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Rathenau

Rathenau

»Ein Mann muß stark genug sein, sich aus der Eigenart
seiner Unvollkommenheit die Vollkommenheit seiner
Eigenart zu schmieden.«

Schmal war die Tür seines edlen Hauses, zu schmal, um zwei Menschen zu gleicher Zeit einzulassen. Das Glück der Gemeinschaft, die Gnade der Liebe blieb ihm und seinem Hause vorenthalten. Aus diesem Fluch naturgesetzter Einsamkeit hat er die hohen Werte seines Werkes, seiner Tat gezogen.

Ich weiß nicht, wer ihn etwa liebte; er selber liebte nur die Mutter. Vergebens haben sich Frauen um ihn bemüht, und ob er sich selbst zuweilen um irgendeinen Grad von Wärme bemüht hat oder nicht, gilt völlig gleich, sein Inneres blieb einsam. Keineswegs war dies ein strenger Philosoph, der sich den Frauen im Salon entzog oder nicht lächeln konnte; aber er ließ niemand ein in die Cella seiner Seele, zu diesem Tempel war die Tür so schmal wie die seines Hauses.

In diesem abarischen Felde, das um ihn gebreitet lag, hörten, wie in jenem andern phantastischen um den Nordpol, die Gesetze des Magnetismus auf zu wirken; in dieser dünnen Luft lebten und wirkten nur noch zwei Kräfte: Geist und Wille zur Macht, und wie die Wellenkreise dieser psychischen Gase ihn umwehten, und wie er sie in jedem Augenblicke, ein ganzes Menschenalter lang, einsog, verkümmerten immer mehr die andern Triebe der Seele, Güte, Freundschaft, Heiterkeit. Am Ende, als er sich ganz gestählt und unangreifbar fühlte, um noch in dünnster Luft zu atmen, erstieg er den Gaurisankar seiner Träume und kam oben um.

 

»Handeln ist leicht, denken schwer, nach dem Gedachten handeln unbequem.« Wenige Deutsche haben die Tiefe dieses nur zur Hälfte mystischen Anfangs von Wilhelm Meisters Lehrbrief ganz begriffen, noch weniger haben in diesem Volke von poets and critics vermocht, zugleich zu denken und zu handeln. Rathenau, freilich nur von Nation ein Deutscher, nicht von Rasse, hat es vermocht. Während er den Palast seines Wissens und Denkens in die Breite wachsen ließ, baute er unablässig an dem Turm des Handelns, den er aus einer Ecke des Palastes emporhob. Alles zu wissen, was dies Jahrhundert faßt, noch einmal den gesamten Schatz des Abendlandes in der kleinen Kugel eines Menschenhirnes zu versammeln, war ihm nicht genug. Zugleich universal zu handeln, war sein Ehrgeiz, und in der Tat gelang ihm im Grunde alles, was er mit Haupt und Händen begann:

Er wußte Porträts zu malen, sein Haus zu zeichnen, den Stuck darin zu formen, Turbinen zu bauen, Holzplastiken zu bestimmen, Montaigne anzugreifen, Bilanzen zu entschleiern, Fabriken umzustellen, Verse zu schreiben, Staatsverträge zu schließen, die Waldstein-Sonate zu spielen. Nicht auf Genie, es kam ihm auf einen gewissen Grad des Könnens an, der meist noch größer war, als was der tüchtige Einzelne im einfachen Fache zu leisten vermag. Sein Feld war die Welt, das darf man sagen, in seiner Vielfalt war er überraschend. Rathenau, der ein Genie zu sein wünschte, war vielleicht der talentvollste Kopf seiner Epoche.

 

Da er nun handeln und denken konnte, da keine Forderung des Tages draußen oder der Logik drinnen, weder Vernunft noch Phantasie, weder innere Probleme noch äußere Verwirrungen ihn in Verlegenheit zu setzen wußten, erkannte er mit dem Habichtsauge seines Geistes auch die ganze kalte Klarheit einer solchen Natur. Er fühlte, wie dies ungeheure Vermögen von Geist und Wissen unverbunden, geologisch übereinander statt chemisch durcheinander lag, und hätte sich in solcher abgrundtiefen Einsamkeit vernichten müssen, wenn er keinen Ausweg der Gestaltung fand. Mit einem ergreifenden Tagebuch als Nachlaß für die Welt hätte er fortgehen können, und tausend Hände verwandter Naturen hätten sich nach diesem zynisch-unglückseligen Dokumente ausgestreckt, wie nach Pascals oder Weiningers Büchern.

