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I. Teil

Friedrich II.

»Die Kugel die mich treffen soll,
kommt von oben.«

Im Gleichgewicht beginnen manche Naturen ihre Bahn, dann werden sie von den Ereignissen beunruhigt und enden ohne Harmonie. Manche tragen von Anbeginn den Geist des Widerspruchs in sich, so tief, daß auch die glücklichste Entwicklung sie nicht heilen kann. Wenige sind es, die treten ein voll Unruh, Dunkelheit und innerer Spaltung, dann aber werden sie in ihrem Lauf von Jahrzehnt zu Jahrzehnt gewisser, werden klarer, bis sie am Ende ihrer Bahn zu jener Harmonie gelangen, für die sie die Natur vorausbestimmt.

Zu diesen zählt Friedrich.

Zwei Neigungen gefährdeten ihn: sein Hang zur Philosophie und zur Lebensform des Weltmannes.

Zwei Ereignisse reiften ihn: der Zorn des Vaters und die Folgen seiner Ruhmsucht.

 

Mit 16 Jahren war Friedrich nur ein zarter, hübscher Junge, die langen Locken wohlgekräuselt, mit einem Hang zu den Künsten der Frauen. Mit Recht schilt ihn der Vater effeminiert, denn auf preußische Throne gehört kein van Dyckischer Prinz. Nun kommt er an den Dresdener Hof, der Rausch, die Feste überfluten ihn. Früh sinnlich, schmachtend, weiblich, wie er ist, beginnt er mit einem Raffinement: sterblich verliebt er sich in ein älteres rassiges, heiteres Mädchen, die schöne Gräfin Orzelska, die man in Männerkleidern kaum erkannte. Doch als ihm dann auf einem Maskenfest eine andere Schöne, wenig verhüllt, hinter einem Vorhang gezeigt und angeboten wird, verläßt er die Gräfin. Von nun ab tanzt er leidenschaftlich.

Wieder in Berlin, wird er schwermütig und dichtet die ersten Liebesoden. Dies ist der Auftakt einer höchst unpreußischen Prinzenbahn. Mutig von Natur ist er keineswegs. Sein Vater schilt ihn, daß er sich so schmählich behandeln lasse, doch als er ihm anträgt, auf die Krone zu verzichten, um dafür seinen Neigungen zu leben, lehnt Friedrich entschieden ab. Es folgen zwei Versuche zur Flucht. Beide scheitern. War ihm zu wünschen, daß sie glückten? Was wäre aus ihm in England geworden, aus diesem haltlosen jungen Herrn? Sofern er zur Harmonie in reiferen Zeiten ausersehen war: hier mußte der Unruhige straucheln und Strafe leiden.

Er schwört, nie werde er nachgeben. Zwei Monate später, in der Küstriner Zelle, schwört er: alles zu tun, was der Vater verlange, dem König wie ein Knecht zu gehorchen. Vor seinem Fenster wird der geliebte Freund, wird Katte hingerichtet. Er sieht's und zittert nur für sein eigenes Leben, mißtraut dem Prediger, der ihm beruhigendes Wasser reicht, mißtraut noch seinem Zuspruch, den er für letzte Tröstung vor dem Tode nimmt.

Männlicher in jedem Betracht, kehrt er in Freiheit und Stellung zurück. Hier beginnt Friedrichs Verschlossenheit, sein Rationalismus. Auch Verlöbnis und Ehe nimmt er, bei allem Abscheu vor der Ausgewählten, gern an als Mittel zu größerer Freiheit. Da diesen geistigen, anomalen, den eigenen Vätern fremden Mann nie der Gedanke der Generationen erfaßte, blieb er recht froh ohne Kinder und hat den Wunsch nach solchen, auch nach illegitimen, nie geäußert oder verwirklicht. Seine Unruhe hat andere Quellen.

