Hermann Löns
Kraut und Lot
Hermann Löns

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Auf Birkwild

Man kann jagen, was man will: die schönsten Jagden im ebenen Lande sind und bleiben die Heidjagden; das ganze Jahr über bieten sie dem Jäger Gelegenheit, draußen zu sein.

Sie haben natürlich auch ihre Schattenseiten: Moorstellen, an denen man bis über die Hüften einsinkt, Kreuzottern, Mücken und Gelsen. Wer sich aber im Moor auskennt, der weiß, daß er überall gehen darf, wo Heide und einblütiges Wollgras sich erhebt; an die Kreuzottern muß man sich gewöhnen und an die Mücken und Gelsen schließlich auch, was allerdings für den, der süßes Blut und eine dünne Haut hat, nicht leicht ist.

Keine Rose ohne Dornen; das ist nun einmal so auf dieser Welt. Wären die Mücken und Gelsen nicht, dann wären die Heidjagden überhaupt nicht zu haben. Gesegnet seien darum diese lieben Tiere; sie halten die waschechten Stadtjapper, die zünftigen Asphaltmänner davon ab, sich Heidjagden zu pachten, und wenn sie es schon tun, so gehen sie im Juni einmal auf den Bock und sobald nicht wieder: Sie rauchten sich die Zungen zu Reibeisen und verdarben sich die Mägen erheblich und wurden trotzdem so zerpickt, daß sie mit Wutgeheul von dannen liefen.

Es gibt nur ein gutes Mückenmittel und das heißt: stechen lassen, was da stechen will. Wer das anwendet, der wird unempfindlich gegen die Stiche, auf deutsch: immun, und wenn er das ist, weiß er, wie schön die Heide ist, wie reich an Wild und Weidmannsluft, vorzüglich, wenn das Gelände bruchig ist und Wald und Busch aufweist. Das Frühjahr bringt die Suche auf Bekassine, Doppelschnepfe und Lumme, und wer die Hüttenjagd liebt, macht die Krähen dünn und übertölpelt den Habicht. Mittlerweile sind die Birkhähne platzbeständig geworden und die Jagd aus dem Schirme lohnt sich, oder für den, der die Kunst versteht, die Pirsch auf den einzeln balzenden Hahn. Sie bringt nicht viel ein, macht aber Freude und ist eine gute Übung für den Pirschgang auf Bock und Hirsch, wie auch die Schleichjagd auf den rufenden Täuber, mit das Schönste in der faulen Zeit, was es gibt, schon weil die Sache nicht so einfach ist. Im Juni geht es dann auf den roten Bock; dann kommen die Jungenten daran, die Hühner, das Birkwild, die Hasen, und wer Rotwild hat und sogar Sauen, der Mann, der kann singen: Im Wald und auf der Heide, da such' ich meine Freude, das ganze liebe Jahr. Ich bin kein Suchjäger; die Sache ist mir zu geräuschvoll und nicht heimlich genug. Die Klutentreterei und das Kilometerfressen auf der Stoppel ist nicht mein Geschmack. Aber eine Suche auf Birkwild in Bruch und Heide, das lasse ich mir noch gefallen; da braucht man nicht immer Angst zu haben, Menschen anzubleien, und stelzt nicht andauernd auf Bauland umher, sondern hat immer Urland unter den Füßen. Und dann erst fühlt man sich ganz als das, was der Stadtmensch im tiefsten Herzen von der Jagd verlangt, sich als Urmensch zu fühlen und allen Stadtschnedderengtengteng und Asphaltklimmbimm gründlich zu vergessen, alten Speck und hartes Brot mit Wonne über den Daumen zu vespern, einen unentfuselten Kornschnaps mit demselben Genuß hinter die Krawatte zu gießen, wie zwischen weißen Schultern und vor blitzendem Kristall die feinste Marke, und seinen Knaster aus der Kurzen mit demselben Hochgefühle zu schmöken, wie nach sechs bis acht Gängen die hochadeligste Giftnudel. Muß man dazu noch hinterher samt den Herren Hunden in der Jagdbude auf dem Strohsack schlafen, sich am Bache reinlich machen und sich sein Mittagessen auf dem Kochofen selber zurecht schmurgeln, dann ist die Höhe der Gefühle erreicht und mit Schaudern und Beklemmung denkt man wieder an den Tag, an dem man in die Bügelhosen steigen, den Börsenhelm aufstülpen und sich als gebildeter Mensch benehmen muß.

