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Der Generalstreik

Natürlich wurde Ernst bei dem großen sozialistischen Rutsch im Herbst 1912 in den Kongreß gewählt. Ein Umstand, der sehr zum Anschwellen der sozialistischen Flut beitrug, war die Vernichtung Hearsts William Randolph Hearst – ein junger kalifornischer Millionär, der der mächtigste Zeitungsbesitzer im Lande wurde. Seine Zeitungen erschienen in allen großen Städten und wandten sich an den aussterbenden Mittelstand sowie an das Proletariat. So groß war sein Gefolge, daß es ihm gelang, sich in der leeren Muschelschale der alten demokratischen Partei einzunisten. Er nahm insofern eine besondere Stellung ein, als er einen entmannten Sozialismus, verbunden mit einer schwer beschreiblichen Art von kleinbürgerlichem Kapitalismus predigte. Das war Öl und Wasser und gänzlich aussichtslos, wenn er auch eine kleine Weile eine Quelle ernster Befürchtungen für die Plutokratie bildete. Das erschien der Plutokratie leichte Arbeit. Die Herausgabe seiner verschiedenen Zeitungen kostete Hearst jährlich achtzehn Millionen Dollar, und diese Summe und mehr noch zahlte ihm der Mittelstand wieder für Anzeigen zurück. Die Quelle seiner finanziellen Kraft bildete ausschließlich der Mittelstand.

Die Trusts inserierten nicht Es ist höchst erstaunlich, was in jenen wirren Zeiten für Inserate ausgegeben wurde. Nur die Kleinkapitalisten standen im Konkurrenzkampf und inserierten deshalb. Da die Trusts keine Konkurrenz kannten, hatten sie nicht nötig, zu inserieren.. Um Hearst zu vernichten, war es nur notwendig, ihm die Anzeigen zu entziehen. Der Mittelstand war noch nicht ganz ausgerottet. Das feste Skelett war geblieben, aber es hatte keine Kraft. Die kleinen Fabrikanten und Geschäftsleute, die es noch gab, waren ganz auf die Gnade der Plutokratie angewiesen. Sie hatten keinen wirtschaftlichen oder politischen Halt mehr. Als sie von der Plutokratie den Befehl erhielten, entzogen sie der Hearst-Presse ihre Anzeigen.

Hearst kämpfte tapfer. Er gab seine Zeitungen mit einem Verlust von anderthalb Millionen monatlich heraus. Er druckte die Anzeigen kostenlos weiter. Die Plutokratie gab neue Befehle aus, und die kleinen Fabrikanten und Geschäftsleute überschwemmten Hearst mit einer Flut von Briefen, in denen sie die Veröffentlichung ihrer früheren Anzeigen untersagten. Hearst beharrte auf seinem Standpunkt. Es ergingen gerichtliche Aufforderungen an ihn. Er ließ sich nicht einschüchtern. Er erhielt sechs Monate Gefängnis wegen Mißachtung des Gerichts, weil er den an ihn ergangenen Aufforderungen nicht nachgekommen war, und schließlich machte er infolge zahlloser Schadenersatzklagen Bankrott. Jede Möglichkeit war ihm abgeschnitten. Die Plutokratie hatte ihr Urteil gefällt. Die Gerichtshöfe waren in ihrer Hand und mußten das Urteil vollstrecken. Und mit Hearst ging auch die demokratische Partei zugrunde, der er neues Leben eingehaucht hatte.

Nach der Vernichtung Hearsts und der demokratischen Partei gab es für deren Anhänger nur zwei Wege: der eine führte zur sozialistischen, der andere zur republikanischen Partei. So kam es, daß wir Sozialisten die Früchte von Hearsts pseudosozialistischer Lehre ernteten, denn der größte Teil seiner Anhänger ging zu uns über.

