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Siebentes Kapitel.
Nächtlicher Besuch

Am folgenden Morgen unternahm Ferrars schon frühzeitig einen Spaziergang durch die Stadt, deren Topographie er eifrig studierte. Aufmerksam um sich schauend, durchwanderte er die verschiedenen Straßen, bis er in die Nähe des Häuschens gelangte, in dem Charles Brierly gewohnt hatte. Während er nachdenklich stehen blieb, öffnete sich die Haustüre und Frau Fry trat heraus, eilig die Richtung nach des Doktors Villa einschlagend.

Langsam folgte ihr Ferrars, begierig, was sie wohl dorthin führen möge. Als er näher kam, sah er sie eifrig mit Dr. Barnes reden, der ihr verwundert zuhörte.

»Heda, Ferrars!« rief der Arzt dem Freunde zu, sobald er ihn bemerkte; kommen Sie doch mal hierher! Und Sie, Frau Fry,« wandte er sich an diese, »erzählen Sie Herrn Grant, was Sie anfingen, mir zu berichten. Ich möchte seine Meinung darüber hören, denn er ist ein tüchtiger Advokat.«

»Ein ordentlicher Detektiv wäre hier nötiger,« bemerkte die Frau. »Es betrifft nämlich Herrn Brierlys Zimmer – er hatte zwei: eins zum Schlafen und eins zum Studieren. Sie kennen sie ja, Herr Doktor.«

Dieser nickte schweigend.

»Na,« fuhr die Frau fort, »als Sie gestern mit dem Bruder von Herrn Brierly zu mir kamen, sagte er, er wolle die Zimmer erst heute ansehen; ich sollte sie noch verschlossen halten.«

»Ja, ja, das wissen wir,« warf Dr. Barnes ungeduldig ein.

»Die Zimmer hatte ich schon am Morgen abgeschlossen,« erzählte Frau Fry weiter, »und den Schlüssel trug ich bei mir in der Tasche. Wie die Herren fort waren, setzte ich mich noch ein Weilchen an die Türe. Meine Nachbarin, Frau Robson, kam herüber und wir schwatzten ein Stündchen zusammen, während meine Nellie auf meinem Schoß eingeschlafen war.«

»Machen Sie die Geschichte kurz!« mahnte Dr. Barnes.

»Jawohl!« nickte die Frau. »Also so gegen halb acht – es waren noch Leute genug auf der Straße – kam ein Junge auf mich zugelaufen.

›Entschuldigen Sie,‹ sagt' er, an seine Mütze greifend, ›der Herr Brierly drunten beim Doktor hat vergessen, die Schlüssel vom Zimmer seines Bruders mitzunehmen. Er hat mich geschickt, sie zu holen.‹

's war dumm von mir, aber ich kränkte mich, daß der Herr mir nicht die Sachen seines Bruders anvertrauen wollte. Natürlich gab ich den Schlüssel her, fragte auch nichts weiter.«

Ferrars Augen zuckten lebhaft auf und er machte dem Arzt ein Zeichen, den Redefluß der Frau nicht zu unterbrechen.

»Ich hätt's nicht tun sollen,« fuhr diese fort, »aber ich ahnte ja nichts Böses. Frau Robson ging bald darauf heim; ich brachte Nellie zu Bett und weil's so'n schöner Abend war, blieb ich noch ein Weilchen vor der Haustüre. Plötzlich kam derselbe Junge wieder angerannt. Er war ganz außer Atem und bracht' die Worte kaum hervor. »Madame,« sagte er, »die Dame, die neben dem Maschinenhaus wohnt, hat mir aufgetragen, ich möcht' Sie bitten, schnell zu ihr zu kommen. Ihr Jüngster habe sich schrecklich verbrannt.«

»Aha!« murmelte Ferrars mit einer Miene, als werde ihm ein Rätsel klar. »Gingen Sie hin?«

»Natürlich ging ich. Und da ich wußte, daß meine Schwägerin nie was bei der Hand hat, wenn mal was passiert, so holte ich aus meinem Zimmer eine Flasche Kampfer und Verbandwatte. »Lauf voraus,« rief ich dem Jungen zu, »und sag', ich käme gleich; muß nur erst noch die Türen und Fenster schließen.«

