Hermann Löns
Kraut und Lot
Hermann Löns

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Am Forellenwasser

Dumpf ist die Luft und drückend. Die Schwalben fliegen tief, die Fliegen sind lästig, die Menschen schwitzen und stöhnen.

Das ist das richtige Wetter für den Fliegenfischer. Ich ziehe den leichten Manchesteranzug an, hole die Angel aus dem Gewehrschrank, suche Fliegenbuch, Kätscher und Fischkorb heraus und radle zur Bahn.

Einzelne dicke, große Tropfen fallen, langsam und in Pausen. Drohend poltert es in den Wolken. Und kaum, daß der Zug im Gange ist, da schlagen dichtere Tropfen an die Fenster, ein gelber Schein, ein lauter Knall und aus den Wolken taucht die Sonne wieder auf. Auf der Haltestelle sehn mich die Bauern groß an. Forellen, die fängt man doch besser mit der Hand oder mit dem Netz, aber nicht mit so einer bleistiftdünnen, schwanken Rute, wie ich sie aus der Wildlederhülle ziehe. Und wie ich die Rolle einklemme und die Schnur durch die Ösen ziehe, das Vorfach anknüpfe und die Fliege vorschlinge, da schütteln sie die Köpfe: »Wenn das man was gibt?«

Hinter dem Dorfe, bei der grauen Steinbrücke, wo die hohen Pappeln schatten, fängt mein Gebiet an. Zehn Schritt vom Ufer bleibe ich stehen, daß mein Schatten nicht auf das Wasser fällt, rolle fünfzehn Fuß Schnur ab, mache erst ein paar Probewürfe durch die Luft, und dann, aus dem Handgelenk mit lose angelegtem Arm, eins, »sßt«, sagt die Schnur, zwei, »sßt«, sagt sie noch einmal, und leise wie ein Hauch fällt die Fliege auf das Wasser.

Dem Wurf folgt ein leiser Ruck. Das geht ja heute gut; auf den ersten Wurf gleich Anbiß! Ganz unbewußt habe ich den Ruck durch ein Zucken des Handgelenks beantwortet. Mit der Linken fasse ich die Kurbel der Rolle, kürze die Schnur, es plätschert im Bach, schnellt sich im Rasen, und zu meinen Füßen tanzt eine viertelpfündige Forelle.

»Dunnerschlag,« meint der alte Bauer, der mir zugesehn hat, »wenn das so weiter geht!«´ Er macht aber ein dummes Gesicht, als ich den Fisch zart vom Haken löse und in den Bach zurückwerfe: »Stadtvolk, Narrenvolk!« denkt er wohl. Aber erstens ist es alter Fischerbrauch, den Erstling nicht mit nach Hause zu nehmen, sonst jagt die Wasserfrau alle Fische fort, und dann, viertelpfündige will ich nicht, ein halbes Pfund müssen sie wiegen.

Hier steht lauter kleines Zeug. Noch drei lande ich, dann gehe ich stromauf, wo über den Strubbelköpfen der Kohldisteln die breiten, weißen Schirme hoher Dolden stehen, wo die Weidenröschen ihre roten Rispen über den mächtigen Blättern der Pestwurz recken. Dort hat sich der Bach diesen März, als das viele Wasser aus den Bergen kam, einen tiefen Kolk bei dem anderen gewühlt, und da stehen gute Fische.

Der Neuntöter mit dem zimtbraunen Rücken schlägt großen Lärm, als ich mich nähere, und der lasurblau und smaragdgrün schillernde Eisvogel verläßt mit schrillem Aufschrei seinen Lauerposten auf dem dürren Weidenzweig. Die Stieglitze aber zwitschern lustig weiter in der Feldeiche, und die dunkelblauen und tiefgrünen Wasserjungfern flirren ungestört hin und her.