Kredo des 20jährigen: »Ich bin all mein Lebtag unglücklich gewesen; vielleicht daß ein plötzliches Glück auf all den Verdruß mich zu stolz gemacht hätte. Es steht mir noch immer eine Zuflucht offen: ein Pistolenschuß kann mich von diesem Leben und Leiden befreien. Ich fühle, wenn man jeden Zwang so haßt wie ich, dann treibt einen das heiße Blut immer zum Extreme hin.«

 

Die Jahre von Rheinsberg gelten für Friedrichs glücklichste Zeit. Es war nur seine ruhigste: ein 25jähriger nahm vorweg, was zwei Jahrzehnte später in Sanssouci dieselbe Lebensform zur Reife brachte. Ein junger Mensch, ganz unerprobt, sehr tatenlustig, nicht in der Lage abzusehn, wann er zum Handeln berufen würde, läßt sich von Knobelsdorff auf das Portal seines Landhauses meißeln: Federico tranquillitatem colenti. Lustschiffe auf dem See, er selbst als Liebhaber den Philoktet, den Mithridates spielend, spielerische Gründungen von Ritterorden, die den altfranzösischen Ritterstil erweckten, frühreife Aperçus bei Tische, Prachtausgabe der Henriade, Herbeiholung der neusten Schriften des Herrn von Voltaire aus Paris, von Friedrich »mein Goldenes Vließ« genannt, Abfassung schlechter Verse im Geschmack der Zeit: das ist alles.

Doch es sind Züge der Entsagung: aus Glücksbestreben sich zum Platoniker zu stempeln, da man vom Handeln ausgeschlossen ist. »Ich gehöre zur Klasse der betrachtenden Menschen, was sicher das Angenehmste ist.« Man spürt die herrische Verschlossenheit. Das Angenehmste? Warum dann nennt er Verse und Weltweisheit nur »Trost« in schlimmen Tagen, nur »Berauschung im Glück«? Gehört zur Klasse der Betrachtenden, wer aus der gesamten Philosophie sich immer nur für praktische Ethik interessierte, die der Lebendige sich noch am meisten fruchtbar machen kann? Die Metaphysiker verachtet er und setzt sie mit gewissen chinesischen Geheimniskrämern in Vergleich, und als man ihm Wolfs Metaphysik übertragen hatte, nahm ihm einer jener exotischen Sonderlinge, die er in den Zimmern hielt, nahm ihm ein Affe die Arbeit ab und steckte das Werk unaufgefordert in den brennenden Kamin.

Macchiavellis Buch vom Fürsten hat er ganz falsch verstanden, es war allein für jene Zeit geschrieben: ein italisches Vademecum um 1500, das niemand nach 200 Jahren im kalten Preußen widerlegen mußte. Doch nicht zuerst aus ethischer Leidenschaft: aus Tatenlosigkeit, kronprinzlicher Langeweile ist der »Anti-Macchiavell« geschrieben, wie sein Verfasser später Voltaire gesteht. Man ist geneigt, seine Leidenschaft für dies pathetisch-zynische Genie als Signum seines Inneren zu überschätzen. Voltaire war für Friedrich nur die Blüte eines Geistes, einer Sprache, in die sich notwendig versenken mußte, wer um 1740 Geist besaß.

Den Prinzen schützte vor Überwucherung des Literarischen sein Temperament, auf der Lauer.

Kredo des 27jährigen: »Ich fange endlich an, die Morgenröte eines Tages aufdämmern zu sehen, der meinem Auge noch nicht voll leuchtet.« Ein andermal: »Es soll doch eine Lust sein, ganz allein in Preußen König zu sein!«

Mit 17 ein durch Zwang dämonischer, mit 27 ein durch Zwang platonischer Mensch. Die Synthese war ein König.

Nun endlich, frei von jeder Nötigung, brach Leidenschaft sich Bahn. Ins Erotische konnte sie sich nicht wenden: »Ich liebe das weibliche Geschlecht, aber meine Liebe zu ihm ist eine sehr flüchtige. Ich suche nur den Genuß, und hernach veracht' ich es.« Sie wurde Ehrgeiz, wurde Ruhmsucht. Dieser Mann wird von der Gloire erfaßt und hingerissen.

Wenige Monate ist er König: und schon benutzt er den ersten Anlaß, Karls VI. Tod, um alte Forderungen auf Schlesien zu erheben. Kaum ahnt er, was er tut, – was ganz Europa toll nennt: »Ich denke meinen Schlag am 8.Dezember auszuführen und damit die kühnste, durchschlagendste und größte Unternehmung zu beginnen, deren sich jemals ein Fürst meines Hauses unterfing.« An den Freund Jordan: »Mein Alter, das Feuer meiner Leidenschaft, die Sucht nach Ruhm, ja Neugier selbst, um Dir nichts zu verschweigen, kurz, ein geheimer Instinkt hat mich aus der süßen Ruhe gerissen, und die Genugtuung, meinen Namen in den Zeitungen und dann im Buche der Geschichte zu sehen, hat mich verführt.« Dies ist Friedrich, der von sich sagte, er könne sich einer Sache nicht halb ergeben, »ich muß immer kopfüber hinein«.