So ein Frühherbsttag in der kniehohen Heide oder im lendenlangen Porst hinter dem Birkwilde zugebracht mit dem unvermeidlichen Grabennehmen und Tümpeldurchwaten, wer den zum ersten Male im Rücken hat, der weiß, wo er seine Beine hat, und schläft auf der Pritsche wie in Eiderdaunen. Vielleicht, daß er beim Einschlafen den, der ihn dazu einlud, siebenzig Male und sieben verwünscht. Aber da er nun einmal da ist, so macht er am folgenden Tage wieder mit und siehe da: das Moorturnfieber und der Knieschnackler, sie geben sich, das Springen von Bülte zu Bülte fängt an, Spaß zu machen; man bekommt es nicht mehr mit der kalten Angst, gibt der Boden nach und quillt Moorwasser in die ehemals piekfeinen Schuhe, die man auf dem Asphalt trug, und trifft man erst ein Volk Birkwild an, dann vergißt man die Steifbeinigkeit und flucht innerlich nicht mehr darüber, daß die Sonne so ungesund brennt, daß einem die Bluse auf dem Rücken klebt und man eine Fata Morgana vor sich sieht, bestehend aus einem kühlen Schankzimmer und der hübschen Wirtstochter, in jeder Hand ein großes Helles, sondern sieht nur noch die Rute des Hundes, die zwischen den hohen Porstbüschen herumwimmelt. Drüben knallt es auch schon. »Wahr to!« schallt es herüber, und es braust heran, ein, zwei, drei Stück Birkwild, nein, vier, fünf, sechs, sogar sieben, acht, neun. Sophieken und das Bier sind vergessen, der Kolben fliegt an die Backe, domm, domm, und noch einmal domm, domm, denn man führt die Jagdmitrailleuse, Browning benamset, und macht ein dummes Gesicht, denn das infame Zeug hat kein Schrot angenommen.

Ach ja, es hat alles seine Wissenschaft, und ein Birkhuhn ist kein Feldhuhn. Birkwild in vollem Fluge ist vorne scheußlich schnell und hinten niederträchtig kurz. Darum, mein Sohn, verlasse dich nicht darauf, daß andere Leute dir das Wild heraustreten, sondern suche das beschossene Volk nach. Es hat sich in drei Linien gespalten. Vier Stück schlugen sich nach den Birkenbüschen. Vorsicht, der Hund steht! »Voran! Faß!« Prrr, trrr! Domm, domm. Einmal daneben, das zweite Mal traf. Schon hat der Hund das Stück. Schade, daß es die alte Henne ist! Das kostet eine Mark. Man schießt keine alte Henne, ebensowenig, wie man ein hochbeschlagenes Tier schießt. Aber woran soll man sie kennen, wenn sie aus den hohen Moorbirkenbüschen herauspoltert? Ja, das ist schwer zu sagen; am besten daran, daß man hinterher eine Reichsmark für den Verein Waldheil zugunsten von Witwen und Waisen im Dienst verunglückter Forst- und Jagdschutzbeamten ausgeben muß. Mit der Zeit kommt man aber dahinter, lernt es, den Kolben sofort im Gesicht zu haben, poltert das Zeug vor dem Hunde auf, aber erst dann zu drücken, wenn man sieht, daß man keine alte Madamm und Familienmutter vor der Laufschiene hat, und ist man gegen Abend auch hundemüde und hat nur drei ganze Dinger am Rucksack baumeln, es hat ebensoviel Spaß gemacht, als wenn man unter der Last von zwanzig Feldhühnern dahinkeucht. Außerdem, was gibt es dabei nicht alles für Überraschungen. Das eine Mal werden Enten hoch, die im tiefen Graben lagen, dann wieder kommt man auf den Habicht zu Schusse, und der unverbesserliche Drillingsmann, der im offenen Moore jagte, hat einen Bruch am Hute. Es war einem so, als wenn man den kurzen Knall eines Kugelschusses hörte, und siehe da, man hat sich nicht verhört, denn mitten auf dem Moordamme liegt ein guter Bock, das bessere Drittel eines schießtechnischen Unikums: zwei Stück Birkwild mit den Schrotläufen und der Bock mit der Kugel. Und selber hat man ein Monstrum erlegt, ein Stück Birkwild eigener Art, einen Hahn nach dem Stoße, aber noch Kopf- und Halsgefieder so hennenmäßig wie nur möglich. Aber der Weißbart, der den Bock erlegte, weiß Bescheid. »Der alte Birkhahn trägt nach der Sommermause an Kopf und Hals erst die Hennenfarben, wie Dr. Ernst Schaff feststellte.« So hat man noch etwas hübsches dazugelernt und kann sich in der Stadt am Stammtisch als Jagdzoologe aufspielen und hat wieder einmal etwas anderes zu reden, als ewig und ewig das Geschimpfe über die schlechte Hühnerjagd und die elendiglichen Hasenaussichten und ähnliche abgedroschene Gegenstände.

Und merkwürdig jung kommt man sich vor, hat man erst die Müdigkeit aus den erschlafften Muskeln verloren. Man hat die Glieder tüchtig gerührt, bis in die tiefsten Lungenecken geatmet, kurzum, den Leichnam einmal wieder in Schwung gebracht, daß der Rost von den Gelenken flog, und das tut einem gebildeten Mitteleuropäer ab und zu sehr nötig.

Spielte man früher in weißen Höschen Tennis und hüpfte wie ein Lämmlein hinter den Netzen umher, um nicht vor der Zeit an den Folgen des gebildeten Lebens dahinzusiechen, man weiß jetzt, daß es noch etwas Besseres gibt, um Herz und Beine aufzufrischen: man geht auf Birkwild.


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