Hermann Löns
Kraut und Lot
Hermann Löns

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Volle Wände

Irgendwo zwischen Frankreich und dem Böhmerwald, die aber beide damals anders hießen, lebte vor ewigen Zeiten ein großer Bauer, dessen Name nicht auf uns gekommen ist.

Wenn das Gesinde sich das Salzfleisch übergegessen hatte, oder die Reihen der Würste und Schinken anfingen räumig zu werden, dann sagte seine liebe Frau wohl zu ihm: »Na Vatter, nu man los! Schieß uns was in' 'n Pott! Ansonsten können wir die Zähne in die Wand schlagen.«

Dann gähnte sich der Herr Gemahl die Faulheit aus dem lästerlich langen Leibe, brummte irgendeine Redensart über die Frauensleute im allgemeinen und über seine Hausehre im besonderen vor sich hin, stöhnte sich in die Wickelgamaschen hinein, langte sich die Saufeder von der Wand, nahm Pfeil und Bogen zur Hand, steckte sich ein paar ganz gefährliche Schinkenbutterbröte in den Buckelsack, vergaß auch die Kruke mit dem Honigbier nicht, pfiff seinem Hundevieh und schob los.

Meist brauchte er nicht zu weit zu laufen, bis er ein Wild antraf, denn es gab damals genug davon, mehr, als ihm eigentlich lieb war; denn das Unzeug, wie er sich ausdrückte, machte ihm allerlei Schaden auf seinem Ackerlande. Deswegen machte er sich im allgemeinen nicht sehr viel aus der ganzen Schüttgerei, wie er sagte, vor allem sah er nicht darauf, wieviel Enden so ein Happbock, wie er den Hirsch nannte, aufwies; ein Kalb war ihm dreimal so lieb als ein Haupthirsch vom zwölften Kopfe, denn ihm lag an erster Stelle etwas am Wildbret, und seiner lieben Frau auch, und wenn er einmal einen alten Hirsch nach Hause brachte, knurrte seine Eheliebste und meinte: »Das olle Gräuel ist ja kaum zu beißen! Na, schließlich müssen die Leute neue Buchsen haben, und ein anständiger Kleiderhaken fehlt mir schon lange.«

Wenn dann auch alles bei Mittag lange Zähne machte und die Hunde gute Tage hatten, weil die Knochen bloß oberflächlich abgeschabt wurden, es war schließlich doch noch besser als das alte ranzige Salzfleisch, und so ergab man sich mit Würde in das Unvermeidliche und vertröstete sich auf bessere Zeiten, wo es ein zartes Hirschkalb oder einen saftigen Frischling, am Spieße gebraten und mit Thymian gewürzt, gab. Die Decke des Hirsches aber wurde gegerbt und zu Schuhleder verarbeitet, und die Stangen mit den mächtigen Enden wurden an der Wand festgemacht und dienten als Kleiderhaken, denn sie machten sich schließlich besser als die Haken aus Zweigen, und hielten auch mehr aus. Aber als Wandschmuck an und für sich sah man die Stangen nicht an, und wie schwer sie wogen, wie groß die Auslage, wie stark die Perlung war und ob sie nun zwölf oder sechszehn Enden aufwiesen, das galt als Nebensache.

Wer zuerst auf den Gedanken gekommen ist, die Hauptzier von Elch oder Hirsch an die Wand zu nageln, das weiß man nicht. Wahrscheinlich ist es ein Mann gewesen, der nach langem Hängen und Würgen endlich ein geweihtes Stück Wild auf die Decke brachte, oder ein vornehmer Herr, der aus reiner Liebe zum Weidwerk jagte und dem es ein Hauptvergnügen dünkte, die ältesten und heimlichsten Hirsche oder was es sonst war, zu überlisten. Der hing sich dann die Kopfzierde von Ur und Wisent, Elch und Hirsch an die buntbemalten Wände seines Kneipzimmers, anfänglich aber auch wohl nur, damit er und seine werten Gäste ihre Mäntel und Waffen daran lassen konnten. Erbeutete er ein stärkeres Stück, so kam das schwächere beiseite, und so wurde mit der Zeit aus einem Gebrauchsgegenstand eine Trophäe und ein Wandzierat.

