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Bismarck

Bismarck

»Das irdische Imponierende ... steht
immer in Verwandtschaft mit dem
gefallenen Engel, der schön ist, aber
ohne Frieden, groß in seinen Plänen
und Anstrengungen, aber ohne Gelingen,
stolz und traurig.«

Mächtige Gestalt! Wieviel hast du dem Körperbau zu danken, der du doch beinah nie zur Tat mit Faust und Arm gelangtest! Wie ist dein Leib mit deiner Leistung einig: der Wille eines Hünen, durchzuckt von dem elektrischen Strome magnetischer Nerven. Wie ganz gleicht deine Natur der jener Doggen, die du darum liebtest: stark und nervös, wuchtig und dunkel, furchtbar und unversöhnlich gegen den Beleidiger, nur einem einzigen getreu, dem Herrn, doch diesem hingegeben bis in den Tod. So mächtig, nervös und gefährlich wie sein Hund war Bismarck.

Einmal hat er, wie jeder starke Mann, sich selbst das Leben gerettet: dem Attentäter Unter den Linden griff er nach dem ersten Schusse die Rechte weg, die eben einen zweiten, nahen, den Todesschuß, abfeuern wollte, und schlug die Waffe nieder. Ein anderes Mal, als Jüngling, sprang er dem Ertrinkenden nach und ehrte zeitlebens unter den Ordenssternen, die »zur Garderobe eines Ministers gehören«, nur die Medaille, die diese Rettung krönte. Ein drittes Mal hat er sein Vaterland gerettet, Preußen, dessen König vor dem Volke zurückweichen und abdanken wollte, indem er ihn beim Portepee nahm, und riß ihn in den Mut der Gegenwehr.

Keiner dieser drei gleich wichtigen Erfolge war möglich ohne die mächtige Gestalt, mit der er fassen oder wirken konnte. Und so hat er, an Wuchs immer der Größte, den schon als Zwanzigjährigen sein erster Herr beim Hofball angestaunt hat, den Kaisern der Franzosen und Russen, so hat er Königen, Fürsten und Fürstinnen imponiert, wenn er nur eintrat und sich an der Schwelle verneigte, um gleich darauf nur mächtiger dazustehen. Selbst Generale und Parlamentarier, aus sehr verschiedenen Gründen meist ihm Feind, setzte der Wuchs in Spannung, manchmal in Schrecken.

Und doch haben Vertraute, zuweilen sogar Beamte, den Riesen zusammenbrechen gesehen, von Weinkrämpfen geschüttelt, von Herzschmerzen gejagt, hingestreckt im Kampfe, die Züge von Zuckungen entstellt. Dies ist der andere Bismarck, dem die Deutschen gern vorüberschleichen und ohne den die volkstümliche Hälfte des Mannes sein Werk doch niemals hätte schaffen können.

Denn als der Geist der Geschichte daran verzweifelte, die deutschen Stämme aus tausendjähriger Zwietracht zu erlösen, ersann er diesen Mann mit solcher Zwietracht der Triebe, daß nur ihm gegeben war, jene andere Zwietracht zu schlichten. Den Kampf der eigenen Seele, dies ruhelose Widerspiel von Pathos und Kritik, von Pflichtgefühl und Machtgefühl, von Weltflucht und Aktivität, von Treue und Rache, sah er draußen in der Seele Deutschlands und nahm aus dieser fast mystischen und doch natürlichen Verwandtschaft den Mut zur Einung der Zerrissenheit. Aus dem strömenden Gefühle, das unter allen Kalkulationen des Politikers rauschte, ihm selbst nicht stets bewußt, aus einer Vision, einer Art von Traum, formte er sein Werk und konnte es nur mit feuerflüssiger Seele tun; schnell, in kaum acht Jahren, hat Bismarck, der Preuße, Deutschland gemacht.

Denn Deutschland konnte nur von einem Manne des Gefühles überwältigt werden, der seine Glut vereisen konnte wie der Künstler. In Wahrheit wurde das Land der Musik von einem Künstler zum Staate geformt.