Die damals stattgefundene Enteignung der Landwirte würde ebenfalls unsere Stimmenzahl vergrößert haben, hätte man nicht die kurzlebige und unfruchtbare Bauernpartei gegründet. Ernst und die sozialistischen Führer bemühten sich ungeheuer um die Landwirte, aber die Vernichtung der sozialistischen Zeitungen und Verlagsanstalten bildete ein zu großes Hindernis, und in der mündlichen Propaganda war man damals noch nicht erfahren genug. Daher kam es, daß Politiker vom Schlage des Herrn Calvin, selbst längst enteignete Gutsbesitzer, die Bauern für sich gewannen und ihre politische Kraft in einem vergeblichen Wahlkriege verschwendeten.

»Die armen Bauern«, lachte Ernst wild; »sie sind ganz in den Händen der Trusts.«

Und so war es wirklich. Die sieben großen, Hand in Hand arbeitenden Trusts hatten ihre riesigen Überschüsse zusammengelegt und bildeten den Landtrust. Die Eisenbahnen, die die Frachtsätze, und die Bankiers und Börsenjobber, die die Preise kontrollierten, hatten die Bauern längst zu ihren Schuldnern gemacht. Die Banken und sämtliche Trusts hatten den Landwirten längst riesige Summen geliehen. Sie waren im Netz gefangen, man brauchte nur noch das Netz aus dem Wasser zu ziehen. Und das besorgte der Landtrust.

Die schweren Zeiten von 1912 hatten schon einen furchtbaren Preissturz auf dem landwirtschaftlichen Markte zur Folge gehabt. Jetzt wurden die Preise absichtlich bis zum Ruin der Bauern gedrückt, während die Eisenbahnen mit ihrem übermäßigen Tarif dem Bauernkamel das Rückgrat brachen. Die Bauern waren gezwungen, immer mehr Geld aufzunehmen, während es ihnen unmöglich gemacht wurde, alte Schulden zu bezahlen. Die Folge waren große hypothekarische Verschreibungen und weitere Ansammlungen von Schuldscheinen. Schließlich übergaben die Bauern ihren Grundbesitz einfach dem Landtrust. Es blieb ihnen nichts anderes übrig. Und als sie ihren Besitz abgetreten hatten, arbeiteten sie für den Landtrust als Verwalter, Inspektoren, Vorarbeiter und einfache Knechte. Sie arbeiteten für Lohn. Sie wurden Leibeigene, kurz – Sklaven, die sich im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot verdienen mußten. Sie konnten ihren Herren nicht fortlaufen, denn die waren Mitglieder der Plutokratie. Sie konnten nicht in die Städte gehen, denn auch die hatte die Plutokratie in ihrer Gewalt. Sie hatten nur die Möglichkeit, die heimatliche Scholle zu verlassen, um Landstreicher zu werden und zu hungern. Und auch diese Möglichkeit wurde ihnen genommen, denn es wurden gegen die Landstreicher strenge Gesetze erlassen und unnachgiebig durchgeführt.

Hier und dort gab es natürlich Bauern und ganze Bauerngemeinschaften, die dank außergewöhnlichen Verhältnissen der Enteignung entgangen waren. Aber das waren nur wenige, sie zählten nicht, und auch sie wurden im Laufe des nächsten Jahres irgendwie eingeheimst Die Vernichtung der römischen Bauernschaft vollzog sich mit weit geringerer Schnelligkeit als die der amerikanischen Landwirte und Kleinkapitalisten. Im zwanzigsten Jahrhundert gab es eine Triebkraft, die im alten Rom nicht existiert hatte.