Aber ihn hielt der Lebenswille am Werke, er war entschlossen, sich in einem fast genußlos klaren Leben nicht ohne den einzigen Genuß zu ergeben, der seinem mächtigen Anspruch Genüge tat. Mit dem Riesen-Scheinwerfer des egozentrischen Geistes warf er das Bild seines inneren Schicksals auf sein Jahrhundert, um aus der Epoche und ihren Schwächen das zurückzuempfangen, was ihm doch eingeboren war. Weil er sich selbst in Mechanismen, wenn auch höchsten Ranges, gefangen fühlte, weil er bei allem Streben, aller Souveränität über die Zeitgenossen die Gitterstäbe nie aus den Augen verlor: weil er nach Wärme, Seele, nach Erlösung seufzte, verklagte er das Jahrhundert als den Schuldigen und prangerte die Seelenlosigkeit des alten Europa als Grund und Ursache alles modernen Leidens auf öffentlichem Markte an.

Trotz dieser Genesis seiner Lehre ist sie richtig. Nur stutzt man vor der Heftigkeit, mit der hier Paulus rast, und spürt den Saulus unüberwunden dahinter, der sich indessen niemals zu erkennen geben wollte. Ein Mann des reinen, höchsten Intellektes, der von seinen Zwecken genesen möchte, vermag die mystische Irritation nur durch Intellekt vor sich zu rechtfertigen. Welch Schauspiel! Aber ach, ein Schauspiel nur. Glaubt man in seinen Büchern streckenweise den neuen Savonarola zu sehen, der seiner Zeit den Spiegel der Eitelkeiten vorhält, hört man ihn predigen von den Gefahren des Zweckmäßigen, von den Versuchungen des Zahlenteufels, von der Vernichtung der Seele durch den Besitz und blättert dann zurück und findet diesen Propheten erfahren in den feinsten Zweigen der wirtschaftlichen Biologie, so wird auch der mit dem Autor völlig unbekannte Leser unruhig. Doch hat er erst zu zweifeln angefangen, hat er zu zweifeln aufgehört.

Denn immer betrügt sich, nach einem Goethe-Worte, das Publikum im einzelnen, im ganzen nie. Daß es Rathenau, trotz hunderttausender willfähriger Leser aller Länder, nicht gelang, den Glauben an seine Persönlichkeit als moralischen Führer zu verankern, daß so viele diesen Denker bewunderten und keiner ihn liebte, ist in den Dämmerungen seines Wesens begründet, aus dem seine Lehre wie ein stummer Aufschrei stieg.

 

Furchtbar waltete die immanente Gerechtigkeit schon zu Lebzeiten mit seinem Schicksal. Dieser Mann, der alle Güter der Welt zu vereinigen schien, Freiheit und Gesundheit, Wissen und Reichtum, Geist und Kultur, dessen kostbares Gespräch für einen einzigen Abend eine lange Reise lohnte, dieser überreich Beschenkte war freundelos und wurde am leichtesten von denen verraten, die sich seine Freunde nannten. Er wußte es wohl und sprach in seltenen Augenblicken mit Bitterkeit.

Und doch hatten jene Gegner, die empirisch ganz einfach seelenlose Schurken waren, in einem höheren Sinne mehr recht, als sie begriffen. Hatte er sich nicht selbst verraten? Fühlte er nicht die Brüchigkeit seines »dogmenlosen Christentums«, die Mattigkeit seiner »Richtkraft der Seele«, das Zerflattern seiner »gesellschaftlichen Solidarität«? Als Zeitkritiker war er nach Nietzsche fast ohne Konkurrenz, als Zukunfts-Seher schlug er fehl. Jene Haßliebe, mit der er das Kapital verfolgte, aus dem er stammte, hielt ihn daran fest, wie Strindberg seine Frauen.

Nicht, daß er Glanz oder Verschwendung brauchte. Vom edelsten Geschmack, vornehm und still war sein Haus, blieb immer seine Lebensweise; er war ein Krösus ohne Leidenschaften, ohne Sammlungen, der nie für Luxus, nur zuweilen für ein schönes Bild, für einen seltenen Teppich, für kostbare Bücher Geld weggab. Auch ist er nicht etwa wie ein Geiziger der Suggestion der wachsenden Zahlen erlegen; Künstlern und jungen Leuten, die es verdienten, gab er von dem Seinigen. Aber obwohl er seine Lehre ganz anti-kapitalistisch ausrief, obwohl er die verständigsten Vorschläge gegen das Erbrecht und andere Akkumulationen ausarbeitete, blieb er zeitlebens im Dunstkreis der Gesellschaften und Banken, dachte in Aktien und Dividenden, verließ diesen Schauplatz nie.