»Die Madame hat's so furchtbar eilig gemacht,« entgegnete der Bub'. »Gehen Sie nur gleich; ich werd' mich hersetzen und Ihr Haus bewachen. Dort kann ich doch nichts nützen.«

Der Junge machte so'n ehrliches Gesicht und ich hatt' so Sorge um Marys Kleinen, daß ich ganz den Kopf verlor und fortlief. An der Ecke drehte ich mich nochmals um. Der Bub' saß auf der Haustreppe und pfiff lustig vor sich hin. Beruhigt rannte ich weiter, doch wie ich ganz atemlos hinkomme, sitzen sie alle gemütlich im Zimmer – dem Nelly war garnichts passiert. Ich war so betreten, daß ich kein Wort hervorbrachte und grad' nur so auf einen Stuhl fiel. Anstatt gleich heimzulaufen, blieb ich da sitzen und erzählte den anderen, wie mich der Bengel genarrt habe und daß ich ihm das heimzahlen wollte. Schließlich meinte Mary, ich solle doch lieber nachsehen, ob daheim alles in Ordnung sei und ob's nur ein dummer Streich von dem Jungen gewesen.«

»Es sah wohl so aus,« warf Ferrars leicht hin.

»Das sagte mein Nachbar, Mr. Jones, auch. Ich traf ihn unterwegs und er ging mit Mary und mir ins Haus. Nellie schlief noch fest und alles war in bester Ordnung. Wie die beiden heimgegangen waren, legt' ich mich auch nieder, konnt' aber nicht recht schlafen. Es ärgerte mich doch wegen der Fopperei von dem nichtsnutzigen Schlingel, und wie ich so noch lag, war mir's, als hörte ich Schritte und eine Tür knarren. Und dann schlug ein Fensterladen so hastig zu, daß Nellie davon aufwachte.

Nun seh' ich jeden Abend selbst nach allen Läden und ich wußte genau, daß ich die in Herrn Brierlys Zimmer geöffnet und fest eingehakt hatte. Und gerade dort war der Lärm gewesen.«

»Wohnen Sie allein im Hause?« unterbrach sie Ferrars.

»Ja. Ich stand also auf, nahm Nellie mit und ging leise auf den Vorplatz. Dicht neben der einen Tür ist ein Brett, wo ich jeden Morgen Herrn Brierlys Lampe hinstellte. Gestern abend war sie noch da und jetzt sah ich sie nicht mehr. Mir wurde ganz ängstlich zu Mute, aber ich lief doch die Treppe hinauf, grad' an Herrn Brierlys Zimmertür und wie ich durchs Schlüsselloch gucken wollt', seh' ich richtig den Schlüssel drinstecken, den ich dem Jungen gegeben hatte.«

»Was taten Sie denn nun?« fragte Dr. Barnes.

»Ich setzte die Lampe auf den Boden, ermahnte Nellie sich ruhig zu verhalten und schloß die Türe ab. Hineinzugehen getraut' ich mir nicht. Dann schloß ich auch alle anderen Türen zu und legte mich wieder hin. Heut' früh bin ich nun gleich zu Ihnen her gekommen und ich meine, Herrn Brierlys Bruder müßte jetzt hingehen und die Sache untersuchen. Wenn jemand die Nacht hereingekommen ist, muß er noch dort sein, weil ich doch alles verschlossen hab'.«

»Wohin soll ich gehen?« erklang plötzlich die Stimme Brierlys, der unbemerkt herangetreten war.

»O, Sie kommen gerade zur rechten Zeit,« rief ihm Ferrars lebhaft zu. »Frau Fry glaubt, es sei heute Nacht jemand in den Zimmern Ihres Bruders gewesen und meint, Sie möchten selbst mal nachsehen, was da vorgefallen ist. Wenn Sie dazu aufgelegt sind, wäre es wohl am besten, die Sache gleich zu untersuchen.«

Brierly war bereit und während er seinen Hut holte, schickte Ferrars Frau Fry nach Hause. Dann wandte er sich lächelnd zu Dr. Barnes: »Sie brauchen sich nicht zu sorgen, daß wir noch nicht gefrühstückt haben. Es gibt Zeiten, wo der physische Mensch dem psychischen – das heißt der Willenskraft untertan sein muß. Brierly besitzt Energie genug, um seelische Affekte zu ertragen. Er hätte sich jetzt durch nichts zurückhalten lassen.«

»Ich glaube, Sie haben recht,« stimmte Dr. Barnes zu. »Wie urteilen Sie über die Geschichte, die uns Frau Fry erzählt hat?«

»Die Frage werde ich Ihnen in einer Stunde besser beantworten können,« entgegnete Ferrars. »Ah, da kommt Brierly! Gehen wir also ans Werk.«

Frau Fry erwartete sie bereits an der Haustüre. »Sie haben doch einen Revolver mitgebracht?« flüsterte sie ängstlich.