Zugleich von einem Realisten, da es denn auch ein Volk von Realisten nährt, die ihren Traum, die ihre stete Frage an die inneren Zusammenhänge durch Tatkraft und durch einen Anspruch an die äußeren ins Gleichgewicht zu setzen suchen, der, vielleicht aus Furcht, bis ins Verschlagene abirrt. Auch Bismarck war real und hart, immer ein Mann der Tatsachen, fast nie der Grundsätze, und hat in drei Jahrzehnten steigender Macht, obwohl zuletzt Diktator, beinah mit allen Parteien und allen Ideen, beinah gegen alle Parteien und alle Ideen regiert, um nur zu seinen Zielen zu gelangen. Er haßte leidenschaftlich, bis in die schlaflosen Nächte hinein, tags blitzte er seine Gegner nieder; sobald er sie aber brauchte, machte er kehrt und suchte sie zu gewinnen. Wie weit ein solches Tun für die Sache, wie weit zur Erhaltung eigener Macht bestimmt ist: Torenfrage vor einem Monomanen, der seine Sache will und fühlt, daß nur er selber sie machen kann!

Trotzdem ist Wille zur Macht Bismarcks Grundmotiv nicht gewesen, noch weniger Ehrgeiz: eine lange, müßig taube Jugend, die nirgends zuzufassen sich gedrungen fühlt, beweist es. Mit 35, als Bismarck der Standesherr seine ersten politischen Schritte tat, war Napoleon, der Emporkömmling, schon Kaiser. Nicht aus dem Wunsch nach Diktatur, auch nicht aus allgemeiner Liebe zu einem Vaterlande, das noch nicht da war, nicht einmal aus Stolz auf seine engere Heimat Preußen hat er so spät sich noch ans Werk gesetzt. Aus dem echten Künstlerwunsche, Chaos zu ordnen, Nebel in Gestalt zu zwingen, verbunden mit einer gesunden und gründlichen Menschenverachtung, die seiner ohnmächtigen Vorgänger spottete, nahm er die Kelle zur Hand und fügte Stein an Stein.

Der deutsche Genius war immer Ideologe oder Künstler; den reinen homo politicus hat dies Volk nie besessen.

 

Um so heftiger war er Feind aller Ideologen. Er achtete die Philosophie gering, aber er verachtete die Professoren, die es in der Paulskirche verkehrt gemacht hatten. Überhaupt war er geneigt, vom Lande, wie er kam, ein hinterpommerscher Wirt, den städtischen Gehirn- und Berufsmenschen zu unterschätzen. Ganz Autodidakt, politischer Naturmensch, trat er plötzlich in die Arena ohne Bildung und Übung, freilich auch ohne die Vorurteile der Partei. Stammelnd warf er seine Vision von deutscher Einheit in die erstaunten Reihen des Landtages, bis ihn der König erkannte. Was konnte Friedrich Wilhelm, diesen kränklichen Sinnierer, an dem unhöflichen Riesen reizen als jenes dunkle Element, das Überintellektuale, das ihn mit jenem verband? Brachte ihm dieser fremde Herr von seiner Klitsche ein fertiges Programm? Er brachte nur ein allgemeines Bild, nur dumpfen Groll und Mut.

Denn Mut, aus seiner riesigen Gestalt empfangen, ein stolzes Selbstbewußtsein, lag im Kiele dieses von Widersprüchen geschüttelten Schiffes und gab ihm einzig Gewähr einer sicheren Fahrt. Bismarcks erstes Wort zu einem König war ein Tadel, wie sein letztes: März 48, März 90. Gewaltige Energien, durchkreuzt von steten Zweifeln, von Zynismus und Melancholie, ballten sich in seinem Selbstgefühl zusammen, wenn er den Gegner sah, und wurden Tat und Schicksal. Kampflos war er beinah nur Menschenfeind und Spötter, Kampf steigerte seine aktiven Gaben, und dies um so heftiger, je näher ihm der Gegner stand. Im Innern seines Landes, seiner Ämter kämpfte er mit tieferer Hingabe als draußen gegen den Feind. Bismarck haßte Windthorst und Richter, doch nicht Napoleon.

 

Denn in tieferem Verstande war Bismarck durchaus Revolutionär. Sein erstes Erscheinen, wie er aus den Eichenwäldern seiner Heimat tritt und mit Grimm sich in die engen Spiele der Parteien mischt; die Haltung, die er vor Königen und Fürsten seines Landes, später vor fremden Königen und Kaisern annimmt; das kühne und naive Nein, das er politischen Maximen seiner Zeit und Heimat zuwirft; der Anspruch auf Alleinherrschaft, die stete Drohung, wieder fortzugehn; die ganze unamtliche, sinnfällige Neuheit seiner herrlichen Diktion; all diese trotzigen Züge einer freiheitsliebenden Seele gehören einem Manne an, der, wäre er unten geboren, die rote Fahne vorantrug.