Denn das riesige Vermögen, das immerfort wuchs und für das er keinen direkten oder indirekten Erben hatte, das er zuletzt sogar nach seinen großen sozialen Plänen zu testieren unterließ oder vergaß, das war ihm der Ersatz der Macht, war Mittel zu einer mittelbaren Macht geworden. Dadurch entstanden Unklarheiten, die ihm beide Teile verfeindeten, Kapital und Sozialismus. Während er eine der größten Unternehmungen des Landes rein kapitalistisch leitete, schrieb er gegen dieses System; und während er das allgemeine Mitgefühl mit dem lebenden Menschen und eine Religion gemeinsamen Wohlwollens forderte, blieb er den Arbeitern seines Unternehmens fremder als mancher hanebüchene Unternehmer, der aus dem Sklavenschweiße nur Essenzen des Genusses macht.

Niemand fordert, er hätte als Prophet mit der Bettlerschale umherwandern sollen; aber dieser Kampf zwischen Pathos und Praxis, dieser Widerspruch in den Grundlagen des Lebens und der Lehre mußte einmal enden: er mußte sich von der Mechanik trennen, der sein Angriff galt, – und blieb statt dessen ein Führer dieser Mechanik.

 

»Das Geheimnis der Persönlichkeit ist: Stärke aus Schwäche«: das ist eine von Rathenaus allzuklugen, unbewußten Enthüllungen. Immer schrieb er gegen Persönlichkeiten, die sich amoralisch durchzusetzen wüßten, ja, er greift Nietzsche mit den Priesterworten an: »Den Meister dieser bösen Kunst hat man als Übermenschen gepriesen.« Ein neues Zeichen verdrängter Motive. In Wahrheit hat keiner stärker sich selber gewollt als er und war mit seinen großen Gaben durchaus der Mann, dies Ich, wenn er nur erst hinaufgelangte, für die Gesellschaft fruchtbar zu machen. Daß er sich dies nicht eingestand, daß er zum mindesten der Welt es gern verhüllen wollte, machte die Menschen stutzig, und noch der erbärmlichste Gegner, der irgend eine Gemeinheit gegen ihn nachstammelte, brachte, von oben gesehen, ein Fünkchen Wahrheit in seinem Vorwurf mit. Lassalle gestand sich, daß nur sein Genie die Aufgabe erfüllen könnte, und sprach vom Einzuge durchs Brandenburger Tor; Rathenau, dem jede Naivität abging, fand niemand auf der Welt, dem er seinen gesunden Machtwillen auch nur geheim anvertraut hätte.

Muß man ihn nicht beklagen? Mit welchem Ausdruck sah dieser Mann abends in den Spiegel, wenn er von den Menschen kam? Ein paar Stunden lang hatte er, der nie Poseur und nie Causeur gewesen, die Macht seines Geistes gespürt, auf Landsleute gewirkt, die ihm mit neugieriger Skepsis, auf Ausländer, die ihm mit Spannung zuhörten, mit seinem schönen Bariton, mit seiner herrlichen deutschen Diktion, mit einer nie endenden Fülle von Gleichnissen aus allen Gebieten des Lebens und der Geschichte hatte er Urteile ausgebreitet, selbständiger, tiefer, begründeter als das meiste, was um ihn her gesprochen worden war. Vielleicht war heute abend ein junger Mann in diesem Kreise, der staunend lauschte, welche Meisterschaft im Wort und im Wissen biegen kann. Mit gleicher Kenntnis hatte er von der morgigen Politik Chinas gesprochen und von der Zubereitung dieses Chateaubriand, von der neuen Oper und von der neuen Anleihe, von den letzten ägyptischen Funden und von den letzten Studien aus der Molekular-Theorie, alles mit Gründlichkeit, nichts obenhin.

Aber nun steht er daheim vor dem Spiegel und denkt: Wird B den A endlich stürzen? Und wenn er stürzt, wird C bei D für mich wirken? Eigentlich müßte er mir wohlgesinnt sein, aber er haßt mich. Sie hassen mich alle. Ah, hätte ich nur eine Woche, nur drei Tage die Diktatur in Händen, ich wollte die Sache mit den beiden Botschaftern in zwei Stunden bereinigen. Draußen hat man zu mir Vertrauen. Sie wissen, daß ich immer gewarnt habe. Es rückt näher. Bald ist es da.