Zahlreiche Landwirte, die sich nicht von ihrer Scholle vertreiben lassen und lieber wie die wilden Tiere leben wollten, versuchten sich der Enteignung zu entziehen, indem sie sich von allen Märkten fern hielten. Sie verkauften nichts und kauften nichts. Ein primitiver Tauschhandel begann unter ihnen; ihre Entbehrungen und ihre Mühsal waren schrecklich, aber sie harrten aus. Es wurde tatsächlich eine Bewegung. Die Art, wie sie schließlich geschlagen wurden, war ebenso eigenartig wie logisch und einfach. Die Plutokratie benutzte ihre Regierungsgewalt, um Steuern zu erheben. Das war der schwache Punkt in der Verteidigung der Bauern. Da sie weder kauften noch verkauften, hatten sie kein Geld, und so wurde ihr Land schließlich verkauft, um die Steuern zu bezahlen.
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So lagen die Dinge im Herbst 1912, und die sozialistischen Führer nahmen, mit Ausnahme von Ernst, an, daß das Ende des Kapitalismus gekommen sei. Durch die Schwere der Zeiten war das Heer der Arbeitslosen ungeheuer angeschwollen und die Vernichtung der Landwirte und des Mittelstandes sowie die entschiedene Niederlage, die die Arbeiterverbände auf der ganzen Linie erlitten hatten, trugen das Ihre dazu bei. Die Sozialisten glaubten fest an das Ende des Kapitalismus und warfen der Plutokratie den Fehdehandschuh hin.

Ach, wie unterschätzten wir die Macht des Feindes! Überall verkündeten die Sozialisten ihren bevorstehenden Sieg an der Wahlurne und erklärten die Situation mit nicht mißzuverstehenden Worten. Die Plutokratie nahm den Fehdehandschuh auf. Und, prüfend und wägend, besiegte sie uns, indem sie unsere Macht zersplitterte. Durch ihre Geheimagenten ließ sie verbreiten, daß die Sozialisten Gotteslästerer und Atheisten wären. Sie riefen die Kirche, und vor allem die katholische, auf den Plan und jagten uns dadurch einen Teil von Arbeiterstimmen ab. Und, natürlich wieder durch ihre Geheimagenten, ermutigte die Plutokratie die Bauernpartei und zerstreute dann die Bauern in die Städte und in die Reihen des sterbenden Mittelstandes.

Immerhin erfolgte also der sozialistische Rutsch. Aber statt eines durchschlagenden Erfolges, der uns die höchste Vollziehungsgewalt und das Übergewicht in allen gesetzgebenden Körperschaften gesichert hätte, mußten wir sehen, daß wir in der Minderheit waren. Allerdings konnten wir fünfzig Mitglieder in den Kongreß schicken. Als sie aber im Frühjahr 1913 ihre Sitze einnahmen, entdeckten sie ihre völlige Machtlosigkeit. Sie waren aber noch glücklicher als die Landwirte, die ein Dutzend Plätze erhalten hatten, sie aber nicht einnehmen konnten. Die früheren Inhaber weigerten sich, sie zu verlassen. Und die Gerichte befanden sich in den Händen der Oligarchie. Aber das greift dem Gang der Ereignisse zu weit vor. Ich muß zuvor noch von den aufregenden Zeiten des Winters 1912 berichten.

Die schweren Zeiten hatten eine ungeheure Absatzstockung verursacht. Die Arbeiter, meistens ohne Arbeit, hatten kein Geld, um zu kaufen. Die Folge war, daß die Plutokratie einen größeren Überschuß als je in Händen hatte. Diesen Überschuß mußte sie an das Ausland absetzen, denn zur Ausführung ihrer riesigen Pläne brauchte sie viel Geld. Die Folge der großen Anstrengungen, die sie machte, um diesen Überschuß auf dem Weltmarkt abzustoßen, war, daß die Plutokratie mit Deutschland zusammenstieß. Wirtschaftliche Zusammenstöße pflegen durch Kriege ausgetragen zu werden, und diesmal war es nicht anders. Der mächtige deutsche Kriegsherr rüstete, und dasselbe taten die Vereinigten Staaten.