»Nur ruhig, liebe Frau!« beschwichtigte Ferrars sie. »Es wird niemand oben sein.« Sie schenkte zwar dieser Versicherung nicht rechten Glauben, gewann es aber doch über sich, die weitere Entwickelung der Dinge am Fuß der Treppe abzuwarten.

Inzwischen waren die Herren oben angelangt. Brierly schloß die Türe auf und mit einer gewissen Spannung betraten sie das Zimmer. Es war leer.

»Jemand hat doch hier Unfug getrieben,« äußerte Ferrars, flüchtig Umschau haltend. »Sie müssen das auch merken, Herr Brierly, denn Sie waren ja gestern abend ein paar Minuten hier oben.«

Brierly nickte. »Es ist mir ein schrecklicher Gedanke,« sagte er stirnrunzelnd, »daß fremde Hände in den Sachen meines Bruders gewühlt haben. Hier tut eine gründliche Untersuchung not und die möchte ich in Ihre Hände legen.«

»Eben kommt Frau Fry herauf,« warnte Dr. Barnes und hastig eilte Ferrars an die Türe, die er nur ganz wenig öffnete.

»Es ist niemand in den Zimmern,« rief er der Frau zu. »Wir haben auch nichts vermißt, also war es wohl nur ein Jungenstreich. Wir wollen uns noch ein wenig orientieren und kommen dann herunter.«

Damit schloß er die Türe und begann die verschiedenen Gegenstände näher ins Auge zu fassen.

Die Fächer des Schreibtisches waren geöffnet, der Inhalt derselben lose umhergestreut. Ferrars betrachtete alles genau, ohne jedoch etwas zu berühren.

Dicht am Mittelfenster stand ein kleiner Tisch, auf dem mehrere religiöse Bücher lagen, außerdem einige beschriebene Blätter. Über dem Schreibtisch befand sich ein Bücherregal und daneben ein mit Zeitungen gefülltes Drahtnetz.

»Rühren Sie hier bitte nichts an!« sagte er zu seinem Gefährten, indem er sich ins Nebenzimmer begab. »Ah!« rief er plötzlich aus, »da ist ja die Lampe, die Frau Fry vermißt hat.«

Dr. Barnes und Brierly gesellten sich zu ihm. »Besaß Ihr Bruder irgendwelche Wertsachen?« fragte Ferrars den letzteren.

»Ja, er hatte eine wertvolle, eigentümlich geformte Uhr, ein Geschenk unseres Vaters, ähnlich wie die meinige. Auch gehörte ihm ein schöner Opalring meiner Mutter und verschiedene antike Kleinigkeiten, die er auf seinen Reisen gesammelt hatte und mit denen er seine zukünftige Frau schmücken wollte.«

»Besaß er dies alles auch jetzt noch?«

»Sicher, denn er schrieb mir einmal, es sei ein Zeichen von weiblichem Zartgefühl und Takt, daß Fräulein Grant nichts anderes von ihm annehme als Bücher und Blumen.«

»Ich denke, wir rufen nun Frau Fry herauf um zu sehen, ob sie hier Veränderungen bemerkt.«

Dr. Barnes rief die Hauswirtin und als dieselbe eintrat, forderte Brierly sie auf, sich in beiden Zimmern umzusehen, ob irgend etwas fehle oder nicht in Ordnung sei.

Die Frau stemmte die Arme ein und schaute sich nach allen Seiten um und rief dann sichtlich entrüstet: »Oho! da steht ja meine Lampe im Schlafzimmer. Und der Zylinder ist ganz schwarz; haben die Lampe wahrscheinlich schief gehalten. Sogar ans Bett sind sie geraten!« fügte sie kopfschüttelnd hinzu.