Auf dem Kampfplatz erschrickt er vor dem, was er gewagt. Vor seiner ersten Schlacht, bei Mollwitz, ist er geflohn und erst nach 16 Stunden wieder erschienen, als alles vorbei und gewonnen war, er war noch kein Feldherr. Ein Schlachtenheld, einer, der die Schlacht als Steigerung liebte wie Napoleon, ist Friedrich nie geworden. Er haßte die Jagd und liebte den Tanz. Zu jener Zeit war er so wild, wie ein Kalender ihn darstellt, der ihn dem Rasenden Roland verglich. Alles sprengte durch. Die Macht, die endlich seine Faust umspannte, war er gesonnen, gründlich zu genießen.

Am Tage, in der Stunde der Thronbesteigung hatte er sich bereits als Autokrat erwiesen; der alte Dessauer fuhr zusammen. Friedrich war tolerant, doch haßte er die Menge. Kanaille, das war das Wort, das der aufgeklärte König gern gebrauchte. Eine burleske Leutseligkeit machte ihn spät populär. Er liebte nur seine Soldaten und seine Hunde.

Zwei überstürzten Kriegen folgte ein Jahrzehnt der Ruhe. In Sanssouci wurde Friedrich zum Fürsten. »Wenn Sie hierherkommen,« schrieb er Voltaire, »so sollen Sie an der Spitze meiner Titel stehen: Friedrich, König von Preußen, Kurfürst von Brandenburg, Besitzer von Voltaire.« Besitzer? Dies ist symbolisch, doch sicher nicht schön. Er sammelte Philosophen um sich, wie einst sein Vater lange Kerle gesammelt hatte: als Liebhaber, doch nicht als Philosoph. Das war so auffallend nicht. Gab es damals nicht Philosophen, die Gesandte waren, und Fürsten, die über die Freiheit des Willens schrieben? »Ein Mensch, der die Wissenschaften pflegt und ohne Freundschaften lebt, ist ein gelehrter Werwolf. Nach meiner Ansicht ist die Freundschaft zu unserem Glück unerläßlich.« Niemand lebte geselliger als er, – als »Philosoph von Sanssouci« hätte er einsam leben müssen.

Freilich glich dieser Hof durchaus nicht dem in Rheinsberg. Nun war Friedrich der König, nun hatte er Macht vor sich, Ruhm hinter sich, nun hatte er Freiheit und Geld, nun war er – Herr, hochgebildet, genial – gerüstet, einen Fürsten großen Stils darzustellen. Alles, was nicht den Staat betraf, betrieb er als Liebhaber mit den anderen im geselligen Stil des Rokoko: Briefe, Memoiren, Essays, das Flötenblasen selbst, das ihn zuweilen, wie er berichtet, zu neuen Gedanken angeregt, indem er es promenierend übte.

Dieser Autor lief sich selber nach: schon 1746 schrieb er die Geschichte seines zweiten Krieges, der 45 geendet hatte. Doch da er allmählich ein größerer Feldherr wurde als ein Skribent, kam seine Feder nicht mit. Als Weltmann schrieb er Französisch, jedoch so unorthographisch wie Deutsch, und nicht nur die Rechtschreibung mußten Sekretäre ihm verbessern. Seine berühmten Worte sind fast durchweg deutsch gesprochen worden. Die deutschen Marginalien enthalten eine sehr ungewollt preußische Philosophie.

Doch Zeichen wunderbarer Reife sammeln sich allenthalben. Er errichtet eine Gruft für sich, überbaut sie mit einem schlanken Sockel, auf dem eine marmorne Flora ruht. Zu diesem Wahrzeichen von Tod und Leben blickt er täglich vom Fenster hinüber.