Dies ist kein Herz wie Goethes, das Ordnung brauchte, um das eigene Chaos zu bändigen; vielmehr ein gänzlich disharmonischer Charakter, der nie zur Ruhe kam noch kommen wollte. Denn nicht Ideen machen den Revolutionär, sondern Gefühle, und wer mit neu aufspringender, Schrecken kündender Leidenschaft für Traditionen kämpft, ist es oft mehr, als wer mit stiller Feder oder im Reigen der vielen die Tradition bekämpft.

In Wahrheit schuf Bismarck eine neue Form der Politik, zumindest in Deutschland, er revolutionierte sie im Kampfe gegen Volkserhebungen, er fand den neuen Stil diplomatischer Verhandlungen, der mit Offenheit schreckte, statt, wie die Schule Metternichs, verschlagen zu schmeicheln. Als er, nach einem Diner in London, erstaunlich offen sein Programm dargelegt, sagte Disraeli, der ihn mit großem Blick erkannte, zu seinen Gästen: »Take care of that man, he means what he says.«

Bei solchen starken Antrieben der Seele, die Kette der Bräuche zu sprengen, bei so viel Mut und Selbstgefühl, Gewaltsamkeit und Verachtung: was hielt ihn an den alten Formen? Was ließ ihn sozial gegen die Zukunft entscheiden? Was fesselte ihn an Dynastien, deren innerer Sinn im Sinken begriffen war?

 

Sein Blut. Als er in der Jagd unterwiesen wurde, nannte der alte Förster, dessen Urahn zur Zeit des jungen Fritzen schon einem Bismarck diente, den Knaben »Herr Junker«. Als er die Unzulänglichkeiten seines Standes, Degeneration und Müßiggang, vererbte Ämter ohne Kraft und Verdienst bei vielen seiner Vettern längst erkannt, als er Verstand, Fleiß und Stolz manches Bürgers über die formvollendete Beschränktheit manches Adligen siegen gesehen hatte, stellte er sich noch immer als Wächter vor diesen Stand und deckte ihn mit dem Rücken, als Genie.

Vor allen deckte er den König. Nicht daß er dessen Geschlecht für besser hielt als das seine; er hat es mehr als einmal den Hohenzollern ins Gesicht gesagt, die Bismarcks säßen länger in der Mark als sie. Aber er sah im König die Spitze einer Pyramide, die, abgestumpft, nur ein barockes, vielleicht ein lächerliches Ansehen gäbe. Weil er das angeborene Vorrecht seines Namens nicht gefährden wollte, weil er, recht wie ein Ritter, recht wie ein Bauer, aus Gedankengründen kein Gut der Erde aufzugeben willens war: weil Bismarck sich von diesem Herrengefühl, das durch die Wucht einer starken Seele sich bestätigt fühlte, niemals zu trennen vermochte, gab er dem König, was des Königs ist.

Denn noch war sein Haus in männlicher Blüte, noch hatte der Nihilismus einer aufsteigenden Zeit der Umwertung es nicht um sein Herrengefühl gebracht, noch war die Tradition lebendig genug, um sich in diesem Sprossen neue Felder der Macht zu erschließen, und es ist, als wäre dieser Junker durch seiner Mutter Leib nur durchgeglitten: so ganz fehlt ihm die Farbe ihres Bürgerblutes. Ein halbes Jahrhundert weiter – und Bismarck wäre nach Temperament und Willen, nach Kühnheit und Neuheit seiner Art ein Führer der neuen Zeit geworden.

So blieb er zeitlebens Royalist und gründete sein Werk auf Dynastien. Er selber nennt seinen Glauben an Gott den einzigen Grund seiner Königstreue; doch dieser Glaube mußte wunderliche Vor- und Rückfälle dulden. Das war ein rechter Protestant, der sich Vernunft und Welt nicht rauben ließ, eine höchst unmystische Natur. Jahrzehntelang, bis zum Todestage, hatte er ein mit weißen Blättern durchschossenes Andachtsbuch auf dem Nachttisch liegen, worin er politische Einfälle skizzierte, die ihm nachts kamen: wahrlich eine durchschossene Andacht.

