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Bang

Herman Bang

»Schwermut tropft und Bitternis aus roten Rosen.«

Eine Seele voll Schwermut, schon im Namen kundgetan. Aristokrat und Erbe ermüdeter Geschlechter, Spieler, um sich vor der Welt zu bergen: die Synthese war ein Dichter.

Er war Spielgefährte dänischer Königskinder: so dicht führt seine romantische Jugend vorüber an dem Ahnen aller Dänenprinzen, an den man bei ihm denken muß. Einer dunkel umbrandeten Jugend voll Flucht und Zusammenbruch dankt er, daß seine natürliche Schwermut nicht aus der Bahn gelenkt ward, daß er von vornherein sich nicht zu Taten aufgerufen fühlte, denen Hamlet nicht gewachsen war. Ihr dankt er, daß er aus sich machte, was allein ihm blieb: daß er Künstler wurde, während die Väter sich in Amt und Tätigkeit getummelt hatten.

Zweierlei konnte er werden: ein Musiker, ein Schauspieler. An beiden ging er haarscharf vorüber. Chopins Weisen steigen auf mit ihrer Bittersüße, denkt man an ihn. Seine Bücher sind voll Musik, sind ganz als Symphonien geordnet. Aber ihm fehlte der männlich schöpferische Antrieb, denn seine post mortem frei bekannte erotische Verwirrung wurde ihm Schicksal.

Schwermut war das psychische Symptom.

 

Als in seinem ersten Roman, einem Selbstbildnis, der Held Schauspieler werden will und bei der ersten Probe völlig versagt, murmelt der Intendant: Etwas steckt dahinter. Und als derselbe Held später ein Stück schreibt, murmelt der Kritiker: Etwas ist darin.

Als junger Mensch ging Bang zur Bühne, und er spielte Ibsens Oswald, daß seine Partner erschraken; daß sie ihm einen Stuhl zuschoben, fürchtend, er sänke hin. Das heißt, er spielte nicht, er war Oswald. Als dann einmal der gesunde Instinkt eines rohen Publikums merkte, daß eine Macht dort auf der Bühne ihr Wesen treibe, aber kein Schauspieler, pfiffen sie ihn aus, und er entsagte; auch um körperlicher Schwächen willen, die ihn hinderten, »Helden« zu spielen. Was aber anders hätte er spielen sollen? Konnte seine Seele sich verleugnen?

Schwermut schützt vor der Groteske.

 

Um dem Drang zum Akteur Luft zu machen, schilderte er später Schauspieler und Artisten, in Novellen, in Essays. Er wurde Regisseur und führte in Paris und Kopenhagen ganze Literaturen ein. Er wurde Rezitator seiner Werke, spielte seine Romane, wie als erschüfe er sie eben jetzt, nervös, Zigarette in Händen, obwohl er sich tagelang vorher fürchtete, tagelang nachher erschöpft war. »Hinter meinem herausfordernden Auftreten birgt sich Todesangst.« Aber er brauchte diese Erregung: hier in dieser Stunde, endlich war er Herr.

Schwermut, die sich verzweifelt bäumt.

 

Auch am Drama ging er genau vorüber. In der Jugend schrieb er ein paar Stücke, die sich nicht erhalten haben. Und doch schienen unter den Erzählern seiner Gegenwart wenige zum Dramatiker so geboren wie Bang. Sind seine Bücher nicht voll von Dialogen innerster Spannung? Ist dies nicht grade seine feinste Kunst: Gespräche zu bauen, mit doppeltem Boden? Oben werden indifferente Worte gewechselt, unten ringt es, bebt es, weint es. In seinen letzten, vollkommensten Büchern geht er so weit, nicht einmal mehr als epischer Regisseur zu erwähnen, daß es unten weint und bebt. So nahe streift sein Flügel das Dramatische. Und doch ist grade, was seine Bücher an Handlung enthalten, gering und häufig wie hinzu erfunden. Ihr dramatischer Reiz liegt nur in jener Spannkraft.

