Hermann Löns
Kraut und Lot
Hermann Löns

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Minne im Moor

Drei Tage und drei Nächte kam der Nordostwind über die Geest. Drei Nächte hintereinander jagte uns die Weckuhr um halb drei von den Pritschen auf. Drei Nächte hatte ich die Tür der Jagdbude aufgerissen, aber immer hörte ich den Sturm in den hohen Fuhren heulen und ärgerlich warf ich mich wieder auf den Strohsack.

Heute nacht ist es still. Am klaren Himmel funkeln die Sterne, der halbe Mond wirft hellen Schein auf die gelbe Düne. Im Stangenort unkt die Ohreule, und vom Moore klingt das Plärren der Frösche zu uns herauf. Gute Zeichen sind es.

Froh steigen wir den Dünenabhang hinab. Bald haben wir den Sandweg und das Stangenholz hinter uns und gehen auf weichem Moordamm weiter. Am Wegrande im Grase leuchten überall mit gespenstischem Schein die Glühwurmlarven. Ein gutes Zeichen ist auch das.

Vor uns steigt etwas Schwarzes auf. Ein heidwüchsiger Sandhügel ist es. Unheimliche Gestalten lauern da. Machangelbüsche sind es. Und der dickste von ihnen, der so breit ausladet, das ist der Schirm, den ich meinem Jagdfreund baute. Dort verschwindet er. Hals- und Beinbruch! rufe ich ihm nach und gehe weiter, tief in das Moor hinein, eine Viertelstunde lang, bis zu einem großen Wanderblock, der zwischen Krüppelkiefern versteckt ist. Dort sitze ich, esse Speck und Brot und rauche dann vor mich hin.

Es ist ganz still um mich herum. Nur die Frösche murren in den Torfstichen, eine Kreuzkröte ruft, ein Mooreule streicht leise klagend vorbei, eine Nachtschwalbe schnarrt. Die Birkenbüsche vor mir rühren sich nicht, kein Lüftchen ruschelt im dürren Risch.

Eine halbe Stunde vergeht, da raschelt das Gras an den Moorkuhlen und die Birken schauern zusammen. Im Osten zeigt sich ein schwacher, heller Schein, die Sterne blassen ab, der Frühwind regt sich.

Eine Bekassine lockt vor mir, eine hinter mir. Ein Kiebitz ruft, ein anderer antwortet. Die Heidlerche steigt dudelnd in die Luft, Stockenten streichen schnatternd vorüber, und überall ertönt das Gemecker und das Locken der Bekassinen. Von fern ertönt ein volles, rundes, langgezogenes Flöten, ein weitschallendes Trillern. Das ist der Brachvogel. Und dann ein gellendes, hallendes Trompeten. Die Kraniche sind es. Regenpfeifer und Krickente fallen mit ein.

Den Drilling auf den Knien sitze ich still da, höre auf die vielen Stimmen und sehe in die Weite, wo es heller und heller wird. Schon kann ich den Schattenriß des Schwedenbusches dort unten erkennen.

Ein Sausen geht an mir vorbei. Ich zucke leicht zusammen. Das war ein Hahn. Gackernd begrüßt ihn sein Hennenvolk. Ein Fauchen höre ich ganz fern und ein tiefes, dumpfes Kollern. Am schwarzen Brink, wo mein Freund sitzt, balzt der erste Hahn.

Vor mir erklingt ein würgender, gurgelnder Ton. Dann ein schwaches, leises Blasen. Zwei-, drei-, viermal setzt der Hahn an, dann kullert er, erst halblaut, immer lauter und schließlich aus voller Brust.

Im Osten ist der Himmel rosenrot. Hellgraue Dämmerung ist um mich. Aus den Torfstichen quillt weißer Nebel und zieht über die Sinken. Der Baumpieper schmettert sein Lied, alle Frösche quarren, die Luft hallt vom Geschrei der Kiebitze, vom Dudeln der Heidlerche, vom Gemecker der Bekassine, vom Trillern des Brachvogels. Nachtschwalbe, Eule und Kröte schweigen.

Am schwarzen Brink balzt ein zweiter Hahn, und jetzt ein dritter. Der vor mir kullert wie toll, oben nach den Dünen zu, hinter mir auf den neuen Wiesen überall blasen und kullern sie.