Gewiß ist, daß er keinen andern Fürsten, die sich doch auch von Gottes Gnaden fühlten, insbesondere keinem deutschen, die leiseste Verehrung ohne persönliche Gründe zollte; vielmehr war er des Spottes voll, häufte auf ihre Häupter Ironien und hat selbst im preußischen Königshause niemand, nicht einmal den Großen Friedrich, geliebt, noch weniger seine eigenen Herren vor und nach dem alten Kaiser. An diesen aber hielt ihn nur ein Lehnsgefühl, uralt ererbt und nur durch Blut erklärlich, gespeist von der Treue des Lehnsherrn, ohne die er die Treue des Lehnsmannes rundweg verweigert hat. So groß war der Freiheitsdrang dieser revolutionären Seele.

Immer blieb das Verhältnis im Grunde gleich zu gleich, und während er die Formen wahrte und sich als ein Ersterbender und Untertänigster unterschrieb, wachte er argwöhnisch über die Haltung des Herrn und biß in die goldene Kette, wenn sie ihn zog.

 

Zuletzt biß er ihm sogar in die Hand, und nichts zeigt deutlicher Bismarcks revolutionären Halbschlaf, als daß er beim ersten Stachel auch gegen den König erwachte. Nicht daß er ging, sondern wie er ging: dies Schauspiel eines mächtigen Greises, der einem ohnmächtigen Enkel weichen mußte, weil es dem so gefiel, deutet mit allen Einzelheiten auf den unbeugsamen, höchst unsozialen Einzelwillen dieses herrischen Charakters. Dem alten unpersönlichen Adel seines Blutes war es verwehrt, sein Werk in Stämmen zu träumen, statt in Fürsten; den jungen genialischen Adel seines Herzens hinderte nichts, auch nicht der Glaube, von dem er gerne sprach, dem Fürsten von Gottes Gnaden so zu trotzen, wie es dem Leichtfuß gebührte.

Was er als heimlicher Frondeur oder bei verschlossenen Türen direkt, wenn auch in des Lehnsmannes Haltung, zuweilen angedeutet, das wandte er nun, touchiert wie eine Dogge, offen gegen den Herrn, der ihn zu unrecht schlug. Bismarcks Sturz enthüllt seine Triebe auch dort, wo sie ein Menschenalter lang die Überlieferung von Stand und Blut verschleiert hatte. Nur der Mangel eines großen Gegenspielers und nur die Legende, die die Deutschen aus der Fratze einer Versöhnung zogen, haben die Grellheit dieses Ausbruches eine Weile verdunkeln können.

Dennoch scheute er auch jetzt vor offener Empörung zurück. Fehlte dem 75jährigen nur die Jugend? Oder war in ihm die Hemmung des Royalisten unüberwindbar? Auf alle Fälle ließ er es bei furchtbaren Wahrheiten bewenden, die er in letzten Gesprächen seinem König und anderen Fürsten ins Gesicht goß. Dann zog er sich grollend in seine Höhle zurück und warf mit Steinen, daß die morschen Königsschlösser krachten.

Aber das Staatshaus aus Stahl blieb bestehen. 28 Jahre lang hatte Bismarck regiert, 28 Jahre nach seinem Abgang brach das Gebäude der Dynastien zusammen, und Deutschlands Feinde hofften, das Ganze ginge zum Teufel.

 

Aber es hielt! Kein Stein, außer denen, die der Feind herausbrach, wankte; ja, mitten in dem Erdbeben rückten ein paar geschickte Hände die Pfosten noch fester zusammen. Nun zeigte sich, daß das, was alle Königsanbeter, also die meisten Deutschen, für das Grundgesetz dieses Reiches gehalten, nur eine glänzend entbehrliche Fassade gewesen war.

Mit nichts ist dieser formale Gedanke des Schöpfers als eine bloße Konzession an seinen Stand, an seine Schwäche, möchte man fast sagen, deutlicher zu beweisen als mit dieser Dauer nach dem Zusammenbruch. Denn wie die Dynastien fielen und ruhig trotzte das Reich, so wurde Bismarcks zukunftssicherer Blick hinter den Formen der Überlieferung nachträglich bestätigt. Nach dem Gewitter sah man sich um und fand: der Mann, der dies gemacht, war doch moderner, als er selbst gelten wollte.