Ferrars trat näher. »Das ist stark!« bemerkte er. »Können Sie verraten, weshalb das Bett durchsucht wurde?«

Sie zuckte die Achseln. »Herr Brierly hatte immer eine Pistole unter seinem Kopfkissen.«

»War sie noch gestern morgen da?«

»Das weiß ich nicht genau. Ich fürchtete mich nämlich vor dem Ding und so hat er sie selbst unter die Matratze gelegt. Er besaß zwei Pistolen, die eine gebrauchte er beim Scheibenschießen und diese – sie war viel größer als die andere – behielt er in seinem Bett.«

»Lassen Sie uns mal nachsehen, ob sie noch darin ist,« schlug Brierly vor. Ferrars hob die Kissen und die Matratze in die Höhe, allein die Waffe war verschwunden.

»Ist Ihnen noch etwas in dem Zimmer aufgefallen, Frau Fry?« fragte der Detektiv, in den Vorderraum zurückkehrend.

»Ja, ich sehe, daß der Schreibtisch, der gestern zu war, offen steht, die Bücher sind auch durcheinandergeworfen und es scheint sogar, der Papierkorb und die Zeitungsmappe sind durchsucht worden.«

»Meinen Sie, daß etwas fehlt?« fragte Ferrars weiter.

»Das kann ich nicht sagen,« erwiderte die Wirtin, »da müßten Sie schon erst den Schreibtisch nachsehen: Aber sehen Sie mal hierher –« sie deutete auf den Tisch, auf dem zwei abgebrannte Streichhölzchen lagen – »die haben hier die Lampe mit ihren eignen Streichhölzchen angezündet, denn ich habe keine solchen. Und da –« fuhr sie fort, sich über den Tisch beugend, – »da sieht man auch noch den Abdruck von Fingern des Jungen. Es kam gestern viel Staub durch die offenen Fenster herein,« fügte sie erläuternd hinzu.

»Wischen Sie die Spur ja nicht weg,« gebot Ferrars, »sagen Sie auch niemand, daß irgendeiner in diese Zimmer eingedrungen ist.«

Die Frau versprach, nichts zu verraten, und nachdem sie sich entfernt hatte, wandte Ferrars seine Aufmerksamkeit wieder dem Schreibtisch zu.

»Wissen Sie, wo Ihr Bruder seine Wertgegenstände verwahrte?« fragte er Brierly.

»In einer lackierten japanischen Schachtel.«

»Wollen Sie nachsehen, ob sich dieselbe in einem der Fächer befindet? Aber bitte, rühren Sie den Briefhalter nicht an!«

Brierly warf einen flüchtigen Blick hin: auf dem Briefhalter steckten anscheinend nur einige Memoranden und darunter, dicht neben dem Tintenfaß, lag ein winziges Stückchen Papier, nicht größer wie ein Fingernagel. Brierly beachtete dies nicht weiter, sondern sah die Briefe durch, die in den Fächern aufgestapelt waren. Dabei fiel ihm ein schmales, weißes Kuvert in die Hände. Als er den Inhalt überflog, wurde er rot vor Ärger und reichte dem Detektiv das Blatt. Ohne es zu betrachten, steckte dieser es in die Tasche, seine Untersuchungen fortsetzend.

Nach einer Weile hatte Brierly die japanische Schachtel gefunden.

»Die Uhr und die Schmucksachen sind fort,« sagte er verwundert; »hingegen hat der Dieb verschiedene Andenken an unsere Mutter, die mein Bruder mit dabei verwahrte, zurückgelassen. Ich weiß nicht, wie ich mir die Sache erklären soll, überlasse daher Ihnen die Lösung. Nur möchte ich, daß Sie den Brief lesen, den ich Ihnen vorhin gab, und mir Ihre Meinung darüber sagen.«

Ferrars zog das Kuvert hervor. Ein Teil desselben, da, wo die Marke hingehörte, war gewaltsam abgerissen worden.

»Pflegte Ihr Bruder seine Briefe in dieser Weise zu öffnen?« fragte Ferrars.

»Nein,« entgegnete Brierly, »er schnitt das Kuvert stets sorgsam mit seinem Federmesser auf.«

»Haben Sie unter den anderen Briefen kein ähnlich geöffnetes gefunden?«

»Nein.«

»Nun, dann kann ich Ihnen meine Meinung schon sagen, noch ehe ich den Brief lese.«

Gespannt setzten sich Brierly und Dr. Barnes ihm gegenüber.