Heute noch kann man bei bäuerlichen Jägern, die noch nicht von der städtischen Zivilisation beleckt sind, die Rehkronen rechts und links am Türrahmen in bequemer Handhöhe angenagelt finden, als Huthalter zu dienen oder als Haken für Gewehr, Jagdtasche und Hundeleine, und das saubere Brettchen, auf das der Jäger heute seine Rehgehörne und Hirschgeweihe vom Drechsler aufsetzten läßt, beweist, was ursprünglich das Geweih dem Jäger war; denn das runde, schwarzlackierte oder braunpolierte Scheibchen Holz ist der zum reinen Zierate gewordene spärliche Rest der Wandtäfelung, auf die man ehedem die Geweihe nagelte, um Hut und Waffe oder Mantel daran zu hängen. Es hat im Grunde denselben Sinn, wie unser Schlips, der aus den Bindebändern entstand, mit denen man einst das Hemd schloß; ein Stück Schmuck ist es geworden samt dem Geweih oder Gehörn, das es trägt.

Seitdem Geweihe und Gehörne Wandzierden wurden, hat sich ihr Wert immer mehr vergrößert. Anfänglich wählte man die stärksten oder sonstwie ausgezeichneten Stücke dafür aus, oder hing die Hauptzier des ersten Hirsches, des ersten Bockes, den man erlegt hatte, auf, und dazu kamen mit der Zeit noch die besten Stücke, die man erbeutete. Nur dort, wo Hirsche als seltenes Wechselwild auftauchten, oder wo es so gut wie gar keine Rehe gab, wurde auch das Geweih eines elenden Schneiders oder ein minderwertiges Gehörn dazu auserlesen, hoch von der Wand her zu verkünden, welch ein gewaltiger Nimrod vor dem Herrn sein Erleger sei, und diesem bedeutete schließlich der geringe Sechsender oder der kümmerliche Gabelbock ebensoviel, wenn nicht mehr, als einem andern ein Klobengeweih oder Bombengehörn. Denn der Wert der Jagdtrophäe beruht in erster Reihe auf der Einbildung. An und für sich ist ein Zehnendergeweih nicht wertvoller als das eines Vierzehnenders. Sehr oft kann das Geweih eines schwächeren Hirsches für den Schützen einen bedeutend größeren Gemütswert darstellen als das eines Haupthirsches, je nachdem, ob er den einen selbst ausmachte und bestätigte und ihm nach langem Weidwerken endlich die Kugel antrug, oder ob es sich um einen angebundenen Hirsch handelte, der unschwer zu erlegen war, oder gar um einen, der vor den Treibern geschossen wurde. Dem echten, gerechten Weidmann wird eben immer das Wie ausschlaggebend sein und nicht das Was. Je mehr Mühe ihm ein Stück Wild macht, je mehr Nächte er seinetwegen um die Ohren schlug, um so wertvoller dünkt ihm die Trophäe, die er ihm verdankt.

Schießer lachen über den Forstlehrling, der einen Kümmerer zum Abschuß frei bekam und stolz die Knubben an die Wand nagelt, und nur wem der wahre Sinn des Weidwerkes nicht aufging, macht seine Witze über den Mann, der zwischen mäßigen Gehörnen ein noch mäßigeres Geweih hängen hat oder seinen einzigen Birkhahn oder Fuchs in theaterhafter Stellung gestopft auf den Gewehrschrank stellt. Der Weidmann aber denkt sich, daß diese Trophäen vielleicht mehr Mühe kosteten und ihren Schützen mehr wahre Freude bereiteten als die starken Hirsche und braven Böcke, die so mancher Mann mit der goldenen Kugel oder mit silbernem Hagel schoß, und die trotz ihrer Güte und Menge herzlich wenig Eindruck auf ihn machen, weiß er doch, wie leicht es ihrem Besitzer wurde, sie zu gewinnen.