Es ist völlig Tag geworden, nur die Ferne ist noch grau und in allen Sinken liegt der Nebel. Meinen Hahn verdeckt er ganz. Quarrend rudert ein Krähenpaar vorbei, mit heiserem Schrei klaftert ein Reiher hoch über mich fort.

Aus dem Nebel vor mir tauchen die Birken und Kiefern auf und die braunen Porstbüsche. Hellgrün färbt sich über dem Schwedenbusch die Luft, rosige Wolken ziehen durch das Grün, ein goldiger Schein fließt über die fernen Birken. Mit dem Glase suche ich den schwarzen Brink. Ein Windstoß, der den Nebel zerreißt, zeigt ihn mir. Ich sehe die drei schmalen, schwarzen Wacholder und den dicken, schwarzen Klumpen, den Schirm. Und rechts und links davon zwei schwarzweiße Dinger, die sich drehen, sich hin und her schieben und ab und zu eine Sprung machen.

Als rotglühender Ball steigt die Sonne über den Schwedenbusch. Mit Schalmeien und Fanfaren grüßt sie der Kranich und mit Glockenklang der Schwarzspecht. Der Nebel fällt in das Moor zurück. Lauter und lauter schwillt das Gekuller der balzenden Hähne an, und ihr Blasen steigert sich zur Raserei.

Ein Schuß dröhnt vom schwarzen Brink. Mord und Brand rufen die Kraniche, Gewalt schreien die Krähen, nach Hilfe wimmert der Raubwürger.

Höher und höher steigt die Sonne. Schon wärmen ihre Strahlen meine kalten Finger. Im fahlen Gras funkeln die Taudiamanten, wie Smaragde leuchten die jungen Birkenblättchen, kupferrot erglühen die braunen Porstbüsche, die blühenden Weidenbüsche brennen wie hellstrahlende Flammen aus dem weißen Nebel heraus, die alten Stümpfe schimmern wie gediegenes Silber und selbst die schwarzen Krüppelfuhren hellen sich auf.

Das ganze weite Moor ist lebendig von lauten Stimmen, aber alle übertönt das Balzen. Pieperschlag und Lerchengesang, Rohrammergezwitscher und Schmätzergeschnarr, Häherschrei und Krähenruf, alles verschwindet vor dem heißen Gefauche, vor dem brünstigen Gekuller, sogar des Kolkraben rauhes Wort und des Kuckucks heller Ruf klingt matt daneben.

Immer farbiger, wärmer, bunter wird das Moor, immer lebendiger. Die blühenden Porstbüsche leuchten goldbraun, die Weidenhorste lohen in hellem Gelb, es glitzert und funkelt an jedem Zweig, an allen Blättchen, die Wollgrasblumen sehen ganz silbern aus und kupfriger Schein liegt auf den Fuhren. Vor mir der Hahn ist verdreht vor Liebeslust. Er kümmert sich nicht um die weiße Weihe, die über ihm fortschwebt, die Rehe, die sich an ihm vorüberäsen, stören ihn nicht in Spiel und Tanz. Bald tief geduckt, Stoß und Flügel gefächert, kullert er minutenlang, dann richtet er sich hoch, daß die roten Rosen wie glühende Kohlen über die braune Heide leuchten, und flattert, ein schwarzweißer Ball, mit schnalzendem Gefauche drei Fuß in die Höhe. Zärtlich gackern ihm sein Hennen Beifall. Einer hat er das Herz gerührt. Langsam, vorsichtig kommt die Kleine aus den Porstbüschen heraus, kratzt ein bißchen im Torfmull, pickt an den jungen Moorbeertrieben, zupft ihr schlichtes braunes Kleid zurecht und trippelt dann näher.

Er sieht nichts, er hört nichts. Fauchend und kullernd dreht er sich im Kreise, rutscht hin und her, macht einen Luftsprung und fährt fort im Tanz. Ein ganz alter Bursche ist es. Lang und rund sind seine Sicheln, daumenbreit die Rosen, ganz schwarz der Rücken. An den will ich mich heranpirschen. Um den lohnt es sich.

Von meinem Sitze krieche ich bis hinter die nächste Krüppelfuhre. Der Hahn balzt weiter. Über rosenrot blühende Rosmarinheide, über glitzernde Preiselbeerbüsche, über gelbgrüne Torfmoospolster und silbern blühende Wollgrasbülten schleiche ich auf allen vieren bis an den ersten Porstbusch. Das Wasser durchzieht mir Hose und Joppe an den Knien und Ellbogen, aber das schadet nichts.