Ein hübscher, kleiner Blondkopf mit hellblauen Augen und einem ganzen Mund voll weißer Zähne sieht mir zu. »Willst du mir das halten, Junge? Kriegst auch 'n Groschen!« Er nickt und lacht. Ich gebe ihm die Jacke und den Fischkorb, und stolz über das wichtige Amt, sieht er seine barbeinigen Schwesterchen an, die Hand in Hand, dicke Sträußchen von Klatschrosen und Kornblumen in den freien Händen, mir erstaunt zusehn, wie ich zum Bachbett hinabsteige.

Anders geht es hier nicht. Vom Ufer aus kann ich nicht angeln. Weiden hindern den Wurf, blühende Rosen schnappen mit zackigen Zweigen nach der Leine, Hopfen, Gaisblatt, Kletten und Disteln, Schlehen und Kreuzdorn bringen Fliege und Vorfach in Gefahr. So ziehe ich die langen Strümpfe aus, behalte nur die derben Sandalen an, und wate in das gurgelnde, sprudelnde Wasser hinein. Die Bachnixe will mir die glatten Steine unter den Sohlen wegziehn, ich lach sie aus, denn die Sohlen sind scharf genagelt.

Aber die blinden Fliegen! Das ist ja schrecklich! Schnell die Pfeife heraus und Dampf gemacht. Das hilft. Und nun der erste Wurf. Nein, erst ein Probewurf durch die Luft. Sßt, sßt und noch einmal sßt, sßt. Und nun dorthin, wo der große schwarzweiße Schmetterling über den Erlenblättern gaukelt, die Fliege geworfen. Plumps, sagt es da, ehe ich geworfen habe, ein fußlanges, goldenes Ding fährt aus dem schwarzgrünen Wasser, und der edle Falter ist fort. Das war ein zweipfündiger Fisch, um den lohnt es sich.

Dreimal lasse ich die Fliege über den Fleck fallen, wo die starke Forelle aufging, aber sie kümmert sich nicht darum. Ich reiße die Fliege ab, suche eine andere, das größte, grüne Heupferd, das in meinem Buche ist, und versuche es damit. Aber auch der fette Happen lockt sie nicht aus ihrem Bach.

Na, warte nur, du Dickkopp, dich kriege ich doch. Ich habe ja schwarzweiße Hühnerfedern in meinem anderen Buch. Schnell zwei davon herausgeholt, mit der Schere auf die Größe eines Falters zurechtgestutzt, mit seinem Silberdraht an einen mittelgroßen Haken gebunden, schnell das Vorfach darangeknotet, und nun wollen wir einmal sehn.

Schlecht wirft es sich mit der riesigen Fliege. Erst nach zehn Probewürfen über den blau blühenden Quendel und den goldenen Mauerpfeffer am freien Ufer hinter mir habe ich den falschen Schmetterling so weit dressiert, daß er dahin flattert, wohin ich ihn haben will. Und noch ist er drei Zoll über der Stelle, wo der alte Räuber aufging, hat noch nicht den Wasserspiegel berührt, da blitzt es goldig aus dem Wasser heraus und schnell, blitzschnell haue ich an und fasse die Rollenkurbel.

Wie sie sich wehrt. Bald tief im Kolk, daß die Rute krumm wie ein Flitzebogen wird und ihre Spitze fast das Wasser berührt, so daß ich vorsichtig Schnur geben muß, dann wieder oben auf, daß das Wasser platscht, daß die Rute sich streckt und ich schnell aufrollen muß, denn ist die Schnur einen Augenblick schlapp, dann schlägt sie sich los.

Langsam wate ich bachab, den sich heftig sträubenden Fisch mit dem Strome drillend. Meine kleine Gesellschaft am Ufer erhebt ein dreistimmiges Freudengebrüll: »Er hat eine; 'ne dicke! Huih!«

Still, ihr Krabben! Wollt mich wohl berufen! Hab' ihn noch lange nicht! Platsch, plumps, klitsch, klatsch, so geht es in es in einem fort. Jetzt ein Ruck, dann ein Sprung, da heißt's aufpassen! Aber allmählich wird sie matter, ihr Schlagen läßt nach, und jetzt kommt ihr Kopf über Wasser mit weitgeöffnetem Rachen.