Als in Versailles das Reich gegründet wurde, unter dem mittelalterlichen Gebrüll siegreicher Kanonen, gaben die goldenen Spiegel des Sonnenkönigs nur die Gestalten kriegerischer Fürsten wieder, das fleißige Volk war fern. Als 48 Jahre später im selben Saal dies Reich verurteilt wurde, für seine Niederlage zu büßen und zu zahlen, warfen die goldenen Spiegel keine Fürstengestalt mehr zurück. Verjagt oder vernichtet waren die letzten drei Kaiser Europas, 22 deutsche Dynastien entmachtet, und all das nicht vom Feinde mit Gewalt, kaum von den Bürgern selber: nur zerfressen vom Rost einer Zeit, die nach bedeutenden Leistungen nun doch zum Tode reif war.

Doch was zwei arme Bürger in jener Stunde unterzeichnen mußten, war nicht Vernichtung von Bismarcks Werk; nur die von Wilhelms des Zweiten. Alles, was Deutschland zum Kriege führen mußte, was der Junge gewollt, hatte der Alte bekämpft: Flotte und Kolonien waren grade Symbol und Waffe dessen, was der Begründer nicht wollte. Hatte er wirklich das Reich auf die Spitze eines siegreichen Schwertes gestellt? Hatte er nicht vielmehr das Schwert nur benutzen müssen, um Europas Widerstand gegen die Einigung zu brechen? Hatte er nicht nachher zwanzig Jahre lang allen Verführungen der Weltmacht, allen Lockungen zu kriegerischer Entfaltung getrotzt? War er es nicht gewesen, der in Nikolsburg das erste Vorbild eines modernen Friedens schuf, gegen die Wut des Königs und aller Generale: ohne Abtretung, ohne Entschädigung, nur von dem Wunsch geleitet, morgen wieder Freund des Feindes zu sein? War Bismarck wirklich die alte Zeit?

 

Grübelnd sitzt er am Ende, trotz lauter Huldigungen, einsam im Exil. Als man den fast 80jährigen auf die Harmonie des Alters zu leiten sucht, fragt er unter umbuschten Brauen zurück: »Warum soll ich denn harmonisch sein?« Die Frau ist hin, der er durch beinah 50 Jahre alle zurückgedrängte Wärme ins Herz gegossen, die draußen immer erkalten mußte. In dieser Frau lag alles verkörpert, was seine problematische Natur an Weltflucht, an Sehnsucht nach Stille, Wald und Haus in Unruh hielt, wenn ihn der ebenso starke Wunsch nach Wirkung und Aktivität, der Wille zur Gestaltung immer wieder in Bewegung, Staat und Dienst zurückhielt. Je turbulenter sein Seelenleben im Kampfe wogte, um so gleichmäßiger mußte die Ehe sein, und sie war's.

Aus diesen Epochen auf dem Lande, die Bismarcks Wille in seiner Jugend verträumt, im Alter immer länger erstreckt hat, zog diese Wald- und Jägernatur, dieser Landmann und Antibeamte, dieser in Historie und Dichtung kritisch gern versenkte Geist die Kraft, in den Zimmern eines Ministeriums, den Kabinetten eines Schlosses, den Wandelgängen eines ganz verhaßten Parlamentes überhaupt zu atmen. Diese Antinomie zwischen der Szene seines Werkes und der Landschaft seines Herzens hat nie geendet, denn sie war nur ein Zeichen seiner inneren Schwankungen; und als er endlich die große Muße fand und die Stille des Waldes, sehnte er sich nach dem Getümmel zurück, das er jahrzehntelang verwünscht hatte.

Dies ist sein Menschenlos gewesen. Bismarck war keine glückliche Natur, und er wußte es.

Aber er nahm das Leben wie ein Mann, wirkte im Tüchtigen, sah die Vision seiner dreißiger Jahre als Sechzigjähriger doch erstanden, und ein volles Jahrzehnt lang kann er sich als Arbiter des Erdteiles fühlen. Dennoch verläßt ihn die Sorge nie, dies Ganze könne über Nacht, wenn er selbst fort sei, wieder zusammenbrechen, und in seinen letzten Wochen hat ihn die Tochter laut für die Zukunft des Deutschen Reiches beten gehört.

In langem Mantel, mit großem Hute, wotanhaft dunkel blickend, konnte man ihn am Ende zwischen den uralten Eichen seines Waldes einsam, langsam einherschreiten sehen, zwischen zwei Doggen.


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