Die Wand voll mehr oder minder guter Knochen macht noch lange nicht den Weidmann aus, ja sehr oft ist der beste Beweis dafür, daß der Besitzer so einer Sammlung wohl ein guter Jäger und sicherer Schütze, aber kein Jäger in des Wortes bester Bedeutung ist. Das erkennt man sofort, sieht man sich die Abschußdaten an; die weitaus meisten Rehgehörne sind im Mai, Juni, Juli und Anfang August erbeutet, also vor und während der Brunft; die Gehörne der Böcke, die nach der Brunft erlegt wurden, sind zumeist in der Minderzahl vertreten, auch weist die Sammlung im Durchschnitt lauter Gehörne vor, deren Träger auf der Höhe ihrer Kraft zum Abschusse kamen; mithin hat der Jagdinhaber unpfleglich gejagt, was schon daraus zu ersehen ist, daß schlecht gestellte Gehörne und solche von Kümmerern an der Wand fehlen, und zwar nicht etwa, weil sie nicht des Aufhängens für wert erachtet wurden, sondern weil der Jagdbesitzer sich um sie nicht kümmerte, denn auch in der Wohnung des Jagdaufsehers sind sie nicht zu finden.

Da ist aber nun ein anderer Jäger, der ebenso viele Gehörne an den Wänden hängen hat, und es sind eine ganze Menge braver darunter, aber auch sehr viele erbärmliche. Die Vermerke darauf ergeben, daß die braven Böcke fast alle nach der Brunft erlegt sind, einige kapitale schon früher; das waren dann entweder ganz unsichere Kantonisten, Herumtreiber, die der Jagdbesitzer vielleicht nie wieder zu Blick bekommen haben würde, oder solche alte Raufbolde, die alles, was rauh zwischen den Lauschern war, über die Grenzen jugen und deshalb sterben mußten. Die Jammergehörne aber, die da noch so herumhängen, Knubben, Bleistifte, enggestellte und gänzlich perlenlose Stangen, die tragen als Abschußmonat den Mai und Juni, denn sie mußten ihr Leben lassen, ehe sie auf verliebte Gedanken kamen, diese in die Tat umzusetzen und ihre mangelhaften Eigenschaften vererbten. Vergleicht man nun beide Sammlungen, so kommt man zu dem Ergebnis, daß die Trophäen, die der eine Jäger an der Wand hat, sich entweder von Jahr zu Jahr gleichbleiben oder allmählich schwächer werden, während die, die der andere Jäger besitzt, die umgekehrte Neigung zeigen, und da er sie nach Jahrgängen geordnet hat, ist sehr schnell herauszufinden, daß er meistens Jammerböcke hatte, als er die Jagd antrat, daß er aber in zehn Jahren durch die Hege mit der Büchse Gehörne züchtete, die sich sehen lassen können, und zwar sowohl nach Gehörnbildung wie nach Gewicht.

Denn nicht nur in der Erzielung guter Gehörne und Geweihe, sondern in der Herausbesserung der Kasse liegt der Wert der Hege mit der Büchse, und da, im allgemeinen wenigstens, Gehörnbildung und Gewicht von einander abhängig ist, hat die Wichtigkeit, die der Jäger der Stärke der Hauptzierden des Wildes beilegt, ihre große Bedeutung. Würde das nicht der Fall sein, so wäre den Jagdtrophäen nicht mehr Wert zuzubilligen als Liebigbildern, Briefmarken und anderen in Wirklichkeit durchaus wertlosen Gegenständen der Sammelsucht. Es gibt freilich Reviere, in denen die Rehe selten über dreißig Pfunde aufgebrochen wiegen, wo aber die Böcke ganz kapital aufsetzen, und es gibt Jagden, in denen das Umgekehrte die Regel ist. Im ersten Falle liegen geographische oder andere Verhältnisse vor, die es kaum möglich erscheinen lassen, daß durch eine planmäßige Hege das Gewicht aufgebessert wird; im zweiten Falle wird das meist unschwer zu erreichen sein. Im Durchschnitt aber darf man getrost sagen: wie der Schlag, so das Gehörn, und wo eine an sich starke Rehrasse nur mangelhafte Gehörne aufweist, liegt immer ein zu scharfer Abschuß von Zukunftsböcken vor.