Die Kriegswolken hingen schwarz und drohend am Himmel. Eine Weltkatastrophe schien vor der Tür zu stehen, denn in der ganzen Welt gab es schwere Zeiten, Arbeiterunruhen, untergehenden Mittelstand und Heere von Arbeitslosen, Zusammenstöße wirtschaftlicher Interessengruppen auf dem Weltmarkte und ein Gemurmel und Raunen von der kommenden sozialistischen Revolution Lange Zeit hatte man es murmeln und raunen hören. Schon im Jahre 1906 äußerte Lord Avebury, ein Engländer, im Herrenhause folgende Worte: »Die Unruhe in Europa, die Verbreitung des Sozialismus und das verhängnisvolle Anwachsen des Anarchismus sind Warnungen für die Regierungen und die herrschenden Klassen, daß die Lage der arbeitenden Klasse in Europa immer unerträglicher wird, und daß zur Vermeidung einer Revolution Schritte unternommen werden müssen, um die Löhne zu erhöhen, die Zahl der Arbeitsstunden zu reduzieren und die Preise für Lebensmittel und andere Notwendigkeiten herabzusetzen.« Das »Wall Street Journal«, ein Organ der Börse, schrieb als Kommentar zu der Rede Lord Aveburys: »Diese Worte hat ein Aristokrat und Mitglied der konservativsten Körperschaft in Europa geäußert. Das verdoppelt ihre Bedeutung. Sie enthalten mehr gesunde politische und ökonomische Gesichtspunkte, als man sie in den meisten Büchern findet. Sie klingen wie ein Warnruf. Aufgepaßt, meine Herren vom Kriegs- und Marineministerium!« Zur gleichen Zeit schrieb der Amerikaner Sydney Brooks in Harper's Wochenschrift: »Sie hören nichts von den Sozialisten in Washington. Warum sollten Sie auch? Die Politiker sind immer die letzten, die erkennen, was sich in ihrem eigenen Lande unter ihren Augen zuträgt. Sie werden mich auslachen, wenn ich, und zwar mit größter Zuversicht prophezeie, daß die Sozialisten bei den nächsten Präsidentenwahlen mehr als eine Million Stimmen erhalten werden.«.

Die Oligarchie wollte den Krieg mit Deutschland. Und sie wollte ihn aus Dutzenden von Gründen. Im Wirrwarr der Ereignisse, die ein solcher Krieg verursachen mußte, in der Neumischung der internationalen Karten sowie in den Abschlüssen neuer Verträge hatte die Oligarchie viel zu gewinnen. Ferner mußte der Krieg viele nationale Überschüsse verbrauchen, die Heere der Arbeitslosen, die alle Länder bedrohten, vermindern und der Oligarchie eine Atempause zur Ausführung ihrer weiteren Pläne schenken. Ein solcher Krieg mußte tatsächlich der Oligarchie die Herrschaft über den Weltmarkt verschaffen. Er mußte auch ein großes stehendes Heer ins Leben rufen, das nicht mehr abgerüstet zu werden brauchte, während die öffentliche Meinung den Ruf »Sozialismus gegen Oligarchie« mit dem »Amerika gegen Deutschland« vertauschen würde. Bei Anbruch des zwanzigsten Jahrhunderts formulierten die Sozialisten endlich ihre lang durchdachte Kriegspolitik. In wenigen Worten lautete ihr Entschluß: »Warum sollten die Arbeiter eines Landes mit denen eines andern Landes zum Wohl ihrer kapitalistischen Herren kämpfen?«

Am 21. Mai 1905, als ein Krieg zwischen Österreich und Italien drohte, hielten die Sozialisten Italiens und Österreich-Ungarns eine Konferenz in Triest ab und drohten mit einem Generalstreik der Arbeiter beider Länder, falls der Krieg erklärt würde. Dasselbe wiederholte sich, als im folgenden Jahre die Marokko-Affäre Frankreich, Deutschland und England in einen Krieg zu verwickeln drohte.

Und sicher würde der Krieg die Erwartungen der Oligarchie erfüllt haben, wären nicht die Sozialisten gewesen. In unseren vier engen Zimmern in der Pell-Street fand eine geheime Zusammenkunft der westlichen Führer statt. Hier wurde zunächst der Standpunkt erwogen, den die Sozialisten einnehmen sollten.