»Sehen Sie,« begann Ferrars, »seit gestern haben sich mir die verschiedensten Mutmaßungen über diesen verwegenen Mord – denn das ist er – aufgedrängt, aber ich habe es mir zur Regel gemacht, nicht eher ein positives Urteil zu fällen, bis ich nicht genügend beweiskräftige Argumente gefunden habe. Vollständig befriedigt bin ich in dem jetzigen Fall noch nicht; immerhin lassen sich schon einige Tatsachen zusammenstellen. Vor allem erscheint es mir gewiß, daß Herr Charles Brierly mit Vorbedacht ermordet wurde. Sich selbst getötet hat er nicht, auch konnte ihn an jener offenen Stelle niemand aus Versehen erschießen. Ohne es vielleicht zu ahnen, besaß er einen Feind, und die meuchlerische Tat war sorgfältig geplant und vorbereitet. Es tut mir leid,« fuhr er nach einer kurzen Pause fort, »daß ich nicht, wie ich ursprünglich beabsichtigte, die vorige Nacht hier blieb; ich hätte dadurch vielleicht unerwarteten Aufschluß erhalten. Was nun den Jungen anbetrifft, der Frau Fry so erfolgreich narrte, so möchte ich wissen, lieber Doktor, ob Sie vermuten können, wer es war?«

Dr. Barnes schüttelte den Kopf.

»Doch nicht etwa ein Schüler meines Bruders?« warf Brierly ein.

»Sicher nicht; denn dann hätte die Wirtin ihn erkannt. Nein, es muß ein fremder Junge und ein gescheiter obendrein gewesen sein, denn er sicherte sich erst die Schlüssel zu diesen Zimmern und lockte dann Frau Fry unter falschem Vorwand aus dem Haus. Sobald sie außer Sicht war, schlüpfte er, meiner Ansicht nach, herein, nahm die Lampe mit herauf und zündete sie hier an, wie die Streichhölzer beweisen.

Als wir heute herkamen, bemerkte ich sowohl am Fenster wie auf dem Tisch, daß der nächtliche Besucher einen Anhaltspunkt für seine Identität zurückgelassen hatte. Der Junge war nicht, wie ich anfangs glaubte, nur ein Aufpasser. Nein, dieser beherzte und gescheite Junge war es, der hier allein sein Wesen trieb. Da auf dem Fenster und auch auf dem Schreibtisch finden Sie den Abdruck von ein, zwei und manchmal mehreren schlanken Fingern.«

»Ich verstehe aber nicht, welchen Zweck er verfolgte?« unterbrach ihn Brierly.

»Welchen Zweck? Ah, das werden wir bald sehen. Die Sachen, die er mitnahm, sollten nur als Deckmantel dienen. Dieser seltsame Junge hatte nicht das geringste Verlangen nach Ihres Bruders Waffe, Uhr oder Schmucksachen, die er sicher bei erster Gelegenheit versuchen wird, los zu werden. Für ihn hatte nur eines Wert.«

»Und das war?« fragte Brierly gespannt.

Ferrars erhob sich und trat an den Schreibtisch. »Sehen Sie hier den Briefhalter?« sagte er. »Es sind nur einige Rechnungen und Memoranden darauf befestigt. An einer Ecke jedoch ist etwas abgerissen und dieses Stückchen Papier« – er hob das winzige Blättchen in die Höhe – »fiel herunter, als jemand, nachdem Frau Fry die Zimmer abgeschlossen hatte, von dem Briefhalter ein Blatt wegnahm. So viel ich erkennen kann, muß es ein Stück Zeitungspapier gewesen sein. Dies allein wurde geraubt, weil der Räuber es brauchte. Alles Übrige hat er nur als Deckmantel mitgenommen.«

»Weshalb durchstöberte er dann aber noch die Bücher und die Schreibtischfächer?« warf Dr. Barnes ein.

»Weil er es vielleicht nicht gleich an der richtigen Stelle suchte,« entgegnete Ferrars. »Was ihn aber noch bewog, hierher zu kommen, war wohl dies.« Er nahm den Brief aus der Tasche, den ihm Brierly kurz vorher gegeben hatte. »Das Kuvert trägt keinen Poststempel,« fuhr er fort, »und es wurde an einer leicht sichtbaren Stelle niedergelegt. Was es enthält, weiß ich nicht, doch – ich errate es.«

*

 


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