Grund und Analogie dafür gibt sein Leben kund. Dies Leben, so mannigfach, verlief dennoch höchst undramatisch. Bang war Schauspieler und Regisseur, Journalist und Rezitator, Kosmopolit und Abenteurer: dennoch erlebte er eigentlich nichts. Hier ging alles nebeneinander. Deshalb setzt er seine Gestalten nebeneinander wie im Gewebe eines Gobelins. Das Erlebnis seiner Seele trug er in sich vom ersten Beginn, selbst die Kindheit brachte ihm nur Bestätigung.

Das Dramatische hat Bang weder erlebt noch geschildert. Gelangt er an den Punkt, an dem die Leidenschaft zwischen Gestalten seines Werkes zum Ausbruch kommt, so schweigt er nicht hörbar wie Fontane, er findet nur drei Zeilen oder fünf. Die dramatische Szene ist seinen Nerven fremd, deshalb schildert er sie nicht. Im Leben hat sie ihn gewiß enttäuscht, vielleicht war sie ihm peinlich.

Schwermut zieht am Dramatischen vorbei.

 

Herman Bang war als Dichter geboren. Aber Künstler war er nicht unausweichlich, nicht aus Dämonie: »Ich schreibe, um zu schreiben, und ich schreibe, um zu leben.« Oder: »Immer graut mir vor dem Schaffen.« Gut, daß er nicht reich war, sonst hätte er weniger geschrieben. Da diese innerste Nötigung ihm mangelte, findet sich in seinem Werk nicht eigentlich Entwickelung. Denn er bestand aus purer Schwermut, (die nicht gebrochen war durch jene Frechheit, mit der Heinrich Heine dies Geschenk zerstörte), und deshalb sind seine Bücher im Grunde lauter Selbstbildnisse.

Balzac etwa ist sein Antipode, Flaubert sein ganz fremder Stiefbruder. Unaufhörlich erfindet Balzac, ist immer im Fieber, reiht Handlung an Handlung. Bang erfindet nicht, fiebert nicht, niemals fabuliert er. Die Ähnlichkeit dieser Dichter: dieselben Figuren durch ihre Bücher zu führen, ist äußerlich und deutet auf ihre Verschiedenheit. Ein ungeheures Schachspiel baut Balzac, er schiebt die Figuren. Bang führt fast immer die wenigen Gestalten seiner Jugend auf.

Er kannte im Grunde nur zwei Menschen und stellte sie dar, sich selbst und seine Mutter. Er ist William Hög, ist Claude Zoret, ist Joan, und Nina Hög und Katerina und Stella und Dora und Fräulein Johansen, dies alles ist seine Mutter, er hat es selbst gesagt.

Schwermut kennt nur wenig Transfigurationen.

 

So ist er das Gegenteil des écrivain. Auch arbeitete er ganz anders – ganz wie ein Dichter, langsam, wartete, was seine Gestalten tun wollten, sah ihnen zu, belauschte sie, statt sie zu schieben. Und doch schreibt er ausschließlich Romane, keine Dramen, kaum Gedichte, die vollkommen wären.

Wenn diesem Künstler zum Schriftsteller die Lust zu fabulieren fehlte, zum Dramatiker der Trotz, zum Lyriker der gefesselte Rhythmus: was ist es dann, das ihn erhebt über die andern?

In der Jugend hat er seine Schwermut schweifen lassen, hat nur seinen Helden getötet, William Hög; es scheint, er hätte es selbst tun sollen. Denn in ihm war nichts von der stattlichen Kraft der Regeneration Goethes, und ganz töricht sind Bangs »Hoffnungslose Geschlechter« dem Werther verglichen worden. Bang gestaltete kein Erlebnis, um es zu überwinden: er erlebte ja nichts als seine Schwermut. Dies hinderte ihn, sich zu töten.

Aber Bang war Weltmann und Aristokrat, war eben empirisch ein junger Däne und wollte untertauchen. Doch da er überall ein Fremdling blieb, unsäglich einsam, immer nur ein Gast, so betrachtete er die Unwelt, um sich zu ermüden. Und so schuf er, nur um sich zu ermüden, Gestalten neu, die er gefühlt.