Es war jedoch nicht das erstemal, daß wir dem Krieg den Fuß auf den Nacken setzten, aber in den Vereinigten Staaten geschah es zum ersten Male. Nach unserer geheimen Zusammenkunft traten wir in Fühlung mit den Organisationen des Landes, und bald gingen unsere Chiffretelegramme über den Atlantischen Ozean zwischen uns und den internationalen Bureaus hin und her.

Die deutschen Sozialisten waren bereit, gemeinsame Sache mit uns zu machen. Es waren über fünf Millionen Mann, darunter viele, die im aktiven Heere dienten und gute Beziehungen zu den Arbeiterorganisationen unterhielten. In beiden Ländern führten die Sozialisten eine kühne Sprache, erhoben Einspruch gegen den Krieg und drohten mit Generalstreik. Und unterdessen trafen sie ihre Vorbereitungen. Außerdem brachte die revolutionäre Partei in allen Ländern den sozialistischen Grundgedanken zum Ausdruck, an dem man für alle Fälle, selbst für den einer Revolte und Revolution in der Heimat, festhalten wollte.

Der Generalstreik war der einzige große Sieg, den wir amerikanischen Sozialisten errangen. Am vierten Dezember wurde der amerikanische Botschafter in Berlin abberufen. In der Nacht machte die deutsche Flotte einen Angriff auf Honolulu, versenkte drei amerikanische Kreuzer sowie einen Zollkutter und bombardierte die Stadt. Am nächsten Tage erklärten Amerika und Deutschland einander den Krieg, und eine Stunde später hatten die Sozialisten beider Länder zum Generalstreik aufgerufen.

Zum erstenmal wandte sich der deutsche Kriegsherr an den Teil seines Volkes, der seine Macht bildete. Ohne ihn konnte er seine Herrschaft nicht ausüben. Das Neue war, daß die Aufrührer untätig blieben. Sie kämpften nicht. Sie taten nichts. Und dadurch banden sie ihrem Kriegsherrn die Hände. Er hätte nichts sehnlicher gewünscht als eine Gelegenheit, seine Kriegshunde auf das rebellische Proletariat loszulassen. Aber er konnte auch seine Armee nicht in Bewegung setzen, um in den Krieg zu ziehen, und ebensowenig konnte er die widerspenstigen Elemente bestrafen. Nicht ein Rad lief mehr in seinem Reiche. Keine Eisenbahn verkehrte, keine Telegramme liefen über den Draht, denn Telegraphen- und Bahnbeamte hatten gleichzeitig mit der übrigen Bevölkerung die Arbeit niedergelegt.

Und ebenso wie in Deutschland ging es in den Vereinigten Staaten. Die organisierten Arbeiter hatten endlich etwas gelernt. Auf ihrem eigenen Felde, dem der Arbeit, geschlagen, hatten sie sich auf das politische der Sozialisten begeben, denn dieser Generalstreik war ein politischer Kampf. Die Niederlage im Wirtschaftskampfe hatte zur Folge gehabt, daß ihnen jetzt alles gleich war. Aus lauter Verzweiflung traten sie in den Generalstreik ein. Zu Millionen legten sie ihre Werkzeuge nieder und verließen ihre Arbeitsstätten. Besonders taten sich dabei die Maschinenarbeiter hervor. Sie waren blutgierig, und wenn ihre Organisation auch anscheinend vernichtet war, so zeigten sie sich doch jetzt wieder gemeinsam mit ihren Verbündeten aus der Metallindustrie.

Selbst die ungelernten und die nicht organisierten Arbeiter legten die Arbeit nieder. Das Streikfieber hatte alle ergriffen, und keiner konnte arbeiten. Und als die eifrigsten Förderer des Streiks erwiesen sich die Frauen. Sie widersetzten sich dem Kriege. Sie wollten ihre Männer nicht in den Krieg ziehen und sterben lassen. Aber die Idee des Generalstreiks wirkte auch auf das Gemüt des Volkes. Sie erweckte seinen Sinn für Humor. Sie wirkte ansteckend. In allen Schulen streikten die Kinder, und die Lehrer mußten nach Hause gehen, weil keine Schüler da waren. Der Generalstreik nahm die Form einer großen nationalen Landpartie an. Die Idee von der Solidarität der Arbeiter, die so offenkundig geworden war, beschäftigte die Phantasie aller. Und letzten Endes war diese riesige Aktion gefahrlos, denn wenn jeder schuldig war, konnte keiner bestraft werden.