Weiter geht es, ganz langsam, bis an den Rand des Torfstiches. Tief ist er nicht, aber modrig, und lautlos komme ich da nicht durch. So winde ich mich platt auf der Erde, wie eine Schlange, um ihn herum, bis zu der Jungbirke an seinem oberen Rande.

Da muß ich liegen bleiben, denn auf dem abgebleichten Wurzelgerippe fußte eben der Großwürger. Der Lärmhals kann mir alles verderben, wenn ich mich rühre. Endlich stiebt er weiter, und ich schlängle mich vorwärts. Der Hahn balzt immer noch. Jedesmal, wenn er seinen Satz macht, sehe ich es schwarzweißrot über den braunen Büschen flattern.

Wenn ich nur erst bei dem Wacholderbusch wäre auf dem jetzt der Kuckuck herumprahlt! Zu dichte Porstbüsche sind mir da im Wege, und das nickende Wollgras verrät mir eine nasse Sinke. Aber ich komm durch die Büsche, wenn sie auch einen dichten Schwefelregen auf mich streuen und über die Sinke, und wenn auch das Wasser bis auf die Haut an Brust und Bauch durchschlägt. Ich liege hinter dem Wacholderbusch, vollständig durchweicht, zitternd vor Frost und dampfend vor Schweiß. Mein Herz klopft so laut, daß ich meine, die Hennen müßten es vernehmen, der Atem kommt pfeifend durch meinen Kehlkopf, und ich habe einen Durst, daß ich gierig das muffige Wasser aus den Torfmoorpolstern sauge.

Allmählich werde ich ruhiger. Der Hahn balzt, ab und zu klingt der Hennen zärtliches Gurren zwischen sein Blasen und Kullern. Durch die Zweige des Wacholderbusches kann ich ihn ab und zu sehen, den liebestollen Kerl. Und endlich gelingt es mir auch, den Lauf des Drilling durch die Lücke zu schieben.

Aber da, gerade da verschweigt er. Schon fürchte ich, den polternden Flügelschlag zu hören, da vernehme ich ein giftiges, wütendes Girren. In wagerechter Haltung, mit gesträubten Halsfedern, dick geschwollenen Rosen, zitternd vom Schnabel bis zum weitgefächerten Spiel, rutscht er ruckweise nach rechts, und dann ein Sprung nach vorne und ein Flügelklatschen und vor mir wälzt sich ein Wirbel von Schwarz und Weiß und Feuerrot, Federn stieben, Heidstengel knistern und der gelbe Sand pulvert umher.

Blitzschnell bin ich in die Knie gegangen, habe den Knopf zur Seite gebogen, die Waffe an die Backe gerissen und gerade, als das warnende Gegacker der Hennen ertönt, bin ich mit der Laufmündung mitten in dem bunten Knäuel und mache den Drückefinger krumm. Dem Donner des Schusses folgt das Angstgegicker der Hennen und ihr klappernder Flügelschlag. Eine dicke Pulverwolke schneidet mir den Blick ab, aber Flügelschlag tönt an meine Ohren.

Ich gehe durch den stinkenden Dampf und sehe nach dem Anberg. Da liegen beide Kämpen, der eine mit ausgebreiteten Flügeln regungslos, der andere auf dem Rücken, ein letztes Zucken läuft durch ihn. Der Kopf hebt sich noch einmal und fällt schlaff zurück, gerade als vom schwarzen Brink ein Schuß dröhnt. Ich nehme die Hähne auf. Das eine ist ein Junghahn, aber auch sein Spiel ist breit. Am Findelstein binde ich sie an den Rucksack und gehe meinem Freund entgegen, den ich den Damm herunterkommen sehe.

Überglücklich ist er. Zum ersten Male im Porstmoor; das erstemal auf der Birkhahnbalz, und gleich zwei Hähne. Das, meint er, muß mit einer besseren Flasche gefeiert werden.

Die trinken wir auch, aber nicht in der Jagdbude. Unter der Düne am Bornbusch, da ist ein wundervolles Fleckchen Erde. Milzkraut umwuchert eine klare Quelle. Im Erlbusch daneben schlagen Nachtigall und Fink, flöten Drossel und Meise.

Dort trinken wir den toten ritterlichen Heidsängern Minne in goldenem Wein vom Rhein.


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