So erklärt sich seine große Kunst: Gestalten-an-sich zu schaffen, ohne Handlung, ohne Bewegung, beinah ohne Milieu und Landschaft hinzustellen – jede unendlich einsam neben die andere. Aber ihre wirkende Kraft ist so groß, ihre Sinnlichkeit, an den kleinsten Symptomen wie im Fluge errafft, so nah und stark, daß der Leser, die geringe Handlung vergessend, sich auf besondere Art von ihnen umgeben fühlt.

Denn Bangs Gestalten vollbringen das Außerordentliche: sie treten aus dem Rahmen, in den sie nur flüchtig gestellt waren, sie verlassen die Blätter, die der Schauplatz ihres Lebens schienen, sie begleiten uns und werden unsere Freunde. Und treten wir dann eines Morgens hinaus in die Landschaft oder eines Abends in den Salon, oder uns treffen merkwürdige Frauenaugen, oder wir reisen, wir schmieden Pläne, wir sind wild, verworren, betrachtsam oder belebt, da taucht in uns die Frage auf: Wo sind sie, unsere Freunde? Wo ist Michael? ... Was für Augen macht Claude Zoret dazu? ... Tine ist nicht mitgekommen ... Wie Nina weint? ... Die alte Exzellenz grollt und friert ... Und die schönste von allen, die Mutter, lächelt zu dem, was wir treiben, unter ihren Tränen.

Sie bieten keinen Kosmos, diese Gestalten. Bangs Einsamkeit gestattete ihm nicht, sich, wie man sagt, in andere »zu versenken«. Er legte sein Herz in diese anderen, darum sind sie im Grunde alle gleich, alle tragen das bittersüße Lächeln ihres Autors, man erkennt sie daran, wie die Melodien Chopins.

Nirgends ist die suggestive Kraft, die diese Gestalten außerhalb seiner Bücher behalten, so unheimlich gewachsen wie in den »Vaterlandslosen«, seinem letzten Buch. Eine Art von Gesetz, das große Meister erfüllen: kurz vor dem Ende ihre Form selbst aufzulösen, erfüllte auch dieser Dichter. Bang, kurz bevor er unterging, hat in seinem letzten Buch den Rest von Form völlig aufgelöst, den er im Lauf der Bücher noch behalten. Hier wird kaum noch Handlung angestrebt, alles liegt zwischen oder vielmehr unter den Sätzen. Es ist ein Buch, das mehr noch als die vorigen den Leser anruft, mit zu produzieren.

Doppelt bedeutsam wird dies im Angesichte der Natur des Helden. Bang findet in diesem Grafen Joan eine neue Formel für sein eigenes Wesen: die des aristokratischen Virtuosen. Und zu jenen Zügen, die alle seine Hauptgestalten von ihrem Schöpfer haben: dem Lächeln und dem melancholischen Aufblick ihrer Seele, kommt hier ein neuer, das Rückgrat des Weltmannes, und in aller Schwermut ist die Erkenntnis des alternden Künstlers wie aufgelöst, daß es andere gibt, größere Künstler. Eine todesmüde Ergriffenheit bedrängte ihn. Hier tönt sie wieder.

So voll vom Wunsche abzuscheiden ist dies letzte Buch, daß es kaum wundernahm, als man erfuhr, sein Dichter wäre abgeschieden: abenteuerlich, wie es ihm zukam, im Ost-West-Expreß in Nordamerika, wahrscheinlich durch selbstgewähltes Gift. Und auch darin war das letzte Buch Symbol, daß am Ende Graf Joan das Instrument seiner Seele und seiner Kunst, die Geige, beiseite legt mit dem Entschlusse, sie nie mehr anzurühren.

Als Herman Bang dies niedergeschrieben, entsank ihm seine Geige. Aber der Tod, der sie aufnahm, spielte ihm darauf jene Weise, die ihn ein Leben lang umsang – und die er doch nie hatte völlig fassen können.

Schwermut, am Ende langer Wanderung in Harmonie gehoben.


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