Kredo des 35jährigen Märkers: »Ich liebe den Krieg um des Ruhmes willen, aber wenn ich nicht Fürst wäre, würde ich nur Philosoph sein. Schließlich muß in dieser Welt jeder sein Handwerk treiben.«

Erst die schweren Folgen seiner ersten leichtsinnigen Unternehmung reiften den König. Nun erst, in dem Krieg von sieben Jahren, gewannen seine Gaben ihre höchste Form. Die großen Gefahren steigen auf, die tiefen Depressionen, die ihn klärten. Gleich im ersten Kriegsjahre hat er mehr Verse in 3 Monaten geschrieben als je im ganzen Jahr; so viel Entlastung brauchte seine Seele. Er gab sich auf (nach Kunersdorf), Thron und Leben gab er verloren und redete schon den Neffen als König an. Im Getümmel der Schlacht hatte er gerufen: »Gibt es keine verwünschte Kugel für mich!« Und nach Kolin, der einzigen Schlacht, in der Friedrich den Degen gezogen, sagte er zum jungen Grafen von Anhalt: »Wissen Sie nicht, daß jeder Mensch seine Schicksalsschläge haben muß?«

Berlin, Potsdam, Sanssouci fällt in die Hand der Feinde, der König konnte nicht wissen, wie klug sich diese dort verhalten würden. Dies waren, trotz aller Strenge der Jugend, zum ersten Male Schläge eines Geschickes, das der eigene Dämon herbeigerufen. Da sich lawinenartig nun vergrößert, was er einst selber ins Rollen gebracht, wird Friedrich immer strenger, pflichtbewußter. Seines Vaters einst gehaßte Züge werden in seiner Seele sichtbar. Sollte er gefangen werden, so verbietet er, irgend welche Entschädigung für ihn zu zahlen. Er fürchtet nicht den Tod, nur den Schmerz: »Der Schmerz ein Säkulum, der Tod ein Augenblick.« Nun wird es ihm mit einem Male klar, daß er nicht zur »Klasse der Betrachtenden« gehöre: »Es scheint,« schreibt er 50jährig an d'Argens, »daß wir viel mehr zum Handeln als zum Denken geschaffen sind.« Es scheint.

Ermüdet kehrt der Siegreiche heim.

Kredo des 55jährigen: »Ruhm ist eitel. Verdienten Menschen je eine Lobrede? Man hat sie nur gerühmt, weil sie Lärm gemacht haben.«

 

Im kleinen Hause sitzt der große Mann. Zwanzig Jahre segnet dieser nun erst wunderbar geklärte Sinn seine Länder. Nun gab es keinen Voltaire mehr, keine Tafelrunde. Die meisten Franzosen hat er davongejagt. Die Schwester ist tot: der einzige Mensch, den er je liebte; ihrem Gedächtnis baut er einen Tempel. Zeitlebens hat er Freunde gesucht, kaum einer hat ihm Treue gehalten. Die Generale, die er liebte, waren dennoch seine Freunde nicht. Fouqué und Lord Keith sind da und altern neben ihm. Ihnen schickt er hundertjährigen Wein, ersinnt Instrumente, da sie die Sprache, Rollstühle, da sie das Gehen verlernen. Ganz klein hat Menzel es gezeichnet: wie Friedrich neben dem Rollstuhl des Freundes die Terrasse abschreitet, er selber noch rüstig. Dann sterben sie, sterben auch die Entfernten, mit denen er korrespondierte: Voltaire, d'Alembert. Die Flöte blies der König nun nicht mehr.

Der Alte Fritz arbeitet. Am Morgen nach der Heimkehr aus dem endlosen Kriege, buchstäblich am andern Morgen, beginnt dieser König die innere Arbeit des Landes systematisch, wie einer, der bereut. Verwüstungen waren in dem neuen Lande: er löscht sie aus. Er trocknet Moore, pflanzt Wälder neu, schafft Wege und unzählige Gebäude. Nach einem weiten Leben voll Leidenschaft und Betrachtung, voll Wildheit und Kühle, voll europäischer Pläne und Weltwirkung gleicht seine reifste Weisheit der des letzten Voltaire.

Kredo des 70jährigen: »Wer seine Ländereien verbessert, unbebautes Land urbar macht und Sümpfe austrocknet, der gewinnt der Barbarei Eroberungen ab.«

Er ist einsam, verschlossen. Auch den Neffen, den er noch am meisten liebt, verliert er; nur die Tiere sind noch um ihn. Die Windhunde liegen auf seinen Sesseln, in seinem Bett. Wenn sie sterben, begräbt sie der König unter Marmortafeln, neben den Bildsäulen römischer Kaiser. Condé, der Schimmel, läuft frei umher und auf den Herrn zu, der ihm Früchte gibt.

Sein letzter Besucher heißt Mirabeau. Es ist Fortinbras.

Friedrich ist, auf einem Wege, unendlich verschieden von Goethes, zuletzt zu einer Entsagung gelangt wie dieser. Seine letzten Worte waren:

»La montagne est passée, nous irons mieux.«


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