Er hatte gewarnt, jahrelang; dann sah und begründete er vom ersten Kriegstage ab die Gefahr. Warnend schrieb er noch in den letzten Julistunden; einem Freunde sagte er sogleich: »Hörst Du nicht den falschen Ton?« Uns hat er immer wieder gesagt: »Wehe uns Siegern! Es wäre nicht mehr zu atmen in diesem Lande!«

Da es nun aber zum großen Vabanque gekommen war, stellte er sich in die Bresche und suchte aus der Erschütterung bei leidlichem Ausgang den inneren Umbau zu gewinnen. Natürlich wäre er auch mit dem Kaiser gegangen, das haben oder hätten ja beinah alle getan. Jetzt ging er mit Deutschland, indem er, wenn auch nicht aus eigener Vision, die Rohstoffe organisierte. Endlich war ihm nun, zum ersten Mal, ein Ende des Seiles zugeworfen worden, und von den Legitimen ahnte keiner, wie mächtig diese machtwillige, längst geübte Hand zupacken würde. Hat einer eine Tat getan, was ist leichter als zu sagen, das hätte an seiner Statt sonst ein anderer gemacht! Sicher ist dies, daß Rathenau mit unerhörter Energie die ganze deutsche Wirtschaft umgestellt, daß er faktisch Englands Blockade gebrochen hat. War Ludendorffs Leistung im Anfang gut, Rathenaus war besser.

Kaum hatte er diesen ersten Streich gespielt, im größten Stil das Land verteidigt, als schon die Offiziellen munkelten und den Juden durch einen der Ihrigen »ersetzten«. Dann wartete er wieder vier Jahre lang, bis ihn die Republik aufs neue brauchte. Jetzt fühlte er seine Stunde gekommen. Langsam trat er, zuerst beratend, in den Vordergrund. Zu Ende 21 hatte er schließlich das Reich in den Händen, ein frommer Christ hatte diesen entschiedenen Juden erkannt und ließ sich sacht von ihm leiten. In dieser Stellung hätte er verharren müssen, von rückwärts her regieren, da er als offener Leiter der Dinge den Deutschen unerträglich war. Das alles wußte Rathenau.

Trotzdem nahm er die amtliche Führung an: nun hatte er endlich die äußeren Zeichen einer Macht, die er seit Monaten übte. Die Konferenz von Genua stand vor der Tür. Vierzig Nationen würden um einen Tisch herumsitzen, ein Weltkongreß würde mit ewigen Runen die Namen der wichtigsten Abgesandten in den Baum der Geschichte graben. Rathenau wollte, ja er brauchte das Gefühl: an diesem Hufeisen-Tische saß auch ich, und ich war Deutschland.

 

Und so geschah's. Er saß nicht nur, er glänzte an dieser Tafel, weil er von den Klügsten einer war, weil seine große europäische Geste zum ersten Mal der Welt vor Augen führte, daß es auch andere Deutsche gibt. Mit einem großen moralischen Siege kehrte er heim, die ganze öffentliche Meinung applaudierte dem ersten Staatsvertrage, der uns wieder in Aktivität zu versetzen schien. Es war Frühling, und er war auf der Höhe seines Lebens angelangt. Es wurde Juni, und er lud die Häupter des neuen Deutschland unter die alten Eichen an seinem Amtsgebäude. An diesem Abend war Rathenau vielleicht glücklich.

Wenige Tage darauf streckten ihn im Wagen ein paar Schüsse nieder. Er ist aufgesprungen, hat also die Mörder noch gesehn, eine Sekunde lang; dann war er ausgelöscht, ohne Schmerzen, ohne Bewußtsein. Das Leben eines wenig glücklichen Menschen hatte ein Ende gefunden, um das noch der Glücklichste ihn beneiden kann. Schon waren Zeichen des Umschwunges da, unmöglich hätte er länger als bis zum Ende dieses Jahres, in dem er die Macht ergriff, sich gegen Mißmut, Neid und Intrigen mächtiger Gegner aus allen Lagern halten können. Dann wäre er in die tägliche Leitung seines Unternehmens, in die kritische Schreibarbeit seiner Abende und seines Sommers zurückgekehrt; kleinere Geister hätte er das zerstören gesehen, was er aufbauen wollte. Die früher immer aufsteigende Linie der Hoffnung hätte sich nicht mehr erhoben, er war verbraucht. Vor alledem hat ihn der Schuß aus dem Rohre eines feigen Mörders gerettet.

Zugleich hat ihn derselbe Schuß entsühnt. Der Mannesmut, mit dem er seit Wochen dem angedrohten Attentate ins Auge sah, dies Gefühl eines Schicksals, das sich erfüllen müßte, löscht mit einem Sturmhauch alle kleinen Gebärden dieses höchst problematischen Charakters aus; die feindlichen Freunde drinnen ziehen den Hut, denn er hat Ernst gemacht, die freundlichen Feinde draußen weisen auf sein Vorbild, ein ganzes großes Volk, das ihn nie gekannt hat, setzt einen halben Tag lang seine Arbeit aus, die deutsche Republik rüstet ihm eine Leichenfeier, wie Rom dem toten Cäsar.

Noch einmal öffnete sich die Pforte des edlen Hauses, die zu schmal war, um einen Liebenden neben dem Lebenden einzulassen, doch eben gerade breit genug, dem Eichensarge des Einsamen Platz zu gönnen.


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