Der größte Fehler, den die meisten Jäger begehen, liegt eben darin, daß sie ihre Böcke nicht alt genug werden lassen, indem ihnen jeder Sechserbock jagdbar dünkt. Somit wird die Hauptmenge der Böcke im dritten oder vierten Jahr abgeschossen, anstatt daß man sie noch zwei bis drei Jahre stehen läßt. Das ist ganz besonders dort der Fall, wo, wie in Mittel- und Westdeutschland, die Pachtjagden überwiegen. Gäbe es dort keine Staats- und Provinzialforsten, in denen die Böcke alt genug werden, so würde die an sich schon schwächer als der ostelbische Schlag veranlagte Rasse noch mehr entarten. Erfreulicherweise hat die Erkenntnis, daß der Bock nicht alt genug wird, sich in den letzten Jahren sehr verbreitet, und nachdem sich in vielen Sauen, zumeist auf Veranlassung der Oberförstereien, die Jagdpächter zu Jagdpflegevereinen zusammengeschlossen haben, die in ihren Satzungen eine vernünftige Abschußpraxis festsetzen, konnte sehr bald eine Verbesserung des Schlages nach Gewicht und Gehörnbildung beobachtet werden. Die Jagdpächter schießen jetzt nicht mehr so viele Böcke; aber die sie erbeuten, das sind auch solche, die die Mühe lohnen, und die nicht wie Hasen in den Rucksack hineinrutschen.

Das Gehörn ist ein Maßstab für die Güte des Schlages, aber auch nur einer. Jeder wirkliche Jäger wird ein ganz anderes Gesicht machen, hat er einen Bock vor sich liegen, der aufgebrochen seine vierzig Pfund wiegt, und ein Haupthirsch ist ein solcher, der ein Hauptgeweih trägt, sondern man soll auch ein entsprechendes Gewicht von ihm verlangen. Wer den Bock oder den Hirsch bloß nach der Hauptzier beurteilt, mag sich Jäger nennen; als Weidmann kann er nicht gelten. Sehr bezeichnend ist es, daß die Weidmänner vom alten Schlage in ihren Schußbüchern stets das Gewicht der erlegten Stücke verzeichneten, es auch, zum Teil wenigstens, auf den Schädelabschnitten vermerkten, ein guter Brauch, der heute leider fast ganz in Vergessenheit geraten ist, aber von jedem gerechten Jäger wieder eingeführt werden sollte.

Denn das Gehörn oder Geweih, so wichtig es auch ist: soll die Jagd ein fürnehm Spiel bleiben und nicht in öde Schießerei ausarten, das Ausschlaggebende darf es doch nicht sein, sondern das soll und muß stets das Wildbret bleiben; als dessen Wertmesser hat es zu gelten im Grunde, mag es auch noch so sehr Selbstwert vortäuschen. Hirsche mit märchenhaft viel Enden und Böcke mit Riesen- oder Abgottsgehörnen wogen mitunter recht gering, waren also für die Zucht in Wirklichkeit wenig wertvoll, denn dafür ist an erster Stelle das Gebäude anzusehen.

Darum: lockt auch den Jäger von heute hauptsächlich das Gehörn oder das Geweih, es sei ihm nicht das Allerwichtigste; immer soll er bedenken, daß er die Pflicht hat, daran mitzuwirken, daß das Wild nicht entarte, an Gewicht nicht abnehme, und daß er so jagen soll, daß der gewaltige Wert, der in unseren Wildbahnen steckt, verbessert wird.

Wer nach solchen Grundsätzen jagt, der ist Weidmann; nicht aber der, dessen einziges Ziel sind: volle Wände!


 << zurück weiter >>