»Das Netz!« rufe ich dem Jungen zu. Er reicht es mir, natürlich verkehrt. »Umdrehn!« So, ich habe es, tauche in das Wasser, bringe, immer rückwärts watend, den Fisch darüber, hebe es hoch, und da habe ich ihn.

Ein dreistimmiges, unmusikalisches Hoch am Ufer. »Och, Karl, was 'n Bengel.« »Dunnerschlag, was 'n Biest!« »Und so bunt is er: ordentlich wie Kattunzeug!« Ich löse den Mordskerl vom Haken, töte ihn schnell durch einen Schlag mit dem Weidmesser und lasse ihn in den Korb gleiten.

Aber ansehn muß ich ihn mir. Das ist ja beinahe Größe Lachsforelle. Die wiegt mehr als zwei Pfund. Und aus ihrem Schlunde sieht ja etwas Grünliches heraus. Ich schlitze sie auf und fördere eine fast halbpfündige Forelle zutage. Und den Schmetterling hat sie auch noch im Leibe und einen halbwüchsigen Frosch. Kein Wunder bei dem Appetit, daß sie einen solchen Rücken hat, breiter als mein Handgelenk.

Ordentlich warm hat sie mich gemacht. Und die Pfeife ist dabei ausgegangen. Ich glaube, ich habe eine Zigarette verdient. Und einen Augenblick Ruhe im Grase. Was haben nur die Grasmücken da drüben? Die machen ja einen Heidenlärm. Ach so, das Großwiesel! Ganz gemütlich kommt es da angetrabt, eine Wühlmaus im Mäulchen. Jetzt hat es uns bemerkt, macht, mit der Maus im Maul, ein Männchen, und wupps, ist es in den Schlehbüschen verschwunden.

So, jetzt kann es weitergehen. Ich werfe den Rest der Papiros in den Bach. Plumps, sagt es. Wohl bekomm's! Die scheinen ja heute auf alles zu beißen. Ich wate wieder hinein und lasse die Fliege auf das Wasser fallen, erst unter die Weiden, dann vor die Ellern, dann dahin, wo der Baldrian blüht und das Mäuseholz rankt, aber ich kriege keinen Biß. Und immer sehe ich starke Forellen aufgehen. Wenn ich nur wüßte, wonach. Es fliegen da Wasserjungfern, aber danach sehe ich sie nicht springen. Auch um die auf und ab tanzenden Eintagsfliegen kümmern sie sich nicht. Aber halt, der ziegelrotflüglige, stahlblauleibige Käfer, der da oben so träge flog, verschwand im letzten Plumps. Also auf den harten, dicken Pappelblattkäfer beißen sie jetzt.

Hab ich den in meinem Buche? Ja, sogar sechsmal. Der lange Forellenfischer im Harz empfahl ihn mir, der den drei Engeländern bei schlechtem Beißwetter in einer Stunde zwölf Pfund vorangelte. »Indeed splendid! In fact grand!« zischten sie neben ihren Pfeifen heraus, als er die dreipfündige durch die Klippen drillte. Ich reiße meinen Schmetterling ab und schlinge die rotblaue Fliege an. Fünfmal, sechsmal werfe ich, aber keine beißt. Ich hänge eine kleine, silbergraue Beißfliege, der Eintagesfliege ähnlich, an, aber auch die nehmen sie nicht. Das ist doch sonderbar! Aber so ist sie, die Forelle; nach Zigarettenstummeln geht sie aus, wenn sie will, und dann kann man sein ganzes Buch durchsehn und ihr anbieten, was man will, und es fällt ihr nicht ein, zu beißen.