Die Vereinigten Staaten waren gelähmt. Niemand wußte, was vorging. Es gab keine Zeitungen, keine Briefe, keine Telegramme. Jede Gemeinde war so abgesondert, als lägen zehntausend Meilen Urwildnis zwischen ihr und der übrigen Welt. Und dieser Zustand dauerte eine Woche.

In San Franzisko erfuhren wir nichts von dem, was sich jenseits der Bucht in Oakland oder Berkeley ereignete. Der Eindruck war unheimlich, niederdrückend. Es war, als sei ein großes, kosmisches Wesen gestorben. Der Puls des Landes hatte aufgehört zu schlagen. Die Nation war wirklich wie tot. Man hörte kein Wagengerassel auf den Straßen, keine Fabrikpfeife, keine Ausrufe der Zeitungsjungen. Nichts – nichts, außer daß hier und dort Leute, selbst bedrückt durch die Stille und gleichsam wie wesenlos, wie heimliche Geister vorbeihuschten.

In dieser Woche des Schweigens erhielt die Oligarchie ihre Lehre. Und sie lernte gut. Der Generalstreik war eine Warnung. Das durfte nie wieder geschehen. Dafür wollte die Oligarchie sorgen.

Am Ende der Woche kehrten, wie vereinbart, die Telegraphisten auf ihren Posten zurück. Die sozialistischen Führer beider Länder ließen durch sie den Herrschern ihr Ultimatum übermitteln. Die Kriegserklärung sollte zurückgezogen werden, oder der Generalstreik würde weiter geführt. Bald darauf kam es zu einer Verständigung. Die Kriegserklärung wurde widerrufen, und die Bevölkerung beider Länder kehrte an ihre Arbeit zurück.

Die Erneuerung des Friedens brachte das Bündnis zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten. Tatsächlich war es ein Bündnis zwischen Kaiser und Oligarchie, um den gemeinsamen Feind, das revolutionäre Proletariat beider Länder, zu treffen. Und dieses Bündnis sollte die Oligarchie später so schändlich brechen, als die deutschen Sozialisten aufstanden und den obersten Kriegsherrn von seinem Thron vertrieben. Das war es ja, was die Oligarchie gewollt hatte – der Ausschluß ihres großen Rivalen vom Weltmarkt. War der deutsche Kaiser aus dem Wege geräumt und der Sozialismus am Ruder, so konnte Deutschland keine Überschüsse mehr exportieren. Denn bei dem Wesen des sozialistischen Staates mußte Deutschland alles verbrauchen, was es erzeugte. Natürlich mußte es gewisse seiner Erzeugnisse gegen solche austauschen, die es selbst nicht produzierte; dieser Warenaustausch aber war grundverschieden von der früheren kapitalistischen Wirtschaftsweise. »Ich wette, die Oligarchie findet schon eine Entschuldigung dafür«, sagte Ernst, als er ihren Verrat am deutschen Kaiser erfuhr. »Wie immer wird die Oligarchie glauben, recht gehandelt zu haben.«

Und wirklich. Die Oligarchie entschuldigte ihre Handlungsweise öffentlich damit, zum Wohle des amerikanischen Volkes gehandelt zu haben, für dessen Interessen sie besorgt gewesen wäre. Sie hatte den verhaßten Rivalen vom Weltmarkt verdrängt und Amerika befähigt, seinen Überschuß dorthin zu verkaufen.

»Und das Unsinnige dabei ist, daß wir so hilflos sind und unsere Interessen wirklich durch solche Idioten vertreten lassen müssen«, meinte Ernst. »Sie haben es uns ermöglicht, mehr zu exportieren, und das bedeutet, daß wir gezwungen sind, weniger zu verbrauchen.«


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