Augen – »wie töricht, wie frevelhaft, den erbärmlichen Mammon als Schranke aufzurichten zwischen Dir und mir!«

*

 


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