Große, dunkelbraune Köcherfliegen sehe ich flattern. Ich will es mit diesen Stinkern einmal versuchen. Ich suche mir etwas Passendes aus dem Buche und werfe. Plumps und platsch! Ich haue an. Nanu? Das sind ja zwei auf einmal! Ach so, an die Beißfliege habe ich gar nicht mehr gedacht.

Ich wate rückwärts. Am Ufer geht das Freudengeschrei wieder los: »Jetzt hat er zwei! Hurra!« Sechs nackte, braune Beine führen einen Jubeltanz auf. Aber zu früh. Denn die starke Forelle, die die Endfliege nahm, schlägt sich los, und nur die halbpfündige lande ich.

Aber von da ab fluscht es. Biß auf Biß, meist nur halbpfündige, ab und zu auch eine ganz schwache, die wieder in den Bach fliegt, es wird mir langweilig, dieser glatte Fang. Ich will nach dem großen Kolke gehen, wo ich vor acht Tagen den starken Fisch verpaßte.

Da ist es wunderschön: dicht an den Kolk drängt sich das Rübenfeld, übersät mit den knallroten Wimpeln des Mohns. Eine Garde von hohen blaukelchigen Glockenblumen steht am Ufer. Weiße Spiräen werden von bunten Faltern und blanken Fliegen umschwärmt. An der anderen Seite ist ein Beet von himmelblauen Vergißmeinnicht, am steilen Ufer glüht ein rotes Weidenröschen neben dem andern. Schwer ist der Wurf da. Rechts reckt die Silberpappel einen langen Ast über das Ufer, links wartet ein Schlehbusch auf das Vorfach, und mitten im Kolk liegt ein entwurzelter Weidenbaum. Aber gerade an solchen schlimmen Stellen ist die Freude um so größer, landet man einen guten Fisch.

Die Fliege pfeift hinter mich, kommt zurück und schwebt auf das tiefblaugrüne, stille Wasser, mitten zwischen die langbeinigen Wasserwanzen, die entsetzt auseinanderstieben. Es plumpst. Ich rolle auf und lache: ein dicker, grüner Frosch hampelt und strampelt das Lehmufer hinauf. Hinter mir geht es los: »Huih, 'ne Pogge!« fahr hin, Quaker, und sieh dich ein andermal besser vor!

Wieder fällt die Fliege auf das Wasser: Nichts. Noch einmal: Nichts. Zum dritten Male: Nichts. Und jetzt weiter oben: Nichts. Und jetzt hier unten. Hoho, da ist sie! Das ist die große, ich merks am Ruck. Derb haue ich an, denn ich fühle es, der Fisch hat die Fliege fest genommen.

Nun aber ist guter Rat teuer. Schießt der Fisch nach links, dann kommt er unter die Faschinen und ich bin ihn los. Geht er rechts ab, so fängt sich die Leine in der Weide, und ich kriege ihn auch nicht. Da muß ich mitten in den Bach hinein, und der ist hier tief. Aber was schadet das, es ist ja Sommer!

Bis an den Leib stehe ich im Wasser. Die Kinder machen ängstliche Augen: »Er versäuft sich!« Beinahe wäre ich es. Hätte ich mich nicht noch schnell an der krüppeligen Esche festgehalten, so wäre ich hinterrücks in den Kolk gefallen. So aber werde ich nur bis an die Hüften naß.

Den Fisch aber habe ich. Der kommt nicht los. Er wehrt sich sehr, doch das hilft ihm nichts. Rückwärts erklettere ich das Ufer, drille ihn unter Wasser hundert Schritt weit stromab, und wo die Wiese mit gelbweißen Margeriten, roter Kuckucksnelke und braunem Sauerampfer an das Ufer stößt, bringe ich ihn zu Land.

Die große von neulich ist es nicht. Die wog mehr. Aber eine gute Anderthalbpfündige. Mit der will ich Schluß machen. Sechs Pfund habe ich, drei für mich, drei für meinen Jagdfreund. Mehr fangen, als man braucht, das ist Raubfischerei.


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